Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theorie
2.1 Forschungsfragen
3. Methoden
3.1 Datenerhebung
3.2 Erweiterung des Kategoriensystems
4. Kodierleitfaden
4.1 Ankerbeispiele
4.11 Ankerbeispiel zur Kategorie Algorithmic Reasoning
4.12 Ankerbeispiel zur Kategorie Memorized Reasoning
4.13 Ankerbeispiel zur Kategorie Algorithmic-Memorized Reasoning
4.14 Ankerbeispiel zur Kategorie Creative Reasoning
5. Ergebnisse
5.1 Ergebnisse Klausuren deutschlandweit
5.2 Ergebnisse Leibniz Universität Hannover
5.3 Vergleich der Ergebnisse
6. Fazit
7. Diskussion
7.1 Wissenschaftliche Bedeutung
7.2 Implikationen für die Praxis
7.3 Grenzen dieser Arbeit
Literaturverzeichnis
Abstract
Das Ziel dieser Arbeit war es herauszufinden, welche Form von Wissen in Klausuren zur Linearen Algebra I an deutschen Universitäten abgefragt wird. Weiterhin wurde darauf aufbauend eine weitere Forschungsfrage gestellt: Welche Wissensformen sind maßgeblich entscheidend für das Bestehen und Nichtbestehen der Klausur zur Linearen Algebra I?
Um die Forschungsfragen zu beantworten wurden neun Klausuren zur Linearen Algebra von verschiedenen Universitäten aus ganz Deutschland mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) ausgewertet. Dabei wurden die einzelnen Aufgaben in Anlehnung an das Modell von Lithner (2005) in vier verschiedene Wissenskategorien eingeordnet. Außerdem wurden fünf Klausuren zur Linearen Algebra I von der Leibniz Universität Hannover ausgewertet, sodass die Ergebnisse der beiden Auswertungen miteinander verglichen werden konnten.
Die Ergebnisse zeigen, dass der Großteil der Aufgaben durch Reproduktion von auswendig gelerntem Wissen und Verfahren gelöst werden könnte, sodass in allen ausgewerteten Klausuren die Bestehensgrenze erreicht werden könnte, indem ausschließlich auf Wissen dieser Art zurückgegriffen werden würde.
Mögliche Folgen dieser Ergebnisse und die Notwendigkeit weiterer Forschung zu diesem Thema wurden diskutiert und es wurden Vorschläge für weiterführende Untersuchungen und Diskussionen genannt.
Schlagwörter: Hochschuldidaktik, Lineare Algebra I, Wissensformen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Anlehnung an das Ablaufmodell strukturierender Inhaltsanalyse
Abbildung 2: Klausur Universität Düsseldorf. Aufgabe 4: Aufgabenstellung
Abbildung 3: Klausur Universität Düsseldorf. Aufgabe 4 a): Musterlösung
Abbildung 4: Klausur Universität Düsseldorf. Aufgabe 4 b): Musterlösung
Abbildung 5: Klausur Universität Düsseldorf. Aufgabe 4 c): Musterlösung
Abbildung 6: Klausur Universität Berlin. Aufgabe 1: Aufgabenstellung
Abbildung 7 : Klausur Universität Berlin. Aufgabe 1: Musterlösung
Abbildung 8: Klausur Universität Düsseldorf. Aufgabe 5: Aufgabenstellung
Abbildung 9: Klausur Universität Düsseldorf. Aufgabe 5 a): Musterlösung
Abbildung 10: Klausur Universität Düsseldorf. Aufgabe 5 b): Musterlösung
Abbildung 11: Klausur Universität Bonn. Aufgabe C: Aufgabenstellung
Abbildung 12: Klausur Universität Bonn. Aufgabe C i): Musterlösung
Abbildung 13: Klausur Universität Bonn. Aufgabe C ii): Musterlösung
Abbildung 14: Klausur Universität Bonn. Aufgabe C iii): Musterlösung
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Kodierleitfaden
Tabelle 2: Ergebnisse der Klausuren deutschlandweit
Tabelle 3: Ergebnisse der Klausuren Leibniz Universität Hannover
Tabelle 4: Ergebnisse der Klausuren im Vergleich
1. Einleitung
Die Lineare Algebra gehört zu den Grundlagen des Mathematikstudiums und bildet zusammen mit der Analysis den Einstieg in das Fach- und Lehramtsstudium der Mathematik. Auf dem Wissen, welches in der Linearen Algebra vermittelt wird, bauen viele Kurse im weiteren Verlauf des Studiums auf und es gibt zahlreiche Anwendungsbereiche, wie das Programmieren von Computerspielen oder komplexe industrielle Probleme (MacGillivray 2005,S.1).
Es ist somit von großem Interesse, sowohl Seitens der Universität, als auch seitens der Studierenden, dass den Studierenden ein fundiertes und tiefgreifendes Wissen in diesem Fachbereich vermittelt wird, damit sie bestmöglich auf die Anforderungen im Laufe des Studiums vorbereitet werden. Da das erste Studienjahr maßgebend für den Erfolg im weiteren Studium ist (Altierei 2016), stellt sich vor allem für die Universität die Frage, welche Form von Wissen in der Klausur zu Linearen Algebra I eigentlich abgefragt beziehungsweise in der zugehörigen Vorlesung gelehrt wird, um herauszufinden, welche Maßnahmen nötig sind, um die Studierenden besser unterstützen zu können.
Es ist außerdem wichtig, dass eine gute Passung zwischen den Vorlesungsinhalten und dem abgefragten Wissen in Klausuraufgaben besteht, weil die Studierenden sich beim Lernen häufig an den Vorlesungsinhalten orientieren (Biggs 1996), weshalb die Untersuchung der Klausuren ein erster Schritt ist um dies zu überprüfen.
Das Themengebiet, welches Wissen in Mathematikklausuren abgefragt wird, ist bisher im Hochschulbereich vor allem in Deutschland sehr wenig erforscht, bekannt ist jedoch, dass Mathematik in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen im Wesentlichen prozedural gelehrt und geprüft wird (Altieri 2016), was bedeutet, dass hauptsächlich Prozeduren, Verfahren und Schemata gelehrt und geprüft werden (Rittle-Johnson et al. 2001).
Dies wird in der Literatur eher kritisch gesehen, da viele Studierende als Vorbereitung auf die Mathematikklausuren lediglich Formeln und Standardaufgaben auswendig lernen, was unter anderem dazu führt, dass die Wirtschaft einen Mangel an anwendbarem Wissen bei Berufseinsteigern beklagt (Preißler et al. 2010).
Des Weiteren hat ein Fachstudium der Mathematik den Anspruch, nicht nur Verfahren zu lehren, sondern vor allem ein Verständnis der mathematischen Strukturen und Zusammenhänge, welche dahinter stehen zu vermitteln. Es besteht jedoch der begründete Verdacht, dass die Hochschulen ihrem eigenen Anspruch hier nicht gerecht werden und in den Prüfungen der Schwerpunkt oft auf Reproduktion gelegt wird:
“we go through the motions of saying for the record what we think the students "ought" to learn, while the students are trying to grapple with the more fundamental issues of learning our language and guessing at our mental models. […] Professors compensate by giving homework and tests that are much easier than the material "covered" in the course, and then grading the homework and tests on a scale that requires little understanding.“ (Thurston 1994, S. 166)
In der Schulmathematik ist zu diesem Thema hingegen zahlreiche Literatur vorhanden. Sowohl im nationalen, als auch im internationalen Vergleich existieren bereits umfangreiche empirische Untersuchungen, wie zum Beispiel von Drüke-Noe (2014), Klein et al. (2009), Krüger (2015) und Kühn (2011). In diesen Untersuchungen zeigt sich, dass in der Schulmathematik ebenfalls hauptsächlich Prozeduren und Verfahren gelehrt, gelernt und geprüft werden.
2. Theorie
Als theoretische Grundlage für die Definition der Wissenskategorien, um die Klausuraufgaben anhand des benötigten Wissens zu klassifizieren, welche in Kapitel 3 erläutert werden, wird das Modell von Lithner (2005) aus der Studie „A Framework for Analysing Qualities of Mathematical Reasoning“ dienen. Dieses Modell wurde auf Grundlage zahlreicher empirischer Untersuchungen erstellt, um das mathematische Wissen, welches benötigt wird, um eine Aufgabe zu lösen, zu analysieren und anschließend in Kategorien einzuteilen.
Es werden dabei drei Kategorien unterschieden: „Memorized Reasoning“, „Algorithmic Reasoning“ und „Creative Reasoning“. Laut diesem Modell lässt sich jede mathematische Aufgabe mithilfe einer dieser drei Wissenskategorien oder einer Kombination aus diesen lösen (Bergqvist 2007, S.4). Es ist schwierig diese Hypothese theoretisch zu beweisen, jedoch komplementieren mehrere Beispiele aus empirischen Studien das Modell von Lithner und haben der Hypothese standgehalten (Bergqvist 2007, S.5).
Die erste Kategorie lautet „Memorized Reasoning“ und umfasst alle Inhalte, die auswendig gelernt wurden und beim Lösen einer Aufgabe, genauso wie sie im Gedächtnis abgespeichert wurden, heruntergeschrieben werden. Es kann sich dabei also um reines Faktenwissen handeln oder auch um einen Beweis, der auswendig gelernt wurde. Des Weiteren kann es daher auch vorkommen, dass die einzelnen Schritte einer Lösung, bei der Memorized Reasoning verwendet wurde in falscher Reihenfolge stehen, weil die einzelnen Teile der Lösung nicht voneinander abhängen.
Weiterhin ist anzumerken, dass die Einteilung einer Beweisaufgabe in die Kategorie Memorized Reasoning im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, da nicht genug Informationen vorliegen, um beurteilen zu können, ob der Beweis auswendig gelernt werden konnte oder nicht.
Die zweite Kategorie lautet „Algorithmic Reasoning“ und umfasst die Aufgaben, welche anhand einer gelernten Prozedur oder eines Algorithmus gelöst werden können, sodass es sich dabei um implizites Handlungswissen handelt. Diese Kategorie unterscheidet sich von Memorized Reasoning dadurch, dass die Einhaltung der Reihenfolge wichtig ist, sodass jeder Schritt, bis auf den ersten, nicht ohne den vorherigen gemacht werden kann. Bei einem Algorithmus kann es sich dabei entweder um einfache Routinen oder um eine komplexe Prozedur mit mehreren Unterprozeduren handeln (Anderson 2001). Beispielsweise ist das schriftliche Rechnen Grundlage für komplexere Prozeduren, wie das Umwandeln von Maßeinheiten (Jordan et al. 2006).
Die dritte und letzte Kategorie lautet „Creative Reasoning“ und umfasst alle Aufgaben, für deren Lösung es keine Standardprozedur gibt und nicht einfach auf eine auswendig gelernte Definition oder Rechenregel zurückgegriffen werden kann, sondern ein tiefgreifendes Verständnis der mathematischen Zusammenhänge und Konzepte vorhanden sein muss. Für eine vollständige Lösung der Aufgabe müssen neue Lösungsansätze und Strategien gefunden werden, indem zum Beispiel mehrere bekannte Verfahren oder Definitionen logisch miteinander verknüpft werden.
In der Studie von Lithner (2005) werden vier Voraussetzungen für das Vorliegen von Creative Reasoning genannt. Die erste Voraussetzung lautet „Novelty“ und sagt aus, dass die Lösung der Aufgabe bisher nicht bekannt sein sollte und erst ein neuer Lösungsweg gefunden werden muss. Die zweite Voraussetzung wird „Flexibility“ genannt und besagt, dass eine flexible Anpassung der Strategie zur Lösung der Aufgabe je nach vorhandener Situation möglich sein soll, da keine Fixierung auf eine festgelegte Vorgehensweise besteht. Als dritte Voraussetzung wird „Plausibility“ genannt, womit gemeint ist, dass Argumente vorhanden sein müssen, welche für die Verwendung der genutzten Lösungsstrategie sprechen und nahe legen, warum die daraus folgenden Aussagen wahr beziehungsweise plausibel sind. Als letzte Voraussetzung wird „Mathematical foundation“ genannt. Dies beschreibt, dass die Argumentationen des Lösungsweges auf mathematischen Eigenschaften der verwendeten Komponenten beruhen.
Creative Reasoning ist somit Wissen, welches ein abstraktes, tiefgreifendes Verständnis von Prinzipien und Relationen innerhalb eines Fachbereichs voraussetzt.
2.1 Forschungsfragen
Die übergreifende Fragestellung meiner Arbeit lautet: Welche Form von Wissen wird an deutschen Universitäten in Klausuren der Linearen Algebra I abgefragt? Die erste Forschungsfrage soll anhand einer Analyse von Klausuren beantwortet werden, welche von möglichst vielen verschiedenen Universitäten aus ganz Deutschland stammen. Als Vergleich dazu sollen außerdem mehrere Klausuren von einer einzigen Universität analysiert werden, um zu überprüfen, wie homogen die Klausuren an einem Standort sind (hier: Hannover) und ob sich Hannover als Standort vom deutschen Durchschnitt unterscheidet.
Aus dem Anspruch des Fachstudiums der Mathematik, nicht nur Verfahren, Rechenregel, Definitionen und Sätze zu lehren, folgt außerdem, dass es den Studierenden nicht möglich sein sollte, die Mathematikklausuren zu bestehen, wenn sie lediglich Schemata, Prozeduren und Definitionen auswendig gelernt haben und die Konzepte dahinter nicht verstanden haben. Daraus ergibt sich eine weitere Forschungsfrage: Welche Wissensformen sind maßgeblich entscheidend für das Bestehen und Nichtbestehen der Klausur zur Linearen Algebra I?
3. Methoden
Als grundlegende Untersuchungsanalyse für diese Arbeit dient die Dokumentenanalyse nach Mayring (2002). Der Grundgedanke der Dokumentenanalyse ist das Erschließen von Material, welches nicht erst vom Forscher geschaffen werden muss, sondern bereits vorliegt (Mayring 2002, S. 47). Die Vorgehensweise der Dokumentenanalyse besteht dabei grundsätzlich aus den folgenden vier Schritten: 1) Eine grundlegende Fragestellung wird klar formuliert. 2) Das Ausgangsmaterial wird bestimmt und gesammelt. 3) Es wird eingeschätzt, welchen Wert die Dokumente für die Beantwortung der Fragestellung haben. 4) Die Dokumente werden hinsichtlich der Fragestellung interpretiert.
Die qualitative Interpretation des Dokuments hat dabei einen entscheidenden Stellenwert (Mayring 2002). Als Methode zur qualitativen Interpretation wird dabei die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) verwendet. Die qualitative Inhaltsanalyse zeichnet sich dadurch aus, dass sie „streng methodisch kontrolliert das Material Schrittweise analysiert. Sie zerlegt ihr Material in Einheiten, die sie nacheinander bearbeitet.“ (Mayring 2002, S.114). Somit eignet sich die qualitative Inhaltsanalyse besonders gut, um die Klausuren bezüglich der Forschungsfragen zu analysieren. Mayring (2002) differenziert dabei zwischen den folgenden drei Grundlegenden qualitativen Analysetechniken: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung.
Im Hinblick auf die Forschungsfragen wird in dieser Arbeit das Prinzip der strukturierenden Inhaltsanalyse verwendet. „Diese wohl zentralste inhaltsanalytische Technik hat zum Ziel, eine bestimmte Struktur aus dem Material herauszufiltern.“ (Mayring 2010, S.92). Mithilfe dieser Methode wird in den nächsten beiden Kapiteln ein Kategoriensystem zusammengestellt, welchem mithilfe von Ankerbeispielen und klaren Kodierregeln die Klausuraufgaben zugeordnet werden können. Im Folgenden werden nun die einzelnen Schritte des Ablaufmodells strukturierender Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) detailliert beschrieben.
1. Schritt: „Bestimmung der Analyseeinheiten“. Die Analyseeinheiten bestehen aus den einzelnen Aufgaben der ausgewählten Klausuren. Falls Aufgaben in mehrere Teilaufgaben unterteilt sind, werden diese, separat betrachtet. Dies führt dazu, dass die Teilaufgaben durchaus in verschiedene Kategorien eingeteilt werden können.
2. Schritt: „Festlegung der Stukturierungsdimensionen“. In diesem Schritt werden die grundsätzlichen Strukturierungsdimensionen bestimmt, welche aus der Forschungsfrage abgeleitet werden. In dieser Arbeit wird dafür das Modell von Lithner (2005) herangezogen. Dieses Modell bildet zunächst die Grundlage für die anschließende Bestimmung der Ausprägungen und der Erweiterung zum Kategoriensystem. In Kapitel 2 wurde dieses Modell bereits vorgestellt und die Strukturierungsdimensionen festgelegt.
3. Schritt: „Bestimmung der Ausprägungen und Zusammenstellung des Kategoriensystems“. Im dritten Schritt werden die Strukturierungsdimensionen weiter differenziert, indem einzelne Ausprägungen dargelegt werden, sodass es anschließend möglich ist, aus den Dimensionen und den Ausprägungen ein Kategoriensystem aufzustellen. Das vollständige Kategoriensystem wird in Kapitel 3.2 vorgestellt.
4. Schritt: „Formulierung von Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln zu den einzelnen Kategorien“. Das Formulieren der Definitionen zu den Kategorien erfolgte bereits in Kapitel 2 und die Formulierung von Ankerbeispielen und Kodierregeln folgt in Kapitel 3.3. Die Kodierregeln stellen den Leitfaden dar, anhand welcher Kriterien die Aufgaben den einzelnen Kategorien zugeordnet werden. Mithilfe der Ankerbeispiele sollen anhand von konkreten Beispielen aufgezeigt werden, wie die Analyse einer Aufgabe abläuft und wie die Kodierregeln dabei angewendet werden.
5. Schritt: „Materialdurchlauf: Anwendung der Kodierregeln“. Im fünften Schritt folgen dann die Analyse der einzelnen Aufgaben und die Zuordnung zu den verschiedenen Kategorien anhand des Kodierleitfadens.
6. Schritt: „Überarbeitung, gegebenenfalls Revision von Kategoriensystem und Kodierleitfaden“. Falls die Einteilung aus dem vorherigen Schritt nicht vollständig oder nicht sinnvoll möglich war, kann in diesem Schritt eine Anpassung des Kategoriensystems und des Kodierleitfadens vorgenommen werden. Im Anschluss an eine mögliche Überarbeitung wird das Ablaufmodell der strukturierenden Inhaltsanalyse ab dem dritten Schritt wiederholt. Dieses Vorgehen muss so oft wiederholt werden, bis sich die Aufgaben anhand des Kategoriensystems und des Kodierleitfadens sinnvoll einteilen lassen.
7. Schritt: „Prüfung der Intercoder-Reliabilität“. Dieser Schritt wird in dem allgemeinen Ablaufmodell strukturierender Inhaltsanalyse nicht genannt, der Schritt wurde jedoch zusätzlich eingefügt, um dabei zu helfen, die aufgestellten Kodierregeln auf ihre Funktionalität hin zu überprüfen. Die Intercoder-Reliabilität bezeichnet das Ausmaß der Übereinstimmungen bei mehreren kodierenden Personen. Die Prüfung der Intercoder-Reliabilität läuft so ab, dass mehrere Personen anhand der aufgestellten Kodierregeln und Ankerbeispiele unabhängig voneinander einen Teil der ausgewählten Klausuren überprüfen, die einzelnen Aufgaben in die festgelegten Kategorien einteilen und anschließend die Ergebnisse der Einteilungen in die verschiedenen Kategorien miteinander verglichen (Müller-Benedict 1997). Die Intercoder-Reliabilität ist somit eine Methode Mithilfe derer eine gewisse Objektivität bei der Einteilung der Aufgaben in die verschiedenen Kategorien, der kodierenden Person gewährleistet werden kann und bei einer geringen Übereinstimmung die Möglichkeit bietet, das Kategoriensystem beziehungsweise den Kodierleitfaden erneut zu überarbeiten.
Falls der Vergleich zeigt, dass die Aufgaben zum größten Teil beziehungsweise nach den Kriterien von Landis und Koch (1977) und Fleiss (1971) jeweils in die gleichen Kategorien eingeteilt wurden, können die Kodierregeln als funktional angesehen werden, andernfalls wird dieses Vorgehen nach der Überarbeitung des Kategoriensystems beziehungsweise des Kodierleitfadens so lange wiederholt, bis eine zufallsbereinigte Übereinstimmung von mindestens 81% erreicht wurde.
Dieser Schritt wurde mit dem Zweitgutachter in getrennten Arbeitsvorgängen durchgeführt. Er erfolgte durch das Vergleichen der Einteilungen, aus zwei Klausuren und ergab eine Übereinstimmung von 90% und eine zufallsbereinigte Übereinstimmung, für deren Berechnung das Cohens Kappa nach Cohen (1960) verwendet wurde, von 82%. Nach Landis und Koch (1977) gilt dieser Wert als „fast vollkommene Übereinstimmung“, da er sich im Bereich zwischen 81% und 100% befindet, sodass die aufgestellten Kodierregeln als funktional angesehen werden können. Für die weiteren Analysen wurden beide Kodierungen zusammengeführt.
8. Schritt: „Ergebnisaufbereitung“. Im letzten Schritt werden dann die Ergebnisse aus dem gesamten Materialdurchlauf aufbereitet und übersichtlich dargestellt. Diese Übersicht über die Ergebnisse wird in Kapitel 5 sowohl anhand von Tabellen dargestellt als auch ausführlich erläutert.
Im nächsten Abschnitt werden die verwendeten Methoden dargestellt, welche für die Datenerhebung genutzt wurden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Anlehnung an das Ablaufmodell strukturierender Inhaltsanalyse (allgemein) von Mayring (2010, S.94).
3.1 Datenerhebung
Das Ziel der nachfolgenden Methode zur Gewinnung von Daten soll es sein, eine deutschlandweit gestreute Stichprobe möglichst aktueller Klausuren zusammenzustellen, damit die aus den Ergebnissen folgenden Aussagen deutschlandweit gültig sind. Als Methode zur Gewinnung von Daten werden deshalb Klausuren zur Linearen Algebra I von verschiedenen Universitäten aus dem Internet herausgesucht, die möglichst aktuell sind, damit die Ergebnisse eine möglichst hohe Aussagekraft zur aktuellen Aufgabenkultur in Klausuren zur Linearen Algebra I haben.
Die Auswahl der Klausuren lief so ab, dass die ersten neun Klausuren, zu denen eine Lösung vorliegt, ausgewählt werden. Dabei wird in der Suchmaschine Google „Lineare Algebra 1 Klausur Lösung“ eingegeben. Dabei wird der Fokus darauf gelegt, dass nur Klausuren ausgewählt werden, die an Studenten des Fachstudiums der Mathematik oder an Lehramtsstudenten gestellt wurden. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass auch Studenten anderer Fachrichtungen, wie zum Beispiel der Informatik, an der Klausur teilgenommen haben, was für die Zwecke dieser Arbeit jedoch unerheblich ist, da der wichtigste Aspekt ist, dass die Klausur primär an Fach- oder Lehramtsstudenten gerichtet ist.
Um sicherzustellen, dass die Klausur primär an Fach- oder Lehramtsstudenten gestellt wurde, müssen alle ausgewählten Klausuren mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllen: 1) Der Dozent, welcher für die Klausur verantwortlich ist, konnte Eindeutig der entsprechenden Lehrveranstaltung Lineare Algebra I zugeordnet werden, welche für Fach- oder Lehramtsstudenten geeignet ist. 2) Die Klausur konnte entsprechend dem Semester eindeutig einer Lehrveranstaltung zugeordnet werden, welche für Fach- oder Lehramtsstudenten geeignet ist. 3) Die Universität bietet keine anderen Studiengänge an, in denen die Klausur zur Linearen Algebra I zur Prüfungsordnung gehört.
Zusätzlich werden weitere fünf Klausuren ausgewählt, welche ausschließlich von der Leibniz Universität Hannover stammen. Die Fachschaft Mathematik der Leibniz Universität Hannover sammelt Klausuren aus dem Fachbereich Mathematik, also insbesondere auch Klausuren der Linearen Algebra I, weshalb die Auswahl mithilfe der Fachschaft Mathematik der Leibniz Universität Hannover so stattfand, dass fünf aus den der Fachschaft vorliegenden Klausuren ausgewählt wurden, zu denen eine Musterlösung vorliegt. Dabei wurde auch eine Probeklausur ausgewählt, weil es nicht genügend Klausuren gab, zu denen eine Musterlösung vorliegt. Angaben zum Jahr und den Lehrenden waren geschwärzt.
3.2 Erweiterung des Kategoriensystems
Die zuvor beschriebenen grundlegenden Kategorien aus dem Modell von Lithner bestehen aus den Wissenskategorien Memorized Reasoning, Algorithmic Reasoning und Creative Reasoning. Nach mehrmaligem Durchlaufen der Schritte drei bis sieben des Ablaufmodells der qualitativen Inhaltsanalyse wie in Kapitel 3 beschrieben, hat sich gezeigt, dass viele Aufgaben größtenteils die Anwendung eines Algorithmus fordern. Für die vollständige Lösung der Aufgabe ist jedoch ein kleiner Anteil Wissen aus der Kategorie Memorized Reasoning notwendig.
Es ist durchaus möglich, dass die Studierenden, welche an einer Klausur teilgenommen haben, in der eine solche Aufgabe vorzufinden ist, im Vorfeld ähnliche Aufgaben eingeübt haben und die Vorgehensweise zur Lösung dieser Aufgaben verinnerlicht haben, sodass es sich aus Sicht dieser Studierenden lediglich um einen Algorithmus handelt.
Da es im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht möglich ist, diese Vermutung zu überprüfen, kann die Aufgabe somit weder in die Kategorie Algorithmic Reasoning eingeordnet werden, weil nicht eindeutig ausschließlich die Anwendung eines Algorithmus gefordert wird, noch kann die Aufgabe der Kategorie Memorized Reasoning zugeordnet werden, weil nicht ausschließlich Wissen gefordert wird, welches in die Kategorie Memorized Reasoning fällt.
Nach dem Ausschlussverfahren müssten diese Aufgaben also in die Kategorie Creative Reasoning fallen, allerdings entsprechen jene, beziehungsweise das geforderte Wissen zur Lösung der Aufgaben, nicht den Kriterien der Kategorie Creative Reasoning wie in Kapitel 2 dargestellt, weil keine neuen Lösungsansätze und Strategien von den Studierenden gefunden werden müssen und kein tiefgreifendes mathematischen Verständnis notwendig ist, um die Aufgabe zu lösen, sondern Hauptsächlich die Anwendung eines Algorithmus gefordert ist.
Aus diesem Grund hat es sich als sinnvoll herausgestellt, das Kategoriensystem um eine Kategorie zu erweitern. Dieser Kategorie können dann diejenigen Aufgaben zugeordnet werden, welche hauptsächlich die Anwendung eines Algorithmus fordern und sich zusätzlich aus einem geringen Anteil Wissen aus der Kategorie Memorized Reasoning zusammensetzen. Somit wird das Kategoriensystem um die Kategorie „Algorithmic-Memorized Reasoning“ erweitert.
Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, kann nach dem Modell von Lithner (2005) jede Aufgabe einer der drei Kategorien Algorithmic Reasoning, Memorized Reasoning und Creative Reasoning oder einer Kombination aus diesen Kategorien zugeordnet werden.
In einer weiteren Studie von Palm, Boesen und Lithner (2006) wird vertieft darauf eingegangen, dass den Kategorien Memorized Reasoning und Algorithmic Reasoning die Oberkategorie „Imitative Reasoning“ zugrunde liegt, welche sich ausschließlich aus diesen beiden Kategorien zusammensetzt, ganz klar von der Kategorie Creative Reasoning abgrenzt wird und auf Grundlage von zahlreichen empirischen Studien begründet ist, was die Erweiterung des Kategoriensystems rechtfertigt.
4. Kodierleitfaden
Nachfolgend werden die Kodierregeln tabellarisch dargestellt, anhand derer die Aufgaben aus den Klausuren analysiert werden. Dieser Kodierleitfaden entstand im Rahmen des Ablaufmodells qualitativer Inhaltsanalyse durch mehrfaches durchlaufen der Schritte 3 bis 7. Für die Kategorien Memorized Reasoning, Algorithmic Reasoning und Algorithmic-Memorized Reasoning sind zusätzlich zu den Kodierregeln Indikatoren aufgelistet. Diese Indikatoren sollen dazu dienen, eine schnellere Einteilung der Aufgaben zu ermöglichen. Zunächst wird dazu lediglich die Aufgabenstellung betrachtet und in Hinblick auf die Verwendung bestimmter Formulierungen untersucht. Falls Indikatoren einer Kategorie in einer Aufgabenstellung erkannt werden, ist dies jedoch nur ein erster Anhaltspunkt, dass die Aufgabe möglicherweise in die entsprechende Kategorie fällt. Eine genauere Überprüfung durch Betrachten der Lösung ist in jedem Fall notwendig. Die anschließende Überprüfung kann dadurch allerdings mit besonderem Blick auf die Kriterien der vermuteten Kategorie erfolgen.
Die einzige Ausnahme bildet dabei die Kategorie Creative Reasoning, da eine Aufgabe in jedem Fall dieser Kategorie zugeordnet wird, falls in der Aufgabenstellung die Formulierung „Beweisen Sie“ auftritt.
Für die Kategorie Algorithmic Reasoning wurde eine Liste mit den am häufigsten auftretenden Algorithmen angefertigt, um die Überprüfung, ob es sich bei der Lösung einer Aufgabe tatsächlich um einen Algorithmus handelt zu erleichtern. Falls die Vermutung besteht, dass es sich bei der Lösung einer Aufgabe um einen Algorithmus handelt und dieser nicht in der Liste aufgeführt ist, wurde weiterführende Literatur zur Linearen Algebra I wie zum Beispiel das Buch „Tutorium Analysis 1 und Lineare Algebra 1“ von Modler und Kreh (2011) hinzugezogen, um zu überprüfen, ob ein solcher Algorithmus existiert. Das genannte Buch wurde ebenfalls verwendet, um Sätze und Definitionen nachzuschlagen.
In den Kapiteln 4 und 5 werden die Bezeichnungen Algorithmic Reasoning mit AR, Memorized Reasoning mit MR, Algorithmic-Memorized Reasoning mit AMR und Creative Reasoning mit CR abgekürzt.
Tabelle 1: Kodierleitfaden
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4.1 Ankerbeispiele
In diesem Kapitel werden die Ankerbeispiele zu jeder Kategorie vorgestellt. Die Ankerbeispiele sollen dabei helfen zu verdeutlichen, wie die Kodierung einer Aufgabe abläuft und wie die Kodierregeln auf konkrete Beispiele angewendet werden können. Die für die Ankerbeispiele genutzten Klausuren und deren Lösungen sind frei zugänglich.
4.1.1 Ankerbeispiel zur Kategorie Algorithmic Reasoning
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 : Klausur zur Vorlesung Lineare Algebra I, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vom 23.07.2011. Aufgabe 4: Aufgabenstellung . Klausur frei zugänglich unter: http://reh.math.uni-duesseldorf.de/~bogopolski/pdfs/LA_I_SS_2012/klausur2011_Loesung.pdf
Zunächst wird die Aufgabenstellung betrachtet, um nach Indikatoren zu suchen. Dabei fällt auf, dass in den Aufgabenteilen a) und b) die Formulierung „Berechnen Sie“ verwendet wird und in der Aufgabenstellung die Matrix A als Grundlage zur Bearbeitung vorgegeben ist. Somit besteht die Vermutung, dass die Aufgabe in die Kategorie AR fällt. Des Weiteren fällt auf, dass in der Aufgabenstellung die Begriffe „Eigenwert“, „Eigenraum“ und „Diagonalmatrix“ verwendet werden. Dies sind nach den Kodierregeln typische Aufgaben, in denen ein Algorithmus angewendet werden kann, wenn sie in Verbindung mit der Formulierung „Berechnen Sie“ auftauchen.
Nun werden die Musterlösungen betrachtet. Die Lösung zu Aufgabenteil a) besteht darin, das charakteristische Polynom zu bestimmen und die Eigenwerte abzulesen. Das Bestimmen des charakteristischen Polynoms beziehungsweise der charakteristischen Abbildung ist ein Algorithmus, der folgendermaßen vorgegeben ist: Zunächst muss die Matrix (A-λE) bestimmt werden: Anschließend muss die Determinante dieser Matrix bestimmt werden. Bei einer 3x3 Matrix wie in der vorliegenden Aufgabe kann dazu die Regel von Sarrus (auch sarrusche Regel oder Jägerzaun-Regel) verwendet werden.
Anschließend wird die Determinante gleich null gesetzt, um die Nullstellen zu bestimmen. Das Bestimmen der Nullstellen erfolgt ebenfalls nach einem Algorithmus. Die bestimmten Nullstellen sind dann die verschiedenen Eigenwerte.
Daraus ist eindeutig ersichtlich, dass das Bestimmen der Eigenwerte ein Algorithmus ist, welcher aus mehreren kleineren Prozeduren besteht, und somit in die Kategorie AR einzuordnen ist, weil für das Lösen der Aufgabe keine anderen Schritte notwendig sind, als das Ausführen von Algorithmen mit mehreren Unterprozeduren.
Bestärkt wird diese Einordnung dadurch, dass das Bestimmen der Eigenwerte bei den Beispielen für häufig auftretende Algorithmen der Kategorie AR aufgelistet ist, das es dem Bestimmen der charakteristischen Abbildung einer Matrix entspricht, dass die Aufgabe der Kategorie AR zuzuordnen ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Klausur zur Vorlesung Lineare Algebra I, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vom 23.07.2011. Aufgabe 4 a): Musterlösung .
Im Aufgabenteil b) soll nun zu jedem Eigenwert λ, der zugehörige Eigenraum bestimmt werden. Um die Eigenräume zu bestimmen, kann folgendermaßen vorgegangen werden. Zunächst wird mithilfe des ersten Eigenwertes, die Matrix (A- λE) bestimmt, indem der erste Eigenwert von der Hauptdiagonale von A abgezogen wird. Dann muss das homogene Gleichungssystem (A- λE)x=0 gelöst werden. Die Lösungsmenge dieses homogenen Gleichungssystems ist dann der Eigenraum zum ersten Eigenwert.
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