Eine Analyse des Liedes "Mir ist alle zît, als ich vliegende var" von Bernger von Horheim


Seminar Paper, 2018

17 Pages, Grade: 1


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Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. ÄUßERE UND INNERE ANALYSE
2.1 Entstehung, Überlieferung und Edition
2.2 Thematik
2.3 Metrik
2.4 Wortwahl
2.5 Bildlichkeit

3. ZUSAMMENFASSUNG

4. BIBLIOGRAPHIE
4.1 Primärliteratur (inkl. kommentierter Werkausgaben)
4.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

Spricht man vom Mittelalter, so verbinden viele Menschen damit eine Zeit, die mit den Worten ,dunkel‘ oder ,grauenvoll‘ assoziiert wird. Allseits verbreitet ist jene überzeu­gung, dass es sich hierbei um einen Zeitabschnitt handle, der weitgehend von Aber­glaube und einer einfachen Lebensweise geprägt sei. Betrachtet man jedoch das litera­rische Wirken, so zeigt sich ein gänzlich anderes Bild. Wie auch in anderen Epochen der Geschichte gab es Menschen, die durch ihr Können und Wissen brilliert haben und dieses auf unterschiedliche Art und Weise ihren Zeitgenossen zu vermitteln wussten.

In Hinblick auf den Minnesang, welcher das Thema dieser vorliegenden Seminararbeit darstellt, sei auf dessen berühmte Dichter verwiesen. Ihnen gelang es, mittels der Kunst der Poetik, Texte vorzutragen, welche sich durch eine Vielzahl von rhetorischen Mitteln auszeichneten und große Bewunderung beim Publikums hervorriefen.

Um diese Meisterleistung anhand eines praktischen Beispiels aufzuzeigen, soll im Rahmen der vorliegenden Seminararbeit ein Minnelied aus dem 12. Jahrhundert analy­siert und interpretiert werden. Die Arbeit selbst gliedert sich dabei in fünf Abschnitte. So erfolgt zunächst eine äußere Analyse, welche sich mit der Entstehung, Überlieferung und Edition des Liedes befasst. Im Anschluss daran erfolgt die Untersuchung der inne­ren Struktur. Hier sollen die Aspekte Thematik, Metrik, Wortwahl und Bildlichkeit den Fokus auf sich lenken. Eine abschließende Konklusion fasst die in der Arbeit gewönne- nen Erkenntnisse zusammenfassen.

2. Äußere und innere Analyse

2.1 Entstehung, Überlieferung und Edition

״Mündlichkeit, Analphabetismus, hohe Kosten des Pergaments [...] erschweren jenen Zusammenhang, den wir als Literatur bezeichnen, und lassen uns bewußt werden, wie bruchstückhaft und unzusammenhängend unser Gegenstand ist.“[1] Dieses Zitat von Max Wehrli verdeutlicht die Diskontinuität mittelalterlicher Literatur. Durch den stark frag­mentarischen Charakter ist aus heutiger Sicht sichtlich schwer nachzuvollziehen, auf welche Art und Weise sich das bis zur Gegenwart Erhaltene im Verhältnis zum Aus­gangsmaterial verändert hat.

Wendet man sich angesichts dieser Tatsache dem Lied MF 113,1[2] zu, so ist es keines­wegs verwunderlich, dass es sich bei seinem Verfasser, Bemger von Horheim, um einen Minnesänger des 12. Jahrhunderts handelt, über dessen Leben und Wirken kaum schrift­liche Quellen vorzufinden sind.

Urkundlich erwähnt ist Bernger als Berengius de Orehem in zwei Urkunden, welche aus dem Jahr 1996 stammen und in Italien ausgestellt wurden. Man vermutet, dass Bern- ger einer gut situierten Familie entstammte und eine Ausbildung zum Ritter absolvierte. Im Rahmen seiner Ausbildung dürfte er am Kaiserhof mit einem der bedeutendsten Minnesänger seiner Zeit, Friedrich von Hausen, in Kontakt gekommen sein, welcher ihm mitunter als Lehrer und zugleich Vorbild diente.[3]

Das Lied selbst, welches auch ,Lügenlied‘[4] genannt wird, ist in zwei Handschriften aus dem 14. Jahrhundert überliefert. Es ist einerseits in der Weingartner Liederhand­schrift (Sigle B) und anderseits in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Sigle C) zu finden.[5] Zwar weist die Überlieferung der insgesamt sechs Lieder, die Bernger zu Lebzeiten verfasst hat, in den beiden Handschriften leichte Unterschiede auf, doch han­delt es sich dabei lediglich um Schreibvarianten.[6]

Literaturgeschichtlich lässt sich das Lügenlied der zweiten Phase, dem rheinischen Minnesang, und der sogenannten Hausenschule zuordnen, welche sich mit den literari­schen Konventionen des Minnesangs auseinandersetzt. Es verfügt über eine Mehrstro- phigkeit und ein differenziertes Reimschema.[7] Darüber hinaus dürfte Bemger von Horheim im Laufe seiner Lebenszeit auch mit dem romanischen Minnesang der Tro- véres in Berührung gekommen sein und dessen Motive, Bilder und Strophenfragmente für seine Lieder übernommen haben.[8]

Hinsichtlich der Gattung kann das Lied sowohl der Minneklage zugerechnet werden als auch als Vorreiter für das mittelhochdeutsche Lügenlied gelten, da spätere Dichter, wie beispielsweise Reinmar von Zweier oder Marner, diese Form nachahmten.[9] Aller­dings verzichtet Bernger von Horheim jedoch, im Gegensatz zu anderen bekannten Min­nesängern innerhalb dieses Zeitraums, auf den weit verbreiteten Wechsel.[10]

Obwohl das Lied über keine Noten verfügt, ist die Melodie durchaus rekonstruierbar. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich Bernger von Horheim vermutlich an einem firan- zösischen Lied des Bertrán de Born orientierte und dessen Form und Melodie entlehnte. Auffallend ist ebenso, dass jedes der sechs Lieder einen eigenen Ton besitzt. Dies ver­anschaulicht, welchen großen Wert dieser Minnesänger darauf legte, dass seine Lieder individuell und ohne jegliche Wiederholung blieben.[11]

Dass das Lügenlied schon zu Lebzeiten von Bernger bekannt und beliebt war, zeigen zahlreiche Zitate und Nachahmungen. So setzten auch andere Dichter des 12., 13. und 14. Jahrhunderts den von Bernger geschaffenen Typ des Lügenliedes fort.[12]

Als besonders interessant erweist sich die genauere Betrachtung der vierten Strophe des Liedes. Sie weicht von den vorangehenden Strophen ab, da sie nur über sieben Verse verfügt. Viele Vermutungen und Spekulationen, ob und inwiefern diese nicht von Bern- ger stammen könnte, sind vorhanden. Dorothea Klein jedoch spricht sich klar gegen eine Unechtheit dieser Strophe aus. Sie verweist in ihren Erläuterungen auf das anapho- rische Mir (MF 113,1 bzw. 113,25) und den Schlussvers daz ist gar gelo­gen (MF 113,32), welche die vierte mit der ersten Strophe verbinden. Sie könne, so Klein, demnach als Geleitstrophe verstanden werden, welche in der deutschen Lyrik eher selten anzutreffen ist, dafür aber umso häufiger in der romanischen Lyrik auf- taucht.[13]

2.2 Thematik

Beginnend mit der Thematik des Liedes lässt sich sagen, dass das lyrische Ich sich in einer Art Euphorie befindet, welche es dahingehend verleitet, die Realität zu verlassen und sich einer Illusion hinzugeben. Bereits die ersten beiden Verszeilen des Liedes schildern diesen inneren Zustand, den das lyrische Ich verspürt. Es betrachtet sich als Eigentümer der Welt (ƒ7...־ die min alliu sí, MF 113,2), das Zeit und Raum überwinden kann (swar ich gedenke, vil wol sprunge ich dar, MF 113,3) und sich mit Siegfried, dem sagenumwobenen Drachentöter, vergleicht.[14] Doch der Hochmut ist nicht von langer Dauer, denn bereits in der letzten Verszeile der ersten Strophe erfolgt die bittere Er­kenntnis: daz ist gar gelogen ich bin swaere als ein blî (MF 113,8). Man erfährt somit schon relativ früh, dass es das lyrische Ich mit der Wahrheit nicht allzu ernst nimmt, aber durchaus zur Einsicht bereit ist.

In der zweiten Strophe werden die näheren Hintergründe erläutert, welche zu diesem Hochgefühl beitragen. Das Publikum erfährt, dass dem lyrischen Ich von minne SÔ liebe geschehen (MF 113,10) ist und es nun durch den Wald wandert, um seiner Freude Aus­druck zu verleihen. Abermals folgt in der letzten Verszeile die nüchterne Erkenntnis, dass alles erlogen sei. Mit den Worten wes lieuge ich gouch? ich enweiz, waz ich singe /mir wart nie wirs, will ich der wärheit jehen (MF 113,15 f.) offenbart es sich als Narr, der während des Singens nicht bei Verstand ist und nicht weiß, was er von sich gibt. Die dritte Strophe berichtet über die Dame, deren Liebe ihm gewiss zu sein scheint. Sie wird als vrowe (MF 113,19) bezeichnet, was darüber Auskunft gibt, dass es sich um ein Rollengedicht handelt. Demzufolge dürfte die Liebe zwischen zwei verschiedenen Stän­den thematisiert werden, wobei die Frau, gemäß der Bedeutung des mittelhochdeut­sehen Wortes vrowe, sozial höher gestellt sein dürfte. Ebenso erwähnt das lyrische Ich die merkaeren (MF 113,17), welche ihm mit Neid und Hass begegnen. Dies impliziert die Vermutung, dass diese Liebschaft durchaus öffentlich bekannt sein könnte oder Ge­fahr läuft, entdeckt zu werden. Die Liebe verhilft ihm aber dazu, sein herze­leit (MF 113,21) überwinden und verlazen (MF 113,22) zu können. Alle seine Wünsche und Träume haben sich erfüllt. Am Ende dieser Strophe setzt sich jedoch erneut die Ernüchterung durch. Mit den Worten unde liuge ich iu daz (MF 113,24) kehrt das lyri- sehe Ich in die Realität zurück und besinnt sich auf die Wahrheit.

Die abschließende vierte Strophe differenziert sich insofern inhaltlich von den voran­gegangenen Strophen, als dass sie zumal jene Themen wiederholt, welche in der dritten Strophe bereits genannt wurden. Abermals erwähnt das lyrische Ich die merkaere (MF 113,27), welche sich wundern, dass sie es nu niht mère hoerent klagen (MF 113,29). Als Grund wird erneut die Liebe zur edlen Frau angegeben, welche ihm das Klagen tuot [...] verjagen (MF 113,29). Den Abschluss dieser Strophe bildet eine Schlussfor­mel, welche bereits im ersten Vers ihre Anwendung fand und die Aussage als Lüge entlarvt: daz ist gar gelogen (MF 113,32).

2.3 Metrik

Hinsichtlich der metrischen Analyse des Liedes kann gesagt werden, dass es sich um drei achtzeilige Stollenstrophen aus daktylischen Vierhebern handelt, die optisch von­einander getrennt sind. Zum besseren Verständnis und um auf weitere Aspekte der Met­rik verweisen zu können, soll nachfolgend die erste skandierte Strophe des Liedes gra­phisch dargestellt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1

Wie in Abbildung 1 ersichtlich, gliedert sich das Reimschema nach dem Prinzip abab bccb, einem Kreuzreim folgt ein umschließender Reim. Auftakte können im Lied nur in der ersten und letzten Strophe angesetzt werden, die jeweils in der ersten, siebten und achten Verszeile erfolgen und einsilbig sind. Die anderen beiden Strophen weisen keine auf.

Um die Metrik und das Versmaß zu erfüllen, ist es darüber hinaus notwendig, dass einige Metaplasmen vorgenommen werden. Wendet man sich der ersten Strophe des Liedes zu, so ist ersichtlich, dass beispielweise bei ob al der weite (MF 113,2) das aus­lautende ,e‘ im Wort weite entfällt, folglich eine Elision vollzogen wird. Gleiches findet bei den Worten sprunge (MF 113,3), verre (MF 113,4), loufe (MF113,6) und SW aere (MF 113,8) statt. Auch die zweite und dritte Strophe verfügen über Elisionen. Gleich wie im zuvor genannten Beispiel dienen auch diese dazu, das regelmäßige Versschema aufrecht zu erhalten.

Hinsichtlich der Bestimmung der Kadenzen kann festgehalten werden, dass Bernger von Horheim einem regelmäßigen Schema folgt. So sind in allen vier Strophen die ers­ten fünf Verse als voll und männlich zu bestimmen, da diese einsilbig sind und der letzte Takt betont ist. Die sechsten und siebten Verszeilen der einzelnen Strophen hingegen sind weiblich und zweisilbig, währenddessen sich die letzte Verszeile wiederrum als männlich und einsilbig erweist.

Verwiesen sei an dieser Stelle noch auf die letzte Strophe. Sie weist lediglich sieben Verszeilen auf, wodurch sich hinsichtlich der metrischen Analyse einige Unterschiede

[...]


[1] Wehrli, Max: Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung. Stuttgart: Ree­lam 1984. (= Universal-Bibliothek. 8038.). s. 26.

[2] Vgl. Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moritz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren. Bd. I: Texte. 38., neugest. underw. Aufl. Mit einem Faksimile. Stuttgart: Hirzel 1988. Im Folgenden textintem zitiert als: MF 113 lf.

[3] Vgl. Scheck, Manfred: Herr Bemger von Horheim. Ein Minnesänger im Dienste der Grafen von Vai­hingen. Mit 3 Farbabbildungen und 6 Notenbeispielen. In: Schriftenreihe der Stadt Vaihingen an der Enz. Vaihingen/Enz: Selbstverlag der Stadt Vaihingen an der Enz 1979. (= Beiträge zur Geschichte, Kultur- und Landschaftskunde. 2.) s. 79-83. Im Folgenden zitiert als: Scheck, Bemger.

[4] Vgl. Schweikle, Günther: Minnesang. 2״ korr. Aufl. Stuttgart: Metzler 1995. (= Sammlung Metzler. 244.). s. 150. Im Folgenden zitiert als: Schweikle, Minnesang.

[5] Vgl. Schweikle, Günther: Bemger von Horheim. In: Die deutsche Literatm des Mittelalters. Verfasser­lexikon. Hrsg, von Kurt Ruh [u.a.]. Bd. 1. Berlin, New York: de Gmyter 1978, Sp. 749. Im Folgenden zitiert als: Schweikle, Bemger.

[6] Vgl. Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moritz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren. Bd. I: Texte. 38., neugest. und erw. Aufl. Mit einem Faksimile. Stuttgart: Hirzel 1988, s. 225f.

[7] Vgl. Lembke, Valeska: Bemger von Horheim. In: Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter. Hrsg, von Wolfgang Achnitz. Bd. 4: Lyrik und Dramatik. Berlin, Bosten: de Gmyter 2012. URL: https://doi.org/10.1515/dllo.ma.1774 [05.05.2018]. Im Folgenden zitiert als: Lembke, Bemger.

[8] Vgl. Schnell, Rüdiger: Minnesang II: Der deutsche Minnesang von Friedrich von Hausen bis Heinrich von Momngen (ca. 1170-1190/1200). In: Lyrische Werke. Hrsg, von Volker Mertens; Anton Touber. Berlin, Bosten: de Gmyter 2012. (= Germania Litteraria Mediaevalis Francigena. 3.) s. 85-102. Im Folgenden zitiert als: Schnell, Minnesang.

[9] Vgl. Schweikle, Bemger, Sp. 751.

[10] Vgl. Schweikle, Minnesang, s. 120.

[11] Vgl. Scheck, Bemger, s. 98-122.

[12] Vgl. ebda, s. 124.

[13] Vgl. Minnesang. Mhd. Liebeslieder. Eine Auswald. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hrsg., über­setztu. kommentiert von Dorothea Klein. Stuttgart: Reclam 2010. (= Universal-Bibliothek. 18781.), s. 358. Im Folgenden zitiert als: Klein, Minnesang.

[14] Vgl. Scheck, Bemger, s. 96.

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Details

Title
Eine Analyse des Liedes "Mir ist alle zît, als ich vliegende var" von Bernger von Horheim
College
University of Graz  (Germanistik)
Grade
1
Author
Year
2018
Pages
17
Catalog Number
V434397
ISBN (eBook)
9783668768932
ISBN (Book)
9783668768949
File size
728 KB
Language
German
Keywords
Mediävistik, Bernger von Horheim, Lügenlied, Mir ist alle zît, als ich vliegende var, 12. Jahrhundert, Minnelied
Quote paper
Mag. Stefan Loidl (Author), 2018, Eine Analyse des Liedes "Mir ist alle zît, als ich vliegende var" von Bernger von Horheim, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/434397

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