Die Arbeit mit Zufallsexperimenten in der dritten Jahrgangsstufe. Kindern einen Zugang zur Stochastik ermöglichen


Examination Thesis, 2015

58 Pages, Grade: 1.0


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Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Theoretische Grundlagen

1 Stochastik als Teil mathematischer Bildung
1.1 Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung
1.2 Zwei bevorzugte Zugangswege zur Wahrscheinlichkeit
1.3 Der Modellbildungsprozess bei Zufallsexperimenten für die Grundschule

2 Didaktischer Rahmen eines auf die Heranführung an den Umgang
mit Wahrscheinlichkeiten ausgelegten Mathematikunterrichts

3 Begründung der Behandlung von Wahrscheinlichkeiten in Zufallsexperimenten innerhalb der Primarstufe
3.1 Entwicklungspsychologische Begründung
3.2 Lernpsychologische Begründung
3.3 Begründung anhand der Bildungsstandards und des Lehrplans
für bayerische Grundschulen

III Praktische Umsetzung

4 Grundlagen, Voraussetzungen und Zielsetzung
4.1 Lernausgangslage der involvierten dritten Klasse
4.2 Entwicklung von Grundvorstellungen zur Wahrscheinlichkeit
durch Herausbildung mathematischer Kompetenzen

5 Darstellung der Unterrichtssequenz
5.1 Die Phase der ersten Begegnung mit dem Thema durch
Einschätzen des Auftretens verschiedener Ereignisse mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsstreifen
5.2 Die Phase der ersten Begegnung mit dem Zufallsgenerator „Würfel“
5.3 Die Phase der Begegnung mit dem Phänomen Zufall und des Durchführens von Versuchen mit verschiedenen Zufallsgeneratoren
5.3.1 Warum ist die Sieben die Superzahl?
5.3.2 Wir ziehen Ziffernkarten ohne Zurücklegen
5.3.3 Wir ziehen Gummibärchen mit Zurücklegen
5.3.4 Wir werden Losbudenbesitzer
5.3.5 Wir drehen Glücksräder
5.3.6 Wir erstellen eigene Glücksräder

IV Abschließende Reflexion

V Literaturverzeichnis

VI Abbildungsverzeichnis I

VII Anlagen XI

VIII Eidesstattliche Erklärung

I Einleitung

Einer der großen Vorteile der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist der, dass man lernt,

dem ersten Anschein zu misstrauen.

Pierre Simon de Laplace (1749 – 1827)

Der Begriff der „Wahrscheinlichkeit“ repräsentiert ein Denkmuster mit dem sich zufällige Ereignisse beschreiben lassen. Eine augenscheinlich paradoxe dennoch faszinierende Aussage - regellose Ereignisse können mit mathema-tischen Gesetzen charakterisiert werden (vgl. Arens et al. 2012, S. 1270)

Die Stochastik beinhaltet die Gebiete Statistik, Kombinatorik und Wahrschein-lichkeit. Den Fokus setzt die vorliegende Arbeit auf letzteres. Im Alltag begegnen wir jederzeit Wahrscheinlichkeiten. Auf der Autobahn A-9 fährt man wahrscheinlich, aber nicht sicher, unfallfrei - belegbar mit Unfallstatistiken. Ein Polizist hält sie ausgerechnet bei dem einen Mal an, als sie vergessen haben, den Sicherheitsgurt anzulegen. Wie wahrscheinlich ist das? Versicherungs-beiträge werden auf Grundlage von Eintrittswahrscheinlichkeiten berechnet. Nicht zuletzt beruhen Wettervorhersagen ebenso auf Wahrscheinlichkeiten. Jegliche Prognosen müssen interpretiert und beurteilt werden, was gelernt sein will, um als mündiger Bürger an unserer heutigen Informationsgesellschaft reflektiert zu partizipieren (vgl. Baack 2013, S. 4)

Mit Einführung der Bildungsstandards vor zehn Jahren hat die Untersuchung des Zufalls Einzug in die Primarstufe gehalten. Mittels Lernstandserhebungen (z.B. VERA) wird jedes Jahr der Kompetenzstand von Drittklässlern mit dem Ziel der Unterrichts- bzw. Schulentwicklung überprüft. Neben Aufgaben zu den Bereichen Zahlen und Operationen, Raum und Form etc. werden auch Fragen zum Bereich Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit gestellt. Im derzeit gültigen Lehrplan nur minimal gewürdigt, ist der Bereich im neuen Lehrplan fest verankert

Ziel der vorliegenden Arbeit ist zunächst eine vertiefte Auseinandersetzung mit Wahrscheinlichkeiten in der Grundschulmathematik bezüglich inhaltlich-fach-wissenschaftlichen und fachdidaktischen Aspekten. Diese Erörterung mündet in eine adäquate unterrichtliche Umsetzung mittels der Durchführung verschie-dener Zufallsexperimente. Anschließend folgt eine Reflexion der Praxis. Es soll gezeigt werden, welche Vorstellungen zur Stochastik Kinder einer dritten Jahrgangsstufe mitbringen und wie diese anhand experimenteller Versuche reflektiert verifiziert bzw. falsifiziert werden können.

II Theoretische Grundlagen

1 Stochastik als Teil mathematischer Bildung

1.1 Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung

In der Grundschule werden im Bereich der Wahrscheinlichkeit Zufalls-experimente durchgeführt. Nach Definition (vgl. Neubert 2012, S. 27) können solche Experimente beliebig oft unter den gleichen Bedingungen wiederholt werden, mögliche Ausgänge stehen eindeutig fest, und es ist nicht vorhersagbar, welcher Ausgang des Experiments eintritt. Der Terminus Zufalls-experiment hat sich eingebürgert - Experimente mit Zufallscharakter sind rein theoretisch allerdings nicht möglich. Nach Sill (vgl. 1993, S.88) steckt der Zufall nicht im Ergebnis sondern im Vorgang. So wäre es sachlogischer, von einem zufälligen Vorgang, einem Vorgang mit Zufallscharakter oder auch einem Vorgang mit zufälligem Ergebnis zu sprechen. Trotz der Diskrepanzen werden in der vorliegenden Arbeit die Begriffe synonym verwendet, da der Ausdruck Zufallsexperiment in der Schulbuch- und Fachliteratur vorherrschend ist.

Für die Durchführung eines Zufallsexperimentes werden Zufallsgeneratoren (z.B. Würfel, Münze, Glücksrad) benötigt. Experimente mit Zufallsgeneratoren können ein- oder mehrstufig sein bzw. eine symmetrische oder eine asymme-trische Wahrscheinlichkeitsverteilung aufweisen (vgl. Neubert 2012, S. 27). Symmetrisch bedeutet, jedem Versuchsausgang kann die gleiche Wahrschein-lichkeit zugeordnet werden (z.B. Münze). Bei asymmetrischen Zufalls-generatoren ergibt sich eine Ungleichverteilung der den möglichen Versuchs-ausgängen zugeordneten Wahrscheinlichkeiten (z.B. Glücksrad mit verschie-den großen Feldern).

„Die Menge aller […] möglichen Ergebnisse wird als Ergebnisraum […] bezeichnet“ (Neubert 2012, S.27). Jede Teilmenge des Ergebnisraums Ω ist ein Ereignis. Ein Ereignis kann sich aus genau einem Ergebnis (Elementarereignis) oder aus mehreren Ergebnissen zusammensetzen. Ist die Ereignismenge leer, bezeichnet man dies als unmögliches Ereignis. Enthält die Ereignismenge allerdings alle möglichen Ergebnisse, spricht man von einem sicheren Ereignis. Als Gegenereignisse werden alle Ergebnisse des Ereignisraums definiert, die nicht zum Ereignis gehören (z.B. Es gewinnen alle ungeraden Zahlen beim Würfeln. Die Vier gehört zur Menge der Gegenereignisse).

Werden entsprechende Zufallsexperimente n-mal wiederholt und unter gleichen Bedingungen durchgeführt, so kann man Aussagen über das Eintreten eines Ereignisses treffen. Die relative Häufigkeit hn(E) eines Ereignisses ergibt sich als Quotient aus der absoluten Häufigkeit Hn(E) und der Anzahl n der durch-geführten Versuche.

Die relative Häufigkeit pendelt sich nach einer hohen Versuchsanzahl um einen festen Wert ein. Dieser feste Wert ist die errechnete Wahrscheinlichkeit. Die Erkenntnis, dass sich bei einer hinreichenden Anzahl von Versuchen der Wert der relativen Häufigkeit dem Wert der tatsächlich berechneten Wahrschein-lichkeit weitgehend annähert, wird als „Gesetz der großen Zahlen“ bezeichnet (vgl. Neubert 2012, S.30).

1.2 Zwei bevorzugte Zugangswege zur Wahrscheinlichkeit

Da der Begriff der Wahrscheinlichkeit in der Mathematik auf unterschiedliche Weise beschrieben werden kann, ergeben sich unterschiedliche Zugänge - auch für die Grundschule. Neubert (vgl. 2011, S. 56) führt zwei Wege an: Der klassisch-kombinatorische Weg und der empirisch-statistische Weg. Die erste Möglichkeit beinhaltet im Rahmen endlicher Wahrscheinlichkeitsräume gleichwahrscheinliche, disjunkte Ereignisse, wobei genau Eines eintreten muss (vgl. Arens et al. 2012, S. 1289). Dem klassischen Zugang liegt der klassische Wahrscheinlichkeitsbegriff zugrunde, der rein theoretische Überlegungen beinhaltet. „Im Laplace-Experiment über einem vollständigen Ereignisfeld aus n Ereignissen ist die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses B:

(Arens et al. 2012, S. 1276).

Ein beispielhafter Zufallsgenerator für den klassisch-kombinatorischen Zugang ist der Würfel. Die Kombinatorik hat hier eine Hilfsfunktion für die Wahrschein-lichkeitsrechnung. Das kombinatorische Zählen klärt zwei Fragen: Welche und wie viele Möglichkeiten gibt es? Hat man die erste Frage beantwortet, ist die zweite Frage fast redundant.

Der zweite Weg des Zugangs zur Wahrscheinlichkeit eröffnet der empirisch-statistische Weg, auch als frequentistischer Zugang bezeichnet. Hier „wird über das Ermitteln und Vergleichen von Häufigkeiten eine Abschätzung für die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses gefunden. Es geht also um Beobachtungen von Zufallsexperimenten“ (Neubert 2011, S. 56). Beispielhafte Zufallsgeneratoren für den empirisch-statistischen Zugang sind das Würfeln mit zwei Würfeln (Augensumme), das Drehen von Glücksrädern oder das Ziehen mit/ohne Zurücklegen. Ein Zufallsgenerator kann aber auch für beide Zugänge geeignet sein: So ist die Aufforderung, 50 mal an einem Glücksrad zu drehen und eigene Beobachtungen zu erklären dem ersten Zugang zuzuschreiben, das bloße Betrachten von Glücksrädern ohne Experimentieren dem zweiten Zugangsweg. Beide Zugänge haben ihre Berechtigung (vgl. Neubert 2011, S.56f.). Alle genannten Zufallsgeneratoren werden im Laufe der vorliegenden Arbeit näher erläutert und in der unterrichtlichen Umsetzung in ihrer Eignung für einen möglichen Zugang zur Wahrscheinlichkeit überprüft. Um stochastische Probleme für Kinder der Primarstufe fassbar zu machen, müssen sie einen Transfer in ein Modell durchlaufen.

1.3 Der Modellbildungsprozess bei Zufallsexperimenten für die Grundschule

Im Stochastikunterricht geht es nicht um die begriffliche Klärung, was Zufall ist, sondern um die mathematische Beschreibung von zufallshaltigen Situationen. Stochastischen Phänomenen der Realität, bei denen der Zufall eine Rolle spielt, müssen mathematische Fragestellungen zu Grunde gelegt werden. Die Lösung einer solchen Frage erfolgt zunächst im Modell (s. Abbildung 1) und wird anschließend auf die Realität übertragen und interpretiert (vgl. Kütting & Sauer 2011, S.75).

Resultierend aus diesem theoretischen Hintergrund hat der Autor dieser Arbeit bei der Unterrichtseinheit „Würfeln mit zwei Würfeln“ die Schüler zunächst würfeln lassen, um das reale stochastische Problem zu erkennen: Welche Gewinnzahl wähle ich? Das Modell für dieses stochastische Problem ist die Ungleichverteilung der Auftrittshäufigkeit von Augensummen. In Abbildung 2 kann der Ergebnisraum Ω abgelesen werden. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Ergebnis eintreten kann, variiert je nach Anzahl der Kombinations-möglichkeiten: Die Summe Sieben tritt als häufigste und die Zwei bzw. die Zwölf als seltenste Augensummen auf. Im stochastischen Modell kann nun die Wahrscheinlichkeit P(B) für jedes Ereignis B errechnet werden. Die Augen-summe Sieben beispielsweise tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 6/36, die Zwei bzw. die Zwölf mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/36 auf - die Lösung des stochastischen Problems. Bezugnehmend auf die reale Situation ist die Sieben die Augensumme mit der größten Gewinnchance und die Zwei bzw. die Zwölf die, mit der geringsten Chance. Bei dem Drehen von Glücksrädern, dem Ziehen von Gummibärchen und allen anderen Zufallsversuchen ist das Prinzip der Mathematisierung ähnlich (s. Abbildung 2). Im Folgenden wird die didaktische Umsetzung diskutiert.

2 Didaktischer Rahmen eines auf die Heranführung an den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten ausgelegten Mathematikunterrichts

Die Prinzipien einer stochastischen Bildung in der Primarstufe sind in der Literatur keineswegs eindeutig. Bei der Entwicklung des Stochastikunterrichts in der Grundschule sind zahlreiche Parallelen zur Entwicklung des Geometrieunterrichts in den 60er Jahren zu erkennen - die späte Integration propädeutischer Elemente, ein langes Ringen um Konzepte und die häufige Vernachlässigung dieser Bildungsbestandteile in der Schule sowie in der Lehrerbildung (vgl. Sill & Kurtzmann 2012, S.1007). Didaktiker forderten seit 1960 Elemente der Stochastik im Grundschullehrplan.

„Ähnlich der Entwicklung des Zahlbegriffs wird das Verständnis für stochastische Phänomene, verbunden mit einem Konzept für Wahrscheinlichkeit, in einem langfristigen, phasenweise verlaufenden Prozess ausgebildet. Die Entwicklung stochastischen Denkens fällt weitgehend in die Zeitspanne, in welcher der Schüler die Primarstufe und Sekundarstufe I besucht“ (Schupp & Jäger 1983, S.15).

Mit den Bildungsstandards zog die Stochastik in die Grundschule ein, vermutlich als Zwischenstation vor der Entwicklung elaborierter Konzepte (vgl. Sill & Kurtzmann 2012, S.1007). Trotzdem zeigen nicht alle Lehrkräfte Engagement in der Unterrichtung von stochastischen Inhalten, obwohl stochastisches Denken über Wahrscheinlichkeiten so früh wie möglich beginnen sollte. An dieses Vorwissen, das die Kinder mitbringen, muss angeknüpft werden - ganz nach dem Prinzip der Adressatenorientierung. Kinder bringen intuitives Wissen über Wahrscheinlichkeiten mit, nicht zuletzt durch die große Medienpräsenz. Auf die Frage, was für sie Zufall sei, antworteten Kinder, Zufall sei etwas Seltenes, etwas Unregelmäßiges, nicht Vorhersagbares, etwas Verrücktes oder durch Glücksbringer Wegzuzauberndes (s. Abbildung 22). Diese subjektiven Vorerfahrungen zum Zufall aufzugreifen, zu entfalten, zu schärfen und kritisch zu betrachten ist Aufgabe der Lehrkraft.

„Stochastikunterricht ist zumeist Problemlöseunterricht“ (Ulm 2009, S.11). Die problemorientierte Sequenzierung der Lerninhalte ist für den Behaltenseffekt günstiger als die Präsentation vorgefertigter Lösungen zu stochastischen Phänomenen. „Unsere Antwort auf die Frage, was das Lernen des Schülers in Bewegung setzt, wird lauten: lebendig empfundene Probleme“ (Aebli 1998, S.277). Exemplarisch bearbeiten Schüler Situationen, die Mathematik enthalten und überlegen sich passende Strategien zur Lösung - die im gesamten Mathematikunterricht vermittelten Kenntnisse und Denkfähigkeiten können hier zum Einsatz kommen (Ulm 2009, S.11). So steht bei der Unterrichtseinheit „Wir drehen Glücksräder“ die mathematische Problemfrage im Fokus, welche Gewinnregel die größten Gewinnchancen einbringt. Unter Erweiterung der Überlegung, auf welche Weise eine Regel oder das Glücksrad an sich verändert werden muss, erhöhen und verringern sich entsprechend die Gewinnchancen. So kann eine kompetente Problemlösung mit Transfer auf neue mathematische Situationen erzielt werden.

Im Sinne der Differenzierung finden leistungsschwächere Schüler in der Beschäftigung mit Wahrscheinlichkeiten einfache Einstiege, Leistungsstärkere stehen vor substanziellen Herausforderungen (vgl. Ulm 2009, S.11).

Bereits 1976 stellte Winter (vgl. S. 22-37) folgende Forderungen an den Sto-chastikunterricht in der Primarstufe: Beobachtungen stochastischer Art müssen unmittelbar einen Beitrag zur Umwelterschließung liefern. Schüler müssen durch eigenes praktisches Tun stochastische Erfahrungen sammeln, ordnen und reflektieren. Der Lernbereich Stochastik sollte in der Grundschule kein eigenes Stoffgebiet sein, sondern den gesamten Mathematikunterricht durch-ziehen.

3 Begründung der Behandlung von Wahrscheinlichkeiten in Zufallsexperimenten innerhalb der Primarstufe

3.1 Entwicklungspsychologische Begründung

Wie schon anhand des didaktischen Prinzips der Adressatenorientierung ge-zeigt, bringen Kinder Vorerfahrungen zum Zufall mit. Grundschüler sind durch-aus in der Lage, stochastische Phänomene zu verstehen, wenn der Unterricht Inhalte in didaktisch reduzierter Weise vermittelt. So ist der entwick-lungspsychologische Zeitpunkt in der Primarstufe günstig, das vorhandene Potential zu nutzen und Kinder frühzeitig an Stochastik heranzuführen.

Die Entwicklung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs braucht Zeit. Dessen voll-ständiges Verstehen kann nur über eine „kontinuierliche Beschäftigung im Sinne des Spiralprinzips“ (Steinborn 2005, S.17) geschehen. Das Bewusst-werden des Zufalls und der kritische Umgang mit zufälligen mathematischen Ereignissen benötigt eine strukturierte und reflektierte Hinführung und führt kontinuierlich ergänzt zu kumulativem Lernen und Einsicht bis in die weiter-führenden Schulen hinein.

Stochastik trägt zur Umwelterschließung und somit zur Allgemeinbildung bei (vgl. Ulm 2009, S. 11; Steinborn, Dorit 2005, S.17). Kinder erleben Mathematik als etwas Nützliches für die eigene Lebenswirklichkeit. Der Alltag der Kinder ist geprägt durch vom Zufall bestimmte Phänomene. Beim Glücksraddrehen auf dem Jahrmarkt ist es wünschenswert, wenn Kinder ihre Gewinnchancen realis-tisch einschätzen können und dementsprechend viel oder wenig Geld für das Glücksspiel ausgeben. Diese Kompetenz wurde in der praktischen Umsetzung der vorliegenden Arbeit trainiert. Werden Kinder mit dem Aspekt der Gewinn-chance in einem kontrollierten Rahmen konfrontiert, können kompetente Entscheidungen getroffen werden. Der Mathematikdidaktiker Winter drückt dies treffend aus: „Wenn eine der Grundaufgaben allgemein bildender Schulen darin besteht, auf das Leben vorzubereiten und zur Erfassung der Wirklichkeit zu befähigen, dann kann man an dem Aspekt des ‚Zufalls im Leben’ nicht vorbei-gehen“ (Winter zit. nach Ulm 2009, S. 11).

Der Umgang mit Daten, Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten tritt im alltäglichen Leben unumgänglich auf, nicht nur im Zusammenhang mit mathematischen Sachverhalten. Die Bedeutung für Gegenwart und Zukunft soll hier kurz angeführt werden, obwohl sie schon in der Einleitung Erwähnung fand. So begegnen Kinder im jungen Alter Spielen wie ‚Mensch-ärgere-dich-nicht‘ und ‚Kniffel‘. Ebenso machen Glücksräder oder Losbuden auf Jahrmärkten, im späteren Leben Casinos verlockende Angebote. Bewusste Wahrnehmung von Glücksspielen und der kritische Umgang mit den selbigen ist für die Gegenwart und die Zukunft der Schüler bedeutsam (vgl. Selter 2011a).

Stochastikunterricht fördert das vernetzte Denken im Sinne des Konstrukti-vismus. Reinmann-Rothmeier & Mandl (vgl. 2006, S. 637) sehen das Lernen als aktiven, selbstgesteuerten, konstruktiven, situativen und sozialen Prozess an. Vernetztes Denken heißt dabei, das Handwerkszeug der Mathematik situationsgemäß einzusetzen und in verschiedene Handlungskonzepte zu integrieren.

3.2 Lernpsychologische Begründung

Schon 1984 argumentierten Müller und Wittmann, dass „ein früher Stochastik-unterricht […] lernpsychologisch deshalb notwendig [ist], weil sich ohne systematische Anleitung leicht Fehlauffassungen über Zufallsphänomene fixieren, die einen späteren Unterricht entscheidend erschweren können“ (Müller & Wittmann 1984, S.237). Über die frühe Hinführung zur Wahrschein-lichkeit können fixierte Fehlvorstellungen verhindert werden. So glauben Kinder oft, dass geringe Wahrscheinlichkeit mit Unmöglichkeit sowie hohe Wahrschein-lichkeit mit Sicherheit einhergeht. Auch die Auffassung, dass glückssteigernde Handlungen (z.B. Spucken auf den Würfel) den Versuchsausgang beeinflussen, können sich hartnäckig halten (vgl. Eichler 2010, S.8).

Verschiedene Probleme der Stochastik beruhen auf gleichen formalen Strukturen. Die typische Arbeitsweise des Mathematikunterrichts, nämlich „ Das Herausarbeiten von Mustern“ (vgl. Hasemann et al. 2011, S. 19), wird gefördert. „Verschiedenartigste Probleme besitzen die gleiche formale Struktur“ (Ulm 2009, S.11) und haben somit gleichen stochastischen Modellcharakter. Solche Erkenntnisse und Denkfähigkeiten bereichern über die Stochastik hinaus den gesamten Mathematikunterricht.

Bezugnehmend auf das Erkennen allgemeingültiger Muster trainieren Kinder durch die Auseinandersetzung mit stochastischen Problemen logisches Denken sowie verschiedenste Problemlösestrategien. Exemplarisches Lernen kann stattfinden.

In stochastischen Aufgabenstellungen ist ein „intermodaler Transfer“ (Kuntze 2013, S. 27) möglich. Nach dem EIS-Prinzip von Bruner ist es wichtig, einen Wechsel zwischen enaktiven, ikonischen und symbolischen Darstellungs-ebenen anzustreben. Durch die Anschaulichkeit einfacher Wahrscheinlichkeits-phänomene ist dieser Transfer gut zu bewältigen. Das Verständnis bei Kindern steigt, wenn möglichst viele Übergänge zwischen den einzelnen Darstellungs-weisen stattfinden.

Durch den spielerisch-experimentellen Charakter, den Zufallsversuche mit sich bringen, können vor allem jüngere Schulklassen einfache, die Wahrscheinlich-keit betreffende, Aussagen erschließen (Steinborn 2005, S.17). Durch haptisch-enaktive Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand, steigt das Interesse an dem selbigen - die damit verbundene Leistungssteigerung ist eine positive Folge (vgl. Krapp & Weidemann 2006, S.215ff.).

Spielen hat in diesem Zusammenhang einen enorm nachhaltigen Lerneffekt. Hauser (vgl. 2011, S.12) verdeutlicht die Wirkung des Spiels an einem Negativ-beispiel eindrucksvoll. Bei Kindern und Jugendlichen erhöht erwiesenermaßen der Konsum von Computerspielen mit aggressivem Inhalt die Gewaltbereit-schaft, fördert Emotionen wie Hass oder Neid. Fast gänzlich ohne reale Handlungen können Kampffähigkeiten erworben werden. An dieser Stelle sollen keine klischeehaften oder wissenschaftlich zweifelhaften Aussagen getroffen werden. Als Beispiel dient das Phänomen Amoklauf: ein erschütterndes, aus lernpsychologischer Sicht aber faszinierendes, Phänomen. Nur selten haben Amokläufer Kontakt zu echten Waffen - dennoch gleichen sie Soldaten oder Polizisten in ihrer Treffsicherheit durch das Training mittels Ego-Shooter-Spielen. Abgesehen von solchen negativen Effekten darf das Potential hinter spielerischen Lernsituationen nicht unterschätzt werden. „Wird es richtig gemacht, dann kann offenbar die von der Evolution bereitgestellte Lernmotivation 'Spiel' sehr lange ertragsreich genutzt werden“ (Hauser 2011, S.12). Damit „Spielen“ die intrinsische Motivation fördert, sollte dem Spieler ein gewisser Grad an Autonomie zuteilwerden. Gerade leistungsmäßig schwächere Schüler spüren selten Selbststeuerung, so dass sie öfters von der Lehrkraft geführt werden müssen. Ist mit der Spielsituation noch eine kognitive Herausforderung gegeben, kann Lernen stattfinden.

Kuntze (vgl. 2014, S.133-143) bezeichnet das Vereinbaren von Spielregeln sogar als „Big Idea“ im Stochastikunterricht. Spielen als kulturübergreifende menschliche Aktivität erfordert oftmals den Umgang mit zufälligen Vorgängen sowie die Interaktion mit anderen Mitspielern. Spielregeln geben Rahmen-bedingungen vor und sind auch nicht zuletzt für die stochastische Modellierung entscheidend. „Spielen löst in der Regel auch kognitive Aktivität aus“ (Kuntze 2014, S.133). Strategien können erarbeitet und erprobt werden − beides sind Lernprozesse (vgl. Kuntze 2014, S.133). Die Frage der „Fairness“ kann über die Beurteilung von Spielregeln beantwortet werden. Bei der Einheit „Wir ziehen Ziffern“ wird die Fairness der Spielregel: „Du gewinnst bei geraden Ergebniszahlen“ als unfair klassifiziert. Grundschüler gelangen über das Spielen und Ausprobieren zu der Erkenntnis.

Da aus entwicklungs- und lernpsychologischer Sicht die Behandlung stochas-tischer Inhalte in der Grundschule sinnvoll ist, ist sie in den Bildungsstandards und mehr oder weniger im Lehrplan verankert.

3.3 Begründung anhand der Bildungsstandards und des Lehrplans für bayerische Grundschulen

Die Kultusministerkonferenz von 2004 schreibt zum inhaltsbezogenen mathematischen Kompetenzbereich Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit (vgl. Sekretariat der KMK 2005, S. 13) folgendes :

Zur Kategorie Daten erfassen und darstellen heißt es: in Beobachtungen und Experimenten Daten sammeln, strukturieren und in Tabellen, Schaubildern und Diagrammen darstellen. Zur Kategorie Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen in Zufallsexperimenten vergleichen heißt es: Grundbegriffe kennen (z. B. sicher, unmöglich, wahrscheinlich) und Gewinnchancen bei Zufallsexperimenten (z. B. bei Würfelspielen) einschätzen können.

Die KMK von 2004 (vgl. Sekretariat der KMK 2005, S. 7,8) betont allgemeine Kompetenzen für eine erfolgreiche Nutzung und Aneignung von Mathematik in der Grundschule. Von zentraler Bedeutung sind folgende fünf allgemeine mathematische Kompetenzen: Problemlösen, Argumentieren, Darstellen von Mathematik, Kommunizieren und Modellieren. All diese Standards orientieren sich an der inhaltsbezogenen mathematischen Kompetenz, die sich aus den mathematischen Leitideen für den Mathematikunterricht als fundamentales Grundgerüst ergeben.

Im Fachprofil Mathematik (vgl. ISB 2008) findet man grundlegende Fähigkeiten, wie sie auch in den Bildungsstandards beschrieben werden, wieder. Schüler sollen dazu befähigt werden, Aussagen und Lösungswege plausibel und logisch zu begründen sowie Vermutungen und Behauptungen zu überprüfen. Außerdem sind Fähigkeiten wie Vergleichen, Unterscheiden, Klassifizieren, Ordnen, Strukturieren, Transformieren, Verknüpfen, Zerlegen, Ziehen von Schlüssen, Entdecken von Gesetzmäßigkeiten, Bilden von Regeln sowie Übertragen von Erkenntnissen auf andere Zusammenhänge, die Basis für ein solides mathematisches Handlungswissen und -können.

III Praktische Umsetzung

4 Grundlagen, Voraussetzungen und Zielsetzung

4.1 Lernausgangslage der involvierten dritten Klasse

Vorliegende Unterrichtssequenz wurde in einer dritten Klasse der Dr.-Franz-Bogner-Grundschule in Selb mit 20 Schülern durchgeführt. In der Lerngruppe mit 4 Jungen und 16 Mädchen herrschte ein gutes Sozialklima. Lernen machte den Kindern Freude. Eigenständiges Arbeiten funktionierte relativ gut.

Interesse an der Mathematik war bei den meisten Kindern vorhanden. Manche Kinder zeigten vor allem im Bereich des Problemlösens Defizite, was in vorherigen Mathematikstunden von der Lehrkraft diagnostiziert wurde. Eine Schülerin hatte große Probleme beim Zahlen- und Mengenverständnis.

In einer vorangestellten kleinen Unterrichtssequenz lernten die Drittklässler Einiges zum Bereich „Daten“ kennen, eingebettet in die Arbeit mit Fermi-Aufgaben. Beispielsweise angeregt durch die Frage „ Wie viele Mädchen lernen in unserer Schule?“ sollten die Kinder entsprechende Daten sammeln, Lehrer befragen, die Daten in Tabellen mittels Strichlisten notieren und auswerten. Die Datenmenge wurde auf weiterführende Fragestellungen „ Lernen an unserer Schule so viele Mädchen, dass, wenn sich alle nebeneinander legen, die Strecke bis zur Turnhalle reichen würde?“ übertragen.

Ein zur Analyse des Vorwissens durchgeführter Pretest zeigte zunächst, dass die Arbeit mit Daten (Anlage 2 Aufgabe 9) nur noch wenigen Schülern Probleme bereitete. Fast 80% der Kinder erzielten volle Punktzahl. Die Kompetenz zur Datenerfassung und -darstellung wurde trotzdem während der vorliegenden Unterrichtssequenz beharrlich wiederholt und strukturiert.

Im Pretest (s. Abbildung 22) zeigte sich das noch wenig ausgeprägte mathematische Verständnis von Zufall. Fehlvorstellungen halten sich hartnäckig. Mit der Frage „ Was bedeutet für dich Zufall?“ kamen ganz unterschiedliche Beschreibungen. Diese lassen sich in folgende Kategorien klassifizieren: Zufall als Glück, Pech, Ungerechtigkeit, Seltenheit und Unregel-mäßigkeit.

Aufgabe Nummer eins des Pretests (s. Abbildung 4) konnte von fast 80% der Kinder richtig gelöst werden. Die Selbstproduktion solcher Aussagen fiel allerdings wesentlich schwerer. Äußerungen zu den Begriffen „wahrscheinlich, möglich, sicher, unmöglich, unwahrscheinlich“ offenbarten die Vorerfahrungen der Kinder (s. Abbildung 5 und 6). Nur vier Kinder konnten mit den Begriffen schon sachgerecht umgehen. Ein Grund liegt in der falschen Verwendung der Begrifflichkeiten im Alltag. Kinder nehmen die Formulierungen im falschen Kontext auf und übertragen sie ohne Reflexion auf die Mathematik. Ziel der dargestellten Unterrichtseinheiten ist es, genau dem entgegenzuwirken. Erstaunlich war, das gerade leistungsschwächere Schüler kreative Vorschläge für die jeweiligen Termini beschrieben.

Beim Umgang mit konkreten Wahrscheinlichkeiten hatten viele Kinder Schwierigkeiten (s. Abbildung 12 und 13 sowie 15 bis 18). Um nur einige Beispiele zu nennen: Das Spiel mit den Würfeln sei ungerecht, weil Leo bei größeren Zahlen gewinnt oder weil die drei Zahlen bei Leo addiert die größere Summe ergibt. Ein Schüler schrieb auch, dass das Spiel erst gerecht werden würde, wenn Timo die Zahlen eins, drei und sechs bekommt.

Auf die Frage, ob beim Losen oder im Lottospiel Mathematik eine Rolle spielt (s. Abbildung 20 und 21), antworteten nur acht Kinder bei beiden Glücksspielen mit ja, wobei die Begründungen variierten. Viele Kinder gaben als Erklärung das bloße Vorhandensein von Zahlen oder den Zusammenhang zum Geld an. Schüler, die die Aussage verneinten, nannten die Existenz von Glück als Ursache. Ein Mädchen schrieb bei der Lotto-Frage, dass man ja nur ankreuzen müsse und nichts zu addieren habe. Mathematik wird im Pretest meist auf die Präsenz von Zahlen und das Rechnen mit selbigen bezogen.

Die Ergebnisse des Eingangstests bestätigten die Relevanz für die Durch-führung der Unterrichtssequenz in der betreffenden Klasse. Infolgedessen können Zielsetzungen konkretisiert werden.

4.2 Entwicklung von Grundvorstellungen zur Wahrscheinlichkeit durch Herausbildung mathematischer Kompetenzen

Die dargestellte Unterrichtssequenz stand unter der übergeordneten Zielsetzung, bei Schülern einer dritten Jahrgangsstufe in Auseinandersetzung mit Zufallsexperimenten eine Grundvorstellung zur Wahrscheinlichkeit anzu-bahnen bzw. zu festigen. Dieses Bestreben soll nun präzisiert und unter Bezugnahme auf den theoretischen Hintergrund legitimiert werden.

In den Bildungsstandards (Hasemann et al. 2011, S. 155f.) sind bestimmte Meilensteine beim Erwerb von Einsicht in den Begriff Wahrscheinlichkeit ausgewiesen. Der Aufbau der vorliegenden Unterrichtssequenz orientiert sich an diesen „Stufen“ womit die theoretische Fundierung der Inhalte gegeben ist.

Folgende Zufallsgeneratoren wurden für die Unterrichtssequenz ausgewählt: der Würfel, das Glücksrad und die Urne in Form von Stoffbeuteln. Mit diesen drei, den Kindern bekannten Gegenständen kann der Zufall erzeugt und beobachtet werden. Indem Kinder mit vertrautem Material handelnd im Unterricht umgehen, knüpft man an Vorerfahrungen an, allein schon durch die Tatsache, dass die Gegenstände bedeutsam für die Schüler sind. Jeder stellt einen individuellen Bezug zum Lerninhalt her. Die LOGIK-Studie (Longitudinale Genese individueller Kompetenzen) von Renkl & Stern (1994, S.37) konstituiert den Zusammenhang zwischen Mathematikleistung, Intelligenz und Vorwissen. Stern stellt fest, dass die Mathematikleistung ab der zweiten Jahrgangsstufe entscheidend vom Vorwissen abhängt und nicht, wie es zu vermuten wäre, von der Intelligenz eines Schülers. Hat ein Schüler also ein großes bereichsspezifisches Vorwissen im Fach Mathematik, ist seine Leistung auf diesem Gebiet auch höher. Mit dieser Erkenntnis kann das bessere Abschneiden der üblicherweise leistungsschwächeren Schüler im Pretest erklärt werden. Diese Tendenz führt durch die gesamte Unterrichtssequenz und manifestiert sich beispielsweise in der Unterrichtsteilnahme und qualifizierten Unterrichtsbeiträgen. Interesse und Motivation war bei fast allen Kindern während Durchführung der vorliegenden Unterrichtssequenz vorhanden.

In einem kompetenzorientierten Stochastikunterricht werden immer mehrere Kompetenzen gleichzeitig geschult:

Inhaltlich sollen die Kinder lernen, Wahrscheinlichkeiten von künftigen Ereignissen auf der Grundlage von Daten, Erfahrungen oder Analyse der Bedingungen des Vorgangs zu erfassen. Sie verorten Aussagen zur Wahrscheinlichkeit auf einem Wahrscheinlichkeitstreifen (s. Abbildung 3). Das Kärtchen „ Meine Oma wird 1000 Jahre alt“ wird auf der linken Seite verortet. Die Produktion eigener Beispiele steht im Fokus, was aber bei Abbildung 3 nicht zu sehen ist. Außerdem werden sie über erste Erfahrungen mit einfachen Zufallsexperimenten und Glücksspielen an den Aspekt des Gewinnens herangeführt - immer mit dem Ziel, sich kritisch gegenüber solchen zu verhalten und eigene Chancen realistisch einzuschätzen. Wähle ich beim Spiel mit zwei Würfeln die Augensumme Zwei oder Sechs? Mit welcher Zahl würde ich eher gewinnen? Die Beschäftigung mit diesem Thema trägt also auch zu einer Erziehung der Kinder zu mündigen Bürger bei (vgl. Schwarzkopf 2004, S.32).

Neben inhaltlichen werden auch prozessbezogene Kompetenzen bei der Beschäftigung mit Wahrscheinlichkeiten gefordert und gefördert.

Wie im Theorieteil dieser Arbeit verdeutlicht, ist das Problemlösen im Stochastikunterricht zentral. Schüler werden mit Situationen konfrontiert, die Problemlösestrategien erfordern. Haben sich die Kinder in den ersten beiden Schuljahren noch nicht mit Wahrscheinlichkeiten auseinandergesetzt, so wie es der Pretest vermuten lässt, müssen sie solche Strategien erst erwerben. Sie müssen Zusammenhänge herstellen (was zum Beispiel bei den beiden Einheiten „Wir würfeln mit zwei Würfeln“ und „Wir ziehen Ziffernkarten“ besonders deutlich wird), Vermutungen anstellen, systematisch ausprobieren, prüfen und reflektieren. Die Schüler finden Gegenbeispiele, erkennen Muster oder setzen verschiedene Modelle in Beziehung. Sie erfinden, übertragen und variieren selbst faire Regeln. Dies erfordert ein hohes Maß an Problemlösefähigkeit, wobei das reale Problem und der mathematische Hintergrund aufeinander bezogen werden.

Die Ebene der Modellierung wird insofern angesprochen, dass die Arbeit mit Wahrscheinlichkeiten an sich schon ein theoretisches Konstrukt und somit ein Modell ist. In der Grundschule werden Wahrscheinlichkeiten verbal ausge-drückt, meist über das Eintreten des Gegenereignisses. Wie im Theorieteil erläutert, wird eine reale Situation mathematisch modelliert, innerhalb des mathematischen Modells unter Anwendung mathematischer Kenntnisse und Fähigkeiten gelöst und die Lösung in Bezug auf die Realsituation interpretiert (vgl. Sekretariat der KMK 2005, S.10). Das Modellieren von Spielregeln im Modell kam fast in jeder Unterrichtseinheit der vorliegenden Arbeit zum Tragen.

Das Darstellen lernen die Kinder über das Festhalten ihrer Beobachtungen in Tabellen, Schaubildern, Diagrammen oder durch systematische Auflistung von Beobachtungen bzw. Skizzen. Kinder halten ihre Entdeckungen fest, meist mittels Strichliste. Für die Schulung der Kommunikationskompetenz bieten sich Rechenkonferenzen an.

Zum Argumentieren werden Kinder im besonderen Maße angeregt, da die Unterrichtsreihe von verbalen Äußerungen lebt. Warum glaubst du, ist die Spielregel unfair? Wie könnte sie fair werden? Wie hast du das herausgefunden? Kinder erklären und begründen ihre Überlegungen.

Nachdem nun Grundlagen und Zielsetzungen der Unterrichtssequenz ge-schildert wurden, soll auf dieser Basis dargestellt werden, wie deren Umsetzung erfolgte.

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Title
Die Arbeit mit Zufallsexperimenten in der dritten Jahrgangsstufe. Kindern einen Zugang zur Stochastik ermöglichen
Grade
1.0
Author
Year
2015
Pages
58
Catalog Number
V441833
ISBN (eBook)
9783668813403
ISBN (Book)
9783668813410
Language
German
Keywords
arbeit, zufallsexperimenten, jahrgangsstufe, kindern, zugang, stochastik
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Susann Türke (Author), 2015, Die Arbeit mit Zufallsexperimenten in der dritten Jahrgangsstufe. Kindern einen Zugang zur Stochastik ermöglichen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/441833

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Title: Die Arbeit mit Zufallsexperimenten in der dritten Jahrgangsstufe. Kindern einen Zugang zur Stochastik ermöglichen



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