Andere Räume in Oberbayern. Die Passionsspiele Oberammergau auf Instagram


Dossier / Travail de Séminaire, 2017

15 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Ansatz

3 Analyse der Posts
3.1 Kruzifix (24. April 2017)
3.2 Szene im Garten Gethsemane (16. Mai 2017)
3.3 Oberammergauer Panorama (21. Juni 2017)
3.4 Sitzreihen (28. Juni 2017)
3.5 Portrait Christian Stückl (20. Juli 2017)

4 Analyse der Abonnentenzahlen

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis
6.1 Selbstständig erschienen Titel
6.2 Aufsätze in Sammelbänden
6.3 Zeitschriftenaufsätze
6.4 Internetquellen
6.5 Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

Die Photosharing-App Instagram wurde am 6. Oktober 2010 von dem US-Amerikaner Kevin Systrom und dem Brasilianer Michel „Mike“ Krieger veröffentlicht.[1] In den vergangenen Jahren konnte die App laut eigener Angaben bereits über 600 Millionen Nutzer verzeichnen.[2]

Drei Tage vor dem Release der App ging die letzte Vorstellung der 41. Passionsspiele im 9.465 km entfernten Oberammergau zu Ende.[3] Die nächsten Vorstellungen werden, dem alten Brauch -dem Eid der Oberammergauer- folgend, erst wieder im Jahr 2020[4] stattfinden, auch wenn die ersten Vorbereitungen bereits seit Juni 2015 laufen.[5] Seit dem 24. April 2017 bieten die Passionsspiele Oberammergau eine ganz neue Möglichkeit an, an diesen Vorbereitungen teilzuhaben, denn an eben jenem Tag stellte der Account „passionsspiele_oberammergau“ auf Instagram seinen ersten Post -also ein erstes Foto- online: das Bild eines Kruzifixes.[6]

Mit diesem Posting reagiert eine Institution auf neueste Entwicklungen, von der es einem ansonsten so vorkommen mag, als handle es sich bei ihr um einen Riesen, der mit Siebenmeilenstiefeln durch die Geschichte watet und dabei nur alle 10 Jahre einen Fuß auf die Erde setzt. Doch nun ist diese Institution -so man das Vorhandensein eines Instagram-Accounts als Index dafür sehen möchte- moderner als viele andere Theater, wie beispielsweise das Berliner Ensemble, das Schauspiel Frankfurt (seit Mai 2017 auf Instagram),[7] das Theater Basel und das Deutsche Schauspielhaus Berlin.

Die Passionsspiele Oberammergau haben sich nun also dazu entschieden, ihre über 400 Jahre alte Tradition in einem sehr jungen Rahmen zu präsentieren. Ziel dieser Arbeit soll es sein, zu zeigen, wie die Passionspiele Oberammergau mit Instagram umgehen und wie sich diese besondere Plattform Instagram auf die Inhalte des Passionsspiel-Accounts auswirkt.

2 Theoretischer Ansatz

Als Grundlage der folgenden Betrachtungen soll Michel Foucaults Begriff der „Heterotopie“ herangezogen werden, den dieser maßgeblich mit seinem Text „Des espaces autres“ von 1967 prägte. Foucault selbst beschreibt Heterotopien als:

(...) wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können.[8]

Für diese gelten laut Foucault sechs Grundsätze zur „Beschreibung der Heterotopie“,[9] der erste besteht aus der Annahme, dass jede Kultur Heterotopien bildet, die Heterotopie als eine „Konstante jeder menschlichen Gruppe“[10] was in einer großen Varietät resultiert: „offensichtlich nehmen Heterotopien sehr unterschiedliche Formen an und vielleicht ist nicht eine einzige Heterotopieform zu finden, die absolut universal ist. Immerhin kann man sie in zwei große Typen einteilen.“[11] Diese beiden Typen sind die Krisenheterotopie, Orte an denen Leute vorübergehende Krisensituationen erfahren und überwinden (z.B.: Hochzeitsreisen, Militärdienst, Wochenbett) und die Abweichungsheterotopie, wiederum Orte an die Leute verbracht werden, die dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum von einer sozialen Norm abweichen (z.B.: Altersheime, Erholungsheime, Gefängnisse), wobei die Abweichungsheterotopie die Krisenheterotopie laut Foucault zunehmend ablöst.[12]

Der zweite Grundsatz besagt, dass eine „Gesellschaft im Laufe ihrer Geschichte eine immer noch existierende Heterotopie anders funktionieren lassen kann“,[13] als Beispiel zieht Foucault hier den Friedhof und dessen Bedeutungswandel heran, den dieser seit dem Ende des 18. Jahrhunderts durchlebt hat.[14]

Dem dritten Grundsatz zufolge vermag es die Heterotopie „an einen einzigen Ort mehrere Räume, mehrere Plazierungen zusammenzulegen, die an sich unvereinbar sind“,[15] wie es laut Foucault z.B. das Theater tut, das „auf dem Viereck der Bühne eine ganze Reihe von einander fremden Orten aufeinander folgen [lässt]“.[16]

Der vierte Grundsatz bezieht sich auf die Heterochronie, wie Foucault sie nennt und ausführt: „Überhaupt organisieren und arrangieren sich Heterotopie und Heterochronie in einer Gesellschaft wie der unsrigen auf ziemlich komplexe Weise“. Als Extrempole nennt er „die Heterorotopien der sich endlos akkumulierenden Ziele, (...) einen Ort aller Zeiten“,[17] wie Museen und Archive und auf der anderen Seite Orte wie Festwiesen, Rummelplätze, die quasi nichts so ausdrücklich ausstellen wie die Vergänglichkeit der Zeit.

Der fünfte Grundsatz besagt, dass Heterotopien nicht ohne weiteres zugänglich sind. Es bedarf gewisser Riten, Zeremonien, um Zugang zu erhalten, dieser Zugang kann erzwungen werden (vgl. Gefängnisse, Kasernen) oder freiwillig erfolgen (vgl. Erwerb von Theaterkarten).[18]

Der letzte Punkt besteht aus der Feststellung, dass es sich bei Heterotopien um Räume handelt, die -in Abgrenzung zu den übrigen Räumen- eine Funktion haben und auch hier nennt Foucault wieder zwei Pole: die Kompensationsheterotopie und die Illusionsheterotopie. Die Funktion der Kompensationsheterotopie ist es dabei, einen Raum zu schaffen, „der so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet ist wie der unsrige ungeordnet, mißraten und wirr ist.“,[19] während es der Zweck der Illusionsheterotopie ist, „einen Illusionsraum zu schaffen, der den gesamten Realraum, alle Plazierungen, in die das menschliche Leben gesperrt ist, als noch illusorischer [zu] denunzier[en].“[20]

Dem dritten Grundsatz folgend kann ausgesagt werden, dass es sich bei den Passionsspielen Oberammergau um eine Heterotopie handelt, bzw. zumindest bei dem Theaterbau, dem Passionstheater. Es wird sich folgend, in der Analyse der bisher geposteten Bilder des Accounts passionsspiele_oberammergau, herausstellen, ob der Heterotopiebegriff auch in anderen Punkten Anwendungen auf das Phänomen Oberammergauer Passion findet und ob, bzw. wie die Verantwortlichen des Accounts bewusst das Bild eines „besonderen“ Ortes zeichnen, um in einer anschließenden Analyse der Nutzerzahlen nachzuvollziehen, zu welchem Zweck dies unternommen werden könnte und die Ergebnisse schlussendlich in einem Fazit darzulegen.

3 Analyse der Posts

Erst muss eine Analyse der Posts vorgenommen werden (Bilder und Bildunterschriften), um sowohl etwas über Selbstdarstellung, als auch über das Selbstbewusstsein der Passionsspiele Oberammergau darüber, einen besonderen, „anderen“ Ort darzustellen, aussagen zu können. Anders gesagt können aus den Posts Rückschlüsse gezogen werden, wie die Passionsspiele die Grenzen der eigenen Heterotopie über das Theater hinaus in ihrer Selbstdarstellung definieren.

3.1 Kruzifix (24. April 2017)

Der erste Post zeigt ein Kruzifix, das laut Bildunterschrift von Franz Xaver Schädl, einem Künstler aus dem Rokoko, stammt. Die erwähnte Bildunterschrift ist -wie bei jedem Post- in deutscher und englischer Sprache abgefasst.

Bei diesem Kruzifix handelt es sich um jenes, mit dem die Passionsspiele aktuell beworben werden. Man sieht es beispielsweise, wenn man auf die Internetseite der Passionsspiele geht.[21] Bei den letzten Passionsspielen im Jahr 2010 wurde bereits mit dem Bild eines anderen Kruzifixes geworben.[22] Dieser erste Post entspricht also der Marketing Strategie der Passionsspiele und verweist auf den christlichen Ursprung und die Tradition, die Triebfeder der Spiele.

Die Passionsspiele sehen sich fest in der christlichen Kultur verwurzelt und untrennbar damit verbunden. Wenn -Foucaults erstem Grundsatz folgend- jede Kultur ihre eigenen Heterotopien ausbildet, sind dann die Passionsspiele Oberammergau eine christliche Heterotopie? Wenn ja, dann müsste sich das Passionsspiel in eine der großen Überkategorien „Krisenheterotopie“ oder „Abweichungsheterotopie“ einordnen lassen können. Ein Gedanke, der auf diesen und den nächsten Post (Kapitel 3.2) angewandt werden soll.

Schon bei Aristoteles ist es das Ziel der Tragödie, Jammer und Schaudern in den Zuschauern zu erregen,[23] ein bis heute gültiger Grundsatz der Tragödie, dem sich sicherlich auch Oberammergau nicht entgegenstellt, sondern diesen viel eher zu bedienen versucht. Richard F. Burton z.B. beschreibt in seinem Reisebericht zu den Passionsspielen Oberammergau 1890 „A glance at the Passion-Play“, wie u.a. die „Reueszene des Judas“ Tränen bei manchen Zuschauern hervorruft.[24] Wenn die Zuschauer wirklich -nicht nur 1890, sondern auch heute noch- Jammer und Schaudern beim Beobachten der nachgeahmten Passion Christi empfinden (wovon hier ausgegangen wird), so kann man von diesen Zuschauern behaupten, dass sie sich gewissermaßen in einer Krisensituation befinden, weshalb man bei den Passionsspielen Oberammergau von einer Ausformung der Krisenheterotopie sprechen kann. Allerdings weniger von einer christlichen Krisenheterotopie, da die aristotelischen Grundsätze für jedes Theater gelten, als von einer allgemeinen Theater-Krisenheterotopie.

Gelten auch für die Zuschauer der Passionsspiele „normale aristotelische Theatergucker-Standards“, so kann man doch nicht behaupten, dass für die Schauspieler normale „Schauspieler-Standards“ greifen würden. Allerdings möchte ich diesen Punkt im nächsten Kapitel näher ausführen.

3.2 Szene im Garten Gethsemane (16. Mai 2017)

Der zweite Post zeigt wahrscheinlich ein Szene aus dem Passionsspiel. Auf dem Bild ist eine stehende Person zu erkennen, die mutmaßlich Jesus darstellt, zu ihren Füßen liegen scheinbar schlafende Personen, bei denen es sich um die Jünger handeln muss. Es ist der einzige Post des Accounts, der eine Szene und somit Darsteller zeigt, was als Anlass genommen werden soll, den Punkt aus Kapitel 3.1 wieder aufzugreifen.

Für die Darsteller in Oberammergau gelten besondere Umstände, denn zum einen rekrutiert sich die Besetzung aus den Bewohnern des Dorfes und zum anderen herrschen für diese Darsteller ganz anderen Anforderungen als für professionelle Schauspieler. Es tritt z.B. ein Jahr vor den Spielen der Haar- und Barterlass in Kraft, der es den Mitwirkenden verbietet, sich Haare und Bärte schneiden zu lassen und es gehörte zur Tradition, dass nur unverheiratete Frauen (also Jungfrauen) an den Spielen teilnehmen durften.[25] Diese Tradition wurde 1990 durch ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs beendet.[26] Zu einem Zeitpunkt also, als Jungfräulichkeit und Ehelosigkeit vermutlich schon seit einigen Jahren auch in Oberammergau keine zwangsläufig synonymen Begriffe mehr waren. Schon diese Bedingungen für die Teilnahme an den Passionspielen können in ihrer aktiven Erfüllung durch die Teilnehmer als Abweichen von einer Norm angesehen werden, denn der Norm entsprechendes Verhalten bedarf i.d.R. nicht der Regelung durch Erlässe. Für Abweichler von einer Norm gibt es die Abweichungsheterotopien, auch wenn ihr Charakter hier sicherlich ein anderer ist als bei Foucaults Beispielen (psychiatrischen Anstalten, Altersheimen und Gefängnissen).

[...]


[1] Weisse, Ina: „Vom Teilen und Haben.“ In: http://www.zeit.de/2013/42/gregor-hochmuth- instagram-facebook [17.09.2017].

[2] In: https://www.instagram.com/about/us/ [17.09.2017].

[3] In: http://oe1.orf.at/artikel/243916 [17.09.2017].

[4] In: https://www.passionsspiele-oberammergau.de/de?id=108 [17.09.2017].

[5] ebd.

[6] Alle geposteten Bilder des Accounts finden sich unter der Angabe der URL, die auf diese verweist im Anhang.

[7] In: https://www.instagram.com/schauspielfrankfurt/?hl=de [17.09.2017].

[8] Foucault in Barck 1992, 34-46.

[9] ebd. 41.

[10] ebd. 40.

[11] ebd. 40.

[12] Ebd. 40-41.

[13] ebd. 41.

[14] vgl. ebd. 41.

[15] ebd. 42.

[16] ebd. 42.

[17] ebd. 43.

[18] vgl. ebd. 44.

[19] ebd. 45.

[20] ebd. 45.

[21] In: https://www.passionsspiele-oberammergau.de/de?id=108 [17.09.2017].

[22] vgl. „BKM“. In: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/48/2010_Passionsspiele.JPG [17.09.2017].

[23] Aristoteles in Fuhrmann 1982 1-51.

[24] Burton 1881, 135.

[25] vgl. Diemer 1900, VII (Kreuzesschule): „Auch alle Mädchen werden verwendet soweit sie nicht unbedingt in den Haushaltungen nötig sind. - Nur die Frauen sind nach altem Brauch ausgeschlossen mit Ausnahme von ein paar verheirateten Sängerinnen im Chor der Schutzgeister.“

[26] vgl. Gerner, Claudia: Kurioses aus der Historie der Passionsspiele. In: https://www.24hbayern.de/18-uhr/ [17.09.2017].

Fin de l'extrait de 15 pages

Résumé des informations

Titre
Andere Räume in Oberbayern. Die Passionsspiele Oberammergau auf Instagram
Université
Johannes Gutenberg University Mainz
Note
1,7
Auteur
Année
2017
Pages
15
N° de catalogue
V442607
ISBN (ebook)
9783668805088
ISBN (Livre)
9783668805095
Langue
allemand
Mots clés
Oberammergau, Instagram, Passionsspiele, Theaterwissenschaft, Foucault, Heterotopien, Festspiele, neue Medien, des espaces autres
Citation du texte
Fabian Groß (Auteur), 2017, Andere Räume in Oberbayern. Die Passionsspiele Oberammergau auf Instagram, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442607

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