Wahnsinn als Manifestation des Duplizitätsgedankens bei E. T. A. Hoffmanns "Die Elixiere des Teufels"


Bachelor Thesis, 2017

35 Pages, Grade: 1


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Inhaltsangabe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Forschungsstand
Zielsetzung

Begriff
Die Duplizität im „Serapionischen Prinzip“
Wahnsinn als Motiv in Werken Hoffmanns

Darstellung des Wahnsinns im Werk Die Elixiere des Teufels
Wahnsinniger Protagonist als Handlungsträger
Selbstspaltung als Ausdruck des inneren Wahnsinns
Verbrechen als Ausdruck des äußeren Wahnsinns
Erzählstrategie zur Veranschaulichung des Wahnsinns
Handlungsverlauf
Erzählstruktur

Ursache des Wahnsinns

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Danksagung

Für den Abschluss der vorliegenden Arbeit möchte ich vielen Menschen meinen Dank abstatten. An erster Stelle danke ich meiner Beteuerin, Frau Prof. Dr. Zhang Keyun, die mir viel Geduld und Vertrauen entgegengebracht und ihre wertvollen Ratschläge gegeben hat. Bei der grammatischen Korrektur und sprachlichen Verbesserung hat sie mir auch geholfen. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Prof. Dr. Wu Jianguang, der mir in der Sammlung der Literatur beigestanden hat. Ganz besonders großer Dank gebührt meinen Eltern, ohne deren Unterstützung mein ganzes Studium unmöglich wäre. Nicht zuletzt möchte ich allen Professoren und Dozenten der Deutschfakultät danken, bei denen ich in den vergangenen vier Jahren viel gelernt habe.

Inhaltsangabe

Die folgende Arbeit konzentriert sich darauf, das literarische Motiv Wahnsinn und dessen Darstellungen im Roman Die Elixiere des Teufels von E. T. A. Hoffmann einer Analyse zu unterziehen, und sie als Manifestation des Duplizitätsgedankens zu erörtern. In dieser Arbeit werden zuerst die Geisteskrankheit und das Verhalten des wahnsinnigen Protagonisten interpretiert. Dann lässt sich die Erzählstrategie dieses Romans als Veranschaulichung des Wahnsinns abhandeln. Danach ist der Grund des Wahnsinns aufzurollen, dass es eben das unwiderstehliche Schicksal des Protagonisten Medardus ist, von Wahnsinn überfallen zu werden. Dadurch gewinnt es an Deutlichkeit, dass der Wahnsinn bei Hoffmann nicht nur eine geistige Krankheit ist, sondern er auch in engem Zusammenhang mit seinem Duplizitätsgedanken steht.

Schlüsselwörter: Die Elixiere des Teufels; E. T. A. Hoffmann; Wahnsinn

Einleitung

Forschungsstand

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann ist im Jahr 1776 in Königsburg geboren und zählt zu den Vertretern der Berliner Romantik. Er war ein Universalgenie, denn neben Erzähler wirkte er auch als Romancier, Kritiker, Komponist und Zeichner.[1] Man kann sagen, dass er fast sein ganzes Leben der Kunst widmete. Seine Anschauungen einschließlich des Duplizitätsgedankens verbinden sich eng mit der Kunst, die zu den häufigst vorkommenden Themen seiner Werke gehört, darunter auch der Roman Die Elixiere des Teufels.

Dieser Roman besteht aus zwei Bänden, der erste davon wurde im Jahr 1815 publiziert und der zweite 1816. Von seinem Aufenthalt in Bamberg und den Erfahrungen in einem Capuzinerkloster inspiriert entwarf Hoffmann den Roman, weswegen in dem eine starke religiöse Atmosphäre herrscht. Darüber hinaus sind noch die Spuren von der Tradition des Schauerromans und von der damalige psychoanalytische Entwicklung zu finden.[2]

Der Publikationsgang von diesem Buch war ein Missgeschick, und die Echos waren auch nicht erfreulich. Sogar Hoffmanns eigene Bewertung dieses Romans wurde später eher zurückhaltend und negativ.[3] Lange Zeit wird dieses Werk wegen seiner Unterhaltungsfunktion und der Elemente des Schauerromans nicht sehr beachtet und negativ beurteilt.[4]

Trotzdem lohnt es sich, in Hinsicht des Inhalts sehr vielfältig zu erforschen, da viele Thematiken wie z.B das Doppelgängermotiv, der Teufelspakt, das Künstlertum, der Leib-Seele-Dualismus usw. in diesem Werk behandelt werden. Wahnsinn zählt auch zu den typischen Motiven des Schauerromans im 19. Jahrhundert, die in diesem Roman zur Schau gebracht werden.

Im Vergleich zu der Viefalt des Inhalts sind die Interpretationen des Romans nur von geringer Menge. Die Elixiere des Teufels fungiert wegen seiner ausführlichen Beschreibungen der psychischen Vorgänge vom Protagonisten oft als Gegenstand der Psychoanalyse, wie in Sigmund Freuds Das Unheimliche und Carl Gustav Jungs Über die Psychologie des Unbewußten. Neben dem psychoanalytischen Aspekt rechnen auch das Doppelgängermotiv bzw. die Identitätsphilosophie in diesem Werk zu den beliebtesten Forschungsthemen, wie z.B. Verena Kast konzentriert sich auf das Dopplegängertum dieses Romans in ihrem Buch Der Schatten in uns. [5] Überdies dient dieser Roman noch als Ausgangspunkt der Auffassungen vom Schauerroman bzw. der Literatur der Berliner Romantik sowie der Werke Hoffmanns. Als Beispiel gilt Elisabeth Gutenbrunners Arbeit über die Motive des Unheimlichen bei Hoffmann.[6]

In China ist bisher diesem Werk aber kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Nur zwei Übersetzungen gibt es, davon ist jetzt keine Papierausgabe mehr zu bekommen. Nur geringe vereinzelte Interpretationen können gefunden werden, beispielsweiser geht Liao Wenjuan von den Schauermotiven aus,[7] und Xu Wenqing fokussiert ihre Anstrengungen auf das Künstlertum.[8]

Zielsetzung

Die vorliegende Arbeit bemüht sich darum, das Motiv Wahnsinn im Roman Die Elixiere des Teufels als Manifestation des Dupilizitätsgedankens von Hoffmann in Betracht zu ziehen. Wahnsinn ist nicht nur den wichtigsten Motiven der Literatur des 19. Jahrhunderts angegliedert, sondern er gilt auch als beeindruckender Charackterzug der Figuren in Werken Hoffmanns. Bei Hoffmann gebietet der Wahnsinn über mehr Sinn als eine reine geistige Störung bzw. Krankheit, weil er im engen Zusammenhang mit dem Künstlerischem und dem Supranatualen steht.

Diese Arbeit besteht aus vier Kapiteln. Im nächsten Kapitel sind einige Grundbegriffe einzuführen, nämlich die Duplizität im „Serapionischen Prinzip“ sowie das literarische Motiv Wahnsinn. Darüber hinaus sind noch einige wahnsinnige Figuren in Werken Hoffmanns als Beispiele erwähnenswert.

Den Hauptteil dieser Arbeit bildet das dritte Kapitel und das gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil lassen sich die Geisteskrankheit und das kriminelle Benehmen des Protagonisten als Ausdruck des Wahnsinns untersuchen, während im zweiten Teil die Erzählstrategie mit Einschluss des Handlungsverlaufs und der Erzählstruktur als Veranschaulichung des Wahnsinns ausführlich analysiert wird. Die beiden Teile verknüpfen sich eng miteinander, denn mit der Entwicklung der Handlung wandelt sich auch der geistige Zustand und die Bewegungen des Helden. Diese Erzählstrategie dient nicht nur der Spannung bzw. Unterhaltung, sondern auch der schrittweisen Enthüllung des Urgrundes vom Wahnsinn.

Über diesen Urgrund wird im vierten Kapitel eine Erklärung gegeben: Mangels Erkenntnis der Duplizität versinkt der Held in Wahnsinn. Dadurch wird das Ziel gesetzt, wie der Wahnsinn in diesem Roman den Gedanken der Duplizität Hoffmanns manifestiert. Eine Zusammenfassung der Arbeit steht im fünften Kapitel, und die Literatur lässt sich im letzten Kapitel auflisten.

Begriff

Die Duplizität im „Serapionischen Prinzip“

Um den Gedanken der Duplizität von Hoffmann zu beleuchten, ist es zuerst notwendig, das „Serapionische Prinzip“ kurz vorzustellen. Dieses Prinzip taucht in der Erzählungssammlung Die Serapions-Brüder auf und leitet sich aus einem Gespräch unter vier Freunden über den Einsiedler Serapion ab, der trotz seines Wahnsinns noch als begabter Dichter von den vier Figuren verehrt wird.

Das Serapionische Prinzip enthält zum einen Hoffmanns Weltanschauung, zum anderen auch sein Kunstpostulat, die sich in fast allen seinen literarischen Werken verbergen.

Zuerst lässt sich die Weltanschauung in Kenntnis setzen. Dem Prinzip zufolge gibt es eine „Innenwelt“ und eine „Außenwelt“[9]. Die erstere ist phantastisch und übersinnlich, während die letztere mechanisch und sinnlich ist. Die innere Phantasiewelt wird als „höhere Region“[10] angesehen, die über „das Märchenhafte“[11] verfügt und von dem Geist dominiert ist. Dagegen existiert in der Außenwelt nur die banalen Kleinigkeiten aus dem Alltagsleben.

Obwohl diese zwei Welten im Gegensatz stehen, sind sie nicht ganz auseinander gerissen, sondern eng miteinander verbunden, wie das folgende Zitat erläutert:

„Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klarheit, in den vollendetsten Glanze des regesten Lebens zu schauen, aber es ist unser irrdisches Erbteil, daß eben die Außenwelt in der wir eingeschachtet, als der Hebel wirkt, der jene Kraft in Bewegung setzt. […] daß die Außenwelt den in den Körper gebannten Geist zu jenen Funktionen der Wahrnehmung zwingt nach Willkür. “[12]

Der Auffassung nach ist eine wirkliche Schau in die Innenwelt nur mithilfe der „geistigen Kraft“ möglich. Diese sogenannte geistige Kraft kann aber nicht alleine wirken, sondern sie muss von dem „Hebel“, der hingegen zur Außenwelt gehört, bewogen werden. Eben aus der geistigen Kraft und dem Hebel lässt sich die Brücke zwischen der Innen- und Außenwelt bilden, ohne die man nicht mehr in der Lage ist, sich gleichzeitig in beiden Welten zu befinden.

Der Zwiespalt von den zwei Welten deutet auf eine „Auseinandersetzung zwischen Phantasie und Wirklichkeit“ hin, „die in ihrer verschärften Form eine Konfrontation zwischen Wahnsinn und Vernunft ist.“[13] Infolgedessen lassen sich die nur in der Phantasie lebenden Schwärmer als Wahnsinnige betrachten. Dagegen werden die geschmacklosen Spießbürger, die im Leben nichts anders als die platte alltäglichste Wirklichkeit sehen, für vernünftig gehalten.

Mit der Weiterführung des Gesprächs geht der Bezugspunkt von der Weltanschauung zum hoffmannschen Kunstpostulat über. Da es zwei opposite Welttypen gibt, ist man auch mit zwei Arten Augen ausgestattet, nämlich die äußeren und die inneren. Das Kunstpostulat von Hoffmann lautet, dass die „wahren Dichter“[14] nicht mit den physischen und äußeren, sondern mit den geistigen inneren Augen schauen und wahrnehmen, weil für sie eher das künstlerische Gemüt statt der objektiven Gegenstände von größerer Bedeutung ist. Diese Auffassung wird durch die Worte des Charakters Lothar, das Sprachrohr von Hoffmann, zum Ausdruck gebracht:

„Woher kommt es anders, als daß der Dichter nicht das wirklich schaute, wovon er spricht, daß die Tat, die Begebenheit vor seinen geistigen Augen sich darstellend mit aller Lust, mit allem Entsetzen, mit allem Jubel, mit allen Schauern, ihn nicht begeisterte, entzündete, […]“[15]

Aus der Ansicht Lothars soll ein Dichter danach streben, „das Bild, das ihm im Innern aufgegangen recht zu erfassen mit allen seinen Gestalten, Farben, Lichtern und Schatten,“ und dann ihr Imaginiertes „ins äußere Leben <zu> tragen“.[16] Das heißt, eine Verbindung von den inneren Inspirationen und der äußeren Wirklichkeit wird verlangt. Nur mithilfe dieser Verbindung ist die magische Wirkung[17], mit der die Dichtung zu einer „Himmelsleiter“[18] in die höhere künstlerische Region werden kann, zu erzielen.

Ganz im Gegenteil stehen die Dichter, denen es an der Fähigkeit mangelt, die inneren Erscheinungen zu ergreifen und die Inspirationen zur Darstellung zu bringen. Noch schlimmer wäre es, dass sie über gar keine innere Schau verfügten. Aufgrund dieses Mangels sind ihre Gestalten nichts anders als „trügerische Puppen“[19], und ihre Werke können nur als „mechanische Übereintimmung zwischen Objekt und Abbild“[20] bewertet werden.

Deswegen müssen die Künstler in die Innenwelt eintauchen, damit ihre Geschöpfe Kunstwert gewinnen können. Aber eine absolute Flucht aus der Wirklichkeit wird auch nicht erlaubt, weil sie zum Wahnsinn führen kann. Unter diesem Dilemma leiden fast alle hoffmannschen Künstler, und ihr Wahnsinn als Resultat des Dilemmas zählt deshalb zu den Motiven, die häufig bei Hoffmann zu beobachten sind. Über den Begriff des Wahnsinns und dessen Manifestation in Werken Hoffmanns wird im nächsten Teil eine Erklärung gegeben.

Wahnsinn als Motiv in Werken Hoffmanns

Der Wahnsinn ist eines der beliebtesten Motive der Literatur, besonders des Schauerromans der Schwarzen Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts. Doch beschränken sich die Untersuchungen über Wahnsinn nicht auf diesen Zeitraum, sondern sie haben ihren Ursprung schon in der Antike. Die Definition und die Ursachen des Wahnsinns unter naturwissenschaftlichen und literarischen Aspekten wandeln sich im Laufe der Zeit.

In dem antiken Griechenland hatte der Wahnsinn eine relativ oppositive Bedeutung: er repräsentierte den Zorn oder Segen Gottes. Im Mittelalter wurde er dagegen als Verflucht bzw. Besessenheit vom Teufel betrachtet. Für eine geistige Krankheit als Folge einer Deformation des Gehirns wurde er erst am Ausgang des 18. Jahrhunderts wegen des Fortschritts der Psychiatrie gehalten. Aufgrund dessen ist die Jahrhundertwende zwischen dem 18. und dem 19. die Schwellenphase in dem Werdergang der Bedeutung des Wahnsinns, wo sie von der mystischen zu der wissenschaftlichen übergeht.

Heutzutage wird eine Person normalerweise als „wahnsinnig“ bezeichnet, deren:

1) Verhalten von den Affekten bestimmt wird und von den allgemein akzeptierten Gesellschaftsnormen abweicht.
2) Kommunikation mit der Außenwelt gestört oder gar nicht mehr möglich ist.
3) Wahrnehmung der Realität von der objektiven Wahrnehmung abweicht.[21]

Auf der Bühne der Literatur fehlt es nie an den wahnsinnigen Charaktern. Während in der Antike sie nur am Rande standen, traten sie im 19. Jahrhundert als Hauptfiguren auf. Der Grund liegt darin, dass der Wahnsinn zum einen im medizinischen Bereich immer tiefer erforscht wurde, zum anderen über besondere literarische Fuktionen verfügt. Die wahnsinnigen Figuren scheinen von allen sozialen Normen und Regeln befreit zu sein, daher sind sie oft Außenseiter bzw. Verbrecher, können daneben auch als Sprachrohr des Autors oder Retter des Helden dienen. Darüber hinaus tragen die wahnsinnigen Elemente noch zur Unterhaltung der Leser bei.

In Werken Hoffmanns können alle diese Funktionen in Augenschein genommen werden. Außerdem symbolisiert der Wahnsinn bei Hoffmann noch den Preis für die künstlerische Begabung und Inspiration, deshalb verknüpft er sich in dieser Hinsicht eng mit der Kunst. Denn „‚Kunst‘ und ‚Wahnsinn‘ sensibilisieren beide für andersartige Empfindungen, […] können Künstlerfiguren auch als ‚zerrissene‘, fast wahnsinnige Menschen erscheinen.“[22] Als Beispiele lassen sich die folgenden Figuren erwähnen, die alle in der Erzählungssammlung Die Serapions-Brüder auftauchen:

Diese Figur tritt in der Erzählung Der Einsiedler Serapion hervor, und nach ihm wird das „Serapionische Prinzip“ benannt. Serapion ist mit guter Bildung und zum Dichter begabt, kann mit anderen eigentlich gut auskommen und sich in die Gemeinschaft bequem integrieren. Aber eines Tages hält er sich plötzlich für den Märtyrer Serapion, der aber vor Jahrhunderten schon gestorben ist. Von dieser Einbildung verblendet lebt er wie ein Einsiedler im verborgenen und anerkennt seine frühere Identität gar nicht mehr. Er wird zuletzt als „ein wahnsinniger Mensch, der seinen Zustand als eine herrliche Gabe des Himmels preist“[23] angesehen.

Rat Krespel und dessen Tochter Antonie

Rat Krespel und Antonie treten in der Erzählung Rat Krespel auf. Der Rat Krespel wird von der schönen Geigestimme angezogen und zerlegt daher seine Geige, um zu wissen, wie die faszinierende Musik erzeugt wird. Aus diesem Grund spielt er jedes fertige Instrument nur einmal und nimmt es sodann auseinander. Wegen dieses komischen Gedankens und Verhaltens wird er von anderen als wahnsinniger Mensch betrachtet.

Seine Tochter ist hingegen mit wirklicher Kunstbegabung geboren und kann gut singen, aber ihr Gesang wird nur durch ein organisches Brustleiden ermöglicht. Deswegen ist sie von ihrem Vater zum Singen verboten, sonst wird sie ihres Leben preisgeben. Für sie gilt das Talent als tödliche Krankheit, was sie vom anderen normalen Menschen unterscheidet.

Auch die Figur Cardillac in der Erzählung Das Fräulein von Scuderi lässt sich hier erwähnen. Er ist der angesehenste Goldschmied jener Zeit und kann wunderschönen Schmuck schaffen. Aber nach jedem Verkauf wird er den Schmuck zurück rauben, auch wenn er dabei den Kunden töten muss, weil er alle seine Werke sehr schätzt und sie noch immer bewahren will. Aufgrund dieser unwiderstehlichen Sehnsucht und seines Talents kann er auch zu den wahnsinnigen Künstlern zählen.

Darstellung des Wahnsinns im Werk Die Elixiere des Teufels

Wahnsinniger Protagonist als Handlungsträger

Der Protagonist Medardus ist auch den Wahnsinnigen mit künstlerischer Begabung angegliedert. In diesem Kapitel werden seine Geisteskrankheit und sein Verhalten als Darstellung des Wahnsinns analysiert. Davor ist es aber zuerst nötig, den Hauptinhalt dieses Romans kurz vorzustellen.

Der Held ist im Kloster der heiligen Linde geboren und wird nach seinem schon verstorbenen Vater Franz benannt. Einige Jahre nach seiner Geburt verlässt er mit seiner Mutter die heilige Linde und zieht in das Cisterzienser Nonnenkloster um, wo er seine Kindheit verbringt. Nachdem er 16 Jahre alt geworden ist, studiert er Theologie weiter im Capuziner Kloster in der benachbarten Stadt, wo er später eingekleidet wird und den Klosternamen Medardus annimmt.

Medardus ist zum guten Redner begabt. Auf diese Rednerbegabung deutet sein Erfolg bei seiner ersten Predigt im Kloster an. Aber er wird von diesem Talent zur Arroganz verführt und isoliert sich folglich von anderen Klosterbrüdern. Nach einem plötzlichen Koma bei einer Predigt verliert er vorübergehend seine Fähigkeit. Um sein Talent zurückzugewinnen, trinkt er die Elixiere des Teufels, weswegen er immer tiefer in Wahnsinn gerät.

Nicht lange danach begegnet er einer schönen, jungen Frau namens Aurelie und verliebt sich schnell in sie. Um sie wiederzusehen, möchte er aus dem Kloster fliehen. Glücklicherweise übernimmt er dann eine Aufgabe, als Vertreter seines Klosters nach Rom zu reisen, weswegen er das Kloster verlassen kann. Aber er legt diese Aufgabe beiseite, sobald er aus dem Kloster ist, da er nur an Aurelie denkt und plant, sie zu verfolgen.

Auf Grund seiner fanatischen Liebe zu Aurelie lädt er Verbrechen auf sich. Er mordet Aurelies Bruder Hermogen und ihre Stiefmutter Euphemie. Vom Wahnsinn besessen möchte er später sogar ungeachtet seines Priesterstandes Aurelie heiraten. Bei der Hochzeit spielt er aber plötzlich verrückt und versucht, seine Braut zu töten, was ihm aber nicht gelingt. Danach wird er von seinem Doppelgänger so lange verfolgt, dass es schließlich seinen Zusammenbruch herbeiführt.

In einem Irrenhaus in Rom erwacht er aus dem Koma. Von diesem Zeitpunkt an heilt seine geistige Krankheit erst allmählich. Aus seinen Erfahrungen und mithilfe des Pergamentblattes vom alten Maler erfährt er erst, dass fast alle Personen, die in Beziehungen mit ihm stehen, wie z.B. Aurelie, Viktorin, Hermogen und Euphemie, in Wirklichkeit seine Verwandten sind. Eine inzestuöse Familiengeschichte wird dadurch enthüllt, und es ergibt sich, dass seine Sünde auf seinen Ahnen, nämlich den alten Maler, zurückgreifen kann.

Aurelies Todesfall rettet endlich seine Seele, aber sein Wahnsinn bzw. der Fluch werden erst durch seinen eigenen Tod gelöst.

Selbstspaltung als Ausdruck des inneren Wahnsinns

Medardus leidet lange unter der Verwirrung seiner eigenen Identität, und seine Niederschrift über sein ganzes Leben stellt neben dieser Verwirrung auch die Suche nach sich selbst dar. In diesem Teil ist das Identitätsproblem von Medardus aufzurollen, darunter nicht nur das Doppelgängertum, sondern auch der Leib-Seele-Dualismus.

Das Doppelgängertum

In der Dichtung steht das gespaltene Ich-Bewusstsein oft in enger Verbindung mit dem Doppelgängertum, das auf der physischen Ähnlichkeit zweier Personen beruht. Der Doppelgänger kann sowohl real als auch fiktiv sein, und die fiktive Doppelung ist „durch eine auf seelischer Störung beruhende Ich-Spaltung einsichtig gemacht worden.“[24] In beiden Fällen wird die Wahrnehmung einer Person zur Realität schwer gestört, was zu den Symptomen von Wahnsinn gehört. Die realen und fiktiven Doppelgänger sind beide im Roman Die Elixiere des Teufels zu erblicken.

Der Protagonist Medardus hat zwei Doppelgänger: Hermogen und Graf Viktorin. Sie sind beide seine Halbbrüder, wovon sie aber keine Ahnung haben. Hermogen wird von Medardus mit einem Messer getötet, aber er tritt noch immer als Phantom auf und schützt seine Schwester Aurelie vor Medardus’ Wollust. Daher soll Hermogen die vernünftige Seite von Medardus repräsentieren, während Viktorin die böse. Denn auf Viktorin wälzt Medardus seine Schuld ab, so braucht er nicht, die Verantwortung für seine Verbrechen zu tragen.

Das Identitätsproblem von Medardus lässt sich hauptsächlich dadurch verkörpern, dass Medardus sich selbst mit Viktorin identifiziert, während Viktorin sich gleichfalls auch für Medardus hält. Ab ihrer ersten Begegnung wird dieses Phänomen thematisiert, und es durchzieht die restliche Geschichte. Beim ersten Treffen tötet Mederdus durch einen Zufall vermutlich seinen Halbbruder und übernimmt demzufolge die Eigenschaft Viktorins. Danach besucht er das Schloss des Barons F. und hat dort zwei Identitäten in Besitz: Zum einen bleibt er für den Hofmeister Reinhold der Pater Medardus aus dem Capuziner Kloster, zum anderen ist er im Auge Euphemies ihr Geliebter, der Graf Viktorin. Diese zwei Identitäten vermischen sich miteinander und führen zur Verwirrung der Selbstidentifikation, wie das folgende Zitat verdeutlicht:

„Mein eigenes Ich zum grausamen Spiel eines launenhaften Zufalls geworden, und in fremdartige Gestalten zerfließend, schwamm ohne Halt wie in einem Meer all’ der Ereignisse, die wie tobende Wellen auf mich hineinbrausten. – Ich konnte mich selbst nicht wieder finden! [...] Ich bin das, was ich scheine, und scheine das nicht, was ich bin, mir selbst ein unerklärlich Rätsel, bin ich entzweit mit meinem Ich!“[25]

Dies ist das erste Mal, dass sich Medardus von seinem Selbst distanziert. Als die Geschichte weitergeht, leugnet Medardus noch mehrmals seine frühere Identität ab. Beispielsweise bildet er sich ein, nachdem er wegen des Mordes aus dem Schloss geflohen ist, dass „jener Kanzelredner [...] der Mönch Merdadus [war], der ist gestorben und begraben in den Abgründen des Gebürges, ich bin es nicht, denn ich lebe.“ (111)

Später begegnet er im Försterhaus einem wahnsinnigen Mönch, der in der Tat eben Viktorin ist, dessen Erfahrung fast ganz gleich wie seine eigene ist. Deswegen wird der Mönch für den Bruder Medardus gehalten, und er wird folglich zum Sündenbock des echten Medardus’. Mit diesem Resultat ist Medardus zufrieden, denn er denkt, dass nur dem Verderben des Möchs seine eigene Rettung verdankt. Aus diesem Grund versucht Medardus, all seine Schuld auf Viktorin zu schieben. Ein anderes Beispiel lässt sich nennen, als Medardus aus dem Gefängnis entlassen wird:

„ […], ja! auf wunderbare Weise keimte in mir die feste Überzeugung auf, daß nicht ich jener ruchlose Frevler auf dem Schlosse des Barons F. war, der Euphemie – Hermogen erschlug, sondern, daß der wahnsinnige Mönch, den ich im Försterhause traf, die Tat begangen.“ (225)

Auf diese Weise löst er sich von seinen Verbrechen und seiner Vergangenheit ab, was aber gleichzeitig die Vergrößerung vom Einriß seines Ichs anrichtet. Je mehr er sich von seiner ursprünglichen Identität entfernt, desto schlimmer wird seine Ich-Spaltung. Außerdem wird er von seinen zwei Doppelgängern, die manchmal als reale Person und manchmal als Phantom auftreten, dauernd verfolgt. Als Folge wird es ihm immer schwieriger, festzustellen, ob der Doppelgänger wirklich vor ihm steht oder nur eine Halluzination ist.

Im Gefängnis trifft Medardus dem Phantom von Viktorin. Während seines Aufenthaltes im Kerker findet er einen nackten Mann unter dem Fußboden, der ganz gleich wie er selbst aussieht. Er erkennt den verrückten Mönch an seinem Aussehen als Viktorin, aber zu dieser Zeit ist Viktorin schon längst im Irrenhaus eingesperrt und kann auf keinen Fall im Kerker erscheinen.

Das Phantom bzw. diese krankhafte Einbildung lassen Medardus keine Ruhe. Der Einriß seines Ichs und dessen Folge bilden einen Teufelskreis heraus und machen Merdadus’ geistigen Zustand immer schlimmer. Er redet später sogar mit dem fiktiven Doppelgänger, obwohl er weiß, dass dieser Doppelgänger nur eine Halluzination ist.

„Blickte ich um mich her, so merkte ich wohl, daß das Fantom(sic) des Doppeltgängers(sic) nur in meiner Fantasie spuke; aber nicht los konnte ich das entsetzliche Bild werden, ja es war mir endlich, als müsse ich mit ihm sprechen und ihm erzählen, […]“ (227)

Die Vermischung von Wirklichkeit und Einbildung schadet seiner Fähigkeit zur Wahrnehmung, was zur Folge hat, dass er immer wahnsinnger erscheint. Die Ich-Spaltung heilt erst langsam, nachdem Medardus aus der tiefen Ohnmacht in dem Irrenhaus in Rom erwachte und sich in einem Capuzinerrock fand. Die Suche nach Selbstidentifikation scheint hier endlich ein Ende zu finden: Er versteht sich schließlich wieder als Priesterbruder aus dem Capuziner Kloster.

Trotzdem kann er sich von dem Doppelgänger Viktorin noch nicht lösen. Viktorin ermordet Aurelie und verfolgt ihn noch immer bis zu seinem Lebensende.

Das Leib-Seele-Problem

Außer der im obigen Text schon erklärten Identitätsfrage gilt das Leib-Seele-Problem, das durch den Wechsel von Medardus’ Identität zwischen Geistlichem und Laienmann geschildert wird, bei E. T. A. Hoffmann auch als Darstellung der Ich-Spaltung.[26]

Die Leib-Seele-Einheit stellt ein Ur-Rätsel des lebendigen Geschehens in der philosophischen Besinnung dar. In der antiken Philosophie wird dieses Problem schon zur Diskussion gestellt. Für Platon stehe die Seele für das „Ebenbild“ und den „Sinn“, für „alles Göttliche[…] und Unsterbliche[…] und Vernünftige[…]“[27], während der Leib zu dem „Menschlichen und Sterblichen und Vielgestaltigen und Unverünftigen und Unauflösbaren und sich selber stets Fremden”[28] gehöre. Seiner Auffassung nach stehen die Seele und der Leib ganz im Gegensatz. Hingegen bestimmt Aristoteles die Seele als die Form eines natürlichen Körpers, und sie sei weder eine unabhängige Substanz vom Leib noch unsterblich.[29] Deswegen kann zusammengefasst werden, dass sich die Seele und der Leib trotz ihrer Konfrontation auch nicht ganz voneinander trennen können. Demzufolge vermag man nicht, sich ganz von dem Leib, von der Begierde bzw. der Liebe zu lösen. Aber eine Harmonie von Seele und Leib ist auch schwierig erzielen.

[...]


[1] Vgl. Harmut Steine>

[2] Vgl. Harmut Steine>

[3] Vgl. Harmut Steine>

[4] Vgl. Harmut Steine>

[5] Vgl. Venera Kast: Der Schatten in un s. Zürich, 1999.

[6] Vgl. Elisabeth Gutenbrunner: „Motiv des Unheimlichen bei E. T. A. Hoffmann und Edgar Allan Poe anhand ausgewählten Erzählungen“. Wien, 2010.

[7] Vgl. Liao Wenjuan: „Das Unheimliche – Die Schauermotive in E. T. A. Hoffmanns‚ Die Elixiere des Teufels‘“. Shanghai, 2005.

[8] Vgl. Xu Wenqing: „Die gefährliche Sehnsucht: Über die Künstlerproblematik in E. T. A. Hoffmanns Roman ‚Die Elixiere des Teufels‘“. Shanghai, 2011.

[9] E. T. A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder. Frankfurt a. M., 2001, S. 68.

[10] E. T. A. Hoffmann: a. a. O., S. 721.

[11] E. T. A. Hoffmann: a. a. O., S. 720.

[12] E. T. A. Hoffmann: a. a. O., S. 68.

[13] Lothar Pikulik: „Die Erzählung vom Einsiedler Serapion und das Serapion(t)ische Prinzip–E. T. A. Hoffmanns poetologische Reflexion“. In: Günter Saße (Hrsg.): E. T. A. Hoffmann: Romane und Erzählung. Stuttgart, 2004, S. 135.

[14] E. T. A. Hoffmann: a. a. O., S. 67.

[15] Ebd.

[16] E. T. A. Hoffmann: a. a. O., S. 69.

[17] Vgl. Lothar Pikulik: a. a. O., S. 152.

[18] E. T. A. Hoffmann: a. a. O., S. 721.

[19] E. T. A. Hoffmann: a. a. O., S. 68.

[20] Magdolna Orosz: Identität, Differenz, Ambivalenz: Erzählstrukturen und Erzählstrategien bei E. T. A. Hoffmann. Frankfurt a.M., 2001, S. 51.

[21] Vgl. Bozena Anna Badura: Normalisierter Wahnsinn?: Aspekte des Wahnsinns im Roman des frühen 19. Jahrhundert s . Gießen, 2015, S. 67.

[22] Magdolna Orosz: a. a. O., S. 80.

[23] E. T. A. Hoffmann: a. a. O., S. 33.

[24] Elisabeth Frenzel: Motiv der Weltliteratur. Stuttgart, 1999, S. 104.

[25] E. T. A. Hoffmann: Die Elixiere des Teufels. Frankfurt a.M., 1988, S. 73. Folgend werden alle Zitaten aus dem originalen Text vom Roman mit Seitenzahl in einer Klammer direkt hinter dem Zitat angegeben.

[26] Vgl. Bozena Anna Badura: a. a. O., S. 171.

[27] Platon: Platons Phaidon. Jena, 1922, S. 45.

[28] Platon: a. a. O., S. 45-46.

[29] Vgl. Ansgar Beckermann: „Leib-Seele-Problem“. In: Enzyklopädie der Philosophie, Band 1. Hamburg, 1999, S. 767.

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Details

Title
Wahnsinn als Manifestation des Duplizitätsgedankens bei E. T. A. Hoffmanns "Die Elixiere des Teufels"
College
Tongji University
Grade
1
Author
Year
2017
Pages
35
Catalog Number
V444819
ISBN (eBook)
9783668816503
ISBN (Book)
9783668816510
Language
German
Keywords
Die Elixiere des Teufels, E. T. A. Hoffmann, Wahnsinn
Quote paper
Zijuan Huang (Author), 2017, Wahnsinn als Manifestation des Duplizitätsgedankens bei E. T. A. Hoffmanns "Die Elixiere des Teufels", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444819

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