"Funktionsloser Abgrund?" Film und Massenmedien in Brechts Theorie des epischen Theaters


Bachelor Thesis, 2016

34 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Literaturverzeichnis

Einleitung

Hautteil
1. ״Der Film macht dem Drama das Bett.“ Reflexion auf Medienwandel wie -differenz und die Medialität des Theaters.
2. Doppelte Medialität des Epischen. Der frühe Film und das Gestische
3. Kampf um die ,Apparate‘ in der Kulturindustrie. Technifizierung und Umfunktionierung der Literatur.

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Rückblickend notiert Brecht 1939 im dänischen Exil, dass die epischen Prämissen, mit denen er auf den Film reagierte, bereits sehr stark vom Film beeinflusst waren:

״Die epischen Elemente brachte ich schon mit ,ins Geschäft‘. Vom Karl-Valentin­Theater, dem Freiluftzirkus und dem Plärrer. Dann war da der Film, besonders der Stummfilm der Frühzeit, der noch nicht vom Theater die Drrrramatik kopierte (Chaplin). In den auftauchenden Schwierigkeiten des lehrhaften Theaters stellte sich dann dieser ,Stil‘ zur Verfügung und wurde modifiziert.“1

Das Verhältnis des ״Stückeschreibers“ zum Film ist vielfältig: Es reicht von unbekümmerten surrealistischen Filmprojekten in der Jugend, über gescheiterte, aber auch verwirklichte Verfilmungen (zu nennen wäre vor allem der kollektivistisch produzierte ״Agit-Prop-Film“ ״Kuhle Wampe“) bis hin zur resignierenden Mitarbeit und Reflexion im US-amerikanischen Exil.2 Der Dramatiker ist nicht vom Kinogänger Brecht zu trennen, ein ״Hyper-Dispositiv Film-Kino-Großstadt“3 gilt auch für ihn. Die Reflexion auf Filme und andere Medien wird damit für Brecht genauso elementar wie die stets zu von neuem zu vollziehende Umarbeitung der Stoffe.4 So ist Brecht neben den medienpraktischen Versuchen zudem ein immer wieder zitierter und aufgegriffener Medientheoretiker, Diskutant einer aufkommenden Kino-Debatte5 innerhalb der Literatur, aber auch meinungsfreudiger Intellektueller für emanzipatorische und demokratisierende Fragen des Rundfunks und andere technische Innovationen.

Brechts Interesse für die Massenmedien, besonders den Film, ist gleichzeitig auch auf sein Vorhaben, ein großes episches Theater zu begründen, zurückzufähren. Film und Massenmedien haben einen wesentlichen wirkungs- und produktionsästhetischen aber auch politischen Einfluss auf Brechts Theorie des epischen Theaters. So urteilt bereits Walter Benjamin:

״Die Formen des epischen Theaters entsprechen den neuen technischen Formen, dem Kino sowie dem Rundfunk. Es steht auf der Flöhe der Technik.‘6 ‘׳ Benjamin kann in diesem Zusammenhang getrost als Pionier bezeichnet werden.

Denn von einem Medientheoretiker wie -praktiker Brecht zu sprechen, ist erst möglich, seitdem die Medientheorie einen Paradigmenwechsel in der Literatur- und Theatergeschichtsschreibung angestoßen hat.7 Wurden bereits verschiedenste Facetten der deutschsprachigen Literaturgeschichte medientheoretisch perspektiviert und beleuchtet, so fallt das Resümee hinsichtlich des Schaffens Brechts immer noch unzureichend aus - auch wenn entsprechende Forschungsliteratur vorliegt: Als präziser Beobachter der brechtschen Ästhetik (aber auch einflussreicher Kunsttheoretiker) geben Benjamins Schriften noch heute viel Aufschluss über ein ,mediales Apriori‘ bei Brecht. Neben der Textsammlung Versuche über Brecht zählen auch die ,Klassiker‘ Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit sowie der Vortrag Der Autor als Produzent dazu. Eine erste umfangreiche Studie über das Verhältnis Brechts zum Film hat Wolfgang Gersch vorgelegt. Seine 1975 erschienene Monographie Film bei Brecht kann - auch wenn viele Forschungsergebnisse nicht mehr aktuell sind - nach wie vor als Grundlagen- und übersichtswerk herangezogen werden. Als maßgebliche Beiträge für den aktuellen Forschungsstand über den Einfluss von Massenmedien und Film auf Brecht können von Herrmanns Sang der Maschinen. Brechts Medienästhetik und van Laaks Medien und Medialität des Epischen eingeordnet werden. Während von Herrmann eine grundsätzliche Medienästhetik im Werk Brechts nachweist, analysiert van Laak in medientheoretischer Hinsicht das Epische aus der Medialität des Erzählens. Einen umfangreichen wissenschaftlichen Überblick über das Gesamtwerk Brechts gibt zudem das von Jan Knopf herausgegebene, mehrbändige Brecht-Handbuch, das wichtige Beiträge über die hier zum Teil zugrunde gelegten Stücke wie auch theoretischen Texte Brechts enthalten. Zu nennen wären Brechts Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Magagonny sowie sein Dreigroschenprozeß. Ein soziologisches Experiment·8

Die Mediengeschichte der Literatur beschreibt keine Abfolge, sondern vielmehr eine simultane Anhäufüng verschiedener, konkurrierender Medien.9 Die Abgrenzung und Reflexion der Literatur gegenüber neuen Medien, vor allem auch neuen Leitmassenmedien, erfolgt sowohl positiv wie negativ10: So hat auch auch der Film bereits ex negativo einen wesentlichen Einfluss auf Brechts Theorie des epischen Theaters, insofern Brecht auf die medienspezifische situativ-performative Rahmenbedingung des Theaters reflektiert und zugleich in der Auseinandersetzung mit dem Theater Piscators Elemente des Films für die Bühne aufgreift. (Kapitel 1) Brecht begreift Literatur und Theater ״als Literatur nach mit oder gegen den Film und andere Medien.“11 Ein Resultat seiner Reflexion auf ein fundamentales Problem von Medialität ist eine am frühen Film ausgerichtete Schauspielkunst sowie eine daraus abgeleitete Neuentfaltung des Gestischen (Kapitel 2) Brecht ordnet zudem die neuen Massenmedien als Kunst- und Kommunikationsmittel ein, welche die gesamte Kunstproduktion und -rezeption revolutionieren, sodass er das epische Theater als mediale und gesellschaftliche Kategorie einordnet. (Kapitel 3)

Mit den drei Kapiteln soll zugleich ein Zusammenhang zwischen Medienwandel und einer fundamentalen Krisenerfahrung in der Modeme berücksichtigt werden, weswegen auch Benjamins Formulierung von einem ״funktionslosen Abgrund“ titelgebend ist:

״Der Abgrund, der die Spieler vom Publikum wie die Toten von den Lebendigen scheidet, der Abgrund, dessen Schweigen im Schauspiel die Erhabenheit, dessen Klingen in der Oper den Rausch steigert, dieser Abgrund, der unter allen Elementen der Bühne die Spuren ihres sakralen Ursprungs am unverwischbarsten trägt, ist funktionslos geworden. Noch liegt die Bühne erhöht, steigt aber nicht mehr aus einer unermeßlichen Tiefe auf; sie ist Podium geworden. Auf diesem Podium gilt es, sich einzurichten.‘'‘12

Brechts Theorie des epischen Theaters ist entsprechend vor dem Hintergrund des Medienwandels als ein ästhetisches und politisches Projekt zu lesen, dass diesen ״Abgrund“ überwinden will.

1. ״Der Film macht dem Drama das Bett.“ Reflexion auf Medienwandel wie -differenz und die Medialität des Theaters.

״Aber im ganzen ist das Theater so tot, als es nur sein kann“, schreibt Brecht 1926.13 Spätestens Mitte der 1920er-Jahre ist auch ein Grund för die Misere der Schauspielhäuser ausgemacht: ״Der Film macht dem Drama das Bett.“14 Vor allem ab 1926 äußert sich Brecht vermehrt in Artikeln kritisch über die Situation des Theaters: Hatte er vorher vor allem stilistische Fragen aufgeworfen wie etwa in seiner Kritik des Expressionismus Anfang der 20er, so schlägt er jetzt institutionelle Erneuerungen des Theaters vor.15 Statt um fehlende ״gute“ Stücke gehe es um eine grundlegende Umgestaltung der Bühne: ״Wir glauben, daß unseren Stücken das Theater fehlt.“16 Für Brecht war schnell klar, dass sich das Theater auf irgend eine Weise gegen die neue Massenkunst Film behaupten musste, über Nachahmungsversuche schien dies wenig möglich.17 Die technische Entwicklung und künstlerische Selbstständigkeit des Films fährt damit zu einer neuen Selbstfindung und Weiterentwicklung des Theaters.18 Es entsteht damit ein ״Prozess medialer Koevolution, der gleichermaßen durch Attraktion und Distanzierung bestimmt ist [...]“19 Das Theater greift damit einerseits Darstellungsweisen wie Inspirationen der neuen Medien auf und integriert diese in die eigene Form, andererseits reflektiert es auf eine mediale Differenzierung zur ,Konkurrenz‘ und baut die eigenen medialen Möglichkeit aus.20 Brechts ,Medientheorie‘ ist damit nicht ausschließlich in seinen theoretischen Anmerkungen, sondern in seiner künstlerischen Praxis zu suchen.21

Brechts Mitte der 20er-Jahre formulierte Absicht, ein episches und dokumentarisches Theater zu schaffen, zielt daher auf das Medium Film und ist zugleich von diesem beeinflusst.22 Eine Frage ist die nach der Verwendung des Films im Theater, die von den Inszenierungen Piscators, in denen man Filmszenen ״einkomponierte“, angeregt wird und für Brecht dadurch auch ein entscheidender Beitrag für das epische Theater ist.23 Denn mit der Theorie des epischen Theaters möchte Brecht eine bloße Reproduktion der Wirklichkeit überwinden. Insofern sieht er mit Piscators Bühnenemeuerungen, die auf den Einsatz vom Filmszenen, Simultanbühnen usw. setzte, zwar einen guten Weg, ״die Aufführung modemer Stücke oder eine modeme Aufführung älterer Stücke zu ermöglichen.“24 Gleichzeitig sieht Brecht in diesen Innovationen aber nur etwas Provisorisches, da sie zwar die Bühne für den Klassenkampf dienstbar mache, die Form des Theaters aber unberührt lasse. Doch genau dämm geht es Brecht: Eine Revolutioniemng des Theaters.25:

״Dieses Theater ist im Grande ein antirevolutionäres, weil passives, reproduzierendes. Es ist angewiesen auf die pure Reproduktion schon vorhandener, also herrschender Typen, in unserem Sinne also bürgerliche Typen, und muß auf die politische Revolution warten, um die Vorbilder zu bekommen. Es ist die letzte Form des bürgerlich-naturalistischen Theaters.‘26 ‘׳

Statt einer Theaterform, welche die gegebene politische Entwicklung wiedergibt, will Brecht mit seinem ״strategischen Medienwechsel“27 eine neue Form setzen, die in einem dialektischen Wechselverhältnis mit einer politischen Agenda, mit eigenen künstlerischen Mitteln einen ästhetisch­politischen Beitrag leistet.28 Die medientheoretischen Überlegungen sind immer an das spezifische ,Leistungsvermögen‘ der Medien für ästhetische aber auch gesellschaftliche Zwecke gebunden.29

Brecht betrachtet die piscatorsche Ästhetik deswegen kritisch als ,Hybridform‘ eines proletarischen und ״bürgerlich-naturalistischen“ Theaters, insofern in Piscators Inszenierungen die neue mediale Technik dafür eingesetzt wurde, um die Realitätsdarstellung auf der Bühne zu erweitem.30 In Brechts Augen emanzipiert sich der piscatorsche Versuch nicht ausreichend von einem Naturalismus und knüpfte noch zu sehr an einem szenographischen Bühnenillusionismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts an. So orientieren sich etwa die Bühnenbilder des Naturalismus an fotografischer Detailgetreue und Authentizität.31 Eine solche realitätsnahe Abbild-Funktion wurde nun jedoch vom Film eingenommen: Mit der Entwicklung des Tonfilms bis Ende der 1920er-Jahre und der Etablierung konventioneller Erzählschemata wurden die drei Basismedien, Text-, Bild- und Toninhalte, ״miteinander über traditionelle Transformationsregeln verbunden. “32 Im Medium Film drückt sich damit weniger ein neuer Inhalt, sondern ein Trägermedium aus, dass die Grundmedien Bild, Ton und Schrift in einem intermedialen Zusammenhang verbindet, weswegen Brecht auch von ,einer ״Abbauproduktion“ des Films spricht.33

Wenn das Konzept des wagnerschen ,Gesamtkunstwerks‘ als ״negativer Fixpunkt des Brechtschen Denkens“34 und seiner epischen Theaterkonzeption anzusehen ist, so immer auch in einem Zusammenhang retroaktiver Rekontextualisierung durch das Aufkommen des Films. Denn das meist mit Wagners Idee des ,Gesamtkunstwerks‘ verbundene Konzept, alle Künste in einem Werk zu integrieren, kann in der Geschichte des Theaters eher als Regel denn als Ausnahme angesehen werden.35 Wie Hiß darlegt, fallt das synthetische Kunst-Konzept auf der Bühne fast zeitgleich mit der Entstehung des klassischen Kinos zusammen: ״Was wir heute gemeinhin unter Theater verstehen, ist kaum älter als das Kino, kaum älter als hundert Jahre.“36 Elemente einer solchen Ästhetik nehmen Aspekte der Filmindustrie vorweg, sodass sich quasi eine intermediale ,Rückkopplung‘ einstellt: ״Theater als ,Tempel des Traumes‘ propagierend, entwerfen szenische Metaphysiker die Fundamente der modernen ,Traumfabrik‘.“37 Solche Konzepte eines Gesamtkunstwerks können als Erscheinungsform der Modeme betrachtet werden, insofern sie auf ״Dissoziationserfahrungen des modemen Subjekts“ reagieren und eine ״integrative Utopie“ formulieren.38 Brechts Theorie des epischen Theaters ist folglich als eine ,Intervention‘ in einem Diskurs der Moderne einzuordnen, der den ästhetischen Wirkungsraum im massenmedialen Zeitalter auch als politischen Kampf versteht. Das epische Theater soll sich gegen integrative Kunstkonzepte, gegen synthetische, dionysische ,Rausche‘, gegen Ästhetiken des Illusionismus und der Überwältigung stemmen.39 An die Stelle eines ,synthetisch-tautologischen‘ Wirkungsraums soll ein funktional­dialektischer gesetzt werden. Der Film wirft die Problemkonstellation auf und bietet zugleich ,Lösungsvorschläge‘.

Denn angesichts seines Vorhabens, das große epische und dokumentarische Theater zu entwickeln, begrüßt Brecht die ״Fähigkeit“ des Films, ״Dokumente zu sammeln.“40 In der Auseinandersetzung mit dem Theater

Piscators sucht Brecht zunächst noch nach einer adäquaten Weise, das Dokumentarische des Films auf der Bühne einzusetzen.41:

״Die Verwendung des Films als reines Dokument der fotografierten Wirklichkeit, als Gewissen, hat das epische Theater noch zu erproben.‘■‘42

Brecht setzt allerdings, wie er in den Ausführungen zu Mahagonny formuliert, auf eine ״Trennung der Elemente“43 ; Film und Theater, Audiovisionen und Bühne sollen in einem kritischen Wechselverhältnis zueinander stehen, anstatt dass der Film auf der Bühne einer realitätsnahen Mimesis ,dient‘. Erprobt werden soll ein Materialcharakter, der neben anderen Elementen wie Bühne, Text oder Musik eine к ommentarfunkti on einnimmt■ Besonders geeignet bewertet Brecht den Film für ״Konfrontierungen mit der Wirklichkeit.“44 Er spielt damit eine ״revolutionäre Rolle“, wie Brecht formuliert, ״da er als Geist die nackte Wirklichkeit erscheinen läßt, die gute Gottheit der Revolution.“45 In dieser Konstellation aus Szene und ״optischem Chor“ soll dann eine ״deutliche Dialektik geschaffen werden“46:

״Die ,gute Gottheit der Revolution‘, die die Wirklichkeit zur Darstellung bringt und dadurch auf ihre Veränderung zubewegt, soll durch ihr episches Verfahren, den Kommentar, die politische Wirklichkeit durch ,Konfrontierungen‘ ästhetisch verändern.“47

Statt auf ,Einkomponierung‘ setzt Brecht auf ein dialektisch-funktionales Prinzip: Ergänzend sollen die Projektionen ,Einfühlungen‘ vermeiden und den Zuschauer im Sinne eines Kommentars zum Denken anregen.48 Der Film soll also auf ein Montageelement beschränkt bleiben, das heißt auf der Bühne genutzt werden, Zwischen- und Szenentitel wie kurze Sequenzen zu projizieren, was zu einem Theaterkonzept führt, dass die ״Differenz der verschiedenen Darstellungsmedien“ beinhaltet.41 Das epische Theater formuliert damit das radikale Projekt, mit allen Mitteln - ״Darstellung durch den Schauspieler, Bühnentechnik, Dramaturgie, Theatermusik, Filmverwendung usw.“42 - das bestehende Theater zu verändern. So beschreibt Benjamin eine Entsprechung des epischen Theaters mit den modernen technischen Formen. Und auch Brecht begreift das epische Theater als Projekt, dass einer massenmedialen Technifizierung auf medienspezifische Weise entspricht. So schreibt Brecht über Charlie Chaplins Film ״Goldrausch“:

״Natürlich ist der Film heute kein technisches Problem mehr. Er hat genügend Technik, daß man es nicht mehr bemerkt. Das Theater ist heute weit eher eine technische Frage.“43

Der Technik-Begriff des Theaters besteht darin, so Brecht, ״gewisse Vorgänge dem Publikum während einer Dauer von zwei bis drei Stunden in Kontakt zu bringen.“44 Die Modernisierung des Theaters wird somit anhand des Begriffs der Technik erarbeitet. Es ist für ein zeitgemäßes Theater daher notwendig, auf der Höhe technischer Innovationen zu sein, will es auch nach wie vor eine Wirkung auf das Publikum erzielen - die Technik bezeichnet ein stets zu aktualisierendes und an gesellschaftliche Konstellationen anzupassendes Mittel: ״Brechts Theorie des epischen Theaters kann als die Summe seiner technischen Neuerungs Vorschläge für die Bühne bezeichnet werden.“45 Technifizierung bedeutet für Brecht, sich der modemen im ökonomisch-distributiven Komplex verwobenen Apparate zu bedienen und zugleich eine ästhetische, medienspezifische Ausdifferenzierung der Medien der Künste zu vollziehen. Brecht rekurriert damit programmatisch auf das, was die Medienwissenschaft später als ״das künstlerisch-mediale Apriori“46 einordnet - die Erkenntnis, dass Kunst und Technik notwendig, unlösbar miteinander verbunden sind.

[...]


1 Brecht, Bertolt: Journale 1. In: Hecht, Werner/ Knopf, Jan/ Mittenzwei, Werner (Hg.): Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 26. s. 337

2 So hat Seeßlen nicht unrecht, wenn er polemisch pointiert: ״Brecht denken und Film denken in der Geschichte, das ist wie Trauerarbeit. Etwas will da immer Zusammenkommen, und von beiden Seiten aus wird es umso schwieriger, je mehr man sich bemüht.“ (Seeßlen, Georg: Brecht & Film: Vorläufiges Denkspiel. In: Martin, Thomas/ Wizisla, Erdmut: Brecht plus minus Film. Brecht-Tage 2003, Berlin 2003, s. 8-26, hier s. 8)

3 Paech, Joachim: Literatur und Film. Stuttgart/Weimar 1997. s. 126

4 Wöhrle, Dieter: Bertolt Brechts medienästhetische Versuche. Köln 1988, s. 89

5 Eine Übersicht gibt: Kaes, Anton (Hg): Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909-1929. München/ Tübingen 1978

6 Benjamin, Walter: ״Was ist das epische Theater? (1) Eine Studie zu Brecht.“ In: B.W.: Versuche Uber Brecht. Frankfurt 1971, s. 17

7 Lindner, Burkhardt: ״Zu Film und Radio“ (Schriften 1924-1933). In: Knop, Jan (Hg.) Brecht-Handbuch IV. Schriften, Journale, Briefe. Stuttgart u.a. 2003. s. 107-116, hier s. 107

8 Brechts Kommentare sind nicht nur in diesem Zusammenhang als äußerst produktive, selbstständige Reflexionen zu betrachten und nehmen zu seinen eigenen Stücken nicht selten widersprüchliche Positionen ein, dienen also weder einer theoretischen Rechtfertigung der praktischen Theaterarbeit, noch einer bloßen Selbstverständigung, (vgl. : Primavesi, Patrick: Anmerkungen zum Lustspiel ״Mann ist Mann‘■‘, In: BHB Bd. IV, s. 57­65, hier s. 58)

9 Vgl.: Binczek, Natalie/ Pethes, Nicolas: ״Mediengeschichte der Literatur‘׳‘. In: Schanze, Helmut (Hg.): Handbuch der Mediengeschichte, Stuttgart 2001, s. 282-315. hier s. 303

10 Ebd. s. 306 f.

11 van Laak, Lothar: Medien und Medialität des Epischen in Literatur und Film des 20. Jahrhunderts. Bereit Brecht - Uwe Johnson - Lars von Trier. München 2009. s. 186

12 Benjamin, Walter: ״Was ist das epische Theater? (1)“ s. 17

13 Brecht, Bertolt: ״[Das Theater ist tot]“. In: Hecht, Werner u.a. (Hg.): Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Berlin/ Frankfurter a.M u.a. 1993. Bd. 21, s. 133. Nacholfgend wird auf Band und Seitenzahl der GBA verwiesen.

14 Ebd. s. 197

15 Vgl. Oesmann, Astrid: Die Schriften. Einftihmng. In: BHB, s. 1-16, hier s. 3. Auch in den Feuilletons war die Krise der Institution Theater zu dieser Zeit ein Lieblingsthema: Die Krise des Theaters wurde bereits in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik, Mitte der 20er, offensichtlich: Zu den vorhergehenden ökonomischen Gründen wie ein inflationsbedingter Zuschauerrückgang, kamen auch künstlerisch-intellektuelle Ursachen wie ein seichtes Unterhaltungsangebot in den Privattheaters und eine Krise eines ästhetischen Selbstverständnisses in den Schauspielhäusern, die am kulturellen Auftrag festhielten, (vgl Krabiel, Klaus-Dieter: Zum Theater, In: BHB rv, 34-46, 34 f.)

16 Brecht, GBA 21, s. 125

17 Gersch, Wolfgang: ״Film bei Brecht“. Berlin 1975, s. 40. Das ,Konkurrenzmedium‘ verwertet nicht zuletzt auch alte Stoffe: ״Schon der Film verbraucht die Mythen gnadenlos mit seiner filmischen ,Abbauproduktion‘, wie sie Brecht genannt hat.“ (Rusch, G./Schanze, H./ Schwering, G. : Theorien der Neuen Medien. Kino - Radio - Fernsehen - Computer. Paderborn 2007, s. 68).

18 Vgl. van Laak, Medialität des Epischen, s. 163. ״Wenn also Medialität vom Medienwandel her aufgefasst wird, begründet sich von dieser geschichtlichen Prämisse, dass Medien, die ״neu“ sind, immer schon in einen Vorgefundenen und historisch bedingten wie geprägten Medienverbund eintreten und sogleich diesen (und sich selbst) zu verändern beginnen.“ (Ebd. s. 156)

19 Kiihnel, Jürgen: ״Mediengeschichte des Theaters“, In: Schanze (Hg.): Handbuch der Mediengeschichte, Stuttgart 2001, s. 325

20 Ebd., s. 325. Helmut Schanze spricht in diesem Zusammenhang auch vom Medium als ״floating pattem“, was die stetige Veränderung eines Mediums im Verhältnis zu anderen oder die Abhängigkeit des Mediums von gesellschaftlichem Wandel bezeichnet: ״Mit jeder neuen Medienkonstellation entsteht ein neuer, grandlegend veränderter Medienbegriff. Die Dichotomie ,alt‘ versus ,neu‘ verschiebt sich mit den technischen Innovationen.“ (Rusch.G, u.a: Theorien der Neuen Medien, s. 26)

21 Wöhrle, Brechts medienästhetische Versuche, s. 12

22 Vgl. Gersch, s. 147

23 Vgl. Gersch, s. 147 f.

24 GBA21, s. 226

25 Ebd.

26 GBA21, s. 233 f.

27 van Laak, s. 155

28 Genau dies hat Brecht im Expressionismus-Streit während der Exil-Zeit sowie in der Anfangsphase der DDR den Vorwurf eines Formalismus eingebracht.

29 Vgl. van Laak, s. 201.

30 Vgl auch Lindner, In: BHB IV. s. 109

31 Vgl auch Kiihnel, s. 329

32 Rusch/ Schanze/ Schwering, s. 48

33 Ebd.

34 Voigts, Manfred: ״Brechts Theaterkonzeptionen. Entstehung und Entfaltung bis 1931. München 1977, s. 101

35 Vgl. Hiß, Guido: Synthetische Visionen. Theater als Gesamtkunstwerk von 1800 bis 2000. München 2005, s. 7, ״Ästhetische Programme und szenische Realisationsversuche im Zeichen des Gesamten und des Synthetischen entfalten ihre Wirkung in einem weiten Feld theatraler Spielarten, gerade auch jenseits musikalisch geprägter Formen. Befragt man die Zeugnisse der Theatergeschichte mit Blick auf ihre synthetischen Implikationen, tritt ein reiches Material zu Tage.“ (Ebd.)

36 Ebd., s. 123

37 Ebd. s. 9

38 Ebd, s. 7

39 Eine solche ästhetisch-politisch Polarisierung in der Moderne müsste allerdings noch näher analysiert werden: Denn mit den neuen Audiovisionen geht auch verstärkt ein Begriff einer Offenheit des Kunstwerks einher, offene Formen des Dramas nehmen zu. (vgl. Rusch/ Schanze/ Schwering: Neue Medien, s. 109)

40 GBA21, s. 136

41 Vgl auch Gersch, s. 45

42 GBA 21, s 197. Zudem ist der Film für die erkenntnistheoretischen Prämissen des epischen Theaters einzusetzen: ״Im epischen Theater erreicht der Film eine große Bedeutung. Jedoch muß er seinem künstlerischen oder wissenschaftlichen Wesen gemäß angewendet werden, gerade als ob er für sich selber stünde.“ (Ebd. s. 21 Of.)

43 GBA24, s. 79

44 GBA21, s. 212

45 Ebd.

46 Ebd s. 211

47 van Laak, s. 208

48 Vgl auch Gersch, s. 156 f.

49 Vgl auch: Lindner: ״Zu Film und Radio“ (Schriften 1924-1933) In: BHB IV, s. 107­116, hier s. 110

50 GBABd. 21, s. 210

51 GBA21, 135 f.

52 GBA 21, 138 Der Technik-Begriff impliziert zudem, dass der Zuschauer eine ״kühle, forschende, interessierte Haltung“ [GBA 21, s. 275] einnimmt, die dem ,wissenschaftlich-technischem Zeitalter‘ entspricht, (siehe auch Kapitel 2)

53 Sinirlioglu, Abdullah: Benjamin und Brecht. Eine politische Begegnung. Würzburg 2016, s. 43. So erläutert Brecht zur technischen Form-Entsprechung: ״Das, was vom Theater verschiedener Zeiten gleich blieb, war seine Wirkung; aber sie wurde auf immer verschiedene Menschen und in immer verschiedene Weise ausgeübt.“ [GBA 21: s. 17 3 f. ]

54 Rusch/ Schanze/ Schwerig, s. 40

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Details

Title
"Funktionsloser Abgrund?" Film und Massenmedien in Brechts Theorie des epischen Theaters
College
Ruhr-University of Bochum  (Germanistisches Insitut)
Grade
1,0
Author
Year
2016
Pages
34
Catalog Number
V446341
ISBN (eBook)
9783668838123
ISBN (Book)
9783668838130
Language
German
Keywords
funktionsloser, abgrund, film, massenmedien, brechts, theorie, theaters
Quote paper
Benjamin Trilling (Author), 2016, "Funktionsloser Abgrund?" Film und Massenmedien in Brechts Theorie des epischen Theaters, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446341

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