Die Musiktheorie im gymnasialen Musikunterricht


Examensarbeit, 2017

59 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Über Musik sprechen

3. Gehörbildung
3.1. Definitionsversuch
3.2. Begründung und Ziele
3.3. Mögliche Schwierigkeiten
3.4. Bedingungen
3.5. Konzept
3.5.1. Singen
3.5.2. Innere Stimme
3.5.3. Solmisation
3.5.4. Intervall-Zahlen-System
3.6. Fazit

4. Harmonik
4.1. Grundbegriffe
4.2. Harmonische Denkweisen
4.2.1. Generalbasslehre
4.2.2. Fundamentalbasstheorie
4.2.3. Stufentheorie
4.2.4. Funktionstheorie
4.3. Fazit

5. Analyse
5.1. Zum Verhältnis Formenlehre / Analyse
5.2. Begründung und Ziele
5.3. Problemfelder
5.4. Zentrale Aspekte
5.5. Analytische Methoden
5.6. Exemplarische Analyse

6. Methodische und didaktische Überlegungen
6.1. Das Sokratische Prinzip
6.2. Exemplarisches Lernen
6.3. Idee der Integrativen Theorie
6.4. Visualisieren
6.5. Sinnvolle Didaktische Reduktion
6.6. Entwicklung von Repertoire-Kenntnissen

7. Schlusswort

Literaturverzeichnis

Hinweis

Der besseren Lesbarkeit halber werden alle Amts-, Funktions- und Berufsbezeichnungen in diesem Text ausschließlich in der männlichen Sprachform verwendet. Selbstverständlich schließen sie aber immer auch die entsprechenden weiblichen Sprachformen mit ein

1. Einleitung

Das Schulfach Musik hat einen schweren Stand im Fächerkanon am Gymnasium, da es insgesamt als eher unbedeutend gilt. Eine negative Leistung in Mathematik ist für die meisten Eltern und Schüler „schlimmer“ als eine schlechte Note im Fach Musik. Als Nebenfach ist es nicht versetzungsrelevant, was oft dazu führt, dass es als Schulfach nicht ernst genommen wird. Häufig wird die Auffassung vertreten, dass der Musikunterricht als Schulfach unwichtig sei und nur zur Beschäftigung der Schüler dient, wie etwa beim Singen oder Klassenmusizieren.

„Der Musikunterricht unterliegt häufig der Gefahr, entweder einseitig rationale Wissensvermittlung in sein Zentrum zu stellen - oder aber primär auf Aktionismus, Unterhaltung und Erholung abzuzielen.“[1]

Insbesondere die Musiktheorie hat in der Schule einen schlechten Ruf, da die musiktheoretischen Inhalte bei den Schülern zu den unbeliebtesten Unterrichtsthemen gehören. Sie behandeln Aspekte dieses Themas nur sehr ungern und halten es für trockene und graue Theorie.

Es verwundert, dass der Musikunterricht insgesamt nicht sehr beliebt ist, obwohl fast alle Schüler in ihrer Freizeit gerne Musik hören und teilweise auch selbst machen. Als mögliche Gründe für die Problematik werden in der Literatur unter anderem genannt:

„Schwierigkeiten in der Akzeptanz des Faches Musiktheorie im Schul- wie Hochschulalltag beruhen häufig darauf, dass musiktheoretische Begrifflichkeiten sich im Bewusstsein der Schüler und Studenten nur mit einer unzureichenden Wahrnehmung verbinden. Musiktheorie muss jedoch nicht als ausschließlich identifizierendes Lernen vermeintlich normativer Begrifflichkeiten missverstanden werden. Vielmehr erscheint musiktheoretische Beschäftigung dazu angehalten, einen aktiven Nachvollzug überkommener wie neu schöpfender Begriffsbildungen zu ermöglichen. Dies schließt auch die Öffnung für Belange der so genannten Neuen Musik wie der Popularmusik mit ein.“[2]

Auf der anderen Seite ist die Musiktheorie auch bei vielen Lehrern unbeliebt und wird oft soweit wie möglich gemieden. Neben fehlender eigener Affinität zu diesem Bereich der Musk ist dies sicher auch eine Reaktion auf die erlebte Ablehnung durch die Schüler. Es gelingt im Unterricht meist nicht, musiktheoretische Inhalte lebendig und mit Begeisterung zu vermitteln.

Dabei ist Musiktheorie der Schlüssel zum ganzheitlichen Verständnis musikalischer Werke. Ein tiefes musiktheoretisches Wissen bereichert das eigene Erleben und Erfahren von Musik um ein Vielfaches. Es wäre sehr wünschenswert, dass es gelingt, den Schülern die Bedeutung musiktheoretischer Inhalte nahezubringen. Sie sollten ein Verständnis dafür entwickeln, dass dies auch lohnenswerte Unterrichtsgegenstände sind, die sie in ihrem eigenen Erleben von Musik weiterbringen. Mit geeigneten didaktischen Konzepten müsste hier Interesse, Neugier und wenn möglich auch Begeisterung geweckt werden.

An der aktuellen Situation im Musikunterricht muss kritisiert werden, dass dieser zu einseitig und in falscher chronologischer Reihenfolge abläuft und in der Konsequenz darauf abzielt, begriffliche Benennungen zu vermitteln, ohne daran zu arbeiten, dass das, was benannt werden soll, vorher musikalisch verstanden wird. Ein derartiger Unterricht klebt an Begriffen, ohne das Begreifen zu fördern.

„Schüler neigen dazu, Musiktheoretisches als mehr oder weniger sinnvolles Übel hinzunehmen, das nichts zu schaffen hat mit dem musikalisch Eigentlichen. Liegt das an den Schülern - oder an der Selbstdarstellung von Theorie? Tödlich ist es für Theorie, wenn sie sich zu einem abstrakten Apparat verselbständigt.“[3]

Der Theoriebegriff lässt sich nicht aus seiner Gegenüberstellung mit dem Begriff Praxis lösen. Das Verhältnis von Theorie und Praxis erfordert eine differenzierte Betrachtung.

Die Auseinandersetzung mit der Frage einer geeigneten Methodik für die Musiktheorie im Unterricht erfordert natürlich zunächst eine Klärung der Begriffe. Zu Beginn muss die Frage geklärt werden, was Musiktheorie eigentlich ist und wie sie sich einteilen und abgrenzen lässt.

Der Name des Fachs „Musiktheorie“ beinhaltet leider in sich selbst eine gewisse Paradoxie, da an diesem Begriff die Wechselwirkung von Theorie und Praxis nicht sichtbar wird. Die musiktheoretische Beschäftigung darf unter keinen Umständen nur im theoretischen Bereich bleiben, sondern muss auch die klingende Musik mit einschließen. Auch praktische Übungen, die beispielsweise am Klavier gemacht werden, können das Verstehen fördern. Bestenfalls wird das Begreifen dabei im wahrsten Sinne des Wortes stattfinden.

Da Musik immer die beiden Bereiche des Fühlens (Emotio) und des Denkens (Ratio) anspricht, sollte auch der Unterricht in Musiktheorie einen rationalen und emotionalen Zugang ermöglichen. Da bei der Musiktheorie das strukturalistiselle Denken dominiert, muss darauf geachtet werden, dass der Bereich der Emotionen nicht zu kurz kommt. Deshalb sollte die unmittelbare Erfahrung des Spielers und Hörers nicht ausgegrenzt werden. Musiktheorie muss erfahrbar gemacht und mithilfe von guten Hörbeispielen lebendig unterrichtet werden.

Es scheint wichtiger denn je, dass musiktheoretischen Inhalten gegenüber innerhalb des Musikunterrichts eine positivere Einstellung eingenommen wird. Dies gilt nicht nur für Schüler, sondern gleichermaßen auch für Musiklehrer.

Die Schüler sollen lernen, die richtigen Fragen zu stellen, um Musiktheorie als Terminus beschreiben und erklären zu können. Auch das eigene Wissen, warum Musiktheorie notwendig ist, um Musik besser verstehen zu können, sollten sie im Musikunterricht vermittelt bekommen.

Die vorliegende Arbeit soll Chancen und Grenzen der Musiktheorie im gymnasialen Musikunterricht wissenschaftlich erörtern. Anhand einiger zentraler Kernbereiche wird aufgezeigt, wie Musiktheorie im Unterricht gewinnbringend unterrichtet werden kann. Aufgrund der Fülle an Quellen und Fakten kann dabei lediglich auf einige Teilaspekte der Musiktheorie eingegangen werden. Es wurde eine Auswahl getroffen und die Themen in den Vordergrund gerückt, die für die Vermittlung im gymnasialen Musikunterricht von zentraler Bedeutung sind.

2. Uber Musik sprechen

Bei den ersten Überlegungen zur Vermittlung musiktheoretischer Inhalte im Unterrichtsgeschehen, soll auf die Bedeutung der Sprache in diesem Kontext eingegangen werden. Auf die allgemeine Schwierigkeit, Kunst in Worte zu fassen, weist Goethe hin:

„Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen; darum scheint es eine Torheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen. Doch indem wir uns darum bemühen, findet sich für den Verstand so mancher Gewinn, der dem ausübenden Vermögen auch wieder zu Gute kommt.“[4]

Die Sprache ist jedoch nicht nur ein notwendiges Hilfsmittel, um Musik beschreiben zu können, sondern vielmehr das wichtigste Medium im Schulunterricht überhaupt. Aufgrund dieser Tatsache, und der von Goethe genannten Problematik, sollte ihr auch in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Das dies bereits während des Studiums geübt werden muss, betont Clemens Kühn:

„Für Musikpädagogen ist Sprache eines ihrer wichtigsten Instrumente. Schon während des Studiums sollten sie daher, vornehmlich im Theorieunterricht, das Sprechen über Musik üben, mit präziser Terminologie und treffenden Vokabeln.“[5]

Christoph Richter unterscheidet drei Phasen von Sprachgebrauch:[6]

1. Sprache als ein Hilfsmittel und Werkzeug
2. Versuch eigener Formulierungen
3. Hinzunahme der Fachsprache

Clemens Kühn weist darauf hin, dass sich das Denken in Sprache niederschlägt, aber auch umgekehrt die Sprache das Denken beeinflusst.[7]

Aufgrund dieser Wechselwirkung ist die Ausbildung der Sprache auch für das analytische Denken wichtig und sollte daher auch im gymnasialen Musikunterricht gefördert werden. Eine differenzierte und facettenreiche Sprache seitens der Schüler erleichtert auch den Umgang mit musiktheoretischen Inhalten. Ein zentrales Ziel unter dem Aspekt von Sprache ist für den Musikunterricht die Fähigkeit, reflektiert und differenziert über Musik sprechen zu können.

Eine besondere Problematik stellt in diesem Zusammenhang das weite Feld der Begrifflichkeit dar. Hier ergeben sich zahlreiche Fragen: Welche Begriffe sind sinnvoll? Wie sollen Äußerungen über Musik aussehen? Ist Objektivität anzustreben oder sind auch subjektive Äußerungen zulässig? Die Problematik der sachgerechten Verwendung von Begriffen wird an späterer stelle der Arbeit noch genauer erörtert.

Folgende Hinweise sollten bei der Verwendung von Begriffen bedacht werden:

1. Sie ändern im Laufe der Zeit ihren Sinn und Inhalt.
2. Für musikalische Analysen eine allgemein verbindliche Begrifflichkeit durchzusetzen, scheint fast aussichtslos zu sein.
3. Begriffe dürfen nicht zu Etiketten verkümmern.

„Nicht Begriffe mit kurzen Erklärungen und wenig musikalischer Anschauung sollten die Schüler lernen, sondern, so gut es geht, den Reichtum, der sich hinter den Begriffen verbirgt. Mit anderen Worten: der Schlüssel [=Fachbegriff] sollte die Zimmer der musikalischen Vielfalt nicht verschließen, sondern öffnen. Das geht häufig besser mit der individuellen Alltagssprache.“[8]

Eine wichtige praktische Hilfe ist die Selbstreflexion der Musikpädagogen über die eigene Sprache. Christoph Richter empfiehlt:

„gelegentlich in der Arbeit und beim Sprechen oder Schreiben innezuhalten, um sich klar zu machen, in welchem Sinne und in welcher Absicht Sprache und Sprechen verwendet werden und ob dies hilfreich ist. Nützlich ist es auch, bisweilen den Unterricht anzuhalten, um gemeinsam über die Art der Sprache nachzudenken, und zu prüfen, ob sie angemessen und weiterführend war.“[9]

Einfachheit und Farbigkeit sind zwei Aspekte, die für das Sprechen über Musik im Unterricht wichtig sind.

„Häufig ist ein besserer Beweis von Verstehen und Erleben, musikalische Erscheinungen und Dinge mit eigenen Worten beschreiben und erklären zu können als mit den festgelegten Fachausdrücken. Fachausdrücke sind (zudem) vielfach zu allgemein und geben nicht wieder, was das Besondere an einer individuellen Musik ist.“[10]

Es gilt auch zu bedenken, dass gute Formulierungen Zeit benötigen. Diese muss im Unterricht von Lehrerseite aus bewusst eingeräumt werden.

Als Orientierungshilfe bei der Beschreibung von emotionalen Wirkungen eines Musikstücks kann der „Emotionenkompass“[11] dienen. Dieser ist aus den Basisemotionen aufgebaut und kann somit eine erste grobe Einordnung erleichtern.

Bei der Beschreibung von längeren musikalischen Zusammenhängen kann der „Adjetivzirkel“[12] als Hilfsmittel verwendet werden. Bei diesem Kreis-Modell liegen die gegensätzlichen Empfindungsbereiche einander gegenüber und die verwandten Bereiche nebeneinander. Zudem enthält jeder Empfindungsbereich noch einmal in sich eine Anzahl geringfügig verschiedener Adjektive zur weiteren Differenzierung der musikalischen Wirkung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Adjektivzirkel nach Kate Hevner[13]

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Sprache einen wesentlichen Einfluss auf gelingenden Musikunterricht hat. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Musiktheorie. Es ist daher wichtig, sich diese Bedeutung immer wieder bewusst zu machen, die eigene Sprache zu reflektieren und auch die Sprachfähigkeit der Schüler im Fokus zu haben und intensiv zu fördern.

3. Gehörbildung

„Es hört doch jeder nur, was er versteht.“[14]

In diesem Zitat wird das akustische Hören von Worten in einen Bezug zur Erkenntnis gesetzt. Selbstverständlich nehmen wir auch das, was wir nicht verstehen wahr, aber diese Art des Hörens ist unter dem semantischen Aspekt nicht brauchbar, da daraus weder Verständnis noch Information resultiert. Hören und Verstehen sind unterschiedliche Vorgänge, die jedoch im Gehirn verknüpft werden können. Der Goethesche Aphorismus fasst zusammen, dass es bei der Gehörbildung darauf ankommt, diese in einen sinnvollen Kontext zur Musiktheorie zu stellen.

In unserer heutigen Zeit dominiert das Visuelle, was deutlich an den Medien beobachtet werden kann, wenn man sich beispielsweise Werbung ansieht. Zahlreiche Plakate und Werbevideos sprechen in erster Linie den visuellen Sinn an. Dadurch entsteht eine Überbetonung des Auge gegenüber den anderen Sinnen. Im Schnitt werden circa drei Viertel aller Sinneseindrücke über die Augen wahrgenommen, obwohl das Ohr aus physiologischer Sicht das exaktere Organ ist. Es erfüllt als Sinnesorgan gleich mehrere Funktionen: Als Gleichgewichtsorgan unterstützt es die aufrechte Haltung. Als Hörorgan hilft es bei der räumlichen Orientierung. Des Weiteren ist das Gehör für die Kommunikation sowie für die Entwicklung der Stimme notwendig, da es diese kontrolliert und für deren Feinjustierung von entscheidender Bedeutung ist. Neurologisch besteht eine enge Verbindung zwischen den Zentren der Sprachmotorik und der Hörbahn.[15]

Auch der Aspekt, dass der Gehörsinn bereits im Mutterleib ausgebildet wird, zeigt, welch entscheidende Rolle das Gehör bei der Entwicklung der Persönlichkeit spielt.[16] in musikalischer Hinsicht ist das Gehör für Musiker das wichtigste Organ, da es als Schnittstelle zur musikalischen Welt fungiert. Robert Schumann hat in seinen „Musikalischen Haus- und Lebensregeln“ immer wieder die Bedeutung der Gehörbildung bei der musikalischen Ausbildung thematisiert. Besonders deutlich wird dies vor allem zu Beginn, wenn er in der ersten Regel formuliert:

„Die Bildung des Gehörs ist das Wichtigste. Bemühe dich frühzeitig, Tonart und Ton zu erkennen. Die Glocke, die Fensterscheibe, der Kuckuck - forsche nach, welche Töne sie angeben.“[17]

Aber auch in vielen weiteren Regeln beschreibt Schumann die wichtige Funktion des Gehörs und gibt zahlreiche Ratschläge, wie man das musikalische Hören verbessern kann.

Für viele Schüler sind die Erfahrungen mit dem Thema Gehörbildung durchaus kontrovers. Zum Einen werden sie oft mit diesem Thema erst in der Oberstufe konfrontiert und sind damit zu Beginn meist überfordert. Wer noch nie zuvor Themen wie Melodie- und Rhythmusdiktat begegnet ist, muss in der Regel sehr viel nachholen und intensiv üben. Zum Anderen kann aber auch die Erfahrung, das eigene Gehör zu schulen und dabei Fortschritte zu erzielen, positiv erlebt werden und viel Freude bereiten. Auch das Erforschen von unbekannten Klängen kann eine spannende und gewinnbringende Tätigkeit sein. Da das Ohr für jeden Musiker der wichtigste Sinn ist, sollte dessen Schulung zu jeder musikalischen Ausbildung dazugehören, egal in welcher Form diese stattfindet (Instrumentalunterricht, Musikunterricht, Hochschulunterricht).

Wie dieses Training sinnvoll und strukturiert im Musikunterricht gestaltet werden kann, wird in diesem Kapitel anhand von zentralen Aspekten des musikalischen Hörens dargestellt. Dabei soll gezeigt werden, dass die Gehörbildung in einem direkten Bezug zur Musiktheorie steht.

3.1. Definitionsversuch

Gehörbildung ist der Prozess der Schulung des musikalischen Hörens. Diese erste allgemeine Definition bedarf einer weiteren Differenzierung, da Gehörbildung auf viele unterschiedliche Art und Weisen geübt werden kann. Gerade Schüler, die noch keine musikalische Vorbildung auf diesem Gebiet haben, benötigen einen anderen Zugang als nur den traditionellen induktiven Weg.

Hilfreich kann die Einteilung in „passive“ und „aktive“ Gehörbildung sein. Bei ersterer sind die Übungen so gestaltet, dass die Schüler durch konzentriertes Zuhören musikalische Elemente (zum Beispiel Intervalle, Akkorde, Rhythmen oder Melodien) erfassen sollen.

Bei der „aktiven“ Gehörbildung steht das eigene Musizieren im Vordergrund. Durch bewusstes Singen von Skalen und Akkorden wird die Klangvorstellung trainiert. Damit die Übungen auf Dauer nicht langweilig und monoton werden, sollte der Lehrer immer wieder nach neuen Möglichkeiten suchen, wie er das musikalische Hören mit seiner Klasse trainiert. Dabei darf der Kreativität freien Lauf gelassen werden, solange alle wichtigen Bereiche (Melodik, Harmonik und Rhythmik) geübt werden.

Es können zum Beispiel die Grundtöne einer Akkordverbindung gesungen werden oder auch Chorsätze, bei denen die Schüler eine stimme singen, während der Lehrer eine andere am Klavier spielt. Durch dieses eigene Singen wird die Klangvorstellung am effektivsten aufgebaut und nicht nur isolierte Elemente ohne musikalischen Zusammenhang betrachtet.

Aufgrund der ganzheitlichen Wahrnehmung von Musik sollte neben den induktiven Übungen auch immer wieder der deduktive Weg beschritten werden. Dafür sind Höranalysen ein gutes Mittel, die nicht nur für Fortgeschrittene geeignet sind, sondern bereits im Anfangsstadium ihren Platz finden sollte.

Hierzu äußert sich Ulrich Kaiser wie folgt:

„Dem Vorurteil, daß erst nach erfolgreicher Elementargehörbildung - sozusagen als Kür nach der Pflicht - Höranalyse von komplexer Musik möglich sei, muß entgegengehalten werden, daß auch im Anfangs­unterricht schon die höranalytische Beschäftigung mit gichtiger’ Musik sinnvoll ist, wenn die Aufmerksamkeit der studierenden auf so sinnfällige Momente wie Instrumentation und Dynamik gelenkt wird.“[18]

Gerade im musikalischen Zusammenhang entwickeln die gleichen Intervalle oft unterschiedliche Wirkungen. Daher sollten nicht nur einzelne, isolierte, musikalische Elemente trainiert, sondern auch immer wieder Höranalysen mit konkreter Musik in den Unterricht einbezogen werden.

3.2. Begründung und Ziele

Die Frage, ob Gehörbildung im Musikunterricht an Schulen ein fester Bestandteil sein soll, muss unbedingt mit ja beantwortet werden. Manche halten sie für eine Disziplin, die ausschließlich für Experten und somit nur für den Leistungskurs Musik geeignet ist.

Diesem Einwand muss entschieden widersprochen werden, da die Erfahrung der Gehörbildung von grundlegender Bedeutung für die musikalische Ausbildung ist und daher auch keinem Schüler vorenthalten werden darf. Außerdem ist das Gehör das Tor zur Musik, weshalb dessen Schulung selbstverständlich essentieller Bestandteil des Musikunterrichts im Gymnasium ab der Unterstufe sein muss. Insgesamt kann dadurch eine Sensibilisierung und Schulung der Wahrnehmung erreicht werden. Diese Fähigkeiten nützen den Schülern auch in anderen Fächern und Lebensbereichen, zum Beispiel indem sie sich besser konzentrieren können, da dies bei der Gehörbildung mitgeübt wird.

Dietrich Stoverock formuliert als Hauptziel für den Musikunterricht:

„Durch den Gehörbildungsunterricht soll der Schüler befähigt werden, Musik bewußt aufzunehmen, sie zu verstehen und ihre Elemente selbständig anzuwenden.“[19]

Bei diesem Prozess ist besonders darauf zu achten, dass die Verbindung zwischen Klang, Gefühl und Begriff durch regelmäßiges Training gestärkt wird. Die Entwicklung des musikalischen Gehörs als erlebendes, begreifendes und bewertendes Organ steht dabei im Vordergrund.[20]

3.3. Mögliche Schwierigkeiten

In der Schule wird der Musiklehrer beim Unterrichten von Gehörbildung auf verschiedene Probleme stoßen, die in diesem Kapitel näher erläutert werden. Das Hauptproblem ist vor allem der Mangel an Konzentration. Die meisten Schulklassen haben eine sehr große Anzahl von Schülern, sodass es oft schwierig ist, eine ruhige und entspannte Atmosphäre zu schaffen, durch die das konzentrierte Hören erst ermöglicht wird.

Die fehlende Kontinuität zählt sicherlich auch zu den Hauptproblemen, da zum Einen die Übezeit im Unterricht oft fehlt, zum Anderen aber auch so viele verschiedene Möglichkeiten bestehen, wie man Gehörbildung unterrichten kann. Viele Lehrer werden auch viele verschiedene Arten wählen. Gehörbildung nicht zu unterrichten wäre kontraproduktiv und verheerend, denn gerade dieses sensible Gebiet der musikalischen Bildung sollte behutsam gepflegt werden. Der Mangel an gleicher Struktur und Methode erschwert den Schülern Fortschritte, wenn sie einen neuen Musiklehrer bekommen. Nun müssen sie sich umstellen und wenn es ungünstig verläuft, macht der neue Lehrer gar keine Gehörbildung in seinem Unterricht. Dabei ist es gerade bei diesem Thema sehr wichtig,

[...]


[1] Johannes M. Walter: Die Bedeutung der Didaktik Martin Wagenscheins für den Musikunterricht und die Musikpädagogik, S. 8.

[2] Siegmund Helms, Reinhard Schneider, Rudolf Weber (Hrsg.): Lexikon der Musikpädagogik (2005), S. 191.

[3] Clemens Kühn: Musiktheorie unterrichten - Musik vermitteln, S. 78.

[4] Johann Wolfgang Goethe: Maximen und Reflexionen, S. 39.

[5] Clemens Kühn: Analyse lernen, S. 40.

[6] Christoph Richter: Der Musikunterricht gehört den Schülern, S. 120-125.

[7] Clemens Kühn: Analyse lernen, S. 35.

[8] Christoph Richter: Der Musikunterricht gehört den Schülern, S. 118.

[9] Christoph Richter: Der Musikunterricht gehört den Schülern, S. 117.

[10] Ebenda, S. 118.

[11] Norbert Heukäufer: Musikmethodik, S. 152f.

[12] Ebenda, S. 146f.

[13] Schaubild entnommen aus: Norbert Heukäufer: Musikmethodik, S. 147.

[14] Johann Wolfgang Goethe: Maximen und Reflexionen, S. 29.

[15] Manfred Spitzer: Musik Im Kopf, S. 47-76.

[16] Ebenda, S. 139.

[17] Robert Schumann: Musikalische Haus- und Lebensregeln, S. 49.

[18] Ulrich Kaiser: Gehörbildung - Satzlehre, Improvisation, Höranalyse. Grundkurs, S. 212.

12

[19] Dietrich Stoverock: Gehörbildung - Geschichte und Methode, S. 5.

[20] Frank Sikora: Die Neue Jazz-Harmonielehre, S. 370.

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
Die Musiktheorie im gymnasialen Musikunterricht
Hochschule
Hochschule für Musik Karlsruhe
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
59
Katalognummer
V448733
ISBN (eBook)
9783668834354
ISBN (Buch)
9783668834361
Sprache
Deutsch
Schlagworte
musiktheorie, musikunterricht
Arbeit zitieren
Ludger Donath (Autor:in), 2017, Die Musiktheorie im gymnasialen Musikunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/448733

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