Das duale System der Berufsbildung in der Bundesrepublik Deutschland: Symptome und Phänomene einer Krise, neuralgische Punkte und strukturelle Probleme


Hausarbeit, 1999

30 Seiten, Note: Gut (2,0)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Kritik und Ausstieg der Arbeitgeber aus dem dualen System der Berufsausbildung

3. Abstimmungsprobleme zwischen dualem System und Beschäftigungssystem

4. Rekrutierungsprobleme und Abwendung traditioneller Bewerbergruppen

5. Verschärfter Selektions- und Verdrän­gungswettbewerb und Ansteigen der Abbruchquoten

6. Weitere Probleme und Krisenphänomene
6. 1 Benachteiligung von Frauen
6. 2 Organisatorische und materielle Vernachlässigung der Berufsschule
6. 3 Benachteiligungen von AusländerInnen

7. Resümee, Ausblick und Diskussion zur Zukunft der dualen Berufsausbildung

8. Bibliographie

Erklärung zur Hausarbeit

1. Einführung

In einer Berufsgesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland sind das berufliche Bildungswesen und seine Leistungen von zentraler Bedeutung. Es trägt wesentlich zur qualifizierten beruflichen Ausbildung großer Teile der Erwerbsbevölkerung bei, wobei der Ausbildung im dualen System eine überragende Stellung zukommt. Inzwischen und mit steigender Tendenz können mehr als 60% der Erwerbsbevölkerung eine in Betrieb und Berufsschule absolvierte Lehre vorweisen (vgl. Gukenbiehl 1998, S. 94).

Die Berufsschule wird nur wenigen Erwartungen gerecht, welche man an privatwirtschaftlich geführte Institutionen stellen könnte, da zum Beispiel Probleme der Ausbildung in der Berufsschule eher im Betrieb aufgearbeitet werden als umgekehrt.

Die Berufsschule erfüllt damit nicht die (elementare) Aufgabe, die gesamte Ausbildungssituation zu analysieren und zu reflektieren. Obwohl die Berufsschule nicht unmittelbar dem privatwirtschaftlichen Verwertungsprinzip unterworfen ist, wird sie jedoch partiell durch die Vorgabe der Lehr- und Prüfungsinhalte gebunden. Die Berufsschule stimmt jedoch die Ausbildung zwischen Theorie und Praxis, zwischen Schule und Betrieb nicht genug ab (vgl. Holtmann 1979, S. 249).

In den Medien tauchen zahlreiche weitere, z. T. sehr aktuelle Krisenphänome der beruflichen Bildung auf. Häufig ist von einem Lehrstellenmangel, einer Minderqualifizierung der Auszubildenden, von einer Verdrängung der Hauptschüler durch AbiturientInnen die Rede, ohne daß analysiert und reflektiert wird, wie diese Tendenzen und Phänomene im gesamtgesellschaftlichen, aber auch ökonomischen Bild zu skizzieren sind.

Weiterhin scheint das duale System für viele Menschen die beste Antwort auf unterschiedlichste wirtschaftliche, strukturelle und soziale Probleme der Bundesrepublik Deutschland zu sein.

Wenn nun von einer Krise dieses „Vorzeigesystems“ insbesondere im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft gesprochen wird, gerät das Gesamtsystem ins Wanken.

Vielfach wird sodann versucht, das komplexe Problem des Modells Deutschland in einer globalisierten Weltwirtschaft über eine radikale Reformierung der Berufsausbildung auf eine Bildungssystemstrukturreformierung zu reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit dadurch wieder herzustellen.

Indes: Die Notwendigkeit der Reformierung der Strukturen des dualen Systems der Berufsausbildung ist fast unbestritten, der Weg dorthin und der Umfang der Reformen sind jedoch Anlaß etlicher Kontroversen.

Ich werde in dieser Hausarbeit die gravierendsten Krisenpunkte und –phänomene herausstellen, sie kurz bewerten und zum Abschluß einen Ausblick auf die Zukunft des dualen Systems der Berufsausbildung wagen.

2. Kritik und Ausstieg der Arbeitgeber aus dem dualen System der Berufsausbildung

Da in der Bundesrepublik Deutschland die korporatistische Zusammenarbeit in der Berufsbildung und in der Berufsbildungspolitik zwischen Staat, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden eine lange Tradition hat, sind vor dem historischen und europäischen Hintergrund die Vorstellungen der Sozialpartner über die Steuerung der Berufsbildung von besonderer Bedeutung (vgl. Kaiser et al. 1997, S. 65).

Nun hat die Industrie die Zahl ihrer Ausbildungsplätze in den letzten fünf Jahren um gut 20 Prozent verringert, so daß das duale System der Berufsausbildung hierdurch ernstlich in Gefahr gerät, zu einer qualifikatorischen Restgröße – ähnlich der Hauptschule – zu verkommen (vgl. Glotz 1999; Greinert 1995b, S. 136).

Dieser Rückgang des Angebotes an Ausbildungsstellen hat darüber hinaus die bestehenden Ungleichgewichte in regionaler und branchenbezogener Hinsicht gravierend verschärft. Der in der Gesamtbilanz ausgewiesene Überhang ist in mehreren Arbeitsamtsbezirken nicht mehr gegeben (vgl. Jost 1995, S. 73)[1].

Die direkte staatliche Einflußnahme auf die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen ist in den 80er Jahren in Westdeutschland nach dem gescheiterten Versuch mit dem „Ausbildungsplatzförderungsgesetz“ sehr gering geblieben, da der Anteil der Ausbildungskapazitäten im öffentlichen Dienst mit 4 % (1986) gegenüber der privaten Wirtschaft kaum ins Gewicht fiel (vgl. Weishaupt et al. 1988, S. 65).

Dies hat sich in den letzten Jahren hingegen entscheidend modifiziert. Nun sind mehr als sechzig (!) Prozent aller Lehrstellen inzwischen bundesweit ganz oder teilweise, direkt oder indirekt von der öffentlichen Hand finanziert[2]. Manche Politiker – so zum Beispiel die baden-württembergische Kultusministerin Schavan – warnen bereits von einer »schleichenden Verstaatlichung der beruflichen Bildung« (vgl. FAZ 19.07.99).

Auf diese Art würden viele Jugendliche an der gesellschaftlichen Integration vorbei, über den volkswirtschaftlichen Bedarf hinaus und nicht für die wirklichen Erfordernisse der Arbeitswelt ausgebildet (vgl. ebd.; Wetzel 1999).

Neben der öffentlichen Hand sorgt auch das Handwerk dafür, daß die Lücke an Ausbildungsplätzen nicht allzu groß wird. Es bildet traditionell, aber vor allem in konjunkturell bedingten Krisen über Bedarf des Ausbildungsplatzmarktes aus[3]. Ein Rückgang von Ausbildungsplätzen im Bereich von Industrie und Handel wurde in der Vergangenheit periodisch durch ein vermehrtes Angebot von Ausbildungsplätzen im Handwerk aufgefangen (vgl. Jost 1995, S. 69)[4].

Mehrere Gründe können für den sukzessiven Ausstieg der Arbeitgeber aus der beruflichen Bildung im sekundären und tertiären Sektor des Beschäftigungssystems, in Industrie und Handel benannt werden.

Die Kosten:

In den alten Ländern waren für 38 % der Betriebe die Kosten der Ausbildung ausschlaggebend dafür, sich trotz gegebener Voraussetzungen nicht an der Ausbildung zu beteiligen (vgl. bmb+f 1999a, S. 133). Der hohe Anspruch der beruflichen Ausbildung führt insbesondere in qualifizierten Berufen im Gewerbe- und Dienstleistungsbereich zu hohen Kosten. Die dadurch bedingten geringen Ausbildungszahlen in diesen Berufen führen bei einer hohen bis sehr hohen Nachfrage zu sehr guten Berufschancen und für ein nicht ausbildendes Kleinunternehmen der sog. Informationstechnologie-Branche (oder kurz: IT-Branche) kurzfristig gesehen zu einem ausgeprägten Mangel an qualifiziertem Personal (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994, S. 626 - 633).

Bürokratische Hürden:

Für 29 % der Betriebe in den alten Ländern war die Ausbildung allgemein mit zu vielen (bürokratischen und organisatorischen) Problemen behaftet (vgl. bmb+f 1999a, S. 133)[5].

Konjunktureller Hintergrund:

22 % der Betriebe in den alten Ländern gaben an, daß für sie die fehlenden Übernahmemöglichkeiten der Auszubildenden entscheidend für die Nichteinstellung seien. Für Betriebe in der Größenklasse von Kleinstbetrieben spielen diese Probleme eine autoritative Rolle. Mit der Ausbildung verbundene bürokratische oder organisatorische Schwierigkeiten träten hinzu (vgl. bmb+f 1999a, S. 133; S. 136).

Eignung der BewerberInnen:

Nur 14 % der Betriebe in den alten Ländern erklärten, daß der Mangel an geeigneten Bewerbern ursächlich dafür sei, daß sie keine Auszubildenden einstellten. Dieser Grund war für die Entscheidung somit von signifikant nachrangiger Bedeutung (vgl. bmb+f 1999a, S. 133).

Umbau der Industriegesellschaft:

Industrielle Produktionstätigkeiten verlieren quantitativ wie qualitativ an Bedeutung. Ihr Arbeitsvolumen schrumpft in Westdeutschland seit den 60er Jahren (sog. Deindustrialisierung). Primäre Dienstleistungsarbeiten stagnieren auf niedrigem Niveau, hingegen werden für die sog. sekundären Dienstleistungstätigkeiten starke Beschäftigungsgewinne erwartet. Den Hintergrund dieser Entwicklung bilden globale Wettbewerbszwänge und Rationalisierungsschübe auf der Basis der Entwicklung, Implementierung und Applikation neuer Kommunikations- und Informationstechniken, welche sowohl Veränderungen der Tätigkeit als auch der Organisation von Arbeit erzwingen und gänzlich neue Berufe und Berufsgruppen in diesem Sektor entstehen lassen (vgl. Gauer/Scriba 1998, S. 83 – 87; Greinert 1995b, S. 143; Greinert 1995a, S. 168).

Struktur und Organisation der Ausbildung:

Vor allem von den Unternehmensverbänden wird angeführt, daß die Auszubildenden zu lange in den Berufsschulen verblieben. Bei der darauf bezogenen Diskussion würde nicht berücksichtigt, daß der Bedarf an theoretischer Ausbildung begrenzt sei und die Berufsausbildung heutzutage nur noch eine fundierte Grund- oder Erstausbildung darstelle. Sie würde und müsse von innerbetrieblichen Fort- und Weiterbildungen und vom eigeninitiierten lebenslangen Lernen fortgesetzt werden (vgl. Hesse/Ellwein 1997, S. 62).

Abstimmungsprobleme:

Der Ausstieg der Arbeitgeber wird insbesondere durch Schwierigkeiten in der Abstimmung des dualen Systems der Berufsausbildung mit dem Beschäftigungssystem verschärft. Durch Revidierungen und Modifizierungen der Ausbildungsrichtlinien konnte in diesem Bereich jedoch eine Milderung der Umstände erreicht werden. Hierzu möchte ich im Kapitel 3 detaillierter eingehen.

3. Abstimmungsprobleme zwischen dualem System und Beschäftigungssystem

Es läßt sich nicht hinwegdiskutieren, daß dem Berufsbildungssystem der Bundesrepublik eine erhebliche „Fehlsteuerungstendenz“ innewohnt (vgl. Greinert 1992, S. 84).

Die Präponderanz von häufig qualitativ weniger befriedigenden handwerklichen Ausbildungsplätzen bringt nicht allein ein erhebliches Qualitätsgefälle zwischen den verschiedenen Ausbildungsberufen und –betrieben mit sich, sondern bedeutet auch für viele Jugendliche den vorprogrammierten Berufswechsel, eine weitgehende Entwertung ihrer Ausbildung für den Zeitpunkt unmittelbar nach Abschluß der Berufsausbildung und stellt darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt einer finanz-, status- und zukunftsorientierten Ausbildung eine ausgesprochene Fehlqualifikation dar. Wegen der regional unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur kommt es zu einem Qualitäts- und Angebotsgefälle zwischen den Regionen, zwischen Stadt und Land, zwischen Groß- und Kleinbetrieben. Das Recht auf freie Berufswahl und eine Orientierung der Berufswahl an den Bedürfnissen und Interessen der Schulabgänger an Eignung und Neigung kann somit vielfach nicht sichergestellt werden (vgl. Baethge 1977, S. 354 f.).

Es besteht unbestritten eine Ametrie der Berufsstrukturen in der Ausbildung und im Beschäftigungswesen, d. h. es wird nicht primär für den Arbeitsmarkt ausgebildet, sondern eher dafür gesorgt, daß Jugendliche kurzfristig nicht ausbildungs- und arbeitslos werden. So wird am Arbeitsmarkt vorbei qualifiziert. Es gibt z. B. viel zu viel ausgebildete Handwerker und viel zu wenig qualifizierte Softwareentwickler und Informationstechniker (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994, S. 626 - 633)[6].

Die privatwirtschaftliche Verfassung des dualen Systems bedingt, daß die Allokation von Jugendlichen auf Ausbildungsplätze Marktgesetzen folgt. Dies führt zu einer strukturellen Fehlsteuerung in der Berufsausbildung. Als Grund für diese unerwünschte Fehlstrukturierung des Ausbildungspotentials wird von fachkundiger Seite die einzelbetriebliche Finanzierung der Berufsausbildung angegeben. Weil v. a. die Klein- und Mittelbetriebe Netto-Erträge im Rahmen der Berufsausbildung erwirtschaften können, bilden sie weit über Bedarf hinaus aus. Die Großbetriebe und andere qualifizierte Anbieter dagegen bilden wegen der hohen Ausbildungskosten nur soviel aus, wie es ihr Bedarf verlangt (vgl. Greinert 1993, S. 157)[7].

Die Sachverständigenkommission „Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung“ hat bereits 1974 die grundlegenden Strukturmängel dieses Finanzierungssystems kritisiert und folgende Thesen aufgeführt:

- These der Wettbewerbsverzerrung: Zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben besteht keine ökonomische Startgleichheit, weil die Ausbildungserträge der Auszubildenden später im Falle der Abwerbung von Facharbeitern durch nichtausbildende Betriebe nicht mehr den Ausbildungsbetrieben zugute kämen.
- These der Unterinvestition: Die gegebene Belastung von Ausbildungsbetrieben und die Belohnung von nichtausbildenden Unternehmen führten zu einem verringerten Ausbildungsengagement der Wirtschaft.
- These der Berufsfehllenkung: Aufgrund der Netto-Erträge der Ausbildung wird über den tatsächlichen Nachwuchsbedarf der Sektoren und Branchen hinaus ausgebildet, so daß Berufs- und Branchenwechsel häufiger stattfänden als es nach dem Tempo des Strukturwandels und den Zyklen der Konjunktur erforderlich wäre.
- These der Konjunkturabhängigkeit: Durch die Orientierung der Ausbildungsbetriebe an den Kosten folgt die betriebliche Ausbildung den ökonomischen Zyklen (vgl. Greinert 1995a, S. 157).

Eine tiefsitzende und langjährig bekannte Schwierigkeit der Berufsschulen liegt in der unzureichenden Abstimmung zwischen theoretischen und praktischen Qualifizierungsprozessen. Die fachbezogenen, gesellschafts- und wirtschaftskundigen Themen müssen einen plausiblen, nachvollziehbaren Bezug zu der Ausbildung in der Lehrwerkstatt und industriellen Produktion besitzen. Anleihen zu einem aufschließenden und verbindenden Verständnis finden sich in den Versuchen zur Integration allgemeiner und beruflicher Bildung sowie in technikhistorischen Ansätzen wieder (vgl. Ziefuß 1987, S. 268).

Darüber hinaus besteht ein Mißverhältnis von Beschäftigungs- und Ausbildungsstruktur, welches dazu führt, daß ausgebildete und qualifizierte Arbeiter und Angestellte als Angelernte oder Ungelernte arbeiten und bezahlt werden (müssen), da sie sonst arbeitslos würden (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994, S. 626 - 633).

In den meisten berufsbildenden Schulen verwehrt die Konzentration auf berufliches Spezial- und Faktenwissen dem größten Teil der Jugendlichen die Aneignung und Stärkung wichtiger Kompetenzbereiche für berufliche und private Lebenszusammenhänge. Eine zukunftsgerechte Sekundarstufe II sollte dagegen Jugendliche mit kommunikativen, sozialen und methodischen Kompetenzen (sog. Schlüsselqualifikationen[8]) in Verbindung mit der Vermittlung von fachlichem Faktenwissen ausstatten, um Lösungsprozeßdenken, Analysierungen komplexer Zusammenhänge und Bearbeitungen von Sachproblemen in Arbeitsgruppen zu ermöglichen. Ein Wechsel des Bildungsparadigmas von der regionalen zur globalen Orientierung, vom linearen zum vernetzten Denken, von der partiellen Orientierung auf einzelne Faktoren zur strukturellen Orientierung, welche Zusammenhänge thematisiert und den Wechsel von der Zweck- zur Wertrationalität erzwingt, würde die Jugendlichen für die raschen Veränderungen der Anforderungen im modernen Arbeitsleben besser vorbereiten (vgl. Glotz 24.07.99). Eine stärkere Individualisierung des Unterrichts sollte durch die Einrichtung, Bildung und Etablierung eigenständiger Lerngruppen und die Herausbildung von Organisationsformen wie Gruppenarbeit, Lerninselmodelle, Qualitätszirkel, Projektarbeit, Lernwerkstatt und Werkstattzirkel angestrebt werden (vgl. Gauer/Scriba 1998, S. 161 f.; Schade 1994, S. 8; Mehrer 1993, S. 132; Dehnbostel 1992, S. 9 ff.; Arnold et al. 1993, S. 249)[9].

Mittelfristig gesehen wird die Zahl der Auszubildenden in den nächsten Jahren aufgrund der demographischen Entwicklung abnehmen. Bei persistierendem Trend zu höherer Schulbildung schmälert dies die (klassische) Rekrutierungsbasis für das duale System, so daß (mittel- und langfristig gesehen) ein Fachkräftemangel in der deutschen Industrie v. a. im unteren und mittleren Qualifikationsbereich zu erwarten sein wird. Diesen Mißstand über die Nachqualifizierung von Ungelernten oder Fehlqualifizierten über das duale System zu beheben oder zu begrenzen, ist schwierig, weil dies im Berufsbildungsgesetz nicht vorgesehen ist (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994, S. 626 - 633). Hierzu bedarf es weiterer finanzieller sowie organisatorischer Sofort- und Sonderprogramme der Bundesregierung und der Arbeitsämter.

Die Verantwortung für die Mißverhältnisse liegt jedoch nicht allein beim Staat. Die Wirtschaft selbst hat eine spezifische Verantwortung für ein ausreichendes Lehrstellenangebot. Um den Unternehmen die Last dieser Verantwortung zu erleichtern, wurde bereits der Berufsschulunterricht gestrafft, das Jugendarbeitsschutz-Gesetz gelockert und die Eignungsverordnung für Ausbilder entschärft. Eine Vielzahl neuer Berufsbilder v. a. im IT- und Medienbereich wurde kreiert. Zudem erklärten sich immer mehr Betriebsräte bereit, in notleidenden Branchen eine untertarifliche Bezahlung von Auszubildenden zu akzeptieren, um die Anzahl der Ausbildungsplätze zu halten resp. zu erhöhen. Die Arbeitgeber können somit immer weniger auf die Kosten der Ausbildung hinweisen. Lediglich die Abstimmung zwischen theoretischer und fachpraktischer Ausbildung muß organisatorisch über bundesgesetzliche Richtlinien im Rahmen des Berufsbildungsgesetzes stark verbessert werden (vgl. Wetzel 1999).

4. Rekrutierungsprobleme und die Abwendung traditioneller Bewerbergruppen

Schon seit mehreren Jahren wird bei der Ausbildungsstellensuche eine zunehmende Verdrängung von Hauptschülern durch Abiturienten beschrieben. Neu an diesem Problem ist die zunehmende Brisanz und die zunehmende Chancenlosigkeit von Hauptschülern und Jugendlichen ohne Schulabschluß, für die in früheren Zeiten eine Berufsausbildung häufig die einzige Möglichkeit zur Integration in das Berufsleben und somit auch in die Gesellschaft darstellte (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994, S. 626 – 633; Hegelheimer 1977, S. 19).

Das duale System der Berufsausbildung erreichte den Höhepunkt seiner Aufnahmefähigkeit Mitte der 80er Jahre, seitdem sinken Neueintritte und Absolventenzahlen in großem Ausmaß. Aufgrund der demographischen Entwicklung ließ der Druck der geburtenstarken Jahrgänge nach 1986 erheblich nach (vgl. bmb+f 1999b, S. 31). Das duale System muß sich auf abnehmende Bewerberzahlen und das Beschäftigungssystem auf ein geringer werdendes Potential ausgebildeter Fachkräfte einstellen. Diese Situation wird sich indes langfristig noch zuspitzen, da der Konsolidierungsphase nach der Jahrtausendwende ein Rückgang der Altersgruppe der 16- bis unter 19jährigen folgen wird, welcher den der 80er Jahre aller Voraussicht noch erheblich übertreffen wird (vgl. Greinert 1995b, S. 143 f.).

Kamen 1970 noch nahezu 80% der Auszubildenden aus der Hauptschule, so hat sich im Verlauf der folgenden 20 Jahre ihr prozentualer Anteil bedingt durch die abnehmende Bedeutung der Hauptschule im Bildungssystem halbiert. Entsprechend den Bildungsverläufen im allgemeinbildenden Schulsystem hat der Anteil der Auszubildenden mit Mittlerer Reife bzw. Fachhoch- und Hochschulreife zugenommen. Es ist im Verlauf dieser Entwicklung zu einer ungleichen Verteilung der Bildungsabschlüsse auf die Ausbildungsbereiche gekommen. Das Handwerk ist zur Domäne der Hauptschulabsolventen geworden resp. präferierter Ausbildungsbereich dieser Gruppe geblieben. Gegenwärtig beträgt der Anteil der Hauptschüler an den Auszubildenden in den Handwerksberufen 60% (vgl. Jost 1995, S. 75).

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden stieg die Anzahl der Auszubildenden mit Hochschulreife im Jahr 1998 gegenüber dem Vorjahr um 4,1%, so daß insgesamt nunmehr jeder sechste Auszubildende eine allgemeine Hochschulreife vorweisen kann (vgl. RP 13.07.1999)[10].

Ein allgemeiner Bildungswettlauf um privilegien- und prestigeträchtige Zertifikate, welche bei uns allem Anschein nach lediglich Gymnasien und Hochschule verleihen können, führen zur zunehmenden Tendenz, soziale Ungleichheit vornehmlich über Bildungsabschlüsse allgemeinbildender Schulen zu erzeugen und zu legitimieren (vgl. Greinert 1995a, S. 165; Glotz 1999)[11].

Während im Jahr 1982 auf 100 Hochschulabsolventen 473 Absolventen der dualen Berufsausbildung kamen, waren es 10 Jahre später nur noch 255. Der Trendwechsel im Bildungswesen, welcher durch diese Zahlen signalisiert wird, wurde 1990 in der Öffentlichkeit erstmals verbreitet registriert und diskutiert, als die Zahl der Studierenden an Hoch- und Fachhochschulen die Zahl der Auszubildenden im dualen System erstmals übertraf (vgl. Greinert 1995b, S. 136 f.)[12].

Ob die verstärkte Präferierung staatlicher Vollzeitbildungsformen der erkennbaren Bedarfsentwicklung im Beschäftigungssystem entspricht, muß stark bezweifelt werden. Fest steht indes, daß diese Tendenz nach weitgehend rationalen Kriterien verläuft: Hochschulabsolventen haben bislang eine deutlich höhere Einkommenserwartung als Absolventen des dualen Systems. Sie unterliegen bisher erheblich geringeren Beschäftigungsrisiken, haben i. d. R. keine hohen Berufswechslerquoten und schneiden hinsichtlich der Zufriedenheit im Beruf wesentlich günstiger ab. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß die Weiterbildungs-, Aufstiegs- und somit auch Verdienstchancen sich weit besser darstellen als die der Klientel dualer Ausbildungen (vgl. Greinert 1995b, S. 136 f.)[13].

Der Aufwertung der beruflichen Bildung kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, da ihre Reputation in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen hat (vgl. Asendorf-Krings et al. 1975, S. 180; Hochstetter 1974, S. 14). Die in den letzten Jahren erfolgte partielle Gleichstellung von allgemeiner und beruflicher Bildung ist insofern zu begrüßen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß dadurch das Abitur noch weiter entwertet wird. So ergibt sich das Paradoxon, daß Bildungszertifikate einerseits zunehmend an Bedeutung verlieren, andererseits aber immer notwendiger werden. Der Besuch einer (Fach-) Hochschule erweist sich als conditio sine qua non, ohne daß sich damit eine Aussicht auf einen höherwertigen Arbeitsplatz verknüpft. Die Konsequenz hieraus ist, daß immer mehr Hochschulabsolventen „niedrig“ qualifizierte Arbeitsplätze besetzen, da der Bedarf an hochqualifiziertem Personal v. a. im sozialen und geisteswissenschaftlichen Bereich stark beschränkt und zur Zeit auch rückläufig ist. Dies ist ein zusätzlicher Grund, warum im dualen Bildungssystem qualifizierte Arbeitnehmer bei der (Mit-) Bewerbung um Arbeitsplätze zunehmend zurückgedrängt werden (vgl. Hesse/Ellwein 1997, S. 62).

5. Verschärfter Selektions- und Verdrängungswettbewerb und das Ansteigen der Abbruchquoten

Die verschärfte Selektion und der Verdrängungswettbewerb innerhalb des dualen Systems sind weitere Symptome der Krise der beruflichen Ausbildung. Dieses Anzeichen wird eher vermittelt wahrgenommen, z. B. über die steigenden Abbruchquoten, markiert indes eine entscheidende negative Tendenz. In dem Maße, wie das duale System seine eindeutige Qualifizierungsfunktion für begabte Volks- und Hauptschulabsolventen verlor, stiegen auch die internen Selektionsprozesse (vgl. Greinert 1995b, S. 137 f.).

Heute besetzen Abiturienten vorzugsweise die anspruchsvollen Ausbildungsplätze des kaufmännischen Bereichs und des Dienstleistungssektors. Die Kapazitäten, welche von ihnen nicht genutzt werden, beanspruchen die Realschulabsolventen. Hauptschulabsolventen besetzen vornehmlich Produktionsberufe in Industrie und Handwerk[14], während Sonderschüler, Schulabbrecher und sonstige soziale „Randgruppen“ wie Behinderte oder AusländerInnen sich mit den „unattraktiven“ Handwerks- und Dienstleistungsberufen bzw. deren Ausbildungsstellen begnügen müssen (vgl. bmb+f 1999d, S. 11 ff.). Derartig eingeschränkte Berufswahlmöglichkeiten führen zu Fehlorientierung und Frustration. Sichtbar wird dies am Anstieg der Abbruchquoten. Inzwischen bricht fast jeder vierte Ausbildungsanfänger seine Ausbildung ab. Die Abbruchquoten im Handwerk liegen dabei deutlich über dem Durchschnitt (vgl. Greinert 1995b, S. 137 f.).

Das ungünstige Zusammentreffen demographisch bedingter großer Absolventenjahrgänge aus den allgemeinbildenden Schulen und konjunkturell oder strukturell bedingten geringeren Ausbildungsplatzangeboten läßt einen Verdrängungswettbewerb zu Lasten von Jugendlichen mit niedrigerem oder ohne Schulabschluß entstehen. Dies ist eine Ausgangslage, in der selbst der häufiger gewordene mittlere Abschluß zu einer zwar notwendigen, aber nicht hinreichenden Voraussetzung wird für das Erreichen eines Ausbildungsplatzes im Wunschberuf (vgl. Gukenbiehl 1998, S. 96).

Eine solche Situation läßt die Zahl derer wachsen, die direkt einen Einstieg ins Erwerbsleben versuchen, nach einem „Ausbildungskompromiß“ die Lehre abbrechen oder ohne abgeschlossene Berufsausbildung bleiben. Anfang der 90er Jahre waren dies immerhin 1,5 Mio. Erwachsene, darunter auch 14% der 20- bis 25jährigen, welche deshalb einem deutlich höheren und künftig weiter wachsenden Arbeitsplatz- und Arbeitslosigkeitsrisiko ausgesetzt sind (vgl. ebd.)[15].

Die moderne Berufsausbildung führt speziell im sekundären Dienstleistungsbereich konsequenterweise zu einer spezifischen sozialen Selektion. Durch die Anhebung des Niveaus der Ausbildung und die höheren Ansprüche an die intellektuellen Fähigkeiten, kognitive Flexibilität und Aufnahmefähigkeit, Selbständigkeit und Eigeninitiative[16] werden insbesondere in anspruchsvollen Berufen Hauptschüler, in letzter Zeit vermehrt auch Jugendliche mit Mittlerer Reife und ausländische Jugendliche mit Sprachdefiziten ausgegrenzt (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994, S. 626 - 633).

Noch problematischer hat sich die Lage entwickelt bei Sonderschülern, Personen mit psychischen, psychiatrischen oder/und somatischen Handicaps, Jugendliche ohne Schulabschluß und mit Sprach- und Bildungsdefiziten, Mißerfolgskarrieren und aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Diese sind vollständig dependent von zusätzlichen Integrationshilfen und Förderungsinstrumenten des Staates.

Für diese Zielgruppe ist mehrfach vorgeschlagen worden, „B-Klassen“ oder verkürzte, weniger theorielastige Kurse anzubieten resp. einzuführen. Diesen Vorschläge standen jedoch v. a. Probleme der Übernahme und die dadurch bedingten hohen Arbeitslosigkeitsraten dieser „Minderqualifizierten“ entgegen (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994, S. 626 - 633)[17].

Anstatt Einfacharbeitsplätze zu etablieren und den Niedergang des Gesellen- und Meisterberufes zu beklagen, müssen hier Reserven der Qualifizierung und (Aus-) Bildung ausgeschöpft werden, um die drohende Facharbeiterlücke zu schließen.

Ein erzwungener Berufswechsel bedeutet für viele Auszubildenden eine Entwertung ihrer Ausbildung, einen Bruch in der beruflichen Entwicklung und eine Verunsicherung in der Berufsperspektive. Die verschärfte Selektion in der Ausbildung bei gleichzeitigem Fehlen adäquater Alternativen wirken sich negativ auf das Klima in der Ausbildung aus. Demotivation und Resignation, Aggression, Anpassungsstörungen und kompetitives Verhalten verschärfen die Situation für die Auszubildenden, den Arbeitgeber und die Berufsschule (vgl. Seppelfeld et al. 1986, S. 95).

In der Berufsschule treten Schwierigkeiten insbesondere in handwerklichen Ausbildungsberufen durch die Zunahme extrem schwacher und unmotivierte Schüler auf. Eine geringe Motivation der Schüler äußert sich zum einen durch häufiges Versäumen des Unterrichtes und zum anderen durch mangelndes Interesse und geringer Partizipation am schulischen Lernen. Hier gilt es, verstärkt individuelle Förderungshilfen anzubieten, um diese Jugendlichen in ihren Problembereichen nicht allein zu lassen. Darüber hinaus sind insbesondere bei schwach motivierten Auszubildenden straffe Regelungen und deren Kontrolle zur Absolvierung der Ausbildung unbedingt erforderlich (vgl. Kornblum 1984, S. 89; Arnold et al. 1993, S. 250).

Für leistungsstärkere und (hoch-) begabte Jugendliche sollte die duale Berufsausbildung als Alternative zu Abitur und Studium durch selbstentwickelte, anspruchsvolle und zusätzliche Qualifikationen, interindividuell differenzierte Verkürzungsmöglichkeiten der Ausbildungszeiten, flexible Kern-Kurs-Systeme mit Leistungs- und Interessendifferenzierungsmöglichkeiten und Angebote zur innerbetrieblichen und berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung angereichert werden, um die Ausbildung in den Betrieben, Praxen und Verwaltungen insbesondere für dieses Klientel attraktiver als bisher zu gestalten (vgl. Mohr 1991, S. 38 f.; Gauer/Scriba 1998, S. 162; vgl. bmb+f 1998, S. 4).

[...]


[1] Die augenblickliche Tendenz läßt - wenn auch regional höchst unterschiedlich - Hoffnung aufkommen: 1997 blieben in NRW mit 7320 Lehrstellen zwar deutlich weniger als in den Jahren zuvor, aber dennoch sehr viele unbesetzt. 10 405 Bewerber blieben ohne Lehrstelle (vgl. MWTV 1997, S. 26 ff.). Im gesamten Bundesgebiet blieben 47399 Bewerber unvermittelt (vgl. bmb+f 1999c, S. 127). 1999 ist die Meldung von Ausbildungsplätzen in NRW um 6,7% gegenüber 1998 gestiegen. 114947 Ausbildungsplätzen ständen 137 573 gemeldeten Bewerbern gegenüber (vgl. Michels 1999). Im gesamten westlichen Bundesgebiet (den „alten Ländern“) ist die Anzahl der neuen Ausbildungsverträge 1998 von einem stabilen, aber niedrigen Niveau aus um 21.748 gewachsen. Mit 483.576 neuen Ausbildungsverträgen wurde das Vorjahresergebnis um 4,7 % übertroffen (vgl. bmb+f 1999a, S. 4). Im ersten Halbjahr 1999 betrug die Steigerung 4,1% gegenüber dem Vorjahr (vgl. Michels 1999).

[2] Diese Differenz läßt sich durch das unterschiedliche Angebot des Staates in Form von Berufsakademien, Berufsfachschulen, Kollegschulen, Schulen des Gesundheitswesens, Berufsaufbauschulen oder Berufsoberschulen, aber auch in der unterschiedlichen Bewertung der Unterstützung durch die öffentliche Hand erklären, je nachdem zu welchem Ausbildungsträger die Betriebe gezählt werden. Auch muß der Abbau der Ausbildungsplätze im produzierenden Industriebereich und die staatliche Aufbauhilfe – v. a. im Ausbildungssektor – in Ostdeutschland berücksichtigt werden (vgl. bmb+f 1999c, S. 42 f.).

[3] Zur Zeit sind im Handwerk 632.000 Auszubildende angestellt (vgl. BMWi 1999, S. 30).

[4] Diese Phänomen wird auch als „Schwammfunktion“ benannt.

[5] In diesem Bereich wurde von der Bundesregierung bereits manches getan, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren (s. S. 7).

[6] Die Ausbildung von 70 Prozent aller Jugendlicher konzentriert sich auf nur 20 Berufe. Hier ist einerseits von der Wirtschaft noch viel Aufklärungsarbeit bei den ausbildungswilligen Jugendlichen zu leisten, und andererseits müssen Richtlinien für neue Ausbildungsberufe in Zukunftsbranchen (wie Medien, Software & Kommunikation) entwickelt werden (vgl. FAZ 19.07.1999).

[7] Nach der Erhebung des BIBB wurden 38 % aller deutschen Erwerbstätigen in Betrieben mit weniger als 10 Mitarbeitern ausgebildet. Tätig sind dort aber nur 17 % aller Arbeitnehmer. Umgekehrt ist die Situation bei den Großbetrieben (vgl. Seppelfeld et al. 1986, S. 93).

[8] „Schlüsselqualifikationen als Berufsqualifikationen sind relativ lange ver­wertbare funktions- und berufsübergreifende Qualifi­kationen zum Lösen be­ruflicher Pro­bleme. Qualifikationsziel ist die berufliche Flexibilität und Mo­bilität. ... Sie können sowohl im kognitiven als auch im affektiv-moti­vatio­nalen, weniger im sensumoto­rischen Bereich liegen.“ (Wilsdorf 1991, S. 56)

[9] „In einer Arbeitswelt, deren fachliche Anforderungen sich ständig und rasch verändern, müssen Jugendliche nicht nur fachlich auf den ersten Einstieg in die Arbeitswelt vorbereitet, sondern auch ihre persönliche Entwicklung gefördert und vor allem auch Grundlagen für lebensbegleitendes Lernen gelegt werden.“ (bmb+f 1999a, S. 10).

[10] Hinzuzufügen möchte ich folgende Zahlen: 56 % der Auszubildenden im Öffentlichen Dienst haben Realschulabschluß. 20 % der Auszubildenden in Industrie und Handel und 18% der Auszubildenden im Öffentlichen Dienst sind AbiturientInnen, obwohl ihr Gesamtanteil an den Auszubildenden lediglich 15 % beträgt (vgl. Jost 1995, S. 76). 1997 waren 68,3 % der Auszubildenden zur Bankkauffrau/Bankkaufmann, 65,1 % der Auszubildenden zur Versicherungskauffrau/-mann, 56,4 % der Lehrlinge zur Steuerfachangestellten und 48,3 % der Auszubildenden zur Industriekauffrau/-mann AbiturientInnen (vgl. bmb+f 1999a, S. 60). Bei Vertragsabschluß hatten 30,1 % der (allgemeinen) Auszubildenden in Hamburg Abitur; in Berlin 19,5 %, in Bremen 24,5 %, in Hessen 22,2 %, in NRW 22,7 %, (vgl. bmb+f 1999a, S. 63).

[11] Dies wird als das sog. „meritokratische“ Prinzip bezeichnet.

[12] 1997 waren von den Auszubildenden zum Elektroinstallateur nur 39,8 % Hauptschulabgänger mit qualifiziertem Abschluß, obwohl diese Schülergruppe zur „klassischen Rekrutierungsschar“ dieses Ausbildungsgang gehörte.

[13] Der größte Teil der Jugendlichen ist aber weder in der Lage noch willens, sich auf die theoretisch-abstrakte, praxis- und lebensferne Lernstruktur des Gymnasiums und Hochschule einzulassen. Trotz einzelner pädagogisch-didaktischer Versuche, „praktisches Lernen“ auch im Gymnasium und in den Universitäten anzusiedeln, ist bislang lediglich das Berufsausbildungssystem in der Lage, derartiges Lernen für die Mehrheit der Jugendlichen anzubieten. Die soziale Öffnung des Gymnasiums hat keine Modifikation oder Innovation, sondern eher eine Restitution und Restauration ihrer Strukturen und Curricula, ihrer Didaktik und Methodik bewirkt (vgl. Greinert 1995b, S. 150 f.; S. 170 f.). Diesen Umstand stützt das Phänomen, daß die recht hohe Quote von rund 70.000 Studenten pro Jahr ihr Studium abbrechen (vgl. Die Welt 14.07.99).

[14] In der Industrie werden jedoch massiv Arbeitsplätze und somit auch Ausbildungsplätze abgebaut, während im Handwerk übermäßig ausgebildet wird.

[15] Die Zahl der Vertragslösungen geht in den alten Ländern seit 1991 und in den neuen Ländern seit 1997 zurück. Da die Anzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge fast in gleichem Ausmaß sank wie die Vertragslösungen, verharrten die Abbruchraten lange auf unverändert hohem Niveau. Erst seit 1996 ist ein merklicher Rückgang zu verzeichnen (1994: 24,7 %, 1995: 24,2 %, 1996: 22,6 %, 1997: 21,8 %). Insgesamt wird 1997 etwa jeder fünfte neu abgeschlossene Vertrag während der Ausbildung wieder gelöst (vgl. bmb+f 1999a, S. 68 f.).

[16] Dies wird auch euphemistisch „bildungspolitische Weichenstellung“ und „wirtschaftsstrukturfreundlicher Umbau des Berufsbildungssystems“ genannt (vgl. Klodt/Stehn 1994, S. 208 f.).

[17] Denn: Wer stellt „minderqualifizierte“ Gesellen ein, da bereits Ungelernte, welche deutlich weniger Lohn beziehen und deren Arbeitskraft eher ersetzbar ist, erhebliche Probleme bei der Stellensuche haben.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Das duale System der Berufsbildung in der Bundesrepublik Deutschland: Symptome und Phänomene einer Krise, neuralgische Punkte und strukturelle Probleme
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Lehrgebiet Berufs- und Wirtschaftspädagogik)
Note
Gut (2,0)
Autor
Jahr
1999
Seiten
30
Katalognummer
V44933
ISBN (eBook)
9783638424349
ISBN (Buch)
9783638657761
Dateigröße
585 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schriftliche Hausarbeit im Magisterstudiengang an der FernUniversität Hagen im Grundstudium im Hauptfach Erziehungswissenschaften im Teilgebiet "Organisation, Planung und Recht des Bildungswesens"
Schlagworte
System, Berufsbildung, Bundesrepublik, Deutschland, Symptome, Phänomene, Krise, Punkte, Probleme
Arbeit zitieren
Karsten Hartdegen (Autor:in), 1999, Das duale System der Berufsbildung in der Bundesrepublik Deutschland: Symptome und Phänomene einer Krise, neuralgische Punkte und strukturelle Probleme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44933

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das duale System der Berufsbildung in der Bundesrepublik Deutschland: Symptome und Phänomene einer Krise, neuralgische Punkte und strukturelle Probleme



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden