Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern. Pädagogische Möglichkeiten der Traumaverarbeitung in Schulen


Seminar Paper, 2017

14 Pages, Grade: 1,0

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

1. Einstieg und Problemstellung

2. Was das Trauma mit Menschen macht
2.1 Der Traumabegriff
2.2 Traumata bei geflüchteten Kindern
2.2.1 Posttraumatische Belastungsstörung bei Flüchtlingskindern
2.2.2 Weitere Effekte traumatischer Erlebnisse

3. Trauma Bekämpfung
3.1 Allgemeine Grundsätze
3.2 Die Rolle der Pädagogik in der Traumaverarbeitung
3.2.1 Die Stabilisierungsphase

4. Lehrerausbildung
4.1 Aufgaben der Aus- & Fortbildungsstätten der Lehrkräfte

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einstieg und Problemstellung

„Das Jahr 2015 wird den Deutschen für immer in Erinnerung bleiben. Als das Jahr des Flüchtlingsstromes. 1,3 Millionen Flüchtlinge und Migranten sind in diesem Jahr in Deutschland angekommen.“1 Seitdem hat sich einiges getan und Schritt für Schritt muss nun mit den Folgen umgegangen werden. Auch das Bildungssystem bleibt davon nicht unbetroffen. Ganz im Gegenteil sind gerade hier große Veränderungen zu beobachten. Ca. 300.000 Flüchtlingskinder besuchen momentan Schulen in ganz Deutschland (Stand Juli 2016) und sollen nachdem sie ein Jahr sog. Eingliederungs-klassen besucht haben in Regelklassen miteinsteigen.2 Sucht man im Internet beispielsweise nach „Flüchtlingskindern in deutschen Schulen“, so stößt man fast ausschließlich auf Ergebnisse, die sich mit der Überforderung der Lehrkräfte, der Unterbesetzung oder dem Mangel an klaren Konzepten befassen. Auf die Kinder selbst, ihre Probleme, Sorgen und Ängste wird, wie es scheint, nur wenig eingegangen. Dabei sollten doch gerade diese im Mittelpunkt stehen, denn um sie und ihre ganzheitliche Eingliederung geht es schließlich. Sollte also nicht dem Wohlergehen der Kinder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, von welchem aus Folgeproblematiken behandelt werden können? Martin Herbert weist auf die missliche Situation der Kinder hin:

„Die meisten Kinder, die schwere emotionale oder körperliche Traumen wie Katastrophen, Unfälle oder Todesfälle erfahren mußten, sind psychisch gestört; sie wirken ängstlich, scheu und depressiv. Viele von ihnen weisen eindeutig Symptome einer Posttraumatischen Belastungs-störung auf, die ohne Behandlung lange Fortbestehen kann.“3

Die Frage ist, was hat Priorität? Eine möglichst rasche Eingliederung und Bildung für die Kinder, oder aber zunächst eine Behandlung um den Traumata der Kinder entgegenzuwirken und ihnen dabei zu helfen diese – soweit möglich – zu überwinden oder zumindest damit zurecht zu kommen. Als angehenden Lehrer stellt sich für mich persönlich die Frage, wie durch einen guten pädagogischen Umgang mit Flüchtlings-kindern & Jugendlichen, die traumatischen Erlebnisse, die wir uns durch fehlende persönliche Erfahrungen kaum vorstellen können, im Schulalltag verarbeitet werden können. Die Schule ist mitunter der wichtigste Ort, der sich um diese Aufgabe kümmern kann oder vielleicht sogar muss. Eltern betroffener Kinder (sofern diese noch leben bzw. mit nach Deutschland geflüchtet sind), sind oft selbst überfordert, traumatisiert und haben zu wenig Zeit und Kraft ihren Kindern die nötige Unterstützung bieten zu können. In der Schule sind Flüchtlinge in einer großen Gemeinschaft, die offen für sie sein und sich ihren Problemen annehmen sollte. Diese Arbeit zeigt Möglichkeiten auf, wie Pädagogen an Schulen Flüchtlingskindern bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erfahrungen unterstützen können.

2. Was das Trauma mit Menschen macht

Trauma, ein harter Begriff, der eher selten im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird und mit dem man in der Regel kaum direkt konfrontiert wird. Dadurch entwickelt sich eine gewisse Abwehrhaltung ihm gegenüber. Hört man von traumatisierten Menschen, so denkt man etwa an einen ‚psychisch instabilen Menschen‘, der Hilfe benötigt und das, wenn möglich, von einem/einer Psychiater/in. Was aber genau bedeutet es, wenn ein Mensch traumatisiert ist und welche Auswirkungen hat dieses Trauma auf das Leben des Betroffenen? Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit, wird diese Frage im Folgenden so knapp wie möglich und selbstverständlich nicht in vollem Ausmaß beantwortet. Die Antwort wird lediglich angerissen und es wird versucht den Kern des Themas zu erläutern.

2.1 Der Traumabegriff

Der sehr breit gefächerte Begriff Trauma ist nicht ganz klar definiert, bzw. unterliegt seine Bedeutung einem ständigen Wandlungsprozess, sodass es eher ein schwam-miger Begriff ist, der jedoch durch einige Kernpunkte beschrieben werden kann.4 Das Wort stammt von dem griechischen Wort τραύμα, was so viel wie „Wunde“ bedeutet.5 Wie bei einer körperlichen Wunde wird die Seele des Menschen verletzt, was durch unterschiedliche Faktoren geschehen kann. Ein Trauma tritt durch ein kurzfristiges Ereignis auf und stellt so eine „plötzliche Diskontinuität des […] psychischen Erlebens dar“.6 Das auslösende Ereignis kann hierbei laut Polat sehr unterschiedlich sein7 „und reicht von körperlicher und sexueller Gewalt, Unfällen und lebensbedrohlichen Krankheiten bis hin zu Naturkatastrophen“, so Landolt und Hensel.8 Dabei ist der betroffene Mensch „körperlichen, kognitiven und emotionalen Reaktionen“9 ausgesetzt. Eine große Rolle spielen auf emotionaler Ebene „das Gefühl der Hilflosigkeit“ und der „schutzlosen Preisgabe“10, das wiederum durch den auf kognitiver Ebene liegenden Gedanken, „dass man gleich stirbt“11 zurückzuführen ist. Es gibt viele verschiedene Traumata, die sowohl in unterschiedlichen Formen der Ausprägung, als auch bei unterschiedlichsten Menschen infolge von verschiedensten Ursachen auftreten können. Zunächst einmal wird zwischen akuten Belastungs-reaktionen, die direkt nach dem Erlebnis einsetzen und den später folgenden Anpassungsstörungen, sowie der Posttraumattischen Belastungsstörung (PTBS), unterschieden, welche wiederum zu komplexen Störungen führen können.12 Das PTBS tritt sehr häufig bei geflüchteten Kindern auf, wie bereits in der Einleitung festgehalten wurde und wird im Sinne dieser Arbeit daher noch etwas genauer betrachtet.

Das Krankheitsbild ist noch nicht sehr alt, bzw. wurde es erst spät als solches anerkannt, da eine posttraumatische Reaktion eigentlich als normaler Verarbeitungs-ablauf des Menschen auf eine unübliche, extreme Erfahrung gilt. Jedoch wurde festgestellt, dass die psychische Verletzung häufig auch lange Zeit später noch erhöht zu psychischen Krankheiten führen kann.13 Es ist also erst diese Folgestörung des Traumas, welche durch eine nicht erfolgreiche posttraumatische Verarbeitung hervor-gerufen wird, die zu dem Krankheitsbild PTBS führt.14 Die Kernsymptome sind dabei „Intrusionen [wiederkehrende Erinnerungen], Vermeidungsverhalten und Hyper-arousal [Übererregbarkeit]“15. Außerdem treten „psychologische Reaktionen wie Schwitzen, Atembeschwerden, Herzklopfen, Magen- und Darmbeschwerden“16 im Zusammenhang mit der Störung auf. Wenn zum einen die genannten Symptome mindestens einen Monat lang auftreten und diese zum anderen „klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in mindestens einem wichtigen Funktionsbereich des alltäglichen Lebens verursachen“17, wird die Diagnose PTBS gestellt. Weitere, spezifischere Symptome werden später am Fallbeispiel der Flüchtlingskinder aufgeführt.

2.2 Traumata bei geflüchteten Kindern

2015 waren weltweit ca. 65 Millionen Menschen auf der Flucht, wovon die Hälfte Kinder sind.18 Kriegshandlungen, Verluste von Angehörigen, Hunger, Leid und die meist lange Flucht mit vielen Hindernissen und Komplikationen – all das sind Erlebnisse, mit denen die Kinder hier ankommen. In einer völlig anderen Kultur, mit neuer Sprache und sehr verschiedenen Lebensumständen, müssen sie sich zurechtfinden. Während das Erlebte noch keineswegs verarbeitet wurde, kommt sofort eine Flutwelle neuer Einflüsse und Veränderungen. Dass die Psyche derer, die das alles durchmachen mussten, nicht ganz stabil sein kann, ist selbstverständlich. Aber nicht nur bei denen, die selbst dabei waren, sondern sogar bei der Folgegeneration können Traumata entstehen. In welcher Art und Weise aber prägt sich die Verletzung der Seele speziell bei den geflüchteten Kindern aus?

2.2.1 Posttraumatische Belastungsstörung bei Flüchtlingskindern

Die Erlebnisse der geflüchteten Kinder haben sich tief in deren Gedächtnis verankert. Auch lange danach, in Friedenszeiten, tauchen diese „Bilder des Grauens, Schreie, […] Gerüche und Geräusche“19 wieder auf. Das geschieht oft in Form von Albträumen, aber auch in alltäglichen Situationen, in denen sie Bilder, Gerüche oder Geräusche mit dem Erlebten in Verbindung bringen und so ganz plötzlich der schreckliche Angst-Gedanke wiederauftaucht.20 Weitere Symptome, die bei traumatisierten Kinder mit posttraumatischen Störungen auftauchen sind beispielsweise:

- verschiedene Angstzustände (z.B. Angst vor geschlossenen Räumen)
- größere Erwartungshaltung gegenüber Gefahr und dadurch auch größere Schreckhaftigkeit
- Herzrasen, Albträume und Schlafstörungen21
- „Schuldgefühle, überlebt zu haben, während andere gestorben sind“22
- „Kognitive Veränderungen wie Konzentrationsschwierigkeiten, vor allem in der Schule. Schwierigkeiten, wenn es darum geht, neue und alte Fertigkeiten anzuwenden, bzw. sich an sie zu erinnern, […] veränderte Prioritäten“23

Besonders die im letzten Stichpunkt genannten Symptome von Herbert sind sehr relevant für die Schule. Erst wenn man beginnt zu verstehen, was in den Kindern vor sich geht, bzw. warum sie sich so verhalten, wie sie es tun, kann individuell auf sie eingegangen und Gegenmaßnahmen ergriffen werden, worauf im späteren Verlauf der Arbeit eingegangen wird.

2.2.2 Weitere Effekte traumatischer Erlebnisse

Ein weiteres Phänomen, das schon Elisabeth Pfeil 1951 erkannte, ist der Stimmungsumbruch der Kinder nach der Ankunft in der neuen Heimat, wenn die Flucht bereits vorbei ist. Während Eltern berichten, dass ihre Kinder während der Flucht sehr vernünftig waren und sich geradezu hilfsbereit und verständnisvoll wie Erwachsene verhielten, fallen sie nach der Ankunft in ein Loch, das mit Stimmungsschwankungen, sowie Ungehorsam und einer störrischen, bockigen Art einhergeht. Die altersgemäßen Verhaltensweisen werden anscheinend in doppeltem Maße „nachgeholt“.24 Dieses Phänomen erklärt die teilweise auftretende ignorante, trotzige oder rücksichtslose Art der Flüchtlingskinder, auch in Schulen. Natürlich darf dies nicht verallgemeinert werden, jedoch hilft auch dieses Wissen dabei mehr Verständnis zu entwickeln und weniger Verwunderung oder Ärger ihnen gegenüber aufzubauen. Außerdem ist festzustellen, dass „das Geschlecht der Betroffenen eine Rolle [spielt]: Bei Mädchen gibt es mehr Probleme als bei Jungen“.25 Bei der Traumabekämpfung, die im Folgenden thematisiert wird, spielt das jedoch keine große Rolle. Bei dem Umgang mit den Kindern ist die Geschlechtsspezifik weniger relevant, wodurch sie an dieser Stelle nicht weiter beachtet wird.

[...]


1 Von Welser, M.: Kein Schutz – nirgends. Frauen und Kinder auf der Flucht, München 2016, S. 233.

2 http://www.zeit.de/2016/29/integration-fluechtlinge-schule-kinder-jugendliche-deutschunterricht-sprachbarriere-bildungspolitik (09.11.17 14:35).

3 Herbert, M.: Posttraumatische Belastung. Die Erinnerung an die Katastrophe – und wie Kinder lernen, damit zu leben, Bern 1999, S.7.

4 Vgl. Pausch, M./Matten, S.: Trauma und Traumafolgestörung. In Medien, Management und Öffentlichkeit, Wiesbaden 2018, S.4.

5 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 22., völlig neu bearbeitete und erw. Aufl., Mannheim 2001, S. 976.

6 Wöller, W. et al.: Trauma und Persönlichkeitsstörung. Psychodynamisch-integrative Therapie, Stuttgart 2006, S.11.

7 Vgl. Polat, A.: Trauma und Sozialisation. Zu den Auswirkungen von Flüchtlingserfahrungen auf die nachfolgende Generation, Wiesbaden 2015, S.51.

8 Landolt, H./Hensel, T. (Hrsg.): Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen, Göttingen, 2. Aktualisierte und erw. Aufl. 2012, S.16.

9 Pausch, M./Matten, S.: Trauma und Traumafolgestörung, S.4.

10 Fischer, G./Riedesser, P.: Lehrbuch der Psychotraumatologie, Stuttgart, 4. Aktualisierte und erw. Aufl. 2009, S.84.

11 Vgl. Pausch, M./Matten, S.: Trauma und Traumafolgestörung, S.4.

12 Vgl. Landolt, H./Hensel, T. (Hrsg.): Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen, S.34.

13 Vgl. Herbert, M.: Posttraumatische Belastung, S.9.

14 Vgl. Imm-Balzen, U./Schmieg, A.-K.: Begleitung von Flüchtlingen mit traumatischen Erfahrungen, Heidelberg 2017, S.70.

15 Pausch, M./Matten, S.: Trauma und Traumafolgestörung, S.28.

16 Polat, A.: Trauma und Sozialisation, S.59.

17 Landolt, H./Hensel, T. (Hrsg.): Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen, S.35.

18 Vgl. Eichenberg, C./Zimmermann, P.: Einführung Psychotraumatologie, München 2017, S.46.

19 Quindeau,I./Marianne, R. (Hrsg.): Soziale Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Traumapädagogische Konzepte für die Praxis, Weinheim 2017, S.67.

20 Vgl. Ebd. S.67f.

21 Vgl. Imm-Balzen, U./Schmieg, A.-K.: Begleitung von Flüchtlingen mit traumatischen Erfahrungen, S.70.

22 Herbert, M.: Posttraumatische Belastung, S.12.

23 Ebd. S.15.

24 Vgl. Pfeil, E.: Flüchtlingskinder in neuer Heimat, Stuttgart 1951, S.18ff.

25 Herbert, M.: Posttraumatische Belastung, S.20.

Excerpt out of 14 pages

Details

Title
Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern. Pädagogische Möglichkeiten der Traumaverarbeitung in Schulen
College
University of Tubingen
Grade
1,0
Year
2017
Pages
14
Catalog Number
V451355
ISBN (eBook)
9783668842939
ISBN (Book)
9783668842946
Language
German
Keywords
umgang, flüchtlingskindern, pädagogische, möglichkeiten, traumaverarbeitung, schulen
Quote paper
Anonymous, 2017, Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern. Pädagogische Möglichkeiten der Traumaverarbeitung in Schulen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/451355

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