Barbey d'Aurevilly, Baudelaire und Balzac. Zur ambivalenten Männlichkeit des Dandys im 19. Jahrhundert


Masterarbeit, 2018

81 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kulturgeschichte des Dandytums
1.1. Der Typus des Dandys
1.2. Leben und Macht des Urvaters aller Dandys
1.3. Brummells Modereformen: Des Mannes neue Kleider

2. Masculinity Studies - mehr als ein Geschlecht
2.1. Modelle der Männlichkeitsforschung
2.1.1. Raewyn Connells Ansatz der hegemonialen Männlichkeit
2.1.2. Pierre Bourdieus Konzept der männlichen Herrschaft
2.2. Vom Ritter zum Dandy - Männlichkeiten in der französischen Literatur
2.3. Der Dandy und die Masculinity Studies

3. Androgyn, Asket, Verführer - literarische Dandyfiguren
3.1. Jules Amédée Barbey d’Aurevilly
3.1.1. Aristokratischer Dandy, armer Literat
3.1.2. Du dandysme et de George Brummeil
3.2. Charles Baudelaire
3.2.1. Dichter, Dandy, Asket
3.2.2. Le Dandy und Le Peintre de la vie moderne
3.3. Honoré de Balzac
3.3.1. Das Schöne und ein Lebemann
3.3.2. Comte Henri de Marsay - Der reinste aller Dandys Fazit und Ausblick

Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Dem 19. Jahrhundert bleibt nach dem Copieren religiöser Formen nur noch das Copieren als solches. Das Absolute wird zur Geste. Das Unerreichbare wird als Dandy, als Clown, als Straßenjunge symbolisiert.1

Unmännlich, Stutzer, Geek, Snob, Buck, Homosexueller, Spinner, Schwachsinniger, Clown, Kopie, Modenarr... stöbert man zum Thema ‘Dandy’ in der Literatur, kommen einem die verschiedensten Begrifflichkeiten entgegen, die mehr oder weniger treffend den Dandy beschreiben sollen. Eine allgemein gültige Definition scheint es nicht zu geben und immer wieder dreht sich alles nur um fashion. Doch wer oder was ist ein Dandy?

Diese Masterarbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen ‘Dandy’ im Allgemeinen sowie mit seiner Darstellung in der französischen Literatur- und Kulturwissenschaft und nimmt anhand der Masculinity Studies Stellung zu dessen ambivalenter Männlichkeit im 19. Jahrhundert. Dafür ist es dienlich sich mit dem Typus des Dandys sowie mit dem Dandytum zu beschäftigen, was unweigerlich an George Beau Brummeil vorbei­führt, soll er doch der König der Dandys gewesen sein [...]. Doch er war auch und vor allem ego­istisch, aggressiv, ironisch, zynisch, unhöflich, verlogen, betrügerisch, beleid¡- gend, arrogant, süffisant, angeberisch und - natürlich - selbstgefällig, nur auf der Welt, um anderen schlechten Geschmack, fehlende Eleganz, Blasiertheit und mangelnde Bildung vorzuwerfen.2

Es stellt sich bei dieser Aussage von Michel Onfray die Frage, wie ein ״derart verab­scheuungswürdiger Mensch zum Inbegriff des Dandytums werden [konnte], einer Ethik der Eleganz, des Adels, des guten Geschmacks und der Individualität?“3.

Hiernach geht das zweite Kapitel genauer auf die Masculinity Studies ein, zeigt ver­schiedene Konzepte zur Männlichkeit auf und durchleuchtet die französische Literatur auf ihre verschiedenen Männlichkeitsinszenierungen vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Ebendieses Jahrhundert, das als Blütezeit des Dandyismus in die Kulturgeschichte eingehen soll. Darauffolgend werden drei verschiedene Dandys aus der französischen Literatur betrachtet. Beginnend mit Jules Amédée Barbey d’Aurevilly, der als erster Autor eine Art Theorie über das Dandytum verfasst hat, indem er über sein ‘Idol’ Beau Brummeil traktiert. Im Anschluss folgt der zweite Theoretiker Charles Baudelaire mit seiner Abhandlung über den Dandy in seinem Werk Le Peintre de la vie moderne, ehe gegen Ende auf Honoré de Balzac als Schriftsteller und Dekadenzfigur eingegangen wird. Der in seiner Comédie humaine auftauchende, scheinbar formvoll­endete Dandy Henri de Marsay, folgt seinem Schöpfer auf dem Fuße.

Man könnte durch die Fokussierung auf das 19. Jahrhundert auf die vorschnelle Idee kommen, der Dandy sei ein Repräsentant der ausgestorbenen Gattungen, hat er doch außer einer eleganten Kleidung nichts vorzuweisen.

Selbst Barbara Vinken postuliert dem Dandy eine Nutzlosigkeit par excellence, wenn sie sich mit folgendem Zitat auf Baudelaire bezieht:

Der Dandy, Überrest aus einer vergangenen Zeit, ist der letzte Heros in einem Zeitalter, das in der Demokratie alles Heroische in Vulgarität und berechnen­dem Eigennutz einebnet. Aber er ist ein Held ohne Aufgabe, für den es nichts mehr zu tun gibt: ‘un hercule sans emploi’, ein Herkules ohne Beruf und Beru- tung, nutzlos, aber umso prächtiger anzusehen.4

Doch gerade auf der kulturellen Ebene sowie im Bezug auf die Männlichkeitsforschung hat dieser Menschenschlag aber anscheinend doch mehr zu bieten als nur Halstücher, Handschuhe und Gehstöcke.

Was ist also ein Dandy und gibt es den einen Prototypen, den einen Dandyismus? Wie konstruieren diese Herren ihre Performanz, ihre Individualität sowie ihre Männlich- keit(en) in einem Jahrhundert, in dem der hart arbeitende ״pater familias“5 ein Pars pro toto für die gesamte Männlichkeit darstellt?

1. Kulturgeschichte des Dandytums

״Fashion is what one wears oneself.

What is unfashionable is what other people wear.“6

Im 17. und 18. Jahrhundert war Frankreich so von seinem in Versailles sitzenden Hof geprägt, wie kaum ein anderes Land. Louis XIV schaffte es durch seine kluge und ab­solutistische Regentschaft, dass ganz Europa in Modefragen auf ihn, den Roi Soleil und sein Frankreich blickte.7 Der französische Adel übte sich währenddessen in Prachtentfaltung, war in politische Entscheidungen nicht eingebunden und hatte die Hauptaufgabe durch Perfektionierung seines Auftritts und seiner Kleidung dem König zu gefallen. Die von Louis XIV vorangetriebene Mode hielt sich bis zur französischen Revolution, die in Frankreich keinen Stein auf dem anderen ließ. Nach über einem Jahrhundert der von Frankreich propagierten Männermode, erlebte die französische Hofkultur in England zunehmend Ablehnung, was zu einem neuen Körperbewusstsein führte: Das Bürgertum und ״seine zunehmend gleichförmiger werdende Massen- kultur“8. Als Reaktion darauf kam ein Männertypus empor, der sich ״dem Motto épater le bourgeois“9 verschrieb und einen Weg suchte, um sich von dem Rest der Gesell­schaft zu distanzieren. Eine adelige Herkunft zu besitzen, spielte in England zu diesem Zeitpunkt eine untergeordnete Rolle, was Barbara straumann als ״Aristokratie des Geistes“10 betitelte, die die Äußerlichkeit und Performanz des Dandys nachhaltig prä­gen sollte.11 Zu dieser Zeit stieg ein junger Mann namens George Bryan Brummeil die Leiter der Londoner High Society hinauf und konnte sich als Lichtgestalt des guten Ge­schmacks und schließlich als Urvater aller Dandys einen Namen machen. Seine Bio­graphie, die als Teilbereich der Kulturgeschichte des Dandys nicht fehlen darf, wird in einem eigenen Unterkapitel beschrieben, gilt sie doch als Urknall des Dandykults.

Die hohen, galanten Gesellschaften von London und Paris standen im regen Aus­tausch, den selbst politische Widrigkeiten nicht unterdrücken konnten. Mit Brummeil als Dandy in Formvollendung, hatte Großbritannien einen Männertypus hervorgebracht, der nicht sehr lange brauchte, den Ärmelkanal zu überwinden. ״Und so trat [...] der Dandykult rasch seinen Siegeszug von der Insel auf den Kontinent an.“12 Ging das Männlichkeitsideal in England aus dem Gentleman hervor, war es in Frankreich der Restbestand des honnête homme, der das Ideal verkörperte. Dort war die Kluft zwi- sehen den sozialen Klassen aufgrund der Geschichte noch wesentlich stärker ausge­prägt als in Großbritannien. Diese beiden Ideale der Männlichkeit, der Gentleman und der Restbestand des honnête homme, hatten zwar Ähnlichkeit miteinander, unter­schieden sich aber in ihrer Performanz. Die öffentliche Bühne spielte in Paris eine nicht so tragende Rolle, wie es in London der Fall war.

Dessen ungeachtet herrschte in den gefeierten Pariser Salons und Klubs eine veritable Anglomanie, die sich vor allem in Fragen der Mode und Lebenskunst bemerkbar machte: Die elegante Männerwelt aß, trank, kleidete und amüsierte sich auf englische Art, um sich von der Masse zu unterscheiden.13

Durch die Julirevolution von 1830 begann laut Gregor Schuhen eine ״Demokratisierung der mondänen Welt“14, verlor doch der französische Adel seine gesellschaftliche Macht.15 Die elitären Salons öffneten ihre Türen, Männer verbachten den Großteil des Tages galant in Cafés und die Frau verschwand zur Gänze aus dem öffentlichen Pan­orama der feinen Gesellschaft. Das führte unweigerlich auch zu einem Wandel des Städtebilds der Hauptstadt Frankreichs. ״Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war zu­gleich die Geburtsstunde des Flaneurs oder auch Boulevardies sowie des Kaffeehaus- besuchers.“16 Was in England schon Gang und Gäbe war, hinterließ nun auch in Frankreich seine Spuren: Die Durchlässigkeit der Klassen sowie die Akzentverschie­bung der öffentlichen Kultur kam ״den nicht adeligen Dandys entgegen, da öffentliche Auftritte seit jeher zu ihren charakteristischsten Leistungen gehörten“17. So saßen ne­ben Adeligen, die ihren Stammbaum bis ins elfte Jahrhundert zurückverfolgen konnten, plötzlich Parvenüs und Dandys aus der Breite der Gesellschaft.18 Die Zeit der Schrift­Stellerdandys wie Barbey d’Aurevilly, Balzac und Baudelaire war gekommen.

Durch den darauffolgenden Niedergang des zweiten Kaiserreichs begann ״in Frank­reich eine Epoche des Friedens sowie des gesellschaftlichen Wandels“19. Die Natur­Wissenschaften waren, genau wie die Medien, auf einem Allzeithoch und viele Neue­rungen und Erfindungen, wie beispielsweise die Fotografie, katapultierten die Men­sehen des XVIIIe siede, in ein neues Jahrhundert. ״Diese Epoche, die sowohl durch Umbruch und Neuanfang als auch durch Krisen und Skepsis geprägt war und glei­chermaßen den Beginn der Moderne inaugierte, ging bekanntermaßen in die Flistorio- graphie als die ,schöne Epoche’ ein, als ,Belle Epoque’.“20 Durch die literarische Figur des Dorian Gray aus der 1890 stammenden Feder des Autors und Skandaldandys Os­car Wilde, kam es in England zu einer Art Renaissance des Dandys, ohne dass er dem Niedergang überhaupt nahe war. Gray wurde ״zur Kultfigur und zum Vorbild des то- demen Dandys“21, war er doch ein ideales Konstrukt.22

Was mit George Bryan (Beau) Brummeil zu Beginn des 19. Jahrhunderts in England begann, durch die Aristokratie nach Frankreich schwappte und dort ebendieser ihrer Macht beraubte, machte es einem Jedermann möglich, sich durch Vermögen, Geist, Stil und Etikette gesellschaftlich einen Namen zu machen, um sich gleichzeitig von ihr zu distanzieren. In Paris änderte sich das öffentliche Stadtbild, und Schriftsteller und Parvenüs fanden hier den Nährboden für ihren Lebensstil im Zeichen des Müßiggangs. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollte jedoch dem Dandykult ein jähes Ende blühen, als der erste Weltkrieg mit Gewalt über Europa fegte.

1.1. Der Typus des Dandys

Der Typus ‘Dandy’ brilliert zwar erst in früher Neuzeit und dann nicht einmal ein Jahr­hundert, nichtsdestotrotz geht er auf eine alte Tradition zurück:

Das Ideal von Eleganz, Geschmack und Exzentrik als Ausdruck individueller Überlegenheit hat seine klassischen Vorbilder. Von der griechischen und rö- mischen Antike über die höfischen Ritter und Troubadours, bis zur italieni­schen Renaissance und darüber hinaus, gibt es Persönlichkeiten, deren Le­ben sich der Kunst, der Eleganz und der Ästhetik verschrieben haben.23

Des Dandys exzentrisch individuelle Lebenseinstellung beruht auf dieser Vergangen­heit, die zwar eine sozialtheoretische Eingliederung, aber keine sozialtypische Verall­gemeinerung dieses Typus möglich macht, ״ohne daß das Wesentliche dabei verloren geht: die Anmut, die nicht klassifizierbar ist“24. Demnach ist das Bilden homogener Gruppen nicht möglich, da dies das Primat der Individualität ad absurdum führen wür- de.25 Trotz alledem kann man aber von übergeordneten Eigenschaften sprechen, die den Dandytypus ausmachen und nach denen die Dandys ein Leben lang streben. Vor allem die Vorstellung, ״das eigene Leben in Genuß und Schönheit, fern jeglicher An­passung und Konvention und ausschließlich nach individuellen Passionen und Interes­sen auszurichten“26, kann als allgemein gültige Lebenseinstellung aller Dandys ver­standen werden. Seine ungewöhnliche Außenseiterstellung erhält er, abgesehen von dieser Lebenseinstellung, zu allererst aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes und seines galanten Auftritts in der Gesellschaft. ״Der Geist des Dandys zeigt sich nicht in der Tiefe, sondern entzündet sich an der Oberfläche“27, da er sich über die Mode identifiziert, die er nicht nur trägt, sondern sich durch sie individualisiert, gibt sie ihm doch die Möglichkeit einer ästhetischen Herrschaft über die Gesellschaft. Diese Auffäl­ligkeiten bringen allerdings auch Kritiker hervor, die den Dandy als ״einen sich auffal­lend kleidenden Modenarr oder Snob auswiesen“28. Dies jedoch zu Unrecht, wird doch bei genauerer Betrachtung deutlich, dass die exquisite Kleidung nicht nur auf Ober­flächlichkelten zurückzuführen ist, sondern ״vielmehr seine nach außen gestülpte In- nerlichkelt“29 offenbart.

A Dandy is a Clothes-wearing Man, a Man whose trade, Office, and existence consists in the wearing of Clothes. Every faculty of his soul, spirit, purse, and person is heroically consecrated to this one object, the wearing of Clothes wisely and well: so that as others dress to live, he lives to dress.30

Laut dem schottischen Historiker und Essayisten Thomas Carlyle ist ein Dandy somit ein Mann, dessen Existenz, Status und Arbeit sich im Tragen von Kleidung ausdrückt. Jedes Vermögen widmet er leidenschaftsvoll der Kunst, die Kleidung perfekt zu tragen. Und während sich andere kleiden, um zu leben, lebt er allein, um sich zu kleiden.31 Dieses obsessive Tragen der Kleidung begegnet einem auch, wenn man Das große Fremdwörterbuch konsultiert und dort nach dem Begriff Dandy sucht. Hier steht dazu geschrieben: ״Dandy [...] Mann, der sich übertrieben modisch kleidet“32. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Stutzer, ist er allerdings kein Modeheld. ״Er ist der Eleganz ver­pflichtet, nicht der Mode.“33 Die Kleidung macht den Dandy als solchen nicht aus, es ist die Art, wie er die Kleidung trägt, da nur dies ihn vom gewöhnlichen Mitmenschen un­terscheidet. Für ihn gibt es nichts schlimmeres, als die Gewöhnlich- und Mittelmäßig­keit. Sein Ziel ist ״die Errichtung einer neuen Aristokratie des Geistes und des Ge- schmacks“34. Nur so kann der Dandy sich frei entfalten, sich als Gesamtkunstwerk der Gesellschaft präsentieren, um sich gleichzeitig von ihr zu distanzieren.35 Doch diese Distanz ist zugleich auch Heimat eines Problems. Die meisten Dandys entspringen dem Adel, da ein schönes Leben und Müßiggang, ״die Messlatte für wahres Dandytum“36, kostspielig sind und eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit vorausset­zen. Doch auch für weniger gut betuchte Männer, wie man am Beispiel des Urvaters der Dandys George Brummeil noch sehen wird, war ״die Erhabenheit über bürgerliche Wertmaßstäbe wie Erfolg und Geld“37 und die gleichzeitig damit verbundene Ableh­nung gewöhnlicher Arbeit, der ersehnte Lebensplan. Dass fehlende finanzielle Mittel und Müßiggang irgendwann kollidieren, bedarf keiner großen Erklärung. Zum einen verachtet der Dandy als ״Vertreter ausgefallener und ausschweifender Genüsse, als Ausdruck von Individualität, ästhetischer Lebensart und Unabhängigkeit von der Pflicht und dem Mühsal des gewöhnlichen Lebens“38, das bürgerliche Dasein und übersät die arbeitende Gesellschaft mit seinem bissigen Spott.39 Zum anderen ist die Dandyexis­tenz mit ihren Eigenarten auf Liquiditätszuschüsse Dritter angewiesen. Diese ״finanziel- len Beschränkungen, der Zwang einen Beruf auszuüben und Geld verdienen zu müs­sen, berauben den Dandy seines eigentlichen Ziels: nichts anderes darzustellen als sich selbst“40. Ohne Finanzspritze seiner Mitmenschen ist der weniger wohlhabende Dandy nicht in der Lage sein angestrebtes Lebenskonzept aufrecht zu erhalten, was somit die so verhasste Bourgeoisie zu seinem Versorger werden lässt. Er bleibt als Gesellschaftsprovokateur und Nutznießer ״trotz der von ihm gesuchten Distanz zur Gesellschaft [...] immer auf sie bezogen und von ihr Abhängig“41.

Neben diesem äußeren Erscheinungsbild und dessen Herkunft, Intentionen und Aus­Wirkungen, stützt sich der Dandy auf einen geistigen Habitus, eine bestimmte Geistes­haltung, ״welche die ästhetische Durchformung zum Kernelement der Selbststilisierung macht“42. Dieser Habitus zeichnet sich nicht in erster Linie durch übermäßige Belesen­heit oder Bildung aus. Am Beispiel Beau Brummells bringt Virginia Woolf die wahren Talente des Dandys zum Vorschein: ״Brummeil verdankte seinen Aufstieg einer merk­würdigen Kombination von Geist, Geschmack, Unverschämtheit und Unabhängigkeit (...) für die der Begriff Lebensphilosophie zu schwerfällig wäre, dem aber nahekäme, was gemeint ist“43. Intellektuelle stärke entspringt dem Dandy aus seiner Ironie und seiner eisigen Eleganz, so dass er seinen Gesprächspartner allein mit dem Hochzie­hen der Augenbraue aus dem Konzept bringen kann. ״Nicht Geistestiefe zeichnet ihn aus, sondern die virtuose Beherrschung der Oberfläche: die Kunst der Konversation.“44 Hier zeigt sich, dass es, wie bei der Kleidung des Dandys, nicht um das Was, sondern um das Wie geht.

Mit diesem ״Konzept für ein intensives, unkonventionelles, Grenzen sprengendes Le- ben“45 duldet der König der Eleganz sprichwörtlich keine Götter neben sich und ver­sucht auch sonst seiner Rolle als Außenseiter gerecht zu werden, die keine Emotionen, geschweige denn Nähe zu anderen Menschen zulässt. Um dies zu erreichen, baut er eine Fassade der Erhabenheit und Unabhängigkeit auf, indem er auf die Gesellschaft als ״kühler, kritischer und richtender Beobachter“46 herabblickt und diese verurteilt.47 Er selbst verabscheut die Romantik, die Emotionen und jegliche Sentimentalität, was al­lerdings nicht in der Gesamtheit darauf hindeutet, dass nicht auch ״hinter dieser kalten scheinbar unbeteiligten Maske des Dandys eine Tiefe Sehnsucht nach Nähe und Ge­borgenheit, nach Wärme und Zuneigung verborgen liegt“48. Ein weiteres Attribut des Dandys ist die Verhüllung, die es ihm möglich macht, in die Welt der Schönheit zu flie- hen.49 In seiner Erhabenheit und Unabhängigkeit kann er nur dort als körperliches Ge­Samtkunstwerk existieren. Jedwede Bürgerlichkeit ist ihm zuwider, denn [wjenn der Dandy sich anstrengt, so gilt diese Anstrengung ausschließlich seiner Person. Ein Kunstwerk aus sich zu schaffen, ist ein schöpferischer Akt, eine kompositorische Tat. Ist diese Arbeit getan, darf keine Spur von Mühe mehr erkennbar sein50.

Das alles ist zwar eine eigene Kunst, dennoch wäre es falsch, den Dandy als Lebens­künstler zu betiteln. Er selbst wandelt auf dem Drahtseil zwischen Abgrund und Mitte der Gesellschaft und ist sich seines Risikos bewusst. Die meisten Dandys haben ihre Hochphasen und fallen danach tief, gar bis in die Bedeutungslosigkeit. ״Albert Camus sieht im Dandy das Zerrbild des Existentialistischen. Er müsse sein Leben spielen, weil er nicht leben könne: Inbegriff einer inauthentischen Existenz“51, die im Ganzen einem Fechter gleicht: ״Seine Waffe ist die Eleganz“52.53

1.2. Leben und Macht des Urvaters aller Dandys

״Die Biographie Brummens liest sich wie ein Roman aus der Feder Stendhals oder Balzacs und enthält alle Flöhen und Tiefen aus der Vita eines gesellschaftlichen Em­porkömmlings par excellence [.. .].“

Der Urvater aller Dandys George Bryan ‘Beau’ Brummeil wurde am 7. Juni 1778 als jüngster Sohn eines Privatsekretärs in London geboren und gerade dieser bürgerliche Ursprung ließ das Stigma der Bourgeoisie in ihm nie verblassen. Er selbst wollte ein König sein, da es ihm aber an blauem Herrscherblut mangelte, erschuf er sich sein ״ei- genes Königreich, ein Imperium, in dem er über sich selbst bestimmte, wenn schon nicht über Untertanen“54. Da Brummeil ein Freund des Prinzregenten George IV. war und dieser ihn gewähren ließ, konnte der Junge, dem sie in der Schule den Spitzna­men für Stutzer ‘Buck’ gaben, in der Gunst und im Schatten des Monarchen ein Reg¡- ment der Eleganz, Exzentrik und Bonmots aufbauen.

Brummells Eltern starben 1793 und 1794, was den brillanten, aber faulen Schüler zum Vollwaisen und Erben machte. Da er zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig war, wur­de sein Anteil von circa 22 Tausend Pfund Sterling bis zu seiner Volljährigkeit einem Treuhänder übergeben.55 Nach seinem Besuch der Eliteschule Eton, an der er durch seinen Kleidungsstil und seine tadellosen Manieren auffiel, ging er mit 15 Jahren auf das Oriel-College in Oxford. Dort suchte er so intensiv Kontakt zu Studenten aus bes­ten Familien, dass ihm keine Zeit zum Lernen blieb, weshalb er die Hochschule nach nur einem Jahr wieder verließ und zum Militär ging. Mit nur 16 Jahren wurde der Beau der jüngste Fahnenführer und Offizier bei den Tenth Hussars, die direkt vom Prinzen von Wales kommandiert wurden. Dieser Zugehörigkeit zu diesem Hausregiment war es zu verdanken, dass er nun hier den ersehnten Kontakt zu den höchsten Gesellschafts­kreisen aufbauen konnte. Seine Aufgaben und den eigentlichen Wehrdienst vernach­lässigte der zukünftige Dandykönig allerdings, da er so oft es ging versuchte den Prinz­regenten zu treffen. Trotz alledem war er bei seinen Kameraden, die er, wenn er denn zugegen war, oftmals nicht erkannte, sehr beliebt, da er mit seinem Geist, Witz und seiner scharfzüngigen Schlagfertigkeit zu überzeugen wusste. Schon drei Jahre später wurde er zum Captain ernannt, ehe er kurze Zeit später den Militärdienst quittierte.56

Mit der Volljährigkeit bekam Brummeil sein Erbe ausgezahlt, mit dem ein sparsames aber sorgenfreies Leben möglich gewesen wäre. Er jedoch beschloss, dem Vergnügen und dem Müßiggang die höchste Priorität einzuräumen. In seiner kleinen, aber gut ein­gerichteten eigenen Wohnung mit zwei Pferden, einem Koch und einem Diener, gab er immer öfter feine Dinner, an denen auch der zukünftige König teilnahm. Allmählich kris­tallisierte sich ein eigener Lebensstil heraus mit dem darauf fundierten Ziel: Die Ver­körperung des perfekten Gentleman. Hierfür brachte er physisch die besten Vorausset­Zungen mit, war er doch groß gewachsen, schlank mit länglichem Gesicht, eingerahmt von einer hellbraunen Lockenpracht. Sein lebendiges Mienenspiel war auffällig und er hatte immer einen leicht spöttischen Ausdruck auf der Augen- und Mundpartie. ״Wenn er von nun an Beau Brummeil genannt wurde, so aber nicht wegen seines Aussehens, sondern aufgrund der unvergleichlichen Eleganz seiner Erscheinung“.57 Ebendiese Eleganz und Sicherheit in jeglichen stilfragen machten ihn alsbald zu einer Glanzper­son in der galanten Welt Londons. Er war Mitglied in den berühmtesten Klubs, wohnte exquisiten Bällen bei und konnte sich der Protektion und Freundschaft des Prinzen von Wales und weiteren Mitgliedern des Königshauses sicher sein. Exklusive Parties tan­den nie ohne ihn statt, sein Name Stand immer an erster stelle der Gäste ohne Titel. Seine Macht erstreckte sich von den Klubs bis zu den Ballsälen, von den Landsitzen bis in die Oper. Er gab den Ton an, wenn es um die Kleidung und die Etikette ging. Die französische Professorin Françoise Coblence schrieb hierzu in ihrem Werk Le dandy­sme - Obligation d’incertitude: ״Brummeil donnait le ton. Laissant le prince loin derrière lui, il ne tarda pas à devenir le despote de la mode“58. Dass sich die englische Hocha­ristokratie allerdings von dem ״Sohn eines kleinen Staatsbeamten und Enkel eines Dienstboten den guten Ton diktieren ließ“59, verdankte Brummeil nicht nur der Königs­nähe sondern auch der Tatsache, dass der englische Adel talentierten Aufsteigern of­fen gegenüberstand. Die Grenze zwischen dem Bürgertum und dem Adel war durch­lässig, auch wenn es ein ausgeprägtes Standesbewusstsein gab.60 Für Brummells ra- schen Aufstieg war somit die Mode und deren Macht entscheidend. ״In der ‘großen Welt’ dominierte nicht der Hof, auch nicht allein die reiche Aristokratie, die führende Stellung nahmen vielmehr die ‘Exclusives’ oder ‘Fashionables’ ein.“61 Vor Brummeil war der Prinz von Wales allerdings die federführende Lichtgestalt am Modehimmel. Kein englischer Monarch vor ihm war so verschwenderisch und genoß den Punk und Glanz so sehr wie George IV, der mit Brummeil stets um den Titel arbi­ter elegantiarum, ein Fachmann in Fragen des guten Geschmacks, wetteiferte. Nichts­destotrotz schaute der angehende König dem 16 Jahre jüngeren Beau immer wieder beim Ankleiden zu und akzeptierte dessen Autorität in Sachen Mode. Brummeil war ein häufiger Gast am Sitz des Regenten.

Zu seinem Verhängnis glaubte er, seine Machtstellung schließlich auch gegen seinen [...] Gönner richten zu können. Er machte diesen zur Zielscheibe sei­nes Spotts und mokierte sich über die Körperfülle Seiner Königlichen Hoheit und seiner Mätresse Mrs. Fitzherbert.62

Der genaue Grund, warum der Regent den einstigen Schützling fallen ließ, ist nicht hin­reichend bekannt, Brummeil trug es zu Beginn jedoch noch mit Gleichgültigkeit. So machte er den Monarchen überall lächerlich und behauptete, dass nicht der Prinz von Wales, sondern er, Brummeil, die Verbindung abbrach. Der Monarch ignorierte darauf­hin den Beau immer wenn sie sich begegneten, währenddessen dieser nicht davor zu­rückscheute, das Verhalten seines ehemaligen Förderers zu kommentieren.

Als der Watier’s Club, zu dessen führenden Persönlichkeiten Brummeil gehör­te, einen Ball veranstaltete und den Regenten dazu einlud, ignorierte der Prinz demonstrativ den anwesenden Beau, worauf dieser, zu seinem Freund Lord Alvanley gewandt, mit lauter Stimme sagte, so daß es alle hören konn­ten: ‘Wer ist eigentlich Dein dicker Freund?’63

Dies mag eine von mehreren Szenen sein, an der sich Brummells unerschütterliches Selbstvertrauen und Geistesgegenwart widerspiegelten. Damit sollte es allerdings nicht mehr allzu gut bestimmt sein, fiel ihm mit dem Wegfall seines Gönners, auch ein Groß­teil der Finanzen weg. Immer häufiger war er in Klubs anzutreffen, um dort zu spielen, was ihn in den finanziellen Ruin führte. Er lebte vom geliehenen Geld seiner Freunde und blieb weiterhin dem Spielen treu. Der Wegfall seiner gesamten Liquidität nebst dem Anhäufen eines enormen Schuldenberges zwangen Brummeil dazu seine Woh­nung mit den Bediensteten aufzukündigen.

Als der finanzielle Bankrott nicht mehr aufzuhalten war, beschloß Brummeil im Mai 1816 England bei Nacht und Nebel zu verlassen. Am Vorabend seiner Ab­reise speiste er zuhause. Er ließ sich kaltes Geflügel von Watier’s bringen und leerte eine Flasche Bordeaux. Dann besuchte er wie gewöhnlich die Oper, ver­ließ die Aufführung aber vorzeitig und bestieg die Kutsche nach Dover.64

Im Exil in Calais richtete sich der Dandy genauso ein, wie er es gewohnt war. Zu keiner Zeit begriff er den Unterschied zwischen dem überflüssigen und dem Notwendigen.65 Diese Lebensqualität verdankte er gut betuchten Freunden, die ihm immer wieder Geld zukommen ließen. Auch seinem Lebensstil frönte Brummeil weiterhin. Er stand um neun Uhr morgens auf, trank einen Cafe au lait, laß danach die Zeitung oder ein Buch, ging dann zwei bis drei stunden seiner Toilette nach, ging dann spazieren, um sich da­nach für das Abendessen umzuziehen, das von einem naheliegenden Hotel geliefert wurde. Um 19 Uhr ging er ins Theater, ehe er die Abendstunden im Garten mit dichten oder zeichnen verbrachte.66 Ein Tag im Exil eines Dandys.

18.0 verließ Brummeil Calais um englischer Konsul in Caen zu werden, ein Amt, dass ihm ein befreundeter Herzog zum Begleichen seiner Schulden vermittelte. Auf dem Weg zu seinem neuen Arbeitsplatz kam er an Paris vorbei, wo er sich eine Schnupfta­bakdose anfertigen ließ, für 2500 Francs.67

In Caen lebte der einstige Star der Londoner High Society weiterhin über seine Ver­hältnisse. Da er jeden Tag drei verschiedene Hemden und Halsbinden trug und Be­dienstete engagierte, waren seine monatlichen Ausgaben horrend. Möglich machte dies seine damalige und aktuelle Stellung, bekam er doch als ehemaliger bekannter Dandy und jetziger Konsul Kredite. Als durch die Schließung des Konsulats in Caen Brummeil der Stellung beraubt wurde, brach der finanzielle Kollaps über ihn herein. Dank alter Freunde konnte er die dringendsten Schulden begleichen, musste aber auf Veranlassung der Gläubiger für zehn Wochen ins Gefängnis. Auch hier verbrachte er mehrere stunden im Bad, wechselte allerdings seine Kleidung nur noch einmal am Tag. Dies sollte er auch nach dem Aufenthalt beibehalten, ״[d]a er aber weder auf seine gelben Handschuhe, sein Eau de Cologne, sein Haaröl und seine Lack-Schuhcreme verzichten wollte, machte er bald wieder Schulden“68.

Das Ende seiner Dandykarriere war erreicht, als er von weißen auf schwarze Krawat­ten umsteigen musste, da die hellen zu schnell verschmutzten. Sein Markenzeichen war verloren, was in ihm einen völlig verzweifelten Zustand auslöste, den er gegenüber seinem Geldvermittler zum Ausdruck brachte:

Es ist, seien Sie versichert, mit dem größten Widerstreben, daß ich mich ge­zwungen sehe, Sie gelegentlich um Hilfe zu bitten. Doch ich sagte Ihnen ges­tern die Wahrheit, als ich zu Ihnen von dem verachtungswürdigen Zustand meines Lebens sprach. Ich habe kein einziges tragbares Hemd, noch sind meine Socken und Unterhosen in einem besseren Zustand.69

Wie seiner Kleidung erging es dem alternden Dandy. Er litt an Gedächtnisverlust, ver­wechselte Leute und erzählte immer wieder die selben Geschichten. Er sah immer heruntergekommener aus, was Ende 1837 seinen Zenit erreichte. Nachdem ihm alle

[...] Zähne ausgefallen waren, mutete er den Menschen [...] fürchterliche Schmatzgeräusche zu. Eines Sonntags lauscht er [...] einem Konzert der Phil­harmonie, wieder schmatzt er geräuschvoll, der Mann neben ihm erkennt ihn am Geräusch und bittet ihn: ‘Mein lieber Brummeil, wenn Sie unbedingt schmatzen müssen, so schmatzen sie doch maßvoll!’70

Der einstige König der Dandys und Wächter der guten Sitten und der Eleganz wurde zum Opfer seiner eigenen Schöpfung. 1838 wurde er in die Irrenanstalt von Bon-Sau­veur überstellt, in der er am 30. März 1840 in Lumpen gehüllt und vollkommen ver­wahrlost starb.71

Er war nie etwas anderes gewesen als ein Schatten von Königs Gnaden.

Nachdem der Blick, der ihn einst erschuf, sich von ihm abgewandt hatte, stand er alleine vor seinem Spiegel, empfing den Todesstoß mit seiner eige­nen Waffe und trat durch das Spiegelglas auf die andere Seite.72

1.3. Brummells Modereformen: Des Mannes neue Kleider

״Frauen und Dandys wollen sich hervortun, und diesen Willen zur Distinktion drücken sie in ihren Kleidern aus, während die männliche Kleidung auf Vereinheitlichung setzt.“73 Trotz alledem ist die Mode ein Nivellierungsmittel und keines der Distink- tionen.74 ״Anders gesagt: Es ist die Gleichgültigkeit gegen alles im landläufigen Sinne Modische, die distinguiert.“75

Brummeil erstieg den Zenit der Londoner High Society, als die Herrenmode am Rande der Vernachlässigung anzutreffen war:

Der reife europäische Mann, selbstredend ein Geistesmensch, zeigt in seiner Kleidung, dass er arbeitsam ist und nicht viel Zeit zum Ankleiden und Sich-put- zen hat, auch alles Kostbare und üppige in Stoff und Faltenwurf im Wider­Spruch mit seiner Arbeit findet [...].76

Das Ende des Anciem Regime brachte somit gegen Ende des 18. Jahrhunderts den Star der bürgerlichen Männerbekleidung hervor: Den dreiteiligen Anzug, bestehend aus schwarzem Frack, langer schwarzer Hose und kurzer schwarzer Weste.77 Zierereien waren genauso wenig die Regel, wie die üppige Prachtentfaltung.78 Die Mode war am Scheideweg zwischen zwei Polen aus ‘altbackener’ Hofklamotte und ‘schnödem’ schwarzem Bürgeranzug. Es bedurfte eines Beau, der ״einen Kurs zwischen den Ex- tremen“79 ansteuerte und so ״der adeligen Mode der Höflinge postrevolutionär den Garaus“80 machte.

Der Protege des Prinzregenten schuf einen neuen Kleidungsstil für Herren, wobei er dabei genauso großen Wert auf einen tadellosen, korrekten Sitz legte, wie auf perfekt abgestimmte Details und Accessoires. Er verwendete kein Make-Up, puderte sich nicht die Haare, trug diese lieber offen ״ä la Brutus“81 und verwendete, im Gegensatz zum Aristokraten, nur Wasser und Seife und kein Parfüm.82

Unter Brummells Argusaugen entstanden geknüpfte Westen in moderaten Farben, ״Fräcke mit fallenden Schößen [...] Kniehosen aus Wildleder und dazu passende stie- fei oder an den Knöcheln befestigte Pantalons und eckige Biberhüte“83, die von jedem Mann, der auch nur irgendwas von sich hielt, getragen wurden. Der Beau selbst liebte es, sich in gelber Weste, blauem Rock und hellen Wildlederpantalons zu präsentieren, unter denen seine Hussarenstiefel zum Vorschein kamen. Am Abend gefiel er sich im blauen Frack zu weißer Weste, schwarzer Flose und gestreiften Seidenstrümpfen unter seinen Lackschuhen.84 Der Fürst Hermann von Pückler-Muskau beschrieb 1827 in ei­nem Brief an seine Frau den Aufwand des Dandys bezüglich seiner Kleidung:

Als ein Beispiel, was ein Dandy hier alles bedarf, teile ich dir folgende Aus­kunft meiner fashionablen Wäscherin mit, die von einigen der ausgezeichnets­ten Elegants employiert wird und allein Halstüchern die rechte Steife und Bu­senstreifen die rechten Falten zu geben weiß. Also in der Regel braucht ein solcher Elegant wöchentlich 20 Hemden, 24 Schnupftücher, 9-10 Sommer ‘trousers’, 30 Halstücher [...] ein Dutzend Westen und Strümpfe à discrétion.

[...] Da aber ein Dandy ohne drei bis vier Toiletten täglich nicht füglich aus­kommen kann, so ist die Sache sehr natürlich, denn 1. erscheint er in der Frühstückstoilette im chinesischen Schlafrock und indischen Pantoffeln; 2. Morgentoilette zum Reiten im frock-coat, Stiefeln und Sporen; 3. Toilette zum Diner, in Frack und Schuhen; 4. Balltoilette in Pumps, ein Wort, das Schuhe, so leicht wie Papier, bedeutet, welche täglich frisch lackiert werden.85

Den Kardinalpunkt der Eleganz stellten Brummells weiße Krawatten dar, von denen er eine Vielzahl besaß. Das Finden der richtigen Steife und der perfekten Position dauerte mehrere stunden und einige Halsbinden. Mit dem Satz: ״Oh, es sind unsere mißglück­ten Exemplare“ äußerte sich einst Brummells Diener gegenüber einem Besucher, den er, mit dutzenden Binden über dem Arm, im Hause Brummells empfing.86 Über die Einhaltung des guten Geschmacks wachte der Beau mit despotischem Blick:

‘Wenn sich jemand nach dir umdreht, so bist du nicht gut gekleidet, entweder zu steif, zu unbeweglich oder zu modisch’, lautet eine Maxime des berühmtes­ten Dandys des frühen 19. Jahrhunderts [...] Seine Prinzipien waren: Ge­pflegtheit, Reinlichkeit, Harmonie und Unauffälligkeit. Jede zu offensichtliche Exzentrizität im äußeren Habitus wurde von ihm missbilligt.87

Er trat als Schiedsrichter des guten Geschmacks auf, kritisierte die Kleidung anderer, auch höhergestellter Gentlemen, witzig, aber dennoch mit bissigem Ton. Allerdings brauchte er diesen nicht einmal sprechend zu äußern. Nonverbal zog er entweder nur eine Augenbraue hoch oder lächelte einfach skeptisch: Beides eine unausgesprochene Abmahnung für den Träger und seine Kleidung.

So gab es im Laufe des Lebens des arbiter elegantiarum einige Urteile, die schon an­ekdotische Züge aufweisen:

Eines Abends saß Lord Worcester im Klub neben [Brummeil]. Eine Krawatte im orientalischen Stil verdeckte das Gesicht des Lords und verdammte ihn zu völliger Bewegungslosigkeit des Kopfes. Brummeil ließ den Kellner kommen und fragte: ‘Ist Lord Worcester hier? - Ja, Sir - Sagen Sie Seiner Lordschaft, daß ich mich glücklich schätzen würde, ein Glas Wein mit ihm zu trinken. - Ja,
Sir. - Ist seine Lordschaft bereit? kam die Frage einen Augenblick später. - Ja,
Sir. - Dann sagen Sie ihm bitte, daß ich auf seine Gesundheit trinke.’ Mit diesen Worten leerte Brummeil sein Glas, ohne sich nach dem Lord umzudre- hen.88

Ein anderes Mal ging Brummeil mit einem Freund über die st. James’ Street spazieren, als er plötzlich anhielt und ihn fragte: ״‘Wie nennen Sie das, was Sie an den Füßen tra­gen?’ - ‘Warum? Schuhe!’ erwiderte sein Begleiter. ‘So, Schuhe?’ antwortete Brummeil und fuhr fort: ‘Ich dachte, es wären Pantoffeln.’“89

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Luhrmann, Niklas (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt am Main: Suhrkamp, s. 218.

2 Onfray, Michel (2014): Leben und Tod eines Dandys. Göttingen: L.S.D., s. 11.

3 Ebd.

4 Vinken, Barbara (2014): Angezogen. Das Geheimnis der Mode. Stuttgart: Klett, s. 89f.

5 Schuhen, Gregor (2018): "Manieren, Manierismen und Marginalisierung. Der Dandy zwischen Hegemonieanspruch und Homosexualitätsverdacht" (Manuskript), s. 7.

6 Wilde, Oscar (1894): An ideal Husband, 3. Akt, 1. Szene.

7 vgl. Münch, Paul (1992): Lebensformen der frühen Neuzeit. 1500 - 1800. Berlin: Propyläen, s. 345f.

8 Schuhen, Gregor (2005):״Dandy, Dichter, Demagoge - Männlichkeitsentwürfe der Belle Epoque.“ In: Marijana Erstić, Gregor Schuhen, Tanja Schwan (Hrsg.): Avantgarde, Medien, Performative. Inszenierungs- und Wahrnehmungsmuster zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bielefeld: transcript, s. 323.

9 Ebd.

10 Ebd.

11 vgl. Ebd.

12 Schuhen: ״Dandy, Dichter, Demagoge“, s. 327.

13 Ebd.

14 Ebd., s. 328.

15 vgl. Erbe, Günter (2002): Dandys - Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens. Köln: Böhlau, s. 112.

16 Schuhen: ״Dandy, Dichter, Demagoge“, s. 328.

17 Ebd.

18 vgl. Schuhen: ״Dandy, Dichter, Demagoge“, s. 328.

19 Ebd.

20 Ebd.

21 Ebd.

22 vgl. Ebd.

23 Fratz, Kristine (2001): Dandy und Vampir, die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen. Remscheid: Gardez, s. 21.

24 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, S.8.

25 vgl. Klee, Wanda G. (2001 ): Leibhaftige Dekadenz. Studien zur Körperlichkeit in ausgewählten Werken von Joris-Karl Huysmans und Oscar Wilde. Heidelberg: Winter, s. 95.

26 Fratz: Dandy und Vampir, s. 7.

27 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 12.

28 Schickedanz, Hans-Joachim (2000): Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine kulturgeschichtliche Studie überden europäischen Dandyismus. Berlin: Lang, s. 10.

29 Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, s. 21.

30 Carlyle, Thomas (2008): Sartor Resartus. Oxford: University Press, s. 207.

31 Frei übersetzt aus dem Englischen.

32 Kraif, Ursula (2007): Duden. Das große Fremdwörterbuch. Mannheim: Bibliographisches Institut, s. 294.

33 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 18.

34 Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, s. 17.

35 vgl. Fratz (2001): Dandy und Vampir, s. 24.

36 Erbe, Günter (2017): Der moderne Dandy. Köln: Böhlau, s. 39.

37 Klee: Leibhaftige Dekadenz, s. 107.

38 Fratz: Dandy und Vampir, 23.

39 vgl. Schramm, Martin (1995): Der soziale Auftrag der absoluten Kunst. Gesellschaftskritik in Oscar Wildes An Ideal Husband. München: utz, s. 22.

40 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 20.

41 Schramm : Der soziale Auftrag der absoluten Kunst, s. 22.

42 Erbe: Der moderne Dandy, s. 36.

43 Virginia Woolf Zit. in Ebd.

44 Ebd.

45 Fratz: Dandy und Vampir, s. 8.

46 Ebd., s. 25.

47 vgl. Ebd., s. 25f.

48 Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, s. 20.

49 vgl. Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 9.

50 Erbe: Der moderne Dandy, s. 40.

51 Vinken: Angezogen, s. 88.

52 Erbe: Der moderne Dandy, s. 15.

53 Schuhen: ״Dandy, Dichter, Demagoge“, s. 326.

54 Onfray: Leben und Tod eines Dandys, s. 12.

55 vgl. Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 27f.

56 vgl. Jesse, Captain William (1927): The Life of Beau Brummeil. London: The Navarre Society limited, s. 27.

57 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 29.

58 Coblence, Françoise (2000): Le dandysme. Obligation d’incertitude. Paris: Presses Univ. de France, s. 40.

59 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 30.

60 vgl. Ebd.

61 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 31.

62 Ebd., s. 41.

63 Ebd., s. 42.

64 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 43.

65 vgl. Ebd.

66 vgl. Ebd., s. 44.

67 vgl. Ebd., s. 45.

68 Ebd., s. 46f.

69 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 47.

70 Onfray: Leben und Tod eines Dandys, s. 45.

71 vgl. Ebd., s. 46.

72 Ebd., s. 13.

73 Vinken: Angezogen, s. 75.

74 vgl. Vinken: Angezogen, s. 76.

75 Ebd.

76 Ebd.

77 vgl. Brändi¡, Sabina (1998): Der herrlich biedere Mann. Vom Siegeszug des bürgerlichen Herrenanzugs im 19. Jahr­hundert. Zürich: Chronos, s. 134.

78 vgl. Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 34.

79 Ebd.

80 Vinken: Angezogen, s. 86.

81 Ebd.

82 vgl. Ebd.

83 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 34.

84 vgl. Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 34.

85 Ebd., s. 37.

86 vgl. Jesse: The Life of Beau Brummeil, s. 42.

87 Erbe: Der moderne Dandy, s. 9.

88 Erbe: Dandys - Virtuosen der Lebenskunst, s. 38.

89 Ebd., s. 43.

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Barbey d'Aurevilly, Baudelaire und Balzac. Zur ambivalenten Männlichkeit des Dandys im 19. Jahrhundert
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Romanistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
81
Katalognummer
V451905
ISBN (eBook)
9783668846968
ISBN (Buch)
9783668846975
Sprache
Deutsch
Schlagworte
dandy, frankreich, gender, masculinity, studies, männlichkeit, balzac, baudelaire, barbey d'aurevilly, barbey, brummell, england, high society, mode, kulturwissenschaft, henri de marsay, lagerfeld, dandysme, dandyismus, dandytum
Arbeit zitieren
Bruno Minniti (Autor:in), 2018, Barbey d'Aurevilly, Baudelaire und Balzac. Zur ambivalenten Männlichkeit des Dandys im 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/451905

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