Das System des Ehegattensplittings in der Kritik

Mögliche Reformmodelle aus Politik und Wissenschaft


Diplomarbeit, 2018

98 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkurzungs- und Symbolverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Ziel der Arbeit
1.2. Aufbau der Arbeit

2. Besteuerung des Einkommens
2.1. Einordnung, Prinzipien und Bedeutung der Einkommensteuer
2.2. Ermittlung und Erhebung der Einkommensteuer

3. Offentliche Diskussion zur Reform des Ehegattensplittings
3.1. Verfassungsmafiigkeit des Ehegattensplittings
3.2. Unzureichende Forderung von Familien
3.3. Ungerechter Splittingvorteil
3.4. Benachteiligung von Frauen
3.5. Ableitung des Reformbedarfs
3.6. Definition der Kriterien zur Bewertung der Reformmodelle

4. Reformmodelle zum Ehegattensplitting
4.1. Familiensplitting
4.1.1. Funktionsweise
4.1.2. Aus wirkungen
4.1.3. Bewertung
4.2. Realsplitting
4.2.1. Funktionsweise
4.2.2. Auswirkungen
4.2.3. Bewertung
4.3. Individualbesteuerung
4.3.1. Funktionsweise
4.3.2. Auswirkungen
4.3.3. Bewertung

5. Abschliefiende Beurteilung und Ausblick

Anhang

Literaturverzeichnis

Gesetzes- und Urteilsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Tarifvcrlauf der Einkommensteuer fur den Veranlagungszeitraum 2018

Abbildung 2: Lohnsteuerlast nach Wahl der Steuerklassen beim Ehegattensplitting

Abbildung 3: Steuerentlastung bei drei Kindern pro Jahr in Euro

Abbildung 4: Impliziter Splittingfaktor fur ein bzw. das erste Kind

Abbildung 5: Verschiebung des ESt-Tarifs 2018 zum Abbau des Mittelstandsbauches

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Gunstigerprufung von Kindergeld und Kinderfreibetrag am Beispiel eines Ehepaares mit einem Kind

Tabelle 2: Steuersatze im Grund- und Splittingtarif fur den Veranlagungszeitraum 2018

Tabelle 3: Darstellung Splittingeffekt

Tabelle 4: Anzahl der Steuerpflichtigen nach Grund- und Splittingtabelle im Jahr 2013

Tabelle 5: Statistik der Eheschliefiungen und -scheidungen 1991 - 2015 in Deutschland

Tabelle 6: Beispielrechnung des Splittingeffekts zur Kompensation eines zweiten Einkommens

Tabelle 7: Geschlechterspezifische Verteilung der Lohnsteuerklassen im Jahr 2012

Tabelle 8: Gewinner und Verlierer des Familiensplittings in Prozent

Tabelle 9: Gewinner und Verlierer des Familiensplittings nach dem Familienstand in Prozent

Tabelle 10: Steuerschuld von Ehegatten bei Eherealsplitting

Tabelle 11: Gewinner und Verlierer des Realsplittings in Prozent

Tabelle 12: Gewinner und Verlierer des Realsplittings nach Familienstand in Prozent

Tabelle 13: Steuerschuld von Ehegatten bei Individualbesteuerung mit ubertragbarem Grundfreibetrag in Hohe des Existenzminimums

Abkurzungs- und Symbolverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„Unterstutze jenes Steuersystem, das Du wahlen wurdest, wenn Du nicht wusstest, ob Du zu den Armen oder Reichen gehorst (oder zu den Alleinerziehenden oder Verheirateten kinderlosen).“1

Dieses Zitat schien der Autorin dieser Arbeit einige Male die passende Antwort auf die teils emotionalen Meinungsaufierungen, die die Nennung des Themas dieser Arbeit bei Bekannten und Verwandten ausgelost hat. Dabei sind sich etwa ein Drittel der Nutzer des Ehegattensplittings nicht daruber im Klaren, dass ihr Einkommen nach dem Splittingtarif versteuert wird. Tatsachlich ist sich namlich nur ca. ein Viertel der Gesamtbevolkerung und etwa die Halfte derjenigen, die nach eigener Auskunft Nutzer des Splittings sind, uber die Funktionsweise des Ehegattensplittings bewusst.2

Seit der Einfuhrung des Ehegattensplittings vor 60 Jahren wird von Politikern und Wissenschaftlern eine Diskussion gefuhrt, in der dem Ehegattensplitting vorgeworfen wird, es sei ungerecht, da es Ehepaare gegenuber unverheirateten Paaren bevorzuge; es sei unsozial, da es unverheiratete Paare mit Kindern und Alleinerziehende nicht ausreichend berucksichtige; und es sei frauenfeindlich, da es negative Erwerbsanreize fur Frauen schaffe. Das Thema ist insofern aktuell, als dass zu Bundestagswahlen regelmafiig Modelle zur Reform des Ehegattensplittings Einzug in die Wahlprogramme der politischen Parteien halten. So zuletzt zur Bundestagswahl im Jahr 2017. Doch auch in der Wissenschaft wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Reformmodelle diskutiert und auf ihre Wirkungen untersucht. Die Diskussion wird auch als „steuerpolitischer Evergreen“3 bezeichnet, da sie seither ohne Ergebnis gefuhrt wird.

1.1. Ziel der Arbeit

Ziel der Arbeit ist es zu untersuchen, ob die Argumente gegen das Ehegattensplitting belegt werden konnen, inwiefern die Kritik berechtigt ist und ob die in Politik und Wissenschaft vertretenen Reformmodelle die Kritikpunkte beilegen konnen.

1.2. Aufbau der Arbeit

Im Grundlagenteil wird zunachst eine Einfuhrung in das System der Einkommensteuer in Deutschland gegeben, die Prinzipien sowie die Bedeutung dieser herausgestellt und die Ermittlung der Einkommensteuer erklart. Hier wird insbesondere auf die Begriffe Splittingverfahren und Splittingtarif eingegangen, die fur das weitere Verstandnis der Diskussion und der Reformmodelle von Bedeutung sind. Dabei wird in der gesamten Arbeit in Beispielrechnungen davon ausgegangen, dass die Ehegatten einer nichtselbstandigen Tatigkeit nachgehen - in der Realitat kann sich das zu versteuernde Einkommen aus mehreren Einkommensarten zusammensetzen, die hier zum besseren Verstandnis jedoch vernachlassigt werden.

Anschliefiend werden in Kapitel 3 die Argumente der Kritiker und Befurworter auf ihre Plausibilitat untersucht und daraus der eigentliche Reformbedarf des Ehegattensplittings abgeleitet. Damit die Reformmodelle Familiensplitting, Realsplitting und Individualbesteuerung mit ubertragbarem Grundfreibetrag in Kapitel 4 hinsichtlich der Beilegung der Diskussion verglichen werden konnen, werden an jedes der Modelle gleiche Kriterien gelegt, die zuvor aus dem abgeleiteten Reformbedarf herausgearbeitet wurden. Abschliefiend erfolgt eine zusammenfassende Beurteilung der Reformmodelle hinsichtlich der Beilegung der Diskussion um die Reform des Ehegattensplittings.

Fur die vorliegende Arbeit gilt, dass wenn von Ehegatten, Ehepartnern, Ehemann oder Ehefrau gesprochen wird, immer auch gleichgeschlechtliche Ehen gemeint sind. Einige Problemstellungen, wie die Benachteiligung von Frauen durch die Steuerklassen, gehen jedoch von einer Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft von Mann und Frau aus. In keinem Fall findet in der Arbeit eine bewusste Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen statt.

2. Besteuerung des Einkommens

Zur Finanzierung seiner Staatsausgaben bedient sich der Staat einer Vielzahl von Einnahmequellen, einem System aus offentlich-rechtlichen Lasten. Dabei fliefien ihm neben Gebuhren, Beitragen, Geldbufien und Sonderabgaben auch Steuern zu.4

Bereits im Jahr 1891 wurde die Einkommensteuer (ESt) zur wichtigsten Einnahmequelle des Staates und besteuerte vier Einkommensquellen: Kapitalvermogen, Grundvermogen, Handel und Gewerbe sowie gewinnbringende Beschaftigung. Das Reichseinkommensteuergesetz von 1934 enthielt die heute bekannten sieben Einkunftsarten, namlich Einkunfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbststandiger Tatigkeit, aus nicht selbststandiger Tatigkeit, aus Kapitalvermogen, aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkunfte. Auch Aufwendungen, die erwerbsbezogen waren, die sog. Werbungskosten, konnten bei der Ermittlung des Einkommens abgezogen werden. Weiterhin wurde im Tarif ein existenzsicherndes Minimum berucksichtigt.5

Nachfolgend wird zunachst auf die Prinzipien, die Bedeutung und die Erhebung der Einkommensteuer eingegangen.

2.1. Einordnung, Prinzipien und Bedeutung der Einkommensteuer

Steuern lassen sich allgemein wie folgt klassifizieren:

- nach der Ertragshoheit,
- nach der Verwaltungshoheit,
- nach dem Gegenstand der Besteuerung und
- nach der Uberwalzbarkeit der Steuern.6

Die Ertragshoheit richtet sich nach Art. 106 GG und meint die Verteilung des Steueraufkommens.7 Bei der Verteilung unterscheidet man nach

- reinen Bundessteuern, die dem Bund allein zufliefien, z. B. die Einfuhrumsatzsteuer oder die Tabaksteuer,
- reinen Landessteuern, die den Bundeslandern allein zufliefien, z. B. die Erbschaftsteuer, die Kfz-Steuer oder die Grunderwerbsteuer und
- reinen Gemeindesteuern, die den Gemeinden allein zufliefien, z. B. die Grundsteuer oder die Hundesteuer.

Hinzu kommen Gemeinschaftssteuern, deren Einnahmen gem. Art. 106 Abs. 3 GG Bund und Landern gemeinsam zustehen. Demnach erhalten Bund und Lander aus den Einnahmen der Korperschaftsteuer jeweils die Halfte. Das Aufkommen von Umsatzsteuer und Einkommensteuer, welche ebenfalls Gemeinschaftssteuern sind, teilen sich Bund und Lander mit den Gemeinden nach Art. 106 Abs. 5, 5a GG. Die Einnahmen aus der Einkommensteuer kommen Bund und Landern demnach zu je 42,5 Prozent und den Gemeinden zu 15 Prozent zu. In Erganzung dazu stehen dem Bund die Einnahmen aus dem Solidaritatszuschlag gem. § 1 Abs. 1 i. V. m § 2 SolzG, einer Erganzungsabgabe zur Einkommen- und Korperschaftsteuer, allein zu.

Die in Art. 108 GG geregelte Verwaltungshoheit, also das Recht die Steuer festzusetzen und zu erheben, liegt entweder beim Bund fur die Bundessteuern oder bei den Landern fur die Landes- und Gemeinschaftssteuern sowie bei den Gemeinden fur die Gemeindesteuern.

Der Gegenstand der Besteuerung richtet sich nach Besitz, Teilnahme am Rechtsverkehr oder Verbrauch. Der Besteuerungsgegenstand lasst sich demnach in Besitzsteuern, Verkehrssteuern und Verbrauchssteuern untergliedern. Anknupfungspunkt fur die Besteuerung des Besitzes ist das Einkommen bzw. der Ertrag. Zu den Besitzsteuern zahlen die Einkommensteuer, aber auch die Gewerbesteuer oder die Grundsteuer. Die Verkehrssteuern knupfen an die Teilnahme am Rechts- und Wirtschaftsverkehr an. Dazu zahlen die Umsatzsteuer oder die Grunderwerbsteuer. Verbrauchssteuern knupfen an die Beschaffung von Verbrauchsgutern an. Beispielhaft lassen sich hier die Tabaksteuer oder die Biersteuer nennen.8

Hinsichtlich der Uberwalzbarkeit von Steuern wird in direkte und indirekte Steuern unterschieden. Bei den direkten Steuern sind Steuerschuldner und Steuertrager identisch - sie belasten den Steuerschuldner also direkt. Dies ist bspw. bei der Einkommensteuer der Fall. Die indirekten Steuern belasten den Steuertrager dagegen nur indirekt. Hier sind Steuerschuldner und Steuertrager nicht identisch. Dies trifft z. B. auf die Umsatzsteuer zu.9

Die Einkommensteuer ist also - je nach Klassifizierung - eine Gemeinschaftssteuer, die von den jeweiligen Bundeslandern verwaltet wird, deren Einnahmen Bund, Landern und Gemeinden jedoch gemeinsam zufliefien. Da beim Steuerpflichtigen das Einkommen besteuert wird und dieser von der Steuer direkt belastet wird, ist sie aufierdem eine Besitzsteuer sowie eine direkte Steuer.

Prinzipien der Einkommensteuer

Hauptzweck der Besteuerung ist die Erzielung staatlicher Einnahmen, der sog. Fiskalzweck. Neben dem Fiskalzweck kann Zweck der Besteuerung auch die Lenkung oder Umverteilung bei der Erhebung von Steuern sein. Mit dem Lenkungszweck soll ein gesellschaftspolitisches Verhalten beim Steuerpflichtigen erreicht oder verhindert werden.10 Beispielhaft lasst sich hier die Steuer auf Alkopops, die den Alkoholmissbrauch durch Jugendliche verhindern soll, oder die Okosteuer, die die Reduzierung des Energieverbrauchs zum Ziel hat, anfuhren. Mit dem Umverteilungszweck soll eine Verteilung des Einkommens oder Vermogens in der Gesellschaft erreicht werden. Als Beispiel hierfur ist der in Deutschland erhobene Solidaritatszuschlag zu nennen. Diese Erganzungsabgabe wird u. a. auf die Einkommensteuer und die Lohnsteuer erhoben.11 Er wurde im Jahr 1991 zur Finanzierung der Kosten des Golfkrieges fur ein Jahr eingefuhrt. Im Jahr 1995 wurde die Abgabe dann zur Finanzierung der Kosten der Wiedervereinigung wiedereingefuhrt und bctragt seit dem Jahr 1998 5,5 Prozent.12 Im Februar 2018 haben die Koalitionspartner SPD und CDU/CSU dessen AbschalTung im Jahr 2021 beschlossen.13

Zur Wahrung der Steuergerechtigkeit wird bei Fiskalzwecknormen an die Leistungsfahigkeit des Einzelnen geknupft.14 Das Prinzip der Leistungsfahigkeit wird als „Fundamentalprinzip der Abgabenerhebung“15, als „Grundregel des Einkommensteuergesetzes“16 sowie als ethische und sozialstaatliche Regel angesehen, die im Grundgesetz verankert ist, auch wenn es diesbezuglich keine spezielle Vorschrift enthalt, sondern sich aus einzelnen Artikeln des Grundgesetzes, wie aus dem Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) oder aus Art. 3 GG (Gleichheitsgebot), ableiten lasst.17 Es wird auch als zentrales Verteilungsprinzip und als Mafistab der Steuergerechtigkeit bezeichnet.18

Als Indikator fur die wirtschaftliche Leistungsfahigkeit wird im Einkommensteuerrecht das Einkommen herangezogen.19 Hier gilt zum einen das Prinzip der objektiven Leistungsfahigkeit, bei dem das Einkommen nach Abzug der Ausgaben, die beim Erwerb des Einkommens angefallen sind, zur Zahlungsfahigkeit fuhrt. Zum anderen gilt das Prinzip der subjektiven Leistungsfahigkeit. Dies bedeutet, bezogen auf das Einkommensteuerrecht, dass bei der Besteuerung auch individuelle Umstande, wie das personliche Existenzminimum und die Unterhaltspflichten gegenuber Kindern oder Ehegatten, berucksichtigt werden.20

Bei der Bestimmung der Hohe der Einkommensteuer wird die Steuergerechtigkeit als Mafistab herangezogen, die in zwei Formen unterschieden wird.21 Die vertikale Steuergerechtigkeit besagt, dass hohere Einkommen mit einer hoheren Steuer belastet werden sollen.22 Wahrend die horizontale Steuergerechtigkeit die gleiche Behandlung gleich leistungsstarker Steuerzahler anstrebt.23

Weiterhin sind im Einkommensteuerrecht das Prinzip der Individualbesteuerung, die Besteuerung des Markteinkommens und das Prinzip der Gleichwertigkeit der Einkunftsarten sowie das Veranlassungsprinzip zu nennen. Daruber hinaus gilt das Verbot der Doppelbesteuerung.24 Das Prinzip der Individualbesteuerung besagt, dass die Einkunfte eines jeden Steuerpflichtigen von diesem selbst zu versteuern sind, d. h. die Einkunfte werden personlich zugerechnet. Eine Ausnahme davon bildet lediglich der Tod eines Steuerpflichtigen, da dessen Einkunfte dann von den Erben versteuert werden mussen.25 Die weiteren vorgenannten Prinzipien sind jedoch als Grundlagen fur diese Arbeit nicht relevant und sollen daher nicht naher betrachtet werden.

Bedeutung der Einkommensteuer

Der Einkommensteuer wird aufgrund ihres fiskalischen Aufkommens eine grofie Bedeutung beigemessen, gleichzeitig ist sie aber auch Ausdruck der konjunkturellen Lage sowie Instrument der Wirtschafts-, Sozial- und Familienpolitik.26

Circa drei Viertel ihrer Einnahmen erzielt die Bundesrepublik Deutschland aus den Gemeinschaftssteuern Einkommen-, Korperschaft- und Umsatzsteuer.27 Als eine der Haupteinnahmequellen dient die Einkommensteuer mit ihren Erhebungsformen Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer somit der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben. So hat die Bundesrepublik im Haushaltsjahr 2016 aus der Lohnsteuer 184,8 Mrd. Euro28 sowie 53,8 Mrd. Euro29 aus der veranlagten Einkommensteuer vereinnahmt. Wohin die Einnahmen aus der Einkommensteuer und ihren Erhebungsformen genau fliefien, ist nicht erfasst, weil es keine Zweckgebundenheit von Steuereinahmen gibt. Bis zum Jahr 2021 wird bei der Einkommensteuer sowie der Lohnsteuer mit einem Aufkommenszuwachs von 29,8 Prozent bzw. 35,3 Prozent gerechnet. Der Anstieg der Einnahmen aus der Einkommen- und Lohnsteuer wird mit der positiven Konjunkturentwicklung, der damit einhergehenden Steigerung der Beschaftigtenzahlen und Effektivlohne sowie einer insgesamt anhaltend guten wirtschaftlichen Situation der Einkommensteuerpflichtigen begrundet.30

2.2. Ermittlung und Erhebung der Einkommensteuer

Die ESt wird gem. § 2 Abs. 7 EStG i. V. m. § 25 Abs. 1 EStG stets fur ein Kalenderjahr erhoben (Veranlagungszeitraum).31 Sie wird auf das Welteinkommen der Burger erhoben, die ihren Wohnsitz oder gewohnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (unbeschrankte Steuerpflicht).32 Daruber hinaus wird sie auf das inlandische - also in Deutschland erzielte - Einkommen von den Personen erhoben, die ihren Wohnsitz oder gewohnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland haben (beschrankte Steuerpflicht).33 Das Finanzamt, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder gewohnlichen Aufenthalt hat, ist regelmafiig fur die Festsetzung und Erhebung der Einkommensteuer zustandig.34 Die Einkommensteuererklarung, deren Verpflichtung zur Abgabe sich aus § 56 EStDV sowie aus § 46 EStG ergibt, ist beim zustandigen Finanzamt abzugeben. Auf dieser Grundlage erfolgt die Veranlagung zur Einkommensteuer. Die Veranlagung der Einkommensteuer ist ein Verwaltungsakt, bei dem die Steuer ermittelt und gem. § 15 AO festgesetzt wird. Dabei wird in Einzel- und Zusammenveranlagung (Ehegattenveranlagung) unterschieden.

Bei der Einzelveranlagung wird das zu versteuernde Einkommen und die sich daraus ergebende ESt eines jeden Steuerpflichtigen gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsatzlich einzeln festgestellt. Steuerpflichtige, die ledig, verwitwet oder geschieden sind, werden einzeln veranlagt. In Ausnahmefallen gilt die Einzelveranlagung auch fur Steuerpflichtige, die verheiratet sind. Dies ist dann der Fall, wenn das Ehepaar die Einzelveranlagung ausdrucklich wunscht und beantragt.35 Die Zusammenveranlagung erfolgt bei Ehegatten gem. § 26b EStG. Voraussetzung dafur ist das Vorliegen einer rechtwirksamen Ehe sowie die unbeschrankte Steuerpflicht beider Ehegatten wahrend des Veranlagungszeitraums. Aufierdem durfen die Ehepartner nicht dauernd getrennt leben. Das bei der Einzel- und Zusammenveranlagung ermittelte zu versteuernde Einkommen richtet sich nach Ermittlungsschema in Anhang 136. Es beschreibt, welche Zwischensummen sich bei der Einkommensermittlung ergeben, die schliefilich zum zu versteuernden Einkommen fuhren. Die Einkunfte aus den sieben Einkunftsarten eines Kalenderjahres werden jeweils ermittelt und addiert, wobei positive Ergebnisse mit Verlusten verrechnet werden. Das Ergebnis, die Summe der Einkunfte, kann positiv oder negativ sein. Von der positiven Summe der Einkunfte wird je nach Vorliegen der Voraussetzungen u. a. gem. § 24a EStG der Altersentlastungsbetrag und/oder gem. § 13 Abs. 3 EStG der Freibetrag fur Landwirte abgezogen. Hiernach verbleibt der

Gesamtbetrag der Einkunfte, aus welchem sich das zu versteuernde Einkommen (zvE) i. S. d. § 2 Abs. 4 EStG, wie oben definiert, ergibt. Die Hohe des zvE hangt u. a. vom Abzug des Kinderfreibetrages gem. §§ 31, 32 Abs. 6 EStG ab. Dieser ist allerdings nur abzuziehen, wenn das gezahlte Kindergeld fur die Freistellung des Existenzminimums nicht ausgereicht hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Entlastung durch das Kindergeld die Freibetrage fur Kinder in Hohe von 7.428 Euro im Jahr 2018 nicht erreicht. Das Kindergeld wird den Eltern monatlich uberwiesen und nicht versteuert. Im Jahr 2018 betragt das Kindergeld gem. § 66 EStG monatlich jeweils 194 Euro fur das erste und zweite Kind, fur das dritte Kind 200 Euro und fur das vierte Kind sowie weitere Kinder jeweils 225 Euro.37

Bei der sog. Gunstigerprufung fuhrt das Finanzamt von Amts wegen eine Vergleichsberechnung zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag durch und pruft, ob fur den Steuerpflichtigen Kindergeld oder Kinderfreibetrag vorteilhafter sind. Dabei wird zunachst die Einkommensteuer auf das zvE ermittelt. Anschliefiend wird der Kinderfreibetrag abgezogen und die Einkommensteuer aufgrund der neuen Bemessungsgrundlage ermittelt. Der Kinderfreibetrag ist bei einem Kind gunstiger, wenn die Differenz der beiden Einkommensteuerbetrage die Hohe des Kindergeldes von

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Allgemein ist der Kinderfreibetrag ab einem zvE von ca. 60.000 Euro bei Ehepaaren und ab einem zvE von ca. 30.000 Euro bei Alleinerziehenden gunstiger, wenn sie nur ein Kind haben. Anschliefiend bildet das zvE gem. § 2 Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz EStG i. V. m. §§ 32a ff EStG die Bemessungsgrundlage fur die Anwendung der tariflichen Einkommensteuer, aufgrund derer der Einkommensteuerbescheid an den Steuerpflichtigen erlassen wird. Das EStG unterscheidet hinsichtlich der tariflichen Einkommensteuer zwischen dem Grundtarif und dem Splittingtarif der Einkommensteuer, welche jeweils in § 32a Abs. 1 EStG sowie § 32a Abs. 5 EStG beschrieben sind.

Grundtarif

Der Tarif der Einkommensteuer verlauft grundsatzlich linear-progressiv, also stetig ansteigend, und lasst sich in funf Tarifzonen unterscheiden. Der Tarifverlauf des Grundtarifs kann in Abbildung 138 fur den Veranlagungszeitraum 2018 nachvollzogen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

zu versteuerndes Einkommen in Tausend Euro Abbildung

1: Tarifverlauf der Einkommensteuer fur den Veranlagungszeitraum 2018 ohne zweite Proportionalzone

Die Null-Zone beschreibt das Existenzminimum. In dieser werden bis zu einem zvE von 9.000 Euro keine Steuern erhoben. In der unteren39 bzw. der ersten40 Progressionszone wird der Zuwachs des Einkommens mit einem stetig ansteigenden Steuersatz von 14 Prozent bis 23,97 Prozent besteuert. In der oberen bzw. der zweiten Progressionszone wird der Einkommenszuwachs mit einem stetig ansteigenden Steuersatz von 23,97 Prozent bis 42 Prozent besteuert. Auf diese Zone folgt die erste Proportionalzone, in welcher ab einem zu versteuernden Einkommen von 54.949 Euro die Einkommenszuwachse proportional mit einem Steuersatz von 42 Prozent belastet werden. In der zweiten Proportionalzone werden die Zuwachse ab einem Einkommen von 260.532 Euro dann mit dem Spitzensteuersatz von 45 Prozent belastet, der sog. Reichensteuer. Die zweite Proportionalzone ist in Abbildung 1 zur besseren Leserlichkeit nicht dargestellt.

Dabei betrifft die ansteigende prozentuale Belastung des Einkommens immer nur die relativen Zuwachse und niemals das gesamte zvE (Prinzip des Grenzsteuersatzes).41 Der auf das gesamte zvE bezogene Steuersatz wird Durchschnittssteuersatz genannt und ergibt sich aus dem Verhaltnis der tariflichen Einkommensteuer zum zu versteuernden Einkommen. Zwanglaufig ist dieser immer geringer als der Grenzsteuersatz.42

Splittingtarif

Bei der Zusammenveranlagung ergibt sich das sog. Splitting, d. h. die tarifliche Einkommensteuer betragt gem. § 32a Abs. 5 EStG „das Zweifache des Steuerbetrages, der sich fur die Halfte des gemeinsam zu versteuernden Einkommens ergibt.“

Dies bedeutet, dass das zvE der Ehegatten getrennt ermittelt, addiert und anschliefiend halbiert wird. Dieses Verfahren nennt sich Ehegattensplitting. Auf das halbierte zvE wird der Grundtarif gem. § 32a EStG angewandt. Der so ermittelte Steuerbetrag wird anschliefiend verdoppelt. Durch die Verdopplung des ermittelten Steuerbetrages ergibt sich der sog. Splittingtarif, bei dem gegenuber dem Grundtarif die Eingangsbetrage fur die Steuersatze doppelt so hoch sind. Fur den Veranlagungszeitraum 2018 ergeben sich im Splittingtarif demnach die folgenden Eingangsbetrage fur die Steuersatze gegenuber dem Grundtarif:43

Tabelle 2: Steuersatze im Grund- und Splittingtarif fur den Veranlagungszeitraum 2018

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aufgrund der progressiven Ausgestaltung des ESt-Tarifs kommt es beim Splitting dazu, dass das gemeinsam zvE einem niedrigeren ESt-Satz unterliegt, als wenn beide Einkommen nur addiert und darauf der Grundtarif angewandt werden wurde.44 Aufierdem spricht man von einer Abmilderung der progressiven Wirkung des ESt- Tarifs, da die Einkommen beider Ehegatten unabhangig von ihrer tatsachlichen Verteilung durch den Divisor 2 faktisch gleich verteilt werden.45 HOMBURG fuhrte hierzu den Begriff des Globaleinkommens bzw. der Globaleinkommensbesteuerung ein. Demnach soll „die gemeinsame Steuer der Ehegatten nur von der Summe ihrer Einkommen und nicht von deren Verteilung“46 abhangen.

Splittingeffekt

Als sog. Splittingeffekt wird der Differenzbetrag bezeichnet, der sich zwischen der Einzelveranlagung eines unverheirateten Paares und der Zusammenveranlagung von Ehegatten bei gleichem Gesamteinkommen ergibt. Der Unterschiedsbetrag hat sich in der Praxis auch als Splittingvorteil eingeburgert.47 Allerdings suggeriert der Begriff eine Privilegierung von Verheirateten, worauf in Kapitel 3.3 naher eingegangen wird.

Der in der nachfolgenden Tabelle 348 dargestellte Unterschiedsbetrag stellt den Splittingeffekt von gemeinsam veranlagten Ehegatten gegenuber einem unverheirateten Paar dar, wobei in unterschiedlicher Verteilung jeweils insgesamt ein zvE von 75.000 Euro vorliegt.

Tabelle 3: Darstellung Splittingeffekt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Insbesondere wenn beide Ehegatten ein etwa gleich hohes Einkommen erzielen, tritt der Splittingeffekt gar nicht oder nur in einem geringen Umfang ein.

Der Vorteil ist dann umso grofier je hoher der Einkommensunterschied beider Ehegatten ist. Er steigt bis zum Erreichen der oberen Proportionalzone an. Wenn ein Ehegatte mindestens den Betrag der Eingangsstufe fur den Steuersatz von 45 Prozent (521.066 Euro im Splittingtarif fur 2018) als Einkommen erzielt, wahrend der andere Ehegatte kein Einkommen erzielt, ist der Differenzbetrag zwischen Einzelveranlagung und Zusammenveranlagung dann mit 16.438 Euro maximal.

In der Literatur wird diese Veranschaulichung des Splittingeffekts in Form des Vergleiches eines unverheirateten und eines verheirateten Paares mit gleichem Gesamteinkommen als „nicht sachgerecht“49 diskutiert, weil beide Veranlagungsformen, aufgrund des progressiven Tarifs und der teilweise doppelten Hohe von Freibetragen, zu unterschiedlichen Ergebnissen fuhren konnen, da:

- „die Summe der beiden, bei getrennter Veranlagung festgestellten zu versteuernden Einkommen nicht dem gemeinsam zu versteuernden Einkommen bei Zusammenveranlagung entspricht, und/oder
- die Summe der bei getrennter Veranlagung ermittelten individuellen Steuerbetrage nicht dem Steuerbetrag bei gemeinsamer Veranlagung entspricht.“50

Dennoch ist nach Ansicht der Autorin dieser Arbeit die Darstellung geeignet, um die Wirkung des Splittingverfahrens im Allgemeinen aufzuzeigen, da sie den entstehenden Unterschiedsbetrag, der in der Diskussion um das Ehegattensplitting als Vorteil bezeichnet wird, verstandlich darstellt.

In einigen besonderen Fallen kann der Betrag aus dem Splittingeffekt negativ sein. Dies ergibt sich, wenn ein Ehegatte erhebliche Einkunfte hat, die besonderen Tarifvorschriften oder Steuervergunstigungen unterliegen, z. B. steuerfreie Einkunfte mit Progressionsvorbehalt, tarifbegunstigte aufierordentliche Einkunfte oder Versorgungsaufwendungen, und der andere Ehegatte vor allem „normalbesteuerte“

Einkunfte bezieht.51 In diesen Fallen kann eine getrennte Veranlagung fur das Ehepaar gunstiger sein.

Bedeutung des Splittings

In der folgenden Tabelle52 ist die Anzahl der unbeschrankt steuerpflichtigen Personen aus dem Jahr 2013 dargestellt:

Tabelle 4: Anzahl der Steuerpflichtigen nach Grund- und Splittingtabelle im Jahr 2013

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Jahr 2013 handelte es sich demnach um insgesamt 39,8 Mio. steuerpflichtige Personen mit unbeschrankter Steuerpflicht, wobei ca. 40 Prozent der Steuerpflichtigen nach der Splittingtabelle - also gemeinsam mit Ihren Ehegatten - veranlagt wurden. Eine Einkommensteuer wurde bei letztendlich 29,7 Mio. Personen festgesetzt bzw., bei den Fallen ohne Einkommensteuerveranlagung, eine Lohnsteuer einbehalten.53 Insgesamt konnte man jedoch auf einen Ruckgang der Bedeutung des Ehegattensplittings schliefien, dies lasst sich aus der in der nachfolgenden Tabelle 554 dargestellten Statistik ablesen.

- Ehescheidungen Eheschliebungen

Die Zahl der Eheschliefiungen ist seit dem Jahr 1991 von jahrlich 454.291 auf 400.115 Eheschliefiungen im Jahr 2015 zuruckgegangen.55 Gleichzeitig war die Zahl der Ehescheidungen seit 1991 von 136.317 auf zwischenzeitlich 213.975 im Jahr 2003 angestiegen. Seitdem ist die Zahl zwar auf 162.397 im Jahr 2016 wieder zuruckgegangen.56

Offentliche Diskussion zur Reform des Ehegattensplittings

Mit Zuverlassigkeit erbluht die Diskussion um das Ehegattensplitting zu jeder Bundestageswahl zu neuem Leben und so fanden auch zur Bundestagswahl im Jahr 2017 wieder einige Reformvorschlage den Einzug in die Wahlprogramme der politischen Parteien.57 Wiederkehrende Argumente sind dabei, dass die Regelung sog. Alleinverdienerehen bevorzuge und (berufstatige) Frauen benachteilige.58 Daruber hinaus konnten durch eine Reform mehrere Milliarden Euro eingespart59 und an anderer Stelle, zum Beispiel in eine kinderfreundliche Infrastruktur, investiert werden.60

Die Gegner des Ehegattensplittings stellen aufierdem in Frage, ob die Finanzierungsabsichten schlussendlich auch umgesetzt werden. So merkt SCHERF an, dass der Abbau der vermeintlichen Gerechtigkeitslucke lediglich ein Vorwand sei, um eine eigentliche Finanzierungslucke im offentlichen Haushalt zu schliefien. Denn auch die beste Verwendungsabsicht rechtfertige noch nicht den Abbau des Ehegattensplittings, zumal es sich lediglich um ein unverbindliches Wahlversprechen, dem keine Zweckbindung des eingesparten Betrages zugrunde liegt, handelt.61

Daher sollen im Folgenden zunachst die Hauptstreitpunkte um das Ehegattensplitting, mit analysiert werden. Die Befurworter des Ehegattensplittings berufen sich auf die Verfassungsmafiigkeit des Splittings, doch auch die Gegner haben Anlass zur Kritik: das Splitting sei ungerecht, unsozial und frauenfeindlich.

3.1. Verfassungsmafiigkeit des Ehegattensplittings

Die Einfuhrung des Ehegattensplittings im Jahr 1958 ist auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 17.01.1957 zuruckzufuhren. Die Argumentation des BVerfG von 1957 wurde anschliefiend durch einen weiteren Beschluss vom 03.11.1982 bestatigt. Aus diesen beiden Urteilen begrundet sich insgesamt die Konformitat des Ehegattensplittings mit dem Grundgesetz. Diese wird in der Literatur zwar grundsatzlich anerkannt, Kritik wird jedoch an der Argumentation des BVerfG geubt. Im Folgenden wird die Argumentation des BVerfG zunachst erlautert, anschliefiend erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Kritik an den Beschlussen des BVerfG und der weiterfuhrenden Diskussion um das Ehegattensplitting selbst.

Schutz von Ehe und Familie - Art. 6 Abs. 1 GG

Bis 1957 wurden die Einkunfte von Ehegatten so veranlagt, als handele es sich um die Einkunfte einer Person.62 Die gemeinsamen Einkunfte der Ehegatten unterlagen also dem Grundtarif. Dies fuhrte aufgrund des progressiv ausgestalteten Tarifs gegenuber Unverheirateten mit gleichen Einkommens- und Vermogensverhaltnissen zu einer hoheren Steuerschuld und damit zu einer Benachteiligung der Ehe. Diese Form der Besteuerung wurde deswegen auch als „Steuerstrafe auf die Ehe“63 bezeichnet. Das BVerfG erklarte diese Form der Zusammenveranlagung im Jahr 1957 fur verfassungswidrig.64 In der Folge kam der Gesetzgeber dem Auftrag des BVerfG nach und fuhrte im Rahmen des Steuerreformgesetzes vom 26.07.1957 das sog. Splittingverfahren ein, welches das BVerfG in seiner Begrundung zuvor als „verfassungsrechtlich unbedenklich“65 eingestuft hatte und das damals in den USA bereits in ahnlicher Weise praktiziert wurde.66 Die Begrundung stutzte das BVerfG im Wesentlichen auf die Unvereinbarkeit der Anwendung des Steuertarifs mit Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) und stellte im Umkehrschluss die Konformitat des Splittingverfahrens mit dem Grundgesetz heraus.67 Die Bedeutung von Ehe und Familie konne mit keiner anderen menschlichen Bindung verglichen werden und stunde daher unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung.68 Dieser drucke sich in drei wesentlichen Funktionen aus: zum einen in der Aufgabe des Staates, Ehe und Familie nicht nur vor Beeintrachtigung zu schutzen und zum anderen Ehe und Familie durch geeignete Mafinahmen auch zu fordern sowie weiterhin in dem Verbot des Staates selbst die Ehe nicht zu schadigen oder zu beeintrachtigen.69 Eine steuerliche Mehrbelastung von Ehe und Familie sei daher mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.70 Da Art. 6 GG lediglich einer Benachteiligung entgegensteht, sei die Einfuhrung einer begunstigenden Vorschrift, wie dem Splitting, unbedenklich.71 Die Formulierung ist insofern fur die Diskussion um das Ehegattensplitting, insbesondere hinsichtlich eines ungerechtfertigten Splittingvorteils fur Ehepaare, interessant, als dass sich einige Befurworter des Ehegattensplittings darauf berufen, das Ehegattensplitting sei keine Privilegierung der Ehe72 oder gar ein Steuervorteil (siehe Kapitel 3.3). Das BVerfG stellt in seinen Ausfuhrungen jedoch eindeutig darauf ab, dass es sich um eine Begunstigung von Ehepaaren handelt.73 Im Jahr 1982 haben die Verfassungsrichter noch einmal die Verfassungsmafiigkeit des Splittingverfahrens bestatigt.74 Im vorangegangenen Verfahren war daruber zu entscheiden, ob das Splittingverfahren auf Alleinstehende mit Kindern ausgeweitet werden musste. Im anschliefienden Beschluss und dessen Begrundung vom 03.11.1982 kam dann zum Tragen, dass das Splitting „an die wirtschaftliche Realitat der intakten Durchschnittsehe [anknupft], in der ein Transfer steuerlicher Leistungsfahigkeit zwischen den Partnern stattfindet.“75. Doch verfassungsrechtlich stutzte das BVerfG seinen Beschluss diesmal auch auf das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 und 2 GG, auf welches im Folgenden naher eingegangen wird.

Gleichheitsgebot - Art. 3 Abs. 1 und 2 GG

Eine Anderung des Einkommensteuergesetzes im Jahr 1921 fuhrte zu einer Ausnahme von der Zusammenveranlagung.

[...]


1 Vgl. Homburg 2015, S. 233.

2 Vgl. prognos AG 2014, S. 59.

3 Bach und Buslei 2017, S. 255.

4 Wellisch und Kroschel 2012, S. 3 ff.

5 Birk 2016, S. 8.

6 Vgl. Wellisch und Kroschel 2012, S. 7 sowie vgl. Schneeloch 2012, S. 15 ff.

7 Vgl. Homburg 2015, S. 16.

8 Vgl. Homburg 2015, S. 12.

9 Vgl. Homburg 2015, S. 11.

10 Vgl. Homburg 2015, S. 5.

11 Vgl. Schreiber 2017, S. 80.

12 Vgl. Fuest et al. 2015, S. 319.

1 Vgl. SPIEGEL online 2018.

14 Vgl. Vollmer 1998, S. 49.

15 Wellisch und Kroschel 2012, S. 5.

16 Tipke 1981, S, 65.

17 Vgl. Tipke 1981, S. 48.

18 Vgl. Birk 2016, S. 33.

1 Vgl. Lang 1988, S. 167 ff.

20 Vgl. Birk 2016, S. 58.

21 Vgl. Lang 1988, S. 115.

22 Vgl. Scherf 1999, S. 28.

23 Vgl. Vollmer 1998, S. 49.

24 Vgl. Vollmer 1998, S. 45 ff.

25 Vgl. Konemann 2001, S. 85 ff.

26 Vgl. Hottmann et al. 2015, S. 1 sowie vgl. Niemeier und Nocker 2014, S. 34.

27 Vgl. Homburg 2015, S. 18 ff.

28 Vgl. Bundesministerium fur Finanzen 2017, S. 41. Der Wert ergibt sich abzuglich des gezahlten Kindergeldes sowie der Aufwendungen fur die Altersvorsorgezulage.

29 Vgl. Bundesministerium fur Finanzen 2017, S. 41. Der Wert ergibt sich abzuglich der Investitions- und Eigenheimzulage sowie der Erstattungen aus der veranlagten Einkommensteuer an veranlagte Arbeitnehmer gem. § 46 EstG.

30 Vgl. Bundesministerium fur Finanzen 2016, S. 22. Seit dem Jahr 2013 ist die Anzahl der Beschaftigten mit Wohnsitz in Deutschland kontinuierlich von 42.257 Mio. um 0,8 % (2014), 0,9 % (2015) sowie 1,3 % (2016) gegenuber dem jeweiligen Vorjahr auf 43.544 Mio. Menschen in 2016 angestiegen. (ebenda)

31 Ausnahmen gelten fur Gewerbetreibende sowie Land- und Fortwirte, bei denen das Wirtschaftsjahr vom Kalenderjahr abweichen kann.

32 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG.

33 Vgl. § 1 Abs. 4 EStG.

34 Gemafi §19 AO.

35 Vgl. Hottmann et al. 2015, S. 28.

36 Vgl. § 2 Abs. 1 EStG. Eigene Darstellung.

37 Vgl. Kanzler et al. 2017, S. 2130.

38 Eigene Darstellung. Daten basierend auf dem Einkommensteuertarif 2018 gem. § 32a EStG.

39 Hottmann et al. 2015, S. 7.

40 Wellisch und Kroschel 2012, S. 53.

41 Vgl. Hottmann et al. 2015, S. 8.

42 Vgl. Birk 2016, S. 200.

43 Eigene Darstellung gem. § 32a EStG, Tarif 2018.

44 Vgl. Birk 2016, S. 203. Auf die Verfassungswidrigkeit dieses Verfahrens wird in Kapitel 3.1 naher eingegangen.

45 Vgl. Schmidt et al. 2016, S. 12; Wellisch und Kroschel 2012, S. 54.

46 Homburg 2015, S. 83.

47 Vgl. Vogel 1999, S. 201.

48 Eigene Darstellung am selbstgewahlten Beispiel - Steuerbetrage gem. § 32a EStG, Tarif 2018.

49 Vgl. Borell und Stern 1983, S. 29 sowie vgl. Scherf, S. 5, vgl. Vogel 1999, S. 201.

50 Gottfried und Witczak 2006, S. 3.

1 Vgl. Vogel 1999, S. 201 sowie Bach et al. 2003, S. 6.

52 Eigene Darstellung, Datengrundlage vgl. Statistisches Bundesamt 2017b, S. 16.

53 Vgl. Statistisches Bundesamt 2017b, S. 8.

54 Eigene Darstellung. Datengrundlage vgl. Statistisches Bundesamt 2018a sowie Statistisches Bundesamt 2018b.

55 Vgl. Statistisches Bundesamt 2018a.

56 Vgl. Statistisches Bundesamt 2018b.

57 Vgl. AfD 2017, S. 40 ff.; B90/Die Grunen 2017, S. 212; CDU/CSU 2017, S. 25 ff.; Die Linke 2017, S. 39 ff.; FDP 2017, S. 120; SPD 2017, S. 50.

58 Vgl. Die Linke 2017, S. 72 sowie B90/Die Grunen 2017, S. 72.

59 Vgl. Bach und Buslei 2003, S. 347.

60 Vgl. SPIEGEL online 2006.

61 Scherf, S. 1.

62 Vgl. Tipke 1993, S. 473.

63 Hensel et al. 1922, S. 145.

64 BVerfG, vom 17.01.1957, Rn. 36.

65 BVerfG, vom 17.01.1957, Rn. 76.

66 Vgl. Althammer 2003, S. 160.

67 Vgl. BVerfG, vom 17.01.1957, Rn. 76.

68 Vgl. BVerfG, vom 17.01.1957, Rn. 48.

69 Vgl. BVerfG, vom 17.01.1957, Rn. 75.

70 Vgl. BVerfG, vom 17.01.1957, Rn. 48.

1 Vgl. BVerfG, vom 17.01.1957, Rn. 76.

72 Vgl. Scherf, S. 1.

73 Vgl. BVerfG, vom 17.01.1957, Rn. 76.

74 Vgl. BVerfG, vom 03.11.1982.

75 BVerfG, vom 03.11.1982, Rn. 83.

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Das System des Ehegattensplittings in der Kritik
Untertitel
Mögliche Reformmodelle aus Politik und Wissenschaft
Hochschule
Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Zittau
Note
1,3
Jahr
2018
Seiten
98
Katalognummer
V453202
ISBN (eBook)
9783668859999
ISBN (Buch)
9783668860001
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ehegattensplitting, Ehegattenbesteuerung, Splittingtarif, Einkommensteuer
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Das System des Ehegattensplittings in der Kritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/453202

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