Das russländische Militär als Schule der Nation


Dossier / Travail, 2013

16 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. HISTORISCHER RAHMEN

3. MUSTERUNGSKRITERIUM „BILDUNG“

4. BILDUNG IN DER RUSSISCHEN ARMEE
4.1 Bildung im weiteren Sinn
4.2 UNTERRICHT IN DER ARMEE
4.3 Literatur fur die Soldaten
4.4 STATISTIK ZUR LESEFAHIGKEIT DER EINGEZOGENEN REKRUTEN

5. FAZIT

6. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNI

1. Einleitung

,,Die neuesten Ereignisse haben bewiesen, dass die Macht der Staaten nicht allein in der Zahl ihrer Truppen, sondern vorzugsweise in den moralischen und intellectuellen Eigenschaften derselben liegt[...].“1

Mit diesen Worten von Dmitrij Miljutin begann die Praambel uber die Allstandische Militar- pflicht. Der russische Kriegsminister Miljutin kann als einer der groBen Modernisierer des Reichs gesehen werden. 1874 verabschiedete Alexander II. die allgemeine Wehrpflicht in Russland, deren Hauptbefurworter Miljutin war. Sie sollte eine Reduzierung der aktiven Truppen bewirken und stattdessen eine Starkung gutausgebildeter Reservisten fordern, da der Staat nicht auf Dauer in der Lage war eine Armee in Kriegs-, beziehungsweise Vorkriegsgro- Be zu unterhalten.2

Die Einfuhrung der Wehrpflicht stellte den letzten Schritt in einer Periode der GroBen Refor- men, angefangen mit der Bauernbefreiung, dar. Ausgangspunkt war die russische Niederlage im Krimkrieg. Sie wurde als nationale Katastrophe bewertet, weshalb die Reformen Staat und Gesellschaft Russlands durchweg neu strukturieren sollten.3

Diese wissenschaftliche Arbeit befasst sich mit einem Aspekt, den die Einfuhrung der allge- meinen Wehrpflicht in Russland mit sich brachte. Miljutin vertrat die Ansicht, dass die wich- tigste Grundlage fur eine dauerhafte Durchsetzung der Reformen gebildete Menschen seien, da die bisher durchgesetzten zivilen und militarischen Anderungen ohne einen erheblichen Bildungsschub nicht uber langere Zeit bestehen wurden.

»Gramotnyj kak soldat« - gebildet wie ein Soldat.4 Lange Zeit stand diese negativ konnotierte Aussage sinnbildlich fur die Bildung der einfachen Soldaten. Im Laufe der Jahre nach Einfuh­rung der allgemeinen Wehrpflicht traf dies jedoch nicht mehr in dem MaBe wie zuvor zu. Was waren die Ursachen fur diese Veranderung und weshalb ist in der Wissenschaft haufig von der russischen Armee als „Schule der Nation“ die Rede? Diese Fragen sollen am Ende dieser Arbeit beantwortet werden konnen.

Zu Beginn werden in einem kurzen Kapitel die historischen Voraussetzungen geschildert, die Miljutin veranlasst haben die Militarreform voranzutreiben.

AnschlieBend wird erlautert welche Rolle der Bildungsgrad eines Rekruten bei seiner Muste- rung spielte.

Das vierte Kapitel widmet sich der Rolle der modernisierten Armee fur die Volksbildung und untersucht welche Auswirkungen Miljutins „Bildungsreform“ im Militarwesen auf die Al- phabetisierung in Russland hatte. Neben einer weiter gefassten Definition von „Lernen in der Armee“, wird hier der Unterricht naher betrachtet, die Literatur der Soldaten vorgestellt und abschlieBend eine Statistik prasentiert, welche die Lesekenntnisse der Rekruten abbildet.

Die Quellenlage zu dieser Fragestellung ist sehr reichhaltig, da das Thema der GroBen Re- formen in Russland sehr gut erschlossen ist. Auch im Hinblick auf Miljutins Militarreform, unter dem Aspekt sozialgeschichtlicher Fragestellungen, stoBt man auf ein uberaus ergiebiges Untersuchungsfeld. Zu verdanken ist dieser Umstand der Tatsache, dass Alexander II. ein neues Verstandnis von Offentlichkeit im Zuge seiner Reformen etablierte. So wurden auch militarische Aspekte der Allgemeinheit zuganglich gemacht und daruber diskutiert.

2. Historischer Rahmen

Unter Nikolaus I. war die russische Armee kaum kampffahig. Sie erfullte ihren Zweck haupt- sachlich bei Paraden und anderen prunkvollen Anlassen, sodass ihre Kriegstauglichkeit be- reits vor der Niederlage im Krimkrieg in Frage gestellt wurde. Schon 1853 sprach Dmitrij Miljutin die bestehenden Missstande an, zu offensichtlich waren die Defizite in der Organisa­tion aufgrund ungebildeter Offiziere. Jedoch wurde er von den fuhrenden Positionen nicht erhort.5

Nach schlechten Erfahrungen mit dem wenig innovativen Kriegsminister Prinz Vasilj Andre- jevich Dolgorukov, der in dieser Funktion bereits am Krimkrieg beteiligt war, richtete Ale­xander II. 1855 eine Kommission zur Verbesserung des Militars ein. Vorsitzender wurde Ge­neral Fedor Vasilevich Ridiger, dem als Kommandeur der Garde und des Grenadierkorps die herrschenden Missstande nicht entgangen waren. Von diesen berichtete er auch Alexander II.6 Die Kommission war besetzt mit Menschen, die auf groBe militarische Erfahrungen und fun- diertes Wissen zuruckgreifen konnten, um das System zu optimieren: „The entire commssion seems to have been made up of men of diametrically opposed views, energetic and refomr- minded as well as old-lined officers.“7

1856 trat auch Miljutin dieser Kommission bei. Seine Begeisterung fur die Reformbereit- schaft Alexanders II. wich jedoch schnell, als er den kampforientierten Fokus der anderen Kommissionsmitglieder bemerkte. Seiner Meinung nach konnte eine sinnvolle Veranderung der russischen Armee nur so aussehen, dass deren Organisation und Verwaltung grundlegend reformiert werden musste, als deren Resultat sich ebenfalls eine verbesserte Kriegsfuhrung entwickeln wurde.8

Im selben Jahr wurde auch der neue Kriegsminister Nikolai Onufrievich Sukhozanet ernannt, der jedoch allen Reformabsichten Alexanders II. widersprach. Er wird als ungebildet und ig­norant bezuglich militarischen Grundelementen beschrieben. Sukhozanet spiegelt in seinen Ansichten die absolete, kronloyale Armee wider und stand beispielhaft fur die negativen Um- stande der russischen Armee, die Ridiger und Miljutin abzuschaffen versuchten.9 In Sukhozanets Amtszeit hielten etliche kleine Verbesserungen Einzug in die Armee. Sie werden aber der Initiative der Kommission zugeschrieben und nicht dem Fortschrittsdenken des Kriegsministers.10 Dieser sah keinen Zusammenhang zwischen Ausrustung, Strategie und Taktik in der Kriegsfuhrung. Im Gegenteil exerzierte die Armee Praktiken, die nicht auf ihre Ausrustung abgestimmt waren. Modernisierungen waren daher nicht nur zum Teil uberflus- sig, sondern sogar kontraproduktiv.11

Der Kriegsminister ignorierte auch Miljutins Vorschlage, Lager fur den Nachschub einzurich- ten und die russische Rustungsindustrie zu modernisieren. Nur auf Druck von Alexander II. rustete er die Armee mit verbesserten Vorderladern aus, die fur teures Geld aus dem Ausland geliefert wurden und den Innovationsgeist der Rustungsindustrie nicht inspirierten.12 Erst Mit- te der 1860er wurde versucht die russische Rustungsindustrie auf Miljutins Drangen den ubri- gen europaischen Machten anzupassen. Deren technologischen Vorsprung konnten die Rus- sen jedoch nicht mehr aufholen.13

Da Sukhozanet hauptsachlich im Sinne des Zaren und nicht des Militars handelte war die Ef- fizienz seiner Reformen eher verhalten.14

AuBerhalb des Einflusses des Kriegsministeriums setzte General Alexander Iwanowatisch Barjatinski, der ebenfalls Mitglied in der Kommission war, mit seinem Stabschef Miljutin in der von der ubrigen Armee separierten Kaukasusarmee einige Reformideen um. Neben der Umstrukturierung der zivilen und militarischen Verwaltung wurden unter anderem Einheits- fuhrer unabhangiger und die Ausbildung praxisorientierter gemacht. AuBerdem wurden neue und klarere BeforderungsmaBstabe gesetzt. Diese neustrukturierte Armee brach nach dreijah- riger Dauer den Widerstand im Ostkaukasus und endete schlieBlich in der Gefangennahme des muslimischen Rebellenfuhrers Imam Shamil.15

Mit den im Kaukasus gesammelten Erfahrungen kehrte Miljutin nach St.Petersburg zuruck und wurde im August 1860 zunachst zum Stellvertreter Sukhozants ernannt. Ein knappes Jahr spater beforderte ihn der Zar am 9. Novemver 1861 zum Kriegsminister, nachdem Alexander II. die Einsicht erlangte, dass unter Sukhozant das Prestige des russischen Militars nicht wi- derhergestellt werden konne.16

Miljutins Reformplane verfolgten hauptsachlich zwei Ziele: Zum einen beabsichtigte er die Ausgaben in Friedenszeiten zu senken und zum anderen wollte er in Kriegszeiten auf eine groBe, gutausgebildete Reserve zuruckgreifen konnen.17

Daher reduzierte er 1874 die lebenslange Dienstzeit auf nur noch bis zu sechs Jahre mit an- schlieBenden neun Jahren in der Reserve.18 Aufgrund der kurzeren Dauer des Dienstes und

[...]


1 Vgl. Benecke, Werner: Die Allgemeine Wehrpflicht in Russland: Zwischen militarischem Anspruch und zivilem Interesse. In: Journal of

2 Vgl. Hildermeier, Manfred (2013): Geschichte Russlands. Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution. Munchen. S.935.

3 Vgl. Bene>

4 Vgl. Benecke, Werner (2006): Militar, Reform und Gesellschaft im Zarenreich. Die Wehrpflicht in Russland 1874-1914. Paderborn. S. 180.

5 Vgl. Brooks, E. Willis: Reform in the Russian Army, 1856-1861. In: Slavic Review. Vol.43, No. 1 1984. S.64f.

6 Vgl. ebd., S.65f.

7 Vgl. ebd., S.66.

8 Vgl. ebd., S.67.

9 Vgl. ebd.

10 Vgl. ebd., S.69.

11 Vgl. ebd., S.75f.

12 Vgl. Lincoln, W. Bruce (1990): The Great Reforms: Autocracy, Bureaucracy, and the Politics of Change in Imperial Russia. Illinois.

S.147f.

13 Vgl. Brooks: Reform. S.283.

14 Vgl. ebd., S.76.

15 Vgl. Katzer, Nikolaus: Russische Regierung und Militar. In: Das Militar und der Aufbruch in die Moderne, 1860 bis 1890: Armeen, Mari- nen und der Wandel von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in Europa, den USA sowie Japan. Munchen 2003. S55.

16 Vgl. Brooks: Reform. S.79.

17 Vgl. Hildermeier: Geschichte. S.935.

18 Vgl. Katzer: Regierung. S.56.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Das russländische Militär als Schule der Nation
Université
Johannes Gutenberg University Mainz
Note
2,3
Auteur
Année
2013
Pages
16
N° de catalogue
V455241
ISBN (ebook)
9783668860230
ISBN (Livre)
9783668860247
Langue
allemand
Mots clés
militär, schule, nation
Citation du texte
Clemens Wandke (Auteur), 2013, Das russländische Militär als Schule der Nation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455241

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