Musik für das Auge. Analyse der visuellen Umsetzung populärer Musik in Musikvideos


Dossier / Travail, 2017

42 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1. Grundlagen zu Visualisierungen populärer Musik in Musikvideos
1.1 Populäre Musik
1.2 Musikvideos als Darstellungsform populärer Musik

2. Musikvideoanalyse
2.1 Untersuchungsmaterial und Forschungsmethode
2.2 Daft Punk – Around the World (1997)
2.3 The White Stripes – The Hardest Button to Button (2003)
2.4 Vergleich der Musikvideos

3. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1–5: Einleitung der Figurengruppen in „Around the World;
Sportler (Abb. 1), Disko Girls (Abb. 2), Mumien (Abb. 3),
Skelette (Abb. 4), Roboter (Abb. 5)

Abb. 6–8: Variationen im Rhythmus einzelner Musikinstrumente;
Änderung der Drumline (Abb. 6), Änderung der Bassline (Abb. 7),
Änderung der Drumline (Abb. 8)

Abb. 9–11: Unterschiede im Grad der Autonomie der Musikinstrumente;
Eigenständigkeit der Instrumente (Abb. 9, 10),
Verknüpfung der Instrumente (Abb. 11)

Abb. 12–14: Überführung in eine einheitliche Bewegung;
Gleiches Schrittmaß (Abb. 12, 13),
Vogelperspektive (Abb. 14)

Abb. 15–17: Einleitung der Musikinstrumente in
„The Hardest Button to Button“;
Bass Drum (Abb. 15), Gitarrenverstärker (Abb. 16),
Mikrofonständer und Mikrofon (Abb. 17)

Abb. 18–20: Variationen im Rhythmus des Schlagzeugs und der E-Gitarre;
Änderung der Drumline und Bassline (Abb. 18, 19, 20)

Abb. 21–23: Grafischer Pegel der Musikinstrumente;
Schlagzeug, erster Pegelschlag (Abb. 21),
zweiter Pegelschlag (Abb. 22), dritter Pegelschlag (Abb. 23)

Abb. 24–26: Darstellungen der Unisono;
1. Instrumentalteil (Abb. 24), Refrain (Abb. 25),
2. Instrumentalteil (Abb. 26)

Abb. 27–29: Höhepunkt;
Erste Runde der 360-Grad-Einstellung (Abb. 27),
zweite Runde (Abb. 28), letzte Einstellung (Abb. 29)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Die Musikgeschichte ist reich an Versuchen dem Hörerlebnis durch die Kombination von Ton und Bild synästhetische Erfahrungen anzufügen: Indem Musik „sichtbar“, „fühlbar“ oder „greifbar“ wird, erweitert sich der Horizont für den Rezipienten zu einem ganzheitlichen Musikerlebnis (Hempel 2008, S. 193). Die Visualisierungsmöglichkeiten von Musik reichen von der Notenschrift als ältestes Darstellungsmittel bis hin zu neueren Formen, wie dem Vjing, bei dem Visual Jockeys live zu der musikalischen Komposition konvergente Bilder und Collagen erzeugen, die auf Leinwände projiziert werden (ebd.; Lilkendey 2017, S. 20).

Mit dem Aufkommen des Musikfernsehens, markiert durch den Sendestart von MTV 1981, entwickelte sich das Musikvideo als beliebte visuelle Darstellungsform populärer Musik (Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009, S. 24). Im Sinne des ersten ausgestrahlten Clips „Video Killed the Radio Star“ von den Buggles (R: Russell Mulcahy/1980) entstand in den 80er Jahren ein „Videoboom“ (Gerle 2010, S. 135; Keazor/Wübbena 2011, S. 13, 70), der dem Musikvideo einen festen Platz innerhalb der Populärkultur verschaffte (Jost u.a. 2013, S. 9). Seit dem ersten Musikvideo in der Geschichte, „Bohemian Rhapsody“ von Queen (R: Bruce Gowers/1975) (Frahm 2007, S. 18), ist die Anzahl der Videoclips derartig gestiegen, dass eine exakte Aussage hiervon unmöglich ist (Lilkendey 2017, S. 114). So wurden allein in den 90er Jahren bis zu 3000 Videos pro Jahr produziert (Ebd., S. 144).

Seither hat sich die Videoclipforschung mit drei Perspektiven auseinandergesetzt (Frahm 2007, S. 19–21). Unter formalen und inhaltlichen Kriterien werden Definitionen von Musikvideos untersucht (Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009). Analysiert wird zudem die Bedeutung des Clips hinsichtlich weiterführender Fragestellungen, wie bspw. der Rezeptions- und Wirkungsforschung (Altrogge 1994). Betrachtet werden darüber hinaus das Verhältnis zum Musikfernsehen und Entstehungsbedingungen des Videoclips unter produktionstechnischen und ökonomischen Gesichtspunkten (Kurp/Hauschild/Wiese 2002). Ein Überblick über die Vielfalt an Themen, die mit Musikvideos in Verbindung gebracht werden können, finden sich bei Keazor und Wübbena (2011) sowie Neumann-Braun und Mikos (2006).

Die vorliegende Arbeit zum Thema „Musik für das Auge: Analyse der visuellen Umsetzung populärer Musik in Musikvideos“ setzt insbesondere an der zweiten Forschungslinie an. Das Ziel besteht in der Untersuchung der Verknüpfung von Ton und Bild. Identifiziert werden Visualisierungstechniken und – praktiken des musikalischen Geschehens, die über die gehörte Musik hinaus klangliche und rhythmische Strukturen offenbaren und somit das auditive Erleben beeinflussen. Der erste Teil der Forschungsarbeit umfasst terminologische und theoretische Grundlagen zu Visualisierungen populärer Musik. Aufbauend auf der Einordnung „Populärer Musik“, werden Musikvideos als Darstellungsform beurteilt. Den Schwerpunkt bilden verschiedene Visualisierungsformen, die vor dem Hintergrund audiovisueller Konzepte diskutiert werden. Im zweiten Teil sollen die theoretischen Überlegungen anhand qualitativer Musikvideoanalysen empirisch überprüft werden. Untersucht und miteinander verglichen werden die beiden von dem Regisseur Michel Gondry produzierten Videoclips „Around the World“ (1997) von Daft Punk und „The Hardest Button to Button“ (2003) von The White Stripes. Im Anschluss an die Zusammenfassung der Analyseergebnisse erfolgt ein Ausblick über das Potenzial des Musikvideos im Zeitalter von Multimedia. Abschließend werden potenzielle Forschungsansätze für weitere Untersuchungen aufgezeigt.

1. Grundlagen zu Visualisierungen populärer Musik in Musikvideos

1.1 Populäre Musik

Zwar hat sich im Zuge der Cultural Studies Mitte der 1970er Jahren unter der Bezeichnung „Popular Music Research“ ein eigenständiger Forschungszweig etabliert (Wicke 1992, S. 1, 12), allerdings finden sich in der Literatur keine stringenten Bestimmungen zu dem Begriff der populären Musik (zum Überblick s. Steinbrecher 2016). Durch Systematisierungskriterien wird vielmehr versucht Popularmusik1 von anderen Musikrichtungen abzugrenzen (Adorno 1941; Gebesmair 2008; Tagg 2000). Bspw. kennzeichnet Tagg (2000, S. 21) in seinem Modell des „axiomatischen Dreiecks“ populäre Musik im Vergleich zur Volks- und Kunstmusik durch den zur Entstehung geführten industrialisierten Gesellschaftstyp, die Tonaufzeichnung als vorherrschendes Speichermedium, die Massendistribution und die marktwirtschaftliche ökonomische Basis. Diese Bedingungen, die ebenfalls bei Gebesmair (2008, S. 53) zu finden sind, treffen auf Musikstücke unterschiedlicher Stilrichtungen, wie „Softpop“, „Dancepop“, „Hip Hop“ oder „Rock, zu (Altrogge 2001, S. 44–46; Wicke 1992, S. 7).

1.2 Musikvideos als Darstellungsform populärer Musik

Nach Diederichsen (2003 S. 71, zitiert nach Frahm 2007, S. 18) ist „Popmusik im starken Sinne […] immer schon in einem konstitutiven Sinne auf (bewegte) Bilder bezogen“, wie bspw. musikalische Einlagen in Musicals, frühe Fernsehsendungen wie „Soul Train“ und kurze Werbefilme der Plattenfirmen bestätigen. Die Darstellung popmusikalischer Stücke in Musikvideos wurde allerdings erst ab Mitte der 90er Jahre im Zusammenhang mit der Geburtsstunde des Musikfernsehens üblich (Lilkendey 2017, S. 9). Auch heute noch handelt es sich in Videoclips primär um populäre Musik (Jost u.a. 2013, S. 9).

Huber 1999, S. 23, zitiert nach Müller 2000, S. 99).

Gemäß Neumann-Braun und Schmidt (1999, S. 10) sind Musikvideos2 „in der Regel drei- bis fünfminütige Videofilme, in denen ein Musikstück […] von einem Solointerpreten oder einer Gruppe in Verbindung mit unterschiedlichen visuellen Elementen präsentiert wird“. Die Verbindung einer auditiven und einer visuellen Komponente kann als grundlegendes Prinzip beschrieben werden, welches sich in einer Vielzahl anderer Definitionen finden lässt (Gabrielli 2010; Quandt 1997). Nach Chion (2012, S. 134), der sich in seiner Theorie zur „Audio-Vision“ mit Tonereignissen im Film auseinandersetzt, befinden sich Musik und Bilder in ständiger Interaktion. Der Ton beeinflusst die Wahrnehmung der Bilder und umgekehrt. Aus der Perspektive des Produzenten stellt im Ton-Bild-Gefüge allerdings die Musik die Grundlage für den Clip dar, somit bestimmt bei der Videokonzeption in erster Linie der Ton das Bild (Altrogge 1994, S. 196; Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009, S. 13), was bspw. in einer Studie von Altrogge (2001, S. 204–206) bei der Untersuchung der Schnittfrequenz der Bilder in Bezug auf die Taktfrequenz der Musik bestätigt werden konnte. „Die Visualisierung hat die Aufgabe […] ein Sehen von Tönen zu ermöglichen“ (Schmidbauer/Löhr 1996, S. 12). Treffender ausgedrückt heißt das: „Im Video gibt es einen ‚visual track‘, der die Musik, aber keinen ‚sound track‘, der die Visualisierung begleitet“ (ebd.). Dementsprechend werden Musikvideos als „Augenmusik“ (Barth/Neumann-Braun 1996), „Tönende Bilder“ (Altrogge 2001) oder „Visueller Sound“ (Hausheer/Schönholzer 1994) bezeichnet.

Diese Termina stehen in direktem Zusammenhang mit den Annahmen zur Synästhesie. Nach Williams (2003, S. 173) ist Synästhesie “the experience of an associated sensation when another sense is stimulated”. Es handelt sich folglich um die Verknüpfung mehrerer, sinnesübergreifender Reize, indem ein bestimmter Stimulus automatisch eine Empfindung einer anderen Sinnesmodalität auslöst (Behne o. J., S. 97; zur Gegenüberstellung der trennenden Merkmale von „Synästhesie“ und „intermodaler Analogie“ s. Behne 1992). Leise Töne werden als klein, laute Töne als groß wahrgenommen (Behne 2002, S. 36). Tiefe Klänge werden mit dunklen Farben, hohe Klänge mit hellen Farben belegt. Die Melodiestimme wird in der vorderen Bildebene platziert, Bässe werden im Hintergrund positioniert. Synästhetiker können im Vergleich zu Nicht-Synästhetikern Töne sehen und umgekehrt Farben hören (Haverkamp 2002, S. 5).

„Töne sehen und Farben hören – das synästhetische Ideal wird im Musikvideo erfüllt, wenn auch nicht vollkommen“ (Weibel 1987a, S. 53). Zwar ist in Musikvideos durch die Verbindung von Ton und Bild als grundlegende ästhetische Eigenschaft automatisch ein bestimmtes Maß sinnlicher Interkommunikation gegeben (Williams 2003, S. 183), allerdings ist dieses durch die audiovisuelle Wahrnehmung des Menschen begrenzt (zu dem Zusammenhang zwischen Synästhesie und Musikvideos s. Goodwin 1993). Während ein Rezipient mehrere akustische Signale gleichzeitig wahrnehmen kann, gilt dies in der Regel für bewegte Bilder nicht (Chion 1994, S. 166). Der Mensch kann jeweils nur ein Bild sehen. Zwar wird bspw. durch Techniken des Split-Screens und der Überlagerung zweier Bilder, zu erkennen in „Sugar Water“ von Cibo Matto und „Hyperballad“ von Björk (R: Michel Gondry/1996) (Keazor/Wübbena 2011, S. 301–302), versucht, die verschiedenen Ebenen des Sounds abzubilden, allerdings ist das nur bedingt möglich.

In diesem Zusammenhang sind die von Gabrielli (2010, S. 91–96) identifizierten fünf kommunikativ-ästhetischen Funktionen, die ein Bild gegenüber dem Musikstück zu erfüllen vermag, von zentraler Bedeutung. Zunächst kann das Bild den Liedtext paraphrasieren, wobei Bezug auf den Inhalt und/oder den Titel des Musikstücks genommen wird (Ebd., S. 91–92), was im Clip zu „Umbrella“ von Rihanna (R: Chris Applebaum/2007) zu sehen ist. Des Weiteren kann durch die Verwendung verschiedener Schriftelemente, wie Untertitel oder Schriftzüge, das lyrische Verstehen erleichtert werden (Ebd., S. 92), was z.B. in „Everybody Hurts“ von R.E.M. (R: Jake Scott/1992) deutlich wird. Ein Bild kann zudem die Atmosphäre des Songs in eine bestimmte Richtung lenken (Ebd., S. 94–95), wie bei „All is Full of Love“ von Björk (R: Chris Cunningham/1999). Außerdem kann das Bild sich unabhängig vom Inhalt des Songs entwickeln (Ebd., S. 92–93), erkennbar in „Just“ von Radiohead (R: Jamie Thraves/1995). Darüber hinaus können musikalische Parameter durch Bilder übernommen oder imitiert werden (Ebd., S. 96).

Die Bedeutung visueller Elemente für das Klangerlebnis wird durch eine Reihe von Studien gestützt (Altrogge 1994; Gabrielli 2010; Hansen/Hansen 2000; Rötter 2012; Rubin u.a. 1986; Schramm 2008; zum Überblick s. Neumann-Braun/Mikos 2006). So wird Musik mit entsprechender Visualisierung positiver bewertet als ohne Visualisierung (Schramm 2008, S. 145). Andere Untersuchungen zeigen allerdings auch, dass insbesondere das von Gabrielli (2010, S. 96) definierte vierte Gestaltungsmittel die wichtigste Visualisierungstechnik in Musikvideos darstellt. Demnach konnte in einer Studie zu Eigenschaften von Videoclips, die besonders favorisiert werden, herausgefunden werden, dass ca. 40% der Befragten eine Illustration der Musik durch Bilder bevorzugen, wenn die Bilder kein „Eigenleben“ besitzen, sondern auf die Töne zugeschnitten sind (Schmidbauer/Löhr 1996, S. 23).

Die Ausgestaltungsmöglichkeiten der visuellen Imitation können auf einem Kontinuum sog. „synchronization points“ unterschiedliche Ausprägungen annehmen (Chion 2012, S. 58). Von einfachen Formen wie Lippensynchronität und paralleler Darstellung des gehörten Musikinstrumentes bis hin zur höchsten Form des „synchronic continuum“, bei der das gesamte Musikvideo aus vertikalen, punktuellen und konstanten Verbindungspunkten zwischen der Musik und dem Bild besteht (Gabrielli 2010, S. 96–97). Bspw. treten Belichtungswechsel im selben Rhythmus wie Harmoniewechsel in der Melodie auf, Lichterspiele im Hintergrund des Bildes illustrieren hohe Töne in der Musik oder Bewegungen der Akteure zeigen die Intensität des Liedes (Vernallis 2004, S. 177–180). Gemäß den Annahmen zur Synästhesie stimuliert hierbei das Visuelle nicht nur den Sehsinn, sondern auch andere Sinne, die als Zusatzempfindungen hervorgerufen werden (Chion 1994, S. 25–26). Dies gilt ebenso für den Hörsinn, z.B. die Schärfe einer E-Gitarre im Vergleich zu dem samtigen Anschlag einer klassischen Gitarre (Williams 2003, S. 183). Durch das mehrmalige Wiederholen von „synchronization points“ entsteht ein visuelles Leitmotiv (Gabrielli 2010, S. 96–97), wie bspw. das blauverzerrte Gesicht in „Come to Daddy“ von Aphex Twin (R: Chris Cunningham/1997), welches jedes Mal mit dem verzerrten Sound präsentiert wird. Sobald das visuelle Leitmotiv erscheint, erwartet der Rezipient das damit verbundene musikalische Gegenstück, was im Umkehrschluss bedeutet, dass er bei visuellen Abweichungen Variationen auf musikalischer Ebene einfacher identifizieren kann. Durch diese Form der Kombination von Ton und Bild entsteht nach Chion (1994, S. 5) ein sog. „added value“. Gemeint ist ein ästhetischer Zusatzwert, der über die einfache Addition der Ton- und Bildspur hinausgeht. Er betont allerdings auch, dass sich in Videoclips nur stellenweise Synchronisationspunkte finden lassen, die meiste Zeit sind Ton und Bild getrennt voneinander (Ebd., S. 166–168).

Ordnender Ausgangspunkt bei der Untersuchung der Verbindung von Ton/Text und Bild bilden Musikvideotypologien (Altrogge 1994, 2001; Rötter 2012; Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009). Bspw. unterscheiden Schmidt, Neumann-Braun und Autenrieth (2009, S. 18) folgende zwei Formen. Zum einen Performance-Videos, welche sich auf Live- oder Studioauftritte von Künstlern beziehen. Sie stellen die selbstverständlichste Verbindung von Musik und Bild dar, bei denen das Gehörte synchron visuell übersetzt wird, sodass Ort, Zeit und Handlung weitestgehend homogen verlaufen (Jost u.a. 2013, S. 14). Darunter fällt der Clip „Bootylicous“ von Destiny’s Child (R: Matthew Rolston/2001) (Keazor/Wübbena 2011, S. 31–43). Die zweite Klassifizierung sind Konzeptvideos (Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009, S. 18). Die kausale Verschränkung von Ton-, Text- und Bild kann entweder narrativ oder frei gestaltet werden (ebd.; Jost u.a. 2013, S. 15). Während bei narrativen Konzeptvideos um den Song bzw. den Interpreten eine Filmhandlung gesponnen wird, werden bei freien Konzeptvideos, ähnlich zu Kunstvideos, Bild und Musik in assoziativ-illustrativer Form miteinander verbunden. Ein Beispiel dafür ist das Video „Freak on a leash“ von Korn (R: Jonathan Dayton, Valerie Faris, Todd McFarlane und Graham Morris/1999) (Keazor/Wübbena 2011, S. 44–54). In der Praxis treten Musikvideos meistens in einer Kombination mit der Tendenz zur einen oder anderen Form auf (Lilkendey 2017, S. 22).

Daran anknüpfend differenziert Altrogge (1993, 2001) im Hinblick auf die Art der Darstellung populärer Musik nach der jeweiligen Musikrichtung. Im Gegensatz zu Chion (1994, S. 166–168), der generell von wenigen Synchronisationspunkten im Videoclip ausgeht, ist Altrogge (2001, S. 44–46) der Ansicht, dass die gewählte ästhetische Strategie vom Genre abhängt. Demnach ist eine Konvergenz von Bild und Ton insbesondere bei „Dancepop“-Musikvideos gegeben. Rhythmische Bewegungen werden durch Choreografien der Künstler, schnelle Schnitte und häufige Wechsel der Kameraeinstellung dargestellt (Ebd., S. 44). Ein Beispiel dafür ist „Hey Mama“ von David Guetta feat. Nicki Minaj, Bebe Rexha und Afrojack (R: Hannah Lux Davis/2015). In Clips des „Softpops“ folgen die Bilder dagegen primär dem Text (Ebd., S. 44–45), zu sehen in dem Video zu „Against All Odds (Take a Look at Me Now)“ von Phil Collins (R: Taylor Hackford/1984). Durch die konservative und gesittete Gestaltung, bspw. findet die Handlung häufig nur in geschlossenen Räumen statt, wird Einheit und Idylle hergestellt. Vertrautheit und Intimität prägen die parasoziale Beziehung zwischen dem Star und dem Rezipienten. Bei Musikvideos des „Hip Hops“ und „Rocks“ lassen sich keine typischen Bild und Ton-/Text-Korrespondenzen finden (Ebd., S. 45–46). Sie unterscheiden sich vielmehr in ihrer Bildsprache. Während in „Hip Hop“-Videos, wie „Work It“ von Missy Elliott (R: Dave Meyers/2002), Gangstertum und Statussymbole im Vordergrund stehen, geht es in „Rock“-Clips, wie „Heavy“ von Linkin Park feat. Kiiara (R: Tim Mattia/2017), um Authentizität.

Ganz gleich welche Visualisierungstechnik in Musikvideos gewählt wird, grundsätzlich dienen sie der Erfüllung der Unterhaltungs- und Werbefunktion (Bühler 2002; Goodwin 1993; Kopf 1987; Wicke/Ziegenrücker/Kai 2007). Diese stehen dabei direkt in Verbindung mit den beiden Kriterien populärer Musik, der Massendistribution und kommerziellen Vermarktung (Tagg 2000, S. 21). Die Hauptaufgabe von Musikvideos besteht in der Unterhaltung des Rezipienten (Bühler 2002, S. 157). So betont Bühler (ebd.) das Videoclips „zu Beginn an selbstständige ästhetische Objekte mit unterhaltendem Eigenwert [waren]“, die folglich als Unterhaltungsware für viele Zuhörer zu betrachten sind. Ausgehend von der Entwicklung des Musikvideos als Promotionsmöglichkeit der Musikindustrie, um den in den späten 70er Jahren sinkenden Tonträgerverkäufen entgegenzuwirken (Lilkendey 2017, S. 11), ergibt sich zusätzlich die Werbe- und Marketingfunktion (Wicke/Ziegenrücker/Kai 2007, S. 477). Die Nutzung des Mediums dient der unterstützenden visuellen Inszenierung der Persönlichkeit des Musikers und somit der Erweiterung seiner künstlerischen Ausdrucksweise (Kopf 1987, S. 196–200). Insbesondere Madonna kreiert durch überladene Kostümierungen in ihren Videos wechselnde Images, wie die Punk-Madonna aus dem Video „Borderline“ (R: Mary Lambert/1984) oder die „Material-Girl“-Madonna des gleichnamigen Clips (R: Mary Lambert/1985) (Keazor/Wübbena 2011, S. 455–456).

2. Musikvideoanalyse

2.1 Untersuchungsmaterial und Forschungsmethode

Am Anfang einer Musikvideoanalyse steht die Auswahl von Musikvideos. Äquivalent zu einer von Faulstich (2013, S. 198) empfohlenen Vorgehensweise bei klassischen Filmanalysen sollten in der vorliegenden Arbeit mehrere Musikvideos eines Regisseurs untersucht und miteinander verglichen werden (Lilkendey 2017, S. 129–131). Insbesondere seit Mitte der 90er Jahre, als die Ästehtik der Videoclips stark kritisiert wurde (Wenzel 1999, S. 45), sind Regisseure für die visuelle Ausgestaltung des Musikstückes verantwortlich (Lilkendey 2017, S. 129). Außergewöhnliche Arbeiten international bekannter Musikkurzfilm-Regisseure, wie Michel Gondry, Chris Cunnigham und Jonathan Glazer, werden, neben der Verleihung des „Video Music Awards“ von MTV (Ebd., S. 10), in verschiedenen Publikationen und Ausstellungen gewürdigt (Keazor/Wübbena 2011, S. 13–14). Zu nennen sind bspw. die unter dem „Directors Label“ veröffentlichten sieben DVDs mit dem Titel „The Work Of ...“ (Palm Pictures 2003) sowie der von Hanson (2006) publizierte Katalog „Reinventing Music Video“.

Vor dem Hintergrund der Annahmen der audiovisuellen Theorien über die Synthese von Ton und Bild und der damit einhergehenden Forschungsfrage, inwiefern populäre Musik in Musikvideos dargestellt wird, fiel die Wahl auf den französischen Regisseur und Drehbuchautor Michel Gondry (IMDb 2017). Neben Werbespots, z.B. für Polaroid (1995), und Filmen, z.B. „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ (2004, dt. „Vergiss mein nicht!“), produzierte Gondry zahlreiche Musikvideos für Berühmtheiten wie Björk, The Chemical Brothers und The Rolling Stones (Keazor/Wübbena 2011, S. 297–310; Partizan 2017). Insgesamt war er bisher bei über 80 Musikvideos als Direktor tätig (IMVDb 2017c; s. Anhang A). Zentraler Punkt seiner Videoclips ist die visuelle Übersetzung der Musik (Gabrielli 2010, S. 99). Durch die starke, ästhetisch-künstlerische Bildsprache wird wie bei fast keinem anderen Regisseur Musik im direkten Sinn sichtbar gemacht (Frahm 2007, S. 116–117).

Die konkrete Auswahl des Untersuchungsmaterials erfolgte anhand von 3 Kriterien: (1) Art des Musikvideos: Zur Untersuchung der Forschungsfrage sollte es sich bei dem Musikvideo um ein freies Konzeptvideo handeln, bei dem die assoziativ-illustrative Verknüpfung der Bild- und Tonelemente möglichst prägnant und deutlich herauspräpariert werden konnte (Schmidt/Neumann-Braun/Autenrieth 2009, S. 18) (2) Zeitraum: Da im Zuge technologischer Entwicklungen die Visualisierungsmöglichkeiten von Musikvideos gestiegen sind (Lilkendey 2017, S. 19), sollte das Erscheinungsjahr des Videos nicht länger als 10 Jahre zurückliegen (z.B. IMVDb 2017d). (3) Bekanntheit und Erfolg: In Anlehnung an die auf den charakteristischen Merkmalen populärer Musik basierende Unterhaltungs- und Werbefunktion von Musikvideos (Bühler 2002, S. 157; Tagg 2000, S. 21; Wicke/Ziegenrücker/Kai 2007, S. 477), wurden die Chartplatzierungen des Liedes (z.B. Acharts.co 2017), die Häufigkeit der Wiederholungen des Musikvideos bei dem Fernsehsender MTV (z.B. Billboard 2017), sowie die Zahl der Aufrufe des offiziellen Videoclips auf der Online-Plattform „YouTube“ berücksichtigt (z.B. The White Stripes 2003). Zusätzlich wurde der Erfolg anhand der Zufriedenheit eines Künstlers mit Gondrys Arbeit gemessen, indem die Anzahl der gemeinsam produzierten Videos miteinbezogen wurde (z.B. IMVDb 2017e). Auf Basis dieser Selektionskriterien wurden für die vorliegende Musikvideoanalyse die beiden Videoclips „Around the World“ (1997) von Daft Punk und „The Hardest Button to Button“ (2003) von The White Stripes ausgewählt (IMVDb 2017c).

Als methodische Grundlage zur systematischen Analyse der beiden Musikvideos wurde eine qualitative Untersuchung konzipiert, die durch eine hermeneutisch-interpretative Vorgehensweise gekennzeichnet ist (Hickethier 2012, S. 31; zum Überblick zu verschiedenen Methoden für Musikvideoanalysen s. Vernallis 2004). Die Untersuchung erfolgt deskriptiv, indem das Video als „Text“ aufgefasst wird (Hickethier 2012, S. 24–26). Während im ersten Teil der Untersuchung auf mikroskopischer Ebene einzelne Schlüsselsequenzen der Musikvideos anhand der musikalischen Struktur des Liedes analysiert werden, werden diese im zweiten Teil auf der Makroebene im Gesamtzusammenhang beurteilt (Ebd., S. 4, 34). Die Musikvideos werden sowohl aus der Perspektive des Regisseurs, der sich verschiedenen Visualisierungsmitteln bedient, als auch aus der Perspektive des Rezipienten, der die gestaltete Bild-Text-Ton-Kombination wahrnimmt, analysiert (Pfleiderer 2003, S. 18).

Damit die subjektiven Einschätzungen weitestgehend objektiv und intersubjektiv nachvollzierbar sind (Hickethier 2012, S. 33), wurden im Vorfeld zu untersuchende Kategorien definiert. Auf Basis der von Jost u.a. (2013, S. 93) festgelegten Dimensionen im Analyseprozess von Videoclips werden Korrespondenzen sowie etwaige Dissonanzen der Ebenen Ton und Bild in ihrem Zusammenhang identifiziert. Auch wenn ein Musikvideo ein Hybridmedium ist, das vom Rezipienten sowohl gesehen als auch gehört wird, ist eine strikte Trennung den Sinnen nach bei der Untersuchung kaum sinnvoll (Dickinson 2007, S. 27). Die Ebene des Textes wird außer Acht gelassen, da Liedtexte in den meisten Musikvideos eine untergeordnete Rolle spielen (Vernallis 2004, S. 137; s. Anhang B, D; zu der Verbindung von Ton und Text s. Griffiths 2003). Videoregisseure beachten bei der Konzeption vorrangig die Musik, insbesondere weil Texte im Vergleich zu Bildern und Tönen nur schwach auf den Konsumenten wirken (Vernallis 2004, S. 138–139). Aufgrund der Fülle musikalischer Parameter durch die ein Musikstück und folglich dessen Visualisierung bestimmt wird (Ebd., S. 156), dienen die von Pfleiderer (2003) identifizierten sieben Gestaltungsmittel populärer Musik als Orientierungshilfe bei der Musikvideoanalyse: Textur/Gesamtklangbild, Klangfarbe/Artikulation, Rhythmus, Melodie, Harmonie, Form und „Semantische Fenster“. Dabei sollen explizit die musikalischen Elemente gemäß ihres „inneren Zusammenhangs“ untersucht werden (Ebd., S. 18), die in den Videoclips deutlich sichtbar werden. Bspw. wird der Rhythmus durch Kamerabewegung, Schnitt, Licht oder Bewegung im Bild visualisiert (Altrogge 1993, S. 201). Sie bestimmen die musikalische Geschwindigkeit (Pfleiderer 2003, S. 23).

[...]


1 Analog zu Gebesmair (2008, S. 42) werden im Folgenden die Begriffe populäre Musik, Popularmusik und Popmusik als Synonym verwendet. So ähneln sich z.B. die Definitionen zu populärer Musik von Tagg (2000, S. 21) und Popularmusik von Flender und Rauhe (1989, S. 17). Zur Einordnung des Musikkurzfilms s. Faulstich 2012).

2 In Anlehnung an Weibel (1987a, 1987b) werden im Nachfolgenden die Termina Musikvideo, Clip, Musikclip, Videoclip und Musikvideoclip synonym verwendet (zur Diskussion um den Begriff Musikvideo s. Lilkendey 2017). Zwischen den Begrifflichkeiten bestehen zum Teil nur geringe Unterschiede, bspw. ist der Begriff Musikvideo mit konkreten, detaillierten Charakteristika verbunden, der Begriff Videoclip bezeichnet hingegen eine übergreifende, weniger festgelegte Form (Frahm 2007, S. 23).

Fin de l'extrait de 42 pages

Résumé des informations

Titre
Musik für das Auge. Analyse der visuellen Umsetzung populärer Musik in Musikvideos
Université
University of Siegen
Cours
Medienästhetik. Musik sehen: Theorie und Praxis der Visualisierungen populärer Musik
Note
1,0
Auteur
Année
2017
Pages
42
N° de catalogue
V455371
ISBN (ebook)
9783668895102
ISBN (Livre)
9783668895119
Langue
allemand
Mots clés
Populäre Musik, Pop-Musik, Musikvideos, Visualisierung, Daft Punk, Around the World, The White Stripes, The Hardest Button to Button, Musikvideoanalyse, hermeneutisch-interpretative Methode, Michel Gondry
Citation du texte
Nina Langer (Auteur), 2017, Musik für das Auge. Analyse der visuellen Umsetzung populärer Musik in Musikvideos, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455371

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