Leseprobe
1) Drei normative Grundlagen der Konsumentenverantwortung
Das Prinzip der Konsumentenverantwortung beruht auf drei normativen Grundlagen, die Michael NEUNER als die Norm der Fürsorgeverantwortung des Konsumenten 1 für sich selbst, die Norm der Naturverträglichkeit und die Norm der Sozialverträglichkeit definiert.2
Die Fürsorgeverantwortung des Konsumenten für sich selbst ist nicht an andere delegierbar, d.h. jeder Konsument und damit jeder Mensch trägt zunächst für sich selbst und das Gelingen seines eigenen individuellen Lebens die Verantwortung.3 Die Fürsorgeverantwortung gegen sich selbst schließt jedoch auch die Verantwortung für Umwelt und Mitmenschen mit ein, da der einzelne Mensch und sein Überleben von der Intaktheit der Natur abhängen. Außerdem ist die Erfüllung der Fürsorgeverantwortung für sich selbst die Voraussetzung, um sich überhaupt erst den anderen Normen widmen zu können - nur der Konsument, dessen eigenes Wohlergehen gesichert ist, kann sich zusätzlich noch dem Wohl der Allgemeinheit widmen.4
Ludger HEIDBRINK und Imke SCHMIDT verstehen unter der Fürsorge für sich selbst das Pflegen der „eigene[n] Gesundheit, die vernünftige Verwaltung der eigenen Finanzen oder auch das Streben nach Selbstverwirklichung und einem gelingenden Leben.“5 Ein Beispiel für die Erfüllung der Fürsorgeverantwortung für sich selbst wäre der Kauf eines fair gehandelten T-Shirts aus Bio-Baumwolle anstelle eines herkömmlich produzierten T-Shirts.6
Dass der Textilproduzent auf viele Chemikalien verzichtet, kommt der Gesundheit des Konsumenten zugute und die oftmals höhere Qualität des Produkts schont den Geldbeutel trotz der zunächst höheren Anschaffungskosten, da der Konsument dieses T-Shirt wahrscheinlich länger und häufiger tragen kann und nicht so schnell ein neues braucht. Mit dem Kauf des fair gehandelten T-Shirts unterstützt der Konsument die Produktion von nachhaltigen Konsumgütern. Als weiteres Beispiel für die Fürsorge für sich selbst kann der Verzicht auf das Autofahren bei kurzen Strecken dienen. Der Konsument stärkt seine Gesundheit, indem er läuft, radfährt oder skatet, und schont wiederum Geldbeutel und Umwelt.
Die Norm der Naturverträglichkeit bezieht sich auf den Modus der Naturaneignung, der laut NEUNER zerstörend, transformierend oder bewahrend sein kann.7 Naturverträglich ist davon nur die bewahrende Aneignung der Natur, d.h. die Nutzung der Natur in dem Sinne, dass dabei keine materiellen Lebensgrundlagen irreversibel zerstört werden, auch nicht die der zukünftigen Generationen.8 Das Wohlergehen des einzelnen Konsumenten hängt vom Wohlergehen der gesamten Natur ab. Der Mensch befindet sich also in einem anthropologischen Dilemma: Er muss sich Teile der Natur aneignen, um zu überleben, gleichzeitig benötigt er dafür aber auch die Intaktheit der Natur.9 Wenn der Konsument die Norm der Naturverträglichkeit erfüllen möchte, sollte er z.B. in Deutschland gut abwägen, ob er eine Banane kauft. Diese wurde meist mit dem Flugzeug eine weite Strecke transportiert, um von ihrer Staude aus im deutschen Supermarkt zu landen. Der Konsument könnte sich stattdessen für saisonales regionales Obst entscheiden, das ökologisch verträglich angebaut wurde, z.B. Heidelbeeren im August. Ein weiteres Beispiel für naturverträglichen Konsum wäre der Verzicht auf Plastiktragetaschen. Statt bei jedem Einkauf eine weitere Plastiktüte mitzunehmen, könnte der Konsument eine genügend große Tasche oder mehrere Stoffbeutel immer wieder benutzen. Plastik ist leider nicht biologisch abbaubar und stellt heute schon ein Problem für die Weltmeere dar.10
Die Norm der Sozialverträglichkeit ist relevant, da der heutige Konsum durch die Globalisierung immer auch andere Menschen oder Gesellschaften betreffen kann. Sozialverträglich sind Handlungen, die sich nicht negativ auf andere Menschen auswirken, egal ob diese dem Konsumenten nahestehen oder nicht. In der Forschung wird die Norm der Sozialverträglichkeit unterschiedlich bewertet. NEUNER spricht dieser Norm den Anspruch der „gerechten“ Verteilung von Lebens- und Entwicklungschancen ab, da sie als einziges Kriterium habe, dass die Auswirkungen von Handlungen auf andere vertretbar seien.11
HEIDBRINK und SCHMIDT sehen im verantwortungsbewussten nachhaltigen Konsum, für den u.a. die Norm der Sozialverträglichkeit gilt, dagegen eine Vorstellung von allumfassender Gerechtigkeit sowohl für alle derzeit lebenden Menschen als auch für alle Menschen, die in Zukunft geboren werden.12 Sozialverträglicher Konsum bedeutet zum Beispiel die Entscheidung für Fairtrade-Schokolade und gegen herkömmlich produzierte Schokolade. Das Fairtrade-Siegel garantiert die angemessene Behandlung und Bezahlung der Arbeiter und den
Verzicht auf Sklaverei.13 Die eigene Konsumentenverantwortung wahrzunehmen, heißt, die eigenen Konsumentscheidungen, das politische Engagement und Informationen anhand dieser Normen zu reflektieren.14
2) Die Konzepte der Konsumentenverantwortung (Consumer Social Responsibility) und der Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility)
Die Unternehmensverantwortung unterscheidet sich von der Konsumentenverantwortung darin, dass die Unternehmen „als Korporation eine kollektive moralische Verantwortung besitzen, die sich unabhängig von der individuellen Verantwortung der Mitglieder dem Unternehmen zuschreiben lässt“15. Dagegen hängen die kollektive und die individuelle Verantwortung der Konsumenten stärker zusammen, die Konsumentenverantwortung ist also eine „kollektive moralische Verantwortung von Individuen“16. Das heißt, dass Konsumenten auch dann Verantwortung tragen, wenn sie an Entwicklungen partizipieren, die sie nicht selbst verursacht haben, z.B. die Konsumenten in den Industrieländern für die Armut in den Entwicklungsländern.17 Zwischen Unternehmen und Konsumenten besteht daher eine „spezifische verantwortungsethische Asymmetrie“18. Unternehmen tragen zwar eine größere Verantwortung für ihr Handeln, diese kann ihnen als Korporation dennoch nur in einem sekundären Sinne zugewiesen werden. Konsumenten tragen zwar durch ihre geringere Macht eine geringere Verantwortung, dafür kann ihnen diese in einem primären Sinn moralisch zugewiesen werden, da sie Individuen sind.19
Soll die Konsumentenverantwortung, die Consumer Social Responsibility, die für ein „bewusste[s] und informierte[s] Konsumverhalten im Einklang mit den individuellen Werthaltungen und moralischen Einstellungen“ steht20, den Markt wirksam hin zu mehr Nachhaltigkeit beeinflussen, darf sie nicht isoliert von der Unternehmensverantwortung, der Corporate Social Responsibility, bleiben.21 Die Voraussetzung dafür ist, dass immer mehr Konsumenten ihr Handeln moralisch hinterfragen und die Unternehmen als ebenfalls
[...]
1 Aus Gründen der Lesbarkeit verwende ich nur das männliche Genus, es sind jedoch auch immer die Konsumentinnen gemeint.
2 Vgl. Neuner, Michael, Die Verantwortung der Verbraucher in der Marktwirtschaft, in: Heidbrink, Ludger/ Hirsch, Alfred (Hgg.), Verantwortung als marktwirtschaftliches Prinzip. Zum Verhältnis von Moral und Ökonomie, Frankfurt/Main 2008, S. 284f.
3 Vgl. Ebd., S. 285.
4 Vgl. Heidbrink, Ludger/ Schmidt, Imke, Das Prinzip der Konsumentenverantwortung – Grundlagen, Bedingungen und Umsetzungen verantwortlichen Konsums, in: Ahaus, Björn/ Heidbrink, Ludger/ Schmidt, Imke (Hg.), Die Verantwortung des Konsumenten. Über das Verhältnis von Markt, Moral und Konsum, Frankfurt/ Main 2011, S. 38.
5 Ebd., S. 39.
6 Vgl. z.B. das Basic-Top von H&M für 4,95 € (htt p :// www . hm.com/de/p r oduct/ 1 04 5 5?a r t icle=10455-A) und Bo Basic Top von Armedangels für 19,90 € ( h ttp://www.armedangels.de/armedangels/frauen/bo- ba s ic_pid _ 22 7 _2 9 879 . ht ml).
7 Vgl. Neuner 2008, S. 285.
8 Vgl. Heidbrink/Schmidt 2011, S. 39.
9 Vgl. Neuner 2008, S. 284f.
10 Vgl. Uken, Marlies, Plastiphäre, das neue, gefährliche Ökosystem, ZEIT ONLINE, 15.07.2013, http://blog.zeit.de/gruenegeschaefte/2013/07/15/plastispare-das-neue-gefahrliche-okosystem/.
11 Vgl. Neuner 2011, S. 285.
12 Vgl. Heidbrink/Schmidt 2011, S. 31.
13 Vgl. Fairtrade Deutschland über fairen Handel: http://www.fairtrade-deutschland.de/ueber-fairtrade/.
14 Vgl. Heidbrink/Schmidt 2011, S. 39.
15 Ebd., S. 45.
16 Ebd., S. 45.
17 Vgl. Ebd., S. 46.
18 Ebd., S. 47.
19 Vgl. Ebd., S. 47f.; Brinkmann/Peattie 2008, S. 24.
20 Aßländer, Michael S., Shopping for Virtues. Corporate und Consumers´ Social Responsibility im Konzept geteilter sozialer Verantwortung, in: Heidbrink, Ludger/ Hollstein, Bettina/ Schmidt, Imke (Hg.), Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Jg. 12, Heft 3, 2012, Konsumenten- und Unternehmensethik, Mering 2012, S. 264.
21 Vgl. Neuhäuser, Christian, Drei Dimensionen der Verantwortung von Konsumenten und Unternehmen, in: Heidbrink, Ludger/ Hollstein, Bettina/ Schmidt, Imke (Hg.), Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Jg. 12, Heft 3, 2012, Konsumenten- und Unternehmensethik, Mering 2012, S. 278.