Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Geschlechterrollen in Deutschland
2 Institutioneller Kontext
2.1 Traditionelle Verteilung der Erwerbs- und Hausarbeit in Deutschland
2.2 Familienpolitische Maßnahmen in Deutschland
2.2.1 Basiselterngeld
2.2.2 Elterngeld Plus
3 Theoretischer Bezugsrahmen: Einstellungsänderungen im Lebensverlauf
3.1 Theorie der kognitiven Dissonanz
3.2 Identitätstheorien
3.3 Elaboration-Likelihood-Modell
3.4 Forschungsleitende Hypothesen
4 Forschungsstand: Geschlechterrolleneinstellungen, Elternschaft und Familienpolitik
4.1 Der Übergang in die Elternschaft
4.2 Familienpolitik und Geschlechterrolleneinstellungen
4.3 Familienpolitische Regulierung der Elternzeit
5 Qualitative Erforschung der Geschlechterrolleneinstellungen vor und nach Einführung des
Elterngeld Plus
5.1 Theoretical Sampling und Leitfadeninterview
5.2 Methodenkritik am qualitativen Forschungsdesign
6 Fazit: Weitere Anknüpfungspunkte für qualitative Forschung
7 Anhang
8 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Geschlechterrollen in Deutschland
„Männer bringen das Geld nach Hause, Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder“ (Peters 2013: o.S.) – diese traditionellen Geschlechterrollen (GE) haben bis heute in Deutschland einen Einfluss auf die Verteilung der Erwerbs- und Hausarbeit (HA) in einer Partnerschaft (vgl. Rüss- mann/ Kopp/ Hill 2015: S. 492). Mit der Einführung des Elterngelds im Jahr 2007, das mittler- weile in Basiselterngeld (BE) umbenannt wurde, ist jedoch der Anteil an Männern, die die ge- setzlich verankerte Elternzeit in Anspruch nehmen, deutlich angestiegen, da sich hier erstmals Mütter und Väter den Erziehungsurlaub untereinander aufteilen können (vgl. Statistisches Bun- desamt 2013: S. 6). Die im Vergleich zu Müttern deutlich kürzere Bezugsdauer relativiert al- lerdings diese Tatsache (vgl. Ebd.: S. 13). Eine durchweg egalitärere Rollenverteilung (RV) strebt die deutsche Familienpolitik (FP) mit der Einführung des Elterngeld Plus (EP) im Jahr 2015 an: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll nach der Geburt des Kindes für beide Elternteile gleichermaßen finanziell attraktiv gemacht werden (vgl. Bundesministerium für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend: 2016: S. 7 f.).
Die vorliegende Arbeit fokussiert sich daher auf den potentiellen Wandel der GE deutscher Eltern, der mit der Einführung dieser familienpolitischen Maßnahme einhergeht. Konkret wird die Frage aufgeworfen, inwieweit sich die GE deutscher Eltern hinsichtlich der Aufteilung der HA, der Erwerbstätigkeit (ET) von Müttern und der Vorherrschaft des klassischen Versorger- modells vor und nach der Einführung des EP unterscheiden. Die Relevanz dieses Forschungs- vorhabens ergibt sich aus der Bedeutung familienpolitischer Maßnahmen: Sie formen nach- weislich die Opportunitätsstruktur der Individuen (vgl. Sjöberg 2004: S. 110 f.). Daher ist es ebenso denkbar, dass sie auch die GE tangieren. Durch die Einführung des EP ergibt sich eine einmalige Gelegenheit, die unmittelbar daraus resultierenden Einstellungsveränderungen (EV) hinsichtlich der Verteilung der Erwerbs- und HA greifbar zu machen.
Die Bedeutung des Forschungskomplexes spiegelt sich im wissenschaftlichen Literaturstand wider. Grundsätzlich besteht ein recht breites Spektrum an theoretischen Ansätzen, die den Wandel von Einstellungen sowohl zwischen den Kohorten als auch im Lebensverlauf fundiert erklären. Diese Arbeit fokussiert sich aufgrund des Forschungsinteresses auf letztgenannte An- sätze. Ebenso existiert eine Vielzahl an empirischen Studien, die GE und deren Wandel unter- suchen. Auch der Einfluss der FP auf die GE generell stellt einen etablierten Forschungskom- plex dar. Weniger umfassend behandelt wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt allerdings der Ein- fluss einer konkreten familienpolitischen Maßnahme auf die GE beider Elternteile. Hier setzt die vorliegende Arbeit an. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der empirischen Arbeiten wählt diese Studie eine qualitative Verfahrensweise, um die methodischen Kritikpunkte, die gegenüber der Anwendung quantitativer Verfahren bestehen, zu eliminieren. Zu drei Messzeitpunkten werden Leitfadeninterviews mit zehn Elternpaaren geführt, in denen potentielle Veränderungen ihrer GE ermittelt werden.
Diese Arbeit fokussiert sich zunächst auf die deutsche FP und erläutert in diesem Rahmen den Paradigmenwechsel durch die Einführung des EP. In einem nächsten Schritt werden Theorien vorgestellt, die EV im Lebensverlauf erklären, und die Hypothesen abgeleitet. Im Anschluss werden der Forschungsstand sowie das in dieser Studie verwendete Analyseverfahren detailliert vorgestellt. Ein Fazit fasst schließlich die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
2 Institutioneller Kontext
Um das Forschungsinteresse adäquat begründen zu können, müssen zunächst die institutionel- len Hintergründe in Deutschland erläutert werden. Daher wird das langfristig dominierende Verteilungssystem der Erwerbs- und HA – das klassische Ernährermodell – sowie dessen insti- tutionelle Verankerung erläutert. In einem zweiten Schritt wird der Zusammenhang zwischen der nationalen FP und der Arbeitsverteilung innerhalb einer Familie dargestellt. Schließlich wird der mit der Einführung des EP einsetzende Wandel der deutschen FP beschrieben.
2.1 Traditionelle Verteilung der Erwerbs- und Hausarbeit in Deutschland
Die traditionelle, geschlechtsspezifische RV erweist sich als persistentes Charakteristikum in der Aufteilung der Familien- und HA in Deutschland (vgl. Rüssmann/ Kopp/ Hill 2015: S. 492). An diese ursprüngliche RV ist die Vorstellung an eine traditionelle Familienkonstellation ge- knüpft, welche den Mann als den Ernährer der Familie ansieht. Demgegenüber ist die Frau im Rahmen des „male-breadwinner“-Modells für alle rund um den Haushalt und die Kinder anfal- lenden Aufgaben zuständig (vgl. Scott 1999: S. 144) und partizipiert nicht oder lediglich in geringem Maße am Arbeitsmarkt. Die Strukturen des Arbeitsmarkts machten diese klassische RV bis in die 1950er Jahre funktional erforderlich (vgl. Rüssmann/ Kopp/ Hill 2015: S. 492). Insbesondere seit der Nachkriegszeit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die traditionelle RV inner- halb der Familie jedoch neuen, exogenen Faktoren ausgesetzt, die die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Rollenbilder tangieren (vgl. Sjöberg 2004: S. 108). Die gestiegene ET von Frauen in industrialisierten Ländern stellt in diesem Zusammenhang eine elementare Einfluss- größe dar (vgl. Ebd.), die letztlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erforderlich macht und damit die traditionelle RV von Frau und Mann herausfordert (vgl. Scott 1999: S. 144).
Wie letztlich innerfamiliär die Erwerbs-, Familien- und HA organisiert wird, hängt zum einen von individuellen sowie familiären Charakteristika – wie den GE – ab und variiert graduell zwischen zwei Polen (vgl. Pollmann-Schult 2015: S. 620):
„An einem Ende befinden sich traditionelle Geschlechtervorstellungen mit der Präferenz für eine geschlechtsspe- zifische Arbeitsteilung […]. Am anderen Ende des Kontinuums stehen moderne Orientierungen mit der Präferenz für eine egalitäre Aufteilung von Haus- und Erwerbsarbeit“ (Ebd).
Als egalitär gilt die in zeitlicher Dimension ausgewogene Aufteilung von Erwerbs- und HA zwischen den Partnern, wobei unerheblich ist, wie sich die Arbeitszeiten konkret zusammen- setzen (vgl. Rüssmann/ Kopp/ Hill 2015: S. 493).
Inwieweit die individuellen und familiären Einstellungen im Rahmen der vorliegenden Struk- turen allerdings realisierbar sind, hängt in hohem Maße von den familienpolitischen Maßnah- men eines Landes ab. Arbeitnehmerinnen können nur dann Flexibilität bei ihrer Erwerbsarbeit zeigen, wenn die FP entsprechenden Regelungen, die Familien entlasten, verabschiedet. Diese Maßnahmen und Gesetze spiegeln letztlich das normative Bild des Staats hinsichtlich der RV im Arbeits- und Familienleben wider (vgl. Sjöberg 2004: S. 108).
Von der aktuellen FP geleitet, hat sich in Deutschland innerhalb der letzten Jahre ein vergleichs- weise stabiles Erwerbsmuster der Frauen etabliert. Demnach gehen Arbeitnehmerinnen in der Regel einer Vollzeitbeschäftigung nach bis das erste Kind geboren wird und sie folglich ihre ET unterbrechen. Anschließend kehren sie in Teilzeit an den Arbeitsmarkt zurück (vgl. Drasch 2013: S. 981). „Männer setzen [hingegen] sehr viel seltener und vorallem sehr viel kürzer aus familiären Gründen beruflich aus“ (Wiese/ Arling 2015: S. 660). Das Fortbestehen und die Dominanz der traditionellen Aufgabenverteilung zwischen Frau und Mann gilt – in dieser mo- dernen Form des „modified breadwinner model“ (Drasch 2013: S. 981) – sowohl national als auch international als empirisch abgesichert (vgl. Rüssmann/ Kopp/ Hill 2015: S. 493).
2.2 Familienpolitische Maßnahmen in Deutschland
Die nationale FP orientiert sich in hohem Maße an dem vorherrschenden Rollenverständnis der Frau: Ihre Rolle(n) als Ehefrau, Mutter und beziehungsweise oder Arbeitnehmerin kann vom Staat betont und gefördert werden (vgl. Lewis 1992: S. 162). Die Maßnahmen und Gesetze der FP formen dabei direkt die Opportunitätsstrukturen der Individuen. Ausmaß und Gestaltung der FP sind daher unmittelbar mit der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen verbunden: Frauen kön- nen nur dann neben ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau am Arbeitsmarkt partizipieren, wenn sie hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf institutionell gefördert werden (vgl. Sjöberg 2004: S. 110 f.). „Consequently, family policy institutions can be seen as means to ease the tension between paid work and the family obligations of women […]” (Ebd.: S. 111).
Die institutionelle Förderung der Vereinbarkeit von Familie und ET unterscheidet sich zwi- schen den Ländern in qualitativer sowie quantitativer Hinsicht. Korpi differenziert in diesem Zusammenhang zwischen drei idealtypischen Modellen von FP: 1) der generellen Unterstüt- zung von Familien (general family support), wonach die zentrale Funktion der Frau in der Or- ganisation von Familie und Haushalt besteht und sie zusätzlich durch temporäre Erwerbsarbeit das Familieneinkommen erweitern kann 2) der Förderung der ganzheitlichen Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt, sodass sich die familiären Verpflichtungen auf beide Partner verteilen (dual-earner support) sowie 3) Länder, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht insti- tutionell regeln, sondern es den Individuen selbst überlassen (market-oriented policies) (vgl. Korpi 2000: S. 143 f.).
Die aktuelle FP Deutschlands ist dieser Kategorisierung zufolge dem erstgenannten Modell zu- zurechnen. Als elementare Instrumentarien der FP hierzulande können die Bereitstellung von Kinderbetreuungsangeboten sowie die finanzielle Unterstützung während der Erwerbsunter- brechung nach der Geburt des Kindes angeführt werden (vgl. Pollmann-Schult 2015: S. 622). Das zweitgenannte Mittel bildet die Grundlage für diese Seminararbeit, da die GE deutscher Eltern vor und nach Einführung des EP untersucht werden. Im Folgenden werden daher die Charakteristika der staatlichen Finanzierungsmöglichkeiten – dem BE sowie dem EP – inner- halb der Elternzeit erläutert.
2.2.1 Basiselterngeld
Die Dauer der Erwerbsunterbrechung wurde nach der Einführung des Mutterschaftsurlaubs im Jahr 1979 – der ersten familienpolitischen Maßnahme Westdeutschlands, die durch die zuneh- mende ET der Frauen entstandene Doppelbelastung abmildern sollte – zur Jahrtausendwende in mehreren Schritten graduell angehoben (vgl. Gangl/ Ziefle 2015: S. 522 ff.). Auch die finan- ziellen Leistungen wurden peu à peu gesteigert (vgl. Ziefle/ Gangl 2014: S. 566). In den letzten Jahren ereignete sich jedoch ein Paradigmenwechsel in der deutschen FP, der sich insbesondere durch eine Erweiterung familienpolitischer Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auszeichnet (vgl. Andronescu/ Carnes 2015: S. 159 f.).
Einen zentralen Wendepunkt stellt die Einführung des Elterngelds am 1. Januar 2007 dar, das mittlerweile in BE umbenannt wurde (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016: S. 7). Dabei handelt es sich um eine Leistung für alle Familien, „die ihr Kind in den ersten 14 Monaten nach der Geburt selbst betreuen wollen und deshalb nicht oder nicht voll erwerbstätig sind“ (Ebd.). Die Eltern können sich über ein Jahr hinweg flexibel einteilen, welches Elternteil in welchem Zeitraum für die Betreuung des Kindes sorgt. Ist nur ein Eltern- teil für die Betreuung zuständig, kann derjenige mindestens zwei und maximal zwölf Monate lang BE beziehen. Beteiligt sich auch der Partner an der Kinderbetreuung, werden zwei zusätz- liche Partnermonate vergütet – der Bezugsrahmen für das BE vergrößert sich damit auf 14 Mo- nate (vgl. Ebd.). Damit setzt das BE als familienpolitische Maßnahme in Deutschland erstmals explizit Anreize für Männer, die Familie und Beruf vereinen möchten.
Die Höhe des BE bemisst sich nach der Summe des monatlichen Nettoeinkommens, welches das betreuende Elternteil vor der Geburt des Kindes zur Verfügung hatte. Grundsätzlich werden – abhängig von der Einkommensklasse – zwischen 65 und 67 Prozent des Nettoeinkommens ausgezahlt. Der minimale Bezugsbetrag liegt bei 300 Euro, die maximale Höhe beträgt 1800 Euro (vgl. Ebd.: S. 13 f.). Leistungsbeziehern ist es möglich, neben der Kinderbetreuung bis zu 30 Wochenstunden zu arbeiten (vgl. Ebd.: S. 7). Das BE muss zwar nicht versteuert werden. Es unterliegt allerdings dem sogenannten Progessionsvorbehalt. Das bedeutet, dass das BE zum zu versteuernden Einkommen aus der Erwerbsarbeit hinzuaddiert wird, um den Steuersatz zu ermitteln (vgl. Ebd.: S. 51). Letztlich „ergibt sich [dadurch] ein höherer Steuersatz, der aber nur auf das übrige steuerpflichtige Einkommen angewendet wird“ (Ebd.). Damit erhalten in Teilzeit beschäftigte Eltern weniger staatliche Subventionen als Eltern, die in ihrer Elternzeit keinen Job ausüben (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2015: S. 11). Folglich kann festgestellt werden, dass das BE zwar Vätern einen ersten Anreiz bietet, Eltern- zeit zu nehmen. Allerdings profitieren demnach Familien, die das traditionelle Ernährermodell realisieren, stärker davon als Familien, die Erwerbs- und HA alternativ aufteilen.
2.2.2 Elterngeld Plus
Eine weitere familienpolitische Leistung ist das EP. Im Vergleich zum BE soll hier die Verein- barkeit von Familie und Beruf in einem höheren Maße gefördert werden (vgl. vgl. Bundesmi- nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016: S. 7). Es richtet sich insbesondere an Eltern, die Erwerbs- und HA partnerschaftlich aufteilen möchten. Denn die zentralen Charak- teristika des EP sind einerseits die flexiblere Gestaltung der Elternzeit, andererseits wird die Teilzeitarbeit von Eltern attraktiver entlohnt (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2015: S. 8 ff.).
Bezugsberechtigt sind alle Eltern, deren Kind am oder nach dem 1. Juli 2015 geboren wird. Außerdem dürfen die Bezieher hierfür maximal 30 Wochenstunden arbeiten (vgl. Ebd.: S. 10). Die Berechnung der Höhe der Leistung erfolgt äquivalent zur Beitragsbestimmung beim BE. Allerdings wird maximal die Hälfte des Elterngeldbeitrags, der den Eltern ohne Teilzeitbe- schäftigung zustehen würde, ausgezahlt. Dies gleicht sich jedoch wieder aus, denn der Bezugs- zeitraum verlängert sich: Ein Monat BE entspricht zwei Monaten EP (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2016: S. 8)..Der Bezug von BE und EP kann zudem kombiniert werden, sodass ein Elternteil beispielsweise sich erst gänzlich der Kinderbetreuung widmen kann und anschließend – früher als es das BE vorsieht – eine Teilzeitstelle aufnimmt (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2015: S. 13).
Äquivalent zum BE besteht auch beim EP die Möglichkeit, einen Partnerschaftsbonus zu be- ziehen. In dem Fall, dass beide Elternteile gleichzeitig für vier aufeinander folgende Monate mindestens 25 und höchstens 30 Wochenstunden arbeiten, erhält jedes Elternteil vier zusätzli- che Bezugsmonate des EP (vgl. Ebd.: S. 12). Durch die Erweiterung der familienpolitischen Maßnahmen um das EP werden nun auch die partnerschaftliche Aufteilung der Erwerbs- und HA und die berufliche Wiedereigliederung der Mütter gefördert.
3 Theoretischer Bezugsrahmen: Einstellungsänderungen im Lebensverlauf
Eine Einstellung kann als „evaluation of an object of thought“ (Bohner/ Dickel 2011: S. 392) definiert werden. Erfolgt diesbezüglich eine Spezifizierung auf die Einstellungen hinsichtlich Geschlechterrollen, so stehen der Wissenschaft eine Vielzahl an Termini zur Verfügung – zu den gebräuchlichsten zählen „gender role attitudes“ sowie „gender ideology“ (vgl. Davis/ Greenstein 2009: S. 88 f.). GE können schließlich als „individuals‘ levels of support for a divi- sion of paid work and family responsibilities that is based on the notion of separate spheres” (Ebd.: S. 88) begriffen werden. Wie bereits im vorherigen Kapitel angesprochen, variieren GE- zwischen den beiden Polen Traditionalität sowie Egalität (vgl. Pollmann-Schult 2015: S. 620). Allerdings müssen GE nicht persistent sein. Zur Erklärung von EV können zwei zentrale An- sätze herangezogen werden: die Theorie des Kohortenersatzes sowie Theorien der EV von In- dividuen über den Lebensverlauf hinweg (vgl. Baxter et al. 2015: S. 991). Erstgenannte sieht die Einstellungen über den Lebensverlauf hinweg als weitgehend stabil an und betrachtet daher Einstellungsänderungen als Ergebnis des Ersatzes von älteren Kohorten durch jüngere Kohor- ten. Dieser These liegt die Annahme zugrunde, wonach sich die Kohorten hinsichtlich ihrer Kindheitserfahrungen und den anschließenden Einstellungen voneinander absetzen, was wie- derum auf den historischen Kontext der elterlichen Erziehung zurückgeführt werden kann (vgl. Brooks/ Bolzendahl 2004: S. 110). Demgegenüber werden verschiedene Theorien unter dem Ansatz der individuellen EV über den Lebensverlauf subsumiert (vgl. Baxter et al. 2015: S. 991), die davon ausgehen, dass persönliche Einstellungen durch die Sozialstruktur, in die das Individuum eingebettet ist und in der es seine Erfahrungen macht, umgewandelt werden können (vgl. Brooks/ Bolzendahl 2004: S. 110): „[S]ocial attitudes are expected to vary as individuals experience different relationships, influences, and events throughout their lifetime“ (Baxter et al. 2015: S. 991). Insbesondere ökonomischen sowie familienpolitischen Faktoren werden in diesem Rahmen eine hohe Bedeutung zugemessen (vgl. Brooks/ Bolzendahl 2004: S. 110 f.). Sowohl die Gültigkeit der Kohortenersatztheorie als auch die der Theorie der EV von Indivi- duen über den Lebensverlauf hinweg wurde mittels empirischer Studien untermauert. Beispiels- weise weisen Thornton, Alwin und Camburn in ihrer Langzeitstudie aus dem Jahr 1983 Ein- stellungsunterschiede zwischen Müttern und deren Töchtern nach: Demnach zeigen Töchter im Vergleich zu ihren Müttern egalitärere GE auf. Allerdings haben sich auch die Mütter zwischen den Erhebungen im Jahr 1962 bis 1980 in der Gestalt verändert, dass sie weniger traditionelle Ansichten vertreten (vgl. Thornton/ Alwin/ Camburn 1983: 212 - 215). Diese These der EV von Individuen über den Lebensverlauf hinweg bestätigen auch Alwin und Krosnick: Die For- scher eruieren im Rahmen ihrer Auswertung von Panel-Daten der National Election Study hin- sichtlich der Stabilität von politischen Einstellungen (vgl. Alwin/ Krosnick 1991: S. 174 f.), dass Personen im jungen Erwachsenenalter im Vergleich zu älteren Personen häufiger ihre An- sichten ändern. Mit zunehmendem Alter weisen die Einstellungen der Individuen eine höhere Persistenz auf (vgl. Ebd.: S. 189). Sie folgern daraus eine hohe Relevanz der „life-cycle factors in the development of sociopolitical attitudes over the life cours“ (Ebd.: S. 188).
Da in dieser Seminararbeit die Effekte der Einführung des EP auf die GE deutscher Eltern iden- tifiziert werden sollen, konzentriert sich diese Arbeit auf den Ansatz der individuellen Einstel- lungsänderung im Lebensverlauf, um eine potentielle Transformation der Ansichten erklären zu können. Im Folgenden werden daher ausgewählte Theorien zu EV von Individuen erläutert. Grundsätzlich kann zwischen Ansätzen, die sich auf die Rolle des Individuums beziehen – etwa die Theorie der kognitiven Dissonanz sowie die Identitätstheorien – und Theorien, die externe Faktoren als Determinanten der individuellen Einstellung ansehen – beispielsweise das Elabo- ration-Likelihood-Model –, differenziert werden (vgl. Zoch/ Schober o.J.: S. 9).
3.1 Theorie der kognitiven Dissonanz
Der Theorie der kognitiven Dissonanz von Leon Festinger aus dem Jahr 1957 zufolge können individuelle EV durch kognitive Dissonanz erklärt werden. Bei der kognitiven Dissonanz han- delt es sich um nicht miteinander harmonierende Kognitionen – also etwa Meinungen und Ein- stellungen –, die folglich einen in psychologischer Hinsicht unangenehmen Spannungszustand generieren (vgl. Festinger 1957: S. 1 ff.). Die wahrgenommene Stärke der kognitiven Dissonanz variiert je nach Relevanz der Elemente für das betroffene Individuum (vgl. Ebd.: S. 16). Grund- sätzlich strebt der Mensch allerdings nach Konsistenz, weshalb der Betroffene der Theorie zu- folge versuchen wird, die Dissonanz aufzulösen (vgl. Ebd.: S. 1 ff.).
Dies kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: Einerseits kann das Individuum sein Verhal- ten oder seine Ansichten ändern, um divergierende Kognitionen zu eliminieren. Ebenso ist es denkbar, die äußere Umwelt beziehungsweise die Situation anzupassen, sodass sich die kogni- tive Dissonanz auflöst. Hierfür ist es jedoch erforderlich, dass das Individuum über die entspre- chende Umweltkontrolle verfügt. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, das bestehende Wissen zu ändern, indem neue Kognitionen hinzugefügt werden. Eine einseitige Informationsauf- nahme, die im Einklang mit der dominanten Kognition steht, kann schließlich die nicht harmo- nierende Kognition deutlich abschwächen. Schließlich kann aber auch der Fall eintreten, dass keiner dieser Wege der Dissonanzreduzierung zum Erfolg führt. Denn nicht immer ist es mög- lich, das eigene Verhalten oder Einstellungen, die Situation oder den eigenen Kenntnisstand anzupassen (vgl. Ebd.: S. 18 - 22).
Demzufolge kann argumentiert werden, dass deutsche Eltern vor der Einführung des EP auf- grund der Unrentabilität von Teilzeitarbeit durch den damaligen Progessionsvorbehalt des BE eingeschränkte Möglichkeiten hatten, auf diese Weise Arbeits- und Familienleben miteinander zu verknüpfen und somit eine eher traditionelle RV innerhalb der Familie durchzusetzen. Auch wenn Individuen diesen Wunsch hatten, war das Nachgehen einer Teilzeitstelle aus finanziellen Gründen lediglich für einen relativ kleinen Personenkreis realisierbar. In diesem Fall entsteht bei den Betroffenen kognitive Dissonanz, da familienpolitische Regulierungen den Handlungs- spielraum sowie die Wahlmöglichkeiten der arbeitsorientierten Individuen beschränken. Um den Spannungszustand aufzulösen, erscheint es denkbar, dass das Individuum sein Verhalten und seine Einstellungen anpasst, um innere Konsistenz herzustellen. Konkret bedeutet das, dass die Betroffenen ihre Einstellungen an das familienpolitische Ideal anpassen und schließlich tra- ditionellere Ansichten vertreten.
Durch die Einführung des EP und der damit einhergehenden Attraktivität von Teilzeitarbeit werden hingegen diese bis dato bestehenden Restriktionen aufgehoben. Das EP unterstützt deutsche Eltern, die den Wunsch haben, Karriere und Familie miteinander zu vereinen und ein egalitäres Rollenbild zu verfolgen, bei der Umsetzung dieser Aspiration. Der Theorie der kog- nitiven Dissonanz zufolge sollten demnach nach der Einführung dieser familienpolitischen Maßnahme weniger Eltern traditionelle GE an den Tag legen, weil der unangenehme Zustand der kognitiven Dissonanz durch staatliche Regulierungen behoben wird.
3.2 Identitätstheorien
Die Rolle des Individuums nimmt auch in den Identitätstheorien eine zentrale Funktion ein. Es liegt die Annahme zugrunde, dass „the self is reflexive in that it can take itself as an object and can categorize, classify, or name itself in particular ways in relation to other social categories or classifications“ (Stets/ Burke 2000: S. 224). Durch diesen Prozess der Selbstkategorisierung (soziale Identitätstheorie) oder Identifizierung (Identitätstheorie) wird die Identität eines Indi- viduums maßgeblich geformt. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und der soziale Ver- gleich mit anderen Individuen bilden der sozialen Identitätstheorie zufolge die Basis für die eigene Identität (vgl. Ebd.: S. 224 f.).
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