Die Verfolgung und Ermordung von Minderheiten während des Nationalsozialismus erscheinen aus heutiger Sicht menschenunwürdig und nicht nachvollziehbar. Häufig wird diese sogenannte ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens’ als ein Werk Adolf Hitlers bezeichnet. Tatsächlich entstand die Idee von einer ‚reinen’ Gesellschaft nicht erst am Ende des 19. Jahrhunderts, vielmehr ist sie fast so alt wie die Menschheit selbst. Die Abwertung von Menschen sowie die ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens’ waren demnach das Ergebnis eines langen Prozesses (vgl. Klee 1991, 16 ff.), was vielen Menschen heute nicht bewusst ist. Die Kontinuität dieser Idee von der Antike bis hin zu den Mordprogrammen der Nationalsozialisten wird in dieser Arbeit aufgezeigt.
Die tatsächliche ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens’ zwischen 1939 und 1945 ist der Höhepunkt rassenhygienischen Denkens, dem eine Vielzahl von Maßnahmen zur Abwertung, Ausgrenzung und Diskriminierung von behinderten und kranken Menschen vorausging (vgl. Siemen 1999, 15). Dass die Nationalsozialisten bei der Durchführung der Sterilisierung ‚erbkranker’ Menschen zunächst in der Bevölkerung nur auf geringen Widerstand trafen, scheint aus dem heutigen Verständnis heraus nicht fassbar. Betrachtet man jedoch die rassenhygienische Entwicklung, so wird das Handeln der Menschen nicht verständlicher, aber es erscheint aus ihrer Sicht logisch. Die Verhinderung von ‚lebensunwerten Lebens’ wurde nicht nur allgemein in der Bevölkerung begrüßt, sondern auch die Einrichtungen der Behindertenpflege befürworteten die Einführung des ‚Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’. Dieser Unterstützung konnte sich Hitler bei der Ermordung des ‚lebensunwerten Lebens’ nicht sicher sein, weshalb er versuchte, die Morde zu verheimlichen.
Die Ausgrenzungspolitik der Nationalsozialisten implizierte die Unterscheidung zwischen ‚normalen’ und ‚unnormalen’ Menschen. Inwiefern diese Differenzierung in der Zeit der Pränataldiagnostik relevant ist, wird am Ende der Arbeit diskutiert.
Bei der Auseinandersetzung mit diesem emotional geladen Thema ist es nicht einfach, persönliche Wertungen außen vorzulassen. Die Verfasserin bemühte sich jedoch, auf eigene Stellungnahmen zu verzichten, um eine objektive Darstellung der Ereignisse zu gewährleisten.
In der vorliegenden Arbeit werden Namen von Ärzten, Pfarrern, Politikern und Privatpersonen genannt, um kontextbezogene Sachverhalte zu verdeutlichen und zu erklären.
Inhaltsverzeichnis
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- Die Wurzeln der nationalsozialistischen Euthanasie
- Zentrale Begriffe und deren geschichtliche Entwicklung
- Euthanasie
- Eugenik
- Biologismus
- Sozialdarwinismus
- Degeneration
- Rasse
- Rassenhygiene
- Rassenhygiene vor der Weimarer Republik
- Rassenhygiene in der Weimarer Republik
- Zusammenfassung
- Rassenhygienische Gesetzgebung im Dritten Reich
- Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
- Exkurs: (Zwangs-) Sterilisationen vor 1933
- Zwangssterilisationen im Dritten Reich - Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
- Die praktische Durchführung des GzVeN
- Weitere rassenhygienische Gesetze
- Zusammenfassung
- Die Vernichtung lebensunwerten Lebens im Dritten Reich
- Propagandistische Vorbereitung
- Die Vorbereitung der ,Vernichtung lebensunwerten Lebens'
- Die Kindereuthanasie
- Der formale Ablauf der Kindereuthanasie
- Die Kinderfachabteilungen
- Die Erwachseneneuthanasie - Aktion T 4
- Die Organisation der Aktion T 4
- Die Erfassung, Begutachtung und Verlegung der Anstaltsinsassen
- Die Tötung der Kranken
- Der angebliche Euthanasiestopp
- Die Morde nach dem offiziellen Euthanasiestopp
- Die Ermordung von Behinderten und Kranken nach 1941
- Sonderbehandlung 14f13 und weitere Mordprogramme
- Bilanz
- Zusammenfassung
- Fallbeispiel
- Die Einrichtung Hephata
- Vorgeschichte der Anstalt Hephata
- Die ersten Jahre: 1894-1933
- Hephata und die Zeit des Nationalsozialismus: 1933-1945
- „Verlegt - vernichtet - vergessen ...? "
- Die Einrichtungen Hephata heute
- Zusammenfassung
- Resümee und Ausblicke
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Entwicklung des Rassenhygienischen Denkens und dessen Umsetzung in der nationalsozialistischen Politik. Ziel ist es, die Entstehung der sogenannten „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Dritten Reich aufzuzeigen und die verschiedenen Maßnahmen und Programme der nationalsozialistischen Regierung im Kontext ihrer historischen Wurzeln zu betrachten.
- Entwicklung und Ideologie der Rassenhygiene
- Bedeutung von Eugenik und Biologismus für die nationalsozialistische Euthanasie
- Analyse der rassenhygienischen Gesetzgebung im Dritten Reich, insbesondere des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
- Untersuchung der Kindereuthanasie und der Aktion T 4
- Betrachtung der Folgen der nationalsozialistischen Euthanasie für die Opfer und die Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Darstellung der Wurzeln der nationalsozialistischen Euthanasie, indem sie zentrale Begriffe wie Euthanasie, Eugenik, Biologismus, Sozialdarwinismus, Degeneration, Rasse und Rassenhygiene beleuchtet. Dabei werden die historischen Entwicklungen dieser Konzepte und ihre Bedeutung für die nationalsozialistische Ideologie erörtert. Anschließend untersucht die Arbeit die rassenhygienische Gesetzgebung im Dritten Reich, mit einem Schwerpunkt auf dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und seinen praktischen Auswirkungen.
Im weiteren Verlauf werden die Maßnahmen der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Detail analysiert, wobei sowohl die Kindereuthanasie als auch die Aktion T 4 beleuchtet werden. Die Arbeit geht auf die Organisation, die Durchführung und die Folgen dieser Mordprogramme ein. Schließlich wird anhand eines Fallbeispiels, der Einrichtung Hephata, der Einfluss der nationalsozialistischen Euthanasie auf eine konkrete Behinderteneinrichtung dargestellt.
Schlüsselwörter
Euthanasie, Eugenik, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Deutsches Reich, Behinderte, Kranke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, Aktion T 4, Kindereuthanasie, Verfolgung, Ermordung, Geschichte, Sozialdarwinismus, Biologismus, Degeneration, Propaganda, Zwangssterilisation, Widerstand, NS-Verbrechen, Hephata.
- Citation du texte
- Nina Krull (Auteur), 2004, Vernichtung "lebensunwerten" Lebens während des Dritten Reichs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46138