Konsultationsrecht und Recht auf Prior Informed Consent?


Seminararbeit, 2014

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

II. Bedeutung vorheriger Konsultationen, sowie des Rechts auf „PIC“

III. Durch Konsultationsrecht bzw. Zustimmungsrecht aufgeworfene Interessenskonflikte und dogmatische Lösungsansätze

IV. Konsultationsrecht und Zustimmungsrecht – Definitionen und Beispiele normativer und judikativer Umsetzung

V. Conclusio

I. EINLEITUNG

1 „In Anerkennung und Bekräftigung dessen, dass indigene Menschen ohne Diskriminierung Anspruch auf alle völkerrechtlich anerkannten Menschenrechte haben und dass die indigenen Völker kollektive Rechte haben, die für ihre Existenz, ihr Wohlergehen und ihre integrierte Entwicklung als Völker unerlässlich ist.“ 2

Obwohl die Generalversammlung der Vereinten Nationen hier „anerkennt“ und „bekräftigt“, erschließt sich dem in österreichischer juristischer Methodik erzogenen Betrachter der Eindruck, die Generalversammlung betrete Neuland mit der expliziten Anerkennung der „Unerlässlichkeit“ von abstrakt formulierten „kollektiven Rechte[n]“ in Bezug auf „Existenz“, „Wohlergehen“ und „Entwicklung“; dieser, eher demonstrativ als taxativ anmutenden Aufzählung wohnt meines Erachtens die Absicht inne, in Bezug auf besonders sensible Materien des alltäglichen Lebens indigener Völker, ein Bündel an subjektiven Rechten zu gewähren.

Die vorliegende Arbeit befasst sich daran anknüpfend im Konkreten mit dem Recht auf Konsultation, sowie dem Recht auf freie, informierte und vorherige Zustimmung („free, prior and informed consent“, PIC), nämlich sowohl deren gedankliches und rechtsdogmatisches Fundament, sowie mit der normativen Basis in Quellen des Völkerrechts und in der Rechtsprechung supranationaler Tribunale. Zuvor wird auf die Bedeutung des Konsultationsrechts bzw seinen stärkeren, großen Bruder, das Recht auf PIC, für die indigenen Völker3, deren Lebensführung und Entfaltung ihrer Menschenrechte eingegangen, das Verhältnis zwischen Konsultationsrecht und Recht auf PIC, sowie die Konfliktsituation, die notwendigerweise aus dem Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Souveränität und der (völkerrechtlichen) Verleihung spezifischer Rechte an einzelne Bevölkerungsgruppen resultiert. Im Zuge dieser Darstellungen wird versucht werden, die meist divergierenden Standpunkte der Staaten und der indigenen Völker zu beleuchten und ein mögliches Lösungsmodell vorzustellen.

II. Bedeutung vorheriger Konsultationen, sowie des Rechts auf „PIC“

Ohne bereits eindringlich auf die (mögliche) Ausformung des Rechts auf Konsultation bzw auf PIC einzugehen, werde erörtert, inwiefern ihre Verleihung und Durchsetzbarkeit die in der Präambel zur Erklärung der Rechte indigener Völker geforderte Sicherstellung der Existenz, des Wohlergehens und der Entwicklung indigener Völker fördert oder erst ermöglicht. Unbestritten ist die Tatsache, dass indigene Völker über eine besonders tiefgehende spirituelle Verbundenheit zu der Landfläche, die sie bewohnen und kultivieren, verfügen: „Indigene Völker sind eins mit ihrem Land.“4 Indigene Völker betrachten Land nicht als Sache im Sinne des privatrechtlichen Verkehrs, an der individuelle Rechte begründet werden können, sondern losgelöst von juristischen Denkschemata, sondern als Teil ihrer kulturellen Identität, als Symbol für das Vergangene und Nährboden für die Zukunft. Das kulturelle Wesen indigener Völker ist mit dem Land, das sie bewohnen, untrennbar verbunden und steht damit die besondere Beziehung der Indigenen zu ihrem Land im Zentrum der einschlägigen Forschung.5 Daraus folgt ein für Angehörige indigener Völker typisches Verständnis von Land und seiner Bedeutung für die Gesundheit der Natur und für den Erfolg der eigenen kulturellen (Weiter-)Entwicklung6, wobei sich bereits durch diesen Gedanken eine Spannungssituationen insofern ankündigt, als diese inhärent-indigenen Interessen mit wesentlichen staatlichen und marktwirtschaftlichen Interessen im Konflikt sind, da der staatlichen Akteure im Rahmen der Förderung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums oftmals an der Verwertung der natürlichen Ressourcen und an der Stärkung der damit verbundenen Infrastruktur interessiert sind.7 Konsultationsrecht und Recht auf PIC verleihen den Trägern indigener Rechte Instrumente, um ihr besonders schutzwürdiges Interesse hinsichtlich der sie wesentlich betreffenden Umstände, darunter auch Maßnahmen, die ihr Land und ihr Leben beeinflussen, gegenüber einflussreichen nicht-indigenen Gestaltern und Entscheidungsträgern zu verteidigen. Dies fließt aus dem anerkannten Recht der indigenen Völker auf Selbstbestimmung in Bezug auf ihre Lebensbedingungen und fußt damit auf dem langsamen Emanzipationsprozess von jenen Auswüchsen kolonialer Herrschaft, welche die indigenen Völker über Jahrhunderte zu rechtlosen Menschen zweiter Klasse degradiert und ihnen den kulturellen und religiösen Geist der europäischen Mächte aufgezwungen hatte.8 Mitunter werden das Recht auf Konsultation bzw das Recht auf PIC als eigenständiges Menschenrecht verstanden bzw als notwendige Voraussetzung dafür, dass andere Menschenrechte in Bezug auf indigene Völker tatsächlich geschützt werden können, womit die Rechte auf Konsultation bzw auf PIC als Recht auf Selbstschutz vor Verletzung der ihnen zustehenden allgemeinen Menschenrechte angesehen werden können.9 Als Hintergrund dazu muss erläutert werden, dass indigene Völker in den Willensbildungsorganen ihrer Heimatstaaten in der Regel stark unterrepräsentiert bzw gar nicht verteten sind und damit nur sehr geringen Einfluss auf sie betreffende Entscheidungen haben.10 Weiters werden sie verhältnismäßig häufig Opfer von Vorurteilen, Rassismus und Ausgrenzung. Zu ihrer benachteiligten sozialen Stellung tritt eine schwache wirtschaftliche Position hinzu, die sich darin manifestiert, dass im Verhältnis zu nicht-indigenen Staatsbürgern Angehörige indigener Völker in sämtlichen lateinamerikanischen Staaten öfter unterhalb der Armutsgrenze leben und ihnen damit auch jeglicher wirtschaftlicher Einfluss weitgehend fehlt.11 In diesem Lichte verleiht das Recht auf Konsultation bzw das Zustimmungsrecht noch deutlich vielschichtig benachteiligten Bevölkerungsgruppen eine scharfe Waffe im Prozess der politischen Willensbildung, verringert damit eine demokratisch bedenkliche Imbalance der politischen Entscheidungsmacht und führt damit auch zu einer Stärkung der demokratischen Strukturen12 und damit zu erhöhter Qualität der Demokratie13. Szablowski folgt in diesem Zusammenhang dem Modell der ausgehandelten Gerechtigkeit („negotiated justice“), nach dem die unilaterale Entscheidungsbefugnis („top-down“)14 der „klassischen“ Träger staatlicher Gewalt15 zugunsten eines Systems verdrängt wird, in dem als Resultat ein von relativ gleich starken Antagonisten im Verhandlungswege erzielter Kompromiss steht.16 Szablowski betont den Zusammenhang dieses Modells mit liberalen Ideen insofern, als dass Handeln im Rahmen von persönlicher Autonomie, freier Entscheidungswahl und persönlicher Verantwortung unter Bedachtnahme auf eigene Interessen und das eigene Gerechtigkeitsgefühl schließlich zu einem Zustand ausgehandelter Gerechtigkeit17 führt und damit, auf das Kollektiv bezogen, das Recht auf Selbstbestimmung wiederum gestärkt wird.18 Als Conclusio des oben Dargelegten führt die Gewährung des Konsultationsrechts bzw des Rechts auf „PIC“ langfristig auch zu einer Situation des sozialen, politischen und ökologischen Friedens: Werden Entscheidungen, die das Leben der indigenen Völker wesentlich beeinflussen, darunter vor allem solche, die das Land, auf dem sie leben, betreffen, derart getroffen, dass sie den Interessen der Indigenen diametral entgegen stehen, so kann dies neben verstärkter Skepsis gegenüber den staatlichen Organen19 auch zu gravierenden Auswirkungen auf die Gesundheit, sowie zu tiefgreifenden kulturellen Zerrüttungen, bis hin zu Gewalt führen.20 Ferner kann die unzureichende Einbindung indigener Völker in Maßnahmen, die in die Natur eingreifen, Verluste an biologischer Diversität bewirken und somit auch zu einer Umweltschädigung führen, die durch angemessene Einbindung indigener Völker in die jeweiligen Entscheidungsprozesse verhindert werden könnten21, da indigene Völker in gewisser Weise Experten im Umgang mit ihrem Land und ihren Ressourcen sind.22 In Anlehnung an all das soeben Dargelegte sei nun darauf hingewiesen, dass die verstärkte Einbindung indigener Völker im Rahmen des policy making weitreichende gesamtgesellschaftliche und damit gesamtstaatliche Vorteile nach sich zieht23, indem nämlich das demokratische Gefüge gestärkt, der gesellschaftliche Zusammenhalt gefestigt, Misstrauen und Skepsis abgebaut und in Hinblick auf nachhaltigen Umgang mit der Natur wichtige Kenntnisse verwerten werden können.

III. Durch Konsultationsrecht bzw. Zustimmungsrecht aufgeworfene Interessenskonflikte und dogmatische Lösungsansätze

Während die noch darzustellenden (völker-)rechtlichen Instrumente den Indigenen mehr oder weniger stark ausgeprägte Mitwirkungsrechte verleihen, erleben staatliche Akteure spiegelbildlich hierzu eine Beschneidung ihrer Entscheidungsbefugnis oder Willensbildung. Eine evidente Konfliktsituation offenbart sich besonders im Zusammenhang mit Maßnahmen, die auf die von indigenen Völkern bewohnten Territorien einwirken: Während dem Staat ein Interesse an der Erforschung, Ausbeutung und Verwertung der Landfläche seines Hoheitsgebietes zugeschrieben werden kann, fürchten indigene Völker durch derartige Maßnahmen gravierende Einschnitte in ihren alltäglichen Lebensrhythmus, ihre kulturelle Identität und die Gesundheit der Natur. Der Staat beansprucht das exklusive und dauerhafte Recht, als Ausdruck seiner uneingeschränkten Hoheitsgewalt über sein Territorium zu verfügen – dieses wurde sogar im Rahmen einer Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen explizit völkerrechtlich positiviert24 - , wobei ihm dabei externe Einwirkungen auf seine Entscheidungsfindung und -implementierung als Hindernis erscheinen, seien diese auch nicht als Zustimmungsrecht, sondern lediglich als Beizugs-, Einbindungs- oder Konsultationsgebot ausgebildet.25 Am Beispiel von Kanadas Gegenstimme zur Verabschiedung zur Erklärung der Rechte indigener Völker26 sei festgestellt, dass insbesondere die Möglichkeit, dass indigenen Völkern oder deren Vertretern ein Veto-Recht (und damit eine punktuell der staatlichen ebenbürtige Macht) über Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstige Rechtsakte, die die Bevölkerung als Ganzes betreffen können, eingeräumt werden könnte, Staaten zu eine ablehnenden Haltung gegenüber eben solchen Rechten veranlassen kann. Kanada befürchtet dabei u.a. eine Aushöhlung seiner Verfassungsordnung, die bereits einen angemessen Interessenausgleich, auch in Hinblick auf die Rechte indigener Völker bzw Minderheiten im Allgemeinen, vorsehe, sowie die Frustration seiner Rechte an indigenen Ländern.27 Am Beispiel eines Staates, der sich im Zuge seiner völkerrechtlichen Profilierung als aufgeschlossen in Bezug auf Menschenrechte allgemein etabliert hat, werden Konflikte zwischen Möglichkeiten, die indigenen Völker speziell in Hinblick auf ihre ureigensten Interessen stärker in die Gestaltung einzubinden, und dem staatlichen Anliegen, die Wirtschaft zu stärken und das (oftmals mühsam aus kolonialistischen Strukturen heraus aufgebaute) durch die Verfassung vorgegebene Grundkonzept der staatlichen Willensbildung zu bewahren, offensichtlich. Als mögliche Entschärfung dieser grundsätzlich dekonstruktiven Ausgangslage ist das Modell der „Indigenous Sovereignty“ vorgeschlagen worden, welches die Ausstattung indigener Völker mit anderen Teilen der Staatsgemeinschaft verwehrten Rechten rechtsdogmatisch fundieren soll: Explizit lehnt Kanada Artikel 26 der United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples28 mit der Begründung ab, er greife zu tief in die Rechte anderer Interessengruppen ein. Diverse andere Artikel der Deklaration scheinen Kanada schlicht zu vage in ihrer bisherigen Ausformulierung.29 Lenzerini30 erläutert in einem Abriss der Entwicklung des Souveränitätsbegriffes, wonach sich das Verständnis von unumschränkter, von äußeren Einflüssen völlig unabhängiger Befehlsgewalt über ein Territorium, die entweder vollständig vorlag – in der Praxis war dies am ehesten bei der neu erscheinenden Entität „Staat“31 der Fall - oder gar nicht32, zugunsten eines Modells wandelte, das Souveränität als Bündel33 von einzelnen Rechten und Pflichten ansah, die auch delegiert werden konnten, ohne die Souveränität selbst zu verlieren. Dies führte nach den Weltkriegen zu einer Durchdringung des Souveränitätsbegriffes mit Interessen der internationalen Gemeinschaft, besonders des Verbots der Gewaltanwendung, womit nicht die Reichweite der Souveränität durch externe Barrieren beschnitten, sondern dem Souveränitätsbegriff selbst Beschränkungen im Interesse internationaler Prinzipien eingebaut worden sind34. Die souveräne Gewalt unterliegt nach neuem Verständnis daher (nur) dem Völkerrecht. Daraus entstand die Idee, die Definition der Souveränität könne nicht nur durch Prinzipien des internationalen Rechts in sich beschränkt werden, sondern auch durch das Gebot der Demokratie, also dem Übereinstimmen staatlicher Hoheitsakte mit dem Mehrheitswillen des ihm untergeordneten Volkes. Ähnliche Gedanken finden sich schon in den wichtigsten Schriftstücken früher Demokratien35, entfalteten aber erst im Zuge der oben beschriebenen Veränderung des Souveränitätsbegriffs maßgebenden Einfluss. Auch die Erhebung des Gebots der Demokratie als Voraussetzung für legitime Ausübung der Souveränität eines Staates zum internationalen Prinzip scheint nicht ausgeschlossen, obwohl heute noch viele nicht-demokratische Staatswesen von der Staatengemeinschaft anerkannt sind36. Dennoch wird die Demokratie immer häufiger als internationales Anliegen in Völkerrechtsakten sichtbar37. Daraus entspringt auch die langsam Verbreitung findende Idee, die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker als besonders ausgeprägtes demokratisches Beteiligungsrecht, als Teil des internationalen Wertegefüges und damit inhärente Beschränkung des souveränen Staatshandelns anzusehen38. Der Anknüpfungspunkt für die zu erörternde „indigene Souveränität“ liegt in der Tatsache, dass zu Beginn der Kolonialisierung von Indigenen bewohnte Gebiete als „terra nullius“, also als Territorium ohne etablierte souveräne Gewalt39, galten, obwohl indigene Einheiten nach heutigem Verständnis als Staat und damit durchaus Inhaber der Souveränität anzusehen wären40. Indigene Souveränität wird nach modernem Verständnis als „Selbstregierung“ oder „innere Selbstbestimmung“ angesehen und unterliegt zweifelsohne weiterhin der Souveränität der Kolonialmacht, der allerdings nur das Recht der Herrschaft41, nicht aber das bereits vor Ankunft der europäischen Siedler bestehende Eigentumsrecht42 der indigenen Völker zukommt. Dieses basiert auf indigenen Rechtstiteln, die grundsätzlich durch explizite Anordnung durch die Kolonialherren aufhebbar sind43. Fraglich ist, ob oben erörterte internationale Prinzipien die staatliche Souveränität insofern begrenzen, als dass die indigenen Rechtstitel nur unter gewissen Voraussetzungen völkerrechtskonform entzogen werden können. Hierzu stellt Lenzerini drei mögliche Grundlagen für eine eventuelle völkerrechtliche Bindung der Staaten an die Beachtung der indigenen Souveränität vor: Zunächst untersucht er, ob die Anerkennung des Weiterbestehens der alten indigenen Rechtstitel seitens der Staaten eine völkerrechtliche Verpflichtung herbeiführen kann. In einigen Staaten, in denen indigene Völker heimisch sind, wurden (meist durch höchstrichterliche Erkenntnis) gewisse aus dem ursprünglichen Rechtstitel entspringende Rechte anerkannt: Der U.S. Supreme Court anerkennt eine „inhärente Souveränität“44 der indigenen Stämme, der jene restlichen Rechte zukommen, die nicht durch Vertragsregelung oder Gesetz entzogen oder geregelt wurden45, die aber auch zweifellos der Hoheitsgewalt der Regierung der Vereinigten Staaten untergeordnet ist46. Zudem anerkannten US-Bundesgerichte gewisse Rechte, die die interne Stammesregelungen betreffen. Kanadas oberster Gerichtshof sah im „native title“ die Grundlage für umfassende Landnutzungsrechte, inbesondere in Hinblick auf Nutzung und Ressourcenabbau47 und verpflichtete die Krone gar zu Verhandlungen in gutem Glauben hinsichtlich Angelegenheiten, die indigene Völker betreffen.48 Australiens Gerichte akzeptierten die Ansicht des indigenen Titels als altes Eigentumsrecht nach Common Law, betonten aber die Vorrechte der Krone gegenüber betroffenen Ländern49. Südafrikas Rechtsprechung hingegen erblickte im bewussten Ignorieren des indigenen Eigentumsrechts, das als Gesamteigentum auch die Ressourcennutzung umfasse, durch die Kolonialmacht einen rassistisch motivierten Akt und bestätigte in diesem Zusammenhang Restitutionszahlungen an indigene Landbesitzer50. Aus diesen einzelnen Praktiken folgt nach Lenzerini allerdings noch keine generelle völkerrechtliche Anerkennung indigener Titel, da Souveränität grundsätzlich unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Erwerbsaktes entstehe, die Staaten daher lediglich eine moralische Verpflichtung zur Gewährung teilweiser Autonomie haben und letztendlich Staaten, die weitgehender Autonomie einzelner Bevölkerungsgruppen immer skeptisch gegenüber gestanden sind, Völkerrecht gestalten. Allerdings schließt Lenzerini gegenteilige Entwicklungen in nächster Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit der mittlerweile verabschiedeten U.N. Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, nicht aus51. Als weitere Möglichkeit der Begründung völkerrechtlich relevanter indigener Souveränität führt Lenzerini die Delegation staatlicher Einzelbefugnisse an indigene Entitäten an, wobei sich die diesbezügliche Praxis der Staaten lediglich auf die Gewährung einzelner Mitbestimmungsbefugnisse beschränkt, wobei dies keinesfalls ansatzweise die Intensität souveräner Rechte erreiche. International relevante Souveränität müsse ohnehin durch völkerrechtlichen Vertrag zwischen Staaten und indigenen Völkern erfolgen, wobei dies weder in beachtlichem Ausmaß geschehe, noch würde diese Praxis wesentlich durch die ILO Konvention 16952 verändert, die auch sicher keinen Zustand der Teilsouveränität indigener Einheiten herbeiführen wolle.53 Drittens könnte völkergewohnheitsrechtlich eine Verpflichtung zur Respektierung indigener Rechte bis hin zu einer Form indigener Souveränität entstanden sein. Die dafür erforderliche Staatenpraxis54 sieht Lenzerini in der gewandelten Herangehensweise der internationalen Staatengemeinschaft an indigene Angelegenheiten, ausgebildet im Rahmen diverser Völkerrechtsakte, sowie individuellen Politiken von Staaten oder internationalen Organisationen, darunter die genannte ILO Convention 169, die Working Group on Indigenous Populations55 oder Initiativen der Weltbank56, als gegeben an. Weiters erkennt Lenzerini 57, dass sich ein internationales Prinzip herausgebildet hat, nach dem Staaten indigenen Völkern ein gewisses Maß an Souveränität zugestehen müssen, da viele Staaten in Einklang mit diesem Prinzip nationale Normen, die oftmals ihren eigenen Interessen zuwiderlaufen, erlassen haben. Allerdings scheint diese Feststellung selbst im Lichte der von ihm dargelegten Beispiele – (a) eine Entscheidung des Human Rights Committee58, nach der Staaten gemäß Art 27 nicht nur eine Duldungspflicht hinsichtlich indigener Rechte in Bezug auf Landnutzung, sondern auch eine Verpflichtung zu positivem Handeln gewissen Ausmaßes, (b) die UNESCO Convention for the Safeguarding of Intangible Cultural Heritage, die kulturelle Rechte positiviert, sowie (c) eine Entscheidung des Inter-American Court of Human Rights59, die selbst von einem völkergewohnheitsrechtlichen Recht der Indigenen am Land spricht – nicht überzeugend, da meines Erachtens von einem zwischen den betroffenen Staaten vorliegenden Verpflichtungsbewusstsein noch nicht ausgegangen werden kann. Zusammenfassend sollte die dem internationalen Recht entspringende Gewährung von (Teil-)Souveränität an indigene Einheiten zum aktuellen Stand verneint werden.

[...]


1 Basierend zT auf Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (fortan: „ GIZ“): Das Recht auf vorherige Konsultation: Rechtsnormen, Praxis und Konflikte in Stärkung indigener Organisationen in Lateinamerika (2012).

2 Präambel, Erklärung der Rechte indigener Völker (2007).

3 In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „indigene Völker“ als sich selbst erklärender Terminus verwendet; allerdings sind der Begriff und sein Fassungsvermögen nicht unumstritten und wird der Begriff in der Fachliteratur oft kontrovers von verschiedenen Facetten beleuchtet; siehe eingehend ua Corntassel, Jeff: Who is indigenous? 'Peoplehood' and Ethnonationalist Approaches to Rearticulating Indigenous Identity, (2003). Im Folgenden soll und kann die begriffliche Problematik, deren Schlachtfeld sich auf rechtlich-akademischer, wie auf politischer Ebene eingestellt hat, nicht untersucht werden.

4 William Means in Voices of Indigenous Peoples: Native People Address the United Nations

5 Siehe auch Daes, Erica-Irene A.: Indigenous People and their Relationship to Land, Final Working Paper Prepared by the Special Rapporteur (2001)

6 Mander/Tauli-Corpus: Paradigm Wars: Indigenous Peoples' Resistance to Globalization (2006).

7 Barelli, Mauro: Free, Prior and Informed Consent in the Aftermath of the U.N. Declaration on the Rights of Indigenous Peoples: Developments and Challenges Ahead (2012) in The International Journal of Human Rights, Vol. 16, Nr. 1, S1.

8 GIZ: D as Recht auf vorherige Konsultation: Rechtsnormen, Praxis und Konflikte in Stärkung indigener Organisationen in Lateinamerika (2012), S 10f.

9 McGee, Brant: The Community Referendum: Participatory Democracy and the Right to Free, Prior and Informed Consent to Development in Berkeley Journal of International Law (2009), S 570f.

10 GIZ: Das Recht auf vorherige Konsultation: Rechtsnormen, Praxis und Konflikte in Stärkung indigener Organisationen in Lateinamerika (2012), S 9.

11 Siehe im Detail: Patrinos, Harry Anthony (World Bank): Indigenous People, Poverty and Development (2011)

12 Hierzu ausführlich: Bohman, James: The Democratic Minimum: Is Democracy a Means to Global Justice? (2005) in: Ethics & International Affairs, 19, 1, 101-116.

13 Sen, Amartya , How Does Culture Matter? (2004) in Rao, Vijayendra/Walton, Michael (eds)

14 Hierzu eingehend: Trubek, David und Trubek, Louise: New Governance and Legal Regulation: Complementarity, Rivalry, and Transformation (2006)

15 Hierunter versteht Szablowski (s. FN 12) primär Entscheidungen von Verwaltungsstellen und Gerichtsurteile. S 122f.

16 Szablowski, David: Operationalizing Free, Prior and Informed Consent in the Extractive Industry Sector? Examining the Challenges of a Negotiated Model of Justice in Canadian Journal of Development Studies (2011).

17 In diesem Zusammenhang eingehend: Dezalay, Yves: The Forum Should Fit the Fuss: The Economics and Politics of Negotiated Justice in M. Cain and C.B. Harrington: Lawyers in A Postmodern World: Translation and Transgression, Open University Press (1994).

18 Szablowski: Operationalizing Free, Prior and Informed Consent in the Extractive Industry Sector? Examining the Challenges of a Negotiated Model of Justice, S 123.

19 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich sezessionistische Tendenzen seitens indigener Völker bisher in Grenzen gehalten haben. Als kurze Behandlung im US-amerikanischen Kontext siehe ua: Champagne, Duane: Indigenous Nations Prefer Citizenship to Secession, Though Some Have Tried (2012), available: http://indiancountrytodaymedianetwork.com/2012/07/10/indigenous-nations-prefer-citizenship-secession-though-some-have-tried-122089 (last accessed: February 8, 2014).

20 Judgment Inter-American Court for Human Rights in Saramaka People v. Suriname (ergangen am 28. November 2007), Abs 135.

21 Perrault, Anne et al.: Partnerships for Success in Proteced Areas: The Public Interest and Local Community Rights to Prior Informed Consent (2007).

22 Schilling-Vacaflor, Almut: Democratizing Resource Governance through Prior Consultations?: Lessons from Bolivia’s Hydrocarbon Sector ( 2012).

23 Bartow Magraw, Daniel and Baker, Lauren: Globalization, Communities and Human Rights: Community-based Property Rights and Prior Informed Consent in Denver Journal of International Law and Policy (2008).

24 General Assembly Resolution 1803 (XVII) vom 14. Dezember 1962: „Permanent Sovereignty over Natural Ressources“.

25 Szablowski, David: Operationalizing Free, Prior and Informed Consent in the Extractive Industry Sector? Examining the Challenges of a Negotiated Model of Justice in Canadian Journal of Development Studies (2011), S 114f.

26 Resolution 61/295: United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (2007) .

27 Government of Canada, Aboriginal Affairs and Northern Development Canada: Canada's Position: United Nations Draft Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (2010). (Siehe http://www.aadnc-aandc.gc.ca/eng/1100100014078/1100100014079, zuletzt aufgerufen am 8. 2. 2014).

28 Auf diesen wird unten noch genauer eingegangen, siehe S 20.

29 Ebd.

30 Lenzerini, Federico: Sovereingty Revisited: International Law and Parallel Sovereignty of Indigenous Peoples (2005) in Texas International Law Journal.

31 Die territoriale Integrität eines Staates und damit der Bestand seiner Souveränität wird völkerrechtlich explizit durch Art 2 Abs 4 der Charta der Vereinten Nationen geschützt.

32 Sog „chunk theory“, ibid.

33 Sog „basket theory“, ibid.

34 Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte wurden immer mehr Anliegen der internationalen Gemeinschaft zu „Grundpflichten“ der Staaten erklärt, von Angelegenheiten der Flüchtlingspolitik bis hin zum Umweltschutz, siehe auch Annan, Kofi: Two Concepts of Sovereignty (1999) in The Economist.

35 Darunter die U.S. Declaration of Independence vom 4. Juli 1776, wonach demokratische Grundsätze der Staatsführung dem Willen Gottes entspringen (Abs 1).

36 Lenzerini, Federico: Sovereignty Revisited: International Law and Parallel Sovereignty of Indigenous Peoples (2005) in Texas International Law Journal, S 161f.

37 Darunter ua die Warsaw Declaration vom 27. Juni 2000, die Charta der Organisation of American States, sowie diverse Abkommen der EU.

38 Art 1 Abs 2 und Art 55 der Charta der Vereinten Nationen.

39 Anders aber bereits Marshall, C.J. in Johnson v. M'Intosh (21 U.S. 543), sowie ICJ Advisory Opinion on the Western Sahara 1975

40 Lenzerini legt überzeugend dar, dass die heute für die Erfüllung des Staatsbegriffes notwendigen vier Voraussetzungen von vielen indigenen Entitäten durchaus erfüllt worden wäre, diese Tatsache aber im Zuge der Kolonisation, nicht zuletzt durch Unterstützung und ideologischer Untermauerung seitens der katholischen Kirche (siehe Bulle Inter Caetera von Papst Alexander VI, die die Souveränität der spanischen Krone über genau bezeichnete Territorien expressis verbis anerkannte), weitgehend ignoriert wurde. Siehe Lenzerini, Federico: Sovereingty Revisited: International Law and Parallel Sovereignty of Indigenous Peoples (2005) in Texas International Law Journal, S 164f.

41 Sog „imperium“

42 Sog „dominium“

43 Marr, Cathy et al.: Crown Laws, Policies, and Practices in Relation of Flora and Fauna, 1840 – 1912 (2001).

44 U.S. v. Lara, 541 U.S. 193, 210 (2004).

45 United States v. Wheeler, 435 U.S. 313, 322-23 (1978).

46 Washington v. Confederated Bands and Tribes of Yakima Nation, 439 U.S. 463, 470 (1979).

47 Delgamuukw v. British Columbia, [1997] S.C.R. 1010.

48 Ebd.

49 Siehe va Mabo v. Queensland [No.2] (1992) 175 C.L.R. 1.

50 Alexkor Ltd. & Another v. Richtersveld Cmty. & Others, 2003 (5) SA 460 (CC) (S. Afr.).

51 Lenzerini, Federico: Sovereignty Revisited: International Law and Parallel Sovereignty of Indigenous Peoples (2005) in Texas International Law Journal, S 169ff.

52 Indigenous and Tribal Peoples Convention 1989.

53 Lenzerini, Federico: Sovereignty Revisited: International Law and Parallel Sovereignty of Indigenous Peoples (2005) in Texas International Law Journal, S 178f.

54 Nähere Erläuterung des allgemeinen Völkerrechts, wann Staatenpraxis zu bejahen ist, können hier nicht dargebracht werden.

55 Die 1982 gegründete WGIP war das erste Organ der Vereinten Nationen, das sich ausschließlich mit den Rechten indigener Völker befasste und hatte sie die Aufgabe, die Rechtsstellung der indigenen Völker und diesbezügliche Änderungen zu untersuchen, sowie selbst an ihrer Entstehung mitzuwirken.

56 Siehe ua World Bank: Draft Operational Policy 4.10 (2004).

57 Lenzerini, Federico: Sovereignty Revisited: International Law and Parallel Sovereignty of Indigenous Peoples (2005) in Texas International Law Journal, S 183ff.

58 Lubicon Lake Band v. Canada, Communication No. 167/1984 (26 March 1990), U.N. Doc. Supp. No. 40 (A/45/40) at 1 (1990).

59 Mayagna (Sumo) Awas Tingni Cmty ., Inter-Am. Ct. H.R. (ser. C) No. 79 at 71.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Konsultationsrecht und Recht auf Prior Informed Consent?
Hochschule
Universität Wien
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
26
Katalognummer
V462559
ISBN (eBook)
9783668925885
ISBN (Buch)
9783668925892
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rechte indigener Völker, Menschenrechte, kollektive Rechte
Arbeit zitieren
Roman Friedrich (Autor:in), 2014, Konsultationsrecht und Recht auf Prior Informed Consent?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462559

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