Schweden und der schwedische Wohlfahrtsstaat gerieten 1991 nach Jahrzehnten der Stärke in eine der schwersten Krisen in der Geschichte des Königreichs. Einige der Gründe waren eine weltweite Rezession, eine Bankenkrise, eine unterfinanzierte Steuerreform und eine steigende Arbeitslosigkeit. Drei Jahre lang arbeitete die schwedische Regierung gegen ein beispielloses Haushaltsdefizit, 1994 fehlten in den öffentlichen Kassen 11%.
Kurz: „Die Grundpfeiler der schwedischen Solidargemeinschaft - darunter die Vollbeschäftigung - wurden erschüttert.“
Die politisch Verantwortlichen wandten sich daher Mitte der 90er Jahre zur Anpassung des schwedischen Sozialstaates den neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu. 1998 nach einer 10jährigen, intensiven Diskussion wurde ein neues Rentensystem eingeführt. Sowohl Regierungs- und Oppositionsfraktion als auch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften trugen diese Reform.
Konsequent wurde der Sozialstaat nach altem Modell in kurzer Zeit zu einem modernen, angepassten Wohlfahrtsstaat umgebaut.
Deutschland ist vielleicht nicht in einer solch tiefen Krise wie die Schweden es Anfang der `90er Jahre waren. Doch ist im Hinblick auf die Problematik der Renten in Deutschland ein Vergleich mit den Skandinaviern sinnvoll. Kann unser Sozialstaat effizient umgebaut werden, bevor es zu einer größeren Krise und damit größeren Einschneidungen kommen muss?
Einzelne Teile des schwedischen Vorbildes zumindest können Motivation für das deutsche Altersvorsorgesystem sein. Die gesamten Strukturen zu übertragen wird kaum möglich sein. Selbst falls die Politiker dies wollten, blieben die Grundvoraussetzungen zu verschieden. Einer der Hauptgründe ist die Einstellung der deutschen Gesellschaft zu Reformen, die meist mit Kürzungen der Sozialleistungen einhergehen. Die Schweden haben ein ganz anderes Grundvertrauen in die Aktivitäten des Staates.
Teilaspekte aus dem Vergleich geben Hinweise auf mögliche - nicht zwangsläufig richtige -Reformansätze: So zeigt der Ländervergleich z.B., dass die nachgelagerte Besteuerung eine sinnvolle Neuerung ist, die mit dem Alterseinkünftegesetz in Deutschland auch schon umgesetzt wurde.
Kürzungen im Sozialsystem werden nicht zu umgehen sein, weil die Finanzierung ansonsten nicht zu tragen ist.
Ein weiteres Beispiel sind individuelle Rentenkonten aus dem NDC-System, bei dem die Sparer ihre Beiträge auf eigene Konten für die Rente einbezahlen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Anlagenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Motivation
1.2 Aufgabenstellung und -abgrenzung
1.3 Ziel der Arbeit
1.4 Vorgehen
2 Grundlagen
2.1 Hintergrund des deutschen Sozialstaates
2.1.1 Die drei Säulen des Alterssicherungssystems
2.1.1.1 Staatliche Altersvorsorge
2.1.1.2 Betriebliche Altersvorsorge
2.1.1.2.1 Direktzusage
2.1.1.2.2 Unterstützungskasse
2.1.1.2.3 Direktversicherung
2.1.1.2.4 Pensionskasse
2.1.1.2.5 Pensionsfonds
2.1.1.3 Private Altersvorsorge
2.2 Hintergrund des schwedischen Sozialstaates
2.2.1 Das "Schwedische Modell"
2.2.1.1 Der "stillschweigende Vertrag"
2.2.1.2 Krise und Überwindung I
3 Analyse: Deutschland
3.1 Der Sozialstaat Deutschland
3.1.1 Das Alterseinkünftegesetz
3.1.1.1 Besteuerung Schritt für Schritt
3.1.2 Die gesetzliche Rentenversicherung als erste Säule
3.1.2.1 Das Umlageverfahren
3.1.2.2 Lohnabhängigkeit
3.1.2.3 Arbeitsmarkt
3.1.2.4 Versicherungsfremde Leistungen
3.1.3 Die betriebliche Altersvorsorge als zweite Säule
3.1.4 Die private Rentenversicherung als dritte Säule
3.1.4.1 Lebens- und Rentenversicherungen
3.1.4.1.1 Kommentar
3.1.4.2 Die "Rürup-Rente"
3.1.4.2.1 Kommentar
3.1.4.3 Die "Riester-Rente"
4 Alternative Lösung aus Schweden?
4.1 Der Sozialstaat Schweden
4.1.1 Krise und Überwindung II
4.1.2 Ein neuer Gesellschaftsvertrag
4.2 Altersvorsorge
4.2.1 Alterssicherungssystem und Bedeutung der Vorsorgesysteme
4.2.1.1 Die staatliche Altersvorsorge als erste Säule
4.2.1.1.1 Die Garantierente
4.2.1.1.2 Die einkommensabhängige Zusatzrente
4.2.1.1.3 Die kapitalgedeckte Prämienrente
4.2.1.1.4 Finanzierung
4.2.1.2 Die betriebliche Altersvorsorge als zweite Säule
4.2.1.2.1 Pensionsrückstellungen
4.2.1.2.2 Pensionsfonds und Direktversicherung
4.2.1.3 Die private Altersvorsorge als dritte Säule
4.2.1.3.1 Kapitaleinkünfte
4.2.1.3.2 Private Rentenversicherung und Pensionssparkonten
5 Empfehlungen für Deutschland
5.1 Übertragbarkeit des Modells
5.2 Übertragbarkeit ausgewählter Elemente
5.2.1 Steuer
5.2.2 Sozialleistungen und Finanzierung
5.2.3 Das NDC-System
5.2.4 Renteneintrittsalter
6 Zusammenfassung und Ausblick
Quellenverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Die drei Säulen der Altersvorsorge
Abbildung 2 Das Drei-Schichten-Modell
Abbildung 3 Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung im Vergleich zu Rentnern
Abbildung 4 Sozialausgaben des Staates in % des Bruttosozialprodukts
Abbildung 5 Einschätzungen von Produkten der Altersvorsorge für 2005/2006
Anlagenverzeichnis
Anhang 1 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland bis 2050
Anhang 2 Voraussetzungen der staatlichen Förderung
Anhang 3 Steuerliche Pausch-, Frei- und Höchstbeträge
1 Einleitung
1.1 Motivation
Rentenreformen sind ein brisantes Thema. In fast allen Staaten dieser Welt ist es fraglich, ob die sozialen Sicherungssysteme in Zukunft finanzierbar sein werden.
Ein Blick über die Grenzen ist aus dem Grund sinnvoll, weil nahezu alle nationalen Systeme der sozialen Sicherheit mit vergleichbaren Herausforderungen und Problemen konfrontiert werden. Es gibt ökonomische, demografische und soziale Rahmenbedingungen, die für die gesamte globalisierte Wirtschaft gelten.
Auch in Deutschland steht die Rentenversicherung derzeit auf dem Prüfstand. In den vergangenen Jahren wurde sie bereits mehrfach reformiert. Durch den Ländervergleich können für die Analyse der deutschen Reformdiskussion Schlüsse gezogen werden.[1]
Gerade im Hinblick auf die vermutlich im Herbst 2005 stattfindenden Bundestagswahlen ist die Auseinadersetzung mit einem der wichtigsten Wahlkampfthemen nicht nur spannend, sondern auch notwendig.
Einst war Deutschland Weltmarktführer in der Sozialpolitik. Zum Ende des 19. Jahrhunderts studierten Menschen aus der ganzen Welt die deutschen Sozialversicherungen und den befriedeten Arbeitsmarkt. Seitdem hat sich die Welt verändert. Der deutsche Sozialstaat ist heute lediglich Mittelmaß.[2]
Die Rahmenbedingungen haben sich seit den 70er Jahren nicht nur in Deutschland verändert. Die Globalisierung der Wirtschaft oder die Alterung der europäischen Gesellschaften betreffen den gesamten „europäischen Sozialstaat“, der auf der Suche ist nach erfolgreichen Reformen der starren Wohlfahrtssysteme. Die brennende Frage lautet: Waren in den vergangenen 20 Jahren andere Staaten in Europa ähnlich reformträge?[3]
Gerade für junge Menschen wird das Thema Altersvorsorge immer mehr zu einem zentralen Teil der Lebensplanung. Es besteht mittlerweile der Zwang, für die Zukunft vorzusorgen, will man nicht im Alter auf die Altersfürsorge oder gar Sozialhilfe angewiesen sein. Aus dieser Perspektive heraus entwickelt sich die gesamte Arbeit: Es ist essentiell wichtig, sich mit der Zukunft des Sozialstaates Deutschland auseinanderzusetzen.
Schweden soll hier als Vergleich in die Diskussion einbezogen werden. Was haben die Schweden bei den Renten anders oder „besser“? Oder kämpfen sie auch heute noch mit den gleichen Problemen wie die Deutschen?
Schweden galt jahrelang als Inbegriff des modernen Wohlfahrtsstaates wegen hohen Sozialleistungen für sämtliche Bürger, hohen Steuern und Sozialabgaben.[4]
Dann stand auch dieses Musterbeispiel vor einem Jahrzehnt kurz vor dem Zusammenbruch und heute gilt es erneut als Beispiel nicht nur für einen Sozialstaat, sondern als Vorbild für die Verteidigung und Aufrechterhaltung eines Ideals!
Schweden hatte als eines der ersten europäischen Länder mit den niedrigen Geburtenraten und damit einem höheren Anteil älterer Menschen zu kämpfen. Heute liegt der Anteil der Altersrentner bei 20%.[5]
Im Jahr 1999 wurde nach einer mehr als 10 jährigen Diskussion ein neues Rentensystem entwickelt, das an die volkswirtschaftliche und demografische Entwicklung angepasst wurde. Alle in der Rentenkommission vertretenen Parteien waren sich über folgende Grundsätze einig: Alterssicherung ist vorrangig Aufgabe des Staates und daher wird ein öffentlich-rechtliches Rentensystem befürwortet. Dieses soll an die Lebensleistungen der Versicherten anknüpfen und Schutz bei niedrigen Erwerbseinkommen in Form von Grund- und Lebensstandardsicherung bieten. Der Zweig der Sozialversicherung soll daher aus Beiträgen finanziert werden, versicherungsfremde Kosten sind aus Steuern zu beziehen. Auch individuelles Sparen ist Bestandteil des Systems.[6]
So ist Schweden wieder zum sozialdemokratischen Modell geworden. „Bei allen Indikatoren sozialer Gerechtigkeit liegt es vor konservativen Sozialversicherungsstaaten in Europa oder der schlanken Wohlfahrtsstaaten der angelsächsischen Welt.“[7]
Warum sollte nicht Deutschland von diesen Entwicklungen profitieren?
1.2 Aufgabenstellung und –abgrenzung
Die Alterssicherung stützt sich in allen Ländern der EU auf das Prinzip der drei Säulen: Gesetzliche, betriebliche und private Alterssicherung. Lediglich die Ausgestaltung und Bedeutung der unterschiedlichen Vorsorgewege unterscheiden sich europaweit.[8]
In der vorliegenden Arbeit soll die Wirksamkeit bereits ergriffener Reformmaßnahmen und ihre Übertragbarkeit untersucht werden. Es geht um das Lernen aus den Erfolgen, Erfahrungen und Fehlern anderer.
In Abschnitt 1.1 wird klar, dass Deutschland sich verändern wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind Kürzungen im sozialen Sicherheitsnetz nicht zu umgehen. Um nun die anstehenden Veränderungen so sozialverträglich wie möglich ablaufen zu lassen und das Wohlfahrtssystem an sich nicht zu gefährden, ist der Blick über die Ländergrenzen als Quelle zu sehen.
Über das Hilfsmittel des Vergleichs wird am besten deutlich, wo Stärken und Schwächen, Erfolge und Fehlleistungen liegen.
Dabei ist wichtig zu überprüfen, inwieweit andere Ideen auf das eigene System tatsächlich zu übertragen sind. Nicht alle Lösungen eignen sich für ein bestimmtes System. In den Medien wird dieser Aspekt leider oftmals vergessen, was den Anschein erweckt, andere Systeme seien „perfekt“. Einen solchen Anspruch kann kein Modell für sich erheben – auch das vielfach in der Presse gelobte Schwedische Modell nicht.[9] So soll auch diese Arbeit nicht verstanden werden.
Das schwedische System dient hier als Vergleich, weil es erst vor kurzem grundlegend reformiert wurde und die neuen Regelungen für Deutschland von Interesse sind.
Grundsätzlich wurden in der Arbeit ausgewählte Bereiche diskutiert, da eine vollumfängliche Problemdiskussion den Rahmen sprengen würde.
Das schwedische Modell beinhaltet nicht nur das Rentensystem, sondern auch weitere charakteristische Merkmale wie z.B. den Aufbau des schwedischen Arbeitsmarktes. In dieser Arbeit stehen allerdings allein das Rentensystem und seine Funktionsalternativen für Deutschland im Mittelpunkt der Betrachtung.
1.3 Ziel der Arbeit
Oft wurde Schweden als Vor- oder Leitbild für die europäischen Sozialstaaten genannt. In dieser Arbeit soll untersucht werden, inwieweit sich speziell Schweden als Motivation eignet oder warum Gründe dagegen sprechen.
Die Arbeit erhebt nicht den Anspruch, Details der schwedischen Reformen noch der deutschen Maßnahmen zu beurteilen. Vielmehr ist das Endziel ein weitgreifender Überblick über die Zustände in Deutschland und Schweden.
Der Fokus liegt auf der Suche nach geeigneten Alternativen bzw. Verbesserungs-möglichkeiten für das bestehende deutsche System. Bereits im Titel der Arbeit wird dies deutlich: Was kann Deutschland von den Skandinaviern lernen, bzw. welcher Nutzen kann daraus gezogen werden, dass ein Land so tiefe Krisen gemeistert und einen modernen Wohlfahrtsstaat geschaffen hat.
Es soll gezeigt werden, dass Deutschland zwar mit Problemen zu kämpfen hat, es aber andere Länder gibt, die Probleme in größerem Ausmaß gemeistert haben und auch der Sozialstaat Deutschland nicht am Ende ist. Auf der einen Seite werden hierzulande Reformen angepackt, die es zu beurteilen gilt, auf der anderen fehlt es an Neuerungen. Diese beiden Seiten werden dargestellt, um am Ende die Gesamtsituation bezogen auf den Vergleich mit Schweden zu beurteilen.
1.4 Vorgehen
In Kapitel 2 werden die Grundlagen für den folgenden Hauptteil gelegt. Zunächst wird in der ersten Hälfte dieses Abschnitts das deutsche System in seinen Grundzügen dargestellt. Dabei wird auf eine historische Herleitung weitestgehend verzichtet.
Für ein besseres Verständnis des Vergleichslands werden die nötigen Voraussetzungen in der zweiten Hälfte des Kapitels zwei geschaffen.
Die gesamte Arbeit folgt der logischen Übersicht nach dem „Drei-Säulen-Ansatz“, so auch im folgenden Abschnitt der Analyse. Kapitel drei beschreibt – teilweise bewusst provokativ - ausgewählte Aspekte des deutschen Sozialstaates nach dem Aufbau staatlicher, betrieblicher und privater Vorsorge.
Der nachfolgende Teil vier befasst sich mit den Zuständen in Schweden als Vergleich. Zur näheren Beurteilung der Systeme ist die Darlegung des zu beurteilenden Modells notwendig. Durch die geraffte Umschreibung des gesamten Sozialaufbaus soll es möglich werden, geeignete Alternativansätze herauszufiltern und im anschließenden Abschnitt aufzuarbeiten.
Auch dieser Abschnitt folgt dem Aufbau nach dem „Drei-Säulen-System“.
Welche der erarbeiteten Ideen konkret auch in Deutschland umsetzbar sein könnten, zeigt Kapitel fünf. Bezugnehmend auf den Titel der Arbeit, steht die Frage im Mittelpunkt, was wir von den Schweden lernen können.
Hier soll sowohl die Möglichkeit des Totalumbaus nach schwedischem Modell, als auch die Veränderung durch einzelne Elemente diskutiert werden.
Zur Übersicht werden in Abschnitt sechs noch einmal die Gegebenheiten in Deutschland und Schweden zusammengefasst, um ein abschließendes Urteil bilden zu können.
[...]
[1] Vgl. [VDR00], S. 1
[2] Vgl. [HeKe04], S. 150
[3] Vgl. [HeKe04], S. 57
[4] Vgl. [VDR00], S. 9
[5] Vgl. [Wiki04], http://de.wikipedia.org/wiki/Wohlfahrtsstaat_Schweden#Rentenversicherung_ und_Altersf.C3.BCrsorge
[6] Vgl. [Damm04], http://www.verdi-senioren-club.de/download/ak_alterssicherung/RsystemeAusland/Schwedenweb.htm
[7] Vgl. [HeKe04], S. 59
[8] Vgl. [DIA03], http://www.dia-vorsorge.de
[9] Vgl. [VDR00], S. 2
- Quote paper
- Maren Rosenplänter (Author), 2005, Altersvorsorge - Was kann Deutschland von Schweden lernen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/46458
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