Leseprobe
Gliederung
1.Einleitung
2. Rousseau und die Aufklärung
2.1 Aufklärung- gesellschaftspolitischer Hintergrund
2.2 Kurzbiografie Rousseaus
2.3 Emil oder über die Erziehung
3. Negative Erziehung
3.1 Der Erzieher
3.2 Das Gesetz des Möglichen und Unmöglichen
3.3 Beispiel der negativen Erziehung aus dem Roman „Emil oder über die Erziehung“
4. Spannungsfeld Natur und Disziplinierung
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Jean-Jacques Rousseau lebte im 18. Jahrhundert zur Zeit der Aufklärung. Er hat eine große Anzahl bedeutender Schriften vorzuweisen, die sich auf seine vielen Interessen wie die Politik, Philosophie, Musik und Pädagogik beziehen. Seine wichtigsten Werke „der Gesellschaftsvertrag“ und „Emil oder über die Erziehung“ veröffentlichter er innerhalb kürzester Zeit hintereinander.
Rousseau war der Ansicht, dass der Mensch von Natur aus gut sei und nahm mit seiner Botschaft „Zurück zur Natur“, die er in „Emil oder über die Erziehung“ verfasste, starken Einfluss auf die moderne Pädagogik.
In diesem Werk fordert Rousseaus mit der „Negativen Erziehung“ die Erziehung zur Selbstbestimmung des Menschen, die sich an dem jeweiligen Zögling und nicht, wie damals üblich, an den allgemeinen Richtlinien der Gesellschaft orientieren sollte. (vgl. Weber 1999, S. 29 f.) Das Werk erfuhr sowohl viel Kritik, als auch begeisterte Zustimmung. Kritisiert wurde vor allem seine Vorstellung, dass der Mensch von Natur aus gut sei, die Ablehnung von Eingriffen des Erziehers in Form von Geboten und Strafen, sowie die Vorstellung eines perfekten Erziehers, den es nicht geben würde.
Trotz der vielen Kritiker zählt Rousseau noch heute zu einem der wichtigsten Pädagogen. So hat seine Erziehungsidee der „Negativen Erziehung“ noch heute Einfluss auf die Pädagogik, da einige aktuelle Reformpädagogische Ansätze auf dieser Idee beruhen. (vgl. Roux& Schmiedt 2004, S.36)
In der folgenden Hausarbeit werde ich mich auf Rousseaus Begriff der „Negativen Erziehung“ beziehen und die Frage beantworten: Ist die „Negative Erziehung“ eine totalitäre Erziehung? Um diese Frage beantworten zu können, werde ich mich im Verlauf der Hausarbeit auch auf die Antinomie „Natur und Disziplinierung“ beziehen. Anhand dieses Spannungsverhältnisses werde ich die Auswirkung Rousseaus Erziehungstheorie auf die heutige Pädagogik erwähnen, wobei ich mich hierbei auf die Montessori-Pädagogik beschränken werde.
2. Rousseau und die Aufklärung
2.1 Aufklärung- gesellschaftspolitischer Hintergrund
Die Epoche der Aufklärung lässt sich in den Zeitraum Ende des 17. Jahrhunderts bis Ende des 18. Jahrhundert einordnen (vgl. Roux & Schmiedt 2004, S.29).
Die Aufklärung war stark durch die Rationalität geprägt und man berief sich mehr und mehr auf die Vernunft und den Verstand des Menschen (vgl. Weber 1999, S.16).
„Durch ihre Begeisterung für die Ratio und die Hinwendung zum Menschen und seine Erziehung wird diese Epoche auch als pädagogisches Jahrhundert bezeichnet.“ (2002, S.140; zit. n. Roux & Schmiedt 2004, S. 29)
Zusätzlich zum Rationalismus nahmen die beiden Grundsätze Freiheit und Wissenschaft eine große Rolle ein. (vgl. Roux & Schmiedt 2004, S. 29) Die Wissenschaft expandierte, Forschung und Lehre nahmen an Relevanz zu und die Emanzipation der Individuen und der Gesellschaft bekam immer mehr Bedeutung. (vgl. Weber 1999, S.16)
Deshalb wurde die Forderung nach einer allgemeinen Volksbildung, einer allgemeinen Menschenwürde und allgemeinen Menschenrechten immer lauter. (vgl. Roux & Schmiedt 2004, S. 29) Freiheit und Selbstbestimmung wurden zum Leitgedanken der Aufklärung. (vgl. Weber. 1999, S. 12)
Zudem wurde an einem rein weltlichen Charakter des Staates gearbeitet und so kam es zu einer allmählichen Trennung zwischen Kirche und Staat.
Außerdem wandelte sich der zur Zeit des Barocks noch stark zentralistische Machtstaat während der Aufklärung zu einem Wohlfahrts- und Rechtsstaat. Die Stellung jedes einzelnen gegenüber dem Staat wurde gestärkt und somit nahm das Bürgertum gegenüber dem Adel immer mehr an Bedeutung zu. (vgl. Roux & Schmiedt 2004, S.30)
2.2 Kurzbiografie Rousseaus
Rousseau war ein bedeutender Schriftsteller und Philosoph der Aufklärung. Er führte ein ruheloses und häufig widersprüchliches Leben. (vgl. Roux & Schmiedt 2004, S. 34)
Geboren wurde Jean- Jaques Rousseau am 28. Juni 1712 in Genf. Seine Mutter starb kurz nach seiner Geburt und so wuchs Rousseau bis zu seinem zehnten Lebensjahr bei seinem Vater auf.
Nach zehn Jahren verließ dieser jedoch die Stadt und Rousseau kam in die Obhut seines Onkels. Dieser übergab Rousseau und seinen Vetter zur Erziehung an den Pfarrer M. Lambercier.
1724 wurde Rousseau Lehrling bei einem Gerichtsschreiber, wurde entlassen und fing ein Jahr später als Lehrling bei einem Graviermeister an. Er blieb vier Jahre bei seinem Lehrmeister, aber 1728 kehrt er nach einem Ausflug nicht mehr zurück zu ihm. Stattdessen wanderte er nach Annecy, wo ihn ein katholischer Geistlicher zu Madame de Warens, eine vermögende Dame, brachte (vgl. Von Hentig 2003, S.23). Von dort aus ging er weiter nach Turin, wo er von der calvinistischen Kirche zur katholischen Kirche übertrat und als Lakai in Adelshäusern arbeitete.
1729 reiste er zurück nach Annecy, wo er erst ein Priesterseminar besuchte und schließlich als Chorist arbeitete. Ein Jahr später wanderte er als Musikant und Musiklehrer durch Frankreich und die Schweiz und begab sich schließlich zurück zu Madame de Warens nach Chambery. Dort arbeitete er für sie als Musiklehrer und Gehilfe und es entwickelte sich eine Liebesaffäre zwischen den beiden.
1740 zog es ihn weiter und er begann ein Jahr als Hauslehrer für die zwei Söhne der Familie de Mably zu arbeiten. Während eines anschließenden dreijährigen Aufenthalts in Paris schrieb er die „Abhandlung der modernen Musik“, die 1743 als Buch erschien. Anschließend nahm er eine Arbeit als Sekretär des französischen Botschafters in Venedig an, kehrte nach einem Streit mit diesem jedoch nach Paris zurück.
Zurück in Paris traf er auf Therese Levasseur, die er 1768 heiratete. Sie bekamen fünf Kinder zusammen, die sie jedoch alle ins Findelhaus brachten. (vgl. Holmsten 1972, S. 161f.)
1749 verfasste er Musikartikel für die „Enzyklopädie“ (Holmsten, S.161 f.). Ein Jahr später erhält er von der Akademie von Dijon für seine „Rede über die Wissenschaft und Künste“ einen Preis. In diesem Diskurs kritisierte er radikal die damalige Gesellschaft und machte die Kultur verantwortlich für den Verfall der Moral und der Sitten. (Roux & Schmiedt 2004, S. 34)
Drei Jahre später, 1753, entrüstet er mit seinem „Brief über die französische Musik“ die Pariser Musikwelt. 1754 reiste Rousseau dann zusammen mit Therese nach Genf, wo er wieder der calvinistischen Kirche beitrat.
Im Jahr 1758 griff Rousseau mit seinem „Brief an d´Alembert über die Schauspiele“ die Bühnenkunst an und beendet sein Manuskript „die neue Heloise“.
Auf die Einladung des Herzogs von Luxembourg zog Rousseau 1759 in „das kleine Schloss“ in Montemorency. Hier begann er seine Werke „Emil oder über die Erziehung“ und „der Gesellschaftsvertrag“ zu schreiben. Diese Schriftstücke stellte er 1761 fertig; ein Jahr später wurden sie veröffentlicht.
Noch im selben Jahr wurde sein Werk „Emil oder über die Erziehung“ jedoch durch das Pariser Parlament konfisziert und verdammt. Gegen den Autor wurde ein Haftbefehl erlassen. „Schuld an der Verdammung des Buches … waren die Forderungen nach einer dogmenfreien, kirchlich ungebundenen Religion (…).“ (Holmsten 1972, S. 125)
Daraufhin floh Rousseau in die Schweiz. Die Genfer Behörden verdammten und verbrannten jedoch seine beiden neuesten Werke ebenfalls und so reiste Rousseau nach Neuchâtel, ein zu Preußen gehörendes Fürstentum.
Hier begann er seine Lebensbeichte „Die Bekenntnisse“ zu schreiben. Nach weiteren Konflikten floh Rousseau 1765 auf die Insel St. Peter. Doch auch hier konnte er nicht bleiben, da er den Befehl der Berner Regierung bekam die Insel zu verlassen. So reiste er weiter nach Basel, Straßburg, Paris, England und schließlich zurück nach Frankreich.
Dort starb er am 2. Juli 1778. (vgl. ebd., S. 162 ff.)
2.3 Emil oder über die Erziehung
Das Erziehungsroman „Emile ou de l´Education“ wurde 1762 veröffentlich und kostete Rousseau laut eigener Aussage zwanzig Jahre Nachdenken und drei Jahre Arbeit (vgl. Bolle & Soëtard 2012, S. 192).
Er selbst bezeichnet sein Werk als eine „formlose und fast zusammenhanglose Sammlung von Betrachtung und Beobachtungen […]“ (Rousseau & Schmidts 1993, S. 5) Dennoch veröffentlichte er es. Ausschlaggebend dafür war, dass er eine gute Erziehung als sehr wichtig empfand, die Erziehung zu seiner Zeit jedoch als schlecht ansah.
„Nachdem es mir aber nicht gelungen ist, es weiter zu verbessern, soll es veröffentlicht werden wie es ist. Denn ich glaube, dass man die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diesen Gegenstand lenken muss.“ (ebd., S.5)
In dem Werk, zu Deutsch „Emil oder über die Erziehung“, schildert Rousseau in fünf Büchern die von ihm befürwortete „natürliche Erziehung“ anhand des fiktiven Zöglings Emil.
Es handelt sich dabei um ein Konstrukt, durch welches der Leser die Prinzipien der Erziehungsprozesse verstehen, aber nicht nachmachen soll. (vgl. Von Henting 2003, S. 42f.)
Der Zögling Emil ist ein gesunder, durchschnittlich begabter Junge aus reichen Verhältnissen, der auf dem Land aufwächst. Er hat nur einen Erzieher, der die Erziehung des Jungen als die Aufgabe seines Lebens ansieht und ihn deshalb fünfundzwanzig Jahre lang begleitet.
In den fünf Büchern wird Emils Erziehung von der Geburt an bis zu dem Zeitpunkt, wo er ein Mann wird und nicht weiter erzogen werden muss erläutert. (vgl. Holmsten 1972, S. 109) „Die fünf Bücher des „Emile“ durchlaufen eine vollkommene Erziehung: Vom Kind zum Jüngling, zum Freund, zur Liebe, zum Bürger, ja Sophie, die Frau, wird für Emile erzogen.“ (Weber 1999, S. 30) Emil soll dabei individuell erzogen werden. Statt zu lernen, soll er selber herausfinden und denken. Außerdem soll er ohne zeitlichen Druck und Zwang älter werden und dabei Freiheit und Gleichheit gewinnen (vgl. ebd.)
3. Negative Erziehung
In seinem Roman „Emil oder über die Erziehung“ erläutert Rousseau sein Konzept der „natürlichen Erziehung“. Er geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus gut sei und erst durch gesellschaftliche Einflüsse von der Natur abgebracht werde und dadurch Fehlentscheidungen treffen werde. (vgl. Holmsten 1972, S. 111) Durch die „natürliche Erziehung“, einer Erziehung, die der wahren Natur des Menschen entspricht, wollte er einen neuen, selbständigen Menschen schaffen, der mit sich identisch sein kann. (vgl. Ziegler 2015, S.88) Um dieses zu erreichen und den Menschen von schlechten Einflüssen abzuschirmen, entwickelt Rousseau die „Negative Erziehung“. „Die erste Erziehung muss also rein negativ sein. Sie darf das Kind nicht in der Tugend und in der Wahrheit unterweisen, sondern sie muß das Herz vor Laster und den Verstand vor Irrtümern bewahren.“ (Rousseau & Schmidts 1993, S.72)
Die „Negative Erziehung“ steht im Gegensatz zur „Positiven Erziehung“, welche Rousseau ablehnt. Bei der „Positiven Erziehung“ fordert die erziehende Person Gehorsam für das, was sie für richtig hält. Das Kind kann sich jedoch überlegen, ob es der Willensentscheidung des Erziehers folgt, oder nicht. Entscheide das Kind sich dagegen, entstehe ein Machtkampf, bei welchem jeder für das Erreichen seiner Ziele kämpfen würde.
Rousseau kritisiert an dieser Form der Erziehung die daraus resultierende Konzeption der Identität mit sich selber. Denn ihm geht es bei der Erziehung nicht um eine durch die Vernunft erlangte Form der Autonomie, sondern um das durch Authentizität entstehende Glück. (vgl. Schäfer 2017, S. 92) Demnach ordnet er das vernünftige Urteil und die freie Willensentscheidung dem Glück unter. (Bolle 1995, S. 132) Das Glück ist für Rousseau dort gewährleistet, wo der Mensch, ohne jegliches Eingreifen, mit sich identisch sein kann. „Das Verhältnis zu sich selbst als Einheit von Welt- und Selbstbewußtsein bildet die Voraussetzung dafür, daß das Kind Glück als Übereinstimmung mit sich selbst, als Authentizität erfahren kann.“ (Schäfer 1991, S. 89)
In seinem Roman „Emil oder über die Erziehung“ fordert Rousseau deshalb eine pädagogische Einwirkung, die effektiv auf die Ermöglichung der Identität mit sich selber einwirkt. Diese Form der Erziehung bezeichnet Rousseau als „Negative Erziehung“. (vgl. Schäfer 2017, S.93)
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