Koba! Aye Koba, lama! Über die Bedeutung Laye Camara's kulturell interner Perspektive auf die Malinké in "l'enfant noir"


Dossier / Travail, 2019

13 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. "L'enfant noir" im historischen und literarischen Kontext

3. Laye Camara als Autor und Protagonist seiner Geschichte
3.1. "L'enfant noir" - Wirksamkeit und Rezeption
3.2. Mittel und Möglichkeiten der innerperspektivischen Autoethnographie
3.3. Die Beschneidungszeremonie als Exempel

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„It became clear to me shortly after I was first published that my work was often looked at through a political lens. (…) Why, I wondered, must my characters somehow represent something political? Why must I always have words like “socio-political” linked to my work? (…) Obviously I know the reasons – that modern African novels have their roots in the anti-colonial struggle and that so little African writing is known outside Africa that the easy response is always to read it as some sort of native explanation of an unknown place; that it is almost impossible for a novel to be read first as a story of human beings before being read as, say, an allegory of a political situtaion.“ (Adichie, 2019: 1)

Der vorliegende Textauszug stammt aus einem im Januar 2019 veröffentlichten Artikel von der in Nigeria geborenen, international publizierten Autorin Chimamanda Ngozi Adichie. Sie beschreibt darin unter anderem den Ursprung der sogenannten „politischen Linse“ im Zusammenhang mit der sich bis in die Gegenwart ziehende, problematischen Rezeption afrikanischer Literatur.1 Ein Lieblingsbuch der Autorin, das sie mit dieser Problematik in Beziehung setzt und im Fokus dieser Arbeit steht, ist Laye Camara‘s, 1953 veröffentlichter, im Zuge der Négritude-Bewegung entstandener, Roman „l‘enfant noir“, in welchem der Autor sein Heranwachsen in Kurussa zu einer Zeit beschreibt, in der der Nordosten Guineas geprägt ist von französischen Kolonialstrukturen. Dieser Roman ist vor allem deswegen interessant, da er heftig und offen kritisiert wurde, weil er sich direktem anti-kolonialem Widerstand entziehe und eine romantisierende, naive Idylle kreiere, die der Realität ferner nicht hätte sein können, weil sie den Eindruck erwecke, Kurussa (u.a.) sei immer eine freie, unabhängige Stadt gewesen (Miller , 1990: 123)

Was den Roman vor allem ausmacht, ist seine Form: Camara schreibt als Erwachsener über seine Kindheit und nähert sich mit jeder weiteren Aufzeichnung seinem gegenwärtigen Selbst. Nicht selten sieht er sich dabei behindert durch die Tatsache, dass er (sich) bestimmte Geschehnisse nicht mehr erklären kann, weil er Kurussa früh verlassen hat und sich ein großer Graben aufgetan hat, zwischen dem was er weiß, als Kind beobachtet zu haben und dem was er zum Zeitpunkt des Niederschreibens seiner Geschichte bereit ist, ohne Weiteres zu glauben. (Camara, 1966: 71) Eine Erinnerung, die ausführlich und emotional beschrieben wird, ist die Beschneidungszeremonie, an der er in seiner Jugend, mit einigen seiner männlichen Altersgenossen, teilnehmen musste. Diese Erinnerung soll aufgrund ihrer Länge und Intensität, sowie ihrer Fülle an geschilderten gesellschaftlichen Konzepten und Glaubensvorstellungen der Malinké als Beispiel für die Wirkung von Camaras‘ Schreibweise dienen.

Die Frage, der sich diese Arbeit widmet ist also: Welche Bedeutung hat Camara‘s innere Perspektive in „l‘enfant noir?“; vor allem im Rückblick auf die Kolonialzeit und was kann sie in Bezug auf die defizitäre Wahrnehmung afrikanischer Literatur leisten?

Dazu wird hauptsächlich mit den von C. L. Miller entwickelten Ansätzen und Theorien in „Theories of Africans – Francophone Literature and Anthropology in Africa“ gearbeitet, die Camara und vor allem seinem Roman weder Verklärung, noch politische Inaktivität vorwerfen, sondern ein hohes Maß an Komplexität und Wirkungspotential einräumen.

Keinesfalls soll die Wichtigkeit und Leistung expliziten literarischen Widerstands gegen die Kolonialmächte in Abrede gestellt werden. Diese Arbeit möchte schlicht zeigen, dass kein Roman zwingend offensichtlich politisch sein muss, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen und dass der kindliche Blick des „enfant noir“, nicht als verschleiernde Idylle abgetan werden muss, sondern auch als subtiler anti-kolonialer Widerstand gesehen werden kann, weil er, still und leise, das komplexe und lebendige Bild einer Kultur erzeugt, die den dort lebenden Menschen vollständig abgesprochen wurde, um die Unterdrückung durch die französische Herrschaft zu legitimieren.

Zur Untersuchung der Fragestellung werden Autor und Roman zunächst kurz in ihren historischen und literarischen Kontext gebettet: Was passiert in den französischen Kolonien Westafrikas und wie äußern sich der Umgang damit in zeitgenössischer künstlerischer Form? Anschließend werden Rezeption und Kritik an Autor und Werk untersucht, um daraufhin anhand der Ermittlung autoethnographischer Mittel und Werkzeuge und einer konkreten Textanalyse zu verstehen, wieso der Text „l‘enfant noir“ hier als Autoethnographie gelesen wird und sich so eine Verständnisalternative für dessen Anliegen und Effekt anbietet.

2. "L'enfant noir" im historischen und literarischen Kontext

Sowohl von der französischen Kolonialherrschaft in Westafrika, sowie der literarischen Bewegung, die allgemein hin als Négritude bezeichnet wird, soll hier nur ein kurzer, sehr oberflächlicher Abriss gegeben werden, obwohl beide Themen komplex genug sind, ganze Bücherregale2 zu füllen. Für den Erkenntnisgewinn dieser Arbeit sollen jedoch grundlegende Informationen genügen, um die, durch die Veröffentlichung des Romans, ausgelöste Kontroverse nachvollziehen – und von da aus neue Ideen entwickeln zu können. Darüber hinaus wird ein grundsätzliches, historisches Wissen in Bezug auf die mission civilisatrice und der französischen Kolonialherrschaft vorausgesetzt, da jede intensivere Beschäftigung damit in dieser Arbeit zu weit vom eigentlichen Thema wegführen würde.

In seinem Versuch, die französische Kolonialherrschaft zu demaskieren, beschreibt Ruth Ginio das Prinzip der „direct rule“ und dem nahezu allumfassenden Machtverlust, des präkolonialen Herrschaftsgefüges. (Ginio, 2006: 3) Im Rahmen der französischen Kolonialstrukturen wurden Afrikaner oft als sujets betrachtet, zu Zwangsarbeit verordnet und konnten kaum politische Rechte für sich beanspruchen. (Ebd.: 4)

A. Irele, nigerianischer Wissenschaftler, sieht in der Négritude eine literarische Bewegung, geprägt von der, durch historische Umstände erzeugte, Abhängigkeit Afrikas vom Westen und die dominiert wird von einer kollektiven Bewusstheit des „black writers“ als Mitglied einer Minorität. (Irele, A., 965: 499) Er bewertet diese Bewegung als psychologische Antwort auf die soziale und kulturelle Bedingung der Kolonialherrschaft und der damit einhergehenden Suche nach einer neuen Orientierung. So begründe die Négritude einen symbolischen Fortschritt: Von der Unterordnung zur Unabhängigkeit; von der Entfremdung über den Aufstand, bis hin zur Selbstbehauptung. (Ebd.: 499)

Babandu Ayeleru konstatiert die Entwicklung der Négritude von einer literarischen zu einer sozio-politischen gearteten Bewegung. (Ayeleru, B., 2011: 169) und bezieht sich dabei auf Irele‘s Beschreibung derer Themen, die von Rebellion gegen koloniale Unterdrückung in politischer, künstlerischer, moralischer Hinsicht, bis hin zu einer Verteidigung und neuen Evaluierung Afrikas reichen. (Ebd.: 167)

So begannen „black students“ in Frankreich, Artikel zu veröffentlichen, in denen sie verabscheuungswürdige (übersetzt) koloniale Strukturen offenlegten und angriffen. Die in diesem Zusammenhang stehende Gründung der Zeitschrift „l‘étudiant noir“ wurde unter anderem gegründet von Aimé Césaire, der in seinem 1939 veröffentlichen „Cahier d‘un retour au pays natal“ erstmals den Begriff Négritude prägte, der daraufhin lange Zeit zum Aushängeschild frankophoner Literatur wurde. (Ebd.: 166)

3. Laye Camara als Autor und Protagonist seiner Geschichte

3.1. "L'enfant noir" - Wirksamkeit und Rezeption

Im Zentrum der, unmittelbar nach der Veröffentlichung, geäußerten Kritik am Roman, stand der Vorwurf verfälschter Realitätsabbildung und fehlender Positionierung gegen die französische Kolonialherrschaft. C. N. Adichie schreibt dazu in ihrem Aufsatz:

„Camara Laye published this book in 1953, in the heat of the anti-colonial struggle, and some African critics felt that the book was not sufficiently scorched. An African critic famously asked him: “Was it really like that for you, brother?” What the critic meant was not only: “Was it really that easy? Was it really that happy?” But also: “How dare you betray us? How dare you not show your anti-colonial rage?” (Adichie, 2019: 1)

So wird der kamerunische Schriftsteller Mongo Beti häufig zitiert, wenn es um die kritische Wahrnehmung von „L‘enfant noir“ geht: Der Roman vermittele dem Leser ein idyllisches Afrikabild, das es gar nicht gegeben habe, das unglaubwürdig sei, da der „weiße Mann“ (übersetzt) in diesem Bild keine Erwähnung finde. Kreiert werde somit ein falsches und vor allem stereotypisierendes Portrait. (Beti, zitiert nach Miller, 1990: 123)

Nicole Medjigbodo, deren Kritik ebenso in Miller‘s „Theories of Africans“ aufgegriffen wird, wirft Camara Verantwortungslosigkeit vor, da er ein Buch geschrieben habe, in dem keiner der darin beschriebenen und agierenden Menschen sich selbst wiederfinden könne. Als habe er absichtlich die negativen und traurigen Lebensumstände im Dorf maskiert, um den Anschein von Ordnung und Schönheit zu erwecken. (Medjigbodo zitiert nach Miller, 1990: 123)

Wole Soyinka, nigerianischer Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger, beanstandete die Selektivität und Naivität in „L‘enfant noir“ und wirft Camara vor, sich damit den eigenen Traum seines Wunsch-Afrikas zu erfüllen. (Soyinka, 1963: 143)

C. L. Miller, der all diese Beurteilungen in „Theories of Africans“ aufführt, fordert anschließend eine neue, vorsichtigere und gründliche Analyse des Romans, da er den Standpunkt vertritt, dass sich unter der Oberfläche der vermuteten Selbstzufriedenheit und idyllischen Einfachheit, ein größerer und komplexerer Bedeutungsrahmen verbirgt. (Miller, 1990: 126) und dass der Roman die Kapazität in sich trage, kulturell Innen- und Außenstehende zu belehren (Ebd.: 127).

Einen weiteren entscheidenden Gedanken in Zusammenhang mit dieser Kritik hält Alione Sow in ihrem Aufsatz über afrikanische Kindheits-Autobiographien fest:

„What emerges from these defensive modes of reading is that, in African letters, remembering childhood ‚has a politics‘ with regards to what one is ‚authorized to remember‘ and how it should be remembered.“ (Smith, S. Und Julia Watson zitiert nach Sow 2010: 502)

Dieser Gedankengang impliziert die Tatsache, dass das Schreiben allem Voran ein Akt künstlerischen Ausdrucks ist. Camara schreibt mit den Augen seines kindlichen Selbst, da ihm durch das frühe Verlassen seiner Heimat nur diese Augen zur Verfügung stehen. Die Erzählstimme ist die eines Kindes und Jugendlichen und doch gehen Vorwürfe der unverzeihlichen Unbedarftheit und Pflichtvergessenheit an den, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, bereits erwachsenen Autor.

Auch C. N. Adichie kratzt an der Oberfläche des scheinbar fantastischen Trugbilds: Sie sieht den Roman als anti-koloniale Widerstandsgeschichte, weil er, ohne lauten Protest, aber eindringlich, die selbstverständliche Humanität derer beschreibt, deren Menschlichkeit verhandelbar gemacht wurde, um ihre Ausbeutung zu rechtfertigen; und das auf eine Art und Weise, die es dem Leser unmöglich mache, wegzuschauen. (Adichie, 2019: 1)

[...]


1 Hier geht es nicht um den Versuch, afrikanische Literatur zu kanonisieren, sondern um Werke und Autoren, die durch Herkunft oder Themtik in Verbindung mit Afrika stehen und sich daher besagter problematischer Rezeption ausgesetzt sehen.

2 Hier sei beispielsweise auf die thematischen Arbeiten von Noland, C. oder Irele, A. (Négritude) oder von Kent, J. und Hargreaves, A. G. [Französische Kolonien in (West)Afrika] hingewiesen

Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Koba! Aye Koba, lama! Über die Bedeutung Laye Camara's kulturell interner Perspektive auf die Malinké in "l'enfant noir"
Université
Johannes Gutenberg University Mainz
Note
1,3
Auteur
Année
2019
Pages
13
N° de catalogue
V470861
ISBN (ebook)
9783668955110
ISBN (Livre)
9783668955127
Langue
allemand
Mots clés
koba, über, bedeutung, laye, camara, perspektive, malinké
Citation du texte
Anna Engel (Auteur), 2019, Koba! Aye Koba, lama! Über die Bedeutung Laye Camara's kulturell interner Perspektive auf die Malinké in "l'enfant noir", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/470861

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