Die historiographische Metafiktion in Penelope Livelys Roman "Moon Tiger"


Term Paper, 2019

16 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. You are a part of it

2. Die historiographische Metafiktion
2.1 Kriterien des historischen Romans
2.2 Einordnung der historiographischen Metafiktion

3. Einordnung des Romans Moon Tiger
3.1 I‘d rather like to go back to fantasising
3.2 The history of the world as selected by Claudia
3.3 Kaleidoskopische Darstellung
3.4 Populariser
3.5 I‘m writing a history of the world

Bibliographie:

1. You are a part of it

Tom Southern, ein Kapitän einer englischen Panzerflotte, und Claudia Hampton, Autorin, Kriegskorrespondentin und Journalistin. Die beiden treffen sich in Ägypten während des zweiten Weltkriegs und verlieben sich ineinander. Bei einem Wiedersehen während seines Urlaubs wird Claudia schwanger und erhält danach die Nachricht, dass Tom Southern im Krieg umgekommen ist. So könnte man den Kern des Romans Moon Tiger1 von Penelope Lively zusammenfassen. Eine dramatische, aber gefühlvolle Liebesgeschichte.

Der Roman beinhaltet jedoch so viel mehr, immerhin ist sein explizites Ziel eine „history of the world“2 zu schreiben. Doch bereits hier wird eine erste Anmerkung gemacht, denn eine Universalgeschichte zu schreiben ist schwer bis unmöglich. Stattdessen wird die Geschichte eingegrenzt: „A history of the world, yes. And in the process, my own. The Life and Times of Claudia H. […] The history of the world as selected by Claudia: fact and fiction, myth and evidence, images and documents.“3 Dieser Roman zeigt somit Claudias Lebensgeschichte, aber auch den Teil der Universalhistorik, den sie erlebt hat.

„When the times are out of joint it is brought uncomfortably home to you that history is true and that unfortunately you are a part of it.“4 erklärt Tom seiner Geliebten Claudia während ihres Besuches. Der Anteil der beiden Figuren an der konventionellen Historik des Romans ist gering. Das Gewicht, dass Tom in Claudias Lebensgeschichte einnimmt, ist jedoch immens. Dieser Konflikt wird im Roman behandelt.

In dieser Hausarbeit wird die Frage bearbeitet, wie Historik in diesem Roman aufgearbeitet wird. Die Erzählung lässt sich in die Gattung historiographische Metafiktion nach Ansgar Nünning einordnen. Durch diese Darstellung wird die Höherstellung der subjektiven Geschichtsdarstellung gegenüber der konventionellen Historie deutlicher und somit die Bedeutsamkeit der Geschichtsdarstellung problematisiert.

2. Die historiographische Metafiktion

Um den Roman Moon Tiger einzuordnen, wird hier die Einordnung historischer Romane Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion5 nach Ansgar Nünning verwendet. Dieser unterscheidet fünf Typen: den dokumentarischen, den realistischen, den revisionistischen oder den metahistorischen Roman und den Typus der historiographischen Metafiktion. Dass Moon Tiger ein historischer Roman ist, zeigt sich durch seine Behandlung des zweiten Weltkriegs, den Ansichten der Charaktere bezüglich Geschichtsdarstellung und der Problematisierung von Geschichtstheorie an sich. Der Roman wird nachfolgend in den Typus historiographische Metafiktion eingeordnet und darauf konklusiv interpretiert.

2.1 Kriterien des historischen Romans

Die Kriterien zur Einordnung des historischen Romans nach Ansgar Nünning sind in fünf Gruppen eingeteilt: „die Selektionsstruktur, die Relationierung und Gestaltung der Erzählebenen, de[r] dominante[] Zeitbezug und die Vermittlungsformen, das Verhältnis des fiktionalen Geschichtsmodells zum Wissen der Historiographie oder [...] das Wirkungs- und Illusionspotential“6. Die Abgrenzungen zwischen den meist binären Polen sind nicht klar, sondern es handelt sich um graduelle Abstufungen, dies wird weiterhin hiermit als selbstverständlich vorausgesetzt und nicht erneut angemerkt.

Unter der Selektionsstruktur ist die Referenzrichtung zu verstehen. Man unterscheidet zwischen dominant heteroreferentiellen, also stark fremdreferentiellen Texten, und dominant autoreferentiellen historischen Romanen, bei denen Selbstreflexivität im Vordergrund steht. Die Heteroreferentialität wächst mit steigender Zahl und inhaltlicher Streubreite von Bezügen auf reale Individua und Generalia.7 Außerdem ist der außertextuelle Referenzbereich wichtig, welcher sich mehr auf geschichtliches Geschehen oder Historiographie und Geschichtstheorie konzentrieren kann und die intertextuellen Bezüge, die sich auf nicht-fiktionale Textsorten oder fiktionale und historiographische Texte beziehen.8

Als zweite Gruppe führt Nünning die Relationierung und Gestaltung der Erzählebenen ein. Eine Differenzierung wird hier zuerst durch die dominante Kommunikationsebene der Geschichtsdarstellung vorgenommen, welche diegetisch, extradiegetisch oder hypodiegetisch vermittelt werden kann.9 Diegetisch ist dabei auf die Handlungsebene fokussiert, die historischen Erlebnisse werden dort durch Zeit- und Ortsangaben identifizierbar, die szenische Darstellung des vergangenen Geschehens steht im Vordergrund. Die extradiegetische Vermittlung auf der Erzählebene wird durch die Reflexion der Erzählinstanz deutlich. Hypodiegetisch ist die Geschichtsdarstellung dann, wenn eine Figur innerhalb der diegetischen Ebene geschichtliche Ereignisse schildert.10 Bei der Gestaltung der diegetischen Ebene lassen sich „tendenziell ereignishafte[], handlungsreiche[], spannende[] und kohärente[] Geschehen“11, welche die Authentizität betonen, von „Romane[n], in denen metafiktionale Elemente oder andere illusionsdurchbrechende Darstellungsverfahren“12 vorkommen und die Historie destabilisieren bzw. entwerten, abtrennen.13 Desweiteren wird die „Explizität der erzählerischen Vermittlung“14 betrachtet, bei der Nünning als besonderes Mittel die multiperspektivische Erzähltechniken anführt.15 Weiterhin unterteilt er die Skalierung in die „dominant diegetische Darstellung von geschichtlichem Geschehen vs. dominant extradiegetische Reflexion über Historiographie und Geschichtstheorie“16.

Die dritte Gruppe ist der „dominante Zeitbezug und die unterschiedlichen Vermittlungsformen“17. Beim Zeitbezug gibt es die „Pole eindeutiger Vergangenheitsbezug und vorherrschende Gegenwartsorientiertheit“18, hierbei wird die erzählerische Vermittlung miteinbezogen, denn sollte z.B. „die extradiegetische Ebene der erzählerischen Vermittlung im Vordergrund steh[en], so dominiert meist Gegenwartsbezug“19. Ein weiteres Merkmal ist die zeitliche Anordnung, welche linear-chronologisch oder anachronisch sein kann.20

Im Bereich der Vermittlungsformen gibt es die erzählerische Modellierung, nach Hayden White die modes of emplotment21, welche entweder eine Tendenz zur ernsten Präsentation oder zur satirischen bzw. argumentativen Darstellung haben.22 Daneben wird auch die Darstellung des Raums und der Figuren untersucht. Ein weiteres Kriterium ist der Anteil an spezifisch literarischen Darstellungsformen.23

Besonders wichtig ist auch die vierte Gruppe gattungstypologischer Merkmale: das „Verhältnis des fiktionalen Geschichtsmodells[…] zum Wissen der Historiographie“24. Bei der Abstufung hier werden die Qualität und die Quantität kontrafaktischer Realitätsreferenzen sowie der Grad der Fiktionalisierung einbezogen. Zuerst wird der Skopus des Wirklichkeitsgehaltes untersucht, welcher einen umfassenden Querschnitt einer Epoche oder auch nur wenige geschichtlich belegbare Erlebnisse zeigen kann.25 Hier wird die „zeit- und raumübergreifende Reichweite der Realitätsreferenzen“26 untersucht. Ein weiteres Kriterium in dieser Gruppe ist die Intensität, also die gründliche und detailreiche Darstellung des fiktionalen Geschichtsmodells. Die Homogenität wird durch Einschübe von Traumvorstellungen oder auch historischen Dokumenten relativiert.27 Das Kriterium der Integrativität „bezieht sich auf die Frage, inwiefern ein Roman Geschichte als einen sinnhaften […] Ereigniszusammenhang darstellt oder als ein fragmentiertes Geschehen“28. Daraus resultierend können historische Romane in fünf Teile gegliedert werden: „dominant isomorphe, mimetische, alternative, selbstreflexive oder metapoietische Formen“29.

Die letzte Gruppe der Kriterien sind die „Illusionstypen und [das] Funktionspotential“30. Die Primärillusion unterstreicht die diegetische Ebene und die Sekundärillusion die extradiegetische.

Weiterhin wird unterschieden zwischen Referenzillusion, welche eine Illusion einer realen Welt hervorruft,31 und Erlebnisillusion, die ein „sinnliche[s] Eintreten in die Textrealität“32 begünstigt. Je weniger Realitätsreferenzen enthalten sind, desto mehr neigt der Roman zur Erlebnisillusion. Als letztes Kriterium wird untersucht, wie illusionsdurchbrechend der Roman ist.

Zuallerletzt wird die Funktion bzw. das Funktionspotential des Romans bestimmt.

2.2 Einordnung der historiographischen Metafiktion

Der fünfte Typus der historischen Romane ist am metafiktionalen Pol angesiedelt. Er hat ein „hohes Maß an fiktionaler Rückbezüglichkeit mit einer expliziten Erörterung historiographischer Fragen“33. Der Roman an sich schreibt die Geschichte nicht nur um, sondern befasst sich explizit mit dieser Umschreibung in geschichtstheoretischen Reflexionen.34

In diesem Typus herrscht Autoreferentialität vor, die Realitätsreferenzen werden von metafiktionalen Elementen überlagert.35 Diese meta- und fiktionalen Elemente sind stark markiert. Desweiteren hat der Typus eine hohe Zahl an „inter-, hyper- und metatextuellen Bezüge[n] zu literarischen und historiographischen Texte“36.

Im Hinblick auf die Ebenen steht die Vermittlungsebene im Vordergrund, die erzählerische Vermittlung ist explizit und auf Reflexion konzentriert.37 Dominant sind auch der Gegenwartsbezug und die anachronische Darstellungsweise, welche auch im metahistorischen Roman Kriterium sind.38 Abgegrenzt wird die historiographische Metafiktion aber durch die explizite Erzählstruktur und den Kommentaren über Geschichtstheorie39 und die dominant argumentative Gestaltung40, außerdem werden hier Illusionen meist durchbrochen41 und es entsteht ein „dominant didaktisches und kognitiv-reflexives Funktions- und Wirkungspotential“42.

Realitätsreferenzen sind in jedem historischen Roman vorzufinden, aber im Typus historiographische Metafiktion werden diese um Anachronismen oder Problematisierungen von Fragen und Gesetzen der empirischen Welt ergänzt.43 Raum, Zeit, Figuren und die Handlung sind stark fiktionalisiert und semantisiert, außerdem haben die Romane des Typus einen hohen Anteil an spezifisch literarischen Darstellungsweisen.44

Erneut ist hier im Vordergrund die

„Problematisierung des Verhältnisses zwischen historischen Fakten und historiographischen Rekonstruktionen sowie zwischen Fiktion und Geschichte[...und die…] explizite Problematisierung der Verfahren der Historiographie und metahistoriographische[n] Reflexion über das Verhältnis zwischen Fiktion und Geschichte bzw. thematisierter Geschichte und historiographischem Wissen.“45

Dieses Zitat zeigt, dass die Reflexionen über geschichtstheoretische Aspekte und deren Umsetzung in der Literatur stattfinden. Dieses Nachsinnen über die Probleme der Darstellung der Geschichte grenzen den Typus von den anderen vier Typen ab. Die erzählte Geschichte selbst rückt in den Hintergrund um der Diskussion und dem Aufwerfen von Fragen über die Darstellung von Geschichte Platz zu machen.

3. Einordnung des Romans Moon Tiger

Eben diese explizite Problematisierung der Geschichtsschreibung und Geschichtstheorie sowie der Darstellung von Geschichte findet in Moon Tiger statt. Die sehr moderne und kreative Darstellung des Romans bewirkt implizit die Einordnung in den Typus historiographische Metafiktion nach Ansgar Nünning. Dadurch wird die Bedeutsamkeit der Geschichtsdarstellung diskutiert und die subjektive Darstellung von Historik wird über die konventionelle Historik der faktisch-richtigen Welt gestellt.

Der Roman wird nachfolgend eingeordnet und dabei möglichst viele Kriterien der fünf Kriteriengruppen benutzt. Die Reihenfolge dieser Gruppen werden parallel zu den Erklärungen in der Theorie stehen.

3.1 I‘d rather like to go back to fantasising

Um den Roman in die fünf Typen einzuordnen, muss zunächst die Selektionsstruktur bestimmt werden. Beim Roman Moon Tiger „ist die autoreferentielle Dimension […] stark ausgeprägt“46. Dies zeigt sich durch fehlende Informationen über wichtige historische Ereignisse oder historische Figuren. Außerdem ist der Roman stark selbstreflexiv, mehrere Male werden Claudias Bücher über Geschichte kritisiert, denn ihre Bücher „were overblown flashy stuff“47. Besonders in Diskussionen zwischen den Figuren, hier der Vater ihres Kindes Jasper, wird die Geschichtschreibung erörtert. Die Aussagen über ihre Schreibweise bezieht sich auch auf Moon Tiger, da Claudia im Roman ja als Autorin bzw. zumindest als Erfinderin der Geschichte beschrieben wird.

[...]


1 Penelope Lively: Moon Tiger. London: Penguin Essentials, 2015.

Die zitierte Version entspricht aufgrund der Seitenzahlen der von mir benutzten Neuauflage, ursprünglich wurde Moon Tiger von Andrè Deutsch Ltd im Jahre 1987 veröffentlicht.

2 Lively, S. 1.

3 Ebd., S. 1.

4 Ebd., S. 103.

5 Ansgar Nünning: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion /1: Theorie, Typologie und Poetik des historischen Romans. Trier: WVT Wiss. Verl. Trier, 1995.

6 Ebd., S. 220.

7 Ebd., S. 221 – 224.

8 Vgl. ebd., S. 227.

9 Vgl. ebd., S. 228.

10 Vgl. Nünning., S. 228.

11 Ebd., S. 228.

12 Ebd., S. 228.

13 Vgl. ebd., S. 228.

14 Ebd., S. 229.

15 Vgl. ebd., S. 229.

16 Ebd. S. 230.

17 Ebd., S. 230.

18 Ebd., S. 232.

19 Ebd., S. 232.

20 Vgl. ebd., S. 232.

21 Vgl. Hayden White: „Der historische Text als literarisches Kunstwerk.“ In: Geschichte schreiben in der Postmoderne. Reclam, 2009. S. 127.

22 Vgl. Nünning., S. 237.

23 Vgl. Nünning., S. 238.

24 Ebd., S. 238.

25 Ebd., S. 242f.

26 Ebd., S. 243.

27 Ebd., S. 244.

28 Ebd., S. 244.

29 Ebd., S. 247.

30 Ebd., S. 248.

31 Ebd., S. 249.

32 Ebd., S. 249.

33 Nünning, S. 282.

34 Vgl. ebd., S. 282.

35 Vgl. ebd. S. 287.

36 Ebd., S. 291.

37 Vgl. ebd., S. 291.

38 Vgl. ebd., S. 278.

39 Vgl. ebd., S. 288.

40 Vgl. ebd., S.291.

41 Vgl. ebd., S. 289.

42 Ebd., S. 290.

43 Vgl. ebd., S. 291.

44 Vgl. ebd., S 291.

45 Nünning., S: 291.

46 Ansgar Nünning: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion /2: Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen des historischen Romans in England seit 1950,Trier: WVT Wiss. Verl. Trier, 1995, S. 308.

47 Lively, S. 49.

Excerpt out of 16 pages

Details

Title
Die historiographische Metafiktion in Penelope Livelys Roman "Moon Tiger"
College
University of Augsburg  (Vergleichende Literaturwissenschaften)
Grade
1,3
Author
Year
2019
Pages
16
Catalog Number
V475217
ISBN (eBook)
9783668961043
ISBN (Book)
9783668961050
Language
German
Keywords
Moon Tiger, Historischer Roman, Penelope Lively, Ansgar Nünning
Quote paper
Lea Jell (Author), 2019, Die historiographische Metafiktion in Penelope Livelys Roman "Moon Tiger", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/475217

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