Die Genese des heutigen Holodomorbegriffs in der deutschsprachigen Literatur


Hausarbeit, 2009

10 Seiten, Note: 1,3

Kilian Norden (Autor:in)


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Holodomor – Einige Fakten

3. Die Rezeption in der Zeit des Stattfindens

4. Bearbeitung ab Mitte/Ende der 80er Jahre

5. Mögliche Erklärungen für die Nichtbearbeitung in der geschichtswissenschaftlichen Literatur, im Zeitraum ab Mitte der 30er Jahre bis Mitte/Ende der 80er Jahre

6. Aktuelle Russisch-Ukrainische Rezeption,
im Kontext ihrer bilateralen Beziehungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In dieser Arbeit soll die Genese, d.h. die Entwicklung des Holodomorbegriffs in der deutschsprachigen Literatur, auf die Ukraine bezogen, nachgezeichnet werden. Die Literaturauswahl umfasst hierbei nicht nur originär auf Deutsch erschienene Werke, sondern beinhaltet auch Werke welche in die Deutsche Sprache übersetzt wurden. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in der Folge keine Suche nach Schuldigen oder einem Schuldigen am Holodomor erfolgen soll. Des Weiteren muss teilweise auf eine in die Tiefe gehende Darstellung, zu Gunsten einer auf Vollständig-keit wertlegenden Darstellung, aufgrund von Formatauflagen verzichtet werden.

2. Holodomor – Einige Fakten

Um einen Einstieg in das Thema des Holodomor zu geben, möchte ich mit einem kurzen, Faktenteil entrieren.

Das ukrainische Wort „Holodomor“ ist eine Zusammensetzung aus den Wörtern „holod“ und „mor“, wobei ersteres für „Hunger“ und letzteres für „Krankheit“, „Seuche“, „Epidemie“ oder auch „Massensterben“ steht. Das Kompositum aus beiden Wörtern bedeutet somit: „Hungersnot“ bzw. „Hungerkatastrophe“.1 Zeitlich wird diese Katastrophe in der Literatur überwiegend auf zwischen 1932 und 1933 datiert,2 aber auch 1931 kann als Beginn dieser Katastrophe angesetzt werden.3 Die höchsten Opferzahlen verursachte der Hunger in der Ukraine,4 aber auch im Nordkaukasus, in der unteren und mittleren Wolgaregion, dem südliche Ural, in Westsibirien, in den Gebieten Kursk, Tambov, Vologda5 und insbesondere in Kasachstan wütete der Hunger.6 Der Holodomor forderte ungefähr sechs bis sieben Millionen Opfer,7 wobei in anderer, meist älterer Literatur auch, höhere Opferzahlen zu finden sind.8

3. Die Rezeption in der Zeit des Stattfindens

Für die Darstellung der Rezeption in der Zeit des Stattfindens wurde durch mich eine Auswahl der näher zu beleuchtenden Beteiligten getroffen. Vorgestellt werden die Sowjetführung, der Völkerbund und partiell die Wahrnehmung im Ausland.

Die Sowjetführung unter der Regie Stalins war über die Vorgänge des Holodomor informiert und versuchte den Hunger oder wenigstens die Ausmaße der Hunger-katastrophe aktiv vor dem Ausland zu verbergen bzw. zu verleugnen.

Beispielzitat für das interne Wissen über den Hunger:

„Es ist kategorisch verboten, daß irgendeine Organisation die Fälle von Ödemen und Tod infolge des Hungers registriert außer den Organen der OGPU“ 9

Beispielzitat für den internen Versuch des Verbergens vor dem Ausland:

„Genosse Balyc`kyi beauftragen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Übermittlung von Informationen über die Hungersnot im Dorf Staroŝ vedskoe ins Ausland unmöglich zu machen.“ 10

Beispiel für das öffentliche Verleugnen vor dem Ausland. (hier Völkerbund)

„In der UdSSR gebe es keine Hungersnot“ 11

Der im neutralen Genf ansässige Völkerbund wurde spätestens im September 1933 über den Holodomor informiert.12 Nach zwei Sitzungen erklärte dieser aber, auf Drängen der Sowjetunion, ihrer Verbündeten aber auch Frankreichs, seine Nicht-zuständigkeit und leitete die Problematik an das Rote Kreuz weiter.13

Ausländische Regierungen waren, trotz der Versuche seitens der Sowjetführung die Katastrophe zu verbergen bzw. zu verleugnen, über die Vorgänge in der Ukraine informiert. Und trotz Zensur ihrer Korrespondenten berichtete auch die westliche Presse (wenn auch teilweise zeitverzögert) über den Holodomor.14 Die Regierung Großbritanniens wurde durch Botschaftsberichte15 informiert und auch die britische Presse wie der Daily Telegraph oder der Manchester Guardian berichteten über den Hunger.16 In den USA schrieb William Chamberlain 1934 in seinem Werk: „Russias Iron Age“ von drei bis vier Millionen Hungertoten.17 Seine Regierung verhielt sich bis 1933 sehr zurückhaltend,18 beschloss aber im darauffolgenden Jahr im Repräsentanten-haus eine Resolution.19 Die Regierung Deutschlands wurde sehr ausführlich bspw. durch den Kiewer Konsul Hencke informiert,20 verhielt sich aber still gegenüber der Sowjetunion. Aus Polen agierte das „Zentralkomitee zur Rettung der Ukraine.21 Dieses Komitee zeichnete sich u.a. auch für die Behandlung des Holodomor vor dem Völkerbund verantwortlich.22 Eine mehr als unglückliche Rolle fällt demgegenüber Edouard Herriot, dem damaligem Premierminister Frankreichs, zu. Mit ihm und mittels der für ihn errichteten Potemkinschen Dörfer gelang es der Sowjetführung einen „Zeugen“ gegen die Hungerkatastrophe aufzubieten.23 In mehreren Werken wird explizit auf diese „Verantwortungslosigkeit“ des weithin bekannten Staatsmanns hingewiesen.24 Die französische Presse ließ sich hingegen nicht so einfach vor die sowjetische Propagandamaschinerie spannen. So er-schienen vollständige oder jedenfalls hinreichend informative Berichte über die Thematik des Holodomor bspw. in „Le Matin“.25 Ähnliche die Öffentlichkeit hinreichend informierende Berichte wurden explizit u.a. in italienischen, schweizerischen und österreichischen Tageszeitungen veröffentlicht.26

4. Bearbeitung ab Mitte/Ende der 80er Jahre

1986, in einem für die Ukraine durch die Tschernobylkatastrophe sehr fürchterlichem Jahr, veröffentlichte der britische Autor Robert Conquest sein Buch „Ernte des Todes“, welches im gleichen Jahr auch auf russisch erschien.27

Damit brach er eine Art von „Bann“, was geschichtswissenschaftliche Erscheinungen über den Holodomor betrifft (mögl. Erklärung für diese Art von „Bann“ siehe Pkt. 5. dieser Arbeit). In seinem über 400 Seiten umfassenden Werk beschreibt er, auf Basis der ihm zugänglichen Quellen, ausführlich die Protagonisten, das Zermalmen der Bauern und die Hungersnot selbst.28

1988, zwei Jahre nach diesem ersten großen wissenschaftlichen Werk, über den Holodomor, veröffentlichte Dmytro Zlepko mit seiner Dokumentation „Der ukrainische Hunger-Holocaust“ das zweite große wissenschaftliche Werk über die Thematik.29 Er stützte seine Veröffentlichung vor allem auf Bestände des Politischen Archivs im Auswärtigen Amt, Bonn.30

1990, wiederum zwei Jahre später, ermöglicht durch die fortgeschrittene Perestroika,31 erschien die erste wissenschaftliche Untersuchung der UdSSR über den Holodomor, mit Zustimmung des ZK der KPU und unter dem Titel: „Der Hunger in den Jahren 1932-1933 in der Ukraine: Aus der Sicht von Historikern, in der Sprache der Dokumente“.32 In der Folge konnte der Holodomor nicht mehr als „Hirngespinst der Vertreter der ukrainischen Diaspora“ bezeichnet werden, sondern wurde als „Faktum“ anerkannt.33

Nach diesen beschriebenen ersten Werken folgten weitere Veröffentlichungen, auch Interviews mit Zeitzeugen des Holodomor erschienen vermehrt, da nun nicht mehr aus Gründen der Angst geschwiegen wurde.34

Schließend möchte ich das Dezemberheft von 2004 aus der traditionsreichen Zeit-schriftenreihe: „Osteuropa“ erwähnen. Anhand der heutigen Quellenlage sind darin 13 Beiträge von anerkannten Historikern zum Holodomor gesammelt.

[...]


1 Rudolf A. Mark, Gerhard Simon: Die Hungersnot in der Ukraine und anderen Regionen der UdSSR 1932 und 1933. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.6.

2 vgl. Dmytro Zlepko: Der ukrainische Hunger-Holocaust. Sonnenbühl 1988, S.17, sowie: 1 S.5.

3 vgl. Rudolf A. Mark, Gerhard Simon: Die Hungersnot in der Ukraine und anderen Regionen der UdSSR 1932 und 1933. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.9.

4 vgl. Robert Conquest: Ernte des Todes. München 1988, S.373.

5 vgl. Rudolf A. Mark, Gerhard Simon: Die Hungersnot in der Ukraine und anderen Regionen der UdSSR 1932 und 1933. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.9.

6 vgl. Rudolf A. Mark: Die Hungersnot in Kazachstan. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.113

7 vgl. Rudolf A. Mark, Gerhard Simon: Die Hungersnot in der Ukraine und anderen Regionen der UdSSR 1932 und 1933. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.5.

8 vgl. Nikolaus Katzer: Brot und Herrschaft. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S. 96.

9 Direktive der Staats und Parteiorgane vom 16.02.33. Aus: Jurij Ŝapoval: Lügen und Schweigen. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.139.

10 Beschluss des Politbüros des ZK der KP(B)U vom 13.3.33. Aus: Jurij Ŝapoval: Lügen und Schweigen. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.139.

11 Reaktion des Kremls auf die Erklärung des Völkerbundes vom 30.09.33. Aus: Dmytri Zlepko: „Alles ist wunderbar“. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.199.

12 Durch Milena Rudnycka und Zenon Pelens`kyi im Auftrag des „Ukrainischen Zentralkomitee zur Rettung der Ukraine“ Aus: Dmytri Zlepko: „Alles ist wunderbar“. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.198.

13 vgl. Dmytri Zlepko: „Alles ist wunderbar“. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.199.

14 vgl. Robert Conquest: Ernte des Todes. München 1988, S.377. Sowie: Dmytri Zlepko: „Alles ist wunderbar“. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.195.

15 vgl. Robert Conquest: Ernte des Todes. München 1988, S.379.

16 vgl. Ebd., S.375.

17 William Chamberlain: Russias Iron Age. Boston 1934. Aus: Dmytri Zlepko: „Alles ist wunderbar“. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.198.

18 Bezieht sich auf die Anweisung an das State Department diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion vorzubereiten. Aus: Robert Conquest: Ernte des Todes. München 1988, S.379.

19 73rd Congress, 2nd Session, House Resolution 39a vom 28.05.34. Aus: Robert Conquest: Ernte des Todes. München 1988, S.378.

20 vgl. Dmytri Zlepko: „Alles ist wunderbar“. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.200.

21 vgl. Ebd., S.198.

22 vgl. Ebd., S.198.

23 Ebd., S.201.

24 Robert Conquest: Ernte des Todes. München 1988, S.382. Sowie vgl.: Dmytri Zlepko: „Alles ist wunderbar“. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.203.

25 Robert Conquest: Ernte des Todes. München 1988, S.375.

26 vgl. Ebd., S.375.

27 Robert Conquest: The Harvest of Sorrow. London 1986, Aus: Jurij Ŝapoval: Lügen und Schweigen. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.144.

28 vgl. Robert Conquest: Ernte des Todes. München 1988, S.5.

29 Dmytro Zlepko: Der ukrainische Hunger-Holocaust. Sonnenbühl 1988.

30 vgl. Dmytro Zlepko: Der ukrainische Hunger-Holocaust. Sonnenbühl 1988, S.3.

31 vgl. Michail Gorbatschow: Der Zerfall der Sowjetunion. München 1992.

32 Jurij Ŝapoval: Lügen und Schweigen. In: Osteuropa 12/2004, Berlin 2004, S.145.

33 Ebd., S.145.

34 vgl. Fanny Facsar: Als Stalin die Menschen zu Kannibalen machte. Interview mit: Natalia Mikitiwana Nidzelska. In: Spiegel Online 2007.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Die Genese des heutigen Holodomorbegriffs in der deutschsprachigen Literatur
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
10
Katalognummer
V489488
ISBN (eBook)
9783668964815
ISBN (Buch)
9783668964822
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Holodomor, Ukraine, Stalinismus, Völkermord
Arbeit zitieren
Kilian Norden (Autor:in), 2009, Die Genese des heutigen Holodomorbegriffs in der deutschsprachigen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/489488

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