Schulische Inklusion. Ein Vergleich der Schulsysteme von Deutschland und Schweden


Thèse de Bachelor, 2019

47 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1. Bildung

2. Inklusion
2.1 Menschen mit Behinderung
2.2 UN-Behindertenrechtskonvention
2.3 Schulische Inklusion

3. Das deutsche Schulsystem
3.1 Allgemeiner Aufbau des deutschen Schulsystems
3.2 Inklusion im deutschen Schulsystem

4. Das schwedische Schulsystem
4.1 Allgemeiner Aufbau des schwedischen Schulsystems
4.2 Inklusion im schwedischen Schulsystem

5. Vergleich der Schulsysteme von Deutschland und Schweden

Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzung sverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Die Bachelorarbeit mit dem Titel „Schulische Inklusion – ein Vergleich der Schulsysteme von Deutschland und Schweden“ wurde am Lehrstuhl für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Organisationspädagogik erstellt. Die folgende Arbeit behandelt das Thema der schulischen Inklusion im Allgemeinen. Dabei sollen im Speziellen die Schulsysteme von Deutschland und Schweden in Bezug auf Inklusion analysiert, beschrieben und verglichen werden.

Menschen mit Behinderung, ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, sollen die gleichen Chancen wie Menschen ohne Behinderung erhalten. Inklusion soll heißen, „ e in Leben mit Behinderung von Geburt an in den sozialen Regelstrukturen des Gemeinwesens (Nachbarschaft, Sportvereine, Volkshochschulen, usw.) zu verankern und zu sichern […]. “ (Hinz, Körner, Niehoff, 2008, S.21). Jeder Mensch, ob mit oder ohne Behinderung soll gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können und dürfen. Voraussetzung zur Erreichung dieses Ziels ist eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung von Menschen mit Behinderung. „ Inklusion bedeutet den Umgang mit Verschiedenheit zu lernen und die damit einhergehende Beseitigung oder Minderung von Chancenungleichheit.“ (Stähler, 2013, S.V) Jeder Mensch hat das Recht als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden. Ein weiteres wichtiges Ziel der Inklusion stellt die gemeinsame Beschulung in der allgemeinen Regelschule dar. Inklusion spielt in Deutschland und Schweden spätestens seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) 2007 eine Rolle (vgl. Biermann, Powell, 2014, S.692). Beide Länder haben sich dazu verpflichtet, ein inklusives Schulsystem zu etablieren. Kinder und Jugendliche mit Behinderung haben seitdem einen Rechtsanspruch darauf, den Unterricht an allgemeinen Regelschulen besuchen zu dürfen. Es soll eine Schule errichtet werden, die allen Kindern und Jugendlichen mit oder ohne Behinderung, gerecht werden kann und soll. „ Nicht mehr Kinder mit einer Behinderung sollen sich an das Schulsystem mit seinen oft unüberwindlichen Hürden anpassen (= Integration), sondern die Regelschule soll sich an den Bedürfnissen der jungen Menschen mit Behinderung orientieren, um Teilhabe zu ermöglichen (= Inklusion). “ (Küstermann, Eikötter, 2016, S.9) Unabhängig von schulischen Leistungen, Fähigkeiten, Bedürfnissen und Lernpotenzialen sollen gemischte Klassen entstehen. Auf diese Weise sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, jeden Menschen so zu akzeptieren und wertzuschätzen, wie er ist. Niemand soll aufgrund einer Behinderung bzw. Beeinträchtigung ausgeschlossen, sondern individuell nach Stärken und Schwächen gefördert werden. Es steht außer Frage, dass Bildung ein unumgängliches Gut darstellt und entscheidend ist für den Lebensweg eines jeden Menschen. Bildung ist maßgeblich für individuelle Lebenschancen und zählt deshalb zu den wichtigsten Aufgaben eines jeden Staates. Bildung entsteht laut Klafki durch „ d ie Förderung der Eigenständigkeit und Selbstbestimmung eines Menschen […] die durch die intensive sinnliche Aneignung und gedankliche Auseinandersetzung mit der ökonomischen, kulturellen und sozialen Lebenswelt entsteht “ (Hurrelmann, Bauer, 2015, S.15), d.h. durch die Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt. Kindern und Jugendlichen mit Behinderung soll der gleiche Zugang und die gleichen Chancen auf Bildung ermöglicht werden, wie Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung.

Im ersten Kapitel soll zunächst auf den Begriff der Bildung eingegangen werden. Dies soll der Klarstellung dienen, welches Verständnis von Bildung dieser Arbeit zugrunde liegt. Hier soll näher auf die Bildungsbegriffe von Wilhelm von Humboldt und Wolfgang Klafki eingegangen werden. Das zweite Kapitel behandelt das Thema Inklusion im Allgemeinen. Um ein besseres Verständnis darüber zu erhalten, was Inklusion eigentlich ist und wen dies überhaupt betrifft, wird im weiteren Verlauf des Kapitels auf Menschen mit Behinderung und die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) eingegangen. Im letzten Punkt des zweiten Kapitels wird dann die schulische Inklusion behandelt. Im dritten und vierten Kapitel werden jeweils die Schulsysteme von Deutschland und Schweden beschrieben. Näher wird auf den allgemeinen Aufbau der Schulsysteme und auf die schulische Inklusion in den jeweiligen Ländern eingegangen. Darauf folgt im letzten Kapitel ein Vergleich der beiden Schulsysteme in Bezug auf Inklusion und es soll die Frage „In welchem Land haben Kinder und Jugendliche mit Behinderung die besseren Chancen auf Inklusion – in Deutschland oder Schweden?“ beantwortet werden.

1. Bildung

Bildung stellt ein unumgängliches Gut dar und ist wichtig für den Lebensweg eines jeden Menschen. Außerdem ist eine solide Bildung maßgeblich für individuelle Lebenschancen und zählt deshalb zu den wichtigsten Aufgaben eines jeden Staates. Zum Begriff Bildung existieren viele verschiedene Definitionen und Theorien, da er seit über zwei Jahrhunderten Kernbestandteil der Pädagogik ist. Außerdem hat das Konzept der Bildung eine lange geisteswissenschaftliche Tradition (vgl. Hurrelmann, Bauer, 2015, S.15). In älteren pädagogischen Schriften wird unter Bildung die „ Kultivierung der verschiedenen Facetten von Menschlichkeit […], um an den in einer Gesellschaft üblichen Lebensformen teilhaben zu können “ (ebd. S.15) verstanden. Diesem Aspekt wurde in den pädagogisch-philosophischen Traditionen eine große Bedeutung zugeschrieben. Wilhelm von Humboldt (in Hurrelmann, Bauer, 2015, S.15) versteht unter Bildung „ die Herausformung innerer Werte und die Vervollkommnung der subjektiven Erlebnistiefe in Einsamkeit und Freiheit “. Heute wird Bildung oft wie folgt beschrieben: Bildung ist die „ Förderung der Eigenständigkeit und Selbstbestimmung eines Menschen “, die laut Klafki (in Hurrelmann, Bauer, 2015, S.15) „ d urch die intensive sinnliche Aneignung und gedankliche Auseinandersetzung mit der ökonomischen, kulturellen und sozialen Lebenswelt entstehen “, d.h. durch die doppelseitige Erschließung von Ich und Welt bzw. durch die Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt.

Selbstbestimmung setzt den Aufbau von Fähigkeiten der Selbststeuerung voraus, wozu der Erwerb von Wissen und Kompetenzen gehört, die ein eigenständiges Handeln in der sozialen Umwelt erlauben. “ (Hurrelmann, Bauer, 2015, S.15). Durch Bildung ist es dem Menschen möglich, sein Verhalten und Handeln zu reflektieren, dadurch wird er gegen soziale und kulturelle Funktionalisierung geschützt und sichert somit seine Individualität. Friedrich W. Kron (2009, S.66) formulierte eine Kurzfassung des Bildungsbegriffs, die als deskriptive Definition zu verstehen ist:

Unter Bildung werden unterschiedliche gesellschaftlich anerkannte Qualifikationen verstanden, die die Mitglieder einer Gesellschaft in verschiedenen Institutionen erwerben und durch die ihre Stellung in der Gesellschaft bestimmt wird.“ Demnach wird der soziale Status in der Gesellschaft durch Bildung definiert. Je besser und höher die Bildung, desto höher der soziale Status in der Gesellschaft. Diese Definition wird v.a. in der empirischen Bildungsforschung angewendet. Der Bildungstheoretiker Wilhelm von Humboldt (in Kron, 2009, S.67) hat in seinem Werk „Theorie der Bildung des Menschen“ eine Idealvorstellung von Bildung formuliert:

„ I m Mittelpunkt aller besonderen Arten der Tätigkeit nämlich steht der Mensch, der ohne alle, auf irgend etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Wert und Dauer verschaffen will. Da jedoch die bloße Kraft einen Gegenstand braucht, an dem sie sich üben, und die bloße Form, der reine Gedanke, einen Stoff, in dem sie, sich darin ausprägend, fortdauern könne, so bedarf auch der Mensch einer Welt außer sich. Daher entspringt sein Streben, den Kreis seiner Erkenntnis und seiner Wirksamkeit zu erweitern, und ohne daß er sich selbst deutlich dessen bewußt ist, dieser außer sich hervorbringt, sondern nur an seiner inneren Verbesserung und Veredelung, oder wenigstens an der Befriedigung der inneren Unruhe, die ihnen verzehrt.“

Humboldt legte zwischen 1793 und 1810 mehrere Ideen und Entwürfe zur Institutionalisierung von Bildung vor. In seinen Entwürfen soll Bildung in drei Stadien realisiert werden: sein Bildungssystem würde aus Elementarunterricht, Schulunterricht und Universitätsunterricht bestehen. Die Möglichkeit, Bildung zu realisieren, sieht Humboldt am ehesten im Gymnasium und in der Universität gegeben. Da die Elementarschule und die Realschule von der Möglichkeit der Bildung ausgenommen wären, wäre die Ungleichheit der Chancen am Zugang zu den Institutionen, in denen Bildung vermittelt wird, die Folge (vgl. Kron, 2009, S.67). Dieses Beispiel eröffnet zwei strukturelle Merkmale des Materialisierungsprozesses der Bildung: „ 1. die Institutionalisierung der Bildung in Schule und Unterricht und 2. die Vergegenständlichung von Bildung im Lehrplan “ (ebd. S.67). Auch in derzeitigen Debatten um die Reform des Bildungswesens sind diese Merkmale zu beobachten. Weiter wird im Materialisierungsprozess zwischen materialer und formaler Bildung unterschieden. Die materiale Bildung ist kanonisiertes Wissen, bei der es um die „ transportierten und abfragbaren Inhalte, die auch im Zusammenhang mit der Leistung als Produkt stehen “ geht (ebd. S.68). Bei der formalen Bildung geht es um die Aneignung von spezifischen Fertigkeiten, Verfahren und Schlüsselqualifikationen, d.h. die Sprache, Schrift, das Lernen und das Lernen des Lernens. Wolfgang Klafki hat in Hinblick auf diese Bildungstradition den Bildungsbegriff neu bestimmt. Bildung ist als ein Ganzes zu verstehen. Es besteht ein tradierter Dualismus zwischen materialen und formalen Bildungstheorien. Die formale und die materiale Bildung sind gleichwertige Aspekte der Bildung. Klafki (in Kron, 2009, S.68) bezeichnet sein Konzept als kategoriale Bildung, welche die doppelseitige Erschließung von Ich und Welt realisiert.

Diese doppelseitige Erschließung geschieht als Sichtbarwerden von allgemeinen, kategorial erhellenden Inhalten auf der objektiven Seite und als Aufgehen allgemeiner Einsichten, Erlebnisse, Erfahrungen auf der Seite des Subjekts. Anders formuliert: das Sichtbarwerden von ‚allgemeinen Inhalten‘, von kategorialen Prinzipien im paradigmatischen ‚Stoff‘, also auf der Seite der ‚Wirklichkeit‘, ist nichts anderes als das Gewinnen von ‚Kategorien‘ auf der Seite des Subjekts.“

Kategoriale Bildung bedeutet demnach, dass Menschen in der Lage sind, durch Erkenntnis geprüfte Aussagen machen zu können. Dies entsteht durch die vielfältigsten Formen des Handelns, der Interaktion des Gestaltens und der sprachlichen Darstellung. Aus diesem Prozess entsteht das Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Problemen der Welt. „ Bildung wird […] verstanden als Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung, die die Emanzipation von Fremdbestimmung voraussetzt oder einschließt, zur Freiheit eigenen Denkens und eigener moralischer Entscheidungen. “ (Klafki, 2007, S.19). Des Weiteren schreibt Klafki, dass die Grundzüge eines neuen Allgemeinbildungskonzepts den Zusammenhang dreier Grundfähigkeiten, voraussetzt. Allgemeinbildung ist ihm nach, der Zusammenhang zwischen den drei Grundfähigkeiten, nämlich der Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität (vgl. ebd. S.53).

Sie muß, wenn Bildung tatsächlich als demokratisches Bürgerrecht und als Bedingung der Selbstbestimmung anerkannt wird, Bildung für alle sein. – Dieses Bedeutungsmoment ist gegen die Festschreibung gesellschaftlich bedingter Ungleichheit der Chancen zur Entwicklung menschlicher Fähigkeiten gerichtet.“ (ebd. S.53). Der Begriff Bildung gehört zu den zentralen Begriffen der Erziehungswissenschaft. Die Heilpädagogik knüpft gleichermaßen an deren Theoriebestand an. Auch in der Heilpädagogik und Inklusiven Pädagogik gelten die gleichen pädagogischen Begriffe und Aufgaben wie für andere Bereiche der Bildungswissenschaft (vgl. Biewer, 2009, S.77). Johann Friedrich Herbart führte in seinem 1806 erschienenen Werk Allgemeine Pädagogik den Begriff der Bildsamkeit ein, „ unter dem er ein Arsenal von Kräften verstand, das erzieherisch geweckt werden konnte und sollte “ (ebd. S.78). Bildsamkeit wurde somit zur Voraussetzung für Bildungsprozesse und damit zu einem zentralen Begriff der Pädagogischen Anthropologie. Durch die Erkenntnis der Bildsamkeit von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung wurden heilpädagogische Institutionen erschaffen, welche neben Pflege und Betreuung auch Bildung als eine ihrer Aufgaben ansahen. Es sollte auch solchen Kindern die Chance auf Bildung gewährt werden, die vorher von institutionellen Bildungsangeboten ausgeschlossen wurden (vgl. Biewer, 2009, S.78).

2. Inklusion

Eine Definition von Inklusion, die widerspruchsfrei und trennscharf wäre, existiert bislang noch nicht. Viele Menschen haben eine Vorstellung von Inklusion, aber niemand scheint den Begriff präzise definieren zu können. In zahlreichen Büchern findet man pragmatische und praktische Zugänge zu Inklusion, ohne dass der Begriff dabei definiert wird (Vgl. Kuhl, Stanat, Lütje-Klose, Gresch, Pant, Prenzel, 2015, S.20).

S o denken einige Autoren bei Inklusion insbesondere an Einstellungen und Haltungen, die gegenüber Unterschiedlichkeit und Andersartigkeit von Menschen gegeben sein müssen. Anderen ist es wichtig, rechtliche Ansprüche einzuklagen. Einige Autoren stellen erforderliche Veränderungen in den Schulen in den Vordergrund, wenn sie an Inklusion denken. Andere möchten diese in einen größeren Zusammenhang eingebettet sehen und heben gesamtgesellschaftliche Veränderungserfordernisse hervor. Sie betonen die Vision einer inklusiven Gesellschaft, sehen diese jedoch durch soziale Ungleichheiten gefährdet.“ (ebd. S.20).

Andreas Hinz (in Antor, Bleidick, 2006, S.98) formuliert einige Eckpfeiler des Verständnisses von Inklusion und definiert den Ansatz der Inklusion als

„ ... allgemeinpädagogische[n] Ansatz, der auf der Basis von Bürgerrechten argumentiert, sich gegen jede gesellschaftliche Marginalisierung wendet und somit allen Menschen das gleiche volle Recht auf individuelle Entwicklung und soziale Teilhabe ungeachtet ihrer persönlichen Unterstützungsbedürfnisse zugesichert sehen will. Für den Bildungsbereich bedeutet dies einen uneingeschränkten Zugang und die unbedingte Zugehörigkeit zu allgemeinen Kindergärten und Schulen des sozialen Umfeldes, die vor der Aufgabe stehen, den individuellen Bedürfnissen aller zu entsprechen - und damit wird dem Verständnis der Inklusion entsprechend jeder Mensch als selbstverständliches Mitglied der Gemeinschaft anerkannt.

Der inklusive Ansatz setzt demnach voraus, dass sich alle Menschen in ihren jeweiligen Stärken und Schwächen voneinander unterscheiden. Inklusion soll die Zugehörigkeit und Teilhabe von Menschen mit Behinderung stärken, ihre individuellen Entfaltungsmöglichkeiten sollen sich verbessern und die persönlichen Lebensperspektiven erweitern. Menschen mit Behinderung sollen einen uneingeschränkten Zugang zu allgemeinen Bildungsinstitutionen erhalten.

Auch andere Autorinnen und Autoren versuchen den Begriff Inklusion zu definieren:

I nklusion meint, dass jedes Kind, insbesondere auch sozial benachteiligte SchülerInnen, besondere Fähigkeiten hat. Aufgabe der Schule ist es, diese besonderen Fähigkeiten und die daraus resultierenden pädagogischen Bedarfe angemessen zu berücksichtigen, damit sich alle Kinder möglichst optimal zu autonomen, selbstsicheren und mündigen Personen entwickeln können, die ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu ihrem Wohle und dem Wohle der Gemeinschaft entsprechend einbringen. (Feyerer 2012, ohne Seitenzahl) “ (Kuhl, Stanat, Lütje-Klose, Gresch, Pant, Prenzel, 2015, S.22).

Alfred Sander (in Hinz, Körner, Niehoff, 2008, S.14) hat ein Konzept entwickelt, das in fünf Stufen den Wandel des Begriffs bis hin zum aktuellen Leitbegriff der Inklusion definiert. „ Exklusion, Segregation, Integration, Inklusion, Allgemeine Pädagogik für alle Kinder.“

(1) Der Exklusionsbegriff beschreibt in diesem Phasenmodell, dass Menschen mit Behinderung von jeglichen Angeboten der Bildungs- und Erziehungssysteme ausgeschlossen werden (vgl. ebd. S.14).

(2) In der Phase der Segregation - in Deutschland vor allem von den 60er bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, aber auch heute noch relevant - werden Kinder je nach Merkmal und Qualifikation unterschiedlichen Zweigen des Bildungssystems zugeordnet. Ob Kinder den Zugang zu allgemeinen Schulformen bekommen, wird an sogenannten „ Kulturtechniken (Schreiben, Lesen, Rechnen)“ (Sander in Hinz, Körner, Niehoff, 2008, S.15) gemessen. Bei einer negativen Abweichung werden Kinder häufig in eigenständige (Sonder-) Institutionen untergebracht. Für Menschen mit Behinderung sieht in dieser Phase der Lebenslauf wie folgt aus: nach dem Sonderkindergarten folgt die Sonderschule, in der man für die Werkstatt für Menschen mit Behinderung vorbereitet wird und währenddessen in Wohnheimen für Menschen mit Behinderung wohnt (vgl. Hinz, Körner, Niehoff, 2008, S.15f).

(3) Der Begriff Integration stammt aus dem Lateinischen integratio, was so viel bedeutet wie, das Wiederherstellen einer Einheit oder eines Ganzen (vgl. Lee, 2010, S.23). Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts wurde die Integrationsbewegung vor allem von Eltern von Kindern mit Behinderung und Fachleuten der kritisch verstehenden Sonderpädagogik initiiert. Die Integrationsbewegung stellte die segregierten Systeme, vor allem die segregierten Lern- und Lebensorte in Frage. Allmählich entstand die Wahlmöglichkeit für Menschen mit Behinderung zwischen verschiedenen Lern- und Lebensorten. Nur wenig später entwickelte sich in der Integrationsphase das Selbstbestimmungsparadigma. Menschen mit Behinderung forderten ein Mitspracherecht bei Entscheidungen, die sie betrafen: „ Nichts über uns ohne uns.“ (Hinz, Körner, Niehoff, 2008, S.17). Menschen mit Behinderung vertreten heute immer häufiger ihre Interessen selbst. Die schulische Integration wird inzwischen stark kritisiert. Die Klassen werden in zwei Personengruppen, die gemeinsam in einem Klassenraum unterrichtet werden, unterschieden. Zum einen die Kinder ohne Behinderung und zum anderen die Kinder mit Behinderung. Während für die Kinder mit Behinderung die Lehrpläne der ihnen üblicherweise entsprechenden Sonderschulformen gelten, gelten für die Kinder ohne Behinderung die Lehrpläne der allgemeinen Schulformen. Diese Praxis wird sehr kritisch betrachtet. „‘ Integrationsklassen, die dem Prinzip der äußeren Differenzierung verpflichtet bleiben, (…) können schwerlich als Integration bezeichnet werden.‘ (Feuser 2002,5) Es wird also in Form und Inhalt auf Basis einer ‚Zwei-Gruppen-Theorie‘ (Boban, Hinz 2004) unterrichtet, was nicht selten ein bloßes Nebeneinander statt eines Miteinanders der Schüler(innen) mit und ohne Behinderung zur Folge hat. “ (ebd. S.19). Außerdem wird die Aufnahme in eine Integrationsklasse an Mindeststandards gemessen, was den Zutritt in integrative Gruppen für Kinder mit einer umfangreicheren Behinderung verwehrt. Trotz der Kritik ermöglicht die Integrationsbewegung Menschen mit Behinderung zwischen den unterschiedlichen Lern- und Lebensorten zu wählen. Damit werden im Vergleich zur Phase der Segregation andere Lebensläufe möglich: „ allgemeiner Kindergarten mit spezieller Förderung → allgemeine Schule mit integrativer Ausrichtung → Berufsschule mit integrativer Ausrichtung → Arbeiten mit Integrationshelfer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt → Ambulant unterstütztes Wohnen im eigenen Wohnraum “ (ebd. S.20). Monika Seifert (in Hinz, Körner, Niehoff, 2008, S.20f) stellt allerdings einschränkend fest, „ dass Menschen mit schwerer Behinderung als ‚Restgruppe‘ in den Institutionen verbleiben “. Dies nimmt Hinz (in Hinz, Körner, Niehoff, 2008, S.21) als Indiz dafür, dass unsere Gesellschaft von einer integrativen und vor allem auch inklusiven gesellschaftlichen Wirklichkeit noch weit entfernt ist.

(4) Inklusion soll heißen, „ e in Leben mit Behinderung von Geburt an in den sozialen Regelstrukturen des Gemeinwesens (Nachbarschaft, Sportvereine, Volkshochschulen, usw.) zu verankern und zu sichern […] “ (ebd. S.21). Menschen mit Behinderung sollen von Geburt an ohne Hindernisse am gesellschaftlichen Leben teilhaben können und nicht separiert oder exkludiert werden. Nach solchen zukunftsweisenden Konzepten wird heute gestrebt. Inklusion verzichtet in ihrem Konzept auf jegliches Etikettieren bestimmter Gruppen. Die Heterogenität menschlicher Gemeinschaft soll als Normalzustand aufgefasst werden.

I nklusion bemüht sich, alle Dimensionen von Heterogenität in den Blick zu bekommen und gemeinsam zu betrachten. Dabei kann es um unterschiedliche Fähigkeiten, Geschlechterrollen, ethnische Herkünfte, Nationalitäten, Erstsprachen, Rassen (etwa in den USA), soziale Milieus, Religionen und weltanschauliche Orientierung, körperliche Bedingungen oder anderes mehr gehen. Charakteristisch ist dabei, dass Inklusion sich gegen dichotome Vorstellungen wendet, die jeweils zwei Kategorien konstruieren: Deutsche und Ausländer, Männer und Frauen, Behinderte und Nichtbehinderte, Reiche und Arme usw.“ (ebd. S.33).

Spezifische Mindeststandards bestimmter Menschen mit speziellen Merkmalen, um an gesellschaftlichen Regelorten teilnehmen zu können, existieren in der Inklusion nicht. Jeder Mensch hat den Anspruch als ein vollwertiger und wertvoller Teil der Gesellschaft anerkannt zu werden.

(5) Die fünfte und letzte Stufe beschreibt die allgemeine Pädagogik, in der grundsätzlich nicht mehr zwischen bestimmten Personengruppen unterschieden wird. Die Vielfalt menschlicher Bedarfe soll als Normalfall angesehen werden. „ Inklusion geht in einer allgemeinen Pädagogik auf und ist kein eigenständiges Thema mehr.“ (Hinz und Feuser in Hinz, Körner, Niehoff, 2008, S.30).

Der Grundgedanke einer inklusiven Gesellschaft ist demnach, dass jeder Mensch mit seinen Stärken und Schwächen besonders ist und individuelle Besonderheiten keine Abweichung, sondern die Norm darstellen. „ Eine inklusive Gesellschaft stellt sich also in ihren Normen und Werten, ihren Strukturen und Prozessen auf die Einzigartigkeit jedes Einzelnen ein und entwickelt ihre Werte und Normen, ihre Strukturen und Abläufe so, dass diese den Menschen insgesamt gerecht werden.“ (Stähler, 2013, S.5). Es soll nicht mehr der Mensch an gewisse Strukturen angepasst werden, sondern die Rahmenbedingungen an den Menschen. „ Nicht mehr Kinder mit einer Behinderung sollen sich an das Schulsystem mit seinen oft unüberwindlichen Hürden anpassen (= Integration), sondern die Regelschule soll sich an den Bedürfnissen der jungen Menschen mit Behinderung orientieren, um Teilhabe zu ermöglichen (= Inklusion). “ (Küstermann, Eikötter, 2916, S.9). Segregation entsteht, wenn der Unterricht zwischen Gebäuden getrennt wird, d.h. zwischen Regelschulen und Sonder- und Förderschulen. Separation entsteht, wenn der Unterricht innerhalb eines Gebäudes getrennt wird, d.h. wenn Sonderklassen in Regelschulen angeboten werden. Inklusion stellt den gemeinsamen Unterricht dar. Zusammenfassend lassen sich vier Dimensionen von Inklusion bestimmten: „ Anerkennung, Teilhabe, Antidiskriminierung und Bildungsgerechtigkeit “ (Moser, Egger, 2017, S.26).

Die Voraussetzung für eine funktionierende Inklusion ist eine höhere gesellschaftliche Anerkennung von Menschen mit Behinderung und die dafür nötigen Maßnahmen.

In Bezug auf Inklusion ist auch immer von Teilhabe die Rede. „ Was mit dem Versprechen der Teilhabe ausgedrückt wird, ist nicht mehr und nicht weniger, als das auch ein Mensch mit Behinderung in dieser Gesellschaft existieren können soll.“ (Cechura, 2015, S.85). Menschen mit Behinderung soll durch Leistungen zur Teilhabe die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Solche Leistungen können sein: medizinische Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen, Leistungen zur Teilhabe an Bildung und Leistungen zur sozialen Teilhabe. Menschen mit Behinderung sollen ihr Leben nach ihren Fähigkeiten, Interessen, Stärken und Schwächen gestalten können. Eine Teilhabe ist dann erreicht, wenn der Mensch mit Behinderung (wieder) vollständig in das gesellschaftliche Leben eingegliedert ist (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2018).

In Bezug auf die Dimension der Antidiskriminierung hat die UN-BRK u.a. ein Diskriminierungsverbot ausgesprochen. Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung ist eine Verletzung der Menschenwürde.

Die Inklusion implementiert eine Bildungsgerechtigkeit. Allen Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, soll der gleiche Zugang zu allgemeinen Bildungsinstitutionen ermöglicht werden.

2.1 Menschen mit Behinderung

Um ein Verständnis darüber zu erhalten, um wen es bei einer Inklusion eigentlich geht, wird im folgenden Kapitel das Thema Behinderung behandelt. Es existieren verschiedene Formen von Behinderung. Eine Behinderung kann angeboren sein oder erst im Laufe des Lebens durch einen Unfall o.ä. entstehen. Sie kann physisch und/ oder psychisch bedingt sein. Die Mehrheit der Menschen erwirbt, laut Suitbert Cechura (2015, S.83), eine Behinderung erst im Laufe des Lebens (durch Unfälle, Krankheiten, o.ä.). Im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) findet man folgende Definition für Behinderung: „ Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger a ls sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. “ (Dau, Düwell, Joussen, 2011, S.60). Demnach ist ein Mensch behindert, wenn er mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigt ist. In Deutschland leben derzeit 81 Millionen Menschen und jeder achte davon hat eine Behinderung. Diese Statistik basiert auf den Behinderungen, die bei den Behörden angegeben wurden (vgl. Aktion Mensch, 2019). Mit großer Wahrscheinlichkeit sind es mehr, da nicht jeder Mensch mit einer Behinderung diese angegeben hat oder überhaupt angeben möchte (vgl. ebd.). Einige Arten von Behinderung kann man den Menschen ansehen, beispielsweise Blindheit, Taubheit oder Lähmungen. Andere Arten von Behinderung wie beispielsweise geistige oder psychische Behinderungen, Lernschwäche oder Depressionen kann man den Menschen oft nicht ansehen. Hier kommt es auf den Grad der Behinderung (GdB) an. Dieser gibt an, wie stark die Behinderung eines Menschen ist. Der GdB wird aus medizinischen Gutachten ermittelt und kann zwischen 20 und 100 variieren. Er ist in zehner Schritten gestaffelt. Bei einem GdB von 50 gilt man als schwerbehindert. Je nach Grad der Behinderung wird eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einfacher oder komplizierter. Die Definition von Behinderung ist laut Ulrich Bleidick (1998, S.12) ein „ relativer Tatbestand“ und an wird an verschiedenen Begriffen fest gemacht. Behinderung ist fast immer Folge einer Schädigung: einer frühkindlichen Hirnschädigung, einer angeborenen Gliedmaßenfehlbildung, eines Impfschadens, etc. und kann physische oder psychische Bereiche treffen. Behinderung hat immer eine individuelle und eine soziale Seite. Beispielsweise wenn ein erblindeter Mensch sich nicht mehr orientieren kann oder ein Gehörloser akustische Warnsignale nicht mehr hören kann, wenn ein Mensch aufgrund seiner Behinderung soziale Institutionen, wie allgemeine Bildungseinrichtungen nicht mehr besuchen kann. Einige Behinderungen lassen sich durch medizinische Behandlung oder pädagogische Förderung behandeln, andere leiden aber unter einem fortschreitenden Krankheitsprozess (vgl. Bleidick, 1998, S.12f).

Die o.g. Definition des SGB IX leitet sich aus der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO), ab. Die ICF ist eine Klassifikation der WHO, die 2001 formuliert wurde (vgl. Krope, Latus, Wolze, 2009, S.9). Sie „ klassifiziert den Gesundheitszustand und mit Gesundheit zusammenhängende Zustände “ (DIMDI, 2005, S.14). Die ICF löste 2001 die Internationale Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen (ICIDH) ab. Die ICIHD orientierte sich an der Schädigung (Impairment), an der Benachteiligung (Handicap) und an der Behinderung (Disability). Die ICF stellt nicht mehr die Orientierung an Defiziten dar, sondern stellt das Ziel der Teilhabe in den verschiedenen Lebensbereichen in den Vordergrund. „ Die ICF liefert eine Beschreibung von Situationen bezüglich menschlicher Funktionsfähigkeit und ihrer Beeinträchtigung und dient als Organisationsrahmen dieser Informationen. Sie strukturiert diese Informationen auf sinnvolle und leicht zugängliche Art, die auch die gegenseitigen Beziehungen berücksichtigt.“ (ebd. S.13). Sie ist in zwei Teile gegliedert, einerseits in die Funktionsfähigkeit und Behinderung, andererseits in die Kontextfaktoren. Beide Teile haben wiederum zwei Komponenten.

[...]

Fin de l'extrait de 47 pages

Résumé des informations

Titre
Schulische Inklusion. Ein Vergleich der Schulsysteme von Deutschland und Schweden
Université
Friedrich-Alexander University Erlangen-Nuremberg  (Pädagogik)
Note
2,3
Auteur
Année
2019
Pages
47
N° de catalogue
V489591
ISBN (ebook)
9783668964853
ISBN (Livre)
9783668964860
Langue
allemand
Mots clés
Pädagogik, Bachelorarbeit, Inklusion, Schulische Inklusion, Schweden, Deutschland, Schulsystem, Schulsystem Deutschland, Schulsystem Schweden, ICF, SGB IX, SPF, Sonderpädagogischer Förderbedarf, WHO, UN-BRK, UN-Behindertenrechtskonvention
Citation du texte
Isabella Schmid (Auteur), 2019, Schulische Inklusion. Ein Vergleich der Schulsysteme von Deutschland und Schweden, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/489591

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