"Tanhäusers Hofzucht'". Die mittelalterlichen Tischzuchten


Dossier / Travail, 2019

20 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Terminologie

3. Die Textgattung

4. Die Funktion

5. ,,Tannhäusers Hofzucht‘‘
5.1 Der Verfasser
5.2 Der Aufbau
5.3 Der Inhalt
5.3.1 Prolog (Strophe 1-5)
5.3.2 Tischsegen (Strophe 6-8)
5.3.3 Regeln bei Tisch (Strophe 9-47)
5.3.4 Regeln zur Haushaltung (Strophe 48-53)
5.3.5 Erziehungsregeln (Strophe 59-63)
5.3.6 Epilog (Strophe 64)
5.4 Exkurs: die höfische Esskultur als Abgrenzungsmechanismus zum Bauerntum innerhalb der ,,Tannhäuser Hofzucht‘‘

6 Der Zivilisationsprozess von N. Elias in ,,Tannhäusers Hofzucht‘‘

7 Schlussbetrachtung

8. Quellenverzeichnis

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

,,In Text- und Bildzeugnissen spielt das festliche, repräsentative Gastmahl vor allem in der höfischen Kultur als Ausdruck sozialen Ranges und Prestige eine bedeutende Rolle […].‘‘[1] Im Zusammenhang dieser Etablierung des höfischen Festes entwickelte sich die Textgattung der Tischzuchten. Aus dem 12. Jahrhundert sind uns die ersten in lateinischer Sprache bekannt, bei denen versucht wurde, den Adel zum richtigen Benehmen am Tisch zu erziehen. Sie dienten nicht nur als belehrende Literatur, sondern auch als Teil der Unterhaltung. Die ersten deutschsprachigen Tischzuchten sind aus dem 13. Jahrhundert bekannt. Mit ,,Tannhäusers Hofzucht‘‘ entwickelte sich diese Gattung erstmals zu den selbstständigen Tischzuchten.[2]

Von ,,Tannhäusers Hofzucht‘‘ sind zwei überlieferte Handschriften vorhanden. Ich werde mich auf die ältere der beiden Exemplare stützen, welche aus dem Buchinventar von Kaiser Maximilian aus Innsbruck, aus dem Jahr 1512, stammt. Sie beinhaltet 261 Verse und damit 4 Verse mehr als das andere Exemplar der Hofzucht. Außerdem repräsentiert sie einen älteren Überlieferungszeitraum.[3] Diese tirolische mittelhochdeutsche Tischzucht wurde von Kischkel ins Neuhochdeutsche transkribiert, welche aufgrund der leichteren Lesbarkeit und Verständlichkeit als meine Quellenbasis herangezogen wird.[4]

Ziel der Arbeit sind die inhaltlichen Aspekte in Bezug auf höfisches Benehmen am Tisch in der ,,Tannhäuser Hofzucht‘‘ darzustellen. Hierbei wird der Fokus vor allem auf die formulierten Vorstellungen und Erwartungen an den Adel als auch auf die durch die Esskultur unbewusste Abgrenzung vom Bauerntum gesetzt. Diese Schritte können dazu führen, dass ein Bild dafür entwickelt werden kann, welche Tischsitten im Hochmittelalter vorherrschend waren beziehungsweise welche Tischsitten gefehlt und wie sich diese weiterentwickelt haben. Dieser Vorgang wird in der Forschungsliteratur oft als Prozess der Zivilisation benannt, welcher von Norbert Elias ausgeht. Bei der Betrachtung der Entwicklung der mittelalterlichen Tischzuchten, muss stets beachtet werden, dass diese literarischen Werke durch Übertreibungen oder Negativbeispielen die Aufmerksamkeit beim Leser erzielen sollten, da sie unter anderem auch zur Unterhaltung dienten. Sie können nicht als reine Wirklichkeitsabbildung gesehen werden, da es zu Zuspitzungen und ironischen Darstellungen kommen kann.[5]

Bei der Bearbeitung dieser Thematik wird zunächst der Begriff der Tischzuchten genauer erklärt. Darauf folgen die Darstellung der Textgattung und anschließend die Ausführung der Funktion der Tischzuchten. Nachdem diese Grundlagen zur Untersuchung der Tischzuchten erläutert wurden, folgt das Kapitel zur Bearbeitung von ,,Tannhäusers Hofzucht‘‘. Hierbei wird zunächst die Verfasserschaft und der Aufbau der Hofzucht untersucht und anschließend der Inhalt dargestellt. Die inhaltliche Darstellung der Hofzucht soll als Schwerpunkt dieser Arbeit dienen und lehnt sich an Kischkels Gliederung an.[6] Folgend befindet sich ein Exkurs, welcher die höfische Esskultur als Abgrenzungsmechanismus zum Bauerntum innerhalb der ,,Tannhäuser Hofzucht‘‘ beinhaltet. Im Anschluss an der Bearbeitung von ,,Tannhäusers Hofzucht‘‘, werde ich den Zusammenhang zwischen der Hofzucht und der Zivilisationstheorie von Norbert Elias kurz erläutern. Abschließend werde ich mein Fazit in Form einer Schlussbetrachtung formulieren.

2. Die Terminologie

Das Begriffsystem der mittelhochdeutschen Tischzuchten besteht aus den zwei zentralen Begriffen ,,Zucht‘‘ und ,,Tisch‘‘. ,,Zucht‘‘ bildet in diesem Zusammenhang das Grundwort, dessen Aussage vielfältiger Natur ist. Das Mittelhochdeutsche Wort ,,zuht‘‘ steht für die Erziehung und für den Anstand[7], somit steht die ,,Zucht‘‘ sowohl für den Prozess der Erziehung als auch für das Resultat dieser Erziehung. ,,Tisch‘‘ wird als Bestimmungswort verwendet und steht hier speziell für den Esstisch beziehungsweise die Tafel. Dem Wort ,,Tischzucht‘‘ wird somit eine zweiseitige Bedeutung zugeschrieben. Zum einen zielen sie auf den Erziehungsprozess, welcher zum richtigen Benehmen leitet, und zum anderen auf das Resultat, welches durch das richtige Verhalten dargestellt wird.[8]

Die Überschrift, der in dieser Arbeit untersuchten Tischzucht, beinhaltet zu dem das Wort ,,Hofzucht‘‘. Diese Art der Tischzuchten diente im Hochmittelalter vor allem dem weltlichen und geistlichen Adel als auch der Ritterschaft. Hier erfolgt eine inhaltliche und zweckgerichtete Differenzierung der Tischzuchten, welche zusätzlich das höfische Benehmen und die dafür notwendige Erziehung beinhaltet und nicht nur auf das Benehmen bei Tisch zielt.[9] Ein Teil dieser Tischzuchten ist auch durch die Abgrenzung des Bauerntums charakterisiert. Dabei zielte der Adel auf eine Manifestierung des Anspruches seiner Überlegenheit gegenüber dem Bauerntum. Aus diesem Grund können Tischzuchten oder Hofzuchten richtungsweisende und zweckgerichtete Aussagen beinhalten, wodurch die Quellen nicht optimal zur Auswertung von realen Gegebenheiten dienen.[10] Die Überschrift ,,Tannhäusers Hofzucht‘‘ ist insofern irreführend, dass der Zweck dieser Hofzucht auf das richtige Verhalten bei Tisch zielte und daher eher von einer Tischzucht als von einer Hofzucht gesprochen wird.[11]

Die Tischzuchten verkörpern dementsprechend die Gattung der didaktischen Dichtungen. Während lateinische Tischzuchten bereits im 12. Jahrhundert entstanden sind, gehen die deutschsprachigen Tischzuchten auf das 13. Jahrhundert zurück. Grundsätzlich wird hierbei zwischen selbständigen und unselbständigen Tischzuchten unterschieden.[12]

3. Die Textgattung

Die Textgattung der Tischzuchten gehört zusammen mit den Fabeln zu den didaktischen Werken. Die lehrhafte Tendenz der Tischzuchten konnte dadurch das Ideologem des Volkes beeinflussen und suggerieren. Diese didaktischen Dichtungen zielten auf die Belehrung und die Unterweisung im richtigen Verhalten am Tisch. Das gute Benehmen wird vor allem in sozial höher stehenden Gesellschaften erwartet, während in sozial niedrigeren Schichten das höfische Benehmen fast als unnötig galt. Die Didaktik stellt in diesem Zusammenhang die Literatur der aufstrebenden Gesellschaftsschicht dar. Vor allem war diese Art der Dichtungen für die richtige Erziehung der Hofkinder gedacht.[13]

Die Tischzuchten sind vorwiegend in gereimter Versform vorfindbar. Besonderheiten bei dieser didaktischen Literatur stellen die ästhetischen Gestaltungsmittel und Inszenierungsformen dar, die in dieser Form hauptsächlich der nicht didaktischen Literatur dienten. Somit gelten Tischzuchten nicht als allgemein gültiges und demonstrativ literarisches Werk. Der Unterschied zu einem fiktiven Werk ist insofern vorhanden, ,,als sie nicht tendenzfrei und nicht interessenlos sind, sondern gegenüber den Rezipienten Einfluss auf die Verwirklichung ihrer Inhalte ausüben‘‘[14]. Ihr einschlägiges Merkmal sind ihre künstlerischen Gestaltungsformen, mit dessen sie sich von anderen Werken unterscheiden lässt.

Für das richtige höfische Benehmen gab es vor der Entstehung der Tischzuchten keine spezifischen Merkmale. Sie stellen in diesem Zusammenhang unmissverständliche Anweisungen dar, welche durch Ge- und Verbote beschrieben wurden. Innerhalb dieser Vorschriften befinden sich konkrete Gattungsmerkmale didaktischer Werke, welche einen Kontrast zu den wirklichen Begebenheiten darstellen. Schulz erläutert hierbei vier Merkmale: ,,Darstellung des Negativen und laudatio temporis acti, Verallgemeinerung und Typisierung, Übertreibung und Kontrast, Komik und Groteske‘‘[15]. Unter diesen Merkmalen gelingt es den Tischzuchten einen gewissen Unterhaltungswert aufzustellen und ihre Lebendigkeit zu vermitteln, allerdings verändern sie dadurch das Urteil des Lesers auf die tatsächlichen Zustände. Aus diesem Grund können Tischzuchten nicht als Quellen, die Realitäten in Bezug auf das soziale Miteinander bei Tisch beschreiben, verwendet werden, sondern um die erwarteten Verhaltensnormen zu untersuchen.[16]

4. Die Funktion

Die Tischzuchten dienten zur Belehrung für das korrekte Verhalten bei Tisch und für den Prozess der Erziehung bzw. für die Anweisung zu dem erwarteten Verhalten. Der Funktion werden bestimmte Aufgabenbereiche ,,des aufmerksamen und korrekten Gastgebers und besonders das gewünschte Verhalten eines vornehmen Teilnehmerkreises an höfischen Mählern‘‘[17] auferlegt. Die darin vorhandenen Verhaltensanweisungen variieren sehr stark. Zum einen werden medizinische und hygienische Ratschläge gegeben, aber auch die Rücksichtnahme auf Andere und die damit verbundene Förderung der Atmosphäre oder Aspekte wie beispielsweise die Selbstbeherrschung und das äußere Erscheinungsbild werden thematisiert.[18] Aufgrund der unterschiedlichen Inhalte ist auch die Funktion nicht eindeutig bestimmbar. Die Rahmenbedingungen der Tischzuchten spielen dabei ebenfalls eine große Rolle. Der soziale Stand des Adressaten sowie der Auftragungsort bzw. die Art der Vermittlung können somit einen entscheidenden Faktor bei der Funktion darstellen. Sie müssen nicht nur ausschließlich der Belehrung und Unterweisung dienen, sondern können auch der Selbstdarstellung nützen oder eine Distanzhaltung zum Gegenstand aufbauen.[19]

Eine weitere Funktion der Tischzucht ist die soziale Abspaltung vom Bürgertum, um bestimmte Überlegenheitsgefühle des Adels gegenüber den Bauern zu repräsentieren und zu fokussieren. Nicht selten bedienen sich die Tischzuchten negativer Beispiele des menschlichen Verhaltens, welche auf das Bauerntum projiziert wurden. Damit wird den Lesern Platz gewährt, das Unvollkommene des Menschen zu erfahren, welches ihnen bereits selbst bekannt ist. Die beschriebenen Gegenstände des Fehlverhaltens sind so realistisch und wirklichkeitsnah, weil die zu erwartenden vorbildlichen Darstellungen in einer derartigen signifikanten Diskrepanz zur Realität stehen. Bei diesem Bewusstwerden einer peinlichen Situation oder einer Normwidrigkeit wird bei den Tischzuchten die Möglichkeit gegeben, sich dieser Situation durch Distanz zu entziehen. Dabei kann zum Beispiel das Lachen zu dieser Abstandhaltung führen. ,,Deshalb ist es nach wie vor fragwürdig, die lebensnah scheinenden Darstellungen von Verhaltensweisen in den Tischzuchten mit Bewertung zu deren Aussagekraft als ,Realien‘ zu koppeln.‘‘[20] Die Tischzuchten dienten vor allem der Erziehung, können aber auch als Abgrenzungs-mechanismus oder zur Unterhaltung durch Negativbeispiele nützlich gewesen sein.[21]

[...]


[1] Klaus Düwel, Eßsitten, in: Heinrich Beck/ Herbert Jankuhn/ Kurt Ranke/ Reinhard Wenskus (Hgg.), Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Siebenter Band. Einfache Formen – Eugippius, Berlin 1989, S. 579.

[2] Vgl. Rüdiger Schnell, Tischzuchten, in: Werner Paravicini (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch. Teilband zwei, Stuttgart 2007, S. 615-634, S. 618.

[3] Vgl. Andreas Winkler, Selbstständige deutsche Tischzuchten des Mittelalters. Texte und Studien, unv. Diss, Universität Marburg/Lahn 1982, S. 27f.

[4] Für die Transkibierung von ,,Tanhäusers Hofzucht‘‘ siehe Anhang A oder Heinz Kischkel, Tannhäusers heimliche Trauer. Über die Bedingungen von Rationalität und Subjektivität im Mittelalter, Tübingen 1998, S. 300-315.

[5] Vgl. Anne Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000-1300). Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen, Berlin/Bosten 2011, S.121f.

[6] Vgl. Kischkel 1998, S. 54.

[7] Vgl. Rüdiger 2007, S. 615.

[8] Vgl. Winkler 1982, S. 3.

[9] Vgl. Ebd., S. 3.

[10] Vgl. Schulz 2011, S: 121f.

[11] Vgl. Gustav Bebermeyer, Hofzucht, in: Werner Kohlschmidt / Wolfgang Mohr (Hgg.), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Berlin und New York 2001, S. 689-691, S. 690.

[12] Vgl. Dieter Harmening, Tischzuchten, in: Kurt Ruh, Burghart Wachinger (Hgg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 9. Schlecht, Reinbold – Ulrich von Liechtenstein, Berlin/New York 1995, S. 941-947, S. 941.

[13] Vgl. Thomas Perry Thornton (Hg.), Höfische Tischzuchten, in: Wolfgang Stammler, Ernst A. Philippson (Hgg.), Texte des späten Mittelalters. Heft 4, Berlin 1957, S. 7-10.

[14] Winkler 1982, S. 4-5.

[15] Schulz 2011, S. 122.

[16] Vgl. Ebd., S. 122f.

[17] Schulz 2011, S. 113.

[18] Vgl. Schnell 2007, S. 615.

[19] Vgl. Ebd., S. 622.

[20] Schulz 2011,S. 124f.

[21] Vgl. Ebd., S. 124.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
"Tanhäusers Hofzucht'". Die mittelalterlichen Tischzuchten
Université
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Cours
Epochenseminar ,,Kulturgeschichte der Ernährung im Mittelalter''
Note
1,3
Auteur
Année
2019
Pages
20
N° de catalogue
V492475
ISBN (ebook)
9783668988194
ISBN (Livre)
9783668988200
Langue
allemand
Mots clés
Mittelalter, Ernährung im Mittelalter, Tischzuchte, Tannhäuser, Norber Elias
Citation du texte
Sophie Schönherr (Auteur), 2019, "Tanhäusers Hofzucht'". Die mittelalterlichen Tischzuchten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/492475

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