Lösungsmöglichkeiten zur Reform der Altersvorsorge in der Schweiz

Das Schweizer Vorsorgesystem und andere Rentensysteme im internationalen Vergleich


Tesis de Máster, 2018

100 Páginas, Calificación: 5.0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichte der Sozialversicherungen in der Schweiz
2.1 Die soziale Sicherheit vor dem 1. Weltkrieg
2.2 Die Sozialpolitik in der Zwischenkriegszeit
2.3 Der Ausbau des schweizerischen Sozialstaates nach dem 2. Weltkrieg

3 Das Schweizer Vorsorgesystem
3.1 Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
3.2 Die berufliche Vorsorge (bV)
3.3 Die private Vorsorge

4 Ablehnung AV2020

5 Rentensysteme im internationalen Vergleich
5.1 Dänemark
5.2 Schweden
5.3 Niederlande
5.4 Kanada

6 Lösungsmöglichkeiten
6.1 International getroffene Massnahmen im Überblick
6.2 Modelle von Schaltegger et al. (2012)
6.3 Empfehlungen vom Schweizerischen Arbeitgeberverband
6.4 Standpunkt von Travail.Suisse
6.5 Der AHV-Diskurs nach der Abstimmung vom September

7 Schlussfolgerungen

8 Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Die Altersvorsorge in der Schweiz

2 Kumulierter finanzieller Überschuss 1948 - 2016

3 Einnahmen der AHV für das Jahr 2017

4 Ausgaben der AHV für das Jahr 2017

5 Umlageergebnis der AHV in Prozent des BIP

6 Ausgaben und Einnahmen der AHV nach geltender Ordnung in Millionen Franken zu Preisen von 2013

7 Fondsstand der AHV in Prozent des BIP

8 Beobachtete und extrapolierte Restlebenserwartung der Männer und Frauen mit Alter 65 nach dem mittleren Szenario des BFS

9 Entwicklung der Lebendgeburten seit 1948

10 Entwicklung der ständigen Wohnbevölkerung bei den wichtigsten Altersgruppen gemäss dem Referenzszenario A-00-2015 (mittleres Szenario)

11 Beobachtete Anzahl Aktive und Rentner, beobachtete Altersquotient 1980-2012 und Extrapolation nach dem mittleren Szenario

12 Einnahmen der bV für das Jahr 2015

13 Ausgaben der bV für das Jahr 2015

14 Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben in der bV

15 Rechenbeispiel von Michael Ferber

16 Rentensystem in Dänemark

17 Rentensystem in Schweden

18 Rentensystem in den Niederlanden (Cappuccino-Modell)

19 Rentensystem in Kanada

20 Enge Koppelung zwischen effektivem und gesetzlichem Rentenalter der Frauen

21 Entwicklung der Lohnbeiträge in % des Bruttolohnes bis 2030 - Modell I

22 Entwicklung des gesetzlichen Rentenalters der Männer bis 2030 - Modell I

23 Entwicklung der realen Renten bis 2030, indexiert (2018=100) - Modell II

24 Entwicklung des Mehrwertsteuersatzes bis 2030 - Modell II

25 Schematische Darstellung der Funktionsweise des Modells III

26 Entwicklung des gesetzlichen Rentenalters bis 2030 - Model III

27 Entwicklung des Mehrwertsteuersatzes bis 2030 - Modell III

28 Ausgabenentwicklung der AHV ohne und mit A2020 (in Mrd. CHF)

Tabellenverzeichnis

1 Vergleich Beveridge- und Bismarcksystem

2 Veränderung der Hypothesen des mittleren Szenarios zur Bestimmung der unteren und oberen Bandbreite

3 Aktuelle Beiträge der BVG

4 ATP - Beiträge ab 1. Januar

5 Europa passt das Rentenalter der steigenden Lebenserwartung an

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die demografische Struktur der Gesellschaft hierzulande hat sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert. Die Lebenserwartung sowohl der Männer wie auch der Frauen ist stetig gestiegen, was auch heisst, dass sich die Anzahl der Rentner relativ zur Gesamtbevölkerung deutlich erhöht hat. Um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, wurden in der Vergangenheit einige Reformvorlagen für das schweizerische Vorsorgesystem entworfen, welche aber keine Zustimmung fanden. Seit der 10. AHV-Revision im Jahre 1997 scheiterten alle grossen Reformvorlagen der 1. Säule entweder schon im Parlament oder spätestens an der Urne. Durch die bereits erwähnte Bevölkerungsentwicklung und dem Heranrücken der 2020er Jahre, wo die sogenannten «Babyboomer» in Pension gehen werden, ist die finanzielle Situation der AHV seit Jahren stark wachsendem Druck ausgesetzt.

Auch bei der 2. Säule, dem BVG, datiert die letzte Reform aus dem Jahr 2004. Dabei besteht auch dort aufgrund der alternden Gesellschaft und dem Tiefzinsumfeld grosser Reformbedarf. Im Rahmen der vom Bundesrat vorgeschlagenen Reformvorlage «Bundesgesetz über die Reform der Altersvorsorge» (AV2020), welche beide Säulen gleichzeitig zu reformieren beabsichtigte und letztlich in der Volksabstimmung vom September 2017 scheiterte, wurde das Thema in den vergangenen zwei Jahren heftig diskutiert, was nicht zuletzt auch beim Volk das Interesse an aber gleichzeitig auch die Besorgnis um das hiesige Altersvorsorge-System weckte. Dies stellte man beispielsweise in einer Befragung des Forschungsinstituts gfs.bern im Auftrag der Credit Suisse fest, welche im Dezember 2017 veröffentlicht wurde. Darin wird die Altersvorsorge zusammen mit der Arbeitslosigkeit als grösste Sorge erwähnt, gefolgt von Ausländerthemen und Gesundheit bzw. Krankenkassen (gfs.bern 2017: 15).

Trotz der breiten Erkenntnis, dass es eine Reform der Altersvorsorge braucht, wurde die AV2020 aus verschiedenen Gründen, auf die später in dieser Arbeit vertieft eingegangen wird, am 24. September 2017 vom Volk abgelehnt. Auf der anderen Seite ist sowohl den damaligen Gegnern der Vorlage wie auch den Befürwortern klar, dass je länger die nächste Reform verzögert wird, desto mehr sich die Probleme bei der Finanzierung der Altersvorsorge verstärken.

Es besteht grosser Bedarf, mehrheitsfähige Reformvorlagen sowohl für die AHV wie auch für die BVG zu entwickeln. Ziel der vorliegenden Arbeit ist denn auch, verschiedene Lösungsmöglichkeiten zur Reform der Altersvorsorge in der Schweiz zu analysieren und dabei insbesondere ihre Umsetzbarkeit zu beurteilen.

Bevor mögliche Lösungskonzepte vorgestellt werden, wird in den Kapiteln 2 und 3 das Schweizer Vorsorgesystem detailliert vorgestellt und erklärt. Für dessen historische Entwicklung wird vor allem auf die Webseite geschichtedersozialensicherheit.ch, welche im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) entstanden ist, zurückgegriffen (Germann et al. 2016). Auch für die Erklärung des 3-Säulen Modells werden vielfach die offiziellen Webseiten der entsprechenden Versicherungen angeschaut, vor allem um die aktuellsten Informationen bekannt zu geben (ahv-iv.ch; bsv.admin.ch). Ebenfalls werden die Gesetzesverordnungen als Referenz beigezogen (AHVG, BV, BVG, BVV 2, BVV 3, FZG). Die Daten stammen meistens vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) und dem Bundesamt für Statistik (BFS), entweder online oder aus gedruckten, publizierten Studien und Statistiken.

Aus diesen zwei Kapiteln sollte das System, die darin bestehenden Interdependenzen sowie die entsprechenden Herausforderungen gut verständlich sein. In Kapitel 4 werden die vorgeschlagenen Massnahmen der AV2020 sowie die Gründe für deren Ablehnung näher beleuchtet, was eine gute Überleitung zu den verschiedenen Lösungsansätzen ermöglicht.

Kapitel 5 gibt einen Überblick zu den Rentensystemen von Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Kanada. Das Kapitel 6 beginnt mit einer Zusammenfassung der international getroffenen Massnahmen, um dann drei für die Schweiz entwickelte Modelle im Detail zu betrachten. Im zweiten Teil des Kapitels 6 werden zudem weitere Empfehlungen der Sozialpartner erläutert, sowie die aktuelle Debatte im Schweizer Parlament und in den Medien bezüglich der Altersvorsorge chronologisch geschildert.

Für das Erarbeiten der Kapitel 4, 5 und 6 wurde eine Kombination von klassischer Quellenforschung und einem qualitativen Interview mit einem Experten dieses Bereichs, Herrn Martin Kaiser, Ressortleiter Sozialpolitik und Mitglied der Geschäftsleitung beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, gewählt. Das Kapitel 7 fasst schliesslich die Schlussfolgerungen zusammen.

2 Geschichte der Sozialversicherungen in der Schweiz

Das heute etablierte Schweizer Vorsorgesystem ist ein Ergebnis des sozialpolitischen Diskurses seit der Gründung des Bundestaates im Jahre 1848. Denn auch wenn das bekannte Drei-Säulen-System erst seit dem Jahr 1972 in der Bundesverfassung verankert ist, resultierte es aus einem politischen Prozess, der weitaus älter ist.

Strukturelle Veränderungen in der Schweiz, entscheidende historische Momente sowie sozialpolitische Veränderungen im Ausland hatten dabei einen grossen Einfluss auf die Entstehung und Ausgestaltung der schweizerischen Sozialversicherungen. Schliesslich wurde die Schweiz mit dem Drei-Säulen-Prinzip zum Vorbild für viele andere Industrieländer.

Man sollte das Schweizer Vorsorgesystem auch nicht isoliert von anderen Versicherungssystemen betrachten, bestehen doch unter den verschiedenen Systemen beträchtliche Interdependenzen. Deshalb gibt dieses Kapitel einen Überblick über die Entwicklung der schweizerischen Sozialpolitik insgesamt.

Diese Zusammenhänge sind einerseits wichtig, um das System besser verstehen zu können und andererseits, um pragmatische Lösungsansätze zu präsentieren. Es werden deshalb mehrere Versicherungen kurz thematisiert, der Fokus des Kapitels bleibt aber auf der Entwicklung der Altersvorsorge.

2.1 Die soziale Sicherheit vor dem 1. Weltkrieg

Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und dem damit verbundenen Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft entstanden neue gesellschaftliche und arbeitspolitische Herausforderungen. Während neue Arbeitsformen wie die Fabrikarbeit wichtiger wurden, verloren Landbesitz und eigene Nahrungsmittelproduktion an Bedeutung (Mani 2012: 5).

So zogen immer mehr Menschen vom Land in die Stadt und arbeiteten gegen Entlöhnung. Aufgrund der mangelnden sozialen Absicherung genügte jedoch bereits ein kleiner Unterbruch in der Erwerbsfähigkeit in Folge von Unfall oder Krankheit, um eine Familie in grosse finanzielle und soziale Nöte zu bringen. Die damit einhergehende Armut als Massenerscheinung bezeichnete man auch als Pauperismus (Degen 2006:20).

Durch die zunehmende Verstädterung und Mobilität vergrösserten sich nach und nach auch die Distanzen der Arbeitnehmer zur Familie, was deren Rolle als soziales Auffangnetz schwächte (Galasso und Profeta 2010: 3). Als alternatives Sicherheitsnetz entstanden die «gegenseitigen Hilfsgesellschaften». Mitglieder dieser Gesellschaften erhielten bei Krankheit oder auch sonstiger Notlage bescheidene Leistungen. Finanziert wurden diese durch Mitgliederbeiträge (Degen 2006: 24).

Von diesen strukturellen Veränderungen waren alle Industrieländer geprägt. In Deutschland setzte sich vor allem die Sozialdemokratische Partei für die Rechte der Arbeiter ein. Da jedoch der im Jahr 1871 zum Kanzler ernannte Otto von Bismarck die sozialistische Bewegung als eine Gefahr für das Kaiserreich sah, verbot er im Jahr 1878 alle Vereine der Sozialisten (Zeltner 2015: 12).

Um die Arbeiterklasse besser ins Reich zu integrieren, kündigte Otto von Bismarck am 17.11.1881 die Einführung von Sozialversicherungen an: «Schon im Februar d.J. haben wir unsere Überzeugung aussprechen lassen, dass die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschliesslich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmässig auf dem der positiven Förderung des Wohls der Arbeiter zu suchen sein werde.» (Zeltner 2015: 12)

Im Jahr 1883 wurde in Deutschland die Krankenversicherung eingeführt, im Jahr 1884 die Unfallversicherung und im Jahr 1889 die Invaliditäts- und Altersversicherung (Zeltner 2015: 12). Die Einführung dieser Versicherungen hatte einen grossen Einfluss auf die Sozialversicherungen weltweit. Auch heute macht man bei den Sozialversicherungen eine Klassifizierung zwischen dem Bismarck-System und dem Beveridge-System, welches im Jahr 1942 in England eingeführt wurde.

Die wichtigsten Unterschiede der beiden Systeme sind die Folgenden:

Tabelle1: Vergleich Beveridge- und Bismarcksystem

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Rohwer 2008, eigene Darstellung.

Die Einführung der Sozialversicherungen in Deutschland prägte natürlich auch die sozialpolitische Debatte in der Schweiz. Bernard Degen spricht in diesem Zusammenhang von einer « sozialpolitischen Neuorientierung » (Degen 2006: 24).

So wurde hierzulande der linke Flügel gestärkt und die sozialpolitischen Themen wurden konkreter. Im Juni 1890 wurde in der Schweiz schliesslich der erste Verfassungsartikel zur Sozialversicherung verabschiedet (Art. 34bis), welcher dem Bund die Kompetenz übertrug, eine Kranken- und Unfallversicherung einzurichten. Dieser wurde in der Volksabstimmung vom 26. Oktober 1890 klar angenommen (Germann et al. 2016: 7).

Davor waren einerseits private Institutionen wie die bereits erwähnten Hilfsgesellschaften sowie andererseits die jeweiligen Heimatgemeinden für die Bedürftigen zuständig. In diesem Rahmen war das Fürsorgeprinzip1 auf kantonaler Ebene bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts organisiert und institutionalisiert worden (Degen 2006: 20).

Im Oktober 1899 verabschiedete das Parlament schliesslich die erste Vorlage «Bundesgesetz betreffend die Kranken- und Unfallversicherung» (KUVG), welche aber am 20. Mai 1900 vom Schweizer Stimmvolk mit 70% Nein-Stimmen klar abgelehnt wurde (Germann et al. 2016: 11).

Es führten wohl verschiedene Gründe dazu, dass das Volk die Vorlage ablehnte. Laut Gian Claudio Mani war das liberale Staatsverständnis der wichtigste Grund, eine bundestaatliche Regelung abzulehnen. Die jahrzehntelangen Kriege hatten seiner Meinung nach dazu geführt, dass niemand dem Staat zu viel Macht zugestehen wollte (Mani 2012: 5).

Jedoch herrschte ein breiter Konsens über die Notwendigkeit einer Militärversicherung. So verabschiedete das Parlament im Jahr 1901 das «Bundesgesetz betreffend Versicherung der Militärpersonen gegen Krankheit und Unfall», welches unbestritten war und im Jahr 1902 in Kraft trat (Germann et al. 2016: 12).

2.2 Die Sozialpolitik in der Zwischenkriegszeit

Der Ausbau der schweizerischen Sozialpolitik wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer konkreter. Mit der Einrichtung des Bundesamts für Sozialversicherung (BSV) im Jahr 1913, welches für die Ausarbeitung der verschiedenen Versicherungszweige zuständig war, wurden die Weichen für die Weiterentwicklung des Sozialversicherungssystems in der Schweiz gestellt (Germann et al. 2016: 14).

Im KUVG wurde der Teil der Krankenversicherung überarbeitet und auf eine Subventionsregelung verringert. Die darin erhaltene Unfallversicherung wurde auf ein Teil-Obligatorium reduziert. Die am 4. Februar 1912 angenommene Vorlage trat im Jahr 1914 in Kraft. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) nahm ihre Tätigkeit im Frühling 1918 in Luzern auf (Germann et al. 2016: 13).

Die Diskussion über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) war jedoch komplexer. Einerseits existierte eine politische Bewegung, welche die Familienpolitik als Alternative zu Altersversicherungen präsentierte. Sie plädierte für ein Familienfürsorgeprinzip, welches das familiäre Umfeld in die Fürsorgepflicht nehmen wollte, und bekämpfte deshalb aus prinzipiellen Gründen eine Versicherungslösung (Degen 2006: 32). Andererseits wurde die AHV auch von den Hilfsgesellschaften abgelehnt, welche die Gründung einer Altersversicherung als Konkurrenz sahen (Degen 2006: 25).

Die Situation änderte sich jedoch mit dem 1. Weltkrieg. Die politische Linke gewann an Einfluss, vor allem auch durch die Einführung des Proporzwahlrechts. So erhielt die Sozialdemokratische Partei (SP) im Nationalrat 26 Sitze mehr und wurde somit von 41 Abgeordneten vertreten. Ebenfalls an Bedeutung gewann der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), welcher im Jahr 1919 mit über 220'000 Arbeitnehmern mehr als doppelt so viele Mitglieder zählte wie vor dem Krieg (Degen 2006: 29).

Ende 1925 wurde vom Schweizer Parlament eine Vorlage verabschiedet, welche den Bund beauftragte, ein «Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung» zu erarbeiten. Dieses wurde in seiner ersten Version jedoch in der Volksabstimmung vom 6. Dezember 1931 mit 60 Prozent Nein-Stimmen deutlich abgelehnt (Germann et al. 2016: 19).

Anders sah es auf Seite der Pensionskassen aus. Diese wurden in ihrer Entwicklung durch die fehlende staatliche Regelung begünstigt und erfreuten sich steigender Beliebtheit. Zudem wurden Erwerbstätige durch steuerliche Erleichterungen dazu ermuntert, sich einer Pensionskasse anzuschliessen. Die Zahl der Versicherten nahm denn auch deutlich zu. Im öffentlichen Dienst hatten im Jahr 1941 fast 60% der Erwerbstätigen eine berufliche Vorsorge, während im Jahr 1920 nur etwa 38% einer Pensionskasse angeschlossen waren. Im Privatsektor war der Anteil der Versicherten kleiner. Jedoch stieg auch dort nach dem 1. Weltkrieg der Anteil der Versicherten von 7% auf 16% (Degen 2006: 30).

Ein anderer Versicherungszweig, der in der Zwischenkriegszeit an Bedeutung gewann, war die Arbeitslosenversicherung. Denn nach dem 1. Weltkrieg herrschte Massenarbeitslosigkeit und kaum hatte sich die Lage gebessert, führte die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre erneut zu Wirtschaftsschwäche und Massenarbeitslosigkeit (Degen 2006: 31).

Diese Krisen führten schliesslich zur Gründung verschiedener Fonds und Arbeitslosenkassen, welche zunächst von gemeinnützigen Organisationen sowie Gemeinden und Kantone finanziert wurden. Bereits während dem 1. Weltkrieg übernahm der Bund jedoch einen Viertel der Ausgaben. Im Januar 1919 erhöhte der Bund diese Finanzierung auf einen Drittel aller ausgezahlten Taggelder. Im Jahr 1924 trat schliesslich das «Bundesgesetz über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung» in Kraft. Darin verpflichtete sich der Bund, 40% der Taggelder von öffentlich verwalteten Kassen zu übernehmen (Degen 2006: 31).

Die Krisen, welche der 1. Weltkrieg mit sich gebracht hatte, wollte die Schweizer Politik im 2. Weltkrieg vermeiden, weshalb bereits im Dezember 1939 die «provisorische Regelung der Lohnausfallentschädigungen an aktivdiensttuende Arbeitnehmer» eingeführt wurde, welche den Soldaten bzw. ihren Familien ein gewisses Einkommen garantierte. Diese Leistungen wurden zur Hälfte vom Bund und zur anderen Hälfte paritätisch aus Lohnbeiträgen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert (Degen 2006: 33).

Um den Ausgleich zwischen Aktivdienstleistenden und Arbeitnehmern zu regeln, entstand am 20. Dezember 1939 ein Ausgleichsfonds, womit ein wichtiger Grundstein für die spätere Schaffung der AHV gelegt worden war. Im Juni 1940 wurde dieser Sozialzweig umbenannt in «Lohn- und Verdienstersatzordnung» (LVEO) (Germann et al. 2016: 23).

Auch im internationalen Umfeld zog man die Lehren aus dem 1. Weltkrieg und wollte im 2. Weltkrieg einerseits soziale Auseinandersetzungen vermeiden, andererseits aber auch den späteren wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen. Grosse Bedeutung gewann in diesem Zusammenhang das Sozialversicherungsmodell von William Beveridge, der Beveridge-Plan, welcher im Jahr 1941/42 im Auftrag der britischen Regierung entwickelt wurde.

Gemäss Hans Zeltner umfasst der Beveridge-Plan folgende drei grossen Zielsetzungen:

1. Nationaler Gesundheitsdienst
2. Gewährung der Existenzgrundlagen durch ein geschlossenes, umfassendes Sozialversicherungssystem
3. Beseitigung der Ursachen der Arbeitslosigkeit durch eine Politik der Vollbeschäftigung. (Zeltner 2015: 14)

Wie bereits erwähnt war der Beveridge-Plan, anders als das bismarcksche Sozialversicherungsmodell, auf die gesamte Bevölkerung ausgerichtet. Finanziert wurden die Leistungen einerseits aus Versichertenbeiträgen und andererseits aus Steuergeldern (Rohwer 2008: 26).

Der Beveridge-Plan hatte weltweit grossen Einfluss. Auch in der Schweiz prägte er die sozialpolitische Debatte. So beschriebt Professor Alfred Maurer den Einfluss des Beveridge-Plans auf die Schweiz:

Auch in der Schweiz wurde der Beveridge-Plan sehr stark beachtet und im Allgemeinen mit grosser Sympathie beurteilt. Der Bundesrat beauftragte rasch das Bundesamt für Sozialversicherung mit einer gründlichen Prüfung des Dokuments. Die Untersuchung, die zusammen mit der SUVA vorgenommen wurde, ergab die Unmöglichkeit, in der Schweiz ein System der globalen Sozialen Sicherheit zu realisieren. Insbesondere föderalistische und referendumspolitische Gesichtspunkte sprachen gegen einen Gesamtplan. Dagegen erschien der Ausbau unserer Sozialgesetzgebung durch verschiedene Einzelmassnahmen in der Richtung von Beveridge als zweckmässig. Insbesondere dürften z.B. die Ideen der Volksversicherung in der AHV/IV, der Ehepaarrenten in diesen beiden Zweigen von Beveridge übernommen worden sein. Hingegen vermochte seine Auffassung vom Allgemeinen Gesundheitsdienst in der Schweiz kaum Fuss zu fassen. (Zeltner 2015: 15)

2.3 Der Ausbau des schweizerischen Sozialstaates nach dem 2. Weltkrieg

Ein Meilenstein in der Entwicklung der Schweizerischen Sozialgesetzgebung war sicherlich die Annahme des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) in der Volksabstimmung des 6. Juli 1947. Das entsprechende Gesetz trat am 1. Januar 1948 in Kraft. Das darin festgehaltene Rentenalter war sowohl für Frauen wie auch für Männer bei 65 Jahren (Zeltner 2015: 130-131).

Obwohl die Renten zunächst relativ bescheiden waren, wurden mit dem Gesetz die sozialpolitischen Weichen für einen weiteren Ausbau gestellt (Degen 2006: 35). Bei der Einführung der AHV betrug die Minimalrente noch 40 Franken. In den nächsten 25 Jahren erfolgten jedoch sieben Gesetzesrevisionen und die Renten wurden mehr als verfünffacht (Zeltner 2015: 130). Im Zuge dieser Revisionen wurde auch das Rentenalter der Frauen herabgesetzt: zunächst im Jahr 1957 von 65 auf 63 Jahre, dann im Jahr 1964 von 63 auf 62 Jahre (Zeltner 2015: 131).

Im Jahr 1953 trat ausserdem das Bundesgesetz über die Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee und Zivilschutz in Kraft (EO) (Feld und Schaltegger 2012: 50).

Eine weitere Versicherung, welche in der Nachkriegszeit eingeführt wurde, war die Invalidenversicherung (IV). So trat das Invalidenversicherungsgesetz (IVG) am 1. Januar 1960 in Kraft (Germann et al. 2016: 31). Das primäre Ziel der IV ist bis heute die Eingliederung von Personen mit einer physischen oder psychischen Beeinträchtigung ins Arbeitsleben. Erst nachdem erwiesen ist, dass eine Eingliederung ins Arbeitsleben nicht möglich ist, erfolgt die Rentenauszahlung (Zeltner 2015: 135). Wenn die Möglichkeit besteht in einem Teilzeitpensum zu arbeiten, hat die betroffene Person nur Anspruch auf eine Teilrente, welche der effektiven Teil-Arbeitsunfähigkeit entspricht. Bei der Beurteilung der individuellen Situation sind diese zwei Faktoren massgebend: Grad der Arbeitsunfähigkeit und deren Auswirkung auf die Möglichkeit, ein Einkommen zu erzielen (Mani 2012: 30).

Im Jahr 1966 wurden die Ergänzungsleistungen (EL) zur 1. Säule (AHV und IV) eingeführt. Man sah sie zunächst als eine Übergangslösung bis die Renten der 1. Säule den Existenzbedarf ganz abdecken würden. Da die Erreichung dieses Ziels jedoch je länger je unwahrscheinlicher wurde, fanden die EL im Jahr 2008 Aufnahme in die Bundesverfassung (Art. 112a BV). Ergänzungsleistungen können beantragt werden, falls die Alters- oder Invalidenrente nicht ausreicht, um die existenzsichernden Lebenskosten zu decken. Sie stellen somit sicher, dass alte und invalide Personen genügend Mittel haben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (Schaltegger und Leisibach 2015: 5). Anspruchsberechtigt ist nur, wer Empfänger einer Alters- bzw. Invalidenrente ist und seinen Wohnsitz in der Schweiz hat. Finanziert werden die Ergänzungsleistungen über das Steuersystem (keine Lohnbeiträge). Die Kosten lasten zu 3/8 auf dem Bund und zu 5/8 auf den Kantonen (Schaltegger und Leisibach 2015: 4-6).

Im Vergleich zum Jahr 1955, in dem die Einnahmen der Pensionskassen 1’346 Millionen CHF betrugen, beliefen sich diese im Jahr 1970 bereits auf 5’276 Millionen CHF, während die Einnahmen der AHV 3’434 Millionen CHF betrugen (Degen 2006: 37).

Die Volksabstimmung vom 3. Dezember 1972 über die Einführung des 3-Säulen-Systems war entscheidend für die weitere Entwicklung des Altersvorsorgesystems in der Schweiz. Auf der einen Seite plädierte die Partei der Arbeit (PdA) für eine Volkspension mit einer massiven Erhöhung der Staatsrenten, welche private Versicherungen obsolet gemacht hätte. Auf der anderen Seite präsentierten der Bundesrat und das Parlament als Gegenvorschlag ein abgestuftes Vorsorgesystem, bestehend aus dem Erhalt der 1. Säule (AHV), dem Obligatorium der 2. Säule (berufliche Vorsorge) und einer freiwilligen 3. Säule, die als private Vorsorge steuerlich abzugsfähig war. Dieser Vorschlag wurde nicht nur von den bürgerlichen Parteien, sondern auch von den Wirtschaftsverbänden und Privatversicherern, ja sogar auch von der Sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften unterstützt. Um der Volkspension den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde gleichzeitig die achte AHV-Revision angekündigt, welche unter anderem eine Rentenerhöhung vorsah. Der Vorschlag mit dem Drei-Säulen-System wurde schliesslich am 3. Dezember 1972 vom Schweizer Stimmvolk mit 75 Prozent Ja-Stimmen an der Urne klar angenommen und damit der Volkspension-Initiative vorgezogen (Germann et al. 2016: 34).

Zwischen 1973 und 1975 wurde die 8. AHV Revision umgesetzt. Nach der Umsetzung der 8. AHV-Revision war ein Paradigmenwechsel im politischen Diskurs spürbar: Man sprach weniger vom Ausbau, sondern mehr von der Konsolidierung der AHV. Grund dafür war die Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre, welche auch auf die Schweiz Einfluss hatte. Um die Krise zu überwinden betrieb der Bund eine restriktive Fiskalpolitik. Unter den Sparmassnahmen war für das Jahr 1975 unter anderem auch eine Senkung des Bundesbeitrags an die AHV von 1310 auf 770 Millionen Franken vorgesehen (Ischer 2006: 147).

Diese neue Situation brachte alle vier grossen politischen Parteien (SP, CVP, FDP, SVP) zu einer gemeinsamen Erkenntnis: das Erreichte sollte erhalten bleiben und ein weiterer Ausbau kam zunächst nicht in Frage (Ischer 2006: 152). Man kann hier insofern eine Parallele zur heutigen Situation ziehen, als sich damals wie heute sowohl der linke wie auch der rechte Flügel einig waren, dass etwas getan werden musste, um die Altersvorsorge zu garantieren. Die Meinungen gingen jedoch damals wie heute weit auseinander, wenn es zu bestimmen galt, wie die Reformen ausgestaltet werden sollten. Wie in den nächsten Kapiteln detaillierter aufgezeigt werden wird, ist die heutige Situation jedoch enger mit der demografischen Entwicklung verbunden als mit dem Wirtschaftswachstum oder einer Wirtschaftskrise. Während man in der Schweiz in den 70er Jahren mit dem Überwinden der Wirtschaftskrise auch das Problem der AHV als gelöst sah, präsentiert sich die Situation heute komplexer.

Gehen wir zurück ins Jahr 1977, in dem die 9. AHV-Revision diskutiert wurde. Um die Finanzierung der AHV zu sichern, einigte sich das Parlament damals darauf, die Bundesbeiträge an die AHV wieder zu erhöhen. Eine andere, wichtige Änderung, welche die 9. AHV-Revision mit sich brachte, war der Mischindex, durch welchen die Renten an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst wurden (Ischer 2006: 149). Die 9. AHV-Revision wurde im Februar 1978 vom Volk angenommen (Ischer 2006: 159).

Philipp Ischer fasst den politischen Diskurs um die 9. AHV-Revision so zusammen:

Die Auseinandersetzungen um die neunte AHV-Revision zeigen deutlich, dass im Verlauf der 1970er Jahre die politischen Widerstände gegen den weiteren Ausbau der AHV zugenommen haben und dass der Expansionsprozess dieses Sozialwerkes erfolgreich eingedämmt wurde. Die Wirtschaftsverbände vertraten die Ansicht, dass die AHV zu Gunsten der Entwicklung der beruflichen und privaten Vorsorge auf dem erreichten Stand eingefroren werden sollte. (Ischer 2006: 160)

Eine weitere Versicherung, welche in diesen Jahren eingeführt wurde, war die im Oktober 1976 in Kraft getretene Arbeitslosenversicherung (ALV), welche zunächst für einen Geltungszeitraum von fünf Jahren vorgesehen war. Im Juni 1982 trat schliesslich das «Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung» (AVIG) in Kraft, welches den Status der ALV dauerhaft regelte (Degen 2006: 38).

Das Ziel der Arbeitslosenversicherung ist die soziale Absicherung bei Erwerbsausfall. Um Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung zu haben, muss man vor dem Eintritt in die Arbeitslosigkeit verschiedene Bedingungen erfüllen, wie z.B. eine bestimmte Dauer gearbeitet und entsprechende Lohnbeiträge entrichtet haben. Die Höhe der Entschädigung sowie die maximale Bezugsdauer hängt vom Alter, der Beitragszeit und der Unterhaltspflicht ab (Zeltner 2015: 148).

Die berufliche Vorsorge, obwohl schon im Jahr 1972 in der Bundesverfassung verankert, trat erst 1985 in Kraft. Damit wurde das Drei-Säulen-Prinzip auch praktisch umgesetzt. Durch die berufliche Vorsorge, auch 2. Säule genannt, soll der gewohnte Lebensstandard auch nach der Pensionierung garantiert werden. Zusammen mit der 1. Säule (AHV) soll die Rente mindestens 60% des letzten Lohnes betragen (Zeltner 2015: 144). Im Kapitel 3.2 wird tiefer auf die Berechnung, die Finanzierung und die Herausforderungen der beruflichen Vorsorge eingegangen.

Ein weiterer Ausbau der Sozialversicherungen erfolgte bei der Krankenversicherung. Im Kapitel 2.1 wurde das «Bundesgesetz betreffend die Kranken- und Unfallversicherung» (KUVG), welches unter anderem auch eine obligatorische Krankenversicherung vorsah, bereits kurz angesprochen. Im Jahr 1994 wurde das Krankenversicherungsgesetz (KVG) angenommen, welches eine obligatorische Grundversicherung beinhaltete. Dieses Gesetz trat im Jahr 1996 in Kraft (Zeltner 2015: 142).

In der AHV folgten unter anderem folgende Veränderungen (BSV 2013: 19-20):

- Im Jahr 1997 trat die 10. AHV-Revision in Kraft, welche Änderungen in der Berechnung der Renten beinhaltete.
- Am 1. Januar 1999 wurde die Mehrwertsteuer um ein Prozent erhöht, wobei 83 Prozent der Einnahmen direkt der AHV zufliessen.
- Seit dem 1. April 2000 geht auch der Ertrag der Spielbankensteuer an die AHV.
- Das Rentenalter der Frauen wurde zunächst im Jahr 2001 auf 63 Jahre und dann im Jahr 2005 auf 64 erhöht.
- Am 1. Januar 2008 trat eine neue Regelung in Kraft betreffend der Finanzierung der AHV zwischen dem Bund und den Kantonen. Der Bund deckt nicht mehr wie bisher 16.36% der AHV-Ausgaben, sondern neu 19.55%, während die Beiträge der Kantone völlig wegfallen. Vorher deckten die Kantone 3.64% der AHV-Ausgaben.

Eine Versicherung, deren Einführung lange hinausgezögert wurde, ist die Mutterschaftsversicherung. Diese wurde mehrere Male vom Volk abgelehnt. Erst im Jahr 2004 wurde sie angenommen und trat am 1. Juli 2005 in Kraft. Seither erhalten erwerbstätige Frauen für 14 Wochen nach der Geburt ihres Kindes 80% ihres Lohnes (Zeltner 2015: 34). Diese Entschädigung wird von der Erwerbsersatzordnung (EO) finanziert (Feld und Schaltegger 2012: 50).

Nach diesem kurzen historischen Abriss der sozialpolitischen Entwicklung in der Schweiz soll abschliessend betont werden, dass die Entwicklung des Sozialstaates noch längst nicht abgeschlossen ist, sondern sich vielmehr mitten im Prozess befindet. So schreibt auch Andreas Kellerhals in der Einleitung des 31. Bands der Zeitschrift des Schweizerischen Bundesarchivs, welcher die Geschichte der Sozialversicherungen in der Schweiz behandelt: «In einer historischen Perspektive erscheint die heutige Kontroverse allerdings eher als Regel denn als Ausnahme.» (Kellerhals 2006: 7)

3 Das Schweizer Vorsorgesystem

Das auf drei Säulen beruhende Schweizer Vorsorgesystem ist in den Artikeln 111 bis 113 der Schweizerischen Bundesverfassung verankert. Zur ersten Säule gehören die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), welche die Risiken Alter und Tod absichert, sowie die Invalidenversicherung (IV), welche auf das Invaliditätsrisiko abzielt. Zusammen mit den Ergänzungsleistungen (EL) soll die 1. Säule das Existenzminimum garantieren. Finanziert werden die Renten im Umlageverfahren, wobei eine solidarische Umverteilung zwischen Arm und Reich stattfindet, da die Maximalrente der 1. Säule mit lediglich 2350 CHF sehr tief ist.

In der 2. Säule, der sogenannten beruflichen Vorsorge, sind alle unselbständigen Arbeitnehmenden ab einer jährlichen Lohnsumme von 21'150 CHF obligatorisch versichert. Finanziert wird die berufliche Vorsorge im Gegensatz zur 1. Säule im Kapitaldeckungsverfahren, im Rahmen dessen jeder Arbeitnehmer durch Lohnbeiträge Alterskapital für sich anspart, wobei auch der Arbeitgeber mindestens den gleich hohen jährlichen Beitrag an das Alterskapital des Arbeitnehmers entrichtet. Das in der 2. Säule angesparte Kapital soll gemeinsam mit der Ausschüttung der 1. Säule nach Erreichen des Rentenalters den gewohnten Lebensstandard der Arbeitnehmenden garantieren.

Die dritte Säule, die Selbstvorsorge oder freie Vorsorge, ist freiwillig, wird jedoch durch den Staat mittels steuerlichen Begünstigungen gefördert. Eine Übersicht des 3-Säulen-Konzepts findet sich unten stehend in Abbildung 1.

Abbildung 1: Die Altersvorsorge in der Schweiz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Compendio 2003.

3.1 Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)

Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) zahlt zwei Arten von existenzsichernden Renten aus (AHV/IV 2018a: Allgemeines):

1. Altersrenten für Personen, die in den Ruhestand gehen.
2. Hinterlassenenrenten für Familienangehörige eines verstorbenen Ehepartners oder Elternteils (Witwen- und Waisenrenten).

Die AHV ist eine obligatorische Versicherung, bei der alle natürlichen Personen versichert sind, welche in der Schweiz wohnhaft und/oder erwerbstätig sind (AHVG, Art. 1a, Abs. 1).

3.1.1 Altersrenten

Bedingung für eine ordentliche Altersrente ist das Erreichen des geschlechtsspezifischen Rentenalters, welches für Männer aktuell bei 65 Jahren und für Frauen bei 64 Jahren liegt (AHVG, Art. 21, Abs. 1). Die Anspruchsberechtigen können den Eintritt in das Rentenalter aber auch um ein oder zwei Jahre vorziehen, wodurch jedoch aufgrund der verkürzten Beitragsdauer die Höhe ihrer Rente tiefer ausfällt (AHVG, Art. 40). Bei einem einjährigen Vorbezug fällt die Rente 6.8% und bei einem zweijährigen Vorbezug 13.6% tiefer aus (Ferber 2017a: NZZ). Die Renten können andererseits auch bis zu maximal fünf Jahren aufgeschoben werden. In diesem Fall fällt die Zahlung höher aus (AHVG, Art. 39). Nach einem einjährigen Aufschub erhöht sich die Rente um 5.2%, nach einem fünfjährigen Aufschub um 31.5% (Ferber 2018a: NZZ).

Ein weiteres Kriterium für den Anspruch auf Altersrenten ist, dass man für mindestens ein Jahr ein Einkommen erzielt hat oder dass man für ein Jahr Anspruch auf Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften hat (AHVG, Art. 29, Abs. 1). Erziehungsgutschriften sind Zuschläge, welche bei der Rentenberechnung für die Betreuung der eigenen Kinder unter 16 Jahre addiert werden (AHV/IV 2018b: Altersrenten). Betreuungsgutschriften werden fällig, wenn man pflegebedürftige Verwandte betreut (AHV/IV 2018b: Altersrenten).

Zur Berechnung der Renten wird für jede beitragspflichtige Person ein individuelles Konto (IK) geführt (AHV/IV 2018c: Beiträge). Die Höhe der Rente wird anhand der geleisteten Beitragsjahre und des durchschnittlichen Jahreseinkommens berechnet (AHVG, Art. 29bis, Abs. 1). Letzteres entspricht der Summe aus Erwerbseinkommen, Erziehungsgutschriften und Betreuungsgutschriften (AHVG, Art. 29quater).

Die Minimalrente beträgt aktuell 1175 CHF pro Monat (AHVG, Art. 34, Abs. 5). Die Maximalrente entspricht der doppelten Minimalrente (AHVG, Art. 34, Abs. 3), momentan also monatlich 2350 CHF.

Die Renten werden seit 1978 alle zwei Jahre an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst. Dies erfolgt mittels eines Mischindex, welcher sich aus dem Durchschnitt der gesamtwirtschaftlichen Lohn- und Preiserhöhung ergibt (AHV/IV 2018d: Leistungen). Im Jahr 2013 wurde die Mindestrente zum Beispiel um 0.9% erhöht (von 1160 auf 1170 CHF). Im Jahr 2015 wurde sie um weitere fünf Franken auf 1175 CHF angehoben. Im Jahr 2017 wiederum erfolgte aufgrund der schwachen Lohnentwicklung und der negativen Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise (LIK) keine Rentenerhöhung (Schüpbach und Müller 2017: 32).

Trotz dieser Anpassungen bleiben die Renten der AHV jedoch relativ bescheiden. Denn wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass die Armutsgrenze in der Schweiz für eine Einzelperson im Jahr 2016 auf 2239 CHF pro Monat festgelegt wurde (BFS 2018: Armut), wird deutlich, dass die Mindestrente den Existenzbedarf nicht vollständig deckt.

Deshalb dürfen die drei Säulen des Schweizer Vorsorgesystems nicht isoliert betrachtet werden. Für den Fall, dass keine Ersparnisse in der 2. und 3. Säule vorhanden sind, wird das Existenzminimum durch die AHV-Ergänzungsleistungen (EL) gesichert. Ergänzungsleistungen werden jeweils nach einer entsprechenden Bedürftigkeitsüberprüfung ausbezahlt, wobei neben dem Einkommen auch das sonstige Vermögen einer Person in Betracht gezogen wird (AHV/IV 2018e: Ergänzungsleistungen).

In Bezug auf die EL kann vor allem bei einkommensschwachen Personen der Anreiz zur vorzeitigen Pensionierung verstärkt werden, da Renten unter dem Existenzminimum durch die EL kompensiert werden. Bei Einkommen bis zu 60'000 CHF, für verheiratete Personen bis zu 80'000 CHF, würde die Höhe der Rente bei einem zweijährigen Vorbezug nämlich genau gleichbleiben, da die Differenz zur ordentlichen Rente, wie bereits erwähnt, durch die EL vollständig kompensiert ist (Schaltegger et al. 2018: 71).

Mit dem Inkrafttreten der 10. AHV-Revision wurde im Jahr 1997 die Einkommensteilung der Ehepartner (Splitting) eingeführt (BSV 2013: 19). Dabei werden die Einkommen der Ehepartner bei der Berechnung der Renten zusammengezählt und je zur Hälfte geteilt (AHV/IV 2018b: Altersrenten). Die Summe der beiden Renten darf 150% der gesetzlich festgelegten Maximalrente nicht übersteigen. Sollte dies der Fall sein, werden die Renten entsprechend gekürzt (AHV/IV 2018b: Altersrenten).

Die in der Schweiz wohnhaften Altersrentnerinnen und –rentner erhalten von der AHV ausserdem noch zusätzlich Beiträge zur Finanzierung von Hilfsmitteln wie etwa Hörgeräten, Rollstühlen, etc. (AHV/IV 2018f: Hilfsmittel).

Eine weitere Leistung für Rentenbezüger sind die Hilfslosenentschädigungen. Als hilflos gilt, «wer für alltägliche Lebensverrichtungen wie Aufstehen, Ankleiden, Toilette, Essen etc. dauernd auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und dauernder Pflege oder persönlicher Überwachung bedarf.» (AHV/IV 2018g: Hilfslosenentschädigungen)

3.1.2 Hinterlassenenrenten

Zu den Hinterlassenenrenten gehören Witwen- und Witwerrenten sowie Waisenrenten. Die Ehefrau eines verstorbenen Partners erhält eine Witwenrente, wenn sie gemeinsame Kinder haben. Wenn sie keine Kinder haben, die Ehe aber mindestens fünf Jahre dauerte und die Verwitwete 45 Jahre oder älter ist, erhält sie ebenfalls eine Witwenrente (AHV/IV 2018h: Hinterlassenenrenten).

Auch geschiedene Frauen eines Verstorbenen erhalten in einem der folgenden drei Fälle eine Witwenrente:

1. Sie waren mindestens zehn Jahre verheiratet und haben gemeinsame Kinder.
2. Sie waren mindestens zehn Jahre verheiratet und die geschiedene Frau war bei der Scheidung älter als 45 Jahre.
3. Sie waren zwar nicht zehn Jahre verheiratet, die geschiedene Frau ist aber älter als 45 Jahre, wenn das jüngste gemeinsame Kind 18 Jahre alt wird.

Sollte keiner dieser drei Fälle zutreffen, das Paar hatte aber gemeinsame Kinder, so erhält die geschiedene Frau eine Witwenrente bis das jüngste gemeinsame Kind 18 Jahre alt wird (AHV/IV 2018h: Hinterlassenenrenten).

Eine Witwerrente wird nur ausbezahlt, wenn es aus der Ehe noch Kinder unter 18 Jahren gibt. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des jüngsten Kindes erlischt auch der Anspruch auf die Witwerrente (AHV/IV 2018h: Hinterlassenenrenten).

Die Höhe der Witwen- oder Witwerrenten entspricht 80% der entsprechenden Altersrente (AHVG, Art. 36). Sollte eine Person sowohl Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente als auch auf eine Altersrente haben, erhält sie nur die höhere der beiden Renten (AHVG, Art. 24b).

Anspruch auf eine Waisenrente hat ein Kind oder ein Jugendlicher, wenn es respektive er einen Elternteil verliert. Im Fall, dass beide Eltern gestorben sind, werden zwei Waisenrenten ausbezahlt (AHVG, Art. 25, Abs. 1). Waisenrenten können im Normalfall nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bezogen werden (AHVG, Art. 25, Abs. 4). Sollte die Ausbildung des Waisenkindes länger dauern, hat es bis maximal zur Vollendung des 25. Lebensjahres Anspruch auf eine Waisenrente (AHVG, Art. 25, Abs. 5).

Die Höhe der Waisenrenten ist in Artikel 37, Absatz 1 der AHVG geregelt: «Die Waisenrente beträgt 40 Prozent der dem massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen entsprechenden Altersrente. Die Waisenrente von Kindern, die nur zum verstorbenen Elternteil in einem Kindesverhältnis standen, beträgt 60 Prozent der dem massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen entsprechenden Altersrente.»

3.1.3 Finanzierung der AHV

Der überwiegende Teil der Alters- und Hinterlassenenrenten wird im Umlageverfahren finanziert, das heisst die bestehenden Erwerbstätigen und deren Arbeitgeber finanzieren durch ihre Lohnbeiträge die Renten der Pensionierten.

Die Beitragspflichtigen können wie folgt unterteilt werden:

1) Alle Personen, welche älter als 18 Jahre alt sind und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, entrichten 4.2% ihres Lohnes an die AHV (AHVG, Art. 3 und 5). Die Beiträge sind zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern paritätisch verteilt, was bedeutet, dass der Arbeitgeber für jeden beitragspflichtigen Mitarbeiter weitere 4,2% des jeweiligen Lohnes an die AHV bezahlt (AHVG, Art. 13).
2) Alle über 18-jährigen Personen, welche eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, entrichten 7.8% ihres Lohnes an die AHV. Im Fall eines tiefen Lohnes unter 56’400 CHF kann der Beitrag bis auf 4.2% sinken. Sollte der Lohn kleiner als 9’400 CHF betragen, entrichtet die selbständige Person nur den Mindestbeitrag von 382 CHF (AHVG, Art. 3 und 8).
3) Nichterwerbstätige, welche älter als 20 Jahre alt sind, sind ebenfalls beitragspflichtig. Der aktuelle Mindestbeitrag beläuft sich auf 382 CHF, während der Maximalbeitrag das 50-fache des Mindestbeitrags beträgt. Die Beiträge variieren je nach finanzieller Situation der einzelnen Person (AHVG, Art. 3 und 10).

Die gesamtwirtschaftliche Situation in der Schweiz hat also einen direkten Einfluss auf die Einnahmen der AHV: Je tiefer die Arbeitslosigkeit hierzulande und je höher die Löhne, desto grösser sind die Einnahmen der AHV (Feld und Schaltegger 2012: 34).

19.55% der AHV-Ausgaben übernimmt der Staat. Diese werden aus Tabak-. Alkohol- und Mehrwertsteuereinnahmen finanziert. Dazu wurde im Jahr 1999 die Mehrwertsteuer um ein Prozent erhöht, wovon 83% direkt an die AHV fliessen. Eine weitere Einnahmequelle ergibt sich seit dem Jahr 2000 aus der Spielbankensteuer (BSV 2013: 19).

Zu den weiteren Einkünften der AHV gehören erwirtschaftete Zinsen aus dem AHV-Ausgleichsfonds (BSV 2013:19). In diesem Fonds werden die Überschüsse angesammelt, wenn die Einnahmen aus den Beiträgen höher sind als die Ausgaben für die Renten. Das primäre Ziel des Ausgleichsfonds ist die Sicherung der Renten in schlechten Zeiten (Compenswiss 2017: 2).

Die unten stehende Abbildung zeigt die finanzielle Entwicklung des Ausgleichsfonds von 1948 bis 2016. So ist ersichtlich, dass in den letzten Jahrzehnten, mit Ausnahme der Jahre 2001 und 2008, die Einnahmen immer grösser als die Ausgaben waren, so dass sich bis zum Jahr 2016 ein finanzieller Überschuss von über 35 Milliarden CHF entwickelte.

Abbildung 2: Kumulierter finanzieller Überschuss 1948 - 2016

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Compenswiss 2017.

In Jahren wie 2001 und 2008, in welchen die Ausgaben höher waren als die Einnahmen, konnten dank der Reserven des Ausgleichsfonds die Renten problemlos weiter ausbezahlt werden.

Was die Organisation der AHV betrifft, diese ist im Artikel 49 des AHVG klar definiert: «Die Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung erfolgt unter der Aufsicht des Bundes (Art. 76 ATSG[235]) durch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Verbandsausgleichskassen, kantonale Ausgleichskassen, Ausgleichskassen des Bundes und eine zentrale Ausgleichsstelle.»

3.1.4 Herausforderungen der AHV

Auf den vorangehenden Seiten wurden die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Funktionsweise der AHV erklärt. Nun geht es darum, die Herausforderungen der AHV zu thematisieren und damit einen Blick auf konkrete Zahlen zu werfen.

In Abbildung 2 wurde bereits deutlich, dass seit der Einführung der AHV im Jahr 1948 mit zwei Ausnahmen in jedem Jahr ein Einnahmenüberschuss resultierte.

Zur Konkretisierung wollen wir nun das Jahr 2017 vertieft betrachten. Im Jahr 2017 beliefen sich die Einnahmen der AHV konkret auf 44’379 Millionen CHF. Der grösste Teil dieser Einkünfte, nämlich 31’143 Millionen CHF, stammte aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen. 11’105 Millionen CHF kamen vom Bund (inkl. Mehrwertsteuerprozent und Spielbankenerträge). Dazu konnten im selben Jahr 2’126 Millionen CHF aus Kapitalerträgen erzielt werden. Weitere 5 Millionen CHF (Zahlungen von haftpflichtigen Dritten minus Regresskosten) wurden als übrige Einnahmen gebucht (BSV 2018a: AHV-Statistik 2017; Compenswiss 2018: 21-26).

Abbildung 3: Einnahmen der AHV für das Jahr 2017

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BSV 2018a; Compenswiss 2018, eigene Darstellung.

Die Gesamtausgaben der AHV beliefen sich im Jahr 2017 auf 43’292 Millionen CHF, wobei 42'240 Millionen CHF der Ausgaben für Renten, 670 Millionen CHF für Hilfslosenentschädigung und individuellen Massnahmen wie Hilfsmittel und 210 Millionen CHF für Verwaltungs- und Durchführungskosten veranschlagt wurden. Weitere 172 Millionen CHF wurden als übrige Ausgaben gebucht (z.B. Beiträge an Institutionen und Organisationen) (BSV 2018a: AHV-Statistik 2017; Compenswiss 2018: 27).

Abbildung 4: Ausgaben der AHV für das Jahr 2017

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BSV 2018a; Compenswiss 2018, eigene Darstellung.

Obwohl die Einnahmen grösser waren als die Ausgaben, ist diese Bilanz jedoch mit Vorsicht zu geniessen, da das Umlageergebnis mit -1’039 Millionen CHF bereits zum vierten Mal in Folge ein Defizit aufwies. Das Umlageergebnis gibt jeweils die Differenz der Ausgaben und Einnahmen an, ohne dabei das Anlageergebnis einzukalkulieren. Wie in der schweizerischen Sozialversicherungsstatistik 2017 beschrieben «wiederspiegelt das Umlageergebnis das eigentliche Versicherungsergebnis» (Schüpbach und Müller 2017: 32; Compenswiss 2018: 21).

Abbildung 5 zeigt die im Jahr 2013 erstellte Prognose des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) für die Entwicklung des Umlageergebnisses bis ins Jahr 2035 bei gleichen gesetzlichen Rahmenbedingungen wie heute.

In den Prognosen des BSV und des Bundesamtes für Statistik (BFS) werden jeweils drei Szenarien aufgestellt. Bei den demografischen Parametern statuiert die untere Bandbreite einen Migrationssaldo2 von 30'000 Personen, die mittlere Bandbreite einen Migrationssaldo von 40'000 Personen und die obere Bandbreite einen Migrationssaldo von 50'000 Personen. Die prognostizierten wirtschaftlichen Parameter ändern sich anhand dieser Szenarien wie auf Tabelle 2 gezeigt:

Tabelle 2: Veränderung der Hypothesen des mittleren Szenarios zur Bestimmung der unteren und oberen Bandbreite

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BSV 2013, eigene Darstellung.

Wie Abbildung 5 zu entnehmen ist, wird das Umlageergebnis in allen drei Szenarien auch in den nächsten Jahren eine negative Bilanz aufweisen. Bei gleichen gesetzlichen Rahmenbedingungen wie heute würde es im Jahr 2030 -8.6 Milliarden CHF betragen, was 1.14% des BIP entsprechen würde (BSV 2013: 78).

Abbildung 5: Umlageergebnis der AHV in Prozent des BIP

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BSV 2013.

Dies deshalb, weil das Wachstum der Ausgaben höher sein wird als dasjenige der Einnahmen (siehe Abbildung 6). Während die Einnahmen gemäss Prognose im Jahr 2030 etwa 51 Milliarden CHF betragen werden, steigen die Ausgaben auf ca. 60 Milliarden CHF (BSV 2013: 77).

Abbildung 6: Ausgaben und Einnahmen der AHV nach geltender Ordnung in Millionen Franken zu Preisen von 2013

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BSV 2013.

Infolgedessen würde auch der Ausgleichsfonds eine negative Bilanz aufweisen, wie Abbildung 7 zeigt. Dies hätte wiederum einen negativen Einfluss auf das Anlageergebnis, wodurch die Einnahmen der AHV weiter verringert würden.

Der Hauptgrund dieser Entwicklung ist der demografische Wandel. Während die durchschnittliche Lebenserwartung nach der Pensionierung (Restlebenserwartung) in der Schweiz im Jahr 1948 13.2 Jahre betrug, betrug sie im Jahr 2016 ca. 21.2 Jahre (Kaiser und Oezen 2011: 16; BFS 2017a: Bevölkerung). In Abbildung 8 sieht man die Prognose der Restlebenserwartung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) bis zum Jahr 2035 (BSV 2013: 8). Es wird davon ausgegangen, dass die Lebenserwartung in Zukunft weiter steigen wird.

Abbildung 7: Fondsstand der AHV in Prozent des BIP

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BSV 2013.

Abbildung 8: Beobachtete und extrapolierte Restlebenserwartung der Männer und Frauen mit Alter 65 nach dem mittleren Szenario des BFS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BSV 2013.

Die Anzahl der Geburten war im Jahr 2016 (87'883) fast gleich wie im Jahr 1947 (87'774) (BFS 2017b: Lebendgeburten nach Monat und Fruchtbarkeit seit 1803). Zwischen 1957 und 1972 gab es eine Periode, während der die Geburtenrate deutlich höher war. Man nennt die in dieser Zeit Geborenen auch die «Baby-Boom-Generation». Die Baby-Boomer werden zwischen 2020 und 2035 ihr Pensionsalter erreichen, was selbstverständlich eine zusätzliche Herausforderung für die Finanzierung der AHV darstellt (BFS 2015: 13). Die Entwicklung der Geburten seit 1947 ist in Abbildung 9 dargestellt.

[...]


1 «Prinzip, nach dem eine spezielle Form von Bedürftigkeit Anlass für Umverteilung […] ist. » (Werding 2018: Wirtschaftslexikon)

2 Differenz zwischen Ein- und Auswanderungen.

Final del extracto de 100 páginas

Detalles

Título
Lösungsmöglichkeiten zur Reform der Altersvorsorge in der Schweiz
Subtítulo
Das Schweizer Vorsorgesystem und andere Rentensysteme im internationalen Vergleich
Universidad
University of Luzern
Calificación
5.0
Autor
Año
2018
Páginas
100
No. de catálogo
V494848
ISBN (Ebook)
9783668991873
ISBN (Libro)
9783668991880
Idioma
Alemán
Palabras clave
ahv, bvg, altersvorsorge, pensionen, pensionssysteme, drei-säulen-prinzip
Citar trabajo
Drilon Djeladini (Autor), 2018, Lösungsmöglichkeiten zur Reform der Altersvorsorge in der Schweiz, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/494848

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