Die Frage danach, wie das Böse in der menschlichen Natur und der Anlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu erklären sei, zählt zu den Grundfragen der Philosophiegeschichte. Als Gegenbegriff zum Guten ist das Böse als Objekt der geisteswissenschaftlichen und philosophischen Untersuchungen bis in die Neuzeit von zentraler Bedeutung und die Frage nach seiner Natur ist im wissenschaftlich-philosophischen Diskurs ebenso kontrovers wie essentiell. Sie trifft das Herz des gesellschaftlichen Konstrukts durch seine stete Präsenz und unerklärliche Vielfalt immer wieder aufs Neue.
Wenn vom Bösen gesprochen wird ist es notwendig, diverse Arten des Bösen zu unterscheiden, um für den Zweck dieser Arbeit im wissenschaftlichen Diskurs ein differenziertes Bild zu erlangen. Mit Blick auf den heutigen medialen Diskurs ergibt sich eine recht klare Vorstellung davon, was als "Böse" anzusehen ist. In Bezug auf den nationalsozialistischen Untergrund (NSU) sind es offensichtlich die schrecklichen Morde an zehn Bürgern mit Migrationshintergrund. So lässt sich die öffentliche Meinung dessen, was als moralisch Böse anzusehen ist, in diesem Fall und aufgrund des immer noch ausstehenden Gerichtsurteil, mithilfe der medialen Berichterstattung, nachzeichnen.
Die großen deutschen Tageszeitungen titelten in Bezug auf den NSU beispielsweise "Das Böse ist eingefangen" oder "Das Böse verhält sich eigentlich ganz normal" und ließen jeglichen Zweifel an der Natur der Taten des NSU als "böse" außer Frage. Gleichzeitig gab eine kurzfristig Mitgefangene der Hauptangeklagten Beate Zschäpe in der JVA Stadelheim in einem Interview in diesem Jahr an, dass jene wie "ein Star gefeiert" würde und im Gefängnis Chemnitz der größte "Fanclub" von ihr sitze. Die niemals kongruenten Vorstellungen von dem, was als gut und was als böse zu konnotieren ist, geraten gerade bei ideologischen Taten wie jenen des NSU auf den Prüfstand.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Semantik des Bösen in der heutigen Gesellschaft
- Das radikal Böse bei Immanuel Kant
- Grundlinien der Kant'schen Moralphilosophie und die Anlagen des Menschen
- Das radikal Böse
- Hannah Arendts \"Banalität des Bösen❞
- Die Banalität des Bösen
- Erklärungsversuch: Zur Semantik des Bösen im 21. Jahrhundert. Beate Zschäpe und der NSU
- Zum Selbstverständnis Beate Zschäpes: die gerichtliche Aussage
- Angst als Triebfeder. Zschäpe mit Kant
- Ein Blick aus der Arendt'schen Perspektive
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert das Konzept des Bösen im Kontext der Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) anhand der philosophischen Theorien von Immanuel Kant und Hannah Arendt. Sie untersucht, wie die Taten des NSU durch die Linsen des "radikalen Bösen" bei Kant und der "Banalität des Bösen" bei Arendt interpretiert werden können. Ziel ist es, die Bedeutung und die Grenzen dieser philosophischen Ansätze im Hinblick auf das Verständnis des Bösen in der heutigen Gesellschaft aufzuzeigen.
- Die philosophischen Konzepte des Bösen bei Immanuel Kant und Hannah Arendt
- Die Selbstinszenierung von Beate Zschäpe im Kontext des NSU
- Die Rolle der Angst und der Entgrenzung des Subjekts in Bezug auf das Böse
- Die Grenzen und Möglichkeiten der philosophischen Analyse von Extremismus und Gewalt
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung beleuchtet die zentrale Frage nach der Natur des Bösen in der Philosophiegeschichte und stellt die Taten des NSU als konkreten Fall dar, der diese Frage aufwirft.
- Das Kapitel "Die Semantik des Bösen in der heutigen Gesellschaft" diskutiert die Ambivalenz des Begriffs "Böse" in der heutigen Gesellschaft und beleuchtet die Schwierigkeiten, eine einheitliche Definition zu finden.
- Im Kapitel "Das radikal Böse bei Immanuel Kant" wird Kants Moralphilosophie und sein Konzept des "radikalen Bösen" als Ausdruck der menschlichen Natur erläutert. Die drei Anlagen des Menschen zum Guten und die Möglichkeit des Bösen werden im Kontext der Kant'schen Philosophie erörtert.
- Das Kapitel "Hannah Arendts \"Banalität des Bösen❞" befasst sich mit Hannah Arendts Konzept der "Banalität des Bösen", das sie im Rahmen ihrer Analyse des Eichmann-Prozesses entwickelte. Die Arbeit beleuchtet die Bedeutung dieses Konzepts im Hinblick auf das Verständnis von Verbrechen und politischer Verantwortlichkeit.
- Das Kapitel "Erklärungsversuch: Zur Semantik des Bösen im 21. Jahrhundert. Beate Zschäpe und der NSU" analysiert die Taten des NSU unter Berücksichtigung der beiden vorgestellten Theorien von Kant und Arendt. Es befasst sich mit dem Selbstverständnis von Beate Zschäpe, der Rolle der Angst und der Frage, inwiefern die Taten des NSU als Ausdruck des "radikalen Bösen" oder der "Banalität des Bösen" betrachtet werden können.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem philosophischen Verständnis des Bösen, insbesondere im Kontext des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und den Taten von Beate Zschäpe. Die zentralen Themen sind die Theorien von Immanuel Kant und Hannah Arendt zum Bösen, die "Banalität des Bösen", das "radikal Böse", Angst, Entgrenzung des Subjekts, Selbstinszenierung, extremistische Gewalt und die moralphilosophische Auseinandersetzung mit dem Bösen.
- Citation du texte
- Elisabeth Kreutzer (Auteur), 2016, Das radikal Böse und der NSU, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/496358