Die Interaktion zwischen Kind und Hund als fördernder Prozess in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen


Mémoire (de fin d'études), 2005

98 Pages, Note: 1


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

2. Geschichte der Mensch-Tier-Beziehung
2.1 Verbundenheit zwischen Mensch und Tier
2.2 Entwicklung der tiergestützten Therapie und Pädagogik

3. Die Interaktion zwischen Kind und Hund
3.1 Die Kind-Hund-Beziehung
3.1.1 Die Bedeutung von Hunden für Kinder
3.1.2 Die psychologische Sichtweise der Kind-Hund-Beziehung
3.2 Die Besonderheit von Hunden in der Interaktion mit Kindern
3.3 Die Kommunikation zwischen Kind und Hund
3.4 Voraussetzungen für die Interaktion zwischen Kind und Hund
3.5 Der fördernde Prozess in der Kind-Hund-Interaktion
3.5.1 Soziale Förderung
3.5.2 Psychische Förderung
3.5.3 Kognitive Förderung
3.5.4 Physische Förderung
3.5.5 Verhaltensänderung

4. Die Interaktion zwischen Kind und Hund in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen
4.1 Zielgruppe verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher
4.1.1 Begriffsabgrenzung
4.1.2 Problematik und Folgen für das verhaltensauffällige Kind
4.1.3 Zielsetzung der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen
4.2 Förderung von verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen durch die Interaktion mit dem Hund
4.3 Professionalität des Pädagogen in der Interaktion zwischen Kind und Hund
4.4 Pädagogische Zielsetzung in der Kind-Hund-Interaktion

5. Praxismodelle des Einsatzes der Kind-Hund-Interaktion in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen
5.1 Interaktionsmöglichkeiten/Aktivitäten
5.2 Einzelarbeit und Gruppenarbeit
5.3 Konzepte „hundgestützter“ Pädagogik
5.3.1 Konzept der Canepädagogik
5.3.2 Konzept der Kinder- und Jugendfarmen

6. Grenzen beim Einsatz von Hunden in der Arbeit mit verhaltens- auffälligen Kindern und Jugendlichen

7. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Vorwort

Es wäre wohl nicht unbedingt zu weit gegriffen, würde man behaupten, dass das liebevolle Miteinander von Mensch und Tier sich wie ein roter Faden durch die gesamte Zeitspanne meines bisherigen Lebens hindurchzöge.

Nicht ein Jahr meiner Kindheit habe ich in Abwesenheit von Tieren in meinem unmittelbaren Lebensumfeld verlebt. Sie ermöglichten mir unzählige schöne und intensive Erlebnisse, die ich zusammenfassend als eine Erhöhung der eigenen Lebensqualität und Daseinsfreude beschreiben kann. Tiere waren für mich in allen Stationen meiner bisherigen Entwicklung Freunde, Begleiter, Trös­ter, liebevolle Zuhörer und Wegweiser. Besonders in schwierigen Zeiten fühlte ich mich durch sie verstanden und unterstützt.

Die Brücke von meinen persönlichen Erfahrungen hin zu therapeutisch anwendbaren Mitteln schlug sich hingegen erst während meiner Zeit als Praktikantin auf einer psychosomatischen Station einer Kinderklinik. Ich hatte nun zum ersten Mal die Aussicht auf eine Ausweitung meiner generellen Überzeugung, dass Tiere eine enorme Bereicherung für die menschliche Entwicklung darstellen können, in Hinblick auf die Arbeit mit sonst schwer erreichbaren Kindern und Jugendlichen.

Diese Erkenntnis stellte sich bei einer zufälligen Beobachtung während der gemeinsamen Freizeitgestaltung mit zwei Kindern ein, welche sich zur Behandlung auf der psychosomatischen Station befanden.

Eine damalige Mitarbeiterin der Einrichtung und ich machten gemeinsam mit jenen Kindern einen Spaziergang mit ihrem Schäferhund. Bei beiden der Kinder war eine Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität diagnostiziert worden.

Die Kinder zeigten an dem Kontakt zu dem Hund großes Interesse und stellten – für mich überraschenderweise – ihr Verhalten in der Interaktion mit ihm völlig um. Aus den zwei „zappeligen“ und unumgänglichen Kindern, die beinahe durchgehend provokatives und aggressives Verhalten gegenüber anderen Menschen zeigten, wurden im Kontakt mit dem Hund plötzlich zwei „ruhige“, ausgeglichene und leicht zugängliche Kinder, die sich auch untereinander einer friedvollen Einigung bemühten. Sie waren sehr liebevoll in der Interaktion mit dem Hund, versuchten seine Sprache zu deuten und seinen Bedürfnissen zu entsprechen. Dieses fürsorgliche Verhalten der Kinder hatten wir in der Form und Intensität bisher nicht beobachten können. Die Kinder wurden plötzlich auch im Kontakt zu uns offener und zugänglicher, vergaßen sogar einige Zeit, dass wir ihre Betreuer und Pädagogen waren, die sie, aus ihrer Sicht, „umerziehen“ wollten. Für mich war dieses unerwartete Verhalten der Kinder zum damaligen Zeitpunkt kaum begreifbar.

Durch dieses – für mich große – Erfolgserlebnis wurde ich zu einer intensiven Beschäftigung mit dieser Art der förderlichen Interaktion zwischen Kind und Hund angeregt. Ich begann mich nun aktiv im Rahmen meines Studiums mit dem Einsatz von Tieren in der sozialpädagogischen Arbeit auseinanderzusetzen. Aus einem umfangreichen Literaturstudium, eigenen Erfahrungen in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und zahlreichen Kontakten zu verschiedenen Pädagogen und Institutionen, die bereits Hunde in ihre Arbeit einbeziehen, ist schließlich diese Arbeit entstanden.

Durch sie hoffe ich, auch andere Menschen in sozialpädagogischen und therapeutischen Berufen zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Einsatzes von Hunden in ihre Arbeit anregen zu können.

1. Einleitung

Robin ist ein zwölf jähriger Junge, der wegen seinem Verhalten binnen kurzem auffällt. Er tritt den Menschen in seiner Umgebung provokativ und aggressiv gegenüber. In vielen Situationen verliert er die Kontrolle über sich selbst und sein Verhalten. Wegen seines provokativen Verhaltens wird er von den Kindern in seinem Umfeld gemieden und hat daher kaum Kontakte zu Gleichaltrigen. Auch Erwachsenen begegnet Robin unkontrolliert und provokativ. Vor allem gegenüber Pädagogen, die sich bemühen, positiv auf ihn einzuwirken, zeigt er sich provozierend und unnahbar. So treten des Öfteren Situationen ein, in denen er gegenüber den Pädagogen verbale oder gar handgreifliche Aggressionen zeigt. Der Interaktion mit einem Pädagogen kann Robin sich nicht öffnen, meist lässt er diese schon von Beginn an nicht zu. Somit blieben bisherige pä- da­gogische und therapeutische Bemühungen einer Annäherung, eines Beziehungsaufbaus und einer Einflussnahme auf sein Erleben und Verhalten vergeblich.

Bei vielen Pädagogen, die den Versuch unternahmen, Robin für pädagogische Interventionen zu öffnen, stellte sich als Ergebnis ihrer erfolglosen Anstrengungen ein Gefühl der inneren Leere („Burnout-Syndrom“) und der Hilflosigkeit ein.

Die in diesem Fall dargestellte Schwierigkeit in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen, wie ich sie in der Arbeit mit Robin während meiner Praktikumszeit auf der psychosomatischen Station der Kinderklinik selbst erlebte, stellt eine bekannte Problematik in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen dar.

Genau hier, wo durch „traditionelle“ pädagogische Methoden und Maßnahmen verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen wie Robin nicht oder nur sehr mühsam geholfen werden kann, stellt der gezielte Einsatz der Interaktion zwischen Kind und Hund eine neue Methode in der sozialpädagogischen, aber auch therapeutischen Arbeit dar.

Ziel meiner Arbeit wird es sein, den Fragen nachzugehen, inwiefern die Interaktion zwischen Kind und Hund eine fördernde Wirkung auf die weitere Entwicklung und die Persönlichkeit von verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen haben kann und ob der Einsatz dieser Interaktion als eine geeignete Methode in der Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen angesehen werden kann.

Im wissenschaftlichen Teil meiner Arbeit (Kapitel 1-4) werden die theoretischen Grundlagen der Kind-Hund-Interaktion untersucht. Beginnend mit einem Exkurs über die historische Entwicklung der Verbundenheit zwischen Mensch und Tier im Allgemeinen, welche als (theoretische) Grundlage für die tiergestützte Therapie und Pädagogik angesehen werden kann, möchte ich im Folgenden auf die historischen Ursprünge dieser therapeutischen Vorgehensweise eingehen. Ausgehend von frühen Ansätzen, welche noch keine wissenschaftlich auswertbaren Ergebnisse vorweisen konnten, soll hier der Weg zur fachgebundenen und wissenschaftlichen Anerkennung als fördernder Therapieprozess nachgezeichnet werden.

Kapitel 3 wird den Fokus auf die Interaktion zwischen Kind und Hund einschränken, um im weiteren Verlauf des Kapitels Raum für die multiperspektivische Beleuchtung wichtiger Aspekte der Kommunikation zwischen Kind und Hund zu entfalten. Die emotionale Bedeutung des Hundes für das Kind und die Besonderheit des Hundes in der Interaktion mit diesem werden hierbei genauso eine Rolle spielen wie die Beobachtung des fördernden Prozesses der Kommunikation aus der Sicht des behandelnden Pädagogen. Darauf aufbauend soll im vierten Kapitel der therapeutische Adressatenbezug „Kind“ eine erneute Differenzierung erhalten. Hierzu wird zunächst die Zielgruppe verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher anhand von ihnen eigenen Merkmalen von Altersgenossen abgegrenzt, um daraufhin die pädagogische Zielsetzung und Förderung in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen, nicht zuletzt anhand des konkreten Einsatzes der Kind-Hund-Interaktion, bestimmen zu können.

Der praktische Teil der vorliegenden Arbeit (Kapitel 5) zeigt Möglichkeiten der Herstellung und Ausgestaltung der Kind-Hund-Interaktion anhand einiger schon bestehender Konzepte des Einsatzes von Hunden in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen auf. Außerdem werden in Kapitel 6 schließlich Grenzen beim Einsatz von Hunden in der Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen in die Betrachtung der Thematik einbezogen.

An dieser Stelle möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich in der vorliegenden Arbeit zugunsten eines besseren Leseflusses, bei nicht auf bestimmte Personen bezogenen Aussagen (zum Beispiel bei Berufsbezeichnungen) nur die männliche Form benutze. Außerdem beziehe ich meine Aussagen an einigen Stellen dieser Arbeit, an denen Kinder und Jugendliche gleichsam gemeint sind, nur auf Kinder, um unnötige Aufzählungen zu vermeiden.

2. Geschichte der Mensch­-Tier-Beziehung

Mensch und Tier sind aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte auf eine besondere Weise miteinander verbunden. Um die Besonderheit dieser Beziehung erfassen zu können, wird in diesem Kapitel eine historische Betrachtung der Mensch-Tier-Beziehung vorgenommen.

Die besondere Bindung zwischen Mensch und Tier, die seit Jahrhunderten besteht, stellt die Grundlage der heutigen tiergestützten Therapie und Pädagogik dar. Die Urprünge dieser liegen unerwarteter Weise ebenfalls weit zurück. Eine geschichtliche Untersuchung der tiergestützten Therapie und Pädagogik soll Aufschluss über die Entstehung und Entwicklung des Einsatzes von Tieren als therapeutische Begleiter bis zum heutigen Zeitpunkt geben.

2.1 Verbundenheit zwischen Mensch und Tier

Mensch und Tier verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. Sie sind seit Anfang der Menschheitsgeschichte auf eine bestimmte Art und Weise tief miteinander verbunden. Auch der Kontakt zwischen den Vorfahren unserer Haushunde (Wölfen und Wildhunden) und den Menschen existierte vermutlich seit der Steinzeit. Die Verbundenheit zwischen Mensch und Tier bestand anfänglich aufgrund einer Zweckgemeinschaft. Der Urmensch war auf das Tier als Nahrungs- und Kleidungsquelle von Beginn an angewiesen (vgl. Leugner, Simon, Winkelmayer, 2002, S. 18). Auch das Tier profitierte von der Nähe zum Menschen, es fand am Rande menschlicher Siedlungen die Möglichkeit, mühelos an Nahrung zu gelangen. Für beide Seiten, Mensch und Tier, musste der Kontakt zueinander Vorteile aufgewiesen haben, sonst wäre dieser vermutlich nicht fortgesetzt worden (vgl. Willms, 1995, S. 147).

Die Beziehung zwischen Mensch und Tier hat sich, wie im Folgenden skizziert wird, mit dem Wandel der menschlichen Kultur stets weiterentwickelt.

Der Beginn der sozialen Beziehung zwischen Mensch und Tier kann vermutlich 10.000 bis 30.000 Jahre zurück datiert werden. In Frankreich und Spanien wurden Funde von Höhlenmalereien aus der letzten Eiszeit entdeckt, auf denen verschiedene Tiere abgebildet waren. Ebenfalls aufgrund von gefundenen Grabbeilagen aus jener Zeit lässt sich vermuten, dass Tiere nicht nur eine Nahrungsquelle für die eiszeitlichen Jäger darstellten, sondern auch in ihrer kultischen Welt eine große Rolle gespielt haben müssen (vgl. Olbrich, c, S. 14).

Vor rund 10.000 Jahren begannen Menschen Tiere zu domestizieren. Der Hund, der heute der treuste Begleiter und Freund des Menschen ist, gehörte zu den ersten domestizierten Tieren und war somit eines der ersten Haustiere des Menschen (vgl. Olbrich, c, S. 14).

Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, ob der Grund für die Domestikation des Hundes darauf zurückzuführen ist, dass er dem Mensch als Jagdhelfer, Wächter und Hirte einfach nur nützlich war oder ob er schon damals wegen seiner ausgeprägten sozialen und emotionalen Eigenschaften vom Menschen geschätzt wurde (vgl. Leugner, Simon, Winkelmayer, 2002, S. 18).

Durch die Domestikation entwickelte sich der Wolf über den Wildhund zum Haushund und wurde den Bedürfnissen des Menschen entsprechend gezüchtet und erzogen. Den Hunden wurden verschiedene Aufgaben vom Menschen zugesprochen, die sich nach den jeweiligen Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens der Menschen richteten (vgl. Willms, 1995, S. 149). So wurden schon früh Hunde mit vielfältigeren Funktionen als lediglich Bewacher und Jagdhelfer gezüchtet. Es wurden vermehrt Hunde herangezüchtet, die der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse des Menschen dienten. Dies waren beispielsweise Hunde für Frauen. Bereits in der Antike existierten sogenannte „Schoßhündchen“, die keine andere Aufgabe hatten, als ihren Besitzern Freude zu bereiten (vgl. IEMT, 1998, S. 5). Mit der zunehmenden Individualisierung des Menschen wurden die Bedürfnisse des Menschen vielfältiger und differenzierter und der Wunsch nach Hunden als Begleiter größer (vgl. Bergler, 1986, S. 19). Greiffenhagen (1993, S. 26) beschreibt die Domestikation der Wildtiere als ers­ten Schritt zum Aufbau der Mensch-Tier-Beziehung, die heute die Grundlage der tiergestützten Therapie darstellt. Der zweite Schritt besteht ihrer Meinung nach in der Erkenntnis der Menschen, dass Tiere nicht nur als Nutztiere fungieren können, sondern über weitreichendere Funktionen verfügen und den Menschen ferner Emotionen entgegenbringen können. Die heutige enge und tiefgehende Partnerschaft zwischen Mensch und Tier hatte ihren Anfang schließlich in der Namensgebung von Tieren durch den Menschen. Der Mensch schrieb dem Tier dadurch eine eigene Persönlichkeit zu und betonte somit die enge Beziehung, die zum Tier besteht.

Aus der gemeinsamen Geschichte, die Mensch und Tier verbindet, geht der Grund für die Vertrautheit und die Bedeutung von Tieren für den Menschen hervor. Das Tier war schon immer Helfer des Menschen. Da Mensch und Tier über die Jahrhunderte sozusagen miteinander „aufgewachsen“ sind und sich innerhalb der bestehenden Welt gemeinsam entwickelt haben, scheint es berechtigt, das Tier als einen „Bruder“ des Menschen zu bezeichnen. Das Tier kann daher als selbstverständlicher Begleiter des Menschen in der tiergestützten Therapie und Pädagogik eingesetzt werden.

Nicht nur Erwachsene sind aufgrund der Verbundenheit, die schon seit Menschengedenken zum Tier besteht, zu einer selbstverständlichen und intensiven Beziehung zum Tier in der Lage, auch und gerade Kinder fühlen sich sehr verbunden zum Tier und können emotional intensive Beziehungen zu ihm eingehen.

Das geheimnisvolle Band, das Mensch und Tier, vor allem Mensch und Hund, zu verbinden scheint (vgl. Kusztrich, 1988, S. 36), kann gezielt in der tiergestützten Therapie und somit in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen genutzt werden.

2.2 Entwicklung der tiergestützten Therapie und Pädagogik

Der historische Exkurs über die Entwicklung der tiergestützten Therapie und Pädagogik benötigt eine vorherige Abgrenzung und Definition des Begriffes „Tiergestützte Therapie“, diese werden im Folgenden zunächst vorgenommen.

Unter tiergestützter Therapie werden alle Arten der Therapien verstanden, in denen in irgendeiner Form Tiere eingesetzt werden. Der Begriff „tiergestützt“ verdeutlicht, dass die eingesetzten Tiere den Therapeuten nicht ersetzen sollen, sondern eine unterstützende Rolle in seiner Arbeit übernehmen (vgl. Leugner, Simon, Winkelmayer, 2002, S. 33).

Die tiergestützte Therapie (Animal Assisted Therapy) wird in der Fachliteratur von den tiergestützten Aktivitäten (Animal Assisted Activities) abgegrenzt.

Von tiergestützter Therapie wird gesprochen, wenn Tiere in eine spezielle Therapie einbezogen werden, deren Ziele im Vorfeld festgelegt werden. Das bedeutet, dass der Einsatz von Tieren bei einer bestimmten Person der Erreichung spezifischer Ziele dient. Die tiergestützte Therapie beinhaltet folglich konkrete und zielgerichtete Interventionen. Dabei erfolgt eine exakte Dokumentation der Aktivitäten und Fortschritte während der Therapie (vgl. Olbrich, c, S. 10). Das Tier ist innerhalb dieser Interventionen ein integraler Bestandteil des therapeutischen Konzeptes und Behandlungsprozesses. Mit Hilfe von Tieren soll der Mensch gezielt psychisch, physisch oder sozial gefördert werden.

Bei tiergestützten Aktivitäten handelt es sich meist um Programme, bei denen Menschen von Tieren und deren Tierführern besucht werden (beispielsweise Tierbesuche in Altenheimen). Es sind Aktivitäten, die Mensch und Tier gemeinsam ausführen und die der allgemeinen Verbesserung der Befindlichkeit des Menschen dienen. Diese Aktivitäten sind nicht auf bestimmte Personen ausgerichtet und benötigen keine vorherige Festsetzung von konkreten Zielen, die in der Arbeit mit dem Tier erreicht werden sollen (vgl. Niepel, 1998, S. 61).

Aufgrund der Analogie der tiergestützten Therapie zu den tiergestützten Aktivitäten ist eine präzise Abgrenzung zwischen diesen beiden meist nur schwer vorzunehmen.

Der Einsatz von Hunden in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen, wie er in der vorliegenden Arbeit beschrieben wird, kann der tiergestützten Therapie (Pädagogik) zugeordnet werden, da hier eine individuelle Ausrichtung sowohl der Interventionen als auch der Ziele auf das spezifische Kind vorgenommen wird. Es handelt sich demzufolge bei „hundgestützter“ Pädagogik, das heißt dem Einsatz des Hundes (der Interaktion zwischen Kind und Hund) in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, um eine Form der tiergestützten Therapie (Pädagogik).

Die Idee, Tiere in die Therapie und Heilung kranker Menschen einzusetzen, ist keine Idee der Neuzeit. Die Wurzeln der tiergestützten Therapie und Pädagogik reichen weit zurück. Schon vor vielen Jahrhunderten haben Kulturen vor uns versucht, durch Tiere menschliche Krankheiten zu heilen. Somit bestand bereits zur damaligen Zeit die allgemeine Kenntnis über den positiven Einfluss, den Tiere auf den Menschen ausüben. Der römische Schriftsteller Plinius der Ältere berichtete beispielsweise von einer Heilungsmethode, bei der junge Hunde an den menschlichen Körper gepresst wurden, um den Menschen von Krankheiten zu befreien. Auch aus der griechischen Antike ist bekannt, dass in einem Krankenhaus die Patienten mit Hilfe von Hunden versucht wurden, zu heilen. Aber ebenfalls im frühen Christentum glaubte man an die Heilkraft von Hunden. Auf Bildern wird der heilige Rochus mit seinem Hund gezeigt, der ihm die Pest weggeleckt haben soll (vgl. Kusztrich, 1992, S. 40 ff.).

Seit dem achten Jahrhundert wurden in Gheel in Belgien Tiere gezielt für therapeutische Zwecke eingesetzt. Dort wurde die sogenannte „therapie naturelle“ durchgeführt, bei der sozio-ökonomisch benachteiligte Menschen durch die Arbeit mit Tieren auf dem Land eine bessere Lebensbasis und höhere Lebenszufriedenheit erlangen sollten (vgl. Olbrich, c, S. 11).

1792 wurde in England „York Retreat“, eine Anstalt für Geisteskranke gegründet, in der die Patienten verschiedene Kleintiere hielten und diese versorgten. Der Einbezug von Tieren diente schon damals dem Zweck der „Heilung“ der Patienten.

In Deutschland ist der erste Einsatz von Tieren zu therapeutischen Zwecken durch die „Institution ohne Mauern“ in Bethel bekannt. Seit 1876 wurde dort für Menschen mit neurologischen und psychischen Erkrankungen ein natürlicher Lebensraum geschaffen, in den verschiedene Tiere und Pflanzen integriert waren. Diese Institution vertraute von Anfang an auf die „Heilkraft“ von Tieren, um ihren Patienten zu helfen.

Leider wurden die damaligen Erfolge der Versuche, Tiere in die Therapie von Menschen einzusetzen, weder in Bethel noch in anderen psychiatrischen und sozialpädagogischen Institutionen dokumentiert, sodass sich die tiergestützte Therapie zu jener Zeit noch nicht durchsetzen konnte (vgl. Greiffenhagen, 1993, S. 14).

Erst als der Psychologe Boris Levinson im Jahr 1961 eine einschneidende Beobachtung in seiner therapeutischen Praxis machte, begann der Durchbruch der tiergestützten Therapie. Levinson entdeckte zufällig, dass Tiere als „Katalysatoren“ für menschliche Interaktion wirken können, als sein Hund „Jingles“ eines Tages noch in seiner Praxis verweilte und einer seiner Patienten, ein kleiner Junge, etwas verfrüht zur Therapiestunde eintraf. Levinson hatte schon längere Zeit mit diesem sozial gestörten Jungen gearbeitet. Bis zu diesem Tag blieben seine Bemühungen jedoch ohne Erfolg.

Der üblicherweise sehr verschlossene und schweigsame Junge fühlte sich sofort von Jingles angezogen und ging offen auf diesen zu. Er begrüßte den Hund freudig und sprach spontan mit ihm. Levinson ließ von dieser Zeit an seinen Hund die Therapiestunde mit dem Jungen begleiten. Er begann über den Hund mit dem Jungen in Kontakt zu treten und wurde durch den Hund in die Interaktion miteinbezogen. Schnell erkannte Levinson die Wirkung des Hundes als „sozialer Katalysator“, der für den Jungen einen sozialen und verbalen Kontakt zu dem Therapeuten und schließlich zu einem immer größer werdenden Kreis von Menschen ermöglichte.

Levinson setzte seinen Hund in der Folgezeit gezielt in die Therapie seiner Patienten ein und begann, die hilfreichen Effekte von Tieren auf den Menschen zu untersuchen. Schließlich veröffentlichte er seine Erfahrungen im Jahr 1969. Damit gab er auch für andere Psychologen und Ärzte den Anstoß zur Systematisierung und Untersuchung der hilfreichen Effekte von Tieren für Menschen (vgl. Olbrich, c, S. 12). Levinson gilt bis heute als Pionier und Revolutionär im Einsatz von Tieren als therapeutische Begleiter (vgl. McCulloch, 1983, S. 26).

Künftige Studien der Biologin Erika Friedmann, dem Psychologenehepaar Corson und dem Mediziner Katcher waren für die tiergestützte Therapie wegweisend.

Der erste Versuch, eine systematische Studie zum Einsatz von Tieren in der Psychotherapie durchzuführen, gelang dem Ehepaar Sam und Elisabeth Corson Mitte der siebziger Jahre. Sie setzten Hunde in einer psychiatrischen Klinik ein und untersuchten den therapeutischen Wert dieser bei der Behandlung von Patienten, die sich gegen andere Therapieformen bisher gewehrt hatten. Die Patienten nahmen allmählich eine Beziehung zu den Hunden und schließlich auch zu den Therapeuten auf. Auch hier wurde die „Katalysatorwirkung“ von Tieren erfolgreich nachgewiesen (vgl. McCulloch, 1983, S. 27).

Studien von Friedmann, Katcher, Lynch und Thomas belegen, dass Tiere ebenfalls positive Effekte auf die menschliche Physis haben. In ihren Studien fanden sie heraus, dass Heimtierhaltung bei Herzinfarktpatienten eine lebensverlängernde Wirkung hat (vgl. Kusztrich, 1988, S. 40).

In England, Kanada, USA und Australien werden Tiere als therapeutische Begleiter seit weit mehr als zwanzig Jahren aktiv eingesetzt (vgl. Otterstedt, 2001, S. 20). In Deutschland begann nicht nur die Forschung über die tiergestützte Therapie, sondern auch der therapeutische Einsatz von Tieren erst später, Mitte der achtziger Jahren.

In der Bundesrepublik nahm lange Zeit vorwiegend das Therapeutische Reiten eine führende Rolle in Forschung und Praxis ein (vgl. Greiffenhagen, 1993, S. 16). Allmählich schreitet die wissenschaftliche Forschung aber auch in anderen Bereichen der tiergestützten Therapie voran. Seit einigen Jahren finden sich nun auch hier einige Vereine und Projekte, die sich um den Einsatz von Tieren als therapeutische Begleiter bemühen. Beispielsweise der „Forschungskreis Heimtiere in der Gesellschaft“, der von dem Sozialpsychologen Reinhold Bergler gegründet wurde, hat schon eine Reihe von wissenschaftlichen Studien über die Wirkung von Tieren auf Kinder und ältere Menschen durchgeführt. Auch der Psychologe Erhard Olbrich erforscht die Wirkung von Tieren auf Menschen, vor allem auf ältere Menschen (vgl. FHidG, o.J., S. 4). Andere Vereine, die auf dem Gebiet der tiergestützten Therapie aktiv tätig sind, sind beispielsweise „Tiere helfen Menschen“, „Leben mit Tieren“ oder auch das „Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung“ (IEMT). „Tiergestützte Therapie“ ist zu einem eigenen, mittlerweile anerkannten Forschungszweig geworden.

Obwohl die tiergestützte Therapie allmählich in medizinischen, psychiatrischen und pädagogischen Bereichen an Bedeutung gewinnt, stehen immer noch viele Pädagogen, Psychologen und Ärzte dem therapeutischen Einsatz von Tieren kritisch gegenüber. Trotz verstärkter Medienpräsenz der tiergestützten Therapie beschäftigen sich diese noch zu selten mit der Möglichkeit des Einsatzes von Tieren in ihrer Arbeit. Vor allem im Bereich der „hundgestützten“ Pädagogik mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen bestehen noch große Defizite in Wissenschaft, Theorie und Praxis. Zwar werden Hunde bereits vereinzelt in die Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen einbezogen, aber soweit wie sich beispielsweise das Therapeutische Reiten etabliert hat, konnte sich der Einsatz von Hunden als anerkannte pädagogische und therapeutische Methode noch nicht durchsetzen. Sicherlich hat dazu auch der Mangel an Beschäftigung mit der fördernden Wirkung, die die Interaktion zwischen Kind und Hund haben kann, beigetragen. Es gilt folglich, diese Interaktion zwischen Kind und Hund einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.

3. Die Interaktion zwischen Kind und Hund

Treten Kind und Hund in Interaktion miteinander, entsteht ein wechselseitiger Kontakt zwischen ihnen, sie kommunizieren folglich miteinander. Die hier vorliegende, besondere Art der Kommunikation trägt meist binnen kurzer Zeit zur Entstehung einer außergewöhnlichen Beziehung zwischen Kind und Hund bei.

Das Kind ist aufgrund der Bedeutung, die Tiere schon früh in seinem Leben einnehmen, meist mühe- und barrierelos im Stande, eine Beziehung zum Hund aufbauen. Der Hund wiederum ist wegen seiner besonderen Eigenschaften und Verhaltensweisen in der Regel ebenfalls in der Lage, ohne Schwierigkeiten eine enge Beziehung zum Kind einzugehen.

Die Interaktion zwischen Kind und Hund kann das Kind unter bestimmten Bedingungen emotional öffnen und sich darüber hinaus fördernd auf verschiedene Entwicklungsbereiche des Kindes auswirken.

3.1 Die Kind-Hund-Beziehung

Die Bindung, die Kinder zu Hunden aufbauen können, ist meist eine sehr enge und für die Kinder bedeutsame Bindung. Tiere, speziell Hunde, sind für Kinder gewöhnlich von großer Bedeutung. Es besteht zwischen Kind und Hund eine innige Verbundenheit. Beinahe jedes Kind hegt den Wunsch nach einem tierischen Begleiter an seiner Seite. Aber warum sind Hunde derart wichtig für Kinder und welche Bedeutungen haben Hunde im Einzelnen für sie? Welcher Art ist die Beziehung zwischen Kind und Hund? Was ist das Besondere an dieser Beziehung? Und warum? Diesen Fragen wird im Folgenden nachgegangen.

3.1.1 Die Bedeutung von Hunden für Kinder

„Kinder brauchen Tiere“, stellt der Sozialpsychologe Reinhold Bergler bereits im Titel seines Werkes über die Kind-Hund-Beziehung fest (Bergler, 1994). Diese These weist auf die bedeutende Rolle hin, die Tiere in der Entwicklung von Kindern einnehmen.

Gerade in unserer technisierten Welt, in der viele Dinge nur noch irreal wahrgenommen und erlebt werden, beispielsweise durch das heutige „Fernseh-Paradies“, ist das Tier als etwas Reales und „Greifbares“ sehr bedeutsam für die Entwicklung des Kindes (vgl. Lachner, 1979, S. 9). Für Kinder ist es elementar, sich und ihr Handeln in einer realen Welt zu erproben, anhand von realen, „greifbaren“ Objekten. Diese realen Erfahrungen werden durch das Tier ermöglicht.

Die Sehnsucht, die von Seiten der Kinder nach einem Tier besteht, macht das Bedürfnis nach gefühlter Wärme, Zuneigung und Vertrauen von Kindern in dieser sonst so „kalten“, technisierten Welt deutlich (vgl. Lachner, 1979, S. 11). Das Tier schlägt für das Kind eine Brücke zur Natur. Auf keine andere Weise lässt sich für das Kind eine derart intensive Verbindung zur Natur erschließen.

Tiere sind ein selbstverständlicher Teil der Welt, in der Kinder aufwachsen (vgl. Bergler, 1994, S. 12). Von klein auf begleiten sie die Entwicklung von Kindern. Tiere machen oft sogar einen entscheidenden Teil der kindlichen Lieblingswelt aus. In Form von Teddybären und anderen Kuscheltieren, die meist erste Übergangsobjekte für das Kind darstellen, welche ihm die Trennung von seinen Bezugspersonen erleichtern, wächst das Kind selbstverständlich mit Tieren auf. Kinder sind im Verlauf ihrer gesamten Entwicklung mit Tieren konfrontiert. Nicht nur durch Filme, Märchen und Bilderbücher werden Kinder schon früh mit Tieren vertraut gemacht und von ihnen beeindruckt, sondern auch durch Zoobesuche beginnen sie, Tiere zu lieben (vgl. Greiffenhagen, 1993, S. 182). Aufgrund dieser frühen Erfahrungen verbinden Kinder viele positive Erinnerungen, Gefühle und Erwartungen mit Tieren und treten ihnen so meist sehr offen, interessiert und vertrauensvoll gegenüber.

Das Tier steht meist im Zentrum kindlicher Lebensqualität (vgl. Bergler, 1994, S. 17). Vor allem Hunde werden von Kindern besonders gemocht. Sie stellen die Lieblingstiere der meisten Kinder dar. Das bestätigt auch eine Studie von Zillig, in der Mädchen gefragt wurden, welches Tier sie sich am liebsten in ihrer unmittelbaren Nähe wünschen. 23 von 30 Befragten gaben an, Hunde am liebs­ten um sich zu haben (vgl. Zillig, 1961, S. 19). Dieses Ergebnis ist aus anderen Erfahrungswerten auch auf Jungen übertragbar.

Eine Untersuchung von Bergler, in der 150 Jungen und 150 Mädchen im Alter von zehn bis vierzehn Jahren nach der persönlichen Bedeutung von Hunden für ihr Leben gefragt wurden, ergab, dass Hunde für Kinder vielfältige Bedeutungen haben (vgl. Bergler, 1994, S. 23 ff.). Sie bieten nicht nur diverse Erlebnismöglichkeiten aufgrund der verschiedenen Aktivitäten, die man mit ihnen zusammen durchführen kann (beispielsweise Toben, Tollen, Versteckenspielen, Spazierengehen, Kuscheln), sondern sie werden von Kindern auch als Begleiter und Vertraute erlebt, die immer für sie da sind, die immer zuhören und denen sie alles erzählen können. Außerdem gaben die Kinder an, ihnen sei wichtig, dass der Hund offen seine Zuneigung zeigt und ihnen Streicheleinheiten gibt und gleichfalls zulässt. Laut eigenen Aussagen der Kinder wird der Hund für sie auch dadurch bedeutsam, dass sie ihm etwas beibringen können und auf diese Weise Erfolgserlebnisse haben können. Er verschafft zusätzlich bei anderen Kindern Bewunderung, Anerkennung und Respekt. Die Kinder berichteten außerdem, mit einem Hund an ihrer Seite ohne Angst die Umwelt erleben zu können.

Wie deutlich wird, befriedigen Hunde eine Vielzahl von kindlichen Bedürfnissen. Sie stellen für das Kind aufgrund ihrer allzeitigen Spielbereitschaft optimale Spielgefährten dar. Das Spiel mit dem Hund ist abwechslungsreich, bietet dem Kind immer wieder neue Reize und ist unterhaltsam (vgl. Bergler, 1994, S. 32). So wird dem Kind im Spiel mit dem Hund die Möglichkeit geboten, sich völlig auszutoben. Es kann reale Abenteuer mit dem Hund erleben, anstatt seine Freizeit beispielsweise mit Fernsehen oder Computerspielen zu verbringen.

Kinder, die einen Hund an ihrer Seite haben, fühlen sich nie allein oder einsam. Im Hund finden sie jederzeit einen Gesprächspartner, der für Ansprache bereit ist. Die befragten Kinder bestätigten durch ihre Aussagen, dass sie im Hund stets einen zuverlässigen und treuen Gesprächspartner finden, der zuhört und nichts Bedeutsameres vor hat. Diese Qualitäten lassen den Hund zu einem wahren Freund für das Kind werden (vgl. Bergler, 1994, S. 33).

In der oben genannten Umfrage, in der die Kinder unter anderem gefragt wurden, was sie ihrem Hund alles erzählen, fand Bergler auch heraus, dass es kein Thema gibt, was Kinder in dem „Gespräch“ mit ihrem Hund ausklammern. Kinder erzählen ihren Hunden sowohl alltägliche Dinge und Erlebnisse aus der Schule als ihnen auch Sorgen, Probleme und Geheimnisse anzuvertrauen (vgl. Bergler, 1994, S. 46/47). Die Aussagen der Kinder sind den zusammengefassten Ergebnissen aus der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Gespräche mit meinem Hund

(vgl. Bergler, 1994, S. 48)

Wie in Tabelle 1 sichtbar wird, nimmt der Hund regelmäßig die Rolle des Trös­ters und „Heilers“ für das Kind ein. Ein großer Teil der Kinder (insgesamt 63%) erzählt seinem Hund, wenn sie traurig sind, Sorgen haben oder Streit und Ärger mit jemandem haben. Der Hund vermag, das Kind zu trösten und von seinen Sorgen abzulenken, indem er einfach für das Kind da ist, ihm aufmerksam zuhört und ihm verstehende Blicke zuwirft (vgl. Bergler, 1994, S. 48). Kinder sprechen auch mit ihrem Hund, wenn sie wütend sind und sich affektiv entladen möchten (61%).

Bergler legte den Fokus seiner Befragung nicht nur darauf, was die Kinder ihren Hunden erzählen, sondern auch in welchen Situationen sie ihren Hunden etwas erzählen. Deshalb wurden die Kinder ergänzend befragt, in welchen Situationen nach ihrer Ansicht der Hund ein absolut unverzichtbarer Gesprächspartner ist (vgl. Bergler, 1994, S. 50). Dazu haben die Aussagen der Kinder folgende Ergebnisse geliefert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Situationen, in denen Hunde unverzichtbare Gesprächspartner sind

(vgl. Bergler, 1994, S. 51)

Aus den Aussagen der Kinder geht die Bedeutsamkeit von Hunden als Gesprächspartner in schwierigen und kritischen Situationen hervor. Vor allem wenn Kinder Konflikte mit ihren Eltern haben, wenden sie sich Trost suchend an ihren Hund. Aber auch in Konfliktsituationen mit anderen Menschen ist der Hund ein unverzichtbarer Gesprächspartner für das Kind.

Grundlegend für das Kind stellt sich aber auch die Gegebenheit dar, dass es vom Hund in seiner ganzen Persönlichkeit akzeptiert wird. Im Zusammensein mit dem Hund muss sich das Kind nicht verstellen, es kann unbefangen einfach Kind sein und seine Bedürfnisse nach Nähe, Zuneigung und Liebe offen ausleben.

Der Hund nimmt auch als Bindungsobjekt eine bedeutende Rolle im Leben des Kindes ein. So kann er für das Kind ein geeignetes Bindungsobjekt im Sinne der Bindungstheorie nach Bowlby und Ainsworth darstellen (vgl. Main, 2002, S. 173- 177). Der Hund gibt dem Kind einerseits Sicherheit und Liebe und fordert das Kind andererseits zur Exploration und somit zu unabhängigem und selbstständigem Handeln auf. Von sicherer Basis aus ermöglicht der Hund dem Kind, neue Erfahrungen zu machen und sich an neue Herausforderungen heranzutrauen. Hat das Kind Angst, reagiert der Hund fürsorglich und beschützend und vermittelt dem Kind wieder neue Sicherheit, von der aus es sich erneut an fremde Situationen herantrauen kann.

Eigene Beobachtungen zwischen meinem Hund und meiner vierjährigen Nichte bestätigen die Sicherheit gebende und zur Exploration auffordernde Rolle des Hundes. In der Interaktion zwischen meiner Nichte und meinem Hund lässt sich immer wieder beobachten, dass meine Nichte in Situationen, die ihr fremd oder unheimlich erscheinen, sich Hilfe und Schutz suchend an meinen Hund wendet, der ihr diesen schließlich gewährt. Geht sie dann mit ihm an ihrer Seite erneut in die jeweilige Situation herein, ist sie weniger ängstlich und wagt sich nach kurzer Zeit von meinem Hund zu entfernen und die Situation neu zu entdecken.

Gerade für unsichere, ängstliche und zurückgezogene Kinder kann die Sicherheit, die der Hund dem Kind gibt, anregend und förderlich für dessen weiteren Entwicklungsverlauf sein.

Auch Siegal (1986, S. 12) greift einen ähnlichen Gedanken auf, indem er davon ausgeht, dass dem Heranwachsenden gerade in Phasen der Furcht vor dem Neuen, vor neuen Anforderungen und vor dem Aufgeben von Altvertrautem das Gefühl von Geborgenheit, das der Hund ihm gibt, erlaubt, größere Risiken einzugehen und die nächste Wachstums- und Entwicklungsphase in Angriff zu nehmen.

Es soll an dieser Stelle nicht das Missverständnis entstehen, dass ein Hund als Bindungsobjekt ein Ersatz für Mutter oder Vater sein kann, sondern er kann als dieses vielmehr ergänzend eine große Bedeutung in der Entwicklung des Kindes einnehmen.

3.1.2 Die psychologische Sichtweise der Kind-Hund-Beziehung

Die Beziehung zwischen Kind und Hund entwickelt sich im Kindes- und Jugend­alter entsprechend dem kognitiven Entwicklungsstand des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen. Die jeweilige kognitive Entwicklungsstufe, auf der sich das Kind befindet, bietet dem Kind nur jeweils bestimmte Möglichkeiten, über den Hund zu denken, zu fühlen und mit ihm in Interaktion zu treten. Das wiederum hat direkte Auswirkungen auf das Erleben, die Neigungen und Ängste von Kindern in Bezug auf den Hund und auf den Umgang dieser mit dem Hund. Außerdem beeinflusst die kognitive Entwicklung des Kindes die Funktionen, die Hunde in der Entwicklung von Kindern haben können (vgl. Zemanek, o.J., S. 24).

Zemanek beschreibt die Entwicklung der Kind-Tier-Beziehung in Anlehnung an Piagets entwicklungspsychologische Stufentheorie zur kognitiven Entwicklung. Für die Bestrebungen der vorliegenden Arbeit ist es sinnvoll, ebenfalls Bezug auf diese Theorie zu nehmen, um anhand dieser eine Erläuterung zu geben, welcher Art die Beziehung des Kindes zum Hund in verschiedenen Entwicklungsstadien ist.

Auf der ersten Stufe der kognitiven Entwicklung, der Stufe der sensumotorischen Intelligenz, die in der Regel von der Geburt bis zum zweiten Lebensjahr andauert, entsteht die Welterfahrung des Kindes aus einem Zusammenspiel seiner motorischen Aktivitäten und seiner Wahrnehmung. Das Kind versucht in diesem Alter seine Umwelt regelrecht zu „begreifen“. Am Anfang dieser Stufe kann das Kind nicht zwischen der Welt der Dinge und der Welt der Menschen unterscheiden. Innerhalb dieser Stufe lernt es dieses jedoch und erlangt aufgrund der Erfahrung seiner selbst, die es durch seine Körpererfahrungen mit der Zeit macht, eine eigene Identität (vgl. Zemanek, 1992, S. 3).

Der Hund stellt für das Kind innerhalb dieser Entwicklungsphase zusätzlich ein „Übungsfeld“ für motorische Fähigkeiten dar. Indem das Kind das Fell des Hundes anfasst, übt es sich in seinen motorischen Fertigkeiten.

Das Kind erlangt ein erstes einfaches Verständnis von Ursache und Wirkung und kann Handlungen verinnerlichen, also Vorstellungen entwickeln. Gegen Ende dieser Stufe realisiert das Kind den Unterschied zwischen einem leblosen Stofftier und einem lebendigen Tier aufgrund dessen spontanen Bewegungen, die das Kind nun wahrnimmt (vgl. Zemanek, o.J., S. 24).

[...]

Fin de l'extrait de 98 pages

Résumé des informations

Titre
Die Interaktion zwischen Kind und Hund als fördernder Prozess in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen
Université
University of Siegen
Note
1
Auteur
Année
2005
Pages
98
N° de catalogue
V49642
ISBN (ebook)
9783638460347
Taille d'un fichier
641 KB
Langue
allemand
Mots clés
Interaktion, Kind, Hund, Prozess, Arbeit, Kindern, Jugendlichen
Citation du texte
Diplom-Sozialpädagogin Bianca Langenbach (Auteur), 2005, Die Interaktion zwischen Kind und Hund als fördernder Prozess in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49642

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