Wettbewerbsökonomie und relevante Märkte im Datenzeitalter


Akademische Arbeit, 2017

36 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen
2.1. Charakteristika digitaler Plattformmärkte
2.1.1. Netzwerkeffekte
2.1.2. Daten als Rohstoff
2.1.3. Kein Preiswettbewerb
2.1.4. Zwischenfazit
2.2. Bestimmung des relevanten Marktes
2.2.1. Substitutionskonzept und ergänzende Methoden
2.2.1.1. Substitutionskonzept
2.2.1.2. SSNIP-Test
2.2.1.3. Angebotsumstellungsflexibilität
2.2.2. Unentgeltliche Märkte
2.2.3. Marktabgrenzung bei mehrseitigen Märkten
2.3. Bestimmung von Marktmacht
2.3.1. Marktanteile
2.3.2. Potentieller Wettbewerb
2.3.3. Netzwerkeffekte
2.3.4. Essential facilities

3. Relevante Märkte
3.1. Google
3.1.1. Nutzermarkt
3.1.2. Werbemarkt
3.2. Facebook
3.2.1. Nutzermarkt
3.2.2. Werbemarkt

4. Marktbeherrschung
4.1. Google
4.1.1. Nutzermarkt
4.1.2. Werbemarkt
4.2. Facebook
4.2.1. Nutzermarkt
4.2.2. Werbemarkt

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Marktmacht im Datenzeitalter – eine wettbewerbsökonomische Analyse

1. Einleitung

Die gesellschaftliche Bedeutung von internetbasierten Plattformen wie Google und Facebook nimmt stetig zu. Aus dem Leben vieler Bürger sind die mit ihnen einhergehenden Vorteile nämlich kaum noch wegzudenken: Eine Anfrage bei Google ersetzt beispielsweise das zeitaufwändigere Nachschlagen in einem Lexikon, eine Verbindung bei Facebook erleichtert es, Freundschaften auch über eine große räumliche Distanz aufrecht zu erhalten. Dies belegen die Zugriffszahlen eindrucksvoll: Derzeit hat Facebook knapp 1,8 Mrd. monatlich aktive Nutzer, 2011 waren dies noch 800 Millionen (Facebook 2016a). Google hat im Jahr 2015 weltweit mehr als 2,8 Billionen Suchanfragen verarbeitet, 2010 lag die Zahl noch knapp unter einer Billion (Internet Live Stats, Statistic Brain Research Institute 2015).

Auch ökonomisch sind Google und Facebook eine echte Größe. Mit einem Marktwert von 500 Mrd. Dollar (Google/Alphabet) bzw. 314 Mrd. Dollar (Facebook) gehören beide zu den zehn wertvollsten Unternehmen weltweit (Forbes 2016). Ihr weltweiter Umsatz beläuft sich im Jahr 2015 auf 17 Mrd. Dollar (Facebook) bzw. 74 Mrd. Dollar (Google/Alphabet) (Facebook 2016b bzw. Alphabet 2016).

Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft führt aber auch zu politischen Debatten. Für Bundeskanzlerin Merkel ist das Internet bekanntermaßen „Neuland“, Bundeswirtschaftsminister Gabriel meint, der Informationskapitalismus stelle unsere marktwirtschaftliche Ordnung zur Disposition. Als ultima ratio erwägt Gabriel sogar eine Entflechtung von Unternehmen wie Google, um zu verhindern, dass sich „in neufeudaler Selbstherrlichkeit auftretende Monopolisten rechtsstaatlichen Regeln entziehen“ (Gabriel 2014).

Aus wettbewerbspolitischer Perspektive eröffnen sich durch die Digitalisierung eine Reihe von Fragestellungen. Teils wird die Eignung des bestehenden Kartellrechts, mit den Herausforderungen der digitalen Märkte zurechtzukommen, in Frage gestellt (vgl. Körber 2015, S. 120-132); Podszun (2015, S. 326 ff.) fordert hingegen einen „more technological approach“.

Fallentscheidend ist im kartellrechtlichen Missbrauchstatbestand (§ 19 GWB) meist die Marktabgrenzung. Adressat des Missbrauchstatbestands ist der Inhaber einer marktbeherrschenden Stellung. Zieht man den relevanten Markt enger, so wird die Stellung des betroffenen Unternehmens stärker, fasst man ihn weiter, so wird sie entsprechend schwächer. Hat man den relevanten Markt definiert, bestimmt sich die Marktmacht nicht nur durch den Marktanteil, sondern beispielsweise auch über den potentiellen Wettbewerb und Marktzutrittsschranken (vgl. § 18 III GWB).

Tatsächlich ist es so, dass durch Netzwerkeffekte und hohe Wechselkosten in einigen Plattformmärkten hohe Konzentrierungstendenzen bestehen (vgl. Haucap/Heimeshoff 2014, S. 49-61) So hat Google auf dem „Online-Suchmaschinenmarkt“ in Deutschland einen Anteil von 94% (SEO-united 2016), Facebook einen Anteil von 85% auf dem „Markt für Soziale Netzwerke“ (StatCounter 2017b). Sind Facebook und Google daher „automatisch“ marktbeherrschend? Und wie werden solche Marktanteile ermittelt? Welche Rolle spielt es dabei, dass die Dienstleistungen gegenüber dem Endkunden meist unentgeltlich angeboten werden?

Nachfolgend soll untersucht werden, wodurch sich digitale Plattformmärkte in wettbewerblicher Hinsicht auszeichnen, wie der relevante Markt datenverarbeitender Unternehmen bestimmt wird, und welche Besonderheiten sich bei der Ermittlung von Marktmacht ergeben. Dies soll exemplarisch anhand von Facebook und Google geschehen.

Dazu sollen zunächst die Charakteristika der Plattformen und ihrer Märkte skizziert werden. Sodann wird der bisherige Stand zur Bestimmung des relevanten Marktes sowie zur Bestimmung von Marktmacht erläutert. Mithilfe der bis dorthin gewonnenen Erkenntnisse soll dann untersucht werden, auf welchen Märkten die Unternehmen Google und Facebook tätig sind und analysiert werden, ob sie dort auch marktbeherrschend sind. Soweit erforderlich, werden Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Methodik gemacht.

2. Grundlagen

2.1. Charakteristika digitaler Plattformmärkte

Zunächst sollen digitale Plattformmärkte wie Google und Facebook charakterisiert werden. Google und Facebook zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein für den Endnutzer entgeltfreies Angebot schaffen. Google liefert zielgenaue Suchergebnisse, Facebook bietet nicht nur die Möglichkeit, sich mit Freunden zu vernetzen, sondern auch Seiten entsprechend der eigenen Präferenzen zu vernetzen. Der von den Nutzern verursachte Traffic wird von Google und Facebook entsprechend aufbereitet und kommerziell – insbesondere für Werbezwecke Dritter – verwertbar gemacht: Google zeigt neben den Suchergebnissen auch Reklame an, jedoch keine beliebige, sondern solche, die den Suchbegriffen entsprechen. Stellt man auf Facebook seinen Beziehungsstatus auf „verlobt“ ein, wird man in den Werbefenstern eher Angebote für Tanzkurse als für einen Single-Treff angezeigt bekommen. Dies hat sowohl für den Nutzer als auch für den Werbenden zwei entscheidende Vorteile: Der Nutzer erhält eine entgeltfreie Dienstleistung, der Werbende die Möglichkeit, mit einem vergleichsweisen geringen Budgetaufwand eine zielgruppengenaue Werbung zu schalten.

Diese Beispiele zeigen Dreierlei: Erstens ist der Wettbewerb digitaler Plattformen nicht mehr vom Preis abhängig, vielmehr wird vom Nutzer Entgeltfreiheit erwartet. Zweitens dienen die vom Nutzer generierten Daten als Rohstoff, die die Plattform über den Werbemarkt veräußert. Drittens ist der Erfolg einer Plattform maßgeblich von den Wechselwirkungen zwischen Nutzer und der Gegenseite abhängig (Netzwerkeffekte). Diese Aspekte sollen nachfolgend genauer untersucht werden.

2.1.1. Netzwerkeffekte

Im Zusammenhang mit Facebook oder Google wird oft von Plattformen gesprochen. Wie beschrieben zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie zwei Gruppen – hier Nutzer und Werbende – zusammenführen. Plattformen sind in der ökonomischen Forschung ein schon länger beobachtetes und erforschtes Phänomen. Dennoch konnte sich bis heute keine allgemeingültige Definition der Plattform durchsetzen.

Rochet und Tirole (2006, S. 645-667) stellen bei ihrem Definitionsversuch vor allem auf die Preisstruktur ab. Ausgangspunkt ist zunächst, dass die Plattform als Intermediär zwei Nutzergruppen zum Zwecke der gemeinsamen Transaktion verbindet, und diese Nutzergruppen einen Preis pro Transaktion an die Plattform zahlen. Dieser Preis sei bei Plattformen nicht neutral, das heißt, der Preis für eine Nutzergruppe liege oberhalb, für die andere Gruppe unterhalb der jeweiligen Grenzkosten. Ein optimaler Preis werde durch diese Art der Quersubventionierung erreicht.

Hagiu und Wright (2015, S. 162-174) definieren eine Plattform in Abgrenzung zu einem Händler als das Ermöglichen einer direkten Transaktion zwischen den beiden Seiten der Plattform. Anders als der Händler habe die Plattform keinen Einfluss auf die Preissetzung. Gleichzeitig sei es erforderlich, dass die beiden Seiten plattformspezifische Investitionen vornähmen, beispielsweise die Anmeldung bei der Plattform oder Gebühren.

Armstrong (2006, S. 668-691) definiert eine Plattform als das Zusammenbringen von zwei oder mehr Nutzergruppen, zwischen denen (zumeist positive) Netzwerkeffekte bestehen.

Diese werden durch die Plattform zumindest teilweise internalisiert. Die Preissetzung basiere dabei insbesondere auf der Ausprägung der Externalität der einen Nutzergruppe auf die andere.

Alle Ansätze haben gemeinsam, dass zum einen die Plattform als Intermediär zwei oder mehr Gruppen miteinander interagieren lässt, und zum anderen, dass eine Wechselwirkung zwischen den Entscheidungen der Gruppen besteht. Auch das Bundeskartellamt (2016, S. 14) hält in Anknüpfung an die wettbewerblichen Aspekte eine Definition für geboten, die neben der Intermediär-Funktion vor allem auf das Vorliegen von indirekten Netzwerkeffekten abstellt.

Netzwerkeffekte gehören zu den externen Effekten. Allgemein liegt ein externer Effekt vor, wenn sich die Handlungen eines Akteures nicht nur auf seinen eigenen Nutzen, sondern auch auf den Nutzen eines Dritten auswirkt. Bei Netzwerkeffekten wird dieser Ansatz auf das Verhalten und den Nutzen von Gruppen übertragen. Insoweit wird auch zwischen direkten und indirekten Netzwerkeffekten unterschieden (Bundeskartellamt 2016, S. 9).

Direkte Netzwerkeffekte liegen vor, wenn eine Gruppe davon profitiert, wenn mehr (dann positive direkte Netzwerkeffekte) bzw. weniger Mitglieder (dann negative) ihrer eigenen Gruppe auf der Plattform aktiv sind (Bundeskartellamt 2016, S. 9)

Die Attraktivität von Facebook ist stark davon abhängig, ob es für den Nutzer genug Freunde gibt, mit denen er sich vernetzen kann. Je mehr aktive Nutzer Facebook hat, die Inhalte posten und teilen, desto größer ist der Nutzen für jedes einzelne Mitglied. Es liegen also starke positiv-direkte Netzwerkeffekte bezogen auf die Endnutzergruppe Facebooks vor. Gleiches gilt auch für die Nutzer von Google: je mehr Menschen die Suchmaschine nutzen, desto eher kann Google die Suchpräferenzen anhand der angeklickten Suchtreffer analysieren und damit den Suchalgorithmus verbessern. Rivalität in der Nutzung des Social- Media-Angebots bzw. der Suchdienstleistung besteht gerade nicht.

Die Definition indirekter Netzwerkeffekte ist umstritten. Nach einer Ansicht (Shy 2011, S. 119–149) liegen indirekte Netzwerkeffekte vor, wenn eine Gruppe in der Plattform in der Gruppe überrepräsentiert ist, dies Mitglieder der anderen Gruppe anlockt und dadurch mittelbar die erste Gruppe profitiert. Das wäre etwa bei Portalen für Hotelbuchungen der Fall, bei denen die Präsenz der Kunden die Hotelbetreiber anlockt, durch die verbesserte Auswahl profitieren wiederum die Kunden. Nach einer anderen Ansicht ist eine solche mittelbare Wirkung nicht erforderlich, vielmehr genüge es, wenn sich das Verhalten einer Gruppe auf eine andere Auswirke (Armstrong 2006, S. 668-691).

Bei Facebook und Google locken hohe Nutzerzahlen die Werbetreibenden an, die durch die Reichweite der Portale profitieren. Die Werbetreibenden sind dabei auf die Aufmerksamkeit der Nutzer angewiesen und profitieren somit durch die Nutzer. Eine „Rückkopplung“ im Sinne eines mittelbaren Effekts für die Nutzer ist allerdings nicht erkennbar. Der Nutzer weiß von vornherein, dass er auf ein entgeltfreies Angebot zurückgreift und nimmt dafür in Kauf, dass ihm Werbung eingeblendet wird. Somit stellt weder die Ermöglichung einer entgeltfreien Nutzung von Google oder Facebook eine positive Wechselwirkung dar, noch ist die Anzeige von Werbung eine negative. Damit würden Facebook und Google nicht der ersteren Definition indirekter Effekte unterfallen; mithin lägen auch keine Plattformen im Sinne der Definition des Bundeskartellamtes vor. Dies kann jedoch nicht überzeugen. Um auch werbefinanzierte Produkte der Internetökonomie – hier Google und Facebook – zu erfassen, sollte ein weites Verständnis der indirekten Netzwerkeffekte zugrunde gelegt werden. Einseitige Wechselwirkungen müssen daher genügen. Die Intensität der Wechselwirkungen ist dagegen eine Frage der Marktmachtbestimmung (Bundeskartellamt 2016, S.15).

Es lässt sich also bis hierhin festhalten, dass sich Facebook und Google durch direkte und vor allem starke indirekte Netzwerkeffekte auszeichnen. Sie ermöglichen als Intermediäre den Kontakt zwischen Nutzern und Werbenden, mithin sind sie Plattform im ökonomischen Sinne.

2.1.2. Daten als Rohstoff

Die wesentliche Leistung besteht bei Google und Facebook neben der Bereitstellung der Suchmaschinenfunktion bzw. der Bereitstellung des sozialen Netzwerks darin, die Bewegungen der Nutzer für Dritte kommerzialisierbar zu machen. Erst dadurch können die angebotenen Dienste für alle Marktseiten optimiert werden und mittelbar Einnahmen generiert werden (Körber 2016, S. 305).

Zunächst sind Daten im Verhältnis zwischen Internetdienstanbieter und Nutzer ein Rohstoff, mit dem gegenseitig gehandelt wird. Der Nutzer sucht beispielsweise bei Google nach Informationen, die ihm wichtig sind, Google liefert sie ihm. Im Gegenzug gibt er durch die Suchanfrage oder seine Standortdaten selbst (z.B. „Schnitzel in Bayreuth“) Informationen über sich preis, die für den Suchmaschinenanbieter wertvoll sind. Denn durch die Suchanfragen teilt der Nutzer der Suchmaschine seine Interessen mit, die sich von ihnen wiederum verwerten lassen.

Einerseits ermöglicht es diese Datenerhebung überhaupt erst, den Dienst anzubieten, beziehungsweise weiter zu verbessern. Hält sich jemand regelmäßig an einem bestimmten Ort auf, ist er mit lokalen Ergebnissen von Suchanfragen oft besser bedient, gleiches gilt, wenn sich jemand für ein bestimmtes Thema interessiert. Man denke an die Vorstellungen, die ein Militärhistoriker und ein Artenschützer von ihrem Suchergebnis haben, wenn sie nach einem „Tiger“ suchen.

Andererseits ermöglicht die Kenntnis von Interessen und Standortdaten des Nutzers sowie deren Aufmerksamkeit überhaupt auf der Werbeseite des Marktes die Schaltung von zielgenauer Werbung. Es lässt sich somit von Googles und Facebooks Werbekunden die eigene Zielgruppe präzise und vergleichsweise kostengünstig ansprechen. Beispielsweise ist eine Fernseh- oder Plakatwerbung um ein vielfaches aufwendiger als eine gezielte Facebook-Kampagne, zudem ist noch nicht einmal sicher, ob sie auch zutreffend platziert ist und die Zielgruppe erreicht.

Aber auch der Endkunde profitiert von der Preisgabe seiner persönlichen Daten in doppelter Hinsicht: Einerseits empfängt er Suchergebnisse und Werbeanzeigen, die seinen Interessen entsprechen. Die Werbung wird dadurch zumindest als weniger störend betrachtet, zumal die Anzeige von Werbung auf entgeltfreien Plattform zur Finanzierung des Angebots meist ohnehin unvermeidbar ist. Andererseits profitiert der Endnutzer insbesondere dadurch, dass der Werbekunde die Plattform finanziert und der Endnutzer dadurch erst auf ein für ihn entgeltfreies Angebot zurückgreifen kann.

Dies lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Nach einer Erhebung von Bughin und Manyika (2014, S. 8-11) seien die Nutzer bereit, für die Nutzung digitaler Plattformdienste 250 Mrd. Euro zu bezahlen, die sie gegenwärtig kostenlos erhalten. Demgegenüber liege die tatsächliche Zahlungsbereitschaft für vergleichbare Dienste, die jedoch werbefrei sind und die garantieren, dass persönliche Daten nicht erhoben werden, lediglich bei 80 Mrd. Euro. Bughin und Manyika folgern daraus, dass den Konsumenten durch die Nutzung entgeltfreier Internetdienste Kosten in Höhe von 80 Mrd. Euro in Form von Werbung und der Minderung der Privatsphäre entstünden. Auf diese Weise werden die Nachteile der Offenbarung von persönlichen Daten eingepreist. Insbesondere kann nämlich ein Geheimhaltungsinteresse des Nutzers an gewissen Tatsachen bestehen, die man zwar mit Freunden, nicht jedoch mit Versicherungen oder gar der Staatsanwaltschaft teilen möchte (z.B. Facebookeintrag: „Dritter Unfall in diesem Jahr“). Durch die entgeltfreie Zurverfügungstellung der Dienste, für die die Nutzer jedoch zugleich zur Zahlung von 250 Mrd. Euro bereit seien, ergebe sich eine Konsumentenrente in Höhe von 170 Mrd. Dollar.

2.1.3. Kein Preiswettbewerb

Sowohl Google als auch Facebook sind für den Nutzer entgeltfrei. Zwar wird oft eingewandt, dass Nutzer „mit ihren Daten bezahlen“ (vgl. oben); jedoch existieren keine monetären Geldströme zwischen den Plattformen und den Nutzern. Dies wird von den Nutzern auch erwartet: Nur 18% der Europäer sind dazu bereit, für Social-Media-Netzwerke bares Geld zu bezahlen (Nielsen, 2010).

Somit läuft der Wettbewerb um die Nutzer auf den digitalen Plattformmärkten im Gegensatz zu analogen Märkten nicht mehr über den Preis, sondern wird vermehrt über die Innovation entschieden.

Dies führt dazu, dass die Internetmärkte besonders dynamisch sind. Die hohe Innovationsdichte in der digitalen Branche führt dazu, dass ständig technologische Fortschritte erzielt werden und in neuen Geschäftsmodellen umgesetzt werden. Begünstigt wird dies durch eine oftmals hohe Startkapitalisierung großer Unternehmen aber auch Start- Ups, da Risikokapital derzeit ausreichend vorhanden ist. Es bestehen zudem große Größen- und Skalenvorteile, da sich digitale Angebote einfach und kostengünstig reproduzieren lassen (Podszun/Leber 2015, S. 317). Rivalität des Konsums existiert bei digitalen Angeboten nicht, zudem bestehen nur minimale Grenzkosten. Kapazitätsgrenzen gibt es allenfalls kurzfristig bei der technischen Infrastruktur oder beim Personalbedarf, die aber dynamisch angepasst werden können (Krämer 2016, S. 232).

Prominentes Beispiel für die Dynamik des Marktes sind etwa die VZ-Netzwerke. 2010 hatten studiVZ, meinVZ und schuelerVZ gemeinsam 16 Millionen Nutzer in Deutschland und bildeten das größte soziale Netzwerk in Deutschland. Facebook kam zum selben Zeitpunkt auf 11 Millionen Nutzer in Deutschland. Während die VZ-Netzwerke mit heute einer Million aktiven Nutzer – Tendenz sinkend – beinahe bedeutungslos sind, verfügt Facebook über 28 Millionen aktive Nutzer in Deutschland (Meineck 2015).

Entscheidend für den Wechsel der meisten Nutzer von den VZ-Netzwerken zu Facebook war allein die praktischere Funktionsweise. Facebook ermöglichte es anders als die nur in Deutschland tätigen VZ-Netzwerke, globale Freundschaften zu knüpfen. Zudem punktete Facebook gegenüber den VZ-Netzwerken mit nützlichen Zusatzapplikationen. Statt bloßer Links wurden die Inhalte, beispielsweise YouTube-Videos direkt eingebettet, was nicht nur optisch ansprechender, sondern für den Nutzer auch um ein vielfaches praktischer war (Burchard 2009).

Demgegenüber waren Datenschutzgesichtspunkte offenbar keine relevanten Gesichtspunkte der Nutzer für den Wechsel. So hat die Stiftung Warentest (2010, S. 40-45) bei Facebook erhebliche Mängel im Datenschutz festgestellt, bei StudiVZ nur einige. Insbesondere beim Umgang mit den Nutzerdaten zeigten sich deutliche Unterschiede: So wurde StudiVZ die Note 1,8 verliehen, Facebook die Note 5,0. Getestet wurde hierbei unter anderem die Weitergabe von Daten an Dritte sowie die Möglichkeit zur Datenlöschung. Gestört hat das die Nutzer nicht: Trotz medialer Berichterstattung wanderten die Nutzer von den VZ- Netzwerken in Scharen zu Facebook ab.

Damit zeigt sich, dass der Wettbewerbserfolg in digitalen Märkten fast ausschließlich von der Innovativität des Angebotes abhängig ist. Da insbesondere bei digitalen Diensten wie sozialen Medien oder Suchmaschinen Entgeltfreiheit von den Konsumenten erwartet wird, verlagert sich der Wettbewerbsdruck von den Faktoren des besten Preises oder den besten Konditionen hin zum Wettbewerb um das modernste und nutzerfreundlichste Angebot. Ein schlechteres Angebot kann daher nicht mehr durch einen geringeren Preis ausgeglichen werden.

Dieser Argumentation kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sich Facebook gegenüber den VZ-Netzwerken allein aufgrund von Größenvorteilen (2010 weltweit 431 Mio Nutzer, Facebook 2016a) durchsetzen konnte. Auf Märkten für soziale Medien ist richtigerweise von einem globalen Markt auszugehen, mögliche Sprachbarrieren als trennendes Element können nicht überzeugen. Jedoch war beispielsweise MySpace 2008 noch größer als Facebook, erlitt aber auch aufgrund mangelnder Attraktivität das gleiche Schicksal wie die VZ-Netzwerke (vgl. Rother 2013).

Wie das Beispiel mit den VZ-Netzwerken zeigt, sind die Märkte besonders umkämpft. Geringe Kosten zur Entwicklung eines Angebots, eine hohe Innovationsdichte sowie geringe Marktzutrittsschranken führen dazu, dass ständig neue Wettbewerber aufkommen. Hohe Marktanteile sind daher kein Garant für eine positive Entwicklung in der Zukunft und können ebenso schnell verloren gehen, wie sie gewonnen werden. Allein die stetige Weiterentwicklung und Verbesserung des eigenen Angebotes kann den eigenen Status erhalten.

2.1.4. Zwischenfazit

Der bisherige Gang der Untersuchung hat gezeigt, dass es im digitalen Sektor vermehrt Plattformmärkte gibt, die sich vor allem durch starke indirekte Netzwerkeffekte auszeichnen. Dabei treten Unternehmen wie Google und Facebook an die Stelle eines Intermediäres, der zwischen den beiden Nutzergruppen – Werbetreibenden und Endnutzern – vermittelt. In diesem Vermittlungsprozess spielen die persönlichen Daten des Nutzers sowie deren Aufmerksamkeit die zentrale Rolle, die durch die Dienste aufbereitet und für die Werbetreibenden nutzbar gemacht werden. Der Werbetreibende, der den Dienst letztendlich finanziert, hat daher ein hohes Interesse an vielen Nutzern des Dienstes. Da diese erwarten, dass das Angebot entgeltfrei ist, zeichnet sich der Wettbewerb um die Nutzer durch Innovation aus. Für die Betreiber digitaler Dienste besteht ein Anreiz, ihr kostenloses Angebot für die Nutzer immer besser und attraktiver zu gestalten. Aufgrund von immer schneller voranschreitender Innovation sind starke Marktpositionen längst nicht so stabil wie auf analogen Märkten. Vielmehr zeichnen sich Internetmärkte durch eine besondere Dynamik aus.

2.2. Bestimmung des relevanten Marktes

Ausgangspunkt für die Bestimmung von Marktmacht ist immer die Frage nach dem räumlich und sachlich relevanten Markt. In der Sache geht es darum, eine Gruppe von Anbietern bzw. Nachfragern so abzugrenzen, dass von den nicht zur Gruppe gehörenden Anbietern bzw. Nachfragern keine oder nur geringe Einflüsse auf das wettbewerbliche Verhalten innerhalb der Gruppe ausgehen (Schmidt 2012, S. 61). Hier liegt in der kartellrechtlichen Fallpraxis auch oft der Entscheidungspunkt: Da gemäß § 18 IV GWB vermutet wird, dass ein Unternehmen mit einem Marktanteil von 40 % oder mehr marktbeherrschend ist, wird in der kartellrechtlichen Praxis versucht, den relevanten Markt entsprechend eng oder weit zu erfassen. Zwar spielen noch weitere Faktoren bei der Bestimmung von Marktmacht eine Rolle, und die Vermutung gemäß § 18 III GWB ist nicht unwiderlegbar. Tatsächlich spricht die Vermutung jedoch zunächst einmal für sich, der Beweis des Gegenteils muss zudem erst noch gelingen.

Die Beteiligten im Kartellverfahren, sei es das Bundeskartellamt, der Geschädigte eines Missbrauchs von Marktmacht oder der Beklagte im Verfahren, werden also bei der Gestaltung ihrer Schriftsätze ein besonderes Augenmerk auf die Bestimmung des relevanten Marktes richten. Der Kläger wird versuchen, den Markt besonders eng zu fassen, damit die Marktanteilsschwelle eher erreicht wird, der Beklagte dagegen wird den Markt besonders weit interpretieren. Dies führt nicht selten zu regelrechten „Gutachter-Schlachten“.

[...]

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Wettbewerbsökonomie und relevante Märkte im Datenzeitalter
Hochschule
Universität Bayreuth
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
36
Katalognummer
V496769
ISBN (eBook)
9783346006936
ISBN (Buch)
9783346006943
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marktmacht, Kartellrecht, Wettbewerbsökonomie, Wettbewerb, GWB, Competition Law, Antitrust Law, Antitrust, Marktbeherrschende Stellung, Relevanter Markt, Marktabgrenzung, Plattformmarkt, Zweiseitiger Markt
Arbeit zitieren
Konrad Schäfer (Autor:in), 2017, Wettbewerbsökonomie und relevante Märkte im Datenzeitalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/496769

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