Living-Apart-Together. Modell und Vorschläge für die längerfristige Praxis einer eigenständigen Lebensform


Textbook, 2019

119 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einführung

Nähe-Distanz-Konflikte in Partnerschaften als zentrale Trennungsursachen

LAT-Beziehungen aus kulturhistorischer Perspektive 7

LAT bei indigenen Stämmen in Ghana, auf Sumatra und in Peru

LAT im Europa des 18., 19. und 20. Jahrhunderts
Bettina von Arnim
George Sand
Alexandra Kollontai
Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir

Das LAT-Modell
LAT-Typen
Verbreitung von LAT in Deutschland
Typische Merkmale von LAT-Beziehungen
Stabilität von LAT-Beziehungen
Psychologische Studien zum Living-Apart-Together

Das beziehungsbezogene Grundbedürfnis-Modell
Das Grundbedürfnis-Modell von Epstein
Das Grundbedürfnis nach Bindung
Das Grundbedürfnis nach Kontrolle und Orientierung
Das Grundbedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz
Das Grundbedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung
Grundbedürfnisbefriedigung und psychische Konsistenz: Das
Grundbedürfnismodell von Grawe
Psychische Grundbedürfnisse und Paarbeziehungen

Bedingungs- und Anforderungsprofil für längerfristige LAT-Beziehungen
Feinfühlige Nähe-Distanz-Modellierungen in LAT-Beziehungen
Getrenntes Wohnen und Haushalten
Zur Prävention von psychischen (Über-)Sättigungseffekten
Die innere Kündigung der Beziehung als Warnzeichen einer bevorstehenden Trennung

Die Bedeutung einer kreativen Besuchsgestaltung für eine positive Entwicklung von LAT-Beziehungen
Appetenzgenerierung und –erhaltung als zentrale Zielsetzung der Besuchsgestaltung
Befriedigung der psychischen Grundbedürfnisse nach Selbstwerterhöhung und Lustgewinn

Die Phase des produktiven Alleinseins
Autonomie und Verbundenheit

Regelmäßiges und konstruktives Beziehungsmonitoring der Beziehungsentwicklung
Frühwarnsystem zum Erkennen und Vermeiden von Beziehungsstörungen
Steuerung der Beziehungsentwicklung

Kosten-Nutzen-Analyse

Exkurs: Zur Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Sexualität in LAT-Beziehungen LAT und Bindungsstil
Bindungstheoretische Grundlagen
Zum Zusammenspiel unterschiedlicher Bindungstypen in LAT-Beziehungen

LAT mit Kindern

Das LAT-Modell aus der Sicht seiner Kritiker
Der Egoismus-Vorwurf
Mangelnde Bindungsbereitschaft/Bindungsunfähigkeit
Instabilität von LAT-Beziehungen
LAT als Normabweichung
Das Kostenargument

LAT als Beziehungsexperiment
Ein praktikables Basismodell für LAT-Beziehungen
Konsistenztheorie
Grundbedürfnistheorie
Motivationstheoretische Vorstellungen
Bedingungs- und Anforderungsprofil für LAT-Beziehungen

Vorschläge zum längerfristigen Erhalt von LAT-
Beziehungen bei Paaren 78
Beziehungsaufbau
Beziehungssicherung
Längerfristige Aufrechterhaltung der Beziehung

Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen

Literaturhinweise

Einführung

Für Menschen als eminent beziehungsbedürftige soziale Wesen sind stabile interpersonale Beziehungen ein Leben lang von existenzieller Bedeutung und gehören deshalb zu den Grundbedingungen der conditio humana. Im Erwachsenenalter zählen enge Paar-Beziehungen neben Eltern-, Eltern-Kind- und Freundschaftsbeziehungen zu den wichtigsten Sozialressourcen des Menschen. Paar-Beziehungen werden klassischerweise in Form von Ehen oder seit einiger Zeit auch durch eingetragene nichteheliche Partnerschaften institutionalisiert. Sie können zudem als eheähnliche Partnerschaften (»wilde Ehen«) sowie in Form von gleichgeschlechtlichen und gemischtgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften praktiziert werden, bei denen die Partner in einem gemeinsamen Haushalt zusammen wohnen.

Durch die zu beobachtende deutliche Zunahme der Beziehungen von Paaren ohne gemeinsamen Haushalt wird eine in den deutschen Boulevardmedien zur Zeit heiß diskutierte weitere Form des partnerschaftlichen Zusammenlebens in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, die von manchen schon als Paar-Beziehungsform der Zukunft propagiert wird. Was unter Partnerschaften ohne einen gemeinsamen Haushalt (living apart together) zu verstehen ist und wie diese Lebensform aus beziehungspsychologischer Sicht beurteilt wird, lässt sich dem nachstehenden Zitat und den sich anschließenden Erörterungen entnehmen (Asendorpf, 2008a):

»Was haben Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Woody Allen und Mia Farrow, Arundhati Roy und Pradeep Krishen gemeinsam? Sie leb(t)en »apart together« in einer festen Partnerschaft aber in verschiedenen Haushalten, nicht im Sinne einer vorehelichen Lebensform, einer beruflich erzwungenen Notlösung oder einer Pendlerbeziehung mit Haupt- und Nebenwohnsitz, sondern im Sinne einer selbstgewählten eigenständigen Form der Partnerschaft, die zwei getrennte Lebensmittelpunkte stabil überbrückt«

Das im Zitat aufgeführte spezielle Beziehungsarrangement einer selbstgewählten eigenständigen Form der Partnerschaft, die zwei getrennte Lebensmittelpunkte stabil überbrückt, hat unter Beziehungsforschern national und international erst in jüngster Zeit zunehmende wissenschaftliche Beachtung gefunden, weil das bewusste Getrennt-Zusammenleben nicht mehr nur von Künstlern, Intellektuellen und Bohémiens als Lebensform gewählt wird, sondern gegenwärtig in westlichen Kulturen auch bei breiteren Teilen der Bevölkerung an Beliebtheit und Bedeutung gewinnt (Duncan & Phillips, 2010; Haskey, 2005; Milan & Peters, 2003; Schneider & Ruckdeschel, 2003; Strohm, Selzer, Cochran & Mays, 2009; Peuckert, 2012; Watson, 2016). Aufgrund dieses sich gegenwärtig abzeichnenden Trends kann gefragt werden, ob diese Form der Partnerschaft bereits ein alternatives Beziehungsmodell darstellt, das zukunftsfähige Möglichkeiten eines dauerhaften partnerschaftlichen Zusammenlebens im Vergleich zu klassischen Partnerschaftsformen eröffnet.

Die vermehrte Beachtung solcher zunehmend praktizierten Living-Apart-Together (LAT)-Beziehungen führte inzwischen auch zur Publikation einer Reihe von Studien, die diese Beziehungsform hinsichtlich verschiedener Aspekte und Kriterien (z.B. Häufigkeit des Vorkommens, Beziehungsstabilität, Partnerschaftszufriedenheit) mit anderen bedeutsamen Lebens- und Beziehungsformen (Ehe, nichteheliche Lebensgemeinschaft) vergleichen (de Jong Gierveld, 2004; Noyon & Kock, 2006; Asendorpf, 2006, 2008a,b, 2012; Dorbritz, 2009; Dorbritz & Naderi, 2013; Lois, 2014; Hagemeyer, Schönbrodt, Neyer, Neberich & Asendorpf, 2015). Auf diese Arbeiten soll im weiteren Verlauf des Buches noch näher eingegangen werden und zudem wird anhand von Einzelfallschilderungen ausführlich verdeutlich, wie diese Lebensform in der Beziehungspraxis aussieht und so gestaltet werden kann, dass die Vorteile von Beziehungsmodellen des Zusammenwohnens und des Getrennt-Zusammenlebens integriert werden.

Die Erforschung neuer Beziehungsformen für Paare ist maßgeblich durch das häufige Scheitern vieler herkömmlicher enger Beziehungen von verheirateten oder nicht verheirateten Erwachsenen motiviert, um Alternativen zum traditionellen Zusammenleben zu erkunden, die ein längerfristiges Zusammenbleiben von Paaren unter konfliktärmeren Bedingungen ermöglichen.

Nähe-Distanz-Konflikte in Partnerschaften als zentrale Trennungsursachen.

Aus beziehungspsychologischer Sicht gehören unbewältigte Nähe-Distanz-Konflikte in Partnerschaften zu den zentralen Ursachen von Trennungen oder Scheidungen bei länger zusammenwohnenden Paaren (Kersting & Grau, 2003). Partnerbezogene Wünsche nach mehr Nähe und weniger Distanz oder nach mehr Distanz und weniger Nähe sind zwischen den Beziehungspartnern oftmals unvereinbar und können zu manifesten Konflikten sowie zu daraus resultierenden Trennungsabsichten oder einer Beziehungsauflösung führen.

Vielfach wird von den Beteiligten auch nicht wahrgenommen, dass ihren beträchtlichen Beziehungsstörungen ein massiver Nähe-Distanz-Konflikt zugrunde liegt, der sich dann möglicherweise in einer Folgebeziehung so oder so ähnlich wiederholt. Demgemäß zählt die Frage nach einer zufriedenstellenden Regulierung von partnerbezogenen Nähe-Distanz-Konflikten seit langem zu den wichtigen Themen der Beziehungsforschung. Das Finden einer angemessenen Balance zwischen Nähe und Distanz ist zentral für das Funktionieren sowie die Stabilität einer Beziehung und stellt deshalb für jedes Paar eine basale Herausforderung dar (Hagemeyer, Neyer, Neberich & Asendorpf, 2013).

Mit dem später ausführlich vorgestellten LAT-Modell wird eine von mehreren Möglichkeiten präsentiert, in Partnerbeziehungen auftretende Nähe-Distanz-Probleme so zu regulieren, dass die anfängliche Beziehungszufriedenheit erhalten bleibt und Partnerschaften eine längerfristige Stabilität erreichen. Eine erstmalig erarbeitete Anleitung zur Durchführung von solchen LAT-Beziehungen erweitert abschließend diese Darstellung. Zuvor soll jedoch gezeigt werden, dass die LAT-Beziehung keineswegs ein aktuelles Phänomen unserer Zeit darstellt, welches eng mit gesellschaftlichen Pluralisierungs- und Individualisierungsprozessen verbunden ist, sondern auch bei indigenen Völkern sowie schon vereinzelt im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts beobachtet werden kann.

LAT-Beziehungen aus kulturhistorischer Perspektive

In den Feuilletons von Radio und Fernsehen sowie in der Boulevard-Presse werden Beziehungsthemen und gegenwärtig insbesondere das »living apart together« gerne behandelt und schon als gänzlich neue Möglichkeit des partnerschaftlichen Zusammenlebens der Zukunft präsentiert. Ein Blick in die Kulturgeschichte zeigt jedoch, dass diese Form des Getrennt-Zusammenlebens keineswegs neu ist und vieles davon schon einmal praktiziert und reflektiert wurde.

LAT in Ghana, auf Sumatra und in Peru

In vielen Völkern, z.B. bei den Ewe in Ghana, den Minangkabau auf Sumatra oder den Aymara in Peru, war und ist das Zusammenleben von Paaren nicht selbstverständlich. In diesen von der Ethnologie als »dislokale Ehen« bezeichneten Partnerschaften gab und gibt es ganz unterschiedliche Varianten (Schmitz-Köster, 1990, S. 36):

Männer und Frauen wohnen zum Beispiel auch nach der Eheschließung weiter mit ihren Herkunftsfamilien zusammen, oder die Männer leben in Männerhäusern. Bei einigen Völkern ist die Dislokalität auf eine gewisse Zeit beschränkt, auf den Beginn der Ehe oder die Zeit der Geburt eines Kindes, bei anderen ist sie ein durchgehendes, dauerhaftes Element.

LAT im Europa des 18., 19. und 20. Jahrhunderts

Bei einer kulturhistorischen Betrachtung des Auftretens von LAT-Beziehungen in Europa wird beispielsweise auf die für diese Zeit untypischen Partnerbeziehungen der Schriftstellerinnen Bettina von Arnim (1785-1859) sowie George Sand (1804-1876) Bezug genommen.

Bettina von Arnim

Mit sechsundzwanzig Jahren heiratete Bettina von Brentano den fünf Jahre älteren Schriftsteller Achim von Arnim in Berlin. Das Paar lebte zunächst wechselweise in der preußischen Hauptstadt oder im brandenburgischen Wiepersdorf auf dem ländlichen Gut ihres Mannes. Bettina von Arnim, die sich nicht mit dem Landleben anfreunden konnte, entschied sich kurz vor der Geburt ihres vierten Kindes nach einem dieser gemeinsamen Gutsaufenthalte in Berlin zu bleiben, während ihr Mann sich künftig stärker der landwirtschaftlichen Praxis in Wiepersdorf widmen wollte (Böttger, 1990, S. 134):

Bettina (…) gab Wiepersdorf als ihren Wohnsitz auf und siedelte für ständig in die preußische Hauptstadt über. Die Verpflichtung, dass die Ehegatten den Wohnsitz und die Wohnung zu teilen haben, wurde damit aufgehoben.

Die Folge dieser für die damalige Zeit ungewöhnlichen Entscheidung war, dass die Partner vierzehn Jahre ihrer zwanzigjährigen Ehe an zwei verschiedenen Orten lebten, weil sich ihre divergierenden Lebensvorstellungen nicht an einem Ort realisieren ließen (Schmitz-Köster, 1990, S. 36).

Es zeigte sich im Verlauf dieser Ehejahre, dass die Einnahmen ihres Mannes nicht ausreichten, um den Unterhalt von zwei Wohnungen zu tragen, so dass Bettina von Arnim auch ihr eigenes Vermögen nutzte, um ihr Stadtleben zu finanzieren (Böttger, 1990, S. 135):

Der Rückzug nach Wiepersdorf war für sie ein Experiment gewesen. Sie hatte dort schöne, unvergessliche Tage des Zusammenseins mit Arnim erlebt; für ihre persönliche Entwicklung aber war das Experiment fehlgeschlagen.

George Sand

Amandine Aurore Lucile Dupin de Francueil, die sich später George Sand nannte, heiratete 1822 gegen den Willen ihrer Mutter den mittellosen Leutnant Casimir Dudevant. Sie ist bei der Eheschließung achtzehn Jahre alt und erlebt ihre Ehe bald als große Enttäuschung (Schmelzer, 2016, S. 70ff.). George Sand trennte sich deshalb 1831 nach nur neunjähriger Ehe von ihrem Mann und hatte anschließend verschiedene Liebesbeziehungen (Schmitz-Köster, 1990). Mit ihren Liebhabern lebte sie stets in getrennten Wohnungen; unter anderem war sie auf diese Weise mit Frédéric Chopin zehn Jahre in Paris zusammen.

Alexandra Kollontai

Alexandra Kollontai (1872-1956), die Tochter eines zaristischen Generals und einer Finnin, wurde 1917 in Lenins Revolutionsregierung Volkskommissarin (Ministerin) für soziale Fürsorge und war später zwanzig Jahre lang als russische Spitzendiplomatin in Norwegen, Mexiko und Schweden tätig. Sie stritt zeit ihres Lebens für freie Liebe, die Abschaffung der bürgerlichen Ehe und die Gleichberechtigung der Frau. Kollontai entlarvte die bürgerliche Ehe als Degradierung der Frau zum Eigentum des Mannes

Nachdem sie aus einem traditionellen Frauenleben nach einer frühen Heirat mit ihrem Vetter ausgebrochen war, lebte sie in wechselnden Beziehungen und wohnte aber nicht mit dem jeweiligen Partner zusammen (Schmitz-Köster, 1990, S. 37):

Wichtiger als das individuelle Experiment waren Kollontai die Entwürfe vom künftigen Zusammenleben des Menschen, die sie in Aufsätzen und Erzählungen skizzierte.

Nach ihrer Utopie sollte die isolierte Kleinfamilie durch das Leben in Kommunen und Gemeinschaften mit gemeinsamer Arbeit, Haushaltsführung und Kindererziehung ersetzt werden (Kollontai, 1975). Nach Kollontai (1975, S. 223) führt ein »freies Liebesleben« nicht mehr zwangsläufig zu einem Zusammenleben des Paares, sondern oftmals zu einer längerfristigen Beziehung, bei der die Partner etwa in zwei getrennten Wohnungen innerhalb einer Stadt oder sogar in zwei voneinander sehr weit entfernten Städten leben:

Heute … gibt es viele Paare, die einander sehr lieben, aber trotzdem nicht zusammenleben. Ziemlich oft geht ein solches Paar zur örtlichen Verwaltung und lässt sich entsprechend dem Dekret vom 18. Dezember 1817 als Ehepaar registrieren, obwohl beide Partner gar nicht zusammenleben. Die Frau wohnt vielleicht an einem Ende der Stadt und der Mann am anderen. Oder aber sie lebt in Moskau und er in Taschkent. Sie lassen ihre Ehe nur deshalb registrieren, weil sie sich gegenseitig zeigen wollen, dass sie es mit ihrer Beziehung ˂ernst meinen˃. … Andererseits sehen sie sich aber nur selten, denn beide arbeiten, und die Arbeit und die anderen gesellschaftlichen Pflichten haben gegenüber dem Privaten Vorrang.

Liebe und Sexualität rangieren dabei, wie angedeutet, deutlich hinter dem »Klassenkampf« und bei Alexandra Kollontai speziell hinter dem Kampf für die Befreiung der Frau.

Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir

Die LAT-Beziehung dieser beiden französischen Ikonen der Studenten- und der Frauenbewegung dauerte von 1929 bis zu Sartres Tod im Jahre 1980. In ihrer Pariser Zeit haben die beiden, die sich stets siezten, zumeist in getrennten Hotelzimmern gelebt, manchmal im gleichen Hotel, gelegentlich auch in verschiedenen Hotels, die aber nicht weit voneinander entfernt waren.

Später besaß jeder von ihnen in der Stadt eine Wohnung ebenfalls nahe beieinander, so dass sie Zeit ihres Lebens keinen gemeinsamen Haushalt führten, nicht heirateten und ihre Beziehung auch bewusst kinderlos blieb, um Zeit zum Schreiben zu haben. Die schriftstellerische Tätigkeit vollzog sich vornehmlich in Cafés, wo sie auch ihre Mahlzeiten einnahmen und ihre Freunde trafen.

Die bürgerliche Ehe lehnten sie wegen der »beschränkenden Verbürgerlichung« und der »institutionalisierten Einmischung des Staates in Privatangelegenheiten« ab, aber sie schlossen einen »Pakt«, der die beiden ein Leben lang begleiten sollte. Es wurde darin zwischen ihnen eine Ablehnung der Monogamie vereinbart und beiden die Freiheit zu parallelen Liebesbeziehungen eingeräumt. Sie sollten dabei dem anderen gegenüber gnadenlos offen sein, ihm alles erzählen und nichts beschönigen.

In einem Gespräch aus dem Jahre 1973 zu den Spielregeln ihrer Beziehung, das von Alice Schwarzer geführt wurde (Emma, 2008), räumen beide jedoch ein, dass ihrer Beziehung jedoch stets Priorität zugestanden wurde und allen dritten Personen nur eine sekundäre Rolle zukam:

Simone de Beauvoir : Das heißt, dritte Personen, in Sartres Leben wie in meinem, wussten von Anfang an, dass es da eine Beziehung gab, welche diejenige, die man mit ihnen hatte, erdrücken würde. Das war oft nicht sehr angenehm für sie. Unsere Beziehung ging wirklich ein wenig auf Kosten dieser Dritten. Also ist diese Beziehung durchaus zu kritisieren, denn sie schloss ja manchmal ein, dass man sich den Leuten gegenüber nicht sehr korrekt benahm.

Sartre pflegte mit verschiedenen Studentinnen und zahlreichen anderen Frauen ein ausschweifendes Sexualleben und Simone de Beauvoir hatte sowohl Beziehungen zu Frauen – darunter waren auch Geliebte von Sartre – als auch zu Männern (Hahn, 2005, S. 4).

Über die finanziellen Mittel verfügte jeder für sich, aber es wurde geteilt, wenn es erforderlich war (Emma, 2008, S.3):

Sartre: … das Geld war für jeden von uns wichtig, für uns beide, manchmal auch für uns beide zusammen, denn man muss leben. Aber das war für uns nie ein Problem, es hat unsere Beziehung nicht beeinflusst. Wir hatten Geld, oder derjenige, der welches hatte, teilte es. Entweder man teilte es, oder man lebte getrennt, je nachdem.

Im Übrigen legten beide wenig Wert auf materiellen Besitz und besaßen nur das Nötigste. Sie gaben ihr Geld lieber für ausgedehnte gemeinsame Reisen aus.

Die LAT-Beziehung von Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre diente vor allem vielen Alt-68ern und der Generation, die ihnen folgte, als Richtwert für das eigene Leben (Hahn, 2005, S. 4):

Sie wollten Liebe – aber ohne Vertrag, Beziehung – aber ohne Einschränkung, Sexualität – aber ohne Besitzergreifen. Die Zweierbeziehung zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir galt als Beweis, dass all das möglich und vereinbar wäre.

Für die LAT-Beziehungen der heutigen Zeit sind diese Prinzipien, wie gezeigt werden wird, nur noch teilweise von Bedeutung. Im Vordergrund steht gegenwärtig die Frage, wie es gelingen kann, eine Paarbeziehung längerfristig zu erhalten, ohne dass die Beziehungszufriedenheit der Partner im Beziehungsverlauf maßgeblich nachlässt.

Das nachstehend vorgestellte LAT-Modell soll auf diese Frage eine grundlegende Antwort geben und im Anschluss daran werden auf der Basis dieses Beziehungskonzepts detaillierte Vorschläge zur Gestaltung von dauerhaft angelegten LAT-Beziehungen unterbreitet, die nur noch wenig mit der Beziehung zu tun haben, die von den beiden französischen Philosophen geführt wurde. Aber immerhin hat deren Living-apart-together Beziehung bis zu Sartres Tod bemerkenswerte 51 Jahre überdauert, wodurch sie gerade deshalb zumindest für LAT-Theoretiker auch heute noch von Interesse ist.

Das LAT-Modell

Das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung gehörte in Deutschland lange Zeit zu den bestimmenden und nur selten hinterfragten Merkmalen einer Paarbeziehung die auf Dauer angelegt sein sollte. In den letzten Jahrzehnten zeigt sich jedoch ein bemerkenswerter Wandel dieses ausgeprägten Selbstverständnisses, denn immer mehr hetero- oder homosexuelle Partner leben heutzutage in getrennten Haushalten zusammen, wofür sich der Begriff des »getrennten Zusammenlebens« bzw. des »living-apart-together (LAT)« durchgesetzt hat (Peuckert, 2012, S. 130). In solchen Fällen von verbindlichen Partnerbeziehungen ohne einen gemeinsamen Haushalt wird mitunter auch von »Liebe auf Distanz« (Schmitz-Köster, 1990), »dislokalen Beziehungen« (Dorbritz, 2009) oder von »Distanz- oder Fernbeziehungen« (Schneider, 2009) gesprochen.

LAT-Typen

In der gegenwärtigen Diskussion zu dieser Thematik werden zwei Grundtypen von LAT-Partnerschaften unterschieden, die sich deutlich voneinander abgrenzen lassen (Schneider & Ruckdeschel, 2003; Asendorpf, 2008a; Schneider, 2009; Peuckert, 2012):

Typ 1: Es handelt sich um Partnerschaften ohne gemeinsamen Haushalt als Ausdruck eines auf Unabhängigkeit ausgerichteten Beziehungsideals. Durch getrennte Haushalte wollen sich die Partner einen möglichst großen Freiraum bewahren und Zeit für sich selbst haben, aber auch Alltagsproblemen aus dem Wege gehen, die eine gemeinsame Haushaltsführung oftmals hervorrufen kann. Die räumliche Entfernung spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle, denn zumeist können sich die Partner in weniger als zwei Autostunden erreichen. Diese Form der Partnerbeziehung findet sich häufiger unter Personen im mittleren und späteren Erwachsenenalter, die zumeist schon ungünstige Vorerfahrungen mit dem Zusammenwohnen in einer Partnerschaft gemacht haben und diese in LAT-Partnerschaften vermeiden wollen.

Typ 2: Partnerschaften ohne gemeinsamen Haushalt oft als voreheliche Lebensform zumeist jüngerer Paare oder als ausbildungs- oder berufsbedingte Kompromiss- bzw. Notlösung, wobei die spätere Gründung eines gemeinsamen Haushalts nicht ausgeschlossen wird. Äußere Umstände, die kurzfristig nicht zu beeinflussen sind, lassen die Führung eines gemeinsamen Haushalts zunächst nicht zu. Diese Situation hat sich einfach so ergeben oder stellt für die Partner zurzeit einfach die beste Lösung dar. Sie leben vielfach in größerer räumlicher Entfernung voneinander und pendeln zwischen ihren jeweiligen Wohnorten, wobei aber denkbar ist, dass sich die getrennte Lebensweise verfestigt und zur dauerhaften Lebensform wird.

Die Beschäftigung mit LATs des Typ 2 wird im Folgenden nur am Rande weiterverfolgt, weil die Entscheidung für eine solche Beziehung in der Regel nicht auf Freiwilligkeit beruht, sondern vornehmlich aus beruflichen Gründen gezwungenermaßen hingenommen wird, wobei bei beiden Partnern vielfach der Wunsch nach einem späteren Zusammenwohnen weiterbesteht. Es wurde aber angedeutet, dass sich die getrennte Lebensweise auch verfestigen kann und dadurch nunmehr zu einer (freiwillig gewählten) Lebensform wird, die dann dem Typ 1 entspricht.

Verbreitung von LAT in Deutschland

Nach zuverlässigen statistischen Angaben aus dem Jahr 2005 (Peuckert, 2012) führen in Deutschland knapp vier Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 69 Jahren oder 9% der Gesamtbevölkerung eine Partnerschaft mit getrennten Haushalten. Diese Größenordnung entspricht in etwa der von nichtehelichen Lebensgemeinschaften (NEL).

In einer Studie aus dem Jahr 2008 (Asendorpf, 2008a) wird anhand detaillierter Längsschnittdaten zudem belegt, dass LAT in Deutschland in den letzten Jahren sogar noch zugenommen hat. In der Zeit zwischen 1992 bis 2006 stieg demnach der Anteil von LAT an der erwachsenen deutschen Bevölkerung von 8,5% auf 10,9% und ihr Anteil an allen Partnerschaften nahm von 11,6% auf 14,9% zu. Die Daten dieser Studie stützen nach Ansicht des Verfassers frühere Beobachtungen, nach denen LAT vor allem bei jungen Erwachsenen sehr verbreitet ist und dann bis zum mittleren Erwachsenenalter (ab ca. 40 Jahren) abnimmt. Danach bleibt der Anteil an LAT-Partnerschaften bis weit in das Rentenalter hinein aber mehr oder weniger konstant und es zeigt sich, dass gerade diese LAT-Partnerschaften ab dem mittleren Erwachsenenalter einen besonderen historischen Zuwachs erkennen lassen (von 4,7% im Jahr 1992 auf 8,2% im Jahr 2006). Das entspricht einem Zuwachs von über 70%!

Die Untersuchung belegt somit, dass die LAT-Partnerschaft ab dem mittleren Erwachsenenalter offenbar eine Lebensform darstellt, die von den Betreffenden bewusst als Alternative zum traditionellen Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt gewählt wird. Es handelt sich insofern nicht mehr nur, wie bei den meisten jüngeren Erwachsenen, um eine Übergangsform auf dem Weg vom Alleinleben zur Familiengründung oder um eine beruflich erzwungene Notlösung. Nach gescheiterten Versuchen, mit Partnern eine stabile Beziehung unter den traditionellen Bedingungen des Zusammenwohnens zu realisieren, sehen zunehmend mehr Menschen ab dem mittleren Erwachsenenalter in der LAT-Beziehung eine Beziehungsform, die eine längerfristige Perspektive von Partnerschaften ermöglicht. Sie versprechen sich demnach durch die Praxis des getrennten Zusammenlebens auch eine teilweise Lösung früherer Beziehungsschwierigkeiten oder deren Vermeidung und erleben die LAT-Beziehung diesbezüglich offensichtlich als Erfolgsmodell.

Typische Merkmale von LAT-Beziehungen

Die LAT-Beziehung ist eine Partnerschaftsform, die aus zwei Partnern ohne gemeinsamen Haushalt besteht. Sie wird von den Partnern übereinstimmend als intim gekennzeichnet, die folglich nur räumlich getrennt sind (Dorbritz & Naderi, 2013). Die Autoren dieser Definition nennen weitere vier Faktoren, durch die LAT-Beziehungen identifiziert werden können.

- Voraussetzung für eine LAT-Beziehung ist das Bestehen getrennter Haushalte (zwei unterschiedliche Adressen). Es können sich verheiratete wie unverheiratete Partner in einer solchen Beziehung befinden.
- Das Paar sollte wenigstens ein Jahr in dieser Lebensform miteinander verbunden sein, um als LAT-Beziehung gesehen zu werden.
- Es sollten sexuelle Beziehungen vorhanden sein, wobei es unerheblich ist, ob es sich hierbei um heterosexuelle oder homosexuelle Beziehungen handelt.
- Das Paar wird von anderen als Paar wahrgenommen, so dass der Partner z.B. im jeweiligen Freundeskreis als solcher anerkannt wird.

Eine LAT-Beziehung erlaubt es den Partnern das Bedürfnis nach persönlicher Autonomie und Selbstentfaltung mit dem Bedürfnis nach emotionaler Erfüllung und Absicherung in einer festen Paarbeziehung zu vereinbaren, ohne dabei die emotionale Beziehung übermäßig zu strapazieren (Peuckert, 2012). Andere Autoren (Schneider & Limmer, 2002) haben das Beziehungsideal der LAT-Beziehung in ähnlicher Weise als Möglichkeit für ein spezifisches Lebensgefühl bestimmt, das zwischen der Autonomie des Singles sowie der emotionalen Nähe und Verbundenheit einer Paarbeziehung oszilliert. So kann eine ausgeglichene, den individuellen Interessen dienliche Balance zwischen den Vorteilen des Alleinwohnens und den Vorteilen einer verbindlichen Partnerschaft hergestellt werden, wobei die »Balance des Glücks« im Vergleich zum Leben in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft noch etwas weiter in Richtung Individualität verschoben wird (Peuckert, 2012).

Ein Vergleich aller Partnerschaftsformen in West- und Ostdeutschland zeigt außerdem, dass bei einer Analyse der internen Beziehungsmuster der Partner bzw. die Partnerin einen herausragenden Stellenwert einnimmt (Schlemmer, 1991, 1992). Dies trifft für alle Bereiche zu (Gefühle, Kommunikation, Freizeit), jedoch kommt einer engen gefühlsmäßigen Bindung die größte Bedeutung zu. Zwischen den Partnerschaftsformen lassen sich aber durchaus einige auffallende Unterschiede erkennen. Junge Ehepaare sind am stärksten auf den Partner zentriert und weisen die größte Distanz zu Außenkontakten auf. Bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist die Binnenorientierung ähnlich stark, was darauf hinzudeuten scheint, dass ein Zusammenwohnen die Gefühlsintensität verstärkt. Bei dieser Partnerschaftsform spielen aber die Kontakte zu Eltern und Freunden eine etwas größere Rolle als bei den Ehepaaren. In LAT-Beziehungen halten sich die Partnerkontakte und die Außenkontakte ungefähr die Waage, wodurch der Ausschließlichkeitscharakter der Partnerbeziehung verschwindet (Peuckert, 2012). Die deutlich schwächere Exklusivität der Paarbeziehung in LAT-Partnerschaften zeigte sich auch dadurch, dass in einer Studie der jeweilige Partner oder die Partnerin nur halb so oft an erster Stelle genannt wurde, wenn es um praktische oder um emotionale Unterstützung ging. Insgesamt nahm die Exklusivität der LAT-Beziehung eine Position zwischen einer Freundschafts- und einer Ehebeziehung ein, wobei dies für alle Altersgruppen zutraf, verstärkt aber für die Gruppe der über 35-Jährigen (Diewald, 1993). Von Interesse ist auch, dass die schwächere partnerschaftliche Binnenorientierung in LAT-Beziehungen durch das Eingebundensein in ein umfangreiches Netz von intensiven Freundschaftsbeziehungen kompensiert wurde (Peuckert, 2012).

Stabilität von LAT-Beziehungen

Die Stabilität von LAT-Beziehungen wird im Vergleich zu Ehen oder nichtehelichen Lebensgemeinschaften als deutlich geringer eingeschätzt. Eine Untersuchung zur Stabilität von ersten Partnerschaften in Ost- und Westdeutschland erbrachte, dass nach einem Jahr fast jede vierte erste LAT-Partnerschaft bereits wieder aufgelöst worden war und nach drei Jahren sogar jede zweite, bei nur geringen Unterschieden im Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland. Die ersten nichtehelichen Lebensgemeinschaften zeigten sich dagegen wesentlich stabiler, wobei sich nach 5 Jahren in Ost- wie Westdeutschland jeweils 29% dieser Beziehungen aufgelöst hatten. Am stabilsten erwiesen sich Erstehen, von denen nach 5 Jahren in beiden Teilen Deutschlands erst 8% wieder geschieden waren (Schnor, 2010). Nach einer anderen Studie liegt die

Trennungswahrscheinlichkeit von LAT-Beziehungen (auch bei Kontrolle des Alters und innerhalb von 6 Jahren) bei 48%. Sie ist damit wesentlich höher als die Trennungswahrscheinlichkeit von nichtehelichen Lebensgemeinschaften (17%) und Ehen (5%). Die höhere Trennungsrate wird damit erklärt, dass in LAT-Beziehungen, gemessen an der Streithäufigkeit, ein höheres Konfliktpotential besteht (Asendorpf, 2008a).

Durch gemeinsame leibliche Kinder wird die Übergangsrate vom Living-Apart-Together in das Zusammenwohnen erhöht, da die Betreuung der Kinder in einem gemeinsamen Haushalt aus familienökonomischer Sicht mit Effizienzvorteilen verbunden ist. Aber selbst wenn die LAT-Partner nicht zusammenziehen, stabilisieren leibliche Kinder diese gering institutionalisierten Partnerschaften, wodurch die Trennungsrate sinkt (Peuckert, 2012).

Es wird zudem festgestellt, dass LAT-Paare sich zwar eher trennen als nichtehelich zusammenwohnende Paare, aber dennoch über die gleiche Lebenszufriedenheit berichten. Deutlich wird auch, dass LAT-Paare mit wachsendem Alter weniger oft zusammenziehen als jüngere LAT-Paare. Aus diesen Ergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass die LAT-Beziehung für jüngere Lebenspartner zunächst eine Vorform des Zusammenwohnens ist, bei Älteren aber zunehmend als eigenständige Lebensform gewählt wird (Asendorpf, 2008a). Demnach hängt es ganz wesentlich vom Alter der befragten Personen ab, ob das Living-Apart-Together als eigenständige Lebensform für sie in Frage kommt. Die meisten LAT-Beziehungen sind bis zum Alter von etwa 40 Jahren, wie bereits angedeutet, ein Übergangsphänomen auf dem Weg vom Alleinleben zur Gründung eines gemeinsamen Haushalts mit einem Partner. Jüngere LAT-Paare verfolgen zumeist das Ziel einer späteren Familiengründung, wodurch LAT-Beziehungen eine niedrigere Stabilität aufweisen, weil die zunächst getrennt wohnenden Partner im Verlauf ihrer Beziehung zunehmend zum Zusammenwohnen und zur Ehe tendieren, sofern dafür die gewünschten Bedingungen vorliegen oder herstellbar sind (Dorbritz & Naderi, 2013; Asendorpf, 2008a). Die Entscheidung zum Zusammenwohnen ist auch wesentlich davon abhängig, ob die Partner für ihre Beziehung eine längerfristige Perspektive sehen.

Das starke Nachlassen der Fruchtbarkeit der Frau mit Ende Dreißig spielt für den aufgezeigten Funktionswandel von LAT-Beziehungen zudem eine bedeutsame Rolle, weil Frauen sich mit ihrer Autonomiesicherung neue Ziele setzen, wenn die Kinderfrage nach dem Erreichen des 40. Lebensjahres für sie entschieden ist. Es zeigt sich in dieser postreproduktiven Phase, dass LAT insbesondere für Frauen dann oft eine echte Alternative zum Zusammenwohnen ist und

LATs deshalb bis ins Rentenalter konstante Raten aufweisen (Asendorpf, 2008a). Diese Interpretation wird durch eine niederländische Studie gestützt, die ältere Frauen von 55 bis 89 Jahren nach der Trennung vom Partner oder dessen Tod untersuchte und ebenfalls eine recht hohe Rate an stabilen LAT-Beziehungen fand, wenn es um die Frage des Eingehens einer neuen Partnerbeziehung ging. Die Präferenz für LAT-Beziehungen von älteren geschiedenen Frauen oder Witwen wurde von den Betroffenen wie folgt begründet: Sie möchten nicht mehr so gerne den eigenen Haushalt aufgeben und sehen bei dieser Lebensform nur ein geringes Risiko vom Mann als Haushaltshilfe instrumentalisiert zu werden. Diese Frauen haben auch oftmals und teilweise mehrfach negative Erfahrungen mit dem Zusammenwohnen bzw. Ehen hinter sich und zudem sind in den Niederlanden genügend positive Vorbilder von glücklichen LAT-Beziehungen vorhanden, um LAT als eigenständige Lebensform anzustreben (de Jong Gierveld, 2004).

Diese Befunde werden auch durch andere Untersuchungen gestützt, wobei deutlich wird, dass es vornehmlich Frauen sind, die offenbar ganz gezielt eine Entscheidung für oder gegen eine LAT-Beziehung steuern: Bis zur endgültigen Klärung der Kinderfrage sind sie bestrebt, LAT-Beziehungen zum Zweck der gemeinsamen Sorge für die Kinder zu beendigen. In der postreproduktiven Phase sorgen Frauen dann eher für die Aufrechterhaltung von LAT-Beziehungen zur Sicherung oder Entwicklung ihrer Autonomie. Diese Interpretation ist durch die vorliegenden Daten jedoch nur äußerst indirekt gedeckt, so dass es künftig weiterer psychologisch ausgerichteter Untersuchungen bedarf, um eine direkte Bestätigung dieser Position zu erhalten (Asendorpf, 2008a). Immerhin wird schon deutlich, welchen Einfluss die Kinderfrage auf die Beziehungsformentscheidung von Frauen hat.

Weitere Gründe für die Instabilität von LAT-Beziehungen liegen in einem Kernproblem dieser Beziehungsform: Die jeweiligen Partner müssen bei ihrem Zusammentreffen aus eigenen Erlebniswelten kommend mit dem Lebensgefährten immer wieder Gemeinsamkeiten schaffen, was auch für den Zeitraum gilt, in dem die Partner nicht zusammen sind. Eine zentrale Herausforderung besteht demgemäß darin, eine eigene Art und Weise der Kommunikation zu entwickeln und zwar sowohl für die Ferne als auch für die Nähe. Die Partner müssen dabei versuchen, die je unterschiedlichen positiven und negativen Erlebnisse im Alltag, Befindlichkeiten, Erwartungen bzw. Hoffnungen, Ängste sowie Befürchtungen »mit-zu-teilen«, um an der Erlebnis- und Gefühlswelt des anderen teilhaben zu können. Hierzu bedarf es spezifischer

kommunikativer Kompetenzen, um trotz des häufigen Getrenntseins ein starkes Wir-Gefühl der Partner aufrechtzuerhalten, emotionale Unterstützung zu geben, Enttäuschungen zu thematisieren, Missverständnisse zu klären oder Trennungsabsichten vorzubeugen (Dorbritz & Naderi, 2013).

Zur Instabilität von LAT-Beziehungen gehören nach Aussagen Betroffener überdies eine geringe emotionale Unterstützung, erlebte Einsamkeit, fehlende alltägliche Hilfe und auch die höheren Kosten durch die Trennung der Finanzen und das Pendeln zwischen zwei Wohnorten, wodurch eine geringere Partnerschaftszufriedenheit resultieren kann. Außerdem sollten hinsichtlich der Partnerschaftszufriedenheit geschlechtsspezifische Unterschiede mit Blick auf LAT-Beziehungen berücksichtigt werden. Ausgehend von der Annahme, dass Männer häufiger an Status und Unabhängigkeit und Frauen dagegen öfter an Bindung und Intimität interessiert seien, wird in LAT-Beziehungen vom Partner ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Selbständigkeit erwartet. Dieser Punkt legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Distanzbeziehung eine Lebensform darstellt, die eher selbständigen Männern entgegenkommt, bei Frauen aber aus den genannten Gründen zu einer geringeren Partnerschaftszufriedenheit führen kann (Eberle, 2004).

Die Beziehungszufriedenheit wird desgleichen durch die Streitthemen der Partner beeinflusst. Aufgrund der erheblichen Freiheitsspielräume, die das Living-Apart-Together-Modell den Partnern bietet, führt Eifersucht in LAT-Beziehungen häufiger zu Streit als bei zusammenlebenden Paaren (Freymeyer & Otzelberger, 2003). In solchen Beziehungen streiten sich die Partner auch häufiger über die Freizeitgestaltung und Erziehungsstile, falls Kinder zu der Beziehung gehören, und seltener über die Beziehung zu Freunden und den Alkoholkonsum (Dorbritz, 2009).

Der geringe Institutionalisierungsgrad von LAT-Beziehungen im Vergleich zu verheiratet zusammenlebenden Paaren, aber auch zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften kann ebenfalls als Ursache für deren höhere Instabilität angenommen werden (Dorbritz & Naderi, 2013). LAT-Beziehungen sind vergleichsweise durch seltenere Face-to-Face-Kontakte und eine häufige räumliche Trennung gekennzeichnet mit Auswirkungen auf Unterstützungserwartungen und Unterstützungsleistungen sowie eine geringere Integration in die Kernfamilie des Partners und in die verwandtschaftlichen Netzwerke. Die räumliche Trennung trägt auch dazu bei, dass sich Freundeskreise teilweise oder gänzlich separat beim jeweiligen Partner entwickeln. Es wird angenommen, dass durch die getrennte Haushaltsführung eine geringere Verbindlichkeit

unter den Partnern entsteht, vor allem durch die eingeschränkten Möglichkeiten in die Partnerschaft zu investieren, wodurch Trennungen begünstigt werden. Hinzu kommt, dass ohnehin zwei Haushalte vorhanden sind und daher eine Trennung ohne die Auflösung eines gemeinsamen Haushalts leichter zu bewältigen ist (Dorbritz & Naderi, 2013).

Die Darstellung der Instabilitätsursachen von LAT-Beziehungen vermittelt ein facettenreiches Bild und hat verdeutlicht, dass sowohl beziehungsunabhängige als auch beziehungsinhärente Faktoren für die hohe Instabilität dieser Lebensform mitverantwortlich sind (vgl. Tab. 1).

Tab. 1: Instabilitätsursachen von LAT-Beziehungen

- Vorform des Zusammenlebens auf dem Weg zum dauerhaften Zusammenwohnen
- geringere Verbindlichkeit der Beziehung
- geringe emotionale Unterstützung
- erlebte Einsamkeit
- das Fehlen von alltäglichen Hilfen
- höheres Konfliktpotential (z.B. Eifersucht)
- geringer Institutionalisierungsgrad von LAT durch getrennte Haushalte
- geringere Integration in die Kernfamilie des Partners und in verwandtschaftliche
Netzwerke
- höhere Kosten durch getrennte Finanzen und durch das Pendeln zwischen zwei Wohnorten
- das Bestehen zweier Haushalte erleichtert eine Trennungsentscheidung und -bewältigung

Die Ausführungen haben aber ebenfalls gezeigt, dass LAT-Beziehungen unter bestimmten Bedingungen durchaus ein höheres Maß an Stabilität aufweisen, insbesondere dann, wenn die beteiligten Partner älter als 40 Jahre sind bzw. Frauen sich in der postreproduktiven Phase befinden und die Kinderfrage für sie erledigt ist, die Betreffenden negative Vorerfahrungen mit dem Zusammenwohnen hatten und nunmehr eine gute Balance zwischen den Vorteilen des Alleinwohnens und den Vorteilen einer verbindlichen Partnerschaft als Beziehungsideal anstreben.

Psychologische Studien zum Living-Apart-Together

Es wurde bereits auf Studien zu LAT-Beziehungen verwiesen, die feststellen konnten, dass die Partner verglichen mit anderen Partnerschaftsformen (Ehen, nichteheliche Partnerschaften) in LAT-Beziehungen genauso glücklich sind, die Beziehungen dafür aber in allen untersuchten Altersgruppen deutlich instabiler ausfallen als bei zusammenwohnenden Paaren (Asendorpf, 2008a,b; 2012) In einer Internetbefragung des gleichen Autors an über 2 000 Deutschen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren, die sich in einer mindestens einjährigen heterosexuellen Beziehung befanden, bezeichneten getrenntlebende Partner ihre Beziehung zwar als weniger verbindlich und weniger befriedigend als zusammenwohnende Paare. Ihre Beziehung war dafür aber leidenschaftlicher und sie hatten häufiger Geschlechtsverkehr mit dem Partner bzw. der Partnerin (bei mehr Seitensprüngen) (Asendorpf, 2006). Dieser Befund wird dahingehend interpretiert, dass räumliche Distanz die sexuelle Leidenschaft offenbar fördert, während bei einer sicheren Bindung an den Partner und einem stationären Zusammenwohnen die sexuelle Leidenschaft mit der Zeit eher abkühlt (Peuckert, 2012). In einer weiteren Untersuchung, die getrenntlebende Paare mit zusammenwohnenden Paaren verglich, wurden ebenfalls bedeutsame Unterschiede im Liebesstil gefunden. Zusammenwohnende weisen ein höheres Ausmaß an pragmatischer Liebe auf als Getrenntwohnende, d.h. sie legen größeren Wert auf Gemeinsamkeit und Übereinstimmung als auf Leidenschaft und Vergnügen (Noyon & Kock, 2006).

In einer weiteren Online-Studie über die Distanzregulation in Paarbeziehungen wurden ca. 600 Paare mit mindestens einjähriger Beziehungsdauer im Alter von 18 bis 67 Jahren befragt und dabei getrennt wohnende mit zusammenwohnenden Paaren verglichen. LAT-Paare verwiesen auf ein höheres Autonomiebedürfnis und mehr Trennungserfahrungen, sie waren sexuell zufriedener bei einer als weniger verbindlich bezeichneten Partnerschaft. Der Partner wurde weniger in Alltagsentscheidungen einbezogen und die Befragten hatten in geringerem

Maße das Gefühl, bei auftretenden Problemen vom Partner unterstützt zu werden. Der Autor der Studie sieht die Lebenszufriedenheit und das Selbstwertgefühl bei LAT-Partnern trotz dieser eingeräumten Beziehungsnachteile aber keineswegs als beeinträchtigt an, so dass nach seiner Meinung längerdauernde LAT-Phasen als eine erfolgreiche Anpassung an eigene Autonomiebedürfnisse und/oder an viele vorangegangene schlechte Erfahrungen mit dem Zusammenwohnen interpretiert werden können (Asendorpf, 2012).

Ein grundlegenderes Konzept zur oben erwähnten Nähe-Distanz-Regulation in Beziehungen ist in jüngster Zeit durch die Studie einer Gruppe von renommierten deutschen Persönlichkeitspsychologen vorgelegt worden (Hagemeyer et al., 2013). Der darin vertretene Ansatz und die vorgestellten Befunde sind von basaler Bedeutung für die theoretische Fundierung und praktische Umsetzung des LAT-Modells und werden auch deshalb an dieser Stelle ausführlicher besprochen. Sie bieten einen tieferen Einblick in die Biologie und Psychologie der Nähe-Distanz-Regulation und liefern zudem Anknüpfungspunkte für Möglichkeiten einer besseren Stabilisierung von LAT-Partnerschaften, deren Instabilität ja bisher als ein wesentlicher Schwachpunkt dieser Lebensform angesehen wird.

Motive nach Alleinsein und nach Gemeinschaft. Das Nähe-Distanz-Konzept der Autoren geht davon aus, dass mit den Motiven nach Alleinsein und nach Gemeinschaft zwei zentrale Bedürfnisse des Menschen existieren, die sein Nähe-Distanz-Verhalten in Beziehungen steuern, wobei deren hinreichende Befriedigung für sein optimales psychisches Funktionieren von zentraler Bedeutung ist. Personbezogene oder gemeinschaftsorientierte Bedürfnisse können allerdings nicht immer zur gleichen Zeit befriedigt werden und mitunter befindet sich die Person auch in einem Zwiespalt, ob sie eher ihrem Nähe- oder aber ihrem Distanzbedürfnis folgen sollte. Die Befriedigung dieser beiden Bedürfnisse ist demnach nur durch unterschiedliche instrumentelle Handlungen und oftmals auch nur in verschiedenen Situationen zu realisieren, was impliziert, dass das Bedürfnis nach Gemeinschaft am besten in räumlicher Nähe mit dem Partner und das Bedürfnis nach Alleinsein am besten in der Distanz zum Partner sowie bei der separierten Verfolgung individueller Interessen befriedigt werden kann. Für die Nähe-Distanz-Regulation in Partnerschaften gehören diese unterschiedlichen und bisweilen gegenläufigen Handlungstendenzen zu den zentralen Merkmalen, so dass festgestellt werden kann, dass erlebte Nähe- oder Distanzwünsche als Funktionen der gemeinschaftsbezogenen und personorientierten Bedürfnisse der betreffenden Beziehungspartner angesehen werden können (Hagemeyer et al., 2013).

Das triadische Modell der sozialen Bedürfnisse. In einem nächsten Schritt wird das Bedürfnis nach Gemeinschaft von den Autoren zwei unterschiedlichen Bedürfnissen zugeordnet und mit dem Bedürfnis nach Alleinsein in ein Modell integriert, das nun drei soziale Bedürfnisse unterscheidet, die auf verschiedene Weise in Partnerschaften personal repräsentiert sind: das Bedürfnis nach Nähe zum Partner, das Streben nach Kontakt zu Freunden und Geselligkeit sowie der Wunsch nach Alleinsein. Das Modell bestimmt somit drei verschiedene Richtungen der Nähe-Distanz-Regulation in Partnerschaften: gemeinschaftsbezogene Motive (Nähe zum Partner, Kontakt zu Freunden, Geselligkeit) und personbezogene Motive (Alleinsein).

Das Bedürfnis nach Nähe. Es kommt der Wunsch zum Ausdruck, eine räumliche oder eine psychologische Nähe zum Beziehungspartner herstellen zu wollen. Bedürfnisse nach Intimität, Bindung und Sexualität können subjektiven Wünschen nach Nähe zugrunde liegen und Studien haben gezeigt, dass Bindungsstile von Erwachsenen substantiell mit der Nähe- und Distanzmotivation in Partnerbeziehungen sowie mit Beziehungen im Allgemeinen in Verbindung stehen (vgl. z.B. Dewitte & De Houwer, 2008; Feeney, 1999). Somit scheinen individuelle Unterschiede des Nähe-Bedürfnisses wichtige Determinanten für Nähewünsche zu sein, aber auch andere Persönlichkeitsvariablen oder Beziehungscharakteristika tragen zur Aktivierung der Nähemotivation bei; so fördern z.B. eine hohe Verträglichkeit und, im Besonderen, eine hohe allgemeine Beziehungszufriedenheit das Bedürfnis nach Nähe (Hagemeyer et al., 2013).

Das Bedürfnis nach Kontakt und Geselligkeit. Wünsche nach Gemeinschaft sind nicht nur auf die Nähe zum Partner gerichtet, es gehören dazu beispielsweise auch Bedürfnisse nach Kontakt und Geselligkeit mit Freunden. Von besonderen Interesse ist dabei die Frage, in welchem Maße die unterschiedlichen Facetten der gemeinschaftsorientierten Motivation intraindividuell konvergieren oder miteinander konkurrieren.

Das Bedürfnis nach Alleinsein. Zunächst sind generell zwei Aspekte von Alleinsein zu unterscheiden:

- Alleinsein im Sinne von sozialer Deprivation, verbunden mit fehlender sozialer Unterstützung sowie Gefühlen von Einsamkeit und Isolation.
- Alleinsein im Sinne eines selbstgewählten Rückzugs zur Erholung oder für Aktivitäten, die besser allein durchgeführt werden können, wie z.B. bestimmte kreative Prozesse, Phasen der Selbstreflexion, die Beschäftigung mit Zukunftsplänen oder die Suche nach spirituellen Erfahrungen (Burger, 1995; Long, Seburn, Averill & More, 2003).

Die Differenzierung zwischen solchen positiven Episoden des Alleinseins und negativen Erfahrungen von Einsamkeit verdeutlicht, dass sich Personen in ihrem Bestreben nach positiven Erfahrungen mit dem Alleinsein teilweise erheblich unterscheiden. Dabei wird das Bedürfnis nach Alleinsein in diesem Modell nicht nur als das Gegenteil gemeinschaftsorientierter Wünsche gesehen, sondern als ein eigenständiges Bedürfnis betrachtet, das unabhängig von der Gemeinschaftsorientierung aktiviert wird (Hagemeyer et al., 2013). Diese Annahme konnte auch experimentell bestätigt werden (Hagemeyer & Neyer, 2012).

Appetenz und Aversion als Indikatoren sozialer Bedürfnisse. Das triadische Modell der sozialen Bedürfnisse orientiert sich an dynamischen Motivationstheorien (vgl. Bischof, 1993; Schneider, 2001) und versteht die aufgeführten Bedürfnisse als relativ stabile Referenzwerte eines Feedbackkontrollsystems. Diese motivationalen Bezugswerte bestimmen, in welchem Maß eine spezifische Klasse der für die Person typischen Bedürfnisse befriedigt sein sollte (z.B. wie viel Nähe zum Partner, wie viel Kontakt mit Freunden und wie viel Alleinsein zu Hause). Gemäß der Feedbackkontrolltheorie werden stabile Referenzwerte kontinuierlich mit aktuellen Werten verglichen und auftretende Diskrepanzen zwischen Ist- und Sollwerten so reguliert bis ein Gleichgewichtszustand wiederhergestellt ist. Diskrepanzen zwischen Referenzwerten bzw. Soll- und Ist-Werten können durch zu viele oder zu wenige Befriedigungen einer bestimmten Klasse der genannten Bedürfnisse entstehen, wobei zwei Arten von Diskrepanzen zwei verschiedene Arten von affektiv-motivationalen Reaktionen auslösen, die beide darauf zielen, einen verloren gegangenen Gleichgewichtszustand wiederherzustellen: Appetenz oder Aversion. Gemäß der Feedbackkontrolltheorie erfahren Personen mit stark ausgeprägten sozialen Bedürfnissen sehr wahrscheinlich häufiger Appetenz und in geringerem Maße Aversion als Personen, bei denen diese Bedürfnisse weniger stark entwickelt sind (Hagemeyer et al., 2013).

Aus diesem Statement lässt sich schlussfolgern, dass ein Beziehungspartner, der z.B. trotz häufiger und intensiver Nähe-Erfahrungen mit seinem Lebensgefährten weiterhin nur geringe partnerbezogene Distanzierungswünsche bzw. keine nennenswerten Appetenzverluste generiert, ein stark ausgeprägtes partnerbezogenes Nähe-Bedürfnis besitzt. Ein Beziehungspartner, der dagegen während oder nach einem engen Zusammensein mit seinem Partner häufig auch starke partnerbezogene Distanzierungswünsche bzw. deutliche partnerbezogene Appetenzverluste erlebt, verfügt dementsprechend über ein gering ausgeprägtes partnerbezogenes Nähe-Bedürfnis. Hier werden individuelle Unterschiede in der Ausbildung dieser sozialen Bedürfnisse deutlich, die sich durch geeignete Verfahren anhand von Appetenz- und Aversionsitems bezogen auf diese drei Motive messen lassen (Hagemeyer et al., 2013).

Eine Bestätigung dieser theoretischen Position würde auch erklären, warum sich Personen mit einem stark ausgeprägten Nähebedürfnis in Beziehungen unwohl fühlen, in denen ihr Nähebedürfnis vom Partner nicht hinreichend befriedigt wird. Dagegen ist zu erwarten, dass sich Personen mit einem stark ausgeprägten Bedürfnis nach Alleinsein in Beziehungen unwohl fühlen, in denen dieses Bedürfnis nicht angemessen befriedigt wird, z.B. weil der Partner ihre zeitweiligen Distanzierungswünsche nicht akzeptieren kann.

Empirische Prüfung des Bedürfnismodells. In zwei Studien (Hagemeyer et al., 2013) wurden die Relationen zwischen den genannten drei Bedürfnissen und verschiedenen externen Kriterien (Persönlichkeitsmerkmalen, Lebenszufriedenheit, Beziehungszufriedenheit, wahrgenommene erhaltene Unterstützung, Partnerbindung) untersucht.

Bei den 476 Teilnehmern einer Interneterhebung (Studie 1) und den 578 mitwirkenden heterosexuellen Paaren einer Langzeituntersuchung (Studie 2/erneute Befragung nach einem Jahr) wurde eine gute Bestätigung der dreidimensionalen Struktur des Bedürfnismodells sowie der differentiellen Validitäten der drei Bedürfnisse gefunden. Die angenommenen Abläufe der Nähe-Distanz-Regulation in Partnerschaften in Form von Appetenz- und Aversionsreaktionen wurden durch die vorgenommenen Erhebungen ebenfalls bestätigt. Das Bedürfnis nach Alleinsein war klar unterscheidbar von den beiden gemeinschaftsorientierten Bestrebungen nach Nähe zum Partner oder dem Wunsch nach Zusammensein mit Freunden.

Distanzregulation bei getrennt zusammenlebenden und zusammenwohnenden Paaren. Beim Vergleich von zusammenwohnenden Paaren (COR/co-residence) und getrennt zusammenlebenden Paaren (LAT) ist nach den oben vorgestellten Befunden zu erwarten, dass aktualisierte Partnerbedürfnisse nach Alleinsein in COR-Beziehungen eine deutlich negativere Wirkung auf das Funktionieren der Beziehung ausüben sollten als in LAT-Beziehungen. Außerdem kann vermutet werden, dass Personen die LAT-Beziehungen präferieren, im Allgemeinen im Verlauf des Zusammenseins mit ihren Partnern stärkere Bedürfnisse nach Alleinsein zum Ausdruck bringen als Personen, die COR-Beziehungen bevorzugen.

Diese Hypothesen wurden in zwei Studien geprüft (Hagemeyer, Schönbrodt, Neyer, Neberich & Asendorpf, 2015), wobei sich die Autoren unter Bezugnahme auf das triadische Modell der sozialen Bedürfnisse eingehend mit der Bedeutung des Bedürfnisses nach Alleinsein für das Funktionieren von Partnerschaften unter LAT- und COR-Bedingungen beschäftigt haben. Diese Studien werden im Folgenden kurz besprochen, weil von ihren Ergebnissen wichtige Erkenntnisse für das Funktionieren von Beziehungen im Allgemeinen sowie für die Distanzregulation in Beziehungen unter COR- und LAT-Bedingungen im Besonderen zu erwarten sind.

Die Autoren gehen davon aus, dass Bedürfnisse nach Alleinsein im Vergleich zu gemeinschaftsorientierten Motiven, wie das Bedürfnis nach Nähe zum Partner, als antagonistische Kräfte verstanden werden sollten, sofern die individuelle Freiheit und Unabhängigkeit eines Beteiligten durch zu viel partnerschaftliche Nähe als eingeschränkt erlebt wird und dadurch ein Beziehungsrisiko darstellt. Aus diesem Grund besteht eine große Herausforderung für die partnerschaftliche Beziehungsregulation darin, die personalen Bedürfnisse nach Alleinsein in die Beziehung zu integrieren, denn Forschungen haben gezeigt, dass zu viel Nähe negative Effekte für das beziehungsbezogene als auch für das individuelle Wohlbefinden haben kann (vgl. Frost & Forester, 2013).

In den nachfolgend vorgestellten Studien wird zwischen subjektiven Nähe-Empfindungen und eher objektiven bzw. external zu beobachtenden Nähe-Typen differenziert. Erstere werden als angenehm sowie erfüllend erlebt, womit auch eine Bewertung der Beziehungsqualität verbunden ist. Letztere umfassen die räumliche Nähe, das Ausmaß an Zeit, die Partner miteinander verbringen oder auch die dyadische Interdependenz, d.h. das Maß, in dem sich Partner wechselseitig beeinflussen.

Die von Paaren gewählte Form des Zusammenlebens bietet für die Forschung einen interessanten Kontext zum Studium von Motiven des Alleinseins und dem Funktionieren einer Beziehung, weil sie unterschiedliche Bedingungen dafür bietet, die Möglichkeiten der Partner für objektive Nähe zu begünstigen oder einzuschränken. Die Autoren untersuchten dazu in einer ersten Studie 332 COR-Beziehungen und 216 LAT-Beziehungen (Hagemeyer et al., 2015).

Die Ergebnisse dieser ersten Studie zeigen, dass bei den LAT-Paaren das Bedürfnis nach Alleinsein im Durchschnitt erwartungsgemäß stärker ausgeprägt war als bei den COR-Paaren, wobei es allerdings in beiden Gruppen individuelle Unterschiede in der Bedürfnisstärke gab. Ein starkes Bedürfnis nach Alleinsein hatte bei den LAT-Paaren, insbesondere bei den männlichen Partnern, geringere Auswirkungen auf die Partnerschaftsqualität, weil sie vermutlich ihr Bedürfnis nach Alleinsein und Unabhängigkeit besser befriedigen konnten. Bei den COR-Paaren war dagegen die Konflikthäufigkeit und Unzufriedenheit umso höher, je stärker das individuelle Motiv nach Alleinsein ausgeprägt war – vermutlich, weil dieses Motiv in der COR-Beziehung permanent frustriert wurde.

In einer zweiten Studie untersuchten die Autoren mit einer Teilstichprobe von 48 COR- und 58 LAT-Paaren, wie sich diese Dynamik im Beziehungsalltag darstellt. Die Studienteilnehmer führten dazu über einen Zeitraum von zwei Wochen ein Beziehungstagebuch. Zur Erfassung der aktuellen Stärke des Bedürfnisses nach Alleinsein wurden die Partner abends jeweils einzeln gefragt, ob die Zeit, die sie tagsüber persönlich zur Verfügung gehabt hatten, gerade richtig, zu lang oder zu knapp bemessen war. Sofern die Teilnehmer angaben, sie hätten zu wenig Zeit für sich gehabt, wurde dies als Hinweis auf ein aktuell erhöhtes Bedürfnis nach Alleinsein gewertet. Darüber hinaus sind täglich die mit dem Partner gemeinsam verbrachte Zeit in Stunden und die aktuelle Beziehungszufriedenheit erfasst worden.

Durch die Ergebnisse der Tagebuchstudie werden die bedeutende Rolle eines stabilen Bedürfnisses nach Alleinsein und dessen alltäglicher Einfluss auf die partnerschaftliche Distanzregulation belegt, denn Partner mit einem stärker ausgeprägten Bedürfnis nach Alleinsein hatten im Alltag eher das Gefühl, zu wenig Zeit für sich zu haben. Alle Partner erwiesen sich aber unabhängig davon als umso zufriedener, je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, sofern sie nicht am Vortag zu wenig Zeit für sich gehabt hatten. Der dadurch aufgebaute Wunsch nach Alleinsein führte dazu, dass zusammenlebende Partner am nachfolgenden Tag mit ihrer Beziehung tendenziell unzufriedener waren.

Zusammenfassend ist nach dieser zweiten Studie eine Dreifachwechselwirkung zwischen den Faktoren Partnerschaftsform, gemeinsamer Zeit und dem Wunsch nach Alleinsein zu erkennen: Bei zusammenwohnenden Partnern mit einem starken Bedürfnis nach Alleinsein verliert die Nähe zum Partner ihren Reiz und die Beziehungszufriedenheit nimmt ab. Bei allen anderen Partnern ist es umgekehrt (Hagemeyer et al., 2015).

Schlussfolgerungen. Die Interaktion von objektiver Nähe mit Motiven des Alleinseins erlaubt eine Vorhersage der Beziehungsqualität. In der Regel wird eine hohe objektive Nähe in einer Partnerschaft als positiv erlebt, jedoch kann dieser günstige Effekt in seiner Wirkung abnehmen oder sich ins Gegenteil verkehren, wenn Partner starke Motive nach Alleinsein in die Beziehung einbringen. Dies wird für COR-Beziehungen durch beide Studien belegt, wobei deutlich wurde, dass bei zusammenwohnenden Partnern mit einem starken Bedürfnis nach Alleinsein die Nähe zum Partner an Reiz verliert und die Beziehungszufriedenheit abnimmt (Hagemeyer et al., 2015).

Die Autoren verweisen darauf, dass eine plausible Strategie zur Vermeidung solcher beziehungsbeeinträchtigen Effekte darin bestehen könnte, die LAT-Partnerschaft als dauerhaftes Lebensarrangement zu wählen. Dies sei jedoch kein praktikables Lösungsangebot für alle Paare, insbesondere dann nicht, wenn die Familiengründung ein Zusammenwohnen erforderlich macht. Deshalb wird es notwendig sein, die motivationale Dynamik der Regulation von Nähe und Distanz bei Paaren künftig noch besser zu verstehen. Dazu ist es erforderlich, die differentiellen Mechanismen zu erforschen, die hinter den beobachteten negativen Effekten in COR-Partnerschaften wirksam sind. So stellt sich in diesem Kontext beispielsweise die Frage, ob es spezifische Regulationsstile der erfolgreichen Integration von starken Motiven nach Alleinsein gibt, bei deren Management sich Paare voneinander unterscheiden.

Im Anschluss an diese Studien und deren weiterführenden Befunde, insbesondere für das Verständnis von LAT-Partnerschaften, wird dargestellt, wie eine erfolgreiche Nähe-Distanz-Modellierung im Rahmen eines solchen Lebensarrangements aussehen könnte. Angesichts zahlreicher vorliegender Befunde zur Instabilität von LAT-Partnerschaften erscheint es für deren Weiterentwicklung ebenfalls von Nutzen zu sein, die Möglichkeiten der Integration von starken Motiven nach Alleinsein noch zu optimieren, da nachweislich davon auszugehen ist, dass Personen, die sich für diese Form des Zusammenlebens entscheiden, solche Motive verstärkt in LAT-Partnerschaften einbringen. Es ist zudem denkbar, dass sich die vorzustellenden Stile einer verbesserten Nähe-Distanz-Regulation für längerfristig konzipierte LAT-Partnerschaften auch für eine erfolgreichere Integration von Partnern eignen, die mit starken Motiven nach Alleinsein in COR-Partnerschaften leben.

Die Befunde der dargestellten persönlichkeitspsychologischen Studien haben auch verdeutlicht, dass LAT-Partnerschaften nach der postreproduktiven Phase für Frauen an Stabilität gewinnen. Damit besteht eine größere Chance des Aufbaus einer längerfristigen heterosexuellen Partnerschaftsbeziehung, weil Frauen bei der Wahl eines Partners nicht mehr vorrangig auf dessen Ressourcen für eine Familiengründung und die Versorgung sowie Betreuung gemeinsamer Kinder fokussieren, sondern in stärkerem Maße ihre Autonomiebedürfnisse befriedigen wollen. Somit eröffnet sich im mittleren bis spätem Erwachsenenalter für Männer wie für Frauen die Möglichkeit, die Vorteile von LAT-Beziehungen gegenüber COR-Beziehungen (bessere Befriedigung eines starken Bedürfnisses nach Alleinsein, weniger Nähe-Distanz-Konflikte, höhere sexuelle Zufriedenheit) mit den Vorteilen von COR-Partnerschaften (z.B. hinreichende Befriedigung des Bedürfnisses nach Nähe, höhere Beziehungsstabilität) zu verknüpfen. Die LAT-Partner könnten sich nunmehr intensiv damit auseinandersetzen, die bekannten Nachteile von LAT-Beziehungen (z.B. geringere Verbindlichkeit, geringe Unterstützung durch den Partner im Alltag, höheres Trennungsrisiko) zu bearbeiten, um die Beziehungszufriedenheit und die Beziehungsdauer zu erhöhen.

Zur Realisierung der genannten Ziele benötigen die LAT-Partner spezifische Kompetenzen der feinfühligen, flexiblen und kreativen Nähe-Distanz-Modellierung, die im übernächsten Abschnitt behandelt wird. Zuvor soll jedoch die Frage erörtert werden, was Beziehungspartner brauchen, um sagen zu können, dass sie mit ihrer Partnerschaft sehr zufrieden sind. Dazu wird ein Beziehungsmodell vorgestellt, das diese Frage beantworten kann und auch zur Klärung der Gründe beiträgt, die für eine starke Beziehungsunzufriedenheit mitverantwortlich sind.

Das beziehungsbezogene Grundbedürfnis-Modell

Die Aufgabe einer Beziehungstheorie für Paare besteht m.E. darin zu erklären, unter welchen Bedingungen Partnerschaftsbeziehungen längerfristig gelingen können und unter welchen sie sehr wahrscheinlich scheitern werden. Diese theoretische Klärung ist für alle Formen von Paarbeziehungen von Bedeutung, denn wenn diese Bedingungen bekannt sind, können wir über eine wichtige Leitorientierung zur Entwicklung des Gelingens und der Prävention des Scheiterns von Paarbeziehungen verfügen.

In der wissenschaftlichen Beziehungspsychologie wurde kürzlich ein grundbedürfnistheoretisches Beziehungskonzept vorgestellt, das den oben formulierten Ansprüchen gerecht werden kann (Klemenz, 2018) und deshalb auch für die Entwicklung und Stabilisierung von längerfristigen LAT-Beziehungen von grundlegender Relevanz ist. Das Beziehungskonzept basiert auf dem Grundbedürfnismodell des US-amerikanischen Persönlichkeitspsychologen Seymour Epstein (1991, 2003) sowie auf dessen Weiterentwicklung von Grawe (2004). Beide Ansätze sollen hier zum besseren Verständnis der folgenden Erörterungen und für die Entwicklung eines praktikablen LAT-Modells kurz vorgestellt werden.

Das Grundbedürfnis-Modell von Epstein.

In der Persönlichkeitstheorie von Epstein nehmen die psychischen Grundbedürfnisse des Individuums eine zentrale Stellung ein. Sie bilden gewissermaßen die Standards, an denen sich die gesamte psychische Aktivität einer Person ausrichtet, denn Menschen verfolgen bestimmte Ziele und Pläne, um auf diese Weise anhand verfügbarer oder noch zu entwickelnder Ressourcen ihre psychischen Grundbedürfnisse angemessen befriedigen zu können. Die hinreichende Befriedigung dieser Grundbedürfnisse fördert die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden des Individuums, während ihre überdauernde Nicht- oder Unterbefriedigung sehr wahrscheinlich behandlungsbedürftige Störungen hervorruft (Grawe, 2004).

Epstein (1991, 2003) unterscheidet vier angeborene psychische Grundbedürfnisse des Menschen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und in den neurologischen Strukturen des Menschen tief verankert sind:

[...]

Excerpt out of 119 pages

Details

Title
Living-Apart-Together. Modell und Vorschläge für die längerfristige Praxis einer eigenständigen Lebensform
Author
Year
2019
Pages
119
Catalog Number
V503638
ISBN (eBook)
9783346041524
ISBN (Book)
9783346041531
Language
German
Keywords
Paarbeziehungen, Getrennt-Zusammenleben, Living-Apart-Together
Quote paper
Dr. Bodo Klemenz (Author), 2019, Living-Apart-Together. Modell und Vorschläge für die längerfristige Praxis einer eigenständigen Lebensform, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/503638

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