Prüfung von Leistungsansprüchen einer EU-Bürgerin mit Bewilligung L bei Krankheit (CH)


Akademische Arbeit, 2015

12 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Ausgangslage

2 Sachverhalt
2.1 Meine Funktion als Sozialarbeiterin am Luzerner Kantonsspital
2.2 Die Situation der Patientin
2.3 Verlauf der Beratung

3 Relevante Problemstellung

4 Theoretische Reflexion und Lösungsansätze
4.1 Leistungen aus der Krankenversicherung
4.2 Leistungen aus der Krankentaggeldversicherung
4.3 Leistungen aus der ALV
4.4 Anspruch auf Sozialhilfe?
4.5 Anspruch auf Lohnfortzahlung gemäss OR Art. 324a

5 Fazit - offene Punkte

6 Literatur

7 Abkürzungsverzeichnis

1 Ausgangslage

Frau S., eine 53-jährige Portugiesin mit Bewilligung L, lebt seit 1 Jahr und 9 Monaten in der Schweiz, Sie ist bei zwei Schweizerinnen im Stundenlohn als Haushaltshilfe angestellt. Dies ist ihr einziger Verdienst. Aufgrund starker Rückenschmerzen kam sie in die Notfallaufnahme des Luzerner Kantons­spitals Wolhusen. Ihre Hauptarbeitgeberin, bei der Frau S. 1.5 Tage pro Woche arbeitet, hat keine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen. Frau S. erhält jeweils kein Gehalt, wenn sie wegen Krankheit nicht arbeiten kann. Dies führt zu grossen Existenzängsten bei ihr.

2 Sachverhalt

2.1 Meine Funktion als Sozialarbeiterin am Luzerner Kantonsspital

Im Rahmen meiner Anstellung am Luzerner Kantonsspital Wolhusen bin ich für die Beratung der stationären Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen zuständig. Oftmals dreht sich die Beratung um stationäre Anschlusslösungen an den Spitalaufenthalt, z.B. Organisation von Kuren, Rehas oder Pflegeheimeintritten. Manchmal geht es um Vermittlung externer Angebote z.B. nach einer Krebserkrankung. In unserem Alltag ist nur eine Kurzzeitberatung möglich, da sich unsere Zuständigkeit auf die Zeit des Spitalaufenthaltes der betroffenen Person beschränkt.

Schwerpunkte meiner Tätigkeit sind:

Nachsorge organisieren:

Patientinnen, Patienten und deren Angehörige in Bezug auf Anschlusslösungen an einen Spitalaufent­halt beraten, die entsprechenden Finanzierungen abklären sowie - bei Kuren und Rehas - die Kosten­gutsprache einer geplanten Anschlusslösung einholen

Aufzeigen von Möglichkeiten eines Therapieangebots bei einer Suchterkrankung oder bei psychischen Krankheiten.

Vermittlung von externen Angeboten und Anlaufstellen bei diversen Erkrankungen (Krebs, Alzhei­mer) oder Verweisen an entsprechende Stellen wie z.B. die Krebsliga, die Alzheimer-Vereinigung, die Pro Senectute etc. bei finanziellen Fragen.

Psychosoziale Beratung und Begleitung durch den Prozess:

Beratung einer geeigneten Anschlusslösung, sofern nötig, und Begleitung durch den Prozess unter Be­rücksichtigung auftretender Emotionen und Bedürfnisse bei Patientinnen, Patienten und ihren Angehö­rigen.

Sozialrechtliche Beratung:

Erkennen von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen bzw. Weitervermittlung bei komplexen Fragestellungen an externe Anlaufstellen.

Einleiten behördlicher Massnahmen:

Anträge auf eine Beistandschaft stellen z.B. bei gefährdeten Patientinnen und Patienten.

Wir haben die schwierige Aufgabe, innerhalb weniger Tage zusammen mit dem Ärzteteam, Patientin­nen und Patienten - und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Anforderungen - zu bestimmten Le­benssituationen Lösungen zu erarbeiten oder einzuleiten. Geht es dabei um lebensverändernde Sach­verhalte wie z.B. einen Eintritt in ein Pflegeheim, ist es nicht verwunderlich, dass von Seiten der Kli­entel oder Angehörigen manchmal grosser Widerstand vorhanden ist. Nicht selten wird von uns von verschiedenen Seiten erwartet, Probleme, die sich über Jahre hinweg angestaut haben, innerhalb weni­ger Tage zu lösen.

2.2 Die Situation der Patientin

Frau S., 53-jährig, kam am 26.12.2014 in die Notfallaufnahme des Luzerner Kantonsspitals in Wolhu- sen. Sie berichtete der diensthabenden Notfallärztin, sie habe am Vortag während ihrer Arbeitstätigkeit einschiessende Rückenschmerzen mit Ausstrahlung über den rechten Oberschenkel bis zum Grosszeh rechts bekommen. Seither seien die Schmerzen kontinuierlich stärker geworden, sodass diese am Vor­stellungstag beinahe immobilisierend waren.1 Sie hatte selbst bereits Schmerzmedikamente eingenom­men, ihre Schmerzen hatten sich jedoch nicht gebessert. Die zuständige Notfallärztin diagnostizierte eine akute Lumbago (Hexenschuss) mit lumboradikulärer2 Schmerzausstrahlung rechts. Frau S. litt ausserdem seit 2011 an einer rheumatoiden Arthritis. Zudem wurde in der Diagnose eine depressive Verstimmung erwähnt.

Die Sozial- und Austrittsberatung des Spitals wurde am folgenden Montag informiert und gebeten, bei Frau S. vorbeizugehen, da die Patientin angegeben hatte, finanzielle Schwierigkeiten zu haben und Existenzängste äussere. Die Patientin sprach nur Portugiesisch. Für die Anamnese sowie die Beratung musste eine Übersetzerin herbeigezogen werden.

2.3 Verlauf der Beratung

29.12.14

Beim Erstgespräch am 29.12.2014 erzählte Frau S., dass sie Portugiesin ist und seit 1 Jahr und 9 Mo­naten in der Schweiz lebt. Sie hat eine Bewilligung L. Sie sei von einer Schweizerin als Haushaltshilfe angestellt bzw. in die Schweiz geholt worden und arbeite bei ihr im Stundenlohn, 1.5 fixe Tage pro Woche, insgesamt ca. 14 Stunden pro Woche. Die Frage, ob diese Arbeitgeberin sie bei der AHV an­gemeldet habe, konnte sie nicht beantworten. Einen weiteren halben Tag putze sie bei einer anderen Frau. Insgesamt entspreche ihr Pensum ca. einer 50%-Stelle.

Frau S. war im März 2012 mit ihrem Ehemann in die Schweiz eingereist. Die Eheleute leben zurzeit getrennt. Frau S. ist nun alleine auf sich gestellt. Kinder hat sie keine. In Portugal hatte Frau S. nicht gearbeitet. Frau S. leidet seit 2011, als sie noch in Portugal lebte, an einer chronischen Arthritis. Auf­grund dieser habe sie immer wieder Rückenschmerzen, müsse immer wieder hospitalisiert werden und könne daher nicht zu 100% arbeiten, wie sie angab. Eine dauernde Teil-Arbeitsunfähigkeit wurde aber nie von einem Arzt oder einer Ärztin definiert. Eine Anmeldung bei einer portugiesischen Invaliden­versicherung habe sie nie gemacht. Sie sagte, so etwas gebe es dort nicht.

Frau S. äusserte, dass sie von beiden Arbeitgeberinnen kein Gehalt erhalte, wenn sie für einige Tage hospitalisiert sei, was ca. 3 Mal pro Jahr vorkomme. Dies führt bei ihr zu starken Verarmungsängsten.

30.12.14

Ein weiteres Gespräch am nächsten Tag ergab, dass Frau S. in ihrer Heimat keine Ausbildung absol­viert hatte. Es würde ihr sehr schwer fallen, in der Schweiz eine andere Arbeit zu finden, auch weil sie kaum Deutsch spricht. Ich fragte Frau S., ob sie mehr als 50% arbeiten wolle und könne. Sie bejahte.

Ich suchte das Gespräch mit der zuständigen Stationsärztin, um ihre Meinung zu hören, zu wieviel Prozent Frau S. arbeitsfähig ist. Die zuständige Ärztin war der Meinung, dass eine 100% Arbeitsfähig­keit bei dieser Krankheit möglich sei. Allerdings sei eine Haupttätigkeit im Haushaltbereich für die Krankheit nicht förderlich, sondern würde immer wieder zu Arbeitsausfällen führen.

31.12.14

Frau S. konnte leider in der kurzen Zeit ihre Arbeitsverträge nicht besorgen. Beim letzten Besuch bei Frau S. zeigte ich ihr daher folgende Möglichkeiten auf: da sie bereit war, mehr als die bestehenden 50% zu arbeiten, könnte sie beim RAV zumindest die Dienste der Arbeitsvermittlung in Anspruch nehmen. Generell wäre es aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen ein grosser Vorteil, wenn Frau S. eine Anstellung in einer Firma finden würde, da sie dort besser gegen Arbeitsausfälle versichert wäre und allenfalls in den Genuss weiterer Sozialleistungen wie z.B. einer Pensionskasse kommen würde3.

Ich riet Frau S. zudem, sich nach der Entlassung aus dem Spital bei FABIA, einer Beratungsstelle für Ausländerinnen und Ausländer zu melden, deren Prospekt ich ihr abgab. Dort gab es eine portugie­sisch sprechende Person, sodass eine Beratung in ihrer Muttersprache möglich wäre. Ich hatte Frau S. auf den Art. 324a Abs. 1 und 2 des OR aufmerksam gemacht. Sie wollte sich über die kommenden

Feiertage Gedanken darüber machen, wie sie mit ihren Arbeitgeberinnen deren Pflicht der Lohnfort­zahlung besprechen wollte und erst noch einen Termin bei FABIA vereinbaren.

Nach Absprache mit meiner Vorgesetzten übergab ich Frau S. aus unserem Fonds für Härtefälle Fr. 300.- da sie während ihrer Hospitalisation vorerst kein Einkommen erhielt. Frau S. war sehr bewegt und bedankte sich.

3 Relevante Problemstellung

Frau S. ist EU-Bürgerin. Gemäss den FZA Art. 4 und Anhang I Art. 2 und Art. 6 Abs. 2 hat sie durch einen befristeten Arbeitsvertrag die Bewilligung L erhalten. Die Bewilligung L erlaubt einer Person, sich bis zum Ablauf des befristeten Arbeitsvertrags bzw. bis zu 1 Jahr in der Schweiz aufzuhalten und zu arbeiten. Dabei gibt es seit 1. Juni 2007 keine Kontingente mehr für bestimmte EU-Bürgerinnen und -Bürger (s. EDA/DEA, Merkblatt Personenfreizügigkeit4 ). Frau S. konnte nach einem Jahr die Be­willigung L um ein weiteres Jahr verlängern, da sie erneut einen auf 1 Jahr befristeten Arbeitsvertrag ihrer Hauptarbeitgeberin vorweisen konnte. Durch einen Auszug der AHV über die Beiträge kann ge­prüft werden, ob beide Arbeitgeberinnen von Frau S. die Sozialabgaben wirklich einbezahlt haben. Dies ist bei einer Anstellung in einem Privathaushalt auch bei einem geringen Gehalt in jedem Fall ob­ligatorisch (vgl. https://www.ahv-iv.ch/p/2.06.d Abs. 1, Zugriff am 4.2.2015)!

Da Frau S. während ihrer Krankheit kein Gehalt erhielt, stellt sich für mich folgende Frage:

Hauptfragestellung:

Wie sieht der Leistungsanspruch von Frau S. bei Krankheit aus?

Untergeordnete Fragestellung:

Welche weiteren Ansprüche aus anderen Sozialversicherungen könnte Frau S. geltend machen?

4 Theoretische Reflexion und Lösungsansätze

In den folgenden Unterkapiteln werde ich bei diversen Sozialversicherungen allfällige Ansprüche prü­fen. Dabei gehe ich auch auf hypothetische Situationen ein, um aufzuzeigen, wie sich die Rechtslage verhalten würde, wenn die eine oder andere Ausgangslage etwas anders wäre. Aus Gründen des Um­fangs dieser Arbeit wird auf die Invalidenversicherung nicht eingegangen. Da es sich beim Vorfall von Frau S. um eine Krankheit handelt, wird auch auf die Unfallversicherung nicht eingegangen.

[...]


1 Da hier diverse Merkmale eines Unfalls (Plötzlichkeit, ungewöhnlicher äusserer Faktor) nicht erfüllt sind, wird der Vorfall als Krankheit behandelt.

2 Schmerzsyndrom im Bereich der Nervenwurzeln in Höhe des 3. und 4. Lendenwirbelkörpers.

3 Bei einer Pensionskasse werden nur unselbständig Erwerbstätige angeschlossen, die ein Einkommen von mind. Fr. 21'150.- pro Jahr erzielen (Stand 1.1.15).

4 Die volle Freizügigkeit gilt weiterhin, bis die Kontingente durch den Bund ausgearbeitet wurden, die durch die Annahme der Einwanderungs-Initiative vom 09.02.2014 durch das Schweizer Volk verlangt werden.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Prüfung von Leistungsansprüchen einer EU-Bürgerin mit Bewilligung L bei Krankheit (CH)
Hochschule
Fachhochschule Nordwestschweiz
Note
1
Autor
Jahr
2015
Seiten
12
Katalognummer
V509249
ISBN (eBook)
9783346073372
ISBN (Buch)
9783346073389
Sprache
Deutsch
Schlagworte
prüfung, leistungsansprüchen, eu-bürgerin, bewilligung, krankheit
Arbeit zitieren
Claudine Haller (Autor:in), 2015, Prüfung von Leistungsansprüchen einer EU-Bürgerin mit Bewilligung L bei Krankheit (CH), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/509249

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Prüfung von Leistungsansprüchen einer EU-Bürgerin mit Bewilligung L bei Krankheit (CH)



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden