Informationsstruktur und Bildung von Kohärenz im Türkischen sowie die Besetzung der Vorfeldposition


Dossier / Travail de Séminaire, 2019

17 Pages, Note: 1.3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grammatische Prinzipien als Steuerung des Textaufbaus

3. Der Quaestio-Ansatz als Textproduktionsmodell

4. Kohärenzbildung im Türkischen: unter besonderer Berücksichtigung der Vorfeldbe- setzung
4.1. Grammatische Prinzipien des Türkischen
4.2. Beschreibung der Stichprobe
4.3. Durchführung: Nacherzählung des Films Quest (Stellmach 1996)
4.4. Auswertung

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Basierend auf der Annahme, dass „pragmatische Perspektivierung und Nutzung des sprachlichen Inventars“ interlingual variieren (Roche 2013:198), soll in dieser Arbeit herausgearbeitet werden, wie grammatische Prinzipien den Aufbau eines Textes steuern. Von Stutterheim (1997) stellt ausführlich die Einflussfaktoren dar, die auf den Aufbau eines Textes wirken können. Vor allem der Quaestio-Ansatz und die empirischen Arbei- ten dazu, liefern ein umfassendes Wissen in Bezug auf Vorgaben, die auf eine Textpro- duktion wirken und sie dementsprechend steuern. Ausgehend von diesem theoretischen Ansatz soll sich diese Arbeit auf die Informationsstruktur in narrativen Texten be- schränken. Der Blick wird dabei insbesondere auf die informationsstrukturelle Gliede- rung und auf kohärenzstiftende Mittel gerichtet. So soll gezeigt werden, wie unter ande- rem Prinzipien, beispielsweise syntaktische Regeln, der einzelnen Sprache eine Rolle spielen, indem sie Wichtigkeiten und Betonung perspektivisch regeln und beeinflussen. Aber nicht nur grammatische Prinzipien sondern auch die unterschiedliche Konzeptuali- sierungen wirken auf die sprachliche Äußerung ein. In Anlehnung der Untersuchungen von Caroll und von Stutterheim (2005) sowie von Lindner/Heilig/Weidinger (2018) zu Nacherzählungen des Films Quest (1996) von englischen und deutschen Muttersprach- lern, soll erarbeitete werden, wie im Türkischen Kohärenz hergestellt wird. Dies er- scheint vor allem interessant, da das Türkische auf einem anderen Sprachsystem basiert und daher Konzeptualisierungsvorgänge sowie Struktur und Perspektive divergieren könnten (z.B. vgl. von Stutterheim 1997:25). Vor diesem Hintergrund hat beispielsweise von Stutterheim (1986) die Herstellung von Temporalität in der Zweitsprache Deutsch von türkischen Gastarbeitern untersucht. Sie geht dabei von grammatischen Prinzipien in der Muttersprache aus, die auf den Textaufbau wirken und wie diese in die Zielspra- che übertragen werden.

Im Folgenden soll vorerst erläutert werden, wie grammatische Regeln die Textprodukti- on steuern. Primär soll auf die Informationsstruktur und die dafür nötige Bildung von Kohärenz eingegangen werden. Im zweiten Kapitel wird der Quaestio-Ansatz als ein Modell der Textproduktion dargestellt. Mit diesem theoretischen Rahmen soll anhand einer Filmnacherzählung gezeigt werden, welche kohärenzstiftenden Mittel im Türki- schen eingesetzt werden. Der Fokus wird dabei auf die Besetzung der Vorfeldposition gelegt.

2. Grammatische Prinzipien als Steuerung des Textaufbaus

Ein Text wird in der Regel produziert, um einen bestimmten Sachverhalt bzw. in diesem Sinn eine kommunikative Aufgabe zu lösen (z.B. vgl. Klein/von Stutterheim 2008: 218). Ob ein Text dieser Aufgabe gerecht wird, hängt davon ab, ob der Rezipient diesen als nachvollziehbar erachtet. Dies ist gegeben, sofern der Sprecher nicht gegen die Prin- zipien der Wohlgeformtheit eines Textes verstößt. Ein Text gilt nach von Stutterheim (1997:15) als wohlgeformt, wenn er einen thematischen Bezug auf den Sachverhalt nimmt und gleichzeitig die Informationsteile (Propositionen) miteinander verbindet. Ei- ner Textproduktion unterliegt somit ein Planungsprozess, währenddessen der Sprecher relevante Informationen selektiert, diese in eine nachvollziehbare Abfolge bringt und eine bestimmte Perspektive auf den Sachverhalt einnimmt, welche die Struktur der In- formationsteile gliedert (vgl. von Stutterheim 1997b:149). Letzteres bezieht sich auf die Einhaltung einer bestimmten Reihenfolge der sprachlichen Segmente, was unter Linea- risierung verstanden wird und sozusagen den „roten Faden“ gewährleistet (vgl. ebd.). So müssen die Konzepte der jeweiligen Sprache berücksichtigt werden, um jene Wohl- geformtheit zu erlangen. Klein und von Stutterheim (2008:218) unterstreichen deswe- gen auch die Wichtigkeit der Betrachtung der „Komponenten des Wissens in all seinen spezifischen Eigenschaften ebenso […] wie die der Verarbeitungsprozesse“. Dadurch, dass vor der Sprachproduktion innensprachliche Prozesse ablaufen, die auf die unter anderen im mentalen Lexikon gespeicherten Elemente jener Sprache zurückgreifen, ist somit auch das Produkt interlingual unterschiedlich (z.B. vgl. Roche 2013:71f sowie von Stutterheim 1997b:149f).

Jeder Text hat demnach eine bestimmte Struktur, dem sprachliche Prozesse und Ge- setzmäßigkeiten einer Sprache unterliegen (vgl. von Stutterheim 1997:16).

Das wesentliche Merkmal eines Textes besteht darin, daß eine Menge von Informatio- nen verteilt über eine Kette von Äußerungen vermittelt wird. Daß dieser Informations- aufbau nicht beliebig ist, sondern prinzipiengesteuert verläuft, ist klar.

(Klein/von Stutterheim 1992:81f)

In einem Text wird Kohärenz zum einen durch geteiltes Wissen und zum anderen durch die Verbindung der einzelnen Äußerungen realisiert (vgl. Lindner/Heilig/Weidinger 2018:205). Dieser Zusammenhalt wird durch morpho-syntaktische oder textdeiktische

Kohäsionsmittel hergestellt, wie beispielsweise im Deutschen durch die Verwendung von Demonstrativa, Pronomina aber auch Ellipsen (vgl. ebd.: 206).

Kohärente Texte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf globaler Ebene einem ein- heitlichen Linearisierungsprinzip unterliegen. Die Quaestio liefert als Vorgaben über die Muster der referenziellen Bewegung in den verschiedenen Konzeptbereichen.

(Klein/von Stutterheim 2008:223)

Kohärenz definiert von Stutterheim (1997a:30) als den „Zusammenhang zwischen zwei und mehreren Propositionen“, die sich auf unterschiedliche Konzeptdomänen, wie Zeit, Raum, Person oder Objekt beziehen. Die globale Kohärenz bezieht sich auf die Makro- struktur eines Textes betrifft die textübergreifende Nachvollziehbarkeit. Die lokale Ko- härenz verweist dagegen auf die Mikrostrukturen der Äußerung, also die Verknüpfung derer aneinander. Von Stutterheim (1997a:30f) unterscheidet neben diesen zwei Dimen- sionen zwischen zwei Kohärenztypen, die sie als statische und dynamische Kohärenz bezeichnet. Statische Kohärenz bezieht sich auf die konstanten Komponenten eines Tex- tes, welche somit den Geltungsrahmen für die gebrauchten Einzelinformationen bieten (vgl. von Stutterheim 1997a:30). Sie sorgen demzufolge für den Zusammenhalt im Text. Die dynamische Kohärenz bezieht sich dagegen auf den linearen Charakter der Sprache und die damit verbundene sequentielle Ordnung der sprachlichen Elemente (vgl. von Stutterheim 1997a:31).

Die Linearisierung gewährleistet sozusagen durch eine festgelegte Reihenfolge von sprachlichen Segmenten innerhalb einer Äußerung. Es geht folglich um die „lokalen Beschränkungen für die Informationsentfaltung von Äußerung zu Äußerung“ (Klein/ von Stutterheim 1992:68). Diese lokalen Beschränkungen bewirken, dass der Sprecher während der Konzeptualisierung seiner Sprachhandlung Informationen selektiert, an- ordnet und gewichtet (Klein/von Stutterheim 2008: 226). Die Art der Linearisierung , die eine festgelegten Reihenfolge von sprachlichen Segmenten vorgibt, nimmt dement- sprechend Einfluss auf die Verknüpfung der einzelnen Äußerungen und bewirkt eine informationsstrukturelle Gliederung derer. Dabei ist insbesondere der Umgang mit alter und neuer Information und der Gebrauch von referentiellen bzw. sprachlicher Mittel zur Einführung von neuen Informationsteilen von Bedeutung. Klein und von Stutterheim (1992:68) unterscheiden dabei zwischen Informationsteilen, die neu eingeführt, erhalten oder referentiell angebunden bzw. wiederaufgenommen wurden. Neu eingeführte In- formationen stehen in einem Text im Vordergrund und werden dementsprechend als Fo- kus oder Rhema bezeichnet, wohingegen die im Hintergrund stehende alte, erhaltende

Information als Thema bzw. Topik definiert ist (vgl. Meibauer 2001:149)1. Kohärenz wird demzufolge „durch ein gleichbleibendes Topik oder durch kohäsive Mittel“ ge- schaffen (Lindner/Heilig/Weidinger 2013:206). Die informationsstrukturierende Gliede- rung hat somit Auswirkungen auf der sprachlichen Ebene.

In Bezug auf narrative Texte, auf die sich diese Arbeit konzentriert, stellt in deutschen Texten die Verschiebung auf der Zeitachse, neben der Festlegung des Protagonisten glo- bale Topikvorgaben dar, die das Vorfeld besetzt. (vgl. Carroll/von Stutterheim 2005:14). Falls also die Temporalität das oberste Kohärenzkriterium belegt, sind die ihr betreffen- den sprachlichen Äußerungen der Vorfeldposition zugeordnet (vgl. ebd.). In deutschen Erzählungen ist das beispielsweise in der Chronologie der Ereignisse wiedergegeben, indem Zeitintervalle meist mit „dann-Relationen“ realisiert sind. Ist die im Fokus lie- gende Entität „ein Agens, so kann dessen internationale Ausrichtung den roten Faden für Informationsselektion und -verkettung liefern“ (Carroll/von Stutterheim 2005:14). Im Deutschen fungiert demnach meist das Subjekt als globales Topikelement, auf das immer wieder referiert wird und somit hauptsächliches Mittel der Kohärenzstiftung dar- stellt (vgl. Carroll/von Stutterheim 2005:14). Dabei stehen die Domänen Zeit und Per- son in Konkurrenz zueinander, da die Verbzweitstellung im Deutschen eine Gewichtung in Bezug auf die Vergabe der Vorfeldposition verlangt. Falls also der Protagonist die Vorfeldposition besetzt, geschieht die temporale Verschiebung im Mittelfeld (vgl. Lind- ner/Heilig/Weidinger 2018:232). Für deutsche Sprecher bildet demnach der Protagonist die globale Topikkategorie, der syntaktisch die Rolle des Subjekts einnimmt und auf diesen unter Verwendung von Pronomina, Nullanaphern oder Ellipsen im Textverlauf referiert wird (z.B. vgl. Lindner/Heilig/Weidinger 2018:233f). Die Entität bleibt somit mit ihren Eigenschaften der vorherigen Äußerungen erhalten. Man geht also davon aus, dass die Prinzipien der Informationsstrukturierung die Textproduktion steuern und unter Berücksichtigung derer dem Sprecher ermöglichen, sein Wissen zielgerichtet und kohä- rent umzusetzen. Dabei sind die Muster der Kohärenzbildung interlingual unterschied- lich, z.B. durch das Einsetzen verschiedener sprachlicher Mittel oder die Fokussierung auf unterschiedliche Referenzbereiche.

Vor diesem Hintergrund haben z.B. Carroll und von Stutterheim (2005), von Stutter- heim (1986,1997) sowie Lindner/Heilig/Weidinger (2018) unter anderem die jeweiligen Kohärenzmuster in einer anderen Sprache untersucht. Carroll und von Stutterheim (2005) analysierten beispielsweise deutsche und englische Erzählungen im Hinblick auf das Verhältnis und die Position von Topik und Subjekt im Text. Dabei stellten sie her- aus, dass Sprecher des Englischen anderen Prinzipien der Organisationsstruktur folgen (vgl. Carroll/von Stutterheim 2005:16). Hier stellt das Subjekt aufgrund der syntakti- schen Beschränkung auf die präverbale Position im Englischen gegenüber des Deut- schen kein globales Topikelement dar (vgl. Carroll/von Stutterheim 2005:16). Laut Car- roll und Stutterheim (2005:16) wird in englischen Texten Kohärenz somit nicht durch den Protagonisten als Topikelement gestiftet, sondern aus der externen Position des Er- zählers heraus.

Die Realisierung hängt damit von dem jeweiligen Sprachsystem und dessen Optionen der Wahl sowie des Gebrauchs sprachlicher Mittel ab, so wie beispielsweise der Nomi- nalphrasen, Wortstellung und Determination (vgl. Klein/von Stutterheim 2008:226). Zu- sammenfassend schließen Klein und von Stutterheim (2008: 227) daraus, dass die je- weiligen informationsstrukturellen Vorgaben die Stellungsmuster einer Sprache steuern. Wodurch allerdings die Vorgaben der Informationsstruktur eines Textes gemacht werden und wie somit der Textaufbau gesteuert wird, soll im folgenden Kapitel anhand des Quaestio-Ansatzes veranschaulicht werden.

3. Der Quaestio-Ansatz als Textproduktionsmodell

Den Kern jeder Textproduktion bildet nach Klein und von Stutterheim (1992) eine strit- tige Frage, die Quaestio, die einen kohärenten Text als Antwort verlangt. „Die Grund- annahme des Quaestio-Modells ist, daß jedem Text eine implizite oder explizite Frage zugrunde liegt, die Quaestio“ (Ahrenholz 1998:28). Klein und von Stutterheim (1992) gehen mit diesem Ansatz davon aus, dass ein Text beim Sprecher beginnt, der einen be- stimmten Sachverhalt sprachlich äußert. Zu Beginn der Textplanung stellt die gestellte und damit zu bewältigende kommunikative Aufgabe demzufolge eine Vorgabe für den Textaufbau dar (vgl. ebd.:17). So besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Frage und Antwort, wobei die Frage die Antwort steuert und somit die „zentrale Funktion für die Planung der Rede“ darstellt (von Stutterheim 1997a:18).

Während des Prozesses der Textplanung greift der Sprecher auf sein Wissen verschie- dener Komponenten zurück, wie beispielsweise sein Weltwissen sowie spezifisches Wissen zu Sprachgebrauch und Gesprächssituation2.

[...]


1 Meibauer spricht hier unter Verwendung der Begriffle „Vorder- und Hintergrund“ im Gegensatz zu Klein und von Stutterheim (1992) nicht von strukturelle Vorgaben im Sinne von Haupt- und Neben- strukturen.

2 Vergleiche hierzu auch das Modell von Roche (2013:71) zum Prozessablauf der Sprachproduktion

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Informationsstruktur und Bildung von Kohärenz im Türkischen sowie die Besetzung der Vorfeldposition
Université
LMU Munich  (Deutsch als Fremdsprache)
Cours
Pragmatik und Textlinguistik
Note
1.3
Auteur
Année
2019
Pages
17
N° de catalogue
V509953
ISBN (ebook)
9783346077639
ISBN (Livre)
9783346077646
Langue
allemand
Mots clés
Quaestio Ansatz, Türkisch, Kohärenzbildung, Erzählstruktur, narrative Texte, Textlinguistik, Pragmatik, Filmnacherzählung, Vorfeldbesetzung, Vergleich deutsch türkisch
Citation du texte
Johanna Schmitt (Auteur), 2019, Informationsstruktur und Bildung von Kohärenz im Türkischen sowie die Besetzung der Vorfeldposition, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/509953

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