Das Frauenbild im "Wigalois". Nereja als außergewöhnliches Mädchen im Artusroman


Dossier / Travail de Séminaire, 2018

19 Pages, Note: 2,3


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Besonderheit des Wigalois
2.1 Vergleich des Wigalois zu anderen klassischen Werken
2.2 Das Frauenbild im Wigalois

3. Nerejas Auftritt als außergewöhnliches Mädchen
3.1 Nerejas charakterliche Entwicklung im chronologischen Verlauf
3.2 Nerejas Beziehung zu Männern
3.3 Nerejas Beziehung zu Frauen

4. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wigalois ist ein Artusroman, der in etwa auf die Zeit von 1210 bis 1220 datiert werden kann. Somit ist er literaturhistorisch betrachtet zu den Werken des Hochmittelalters zuzuordnen.

Artusromane sind dafür bekannt, dass sie eine genaue Struktur aufweisen, die sogenannte „Doppelwegstruktur“, welche von dem Franzosen Chrétien de Troyes begründet wurde. Das signifikanteste Merkmal des Artusromans ist, dass Artus als absolutes und zweifelfreies Idealbild des Ritters gilt. Kein anderer Ritter ist derart tugendhaft in seinem Verhalten und seiner Erziehung wie Artus. In einigen Fällen wird noch Gawein erwähnt. Ein Ritter, welcher Artus in seinem tugendhaften Verhalten am meisten ähnelt. Andere Ritter der Tafelrunde werden selten namentlich erwähnt.

Wigalois, von dem der gleichnamige Roman handelt, ist der Sohn von Gawein. Wigalois wird entgegen der Erwartungen als stumpfsinniger Jüngling darstellt, der weder nötiges Feingefühl für ritterliche Aufgaben noch die benötigte Ernsthaftigkeit hierfür vorweisen kann.

Die Wissenschaft stellt fest, dass Wirnt von Grafenberg auch die Tradition um das Frauenbild in arthurischen Romanen grundlegend verändert. Die Frau hat im Artusroman bislang keine bedeutende Position und wird häufig nur mit dem Ritter in Verbindung gebracht, wenn es darum geht, ihm als Geliebte eine angenehme Nacht zu bescheren. Wirnt von Grafenberg beendet diese Konvention deutlich, indem er den Frauenpositionen in seinem Roman Macht, Oberhand und ein gewisses Maß an Arroganz zugesteht. Überdies werden der Frau ganz bewusst Sprechakte zugestanden, um ihr Seelenleben, ihre Denkweisen und ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Nereja, der Charakter der in dieser Arbeit repräsentativ für das neue Frauenbild steht, wird im weiteren Verlauf näher betrachtet und analysiert werden. Nereja ist eine ausgesandte Botin, die den Auftrag hat, einen gestandenen Ritter für ein gefährliches Abenteuer zu ersuchen. Sie stellt eine sehr starke und selbstbewusste Frau dar, welche sich von Überzeugungen und Wertvorstellungen anderer kaum beeindrucken lässt. Sie folgt unbeirrt ihrem Weg. Dabei hinterlässt das so respektvoll wirkende Regime des Artushofs und insbesondere die Artusrunde um König Artus bei ihr keine Wirkung. Sie lässt sich in ihrer Handlung nicht beeinflussen und Ratschläge nimmt sie ausnahmslos nicht an. Doch auf welche Art und Weise stellt Wirnt von Grafenberg diesen nie da gewesenen Stilbruch um das Frauenbild dar? Wie steht Nereja zu anderen Frauen? Wie behandelt sie ihre Herrin? Gibt es Unterschiede in ihrem Verhalten gegenüber Frauen und Männern? Welche Sprechakte führt sie aus und wie werden diese umgesetzt? Welchen Anteil hat die Darstellung durch Kleidungsstücke und was ist ihre Funktion im nachklassischen Artusroman? Diese Aspekte werden im weiteren Verlauf analysiert, um die Vollkommenheit des außergewöhnlichen Charakters des jungen Mädchens Nereja im Artusroman zu verstehen.

Um die Besonderheit des Charakters zu verstehen, wird zuerst die gemeingültige Struktur des Artusromans speziell im Hinblick auf die Rolle der Frau wiedergegeben. Im weiteren Verlauf wird Nerejas Auftreten analysiert und dargestellt. Die zentrale Position der Analyse wird die charakterliche Entwicklung Nerejas im chronologischen Verlauf des Romans sein. Gefolgt von der Analyse ihres Verhaltens gegenüber Männern und Frauen sowie ihrer Sprechakte. Der mittelhochdeutsche Text bildet die Grundlage dieser Arbeit, welche hierauf fortwährend Bezug nimmt.

Auf Sekundärliteratur wird weitestgehend verzichtet. In der Eingangsphase der Hausarbeit wird zur Darstellung der arthurischen Struktur auf Sekundärliteratur verwiesen. Die Analyse von Nereja wird an der Primärliteratur vollzogen.

2. Die Besonderheit des Wigalois

2.1 Vergleich des Wigalois zu anderen klassischen Werken

Die Vielzahl an Überlieferungen von Handschriften des Artusromans Wigalois vom Wirnt von Grafenberg lässt darauf schließen, dass das Werk einer der beliebtesten Artusromane des Hochmittelalters gewesen sein muss. Der Wigalois ist ein Artusroman der alte Traditionsmuster aufnimmt und sie zu einem neuen Konstrukt zusammensetzt. Zwar finden sich klassische Motive des typischen Artusromans wieder, welche vom Wirnt von Grafenberg aus Hartmann von Aues Werken Erec und Parzival übernommen wurden. Jedoch wurden sie von Grafenberg modifiziert und auf eine zu Hartmanns Werken konträre Art und Weise in seinen Roman eingebracht, sodass sie als der Beginn einer neuen Ära im Bereich der höfischen Romane verstanden werden können. Hartmann lässt seinen König beispielsweise noch mangels Vertrauen in die eigene prudentia scheitern, während Artus diese Tugend bei von Grafenberg ganz selbstverständlich besitzt.[1]

Ein weiterer großer Stilbruch in der Darstellung des höfischen Ideals ist, dass Artus im Wigalois nicht mehr als Handelnder dargestellt wird. Aufgrund dessen kann er auch nicht mehr als Exempelfigur menschlichen Handelns verstanden werden.[2]

Der Sinn im Wigalois wird nicht mehr über die Position der Episoden in der Gesamtstruktur vermittelt.[3] Vielmehr wird die bekannte Abfolge der Doppelwegstruktur aufgelöst und eine Geborgenheit in einem neuen Muster aus stabilen Bestandteilen der Tradition entworfen. Die Szenendoppelung im Wigalois ist kaum noch als formalistisch anzusehen, wie es die Tradition zuvor vorgesehen hatte. Um eine Wertediskussion durch Korrekturaventiuren handelt es sich in keinem Fall.[4] Werner Schröder nannte dieses Phänomen den „Einbruch der realen Welt in die Welt des Romans“[5]. Zudem knüpfen die Aventiuren nicht mehr aneinander an, sondern ergänzen sich vielmehr.[6]

2.2 Das Frauenbild im Wigalois

Die Abwendung von der klassischen Tradition spiegelt sich auch in von Grafenbergs Darstellung des Frauenbilds wider. Der Wirnt von Grafenberg stellt insbesondere die Rolle der Frauen im Artusroman und am Hof in den Vordergrund. Frauen werden bis zu diesem Zeitpunkt in Artusromanen wenig thematisiert. Häufig wird die Frau als zweckdienliches Instrument dargestellt. Sprechakte von Frauen kamen in den meisten Artusromanen nicht vor. Von Grafenberg modifiziert auch diese Tradition und gewährt den Frauen gesonderte Positionen in den Aventiure-Abfolgen. Die Frau wird hier zumeist in überlegener Position zum Mann dargestellt, vor allem auch gegenüber Artus, was den absoluten Tabubruch darstellt. Eine derartige Konzeption einer brüchigen Artuswelt, einschließlich der Entmündigung des obersten Ideals, hat sich zuvor noch kein Autor gewagt. Von Grafenberg ehrt die Frauen, indem der Erzähler sie ehrt. Dieser Aspekt stellt wiederum eine Parallele zu Hartmann von Aues Werken dar, denn auch dieser ließ die Frauen durch den Erzähler ehrenvoll wirken.[7]

Die Frauen im Wigalois sind nicht nur ehrenvoll, sondern auch schön und gebildet. Sie wissen um ihre Reize und deren Wirkung - insbesondere auf Männer. Die Frauen schaffen es durch ihre Wirkung die Männer zu Taten anzuspornen, die sie entweder ins Glück oder ins Unglück treiben.[8] Anhand dieser Motive wird deutlich, wieviel Macht die Frau im Wigalois besitzt. Beispielsweise enden der erste und dritte Kampf, welche auf der Reise mit der Botin Nereja geschehen, tödlich.[9] Der Erzähler betrachtet seinen Helden zudem sorgenvoll, als Nereja eine lustvolle Auslieferung ihres Körpers an ihre Herrin vollzieht. Durch diese Darstellungen ist die Grenze zwischen reizvoller Leitung durch die Frau und pornographischer Darstellung sehr gering.[10]

3. Nerejas Auftritt als außergewöhnliches Mädchen

3.1 Nerejas charakterliche Entwicklung im chronologischen Verlauf

Nereja hat ihren ersten Auftritt in der fünften Szene des Romans. In dieser Szene wird Wigalois am Artushof aufgenommen, da er sich nach eigener Aussage am Artushof die Ritterwürde verdienen will. Seine Schwertleite bekommt er am selben Tag.

Während die Tafelrunde um König Artus am nächsten Tag ein streng reglementiertes Fest feiert, stürmt die Botin Nereja auf einem Pferd hinein und stört dieses Fest. Begleitet wird sie von einem Zwerg. Ausgesandt wird sie von ihrer Herrin mit dem Auftrag einen gestandenen Ritter für die Ausführung einer gefährlichen Aufgabe an die Seite gestellt zu bekommen.

Bereits Nerejas erster Auftritt im Artusroman stellt einen signifikanten Stilbruch der Tradition dar, wenn sie „geriten hövischlîche“ (V.1721) das Fest ganz bewusst stört. Die mittelhochdeutsche Ausdrucksweise „hövesch“ wird meist nur in Verbindung mit Rittern getätigt, welche eine entsprechende höfische Ausbildung haben und im Stande sind sich tugendhaft zu verhalten. „Hövescheit“ drückt eine wichtige ritterliche Tugend aus. In Verbindung mit Frauen wird es traditionell nie gebraucht. Der erste Eindruck ihrer Erscheinung, wird verstärkt durch ihr äußerliches Erscheinungsbild. Nereja ist gekleidet in einen Kapuzenmantel aus Scharlach. Sie trägt lange Zöpfe mit Goldbändern und der Erzähler ist der Auffassung, dass ihr alle den Lobpreis für ihre außergewöhnliche Schönheit zugestehen würden, wenn sie sie sähen (vgl. V. 1737-1746). Sie trägt hochwertige Stoffe und Materialien. Anfänglich wird sie in Vers 1747 als „juncvrouwe hȇre“ beschrieben. Auch in ihrem ersten Sprechakt, der eine Ansprache an den König darstellt, wird sie vom Erzähler als gebildete Frau dargestellt (vgl. V. 1749). Als sie sich dem König offenbart und der Ritterrunde mitteilt mit welchem Anliegen sie an den Artushof herangetreten ist, hofft sie darauf, Gawein als Gefährten für ihr Abenteuer an die Seite gestellt zu bekommen. Jedoch kommt Wigalois ihrem Plan zuvor, indem er Artus bittet, sie begleiten zu dürfen. Artus geht dieser Bitte nach und gewährt ihm, Nereja zu begleiten.

Nereja ist sichtbar wütend über diesen Ausgang der Situation, hat sie sich doch einen erfahreneren und namenhaften Ritter wie Gawein an ihre Seite gewünscht. Sie reitet voller Zorn davon, ohne ein Wort zu sprechen und ohne auf Wigalois zu warten (vgl. V. 1812-1814). Sie befürchtet, dass sie ihre Mühen umsonst aufwenden wird, da Wigalois mit seiner jugendlichen Unerfahrenheit kein ihr würdiger Begleiter sein kann (vgl. V. 1816f.).

Bereits in diesem ersten Auftritt wird die Wirkung von Nereja durch verschiedene Komponenten deutlich. Zum einen stört sie das streng reglementierte Fest am Artushof. Da sie unhöflicher Weise nicht von ihrem Pferd absteigt, ist sie auch räumlich gesehen den Männern höhergestellt. Sie spricht auf ihrem Pferd sitzend mit dem Ranghöchsten des Artushofes und bittet um einen Ritter, der sie durch gefährliche Abenteuer begleiten soll. Zudem scheint es als hätte sie eine „höveschliche“ Erziehung genossen, welche für Frauen im Mittelalter traditionell nicht zugänglich war. Auch ihr Kleidungsstil und somit ihr äußeres Erscheinungsbild verstärkt diese Wirkung, indem sie hochwertige Stoffe trägt. Als dritte Komponente – neben Auftritt und Aussehen – benutzt von Grafenberg ihre Sprache als Instrument, um ihre charakterlichen Züge herauszustellen. Ihre Wirkung wird durch ihren ersten Sprechakt im Roman nochmals verstärkt, da sie hierbei sehr gebildet wirkt.

Der Autor vermittelt beim ersten Auftritt Nerejas den Eindruck eines wunderschönen, gebildeten Mädchens mit höfischer Erziehung. Ihr erzürntes Davonreiten am Ende der Szene lässt vermuten, dass sich der Eindruck über ihre charakterliche Besonderheit und Erscheinung auch im weiteren Verlauf verdichtet, da dieser Auftritt den Menschen im Gedächtnis bleibt.

[...]


[1] Wirnt von Grafenberg/Seelbach, Sabine (Hg.): Wigalois: Text der Ausg. von J.M.N. Kapteyn [Text-Übersetzung-Kommentar]. Berlin 2005. S. 279.

[2] Vgl. von Grafenberg/Seelbach (Hg.): Wigalois, S. 278.

[3] Walter Haug: „Paradigmatische Poesie. Der spätere deutsche Artusroman auf dem Weg zu einer ‚nachklassischen‘ Ästhetik“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 54 (1980). S. 212.

[4] Frank Ringeler: Zur Konzeption der Protagonistenidentität im deutschen Artusroman um 1200. Aspekte einer Gattungspoetik. Frankfurt am Main (u.a.) 2000. S. 209.

[5] Werner Schröder: „Der synkretistische Roman des Wirnt von Gravenberg. Unerledigte Fragen an den ‚Wigalois‘“. In: Euphorion 80 (1986). S. 245.

[6] Wolfgang Mitgau: „Nachahmung und Selbständigkeit Wirnts von Gravenberc in seinem ,Wigalois‘“. In: ZfdPh 82 (1963), S. 329.

[7] Christoph Faßbender: Der „Wigalois“ Wirnts von Grafenberg [elektronische Ressource]: Eine Einführung. Berlin (u.a.) 2010. S. 175.

[8] ebd.

[9] Markus Wennerhold: Späte mittelhochdeutsche Artusromane. ,Lanzelet‘, ,Wigalois‘, ,Daniel vom Blühenden Tal‘, ,Diu Crône‘. Bilanz der Forschung 1960– 2000. Würzburg 2005. S. 82.

[10] Vgl. Faßbender: Der „Wigalois“ Wirnts von Grafenberg, S. 175.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Das Frauenbild im "Wigalois". Nereja als außergewöhnliches Mädchen im Artusroman
Université
University of Wuppertal
Note
2,3
Auteur
Année
2018
Pages
19
N° de catalogue
V510313
ISBN (ebook)
9783346078407
ISBN (Livre)
9783346078414
Langue
allemand
Mots clés
frauenbild, wigalois, nereja, mädchen, artusroman
Citation du texte
Annie Münzberg (Auteur), 2018, Das Frauenbild im "Wigalois". Nereja als außergewöhnliches Mädchen im Artusroman, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/510313

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