Identitäre Bewegungen. Gestalt- und Formwandel der "Neuen Rechten"?


Tesis (Bachelor), 2017

37 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffserklärung der ‚Neuen Rechten‘

3. Identitäre Bewegung in Deutschland
3.1. Gründungsgeschichte und Entwicklung der Identitären Bewegung in Deutschland
3.2. Forderungen, Kampagnen und Aktivismus der Identitären Bewegung Deutschland
3.2.1. Forderungen der Identitären Bewegung in Deutschland
3.2.2. Kampagnen der Identitären Bewegung in Deutschland
3.2.3. Aktivismus der rechten Jugendbewegung
3.3. Ideologische Grundlagen zur Einordnung der Identitären Bewegung
3.3.1. Populismus und Rechtspopulismus
3.3.2. Rechtsextremismus und Neonazismus
3.3.3. (Neo)-Rassismus, Islamophobie und Ethnopluralismus
3.3.4. ‚Konservative Revolution‘
3.4. Einordung der Identitären Bewegung in Deutschland

4. Die ,Neuen Rechten‘ in Deutschland
4.1. Verwendung des Begriffs der ‚Neuen Rechten‘ seit Mitte der 1960er Jahre
4.2. Die ‚Neuen Rechten‘ als ideologischer Ansatz
4.3. Die ‚Neue Rechten‘ im heutigen Diskurs

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Seit etwa fünf Jahren sind die Identitären als gut gebildete und intellektuelle junge Akti- visten mit populistischen Forderungen in den deutschen Medien präsent. Sichere Gren- zen, die Heimatliebe oder der Erhalt einer ‚ethnokulturellen Identität‘ sind nur drei For- derungen der patriotisch-rechtspopulistisch wirkenden Jugendbewegung. Ihre Präsenz in den Medien erlangen die Mitglieder und Aktivisten der Identitären Bewegung mit geziel- ten jugendaffinen Störaktionen, wie beispielsweise der Aktion des Erklimmens des Bran- denburger Tors. Etwa ein Dutzend Aktivisten kletterte im August 2016 auf das Wahrzei- chen der Deutschen Einheit, hissten ein mehrere Meter langes Banner mit der Aufschrift „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“ und schwenkten Fahnen mit dem Lambda-Symbol der Jugendbewegung (vgl. Bender, 2016). Nach mehreren Landesämtern hat auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die Identitäre Bewegung seit August 2016 unter Be- obachtung gestellt. In einer Stellungnahme von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hieß es, dass die Bewegung „Anhaltspunkte für Bestrebungen“ aufweise, die „gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ in der Bundesrepublik gerichtet sein (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, 2016). Doch wer sind die meist jungen Ak- tivisten? Kategorisierungsversuche selbiger zeichnen oft kein einheitliches Bild. Sind es Rechtsextremisten nur in neuen Gewändern, oder ist die Identitäre Bewegung eine neue Form der ‚Neuen Rechten‘ in Deutschland? Offiziell distanzieren sich die Identitären vom Rechtsextremismus und von bekannten rechten Parteien im deutschsprachigen Raum, wie der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD) und auch vom her- kömmlichen Nationalsozialismus. Des Weiteren sehen sich die Identitären nicht als Ras- sisten oder Antisemiten, zudem betont die Bewegung aber auch, dass man alles andere als marxistisch oder links orientiert sei (vgl. Alster, 2013). „Nicht links, nicht rechts – identitär“, so stellte sich die Bewegung noch 2013 auf ihrer Internetseite vor. Mittlerweile prägen die Worte „Heimat-Freiheit-Tradition“ die Internetauftritte der Identitären ( vgl. Facebook: Identitäre Bewegung Deutschland, 2013)

Da die meisten Mitglieder und Aktivisten der Bewegung in einem Zeitalter der Digitali- sierung aufgewachsen sind, spielen die Auftritte der Bewegung in sozialen Medien eine wichtige Rolle. Die starke Internetaffinität wird sich vor allem bei der Berichterstattung über den Aktivismus der Jugendbewegung widerspiegeln, denn die Identitären schaffen es, ohne eine hohe Beteiligung an Aktionen eine starke Aufmerksamkeit in der Öffent- lichkeit zu schaffen. Eines der größten Ziele der Identitären Bewegung in Deutschland ist eine Diskursverschiebung in der öffentlichen Meinungsbildung der Bevölkerung. Dabei wollen die Identitären besonders die „Forcierung eines positiv besetzen Nationalismus- Begriffs (im Sinne einer ‚völkisch-kulturalistischen‘ Identität“ etablieren (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, 2016, S. 13). Weiterführend widersprechen sie den Vertretern der ‚Po- litical Correctness‘1, welche sie als „Tugendwächter“ deklarieren, die keine Meinungs- und Entscheidungsfreiheit in der Bevölkerung zuließen (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, 2016, S. 14).

In dieser Arbeit werde ich lediglich auf den deutschen Ableger der europaweit-verbreite- ten Identitären Bewegungen eingehen. Somit ist eine ausgiebige Betrachtung des ‚Bloc identitaire‘2, welcher sich 2003 in Frankreich gründete oder der ‚CasaPound Italia‘3, wel- cher sich im gleichen Jahr in Italien bildete, nicht möglich. Es wird in dieser Arbeit mit der Annahme gearbeitet, dass die Strukturen und Arbeitsweisen dieser beiden rechtsext- remen Gruppierungen als Vorbilder für weitere identitäre Gruppen in Europa, besonders aber für die Gründung der Identitären in Deutschland dienten. Neben einer Analyse der Form und der Gestaltung der Identitären Bewegung soll in dieser Arbeit auch die Entste- hungsgeschichte der Jugendbewegung in Deutschland beleuchtet werden. Anschließend werden theoretische Grundlagen, welche bei der Einordnung der Identitären als rechtspo- litische Bewegung dienen, erläutert. Da sich die Fragestellung dahingehend richtet, ob die Identitären in Deutschland eine neue Form und Gestaltung der ‚Neuen Rechten‘ ist, wird sich der zweite Teil der Arbeit mit der Entwicklung des Begriffs der ‚Neuen Rech- ten‘, sowie mit dem ideologischen Ansatz hinter dieser Begrifflichkeit beschäftigen. Die Notwendigkeit nach der Frage eines Form- oder Gestaltungswandels der ‚Neuen Rechten‘ durch Bewegungen wie die der Identitären, unterstreichen einige Publikationen. So schrieben Bruns et. al.:

„Neurechte Metapolitik verließ mit der Identitären Bewegung erstmals auf breiter Ebene die Zeitschriften, Bibliotheken und Institute und begab sich unter anderem in Form von Störak- tionen in den Räumen der Gegner_innen“ (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, 2015, S. 20)

Dennoch wird der Identitären Bewegung auch eine Bezugnahme auf die ‚Konservative Revolution‘ nachgesagt, welche wiederum als ideologischer Hauptbezugspunkt der ‚Neuen Rechten‘ in Deutschland gilt. „Zum Verständnis der ‚Neuen Rechten‘ ist ein Re- kurs auf die ‚konservative Revolution‘ der Zwischenkriegszeit und ihren Hauptgedanken vonnöten“ (vgl. Jaschke, 2001, S. 42). Dieser Rekurs wird in dieser Arbeit lediglich in Form einer Ausarbeitung des theoretischen Konzeptes der ‚Konservativen Revolution‘ erfolgen. Es scheint also ideologisch keine großen Neuerungen bei den Identitären in Deutschland zu geben, dennoch zeichnet sich ein neuer Weg einer rechtspopulistischen Meinungsäußerung ab.

In dieser Arbeit werden explizit keine Bezüge zu einzelnen Personen als ideologische Taktgeber der ‚Neuen Rechten‘ bearbeitet. Die Begriffe der ‚Neuen Rechten‘ sowie der ‚Konservativen Revolution‘ werden als Überbegriffe für Individuen oder Gruppen ge- nutzt, welche unter den Kern der herausgearbeiteten Ideologien und Konzepte gefasst werden können. Da die Begrifflichkeit der ‚Neuen Rechten‘ in dieser Publikation einen hohen Deutungswert einnimmt, wird dieser zunächst in einer Begriffserklärung erläutert.

2. Begriffserklärung der ‚Neuen Rechten‘

Was genau die ‚Neuen Rechten‘ in Deutschland sind, darüber scheiden sich in der Wis- senschaft die Geister. Dennoch ist es angesichts des Blickes auf den Begriff der ‚Neuen Rechten‘ in der Bundesrepublik von enormer Aktualität diesen für diese Arbeit zu defi- nieren, da der Rechtsextremismus sich in der „jüngeren Vergangenheit nachhaltig gewan- delt“ hat und dabei vor allem von den ‚Neuen Rechten‘ geprägt worden ist.

Der Begriff ‚Neue Rechte‘ ist zweideutig: Einerseits wird darunter die ‚Modernisierung‘ des Rechtsextremismus verstanden, andererseits wird er verwendet als Bezeichnung für rechts- intellektuelle Denkzirkel die seit Ende der 60er Jahre Antworten von rechts auf die gesell- schaftlichen Veränderungen zu geben versucht“ (vgl. Kowalsky & Schroeder, 1994, S. 9)

Die Politikwissenschaftlerin Iris Weber bezieht sich in ihrer Definition der ‚Neuen Rech- ten‘ auf Aspekte und Strömungen der ‚Konservativen Revolution‘. Dabei unterteilt sie die ‚Neuen Rechten‘ in drei Kategorien: der nationalrevolutionären Strömung, der fran- zösischen ‚Nouvelle Droite‘4 und der jungkonservativen Strömung. Andere Wissen- schaftler bezeichnen die ‚Neuen Rechten‘ als eine Gegenentwicklung zu der sogenannten 68er-Bewegung5, welche sich in den 1960er Jahren von Frankreich aus entwickelt hat.

Christoph Butterwegge hingegen sieht kaum einen Grund, eine ‚Neue Rechte‘ zu definie- ren. Dennoch müsse man diese aufgrund ihrer Wirtschaftsideologien von klassisch rech- ten Denkweisen differenzieren. Butterwegge beschreibt die ‚Neuen Rechten‘ als eine „ra- dikal neoliberale“ und „standortnationalistisch“ orientierte Gruppierung. Bruns et al. be- schreiben in ihrem Buch eher eine „autoritäre Gegenutopie zur modernen, bürgerlich- liberalen und emanzipierten Gesellschaft“ (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, 2016, S. 28). In der Sozi- alwissenschaft dient der Begriff der ‚Neuen Rechten‘ zur „Kennzeichnung der neueren, erfolgreichen Rechtsaußen-Parteien (Republikaner, DVU), oder aber der jüngeren intel- lektuellen Rechten“ (vgl. Jaschke, 2001, S. 40). Weiterführend definiert Soziologe Hans- Gerd Jaschke die ‚Neuen Rechten‘ so:

„Gerade die neuere sozialwissenschaftliche Debatte über die »Neue Rechte« in Frankreich und in der Bundesrepublik sowie ländervergleichend (…) hat verdeutlicht, dass es gute Gründe gibt, den Begriff »Neue Rechte« einzugrenzen auf jene kleinen intellektuellen Zirkel der Nachkriegsgenerationen, die bemüht sind, die Ideen der Weimarer »Konservativen Re- volution« aufzugreifen und daraus ein metapolitisches analytisches und programmatisches Konzept für die Gegenwart zu erstellen“ (vgl. Jaschke, 2001, S. 42)

Markus Perner et al. ordnen vor allem die Burschenschaften den ‚Neuen Rechten‘ zu. Da diese eine wichtige Rolle bei der „Intellektualisierung des Rechtsextremismus“ spielen. Rainer Benthin hat Mitte der 2000er Jahre versucht, einen etwas engeren Definitionsver- such der ‚Neuen Rechten‘ zu formulieren:

„Wenn […] in der wissenschaftlichen und politischen Öffentlichkeit von der Neuen Rechten gesprochen wird, ist zumeist eine überschaubare Gruppe rechtsintellektueller Publizisten, Wissenschaftler, Literaten und Journalisten gemeint, die mit ihren Medien […] sowie orga- nisierten Diskussionsforen und Instituten […] mittlerweile eine eigene Teilöffentlichkeit strukturieren.“ (vgl. Benthin, 2007, S. 45)

Es lässt sich also feststellen, dass der Begriff ‚Neuen Rechten‘ einer der Fachausdrücke im Bezug zur Rechtsextremismusforschung ist, welcher unterschiedlich und kontrovers genutzt wird. Samuel Salzborn stellt in seinem Buch »Angriff der Antidemokraten« her- aus, dass die Definitionsversuche und Verwendungszwecke des Begriffes der ‚Neuen Rechten‘ eine Gemeinsamkeit haben. Es soll eine Abgrenzung zu ‚Alten Rechten‘ erfol- gen, egal ob: „zeitlich, phänomenologisch oder systematisch“ (vgl. Salzborn, 2017). Po- litikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber beschreibt die ‚Neuen Rechten‘ als eine „rechtsextremistische Ideologievariante der ‚Konservativen Revolution‘“. Wie schon Sa- muel Salzborn, beschreibt auch Rainer Benthin drei Formen und Analyseebenen der ‚Neuen Rechten‘. Als „historische“ Dimension beschreibt er die Abgrenzung zu ‚Alten Rechten‘, als „ideengeschichtliche“ den Bezug zur ‚Konservativen Revolution‘ und als „organisatorische“ eine Art Zusammenschluss von rechtsorientierten Handlungen und Vorstellungen. Benthin attestiert den ‚Neuen Rechten‘, keinen ideologischen Bezug zum Nationalsozialismus zu hegen, sondern ebenfalls die Denkweisen der ‚Konservativen Re- volution‘ als Ideologie zu nutzen. Clemens Heni definierte in seiner Dissertation über die ‚Salonfähigkeit der Neuen Rechten‘ die ‚Neuen Rechten‘ als eine

„politische Strömung von Gegenintellektuellen […], die seit Mitte der 1960er Jahre versu- chen, die politische Kultur in der BRD dahingehend zu verändern, Deutschland nach Auschwitz mit sich selbst zu versöhnen und das als ›revolutionär‹ vorgestellte Konzept des

Enationalen Sozialismus‹ zu rehabilitieren, um völkisch gegen Staat und Universalismus po- litisch aktiv zu werden.“ (Heni, 2007, S. 23) Entgegengesetzt zu einer ideologischen Abspaltung der ‚Neuen Rechten‘ von den ‚Alten Rechten‘ fasst Richard Stöss die ‚Neuen Rechten‘ anders auf:

„Alte Rechte und Neue Rechte unterscheiden sich nämlich kaum bezüglich ihrer ideologi- schen Traditionen oder der Orientierung an antidemokratischen Autoren der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts und auch nicht hinsichtlich der Taktik und der Methoden ihrer Propa- ganda, sondern vor allem in der Herleitung und Rechtfertigung ihrer politischen Konzepte, die nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Alten und der Neuen Rechten variieren und konkurrieren“ (vgl. Stöss, 1994, S. 39)

Dennoch versuchen die meisten Wissenschaftler zwischen den ‚Neuen Rechten‘ und den ‚Alten Rechten‘ zu differenzieren. So beschreibt auch Margret Feit die ‚Neuen Rechten‘ als eine Erneuerungsbewegung des alten Rechtsextremismus, abermals mit dem Verweis auf die ‚Konservative Revolution‘. Bruns et al. stellen fest, dass sich die ‚Neuen Rechten‘ „großzügig von Hitler distanzieren, aber nicht von rechtsextremen und faschistischen Ide- ologien“ (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, 2016, S. 29). Somit lässt sich der Begriff der ‚Neuen Rechten‘ nicht vollumfänglich von den Ideologien und Ansichten der ‚Alten Rechten‘ trennen, sondern stellt lediglich eine Erneuerung statt einer Abgrenzung dar.

„In Deutschland sind es heterogene Zeitungsartikel und Verlage wie die Junge Freiheit, cri- ticón, Staatsbriefe, Nation Europa und der Thule-Kreis, die sich diesen Ideen anschließen“ (vgl. Jaschke, 2001, S. 47)

In dieser Arbeit werden jegliche Gruppen und Organisationen als Teil der ‚Neuen Rech- ten‘ verstanden, die eine rechtspolitische Gegenbewegung zu der 1968er-Bewegung bil- den sowie den Ideen der ‚Konservativen Revolution‘ zustimmen und sich zumindest in der Öffentlichkeit von nationalsozialistischen Ideologien distanzieren. Außerdem schließt der Begriff der ‚Neuen Rechten‘ in dieser Arbeit sowohl das radikalisierte und wertkonservative Bürgertum, als auch die modernen Rechtsextremisten ein. In den fol- genden Kapiteln dieser Arbeit wird der Begriff der ‚Neuen Rechten’ mit Großschreibung und in Anführungszeichen verwendet, um dem Konstruktionscharakter und der Tatsache, dass dieser Begriff eine Eigenbeschreibung der unter ihr gefassten Gruppen ist, gerecht zu werden.

3. Identitäre Bewegung in Deutschland

Im folgenden Abschnitt soll die Gründungsgeschichte der ‚Identitären Bewegung‘ (IB) in Deutschland aufgearbeitet werden. Hierzu wird ein Blick in das europäische Ausland, insbesondere auf Frankreich von Nöten sein. Des Weiteren soll eine Analyse der Forde- rungen, Kampagnen und des Aktivismus der Identitären Bewegung erfolgen und explizit ausgewählte theoretische Grundlagen zur Einordnung der Identitären Bewegung definiert werden.

3.1. Gründungsgeschichte und Entwicklung der Identitären Bewegung in Deutschland

Die ersten identitären Gruppierungen in Deutschland gründeten sich im Herbst 2012 an- lässlich eines YouTube-Videos, in dem die sogenannte ‚Déclaration de guerre‘ (dt.: Kriegserklärung), der ‚Génération Identitaire‘6 ausgerufen worden ist (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, 2016, S. 84). In dem Video, welches in 25 weitere Sprachen übersetzt wurde, sind französisch sprechende Personen zu sehen, die zu Technomusik die Botschaft einer ‚ethnokulturellen Identität‘ verkünden und sich gegen kulturelle Vielfalt, gesellschaftli- che Gleichheit und gegen Multikulturalismus im Allgemeinen aussprechen. Ein weiterer Impuls für die Gründung identitärer Gruppen in Deutschland war das Erklimmen des Dachs einer Moschee in der französischen Kleinstadt Poitiers durch Aktivisten der ‚Génération Identitaire‘.

Die Besatzung der Moschee hatte den Identitären eine Vielzahl an Berichterstattungen und europaweites öffentliches Interesse eingebracht. Es war keine zufällig ausgesuchte Aktion in Poitiers. Im Jahr 732 besiegte Charles Martel in der Kleinstadt das Heer der Araber und verhinderte somit eine Übernahme des damaligen Frankenreich durch An- greifer. Die Identitäre Bewegung in Deutschland hat ihren Ursprung in Frankreich. Sie stellen nach Volker Weiß als ein weiteres Exempel von „deutsch-französischer Syner- gien“ analysiert werden. Weiß geht einen Schritt weiter und behauptet, dass „die Ge- schichte der Neuen Rechten traditionell“ von diesen Synergien geprägt sei (vgl. Weiß, 2017, S. 98).

Das erklärte Hauptziel des französischen ‚Bloc Identitaire‘ ist es, ein Europa der ‚Wei- ßen‘ zu schaffen und die europäische Identität gegen fremde Kulturen, aber hauptsächlich gegen den Islam zu schützen (vgl. Schmid, 2012). Inspiriert von diesen Bewegungen aus Frankreich gründete sich am 10. Oktober 2012 die „Identitäre Bewegung Deutschland“ als Facebook-Gruppe. Diese Gruppe versteht sich als virtueller Ableger der Jugendorga- nisation der ‚Génération Identitaire‘. Mittlerweile sind die Mitglieder oder Aktivisten der Identitären Bewegung seit fünf Jahren in den deutschen Medien präsent. Die erste Aktion von Mitgliedern, welche zu der Identitären Bewegung in Deutschland gezählt werden kann, war die Störung der interkulturellen Woche am 30. Oktober 2012 in der Frankfurter Stadtbibliothek. Dort legten Aktivisten „einen kurzen Auftritt mit Guy-Fawkes- und Scream-Masken, unterlegt mit Hardbass-Musik“ hin (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, 2016, S. 83). Die Aktion wurde von den Identitären unter dem Motto »Multikulti Wegbassen« veran- staltet. Wenige Wochen später beklebten in Dortmund mit Schweinsmasken maskierte Aktivisten der Bewegung Wände und Laternenpfähle mit Plakaten (vgl. Carmesin, 2012). Schon im August des Jahres 2012 sind die ‚Nationalen Sozialisten Rostock‘ mit einer ähnlichen Aktion aufgefallen. In einem YouTube-Video ist ersichtlich, dass Mitglieder der Gruppierung, abermals zu Hardbass-Klängen, mit Sprüchen wie „NS Jetzt“ oder „NS fetzt“ in einer Fußgängerzone auf sich aufmerksam machen. Ebenfalls wurden kleine Flyer verteilt. Als Titel ihres Videos haben sich die Nationalen Sozialisten aus Rostock »Hardbass gegen Demokraten« ausgesucht (vgl. Nationale Sozialisten Rostock, 2012). Zum Ende des Jahres hat das erste Treffen der Identitären Bewegung in Deutschland stattgefunden. Abermals war Frankfurt am Main Versammlungsort der Identitären. Etwa 50 Gleichgesinnte trafen sich am 1. Dezember 2012, um aus den anfänglich virtuellen Erscheinungen der Bewegung eine aktive und durch reale Strukturen gekennzeichnete Bewegung zu formen (vgl. Schlüter, 2013, S. 14). Für das Jahr 2013 konstatiert Journa- listin Margarete Schlüter, dass sich „die IDB noch immer in einer Organisations- und Zentralisierungsphase“ befänden (vgl. Schlüter, 2013, S. 14). Dass sich dies in den fol- genden Jahren geändert habe, stellen Bruns et al. in ihrem Handbuch zu den Jugendbe- wegungen der ‚Neuen Rechten‘ in Europa fest. Nicht nur die fast wöchentlich stattfin- denden Demonstrationen von »Pegida«7 haben der Identitären Bewegung in Deutschland ein „regelmäßiges Betätigungsfeld“ ermöglicht, sondern auch die Unterstützung „von Seiten österreichischer Identitärer“ haben zu einer Mobilisierung der Bewegung in den Jahren 2014 und 2015 geführt (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, 2016, S. 84). Seit April 2014 ist Nils Altmieks (Aktiver in der Regionalgruppe Franken) Bundesvorstand der Identitären Be- wegung Deutschland. Der neue Bundesvorstand brach mit dem „losen Aktivismus“, den die Identitären seit dem Bestehen der Bewegung in Deutschland verfolgte und schuf eine „neue Struktur“ innerhalb der Bewegung und zentralisierte die Handlungen der Bewe- gung (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, 2016, S. 85). Am 26. April 2014 trafen sich Mitglieder der Identitären Bewegung mit der »German Defense League«8 und der »Bürgerbewegung Pax Europa«9. Während des Vernetzungstreffen wurden Themen wie die „Internetsicher- heit, die weltanschaulichen Grundsätze, die Geschichte der IBD und […] die Ideengeber aus Frankreich“ angesprochen und diskutiert. (vgl. Hentges, Kökgrian, & Nottbohm, 2014, S. 5). Im Mai 2014 erfolgte die Gründung des Vereins „Identitäre Bewegung Deutschland e.V.“ beim Amtsgericht Paderborn. Als erster Vorsitzender des Vereines wird im Gründungsprotokoll der derzeitige Bundesvorstand der Identitären Bewegung genannt, Nils Altmieks. Sein Stellvertreter ist Daniel Fiß, ein Student mit Abschluss in Governance, einer Kombination aus Jura und Politikmanagement. Der Student leitet die regionalen Ableger der Identitären Bewegung in Mecklenburg-Vorpommern. Rund 50 Mitstreiter zählen zu der Regionalgruppe. „Fiß organisiert Stammtische, hält Vorträge über die „Bewegung“ und ist bei fast allen „Aktionen“ an vorderster Front dabei.“ (vgl. Köpke & Sternberg, 2016). Seit der Umstrukturierung der Identitären in Deutschland ist es der Bewegung gelungen, in jedem Bundesland eine Regionalgruppe zu etablieren. Noch bis Ende 2016 jedoch teilte die Identitäre Bewegung die Regionalgruppen nicht nach den Bundesländergrenzen ein. So gab es 15 überregionale Gruppen, die Regionen wie »Schwaben«, »Westfalen«, »Ostfalen« oder »Franken« repräsentierten (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, 2016, S. 86). Dennoch sei längst nicht jede Regionalgruppe tatsächlich aktiv oder würde existieren, „weder bei Facebook noch in der realen Welt, wie das Beispiel der Identitären Bewegung Ostfalen zeigt.“ (vgl. Brandenburger, 2016, S. 13). Optisch unter- scheiden sich die Ländergruppen durch die Nutzung von Stadtwappen oder regional be- kannten Bauwerken. So nutzt die Identitäre Bewegung in Berlin-Brandenburg das Bran- denburger Tor als Titelbild auf ihrer Facebookseite, bei der Identitären Bewegung Nord- rhein-Westfalen ist ein Landschaftsbild des Ruhrgebietes zu sehen. Schlote ragen aus Kraftwerken hinaus, während der Himmel wolkenverhangen ist. Als Schriftzug ist jeweils der Slogan der Identitären Bewegung Deutschland zu sehen „Heimat-Freiheit-Tradition“ (vgl. Facebook: Identitäre Bewegung NRW, 2017) oder (vgl. Facebook: Identitäre Bewegung Berlin-Brandenb, 2017). Als Profilbild wird das mittlerweile etablierte Lambda-Symbol, in einer schwarz-gelben Farbgebung präsentiert. Es dient zur Identifi- zierung der Identitären Bewegung. Das Lambda ist der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets. Wahlweise wird es gelb auf schwarzem Grund oder schwarz auf gelbem Grund in einem Kreis dargestellt. Die Auswahl des Symbols wird in dem Video »Décla- ration de guerre« der ‚Génération Identitaire‘ als selbstheroisierend erläutert:

„Das Lambda, das die Schilder der glorreichen Spartaner schmückte, ist unser Symbol. Ihr wisst nicht was es bedeutet? Es bedeutet, dass wir nicht zurückweichen und nicht aufgeben! Wir sind euer Geplänkel leid und gehen keinem Kampf und keiner Herausforderung aus dem Weg!“ (Génération Identitaire, 2013)

Für die Jugendbewegung ist dieses Symbol von einer großen Bedeutung. So heißt es vom Verfassungsschutz aus Niedersachsen, dass die Jugendbewegung „sich in der Tradition der Spartaner“ sehen und „dies mit der Verwendung des Lambda öffentlich zur Schau“ tragen (vgl. Brandenburger, 2016, S. 16). Denn in ihrem „elitären Selbstverständnis und ihrer medialen Selbstdarstellung als eine moderne, popkulturell geprägte Jugendbewe- gung", wird in Anlehnung an den Kinofilm »300« der aussichtlose Kampf einer Minder- heit gegen die herrschende Masse propagiert (vgl. Brandenburger, 2016, S. 16). Insge- samt sind 17 Regionalgruppen auf Facebook aktiv, die meisten Gruppen orientieren sich nach der Umstrukturierung an den Grenzen der einzelnen Bundesländer. Lediglich die Gruppen »Franken«, »Baden«, »Schwaben« und »Pfalz« treten weiterhin als überländli- che Regionalgruppen in Erscheinung. Neben den Regionalgruppen gibt es auch einige städtische Gruppen, die nochmals als sogenannte Ortsgruppen gesondert auf Facebook aktiv sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: "Gefällt-Mir"-Angaben der Nutzer von Facebook für die Regionalseiten der Identitären Bewegung Deutsch- land. (Stand: 02. August 2017)

Diese sind längst nicht bundesländerspezifisch, sondern finden sich im gesamten Bun- desgebiet wieder ( vgl. Facebook: Identitäre Bewegung Deutschland, 2013). Bereits im Dezember 2013 betrug die Anzahl der Ortsgruppen etwa 45. Die Hauptseite der Identitä- ren Bewegung Deutschland haben mehr als 60.000 Personen abonniert (Stand: 02. Au- gust, 2017). Auch beim Auftritt der Identitären Bewegung auf der Internetseite des Kurz- nachrichtendienstes Twitter folgen mehr als 11.000 Personen den sogenannten „Tweets“ der Jugendbewegung (Stand: 02. August, 2017). Die Identitäre Bewegung Deutschland betreibt zudem seit dem 20.01.2015 einen aktiven YouTube-Kanal, den mehr als 9.100 Bürger abonniert haben. Die 22 Videos wurden insgesamt etwa eine Million Mal aufge- rufen (Stand. 02. August, 2017).

[...]


1 Der Begriff ‚ Political Correctness‘ ist ursprünglich in den USA entstanden und wurde zum ersten Mal vor über 200 Jahren verwendet. Im Laufe der Zeit wurde der Begriff von Bürgerrechtsbewegungen ebenso wie von deren Kritikern verwendet. Mittlerweile bezieht sich der Begriff in erster Linie auf die Verwendung einer nichtdiskriminierenden Sprache.

2 Der ‚Bloc identitaire‘ ist die Nachfolgeorganisation des »Unité Radicale«. Die »Unité Radicale« ist 2002 verboten worden, nachdem ein Mitglied der Gruppe einen Anschlag auf den damaligen französischen Prä- sidenten Jacques Chirac verübt hatte und die Organisation dem »virulenten Antisemitismus« zugeordnet worden ist (vgl. Bruns, Glösel, & Strobl, 2016, S. 75 ff.)

3 Casa Pound Italia‘ (CPI) ist eine neofaschistische Bewegung und Partei aus Italien, die sich als nationalis- tisch und sozial versteht. Sie hat seit 2003 ihr Hauptquartier in einem besetzten Gebäude in Rom. Im Namen beziehen sich die Gründer auf den Schriftsteller Ezra Pound, einen Anhänger Mussolinis. Die Bewegung hat nach eigenen Angaben derzeit ca. 4.000 Mitglieder, die sich „Faschisten des dritten Millenniums“ nen- nen. Die Bewegung pflegt enge Kontakte in die rechtsextremistische Szene in Europa und hat für viele Aktivisten Vorbildcharakter.

4 Die ‚Nouvelle Droite‘ ist das französische Pendant und Vorbild der ‚Neuen Rechten‘ in Deutschland. Die ‚Novelle Droite‘ ist eine Schule des politischen Denkens, die in Frankreich in den späten 1960er Jahren auftauchte. Verschiedene Politikwissenschaftler haben die ‚Nouvelle Droite‘ als eine rechtsextreme politi- sche Bewegung mit Verbindungen zu älteren Formen des Faschismus charakterisiert.

5 Unter der 68er-Bewegung werden internationale und politisch linksgerichtete Bürgerrechtsbewegungen zusammengefasst, die Mitte der 1960er Jahre aktiv geworden sind.

6 Die ‚Génération Identitaire‘ ist die Jugendorganisation des seit Frühjahr 2003 bestehenden ‚Bloc identi- taire‘ und gilt als Vorbild für alle weiteren Jugendbewegungen der Identitären in Europa.

7 Das Demonstrationsbündnis »Pegida« hat sich im Oktober 2014 in Dresden etabliert. Initiator ist Lutz Bachmann, eine in rechten Kreisen bekannte Person. Von anfangs 500 Teilnehmern ist die Demonstration zeitweise bis auf 15 000 Teilnehmer angestiegen. Ausgeschrieben steht »Pegida« für »Patriotische Euro- päer demonstrieren gegen die Islamisierung des Abendlandes«.

8 Die »German Defense League« ist eine islamfeindlich-orientierte Gruppierung, welche sich nach dem britischen Vorbild der »English Defense League« orientiert.

9 Mit dem „Bundesverband der Bürgerbewegungen e.V.“ (BDB, gegr. 2003) und „Pax Europa e.V.“ (gegr. 2006) haben sich am 17. Mai 2008 zwei Organisationen als »Bürgerbewegung Pax Europa« gegründet. Es ist eine rechtspopulistische Organisation, die sich im Widerstand gegen die Islamisierung Deutschlands und Europas zusammengetan hat.

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Detalles

Título
Identitäre Bewegungen. Gestalt- und Formwandel der "Neuen Rechten"?
Universidad
University of Hannover
Calificación
2,0
Autor
Año
2017
Páginas
37
No. de catálogo
V516785
ISBN (Ebook)
9783346112354
ISBN (Libro)
9783346112361
Idioma
Alemán
Palabras clave
Identitäre Bewegung, Neue Rechte, Rechtspopulisten
Citar trabajo
Louis Ruthe (Autor), 2017, Identitäre Bewegungen. Gestalt- und Formwandel der "Neuen Rechten"?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/516785

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