Strafrechtliche Wirkungen einer sog. Patientenverfügung


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2002

34 Pages, Note: 12 Punkte (vollbefriedigend)


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

I. Einführung
1. Definition der Patientenverfügung
2. Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit

II. Rechtliche Einordnung
1. Konstellation: Heileingriff des Arztes
a) Problem: Heileingriff und Körperverletzung
aa) Wortlautargument bei § 223 StGB gegen die Rechtsprechung
bb) „Rechtswidrigkeits“-argument gegen die Rechtsprechung
cc) Gesetzgebungsargument für die Rechtsprechung
dd) Argument der Selbstbestimmung für die Rechtsprechung
ee) Zwischenergebnis
b) Problem: Patientenverfügung als Hemmung einer Rechtfertigung
2. Konstellation: Unterlassen des Arztes
3. Zwischenergebnis

III. Problem der Verbindlichkeit
1. Einwand der Widerruflichkeit
2. Einwand der (medizinischen) Aufklärung
3. Einwand der möglichen Drittbeeinflussung
4. Einwand der praktischen Anwendung
5. Einwand der Suizidentenvergleichbarkeit
6. Einwand des Strafbarkeitsrisikos für den Arzt
7. Einwand im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung
8. Zwischenergebnis
9. Argument der verfassungskonformen Auslegung
10. Zwischenergebnis

IV. Voraussetzungen einer Patientenverfügung
1. Vorüberlegung
2. Erklärung
a) Zugang der Erklärung ?
b) Auslegung
c) Patientenverfügung „über Dritte“ ?
aa) Grundsatz
bb) Ausnahmen
cc) Zwischenergebnis
d) zeitliche Begrenzung ?
3. Verfügungsbefugnis
4. (abstrakte) Einsichtsfähigkeit
5. (konkrete) Entscheidungsmöglichkeit
6. übrige Voraussetzungen
7. „Wirkung“ einer unwirksamen Patientenverfügung

V. Ergebnis

Literaturverzeichnis:

Bottke/Fritsche/Huber/Schreiber Lebensverlängerung aus medizinischer, ethischer und rechtlicher Sicht

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(zit.: Bottke)

Bünte Grenzen der chirurgischen Indikation

in: MedR 1985, S. 20ff.

(zit.: Bünte, Grenzen der chirurgischen Indikation)

Detering Forum: §216 StGB und die aktuelle Diskussion um die Sterbehilfe

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(zit.: Detering, Sterbehilfe)

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3. Auflage

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(zit.: Deutsch, Medizinrecht)

Dreher/Tröndle/Fischer Strafgesetzbuch und Nebengesetze

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(zit.:D/T)

Ehlers Die ärztliche Aufklärung vor medizinischen Eingriffen

Köln/Berlin/Bonn/München 1987

(zit.: Ehlers)

Eser Sterbewille und ärztliche Verantwortung

in: MedR 1985, S. 6ff.

(zit.: Eser, Sterbewille)

Eisenbart Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten

1998 Baden-Baden

(zit.: Eisenbart)

Eser/von Lutterotti/Sporken Lexikon Medizin Ethik Recht

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(zit.: Bearbeiter in: Lexikon Medizin, Ethik und Recht)

Francke Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte

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(zit.: Francke)

Francke/Hart Charta der Patientenrechte

1. Auflage

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(zit.: Francke/Hart)

Füllmich Der Tod im Krankenhaus und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten

Frankfurt/M./Bern/New York/Paris 1990

(zit.: Füllmich)

Jeschek/Ruß/Willms Strafgesetzbuch – Leipziger Kommentar

10. Auflage

Berlin/New York 1985

(zit.: LK, Bearbeiter)

Jürgens/Kröger/Marschner... Das neue Betreuungsrecht

3. Auflage

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(zit.: Jürgens, Betreuungsrecht)

Köbler Etymologisches Rechtswörterbuch

Tübingen 1995

(zit.: Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch)

Krey Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1 – Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte

11. Auflage

1998 Stuttgart/Berlin/Köln

(zit.: Krey)

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(zit.: Krieter)

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Mitsch Strafrechtlicher Schutz gegen medizinische Behandlung

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(zit.: Mitsch)

Opderbecke Grenzen der Intensivmedizin

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(zit.: Palandt, Bearbeiter)

Pieroth/Schlink Grundrechte Staatsrecht II

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(zit.: Pieroth/Schlink)

Rebmann/Säcker/Rixecker Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Band 8/Familienrecht II

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(zit.:MüKo, Bearbeiter)

Rickmann Zur Wirksamkeit von Patiententestamenten im Bereich des Srafrechts

Frankfurt/M./Bern/New York 1987

(zit.:Rickmann)

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil

Band I – Grundlagen/Aufbau der Verbrechenslehre

2. Auflage

München 1994

(zit.:Roxin)

Schneider Logik für Juristen

5. Auflage

München 1999

(zit.: Schneider, Logik für Juristen)

Schöllhammer Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments

Berlin 1993

(zit.: Schöllhammer)

Schönke/Schröder Strafgesetzbuch Kommentar

26. Auflage

München 2001

(zit.: S/S, Bearbeiter)

Sowada Strafbares Unterlassen des behandelnden Arztes, der seinen Patienten nach einem Selbstmordversuch bewusstlos auffindet?

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(zit.: Sowada, Strafbares Unterlassen des behandelnden Arztes)

Schreiber Das Recht auf den eigenen Tod – zur gesetzlichen Neuregelung der Sterbehilfe

in: NStZ 1986, S. 337ff.

(zit.: Schreiber, Sterbehilfe)

Spann Das „Patiententestament“

in: MedR 1983, S. 13ff.

(zit.: Spann, Patiententestament)

Sternberg-Lieben Strafbarkeit des Arztes bei Verstoß gegen ein Patienten-Testament

in: NJW 1985, S. 2734ff.

(zit.: Sternberg-Lieben, Patiententestament)

Uhlenbruck Zur Rechtsverebindlichkeit des Patiententestaments

in: MedR 1983, S. 16ff.

(zit.: Uhlenbruck, Patiententestament)

Uhlenbruck Der Patientenbrief – die privatautonome Gestaltung des Rechtes auf einen menschenwürdigen Tod

in: NJW 1978, S. 560ff.

(Uhlenbruck, Patientenbrief)

Voll Die Einwilligung im Arztrecht

Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1996

(zit.: Voll, Arztrecht)

Wessels/Beulke Strafrecht Allgemeiner Teil

30. Auflage

2000 Heidelberg

(zit.: Wessels/Beulke)

I. Einführung

1. Definition der Patientenverfügung

Eine Patientenverfügung kann unterschiedlichste Weisungen, Richtlinien oder Wünsche des Patienten an den behandelnden Arzt beinhalten. Die strafrechtliche Diskussion um die PV versteht den Begriff in einem engeren Sinne. Eine Patientenverfügung (auch gebräuchlich: Patiententestament, Patientenbrief) ist danach eine vor dem Terminalstadium einer Erkrankung und für den Fall einer dann nicht mehr möglichen mündlichen Weisung abgegebene Erklärung eines Menschen, dass er in bestimmten, von ihm näher umrissenen, Krankheitssituationen keine Heilbehandlung mehr wünscht, wenn diese letztlich nur dazu dient, sein ohnehin zu Ende gehendes Leben künstlich zu verlängern[1] [2]. In der Praxis ist der Begriff „Patiententestament“ weit gebräuchlicher. Das ist insofern ungenau, als damit eine Verbindung zum zivilrechtlichen Institut des Testamentes suggeriert wird, die gerade nicht besteht. Denn die PV wirkt sich zu Lebzeiten aus und nicht – wie das Testament – erst nach dem Tode, und sie bezieht sich im Gegensatz zum Testament auch nicht auf das Vermögen der betreffenden Person. Insoweit ist der Begriff „Patientenverfügung“ exakter und wird im folgenden verwendet.

2. Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit

Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die PV mit ihren spezifischen strafrechtlichen Wirkungen. Wirkungen haben Ursachen, beides ist untrennbar miteinander verwoben. Daher soll die PV auch als solche dargestellt werden, wobei nicht einzelne Probleme im Vordergrund stehen, sondern die PV als solche umfassend behandelt werden soll, so dass sich ihre Besonderheiten aus einem Gesamtzusammenhang ergeben, der wiederum zu einem besseren Verständnis ihrer selbst beiträgt. Das Strafrecht bildet dabei die äußere Grenze der Untersuchung - historisch-ethische Grundlagen oder Fragen anderer Rechtsgebiete werden nur dann, und nur skizzenhaft, erörtert, wenn sie unabdingbar für das strafrechtliche Verständnis der PV sind. Des weiteren wird darauf verzichtet, allgemeine strafrechtliche Probleme (Versuch, Tatbestandslehre, Teilnahme, Irrtum) oder einzelne Straftatbestände in Zusammenhang mit der PV darzustellen, es sei denn, es ergeben sich Besonderheiten in Verbindung mit der PV oder aus Verständnisgründen. Diese Eingrenzung der Untersuchung erleichtert die Aufmerksamkeit auf das Thema wesentlich und ist aus Raumgründen unabdingbar. Des weiteren ergibt sich bereits aus der Definition der PV der typische Falltypus, welcher der PV i.d.R. zugrunde liegt. Sofern nicht ausdrücklich angesprochen, wird dieser den Ausführungen zugrundegelegt.

II. Rechtliche Einordnung

Die PV ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Daher soll im folgenden die PV zunächst in das System des Strafrechts eingeordnet werden. Dabei kristallisieren sich zwei Sachverhaltskonstellationen heraus, bei denen der PV eine erhebliche Bedeutung zukommt.

1. Konstellation: Heileingriff des Arztes

Eine Konstellation besteht darin, dass der Arzt, um dem Patienten die optimale Hilfeleistung zu erbringen, unter Nichtbeachtung der PV einen Eingriff in dessen körperliche Substanz vornimmt. Einen solchen Eingriff können sowohl das Zuführen von Stoffen in den Körper, als auch die Verletzung des Körpers als solchem darstellen.

a) Problem: Heileingriff und Körperverletzung

Nach der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur erfüllt jeder dieser Eingriffe in Form einer ärztlichen Behandlungsmaßnahme mindestens den Grundtatbestand der Körperverletzung (§ 223 I StGB)[3]. Dieses Verhalten kann dann aber i.d.R. durch eine Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sein – der Arzt handelt danach zwar tatbestandsmäßig, aber nicht rechtswidrig. Nach einigen Stimmen in der Literatur ist der lege artis vorgenommene ärztliche Heileingriff bereits tatbestandslos, wobei mannigfaltige Differenzierungen vorgenommen werden[4]. Diese bekannte Streitfrage stellt einen wichtigen Punkt der PV in den Vordergrund, nämlich auf welcher strafrechtlichen Ebene die PV zur Geltung kommt. Nach der Rechtsprechung kann das nur die Rechtfertigungsebene sein, während die Gegenseite die PV im Rahmen des Tatbestandes einordnen muss. Nun ist die hier behandelte Streitfrage praktisch seit langer Zeit geklärt, auf der anderen Seite dennoch entscheidend für die Frage, auf welcher strafrechtsdogmatischen Ebene eine PV, wenn überhaupt, Wirkung entfalten kann. Deshalb soll hier darauf verzichtet werden, einen umfassenden Überblick über die Nuancen dieses Streitpunktes zu geben, stattdessen sollen die wichtigsten Argumente gebündelt aufgezeigt werden, um anhand dessen zu zeigen, dass die Lehre der Rechtsprechung die rechtlich bessere Alternative darstellt.

aa) Wortlautargument bei § 223 StGB gegen die Rechtsprechung

Ein klassischer Einwand gegen die Lehre der Rechtsprechung stellt die Behauptung dar, der ärztliche, lege artis ausgeführte Heileingriff sei weder unter die Mißhandlungs -noch die Gesundheitsbeschädigungsalternative des § 223 I StGB zu subsumieren[5]. Diese Behauptung lässt sich nicht zwingend begründen. Oft wird hier nur auf die körperliche Misshandlung i.S.v. § 223 I StGB abgestellt, die bekanntlich eine üble und unangemessene Behandlung voraussetzt, die die körperliche Unversehrtheit und/oder körperliches Wohlbefinden nicht unerheblich beeinträchtigt[6]. Dem ist zuzugeben, das die Definitionsmerkmale des Tatbestandsmerkmales, „übel“ und „unangemessen“, nicht so recht auf die kunstgerechte ärztliche Behandlungsmaßnahme passen, wiewohl auch das bestritten werden kann, z.B. mit dem Hinweis, dass ein Arzt der sich über den Willen eines Patienten hinwegsetzt trotz kunstgerechtem Heileingriff durchaus unangemessen und übel handeln kann, weil er dann den Patienten nicht als Persönlichkeit, sondern als Objekt behandelt. Hier wird dann den beiden Begriffen „übel“ und „unangemessen“ eine eher ideelle Auslegung zu teil, die auch i.R.d. § 223 StGB nicht ausgeschlossen erscheint. Viel einleuchtender erscheint jedoch der Hinweis auf die umfassendere Variante der Gesundheitsbeschädigung. Diese wird definiert als Hervorrufen oder Steigern eines wenn auch nur vorübergehenden pathologischen Zustandes[7] ohne Hinzufügung wertender Definitionsmerkmale wie noch bei der Misshandlungsalternative. Jeder Eingriff in die körperliche Substanz stellt danach bei isolierter Betrachtung mindestens eine, wenn auch nur vorübergehende, Gesundheitsbeschädigung dar. Auch der lege artis ablaufende Heileingriff bedingt damit immer eine Gesundheitsbeschädigung, auch wenn diese selbst oft die Heilung bedeutet, wie bei einer Operation, die als Einzelakt zunächst eine Gesundheitsbeschädigung darstellt, da sie kurzzeitig den normalen Körperzustand beeinträchtigt, auf längere Sicht aber gerade heilend wirkt. Das demgegenüber auch auf eine Gesamtbetrachtung des Heileingriffes abgestellt werden kann und damit eine Gesundheitsbeschädigung wohl nicht mehr anzunehmen wäre, soll hier nicht weiter interessieren. Gezeigt ist jedenfalls, dass Wortlaut und Satzbau des § 223 noch keine bestimmte Auslegung indizieren[8].

bb) „Rechtswidrigkeits“-argument gegen die Rechtsprechung

Hinter der Argumentation gegen die Lehre der Rechtsprechung steht die Überlegung, dass es aus ärztlicher Sicht unbillig erscheint, zumindest den korrekt handelnden Arzt tatbestandsmäßig als Körperverletzer anzusehen, der erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit durch die Einwilligung des Patienten „vor dem Damoklesschwert einer Bestrafung errettet“ wird[9]. Diese Überlegung mag aus Sicht eines Laien sinnvoll erscheinen, nicht jedoch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten. Denn ob eine Person tatbestandsmäßig aber gerechtfertigt handelt oder tatbestandslos, hat keine strafrechtspraktische Bedeutung. So würde in einem Strafurteil in beiden Fällen ein (gleichwertiger) Freispruch erfolgen. Erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit wird, bei deren Bejahung, ein erstes Unwerturteil über die Tat ausgesprochen, so dass die Verneinung der Rechtswidrigkeit einer ärztlichen Tätigkeit kein „Weniger“ an Rechtmäßigkeit verleiht als die Verneinung des Tatbestandes[10]. Die Strafnorm ist insoweit als Ganzes zu sehen, bestehend aus Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld, bei dem es gleich ist, auf welcher Ebene die Prüfung abgebrochen wird, solange sie abgebrochen wird[11]. Damit ist gezeigt, dass die beiden Hauptargumente gegen die Rechtsprechung nicht durchgreifen und ihrerseits Bedenken ausgesetzt sind.

cc) Gesetzgebungsargument für die Rechtsprechung

Dagegen spricht gerade für die Lehre der Rechtsprechung ihre jahrzehntelange Anwendung ohne eine Gegenreaktion des Gesetzgebers. Dies legt den Umkehrschluss nahe, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt die Einordnung des Heileingriffes als Körperverletzung dem Gesetzgeberwillen entspricht.

dd) Argument der Selbstbestimmung für die Rechtsprechung

Der eigentliche Grund für die Position der Rechtsprechung liegt in der Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten gegenüber dem Recht des Arztes auf allgemeine Handlungsfreiheit. Das Selbstbestimmungsrecht als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes wird in seiner allgemeinen Form aus Art. 2 I, 1 I GG hergeleitet[12]. Es beinhaltet in seiner allgemeinen Form das Recht eines Menschen sein eigenes Leben selbst zu gestalten und Entscheidungen darüber zu treffen[13]. Daneben besteht in Art. 2 II 1, 2. Alt. GG eine spezielle Ausprägung dieses Rechtes, in dem jedermann das Recht auf körperliche Unversehrtheit zugesprochen wird. Gerade daraus ergibt sich mittelbar ein Selbstbestimmungsrecht des jeweiligen Menschen, wann in diese Unversehrtheit eingegriffen werden darf – nämlich nur bei Verzicht auf dieses Recht. Solange ein solcher Verzicht (Einwilligung) nicht vorliegt, muss das Gebot des Art. 2 II 1, 2. Alt. GG beachtet werden[14], ist dieser Verzicht sogar bewusst im Sinne einer eigenen Lebensplanung überlegt, kommt Art. 2 I, 1 I GG flankierend zur Geltung. Gerade die Fassung des Art. 2 II 1, 2. Alt. GG sowie die Verknüpfung des Selbstbestimmungsrechtes mit der Würde des Menschen, dem höchsten Rechtsgut im deutschen Recht[15], verbieten es aber im Falle des ärztlichen Heileingriffes, den Patienten und seinen Willen bei der rechtlichen Beurteilung des Heileingriffes unbeachtet zu lassen. Nach der Gegenauffassung zur Rechtsprechung wäre die Frage der Strafbarkeit des Heileingriffes vor allem eine Frage, ob und wie der Arzt handelte, die Entscheidung des Patienten stände demgegenüber strukturell im Hintergrund, sie hätte nur i.R.v. §§ 239, 240 StGB noch volle Bedeutung, welche aber nur ein schmales Schutzspektrum gewährleisten[16]. Nach der Rechtsprechung jedoch liegt in einem Heileingriff eine Körperverletzung, der dann im Normalfall auf der Rechtswidrigkeitebene durch eine Einwilligung des Patienten der Tatunwert entzogen wird. Diese Einwilligung ist nicht anderes als die oben beschriebene Ausprägung des verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts. Der Patientenwille i.F.d. Einwilligung als Ausdruck seiner Selbstbestimmung hat hier eine herausgehobenere Stellung als nach der Gegenansicht[17]. Die Rechtsprechung setzt damit die Vorgaben des GG effektiver um, was nach dem Bundesverfassungsgericht den grundsätzlichen Vorzug der jeweiligen Auslegung zur Folge hat (verfassungskonforme Auslegung)[18].

[...]


[1] abgek.: PV

[2] statt vieler: Eisenbart, S. 15; Uhlenbruck in: Lexikon Medizin, Ethik und Recht, S. 783

[3] grundlegend RGSt 25, 375, 377ff.; aus neuerer Zeit BGHSt 11, 111, 112; Krey, Rn. 209ff.

[4] S/S, Eser, § 223, Rn. 31ff.; Überblick zu Struktur dieser Lehre in Voll, Arztrecht, S. 17ff.

[5] S/S, Eser, § 223, Rn. 30; Mitsch, S.15f.

[6] S/S, Eser, § 223, Rn. 3

[7] S/S, Eser, § 223, Rn. 5

[8] so auch zu diesem Thema: Krey, Rn. 222

[9] vgl. nur S/S, Eser, § 223, Rn. 29; Voll, Arztrecht, S. 29

[10] Voll, Arztrecht, S. 29; Mitsch, S. 22

[11] Mitsch, S. 22

[12] Pieroth/Schlink, Rn. 373f.

[13] Pieroth/Schlink, Rn. 374

[14] M/D, Dürig, Art. 2 II, Rn. 37

[15] vgl. Pieroth/Schlink, Rn. 365

[16] so auch Krey, Rn. 219

[17] Voll, Arztrecht, S. 29

[18] grundlegend BVerfGE 7, 198, 205ff.; vgl. Pieroth/Schlink, Rn. 79

Fin de l'extrait de 34 pages

Résumé des informations

Titre
Strafrechtliche Wirkungen einer sog. Patientenverfügung
Université
Dresden Technical University  (Lehrstuhl für Strafrecht)
Note
12 Punkte (vollbefriedigend)
Auteur
Année
2002
Pages
34
N° de catalogue
V5175
ISBN (ebook)
9783638131520
Taille d'un fichier
686 KB
Langue
allemand
Mots clés
Patientenverfügung, Patiententestament
Citation du texte
René Schneider (Auteur), 2002, Strafrechtliche Wirkungen einer sog. Patientenverfügung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5175

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