In dieser Arbeit wird der Fokus auf den Übergang von der Kita in die Grundschule gelegt. Diese für Kinder so wichtige Lebensphase wird von pädagogischen Fachkräften und der Sozialen Arbeit professionell begleitet. Die Themen Übergang in die Schule, (sozial-)pädagogische (Lebens-)Bewältigung und Inklusion sind eng mit einander verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Sie können ohne einander nicht zu Ende gedacht werden.
Nur wenn pädagogische Fachkräfte sich thematisch intensiv mit der Übergangsproblematik auseinandersetzen, werden sie auch in der Lage sein, allen Kindern unabhängig von Herkunft und Ethnie, die gleichen Chancen zu Beginn der Schulzeit zu ermöglichen. Primäres Ziel dieser Arbeit ist es daher, auf die sozialen und ethnischen Probleme im Übergang in die Grundschule aufmerksam zu machen und die Profession Sozialer Arbeit zu stärken.
Immer mehr Eltern entscheiden sich dafür, ihr Kind ein Jahr später zur Schule zu schicken. Dies könnte sich aber negativ auf ihre späteren Schulleistungen auswirken, berichtet jetzt ein deutsch-britisches Forscherteam in der Zeitschrift "Journal of Development Medicine and Child Neurology". Das fehlende Jahr schulischer Lernerfahrung kann einher gehen mit durchschnittlich schlechteren Leistungen.
Will der Übergang von der Kita in die Grundschule nicht gelingen, können Brüche in der Bildungsbiografie der Kinder die Folge sein. Bereits in der Grundschule hat jedes dritte Kind Angst vor schlechten Noten und davor, in der Schule zu versagen, so das Ergebnis des aktuellen LBS-Kinderbarometers. In der Vergangenheit waren für die Probleme der Kinder im Übergang von der Kita in die Grundschule in erster Linie die Familien und die Kita zuständig.
Da der Schuleintritt aber immer häufiger von Ängsten, aber auch von sozialen Problemen begleitet ist, hat die Übergangsproblematik für die Soziale Arbeit an Relevanz gewonnen, weil sie über pädagogische Maßnahmen hinaus agieren kann, geht es um die Verbesserung von familiären Lebenslagen und gerechteren Bildungschancen.
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
2 DER ÜBERGANG VON DER KITA IN DIE GRUNDSCHULE
2.1 DER SCHULEINTRITT ALS KRITISCHES LEBENSEREIGNIS
2.1.1 Der Transi-onsansatz nach Griebel & Niesel
2.1.2 Der ökopsychologische Ansatz nach Bronfenbrenner
2.1.3 Das Schukreifekonstrukt nach Nickel
2.2 KINDLICHE ENTWICKLUNGSAUFGABEN BEI DER BEWÄLTIGUNG KRITISCHER LEBENSEREIGNISSE
2.3 VIER ERKLÄRUNGSMODELLE VON SCHULFÄHIGKEIT
2.3.1 Das reifungstheore-sch-na-vis-sche Erklärungsmodell
2.3.2 Das umweltorien-ert-schulvorbereitende Erklärungsmodell
2.3.3 Das sozial-konstruk-vis-sche Erklärungsmodell
2.3.4 Das interak-onis-sche Erklärungsmodell
3 SOZIALE UNGLEICHHEIT
3.1 DER ÜBERGANG ALS SOZIALES PROBLEM
3.1.1 Auswirkungen nicht fristgerechter Einschulungen
3.1.2 Auswirkungen vorzei-ger Einschulung
3.1.3 Auswirkungen verspäteter Einschulung
4 KITA ALS BILDUNGSORT
4.1 DIE TRIAS: BILDUNG, BETREUUNG UND ERZIEHUNG
4.1.1 Bildung
4.1.2 Erziehung
4.1.3 Betreuung
4.1.4 Exkurs: Handlungsebenen einer inklusiven Pädagogik
4.2 ZUM BILDUNGSBEGRIFF DER KITA
4.2.1 Anschlussfähige Bildung
4.2.2 Schlussfolgerungen
4.3 AUDIT. GEMEINSAME LERNWERKSTÄTTEN VON KITA UND GRUNDSCHULE
5 KINDERPERSPEKTIVE
5.1 KINDHEITSBEZOGENE PERSPEKTIVEN
5.2 KINDLICHE INTERAKTIONEN
5.3 KITA-QUALITÄT AUS KINDERSICHT - „QUAKI-STUDIE“
5.3.1 Erhebungsmethoden
5.3.2 Ergebnisse: Vier Qualitätsdimensionen aus der Quaki-Studie
5.4 KONSEQUENZEN AUS DER KINDERPERSPEKTIVE FÜR DEN BILDUNGSORT KITA
6 DER ÜBERGANG ALS BEWÄLTIGUNGSAUFGABE
6.1 DIE WISSENSGESELLSCHAFT
6.2 GRUNDZÜGE DES SOZIAL-PÄDAGOGISCHEN KONZEPTES LEBENSBEWÄLTIGUNG
6.3 DAS DREI-ZONEN-MODELL DES SOZIALPÄDAGOGISCHEN KONZEPTS LEBENSBEWÄLTIGUNG
6.3.1 Fallbeispiel „Tom“
6.3.2 Schlussfolgerungen
7 ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION DER ERGEBNISSE
LITERATURVERZEICHNIS
1 Einleitung
Immer mehr Eltern entscheiden sich dafür, ihr Kind ein Jahr später zur Schule zu schicken. Dies könnte sich aber negativ auf ihre späteren Schulleistungen auswirken, berichtet jetzt ein deutsch-britisches Forscherteam in der Zeitschrift „Journal of Development Medicine and Child Neurology“. Das fehlende Jahr schulischer Lernerfahrung kann einher gehen mit durchschnittlich schlechteren Leistungen.
Will der Übergang von der Kita in die Grundschule nicht gelingen, können Brüche in der Bildungsbiografie der Kinder die Folge sein. Bereits in der Grundschule hat jedes dritte Kind Angst vor schlechten Noten und davor, in der Schule zu versagen, so das Ergebnis des aktuellen LBS-Kinderbarometers (vgl. Müthing;Razakowski;Gottschling 2018, S. 131).
In der Vergangenheit waren für die Probleme der Kinder im Übergang von der Kita in die Grundschule in erster Linie die Familien und die Kita zuständig. Da der Schuleintritt aber immer häufiger von Ängsten, aber auch von sozialen Problemen begleitet ist, hat die Übergangsproblematik für die Soziale Arbeit an Relevanz gewonnen, weil sie über pädagogische Maßnahmen hinaus agieren kann, geht es um die Verbesserung von familiären Lebenslagen und gerechteren Bildungschancen.
Aus diesen Überlegungen heraus bildet sich die Ausgangsfrage dieser Arbeit:
Auf welche Weise kann Soziale Arbeit zu einer bedarfsgerechteren Begleitung von Kindern und Familien im Übergangsprozess von der Kita in die Grundschule beitragen?
Entlang entwicklungspsychologischer Herausforderungen, (sozial)-pädagogischer Vorstellungen und inklusiver Bildung, soll der Übergangsprozess bewältigungsorientiert betrachtet und dargestellt werden.
In dieser Arbeit wird der Fokus auf den Übergang von der Kita in die Grundschule gelegt. Diese für Kinder so wichtige Lebensphase wird von pädagogischen Fachkräften und der Sozialen Arbeit professionell begleitet. Die Themen Übergang in die Schule, (sozial)- pädagogische (Lebens)-Bewältigung und Inklusion sind eng mit einander verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Sie können ohne einander nicht zu Ende gedacht werden. Nur wenn pädagogische Fachkräfte sich thematisch intensiv mit der Übergangsproblematik auseinandersetzen, werden sie auch in der Lage sein, allen Kindern unabhängig von Herkunft und Ethnie, die gleichen Chancen zu Beginn der Schulzeit zu ermöglichen.
Primäres Ziel dieser Arbeit ist es daher, auf die sozialen und ethnischen Probleme im Übergang in die Grundschule aufmerksam zu machen und die Profession Sozialer Arbeit zu stärken.
Trotz der kontrovers geführten Debatte um die Übergangsproblematik, sind die wichtigsten Akteurinnen und Akteure bisher kaum zu Wort gekommen – die Kinder. Lediglich eine einzige Studie von Nentwig-Gesemann (vgl. Nentwig-Gesemann;Walther;Thedinga 2017) und der Bertelsmann Stiftung hat sich bisher mit der Qualität von Kitas aus Kindersicht beschäftigt (vgl. Kapitel 5.3). Zu einer vertiefenderen Studie hinsichtlich der Akteursperspektive von Kindern liegen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Ergebnisse vor (vgl. Nentwig-Gesemann 2019). Von einem zufriedenstellenden Forschungsstand kann an dieser Stelle also nicht gesprochen werden.
Die vorliegende Bachelorarbeit gliedert sich in sieben Kapitel:
Nach dieser Einleitung werden In Kapitel 2 zunächst theoretische Aspekte der Übergangsproblematik analysiert. Anschließend wird eine Bestimmung des Begriffes „Transition“ in Abgrenzung zum Begriff des „Übergangs“ vorgenommen und drei für das Thema dieser Arbeit relevante Transitionsmodelle vorgestellt.
In Kapitel 3 wird der Übergang als ein soziales Problem beschrieben. Es wird der Frage nachgegangen, wie soziale Ungleichheiten zu Beginn der Schulzeit entstehen und welche Ursachen sie haben könnten.
Die Kita soll soziale und ethnische Ungleichheiten nach Möglichkeit schon vor der Schulzeit kompensieren, die durch die ungleichen Startchancen im selektiven Bildungssystem entstehen. Kapitel 3 beleuchtet den Bildungsort Kita als Ort der Chancengleichheit.
In Kapitel 5 wird das Forschungsdefizit der Kinderperspektiven beleuchtet. Die Sicht von Kindern könnte pädagogischen Fachkräften helfen, den Übergang bedarfsorientierter und inklusiv zu gestalten.
Kapitel 6 stellt die Grundzüge des Bewältigungsparadigma Sozialer Arbeit vor, dessen praktische Umsetzung in der Beratung von Familien einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit verspricht.
Kapitel 7 fasst die Ergebnisse dieser Arbeit noch einmal zusammen und beantwortet die Eingangsfrage.
In der Forschungsliteratur ist in Bezug auf die hier behandelte Übergangsproblematik eine Entwicklung zu verzeichnen. Eine ganze Reihe Autoren beschäftigen sich mittlerweile mit dem Thema der selektiven Bildungsübergänge (vgl. u.a. Roßbach 2006, Beelmann 2011, Mack 2013). Ebenso beschäftigen sich die Bildungspläne der einzelnen Bundesländer sowohl mit dem Übergang von der Kita in die Grundschule als auch in die weiterführende Schule, aus der Perspektive von Eltern und pädagogischen Fachkräften. Die Sicht der Kinder findet allerdings kaum Berücksichtigung. Allein der Baden-Württembergische Bildungsplan (vgl. Engemann;Meyer-Elmenhorst;Simmat 2015) betont die Wichtigkeit der Einnahme der Kinderperspektive, geht allerdings auch nicht näher auf sie ein.
Spätestens seit der Pisa-Studie (2000) ist das Thema der Übergangsproblematik bekannt und auch Teil der öffentlich geführten Debatte geworden. Zu kritisieren ist dabei jedoch, dass seit dem nur wenig getan wurde, um die Selektionsfunktion im deutschen Bildungssystem und die damit verbundenen ungleichen Startchancen am Schulanfang abzumildern. Vor allem durch den demografischen Wandel haben sich die sozialen Probleme der Familien noch einmal verschärft. Wer heute den Anschluss an die Wissensgesellschaft verliert, hat kaum noch Aussicht auf einen späteren Bildungserfolg.
2 Der Übergang von der Kita in die Grundschule
2.1 Der Schuleintritt als kritisches Lebensereignis
Der Beginn der Schulzeit bedeutet für das Kind den Übergang in einen neuen Lebensabschnitt, der als besonderes Ereignis verstanden und als bedeutsamer Einschnitt in seine Biografie erlebt wird. Als Übergänge oder „Transitionen“ werden Lebensphasen verstanden, die eine Bewältigung von Diskonuitäten auf mehreren Ebenen erforderlich machen. Als „Transitionen“ werden Phasen der Umstrukturierung bezeichnet, wie sie das Kind erlebt, wenn es zu einem Schulkind wird. Sie werden als "bedeutsame, biografische Erfahrung von Wandel in der Identitätsentwicklung wahrgenommen" (Griebel 2012, S.37).. Im Wesentlichen werden in der Fachliteratur Einflussfaktoren eines erfolgreichen Übergangsprozesses auf folgenden vier Ebenen benannt: (1) Kind, (2) Familie, (3) Institutionen Kita / Schule und (4) Gesellschaft. Sowohl theoretisch als auch empirisch sind die strukturellen Kopplungsprozesse, wie beispielweise die Interaktion zwischen den vier Ebenen, von Bedeutung (vgl. Wildgruber et al. 2016, S.10).
Der erste Schultag des Kindes kennzeichnet zunächst den neuen Lebensabschnitt, der im Rahmen einer Einschulungsfeier traditionell festlich begangen wird. Der Übergang von der Familie oder der Kita in die Grundschule stellt durch seine Bewältigung eine Chance des Zugewinns neuer Erfahrungen und psychosozialer Stärke dar (vgl. Engemann;Meyer- Elmenhorst;Simmat 2015). Gute Beziehungen zu Erwachsenen und zu anderen Kindern werden als in der Fachliteratur als Kriterien für einen erfolgreichen Übergang genannt. Auch Interesse, Motivation und eine bejahende Einstellung zum Lernen sind konkrete Hinweise auf einen gelungenen Übergang (vgl. Wildgruber et al. 2016, S.11). Der neue Lebensabschnitt kann im ungünstigen Fall aber auch als eine zu hohe Belastung empfunden werden, wenn der Übergang nicht gelingt und die zur Verfügung stehenden Ressourcen für die Bewältigung nicht mehr ausreichend vorhanden sind (vgl. Böhnisch 2016). So kann es bei Kindern zu einer Häufung belastender Faktoren durch beschleunigte Veränderungen kommen, wenn Probleme im Übergangsprozess auftreten An den Schnittstellen des Bildungssystems finden bereits erste Selektionsprozesse statt, die zum kurzfristigen bis langfristigen Ausschluss von Kindern aus dem allgemeinbildenden Schulsystem führen können.
Seit der Unterzeichnung der UN- Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009, hat jedes Kind das Recht auf inklusive Bildung. Dieses Recht verändert die Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Grundschule und die zugehörigen Einschulungsentscheidungen. An die pädagogischen Fachkräfte werden entsprechend erweiterte Kompetenzanforderungen im Transitionsprozess gestellt. Aichele definiert Inklusion folgend:
„Offenheit eines gesellschaftlichen Systems in Bezug auf soziale Vielfalt, die selbstverständlich Menschen mit Behinderungen einschließt“ (Aichele 2010, S.16).
Über die Definition des Begriffes „Inklusion“ besteht zwar keine Allgemeingültigkeit. Er wird (in Deutschland) jedoch überwiegend im Zusammenhang mit dem Begriff der „Behinderung“ verwendet. Ich möchte den Begriff der „Inklusion“ für diese Arbeit aber weiter fassen und auf die Übergangsproblematik anwenden, weil der Übergang in die Grundschule jäh die Grenzen inklusiver Bildung aufzeigt. Jedes Kind, hat das gleiche Recht auf seine individuelle Entwicklung und soziale Teilhabe ungeachtet seiner Herkunft oder Ethnie. Dies bedeutet, dass alle Kinder uneingeschränkten Zugang zu Bildung und den Bildungseinrichtungen erhalten müssen und dass Inklusion nicht allein als Integration von behinderten Menschen in die Kita oder die Schule verstanden werden darf, sondern als ein Menschenrecht auf persönliche Entfaltung. Inklusive Bildung meint die Anerkennung pluraler Lebens- und Lernweisen in heterogenen Lerngruppen (vgl. Prengel 2013). Es ist begrüßenswert, wenn Kindern mit Behinderung die Möglichkeit eröffnet wird, eine Regelschule zu besuchen. Eine gemeinsame Beschulung kann aber nur der Anfang sein, denn ein inklusives Konzepts trifft keine Entscheidung zwischen „behindert“ und „nicht-behindert“. Nur so kommt das Prinzip der Vielfalt zum Tragen. „Anderssein“ wird zum Normalfall und nicht an einer Behinderung des Kindes festgemacht.
Miriam Düber spricht in diesem Zusammenhang von Inklusion und Bildung ganz richtig von einer „barrierefreien Partizipation“ als Menschenrecht im Sinne des Teilhabens, Teilnehmens und Beteiligens (Düber;Rohrmann;Windisch 2015).
Was aber bedeutete eine inklusive Sichtwiese für den Bildungsort Kita und die Grundschule? Kita und Grundschule müssten sich den Kindern anpassen und nicht umgekehrt. Das Sonderschulsystem würde abgeschafft, alle Kinder besuchten eine Kita für alle und eine allgemeinbildende Schule. Die Verwirklichung von Bildungsteilhabe für alle Kinder kann als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit angesehen werden. Der Übergang von der Kita in die Grundschule stellt dabei einen wichtigen Meilenstein dar. Trotz der in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschriebenen Forderung nach inklusiver Bildung, minimiert sich Zahl der Kinder mit Förderbedarf nach Eintritt in die Schule von über 61% auf nur noch 33,6% (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018).
Filipp spricht im Zusammenhang mit diesen „schwierigen“ Bildungsübergängen von einem „kritischen Lebensereignis“ (vgl. Filipp;Aymanns 2018), welches zu einer Veränderung des sozialen Gefüges zwischen dem Kind und seiner Umwelt führt und auf das entsprechend mit Anpassungsleistungen seitens des Kindes reagiert werden muss, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, welches durch die Veränderung ins Wanken geraten ist. Kritische Lebensereignisse sind solche Situationen, die mit den bisher gelernten Handlungsmustern nicht mehr bewältigt werden können.
Ein Auslöser für die sozialen Probleme scheint im deutschen Bildungssystem selbst zu liegen, welches durch Übergänge zwischen Familie und Bildungseinrichtungen und zwischen den Bildungseinrichtungen selbst gekennzeichnet ist. Die Selektionsfunktion kann im Bildungssystem kann schon zu Beginn der Schulzeit zu ungleichen Startchancen führen. Es kann an Bildungsübergängen auf Grund von Leistungsunterschieden zu einer Abschwächung, aber auch zu einer Verstärkung sozialer Ungleichheit kommen (vgl. Baumert;Maaz;Trautwein 2010, S. 206). Soziale und ethnische Ungleichheiten können sich an den zentralen Schnittstellen im Bildungssystem verändern und Entscheidungen über die Bildungsbiografie der Kinder treffen. Möglicherweise ist auch das Entscheidungsverhalten der am Übergangsprozess beteiligten Akteurinnen und Akteure mitverantwortlich zu machen. Es ist bezüglich der Entscheidungsprozesse zwar ein reges Forschungsinteresse zu beobachten, welches sich aber in erster Linie auf die soziale Herkunft bezieht. Ein weiterer Grund der Übergangsproblematik besteht aber auch in den unterschiedlichen Bildungsverständnissen von Kita und Grundschule. Während die Mehrzahl der Kitas selbsttätiges Lernen fördert, treffen die Kinder in der Grundschule auf feste Strukturen und Abläufe, an die sie sich erst langsam gewöhnen müssen. Dies führt insbesondere zu strukturellen Problemen im Übergang.
In Abgrenzung zum alltagssprachlichen „Übergang“ soll mit dem Begriff „Transition“ deutlich gemacht werden, dass es sich um ein wissenschaftlich fundiertes entwicklungspsychologisches Konzept handelt. Obwohl beide Begriff im fachlichen Sinn gleichberechtigt nebeneinander verwendet werden, liegen den Transitionen theoretische Vorgaben und wissenschaftliche Erkenntnisse zu Grunde (vgl. Griebel 2012).
Die erste Theorie des Übergangs wurde von dem Sozialforscher Anselm Strauss in Anlehnung an den Psychoanalytiker Erikson entwickelt. Eriksons Entwicklungsbegriff ist aus der Frage nach der Interaktion zwischen dem Ich und der Gesellschaft entstanden. Für Erikson bedeutete Entwicklung die Bewältigung psychosozialer Herausforderungen im Lebenslauf. Mit den Herausforderungen geht bei Erikson eine erhöhte Vulnerabilität (Verletzlichkeit) einher. Strauss hat Übergangsprozesse als Sozialisationserfahrungen beschrieben, die in einem Wechselspiel mit institutionalisierten Normen stehen. Sie richten sich nicht auf das Subjekt, sondern nehmen seine Beziehungen im Übergang in den Blick. Parkes (1971) entwickelte den Begriff der psychosozialen Transition. Er bezeichnet den Übergang als transitorische Phase zwischen einem Lebensereignis und seiner Bewältigung. Parkes versteht Übergänge als bedeutsame Veränderungen im Lebenslauf, die andauernde Auswirkungen in einem relativ kurzen Zeitraum haben können. Bei Glen Elder (1985) werden Transitionen als Trajektwechsel (Wendepunkte) verstanden. Elder untersuchte Wendepunkte als Ereignisse oder Statuswechsel. Die so genannten Phasenmodelle, zur Beschreibung biografischer Übergangsprozesse, wurden unter anderem von Adams & Hopson (1977) und Horowitz (1979) vertreten. Die wachsende Bedeutung des Transitionskonzeptes nach Griebel und Niesel geht zurück auf seine vereinfachte Verständlichkeit. Deutlich wird, dass biografische Wandlungsprozesse vor dem Hintergrund sozialer Lebensereignisse zu verstehen sind. Theoretische Bezüge zum Begriff der Transitionen sind in erster Linie das Modell der Systemebenen von Urie Bronfenbrenner, welches Verbreitung gefunden hat hinsichtlich des Übergangs von der Kita in die Grundschule und als ökologischer Übergang beschrieben wird. Das Kind verändert seine Position in der von Bronfenbrenner als ökologisch beschriebenen Umwelt. Bronfenbrenner vertritt die Ansicht, dass jeder ökologische Übergang Entwicklungsanstöße gibt, die zudem biologisch begründet sind. Er nennt hier das Alter des Kindes an erster Stelle. Veränderungen im Lebensumfeld von Kindern hingegen, wurden von Filipp und Aymanns im Zusammenhang mit der Entwicklung über die Lebensspanne als kritische Lebensereignisse näher beleuchtet (vgl. Filipp;Aymanns 2018).
Aus einer Vielzahl unterschiedlicher theoretischer Modelle zur Erklärung von Transitionsprozessen habe ich im Hinblick auf die Bedeutsamkeit für den Übergang von der Kita in die Grundschule folgende Auswahl getroffen: Zum ersten das Transitionsmodell nach Griebel & Niesel, zweitens der Ökopsychologische Systemansatz nach Urie Bronfenbrenner und drittens das Schulreifekonstrukt nach Nickel.
2.1.1 Der Transi@onsansatz nach Griebel & Niesel
Der Transitionsansatz wurde in einem mehrperspektivischen Prozess als theoretisches Konzept für Transitionen am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München entwickelt und erarbeitet. Im Fokus des Modells stehen die Bildungstransitionen und die Bewältigung von Veränderungen in Übergangsprozessen. Dabei geht es vor allem um Übergangsprozesse von der Familie in die Bildungseinrichtung und um Übergange innerhalb bzw. zwischen den einzelnen Bildungsinstitutionen.
Er thematisiert die Bewältigung von Diskonuitäten und berücksichtigt, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern den Übergang in die Grundschule bewältigen müssen. Der Transitionsansatz stammt aus der Familienentwicklungspsychologie und ist nicht nur auf den Übergang von der KiTa in die Grundschule anwendbar, sondern auf alle familiären Übergänge zu übertragen (vgl. Griebel;Niesel 2004).
Transitionen lassen sich in Abgrenzung zu Begriffen wie „Entwicklungsschritt“ oder „Passage“ sowohl auf individueller, familialer und kontextueller Ebene beschreiben. Der Begriff der Transition erfüllt nicht die Bedeutung einer Zweckmäßigkeit oder eines zielgerichteten Handelns. Gesellschaftliche Umbrüche, die von Menschen immer schnellere und größere Anpassungsleistungen erfordern, lassen sich mit dem Transitionsbegriff erfassen. Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt des Transitionsansatz ist seine Kontextbezogenheit. Da sowohl Subjekt und Lebenskontext zur Entstehung und Lösung von Problemen beitragen, unterliegen auch sie einem ständigen Wandel. Der Transitionsansatz wendet sich gegen eine Trennung zwischen Psychologie, Soziologie und Geschichtswissenschaften. Das Transitionsmodell sieht die Bewältigung der Transition nicht nur als Kompetenz des Einzelnen, sondern im Zusammenwirken aller Beteiligten und spricht daher von der „Kompetenz des sozialen Systems“. Wenn alle Beteiligten sich verständigen und Klarheit darüber entsteht, warum bestimmte Aktivitäten zielführend sind und andere nicht, sprechen wir von Ko-Konstruktion. (vgl. Griebel;Niesel 2004, S.28).
In der wissenschaftlichen Fachliteratur wird auf die Bedeutung eines interdisziplinären Zugangs verwiesen. Notwendig geworden war dieser durch ein verändertes Verständnis entwicklungspsychologischer Fragestellungen. Die moderne Transitionsforschung bezieht sich auf Norbert Elias, dessen Prozess- und Figurationssoziologie die Menschen in gesellschaftlichen Kontexten betrachtete. Elias ging davon aus, dass Menschen miteinander Beziehungsgeflechte bildeten, die sich in ständigen Veränderungsprozessen befänden. Transitionen sind deshalb auch immer soziale Prozesse, an denen mehrere Akteurinnen und Akteure vor dem Hintergrund sich verändernder Kontexte beteiligt sind.
Allen Transitionen ist gemeinsam, dass sie bedeutsame Veränderungen im biologischen als auch im sozialen Bereich mit sich bringen. Begleitet werden sie von verdichteten Belastungsfaktoren. Bewältigungsprozesse können sich dann als schwierig erweisen, wenn die veränderten Kontexte zu Krisen führen, weil der Übergang nicht bewältigt werden konnte. Transitionen vollziehen sich über die gesamte Lebensspanne hinweg. Phasen des Wohlbefindens wechseln sich mit Phasen hoher Veränderungsdichte ab. Veränderungen erfordern Anpassungsleistungen (vgl. Niesel 2015). Übergänge im Leben von Kindern finden statt, wenn es zu Veränderungen innerhalb der Familie kommt oder der Weg in außerfamiliale Bildungseinrichtungen führt.
Griebel & Niesel fordern eine transitionsorientierte pädagogische Konzeptualisierung des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule, weil diese einen grundlegenden Beitrag zur Überwindung herkömmlicher Annahmen zur Schulfähigkeit leisten könne (vgl. Griebel;Niesel 2004). Die Autoren führen weiter an, dass sich die mit dem Übergang verbundenen Anforderungen für Kinder und Eltern so genauer beschreiben und pädagogisch umsetzen ließen. Es wird die Notwendigkeit von Basiskompetenzen (vgl. Fthenakis et al. 2007) und schulnahen Vorläuferkompetenzen für die Bewältigung des Übergangs zum Schulkind gefordert. Eltern werden als Unterstützer ihres Kindes und gleichzeitig auch Bewältiger ihres eigenen Übergangsprozesses angesehen. Der Mangel an Aufmerksamkeit hinsichtlich des Übergangsprozesses gilt es zu überwinden, so die Autoren.
2.1.2 Der ökopsychologische Ansatz nach Bronfenbrenner
Urie Bronfenbrenner hat eine ökologische Sozialisationsforschung begründet, indem er sich für die natürlichen Alltagssituationen der Menschen und deren subjektive Sinngebung interessiert hat (vgl. Bengelsdorf 2011). Er verweist mit seinem Mehrebenenmodell darauf, dass Entwicklung als wechselseitiger interaktionistischer Prozess zwischen Individuum und sozialer Umwelt betrachtet werden muss (vgl. Bronfenbrenner;Lüscher 1993).
Mit der Unterscheidung von Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystemen schafft Bronfenbrenner ein Mehrebenenmodell sozialen Handelns, welches nicht nur die Eingebundenheit des Individuums in unterschiedliche soziale Bezüge in den Blick nimmt, sondern auch die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Lebensbereichen fokussiert. Die Familie befindet sich mit ihren Familienmitgliedern im Mikrosystem, welches sich nach außen auf Grund interner Umgangsregeln abgrenzt. Durch die Beziehungen und Interaktionen in der Familie formt sich das Mikrosystem, wobei das Verhalten des Einzelnen auch Einfluss auf die anderen Familienmitglieder hat. Neben dem Mikrosystem gibt es nach Bronfenbrenner noch weitere Systeme, die das Mikrosystem umgeben und in Wechselwirkung zueinander stehen. Diese werden als Mesosysteme bezeichnet und meinen Systeme, die in einem engen Austausch mit den Familienmitgliedern stehen. Tritt das Kind in einen neuen Lebensbereich ein (z. B. in die Kita), bildet sich dadurch ein weiteres Mesosystem. Als Exosysteme werden die Systeme bezeichnet, die nicht unmittelbar Einfluss auf alle Familienmitglieder haben, sondern nur für einzelne Personen der Familie bedeutsam sind, wie beispielsweise der Arbeitsplatz der Eltern, der aber wiederum Einfluss auf das Kind hat. Eingebettet sind alle Systeme in das Makrosystem.
Bronfenbrenner würde den Übergang von der Kita in die Grundschule als eine Anpassungsleistung an die Institution außerhalb der Familie und als ökologischen Übergang beschreiben. Das Kind verändert seine Position in der von Bronfenbrenner als ökologisch beschriebenen Umwelt. Bronfenbrenner vertritt die Ansicht, dass jeder ökologische Übergang Entwicklungsanstöße gibt, die zudem biologisch begründet sind. Er nennt hier unter anderem das Alter des Kindes. Für den Schuleintritt dient der Ökopsychologische Ansatz nach Bronfenbrenner insofern als Erklärungsmodell, weil ökologische Übergänge einen Wandel von Bedeutungsgehalten mit sich bringen. Entwicklung versteht Bronfenbrenner als eine dauerhafte Veränderung in der Art und Weise, wie das Kind und seine Familie die Umwelt wahrnehmen und sich mit ihr auseinandersetzten. Der Wechsel von der Kita in die Grundschule (Umweltbereiche) begünstigt die Anwendung des Ökopsychologischen Ansatzes, da die Eltern-Kind- Beziehung neu definiert werden muss (vgl. Bronfenbrenner;Lüscher 1993). Damit die Transition gelingt, ist einerseits die Unterstützung aller am Übergangsprozess beteiligten Akteure notwendig. Andererseits sind auch die formellen Kontakte zu Gleichaltrigen wichtig. Bronfenbrenner spricht wie Griebel und Niesel von einem „doppelten“ Übergang, der nicht nur das Kind, sondern auch die Familie betrifft (vgl. Bronfenbrenner;Lüscher 1993). Sara Rimm-Kaufman und Robert Pianta haben dieses Modell auf den Übergang angewandt. Sie entwickelten ihr „Ecological and Dynamic Model of Transition“, welches den Übergang aus dem Blickwinkel der Lebenswirklichkeit heraus versteht, so zum Beispiel in den Feldern Kind, Familie, Kita, Schule, Gleichaltrige und Gemeinwesen. Die AutorInnen fordern, dass die konkreten Lebensverhältnisse der Akteurinnen und Akteure im Übergang Berücksichtigung finden müssen (vgl. Pianta;Cox;Snow 2007):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.3 Das Schukreifekonstrukt nach Nickel
Der theoretische Ansatz des Ökologischen Übergangs nach Urie Bronfenbrenner misst die Prägung von Verhalten und Entwicklung im Übergang aufgrund von Veränderungen in der Identität, in Rollen und Beziehungen seiner Akteurinnen und Akteure. Basierend auf Bronfenbrenners Annahmen sprechen Nickel & Schmidt-Denter (vgl. Viernickel 2013) immer dann von einem ökologischen Übergang, wenn ein Übertritt von einem Lebensbereich in einen anderen vorgenommen und bewältigt werden muss. Bei Nickel & Schmidt-Denter besitzt der Übergang „Schwellencharakter“, weil das Kind die Schwelle von der Kita in die Grundschule überschreiten und bewältigen muss. Dies kann erfolgreich gelingen, aber auch misslingen, indem die Schwelle nicht überschritten werden kann. Dies führt dann zu Schulversagen. Somit beinhalten die ökologischen Übergänge aufgrund der hohen Anforderungen an die Bereitschaft zur Anpassung an die neuen Umwelten einerseits Krisencharakter, andererseits auch fördernde Potenziale, die die psychische Entwicklung stimulieren können. Abhängig vom Gelingen des Übergangs sind die individuellen und schulischen Voraussetzungen des Kindes.
Das ökopsychologische Schulreifemodel nach Nickel umfasst vier Teilkomponenten, die zueinander in Beziehung stehen. Die Teilkomponente (1) Schule beinhaltet das (2) Schulsystem, welches einen Beitrag zu einem bruchlosen Übergang leisten sollte, aber nicht immer kann. Die neuen (3) Schülerinnen und Schüler verfügen im Einschulungsalter über unterschiedliche psychische Lernvoraussetzungen. Primär zu nennen sind hier kognitive Fähigkeiten und soziale Kompetenzen. Die ökologische Komponente bezieht sich auf die Familie, also die vorschulische und schulische Umwelt, um mit Bronfenbrenner zu sprechen. Im Sinne von Bourdieu würde man von ökonomischem, kulturellen und sozialen Kapital sprechen, welches unterschiedlich verteilt ist. Hat das Kind vor der Schule eine Kita besucht, ist es bereits institutionell sozialisiert worden. Die letzte Komponente bildet bei Nickel die (4) gesamtgesellschaftliche Situation. Gemeint sind hier in erster Linie Werte und Normen.
Die Einschulungsproblematik lässt sich nach Nickel nur dann lösen, wenn alle Teilkomponenten gleichermaßen berücksichtigt werden. Bis zu seinem nahenden Schuleintritt hat das Kind aus entwicklungspsychologischer Sicht eine ganze Reihe unterschiedlicher Entwicklungsaufgaben zu bewältigen.
2.2 Kindliche Entwicklungsaufgaben bei der Bewältigung kritischer Lebensereignisse
Was unter dem Begriff der Kindheit verstanden wird, hängt immer von der Perspektive und dem jeweiligen theoretischen Standpunkt ab. Einerseits wird unter dem Begriff eine Lebensphase verstanden und andererseits auch ein biografischer Abschnitt des Lebens. Eine Besonderheit der Lebensphase Kindheit ist die Angewiesenheit von Schutz und Fürsorge durch Erwachsene (vgl. Graßhoff;Renker;Schröer 2018). Bei Erikson (vgl. Erikson 2017) nimmt die Ich-Entwicklung einen stärkeren Stellenwert ein als beispielsweise bei Freud. Der große Verdienst Eriksons ist darin zu sehen, dass er die Entwicklung als einen lebenslangen Prozess sieht, der auch über die Kindheit und Jugend hinaus spezifische Entwicklungsphasen erkennt. Die einzelnen Phasen seiner Theorie werden als psychosoziale Krisen wahrgenommen, die vom Individuum gelöst werden müssen. Die Grundidee besteht darin, dass jedes Kind im Laufe seiner Entwicklung mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben konfrontiert ist, die es in angemessener Weise bewältigen muss. Die Bewältigung nachfolgender Aufgaben wird wiederum erleichtert, wenn frühere Aufgaben erfolgreich bewältigt wurden.
Bei Havinghurst (1972) ist ein Teil dieser Entwicklungsaufgaben von allen Mitgliedern der Gesellschaft zu bewältigen. Der Schuleintritt kann bereits antizipatorisch vorbereitet werden, während andere Aufgaben unerwartet auftreten wie beispielsweise der Tod eines Elternteils. Die einzelnen Entwicklungsaufgaben können sich auf unterschiedliche Zeiträume erstrecken und reichen von kurzen Abschnitten bis zu Entwicklungsaufgaben, die sich über den gesamten Lebenslauf erstrecken (vgl. Kray 2019). Ich habe an dieser Stelle Havinghurst zitiert, weil er das „Anforderungs-Bewältigungs-Paradigma“ in die Entwicklungspychologie einführte. Es geht vor allem darum, dass es beim Misslingen einer Anforderungsbewältigung zu einem Belastungserleben kommen kann. Bei der Konfrontation mit einer Anforderungssituation kommt es zu einer Stressreaktion, wenn das Ereignis als relevant betrachtet werden. Sie macht dann ein Bewältigungsverhalten zwingend erforderlich. Hier kommt es in erster Linie darauf an, wie die jeweilige Situation von den Kindern bewertet wird. Schon die Ankündigung eines baldigen Schuleintritts kann von den Kindern als Stress erlebt werden. „Über die innere Gedrängtheit, die gleichsam psycho-physische Automatik des Strebens nach Gleichgewicht in kritischen Lebenssituationen, wissen wir einiges aus der Stressforschung“ (Böhnisch;Schröer 2013, S.20) Stress bezeichnet eine Zustandsbefindlichkeit, in der man sich unwohl und bedrängt fühlt und dieses Unwohlsein auch körperlich spürt. Der Körper strebt nach einem Gleichgewichtszustandes. Das Streben nach psycho-sozialem Gleichgewicht kann durchaus auch in kritischen Lebenssituationen der Kinder auftreten und ihre soziale Gesundheit negativ beeinflussen. Sie werden von ihren Problem alltagssprachlich „überwältigt“ und sind ihnen hilflos „ausgesetzt“. Böhnisch bedient sich auch der Psychoanalyse, wenn er von „Abspaltung“ oder „Entgrenzung“ spricht. Aus Sicht der Psychoanalyse ist das Subjekt nicht autonom, sondern das ausgesetzte Subjekt. Identität wird hier als Abwehr verstanden. Lacan (vgl. Pagel;Lacan 2012) zufolge ist das Subjekt geprägt durch eine Refente (= eine Spaltung), eine Division (= eine Teilung oder Spaltung). Das Subjekt der Psychoanalyse ist also ein „sujet divisé“ (= ein gespaltenes Subjekt). Böhnisch fordert dies bezüglich eine Neuformulierung des Subjektbegriffes in der Sozialen Arbeit hinsichtlich interpersonaler Bewältigungsdynamik vor dem Hintergrund sozialer Entgrenzungen (vgl. ebd, S.21). In kritischen Lebenssituationen, bei biografischen Brüchen, „bricht“ die Figur des Subjekts auf und wird zu einem Subjekt, welches sich selbst und anderen ausgesetzt, ausgeliefert fühlt.
Es gibt unterschiedliche Systeme zur Klassifikation des Bewältigungsverhaltens von Kindern. In der Regel wird von einer direkten Bewältigung, die auf Veränderungen der Belastungsreaktion selbst abzielt und von einer indirekten Bewältigung gesprochen, in der die Belastungssituation nicht unmittelbar angegangen wird. Bezogen auf den bevorstehenden Schuleintritt würde dies bedeuten, dass pädagogische Fachkräfte versuchen, den Belastungscharakter zu mildern, indem sie die Kinder auf den bevorstehenden Schuleintritt vorbereiten.
Der Sozialforscher Klaus Hurrelmann (2011) beschreibt eine zeitgenössisch-westliche Kindheit wie folgt:
„ Kindheit heute bedeutet, in einer ungesicherten sozialen Bindung aufzuwachsen, in einer Wettbewerbsgesellschaft zu leben, in der allein individuelle Leistung und sonst gar nichts zählt, in einer Freizeitwelt zu sein, die durch den Konsum und durch kommerzielle Wettbewerbsprozesse gekennzeichnet ist.“
Ina Kaul, Desirée Schmidt und Werner Thole sprechen von einer belasteten Kindheit einerseits und einer „Bildungskindheit“ andererseits (vgl. Kaul;Schmidt;Thole 2018). Da sich das Kind „von Anfang an“ bilden soll, wird das Lernen zur zentralen Lebensphase, in der Kinder als „politische Ressource“ zum Fortbestand des Wohlfahrtsstaates angesprochen werden. So werden immer mehr Kinder öffentlich betreut, um ihre Bildungschancen zu erhöhen. Ihr Alltag wird durch Ganztagsangebote strukturiert. Kindheit selbst wird somit zu einem Lebensalter, das in starkem Maße mit sozialer Arbeit verknüpft ist.
„ Die früher in die traditionalen Sozialmilieus eingebetteten Familien mit ihren gleichermaßen starren wie verlässlichen Partner-, Elternschafts- und Kindheitsmustern haben heute einen Großteil ihrer Selbstverständlichkeit eingebüßt “ (Böhnisch 2018a, S. 83).
Übergänge stellen eine „Brücke“ zwischen gewohnten und neuen Strukturen dar. Die Vertrautheit weicht im Übergang einer neuen Unvertrautheit der Schule gegenüber. Wie Griebel und Niesel richtig beschreiben, sind Anpassungsleistungen innerhalb kurzer Zeit erforderlich, um den Übergang bewältigen zu können.
Der Übergang von der Kita in die Grundschule bringt auf drei Ebenen Veränderungen mit sich: Auf der Ebene des Individuums, der Ebene der Beziehungen und auf der Ebene der Lebenswelt der Kinder und ihrer Eltern. Dabei handelt es sich jeweils um Diskontinuitäten in den Erfahrungen des Kindes, die es bewältigen muss. Da die Anpassungsleistungen in relativ kurzer Zeit erfolgen und verdichtete Lernprozesse mit sich bringen, bezeichnen Griebel & Niesel diese Anforderungen als Entwicklungsaufgaben (vgl. Niesel 2015):
Entwicklungsaufgaben auf individueller Ebene
Mit dem Übergang zum Schulkind verändert das Kind seine Identität. Starke Gefühle wie Neugier, Angst oder Stolz müssen von ihm in relativ kurzer Zeit bewältigt werden. Mit der Einschulung des Kindes erlebt das Kind zudem einen Wechsel seines sozialen Status. Ziel ist die Erlangung einer realistischen Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten. Es bedarf einer neuen Definition der eigenen Identität und des eigenen Selbst des Kindes.
Entwicklungsaufgaben auf Beziehungsebene (interkationale Ebene)
Bisher bedeutsame Beziehungen zu pädagogischen Fachkräften der Kita werden neu strukturiert und gehen häufig verloren. Eine neue Beziehung zur Lehrkraft und zu Mitschülerinnen und Mitschülern muss erst aufgebaut werden. Aber auch in der Familie des Kindes selbst kommt es zu Veränderungen, die bewältigt werden müssen. Zur Rolle des Kindes kommt die neue Rolle des Schulkindes hinzu.
Entwicklungsaufgaben auf Ebene der Lebenswelt (kontextuelle Ebene)
Der neue Lebensbereich der Grundschule muss in den Alltag des Kindes und seiner Familie integriert werden. Der Lehrplan tritt an die Stelle des selbstbestimmten Lernens der Kita. Die individuelle Erfahrungswelt des Kindes wird durch eine neue erweitert. Zudem wechselt das Kind zwischen zwei Lebenswelten, die der Familie und der Schule. Dieses „Pendeln“ zwischen den Lebenswelten macht Anpassungen an neue Strukturen erforderlich.
Lange Zeit standen ausschließlich die Risikofaktoren im Forschungsinteresse, wenn es darum ging, welche Risiken sich auf die kindliche Entwicklung negativ auswirkten. So wurde von Vulnerabilitätsfaktoren (= Verletzlichkeit) und von umweltbedingten Risikofaktoren (= Stressoren) gesprochen. Vulnerabilitätsfaktoren sind beispielsweise prä- , peri- und postnatale Faktoren, genetische Faktoren, unsichere Bindungsorganisation, geringe kognitive Fähigkeiten usw. Als Risikofaktoren galten vor allem ein niedriger sozio- ökonomischer Status wie Armut, psychische Erkrankungen und ein niedriges Bildungsniveau.
Aufgrund eines Paradigmenwechsel durch neuere Forschungserkenntnisse und einer daraus resultierenden salutogenetischen Sichtweise, sind neue Perspektive in den Blick der Wissenschaft gerückt, die den Fokus auf die Ressourcen und Schutzfaktoren von Kindern legen und zur Grundlage der Resilienzforschung 1 wurden. Bei den Schutzfaktoren werden personale Ressourcen, familiäre und soziale Ressourcen unterschieden. Sie können Risiken mildern und entwicklungsfördernd wirken. Personale Ressourcen werden nochmals in kindbezogene Ressourcen und Resilienzfaktoren unterschieden. Zu den personalen Ressourcen gehören neben Selbstwirksamkeit und den sozialen Kompetenzen auch die aktiven Bewältigungsstrategien. Zu den familiären Ressourcen zählt eine stabile Bindung zu mindestens einer Bezugsperson. Soziale Unterstützung und die vor allem die Qualität der Bildungssituation zählen zu den sozialen Ressourcen des Kindes (vgl. Wustmann 2018).
Andere Einteilungsgesichtspunkte wählen Scheithauer und Petermann (1999), die risikomildernde Faktoren in kindbezogene Faktoren (= weibliches Geschlecht, positives Temperament), erworbene Resilienzfaktoren (= positives Sozialverhalten, positives Selbstwertgefühl) sowie Schutzfaktoren bzw. umgebungsbezogene Faktoren (= eine stabile emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson innerhalb der Familie, soziale Unterstützung innerhalb des sozialen Umfeldes) einteilten.
Die kindbezogenen Faktoren, sowie die Resilienzfaktoren zusammengenommen, entsprechen dabei den personalen Faktoren, während der Begriff Schutzfaktoren bei Scheithauer und Petermann nur für die Faktoren gilt, die unter die Oberbegriffe der familien- bzw. umfeldbezogenen und somit der sozialen Faktoren fallen.
Schlussfolgernd muss das Kind Entwicklungsaufgaben auf verschiedenen Ebenen bewältigen, damit Übergange in die Grundschule erfolgreich gelingen. Einen wichtigen Punkt habe ich in diesem Zusammenhang bisher ausgelassen, wenn es um die Bewältigung starker Gefühle geht. Schon ein Jahr vor der Einschulung werden sich die Kinder ihrer neuen Rolle als Vorschulkind bewusst, weil sie jetzt „die Großen“ in der Kita sind. Gefühle wie Vorfreude, Neugier und manchmal auch Stolz überwiegen zu diesem Zeitpunkt. Gefühle wie Unsicherheit, Aufregung und auch Ängstlichkeit kommen erst im Laufe des letzten Kitajahres hinzu. Lothar Böhnisch würde meine Beobachtungen in der Kita als Bewältigungsreaktionen bezeichnen, da sie im Transitionsprozess eine Anpassung individueller Bewältigungsstrategien darstellen. Gelingt es den Kindern im Laufe des letztens Kitajahres diese weitgehend zu stabilisieren und in ein emotionales Gleichgewicht zu bringen, gelingen Übergänge für sich leichter. Die wichtigsten Voraussetzungen sind in diesem Kapitel benannt worden. Die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte sollte schon früh sein, die Kinder auf den Verlust von Beziehungen vorzubereiten und dabei den Aufbau neuer Beziehungen gestalten zu helfen. Es geht in der Vorbereitung des Übergangs nicht nur allein um die Vermittlung kognitiver Fähigkeiten, sondern vor allem um die emotionale Begleitung des Kindes.
2.3 Vier Erklärungsmodelle von Schulfähigkeit
Über die Frage nach der Definition von Schulfähigkeit besteht insgesamt keine Einigkeit. Die kontrovers geführte Debatte bewegt sich zwischen Anforderungen an die zukünftigen Schulkinder (kognitive Leistungen, soziale Kompetenzen, körperlicher Entwicklungsstand usw.) und Anforderungen an die institutionelle Bildung von Kita und Grundschule. Niesel spricht hier von ko-konstruktiven Prozessen zur Herstellung von Schulfähigkeit, der von Kindern zum einen Basiskompetenzen und zum anderen Vorläuferfähigkeiten abverlangen. (vgl. Griebel;Niesel 2004). Sie benennt drei Transitionsebenen im Übergang von der Kita in die Grundschule: (1) Übergang des Kindes von der Familie in die Kita, (2) Übergang für die Familie (die veränderten Rollen) und (3) das Übergangsmanagement von Kita und Grundschule.
Nach wie vor ist Schulfähigkeit aber das zentrale Schlüsselkonzept hinsichtlich der Gestaltung des Übergangs, eng verbunden mit dem Übergang sind Fragen sozialer Ungleichheit und ihrer Verfestigung im weiteren Bildungs- und Sozialisationsprozess aller Akteure. Daran schließen sich eine ganze Reihe von Forschungsprojekten an, denen es um die Rekonstruktion von Schulfähigkeitskonzepten und ihrer Verfestigung Sozialer Ungleichheiten im Übergang geht. Ebenso finden sich zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema in wissenschaftlichen Zeitschriften und in der Fachliteratur wieder (vgl. u.a. Cloos, Faust, Fthenakis, Kammermeyer).
Nachfolgend wird der Versuch unternommen, die verschiedenen Theorien von Schulfähigkeit vier Erklärungsmodellen zuzuordnen: Dem reifungstheoretisch- nativistischen, dem umweltorientiert-schulvorbereitenden, dem sozial-konstruktivistischen und dem interaktionistischen Modell.
2.3.1 Das reifungstheore@sch-na@vis@sche Erklärungsmodell
Das Erklärungsmodell basiert auf dem Begriff der Schulreife . Ein Kind muss „genügend weit“ entwickelt sein, um die mit der Einschulung verbundenen Aufgaben bewältigen zu können. Der beste Zeitpunkt der Einschulung ist hier immer das Alter des Kindes (Kern 1951). Aus diesem Grund können Kinder vorzeitig eingeschult oder von der Schule zurückgestellt werden. Ein Merkmal der Schulreife sind die so genannten Schulreifetests, die sich aber als unzuverlässig erwiesen haben. Man könnte eigentlich annehmen, dass das reifungstheoretische Modell mittlerweile als überwunden anzusehen ist. Wichtig anzumerken ist aber, dass in Deutschland das Alter immer noch als das zentrale Schuleingangskriterium gilt (vgl. Petermann;Daseking 2011). Die Kognitionsforschung hat angeregt, dass Kinder angeborene Lerner sind.
2.3.2 Das umweltorien@ert-schulvorbereitende Erklärungsmodell
Basierend auf dem Begriff Schulfähigkeit geht dieses Erklärungsmodell davon aus, dass es eine ganze Reihe an Fähigkeiten gibt - Buchstaben- und Zahlenkenntnisse, phonologische Bewusstheit, Wissen über die Schrift usw. - welche von den Kindern vor Schuleintritt erworben werden sollen. Beispiele für dieses Modell sind das „Perry Preschool Projekt“ 2 und das „Chicago Child-Parent Program“. 3 Ziel dieses Modells ist die Integration und die Kompensation sozialer Ungleichheit schon vor dem eigentlichen Schuleintritt der Kinder.
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1 psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen.
2 https://highscope.org/perry-preschool-project/
3 https://cps.edu/Schools/EarlyChildhood/Pages/Childparentcenter.aspx
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