Neugliederung Deutschlands? Eine Analyse der Rechtssituation von Gründung der BRD bis zur Verfassungsänderung 1976


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

25 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einführung von Artikel 29 GG

3. Ein geglücktes Modell: Der Südweststaat

4. Der unerfüllte Verfassungsauftrag
4.1. Die Volksbegehren bis zum Urteil 1961
4.2. Die Verfassungsänderung 1969
4.3. Die Kann-Bestimmung als Lösung

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Beglaubigung

1. Einleitung

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein föderativer Staat, doch über ihre bestehenden innergebietlichen Ländergrenzen herrschte bei weitem nicht immer Einigkeit. Unmittelbar nach der deutschen Kapitulation und der Besetzung durch die Alliierten teilten die vier Besatzungsmächte die Grenzen der Zonen vor allem nach militärischen Aspekten ein. Somit wurden neue Länder geschaffen (z.B. Württemberg-Baden), Gebiete abgetrennt (z.B. die Pfalz von Bayern), Länder verloren ihre Eigenständigkeit (z.B. Schaumburg-Lippe) oder wurden gar ganz aufgelöst (z.B. Preußen).

Um diese willkürliche Einteilung der Alliierten später zu korrigieren verankerte der Parlamentarische Rat Artikel 29 im Grundgesetz, der sich ausschließlich um die Neugliederung Deutschlands kümmern sollte.

Doch über all die Jahre hinweg entstanden immer nur wieder Debatten und Probleme um die Neugliederungsdiskussion, gehandelt hat die Bundesregierung selten. Hierbei ließ sie Paragraphen und Fristen außer Acht, verzögerte Volksentscheide oder setzte sich gar über sie hinweg. Durch das Erlassen neuer Bundesgesetze wurde altes Fehlverhalten korrigiert, oft nur grenzwärtig am Verfassungsbruch vorbei. Auch heute, 57 Jahre nach der Gründung der BRD, kam es zu keiner Neugliederung aufgrund von Artikel 29.

Diese Seminararbeit soll die Rechtssituation der Neugliederung der BRD darstellen, von ihren Anfängen – mit dem in Kraft treten des Grundgesetzes – über die Volksbegehren bis zum Hessen-Urteil 1961 und den langen Weg zu den Volksentscheiden 1970 und 1975 bis hin zu der Kann-Bestimmung 1976, welche die Diskussion über die Neugliederung vorerst beruhigte. Dargestellt werden soll auch die einzig gelungene Fusion – die Entstehung des Südweststaates –, welche jedoch bei weitem kein Mustermodell war.

Die Thematisierung der Seminararbeit orientiert sich hierbei immer streng am Grundgesetz und an der vorgebenden Rechtslage. Welche Fehler hat die Bundesregierung begangen? Welche Fristen hat sie nicht eingehalten? Welche Vorgaben von Artikel 29 wurden überschritten? War das Handeln der Regierung hierbei noch weitestgehend legal, oder machte sie sich gar einem Verfassungsbruch schuldig?

2. Einführung von Artikel 29 GG

Bereits vor der Entstehung der BRD wurden Zweifel laut an der, von den Alliierten willkürlich durchgeführten, Einteilung der deutschen Bundesländer. Die Landesgrenzen, die vor allem nach militärischen Aspekten gezogen wurden, sollten wieder nach wirtschaftlichen, sozialen und historischen Gründen eingeteilt werden.

Am 1. Juli 1948 übergaben die Militärgouverneure der westlichen Besatzungszone den westdeutschen Ministerpräsidenten die Frankfurter Dokumente, in denen die Bedingungen zur Gründung eines westdeutschen Staates enthalten waren. Dokument II regelt hierbei eine mögliche Neugliederung Deutschlands:

„Die Ministerpräsidenten sind ersucht, die Grenzen der einzelnen Länder zu überprüfen, um zu bestimmen, welche Änderungen sie etwa vorzuschlagen wünschen. Solche Änderungen sollten den überlieferten Formen Rechnung tragen und möglichst die Schaffung von Ländern vermeiden, die im Vergleich mit den anderen Ländern zu groß oder zu klein sind.“[1]

Doch eine Konferenz der Ministerpräsidenten und auch der Ländergrenzausschuss unter der Leitung des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Herrmann Lüdemann bringen keine nachhaltigen Erfolge. Somit wird der Parlamentarische Rat mit der Aufgabe der Regelung einer etwaigen Neugliederung betraut. Ausgiebig wird in der Generaldebatte des Grundsatz-ausschusses des Parlamentarischen Rates am 10.10.1948 die Frage nach dem Umfang der Bundeskompetenz, der Länderregierungen und der beteiligten Bevölkerung diskutiert. Da man die betroffene Bevölkerung nicht ganz außen vor lassen wollte, beschloss der Rat, dass zwar der Bund für die Neugliederung zuständig sein müsse, die Bevölkerung aber durch eine Art Referendum beteiligt sein sollte. Am 26.10.1948 legt die eingesetzte Redaktions-kommission unter Leitung des CDU-Abgeordneten Herrmann von Mangoldt dem Parlamentarischen Rat folgenden Entwurf vor: „Neugliederung des Bundesgebietes erfolgt von Bundes wegen durch Bundesgesetz.“[2], welcher ein halbes Jahr später, am 23.05.1949, Einzug ins Grundgesetz findet. Artikel 29 des Grundgesetzes regelte von nun an die Neugliederung des Bundesgebietes. Gegliedert in sieben Absätze umfasst er den verbindlichen Verfassungsauftrag einer Neugliederung der BRD (Abs.1). Zudem ist eine Volksabstimmung möglich; binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes kann jeder, dessen Landeszugehörigkeit sich ohne Abstimmung geändert hat, ein Volksbegehren fordern. Sollte ein Volksbegehren zustande kommen, bei dem es mindestens der Zustimmung eines Zehntel der betroffenen Bevölkerung bedarf, muss die Bundesregierung die Bestimmung über die Neugliederung aufnehmen (Abs.2). Nach erfolgreichem Volksbegehren ist in dem betroffenen Gebiet ein Volksentscheid durchzuführen (Abs.3). Sollte der Volksentscheid auch nur in einem Gebietsteil negativ ausfallen, wird der Gesetzentwurf erneut dem Bundestag vorgelegt und bedarf nach erneuter Verabschiedung einem Volksentscheid im gesamten Bundesgebiet (Abs. 4). Zudem setzt Artikel 29 eine Frist von drei Jahren nach Verkündigung des Grundgesetzes, in dem die Neugliederung Deutschlands abgeschlossen sein soll (Abs.6).

In folgendem Wortlaut wurde Artikel 29 im Grundgesetz verankert:

„(1) Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.
(2) In Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung geändert haben, kann binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden. Das Volksbegehren bedarf der Zustimmung eines Zehntels der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung. Kommt das Volksbegehren zustande, so hat die Bundesregierung in den Gesetzentwurf über die Neugliederung eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit aufzunehmen.
(3) Nach Annahme des Gesetzes ist in jedem Gebiete, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, der Teil des Gesetzes, der dieses Gebiet betrifft, zum Volksentscheid zu bringen. Ist ein Volksbegehren nach Absatz 2 zustande gekommen, so ist in dem betreffenden Gebiete in jedem Falle ein Volksentscheid durchzuführen.
(4) So weit dabei das Gesetz mindestens in einem Gebietsteil abgelehnt wird, ist es erneut bei dem Bundestag einzubringen. Nach erneuter Verabschiedung bedarf es insoweit der Annahme durch Volksentscheid im gesamten Bundesgebiete.
(5) Bei einem Volksentscheide entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
(6) Das Verfahren regelt ein Bundesgesetz. Die Neugliederung soll vor Ablauf von drei Jahren nach Verkündigung des Grundgesetzes und, falls sie als Folge des Beitritts eines anderen Teiles von Deutschland notwendig wird, innerhalb von zwei Jahren nach dem Beitritt geregelt sein.
(7) Das Verfahren über jede sonstige Änderung des Gebietsbestandes der Länder regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages bedarf.“[3]

Wie bereits erwähnt konnte bis zum heutigen Tage aufgrund Artikel 29 keine Länder-neugliederung stattfinden. Dies liegt aber weniger an den vorhandenen Vorschlägen und Plänen, sondern vielmehr an der Kompliziertheit der Verfassung, durch die eine Neugliederung nur schwerlich durchzuführen ist. Allein die Gründe, welche in Absatz 1 zur Neugliederung aufgeführt werden, sind nicht näher bestimmt. Was ist landsmannschaftliche Verbundenheit oder wer definiert die kulturellen Zusammenhänge? Deutsches Land besitzt eine mehr als tausendjährige Geschichte mit jeweils unterschiedlichen Gliederungen; wer definiert und bestimmt auf welchen geschichtlichen Zusammenhang man sich berufen darf? Doch nicht nur nach ihrem historischen Aspekt, sondern auch nach wirtschaftlichen Gründen und ihrem sozialen Gefüge sollen die Länder gegliedert werden. Eine genauere Definition was dies bedeuten soll erläutert das Grundgesetz nicht. Sollen hier also wenige, dafür große, Bundesländer geschaffen werden, die durch ihre Einnahmen und Struktur den Staatsaufgaben gewachsen sind? Wie passt dieser Aspekt aber dann zu den geschichtlichen Hintergründen?

Auch Absatz 2 bleibt rechtlich umstritten. Ein Volksbegehren kann zwar theoretisch von jedem Gebietsteil gefordert werden, dessen Landeszugehörigkeit nach der deutschen Kapitulation geändert wurde, jedoch ist diese Formulierung keineswegs eindeutig. Durch die Einteilung der Alliierten in zumeist militärisch günstige Gebiete, traf dies auf viele Orte und Bezirke zu. Doch hatte beispielsweise ein Volksbegehren der ehemaligen Regierungsbezirke Koblenz und Trier, welche früher zu Preußen gehörten, keine Aussicht auf Erfolg, da Preußen, spätestens seit dem 25.02.1947 mit der Auflösung durch das Kontrollratsgesetz Nr.46, nicht mehr existierte.[4]

Auf die Rechtslage der Volksbegehren soll später noch eingegangen werden, zunächst einmal bleibt zu erwähnen, dass auch die in Absatz 2 vorgeschriebene Frist rechtlich umstritten bleibt. Binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes sollen die Volksbegehren eingereicht werden. Zwar wird die Verfassung am 23.05.1949 verabschiedet und am selben Tage verkündet, doch trat sie hiermit auch in Kraft? Professor Friedrich Glum bezieht sich hierzu in einem Aufsatz auf ein Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure vom 12.05.1949, welches besagt:

„Wir möchten, daß klar verstanden wird, daß nach der Einberufung der in dem Grundgesetz vorgesehenen gesetzgebenden Körperschaft und nach Wahl des Präsidenten und der Wahl und Ernennung des Kanzlers und der Bundesminister in der dafür vorgesehenen Form die Regierung der Bundesrepublik Deutschland errichtet und das Besatzungsstatut in Kraft treten wird.“[5]

Die Regelung über die Neugliederung wird von den Alliierten also zunächst suspendiert und auf die Zeit verschoben, in der die BRD volle Souveränität erlangt, das heißt bis zur Beendigung des Besatzungsstatut am 5.05.1955 folgen keinerlei Konsequenzen. Somit erlangt das Grundgesetz erst mit der Regierung der BRD seine Gültigkeit und nicht schon mit dessen Gründung. Das die einjährige Frist der Volksbegehren somit 1956, und nicht schon 1950, ausläuft, hat somit wohl seine Richtigkeit, doch ungenau formuliert bleibt es nach wie vor.

Doch Artikel 29 Absatz 2 lässt noch mehr Spielraum zum Interpretieren. So ist hier die Rede von einem Volksbegehren, wenn mehr als ein Zehntel der betroffenen Bevölkerung eine Änderung der Landeszugehörigkeit fordert. Doch bei näherer Betrachtung des Absatzes wird klar, dass die Bevölkerung weniger Einfluss über diese Entscheidung hat, als es zunächst scheint. Trägt sich die erforderliche Menge in die Listen ein, muss die Bundesregierung zwar über einen Gesetzesentwurf debattieren, doch kommt es nicht zwingend zu einem entsprechenden Gesetzesentwurf. Absatz 3 jedoch fordert nach einem zustande gekommenen Volksbegehren auch zwingend einen Volksentscheid, bei dem die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet (Abs.5). Dass in der Geschichte der BRD ein Volksbegehren aber nicht unweigerlich zum Volksentscheid führt, und das Ergebnis des Volksentscheides nicht unweigerlich zwingend durchgeführt werden muss, werden wir im Folgenden noch sehen.

Im Falle einer Ablehnung des Volksentscheides – auch in nur einem Gebietsteil – wird das Gesetz erneut dem Bundestag vorgelegt und wird bei erneuter Verabschiedung vor der Bevölkerung des gesamten Bundesgebietes zum Volksentscheid gebracht. Durchaus ist es hier also rechtlich möglich, dass die Gesamtbevölkerung Deutschlands über die Nationalität der Bevölkerung eines einzelnen Gebietsteiles hinweg entscheidet.

Zudem muss die Bundesregierung bei ihrem Gesetzesentwurf nach wie vor die Kriterien des ersten Absatzes beachten und kann somit nicht unweigerlich jedem Volksbegehren stattgeben. Dass der Einfluss der betroffenen Bevölkerung hier also stark eingeschränkt wurde ist offensichtlich.

Wie schon erwähnt kam es aufgrund Artikel 29 nie zu einer Neugliederung des Bundesge-bietes. Ein geglücktes, wenn auch umstrittenes, Modell der Neugliederung gibt es in der deutschen Nachkriegsgeschichte jedoch. Spezialartikel 118 des Grundgesetzes sollte bei den gravierenden und damals hochaktuellen Problemen im Südwesten des Landes eine vereinfachte Form der Neugliederung zulassen.

3. Ein geglücktes Modell: Der Südweststaat

Vor der deutschen Kapitulation bestand der südwestdeutsche Raum aus den Ländern Baden und Württemberg (Abb.1). Die willkürliche Einteilung der Alliierten gliederte die Länder nun in Baden, bestehend aus Süd-Baden, Württemberg-Baden, bestehend aus Nord-Württemberg und Nord-Baden und Württemberg-Hohenzollern, bestehend aus Süd-Württemberg um das Gebiet Hohenzollern (Abb.2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Gliederung der Länder im südwestdeutschen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Gliederung der Länder im südwestdeutschen

Raum vor 1945[6] Raum nach dem Zuschnitt durch die Alliierten[7]

Statt zwei Ländern, gab es im südwestdeutschen Raum nun deren drei. Da dies aber unbefriedigend und unorganisch war, war eine Neugliederung des Südweststaates im Sinne jedes badischen und württembergischen Politikers.[8]

[...]


[1] Reinhold Weyer: Die Undurchführbarkeit einer Verfassungsbestimmung, S.102

[2] Ebd. S.108

[3] Reinhold Weyer: Die Undurchführbarkeit einer Verfassungsbestimmung, S.108f

[4] Vgl. Friedrich Glum: Die rechtlichen Voraussetzungen, das Verfahren und die Folgen der Neugliederung von Ländern nach dem Grundgesetz, S.186

[5] Ebd., S.190

[6] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/ff/Suedwest-vor1945.png/180px-Suedwest-vor1945.png (12.02.2006)

[7] http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2c/Suedweststaat.png (12.02.2006)

[8] Vgl. Klaus-Jürgen Matz: Länderneugliederung, S.79

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Neugliederung Deutschlands? Eine Analyse der Rechtssituation von Gründung der BRD bis zur Verfassungsänderung 1976
Université
University of Mannheim  (Seminar für Neuere Geschichte)
Note
2,0
Auteur
Année
2006
Pages
25
N° de catalogue
V52734
ISBN (ebook)
9783638483650
ISBN (Livre)
9783638662314
Taille d'un fichier
711 KB
Langue
allemand
Mots clés
Neugliederung, Deutschlands, Eine, Analyse, Rechtssituation, Gründung, Verfassungsänderung
Citation du texte
Nancy Schier (Auteur), 2006, Neugliederung Deutschlands? Eine Analyse der Rechtssituation von Gründung der BRD bis zur Verfassungsänderung 1976, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52734

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