Das Für und Wider der Zukunftsethik - Eine Auseinandersetzung mit Problemen der Zukunftsethik am Beispiel von Dieter Birnbachers 'Verantwortung für zukünftige Generationen'


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

18 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Dieter Birnbachers „Verantwortung für zukünftige Generationen“

3. Probleme innerhalb Birnbachers Zukunftsethik-Modell.
3.1. Ist Zukunftsethik aus logischen Gründen nicht möglich?
3.2. Abschätzbarkeit der Handlungsfolgen
3.3. Meßbarkeit des Nutzens
3.4. Erziehung der Nachkommen und Projektplanung

4. Schlußfolgerung.

Literaturnachweise

1. Einleitung

Verantwortung gegenüber künftigen Generationen ist ein Thema, das von Moralphilosophen in den letzten Jahren immer wieder aufgegriffen und behandelt wurde. Und das nicht ohne Grund: Die Vielzahl an ungekannten Möglichkeiten, die uns technische Errungenschaften bieten, läßt uns vermehrt gewahr werden, welche Tragweite menschliches Handeln haben kann. Entscheidungen, die wir heute treffen, beeinflussen anscheinend das Leben unserer Nachkommen in größerem Maße, als dies je zuvor für möglich gehalten wurde. Dieses Bewußtsein geht einher mit einem vergrößerten Ausmaß des Gegenstands unserer Verantwortung. Das gestiegene Maß der Verantwortlichkeit stellt auch die Ethik vor neue Herausforderungen. So muß man sich beispielsweise fragen, ob die Moralphilosophie in ihren traditionellen Ausprägungen diesen Herausforderungen Genüge tun kann, d. h. ob man sein Augenmerk nur verschärft auf theorieimmanente Teile richten muß, die sich mehr oder weniger implizit auf die Zukunftsdimension der Moralität beziehen, oder aber, ob es weitgreifende Veränderungen braucht, die diese Theorien auch im Kern modifizieren. Jedenfalls kann man Überlegungen dieser Art zum Thema moralphilosophischer Arbeiten machen, wenn man sich über Verantwortung für zukünftige Generationen Gedanken machen will.

Grundlegender aber ist die Frage, mit welcher Art von Anforderungen man es im Falle von intergenerationeller Gerechtigkeit ganz allgemein zu tun hat – und zwar erst einmal ungeachtet dessen, ob man das Problem durch eine deontologische oder teleologische Brille betrachtet. Mit anderen Worten: Kann es sinnvoll sein, den Gegenwärtigen Handlungsnormen vorzuschreiben, denen den Zukünftigen zugute kommen sollen? Wenn ja, in welchem Rahmen? Mit diesen Fragen sollte man sich bei der Beschäftigung mit der Zukunftsethik[1] zuallererst auseinandersetzen, denn nur, wenn man weiß, womit man es zu tun hat, läßt sich auch beurteilen, ob und in welchem Rahmen eine sinnvolle Auseinandersetzung damit überhaupt möglich ist.

In meiner Hausarbeit will mich diesen Fragen beschäftigen; natürlich weiß ich, daß ich eine derart umfassende Thematik in diesem Umfang nicht annäherungsweise erschöpfend behandeln kann. Allerdings glaube ich, daß es möglich ist, einige strukturelle Eigenheiten des Problems der Verantwortung für zukünftige Generationen zu umreißen und in Auseinandersetzung mit Dieter Birnbachers gleichnamigem Buch[2] exemplarisch aufzuzeigen.

Zuerst werde ich die Fragestellung und die Grundzüge von Birnbachers „Verantwortung für zukünftige Generationen“ knapp vorstellen, um mich dann grundlegenden Problemen zuzuwenden, Problemen, die teils mit jeder Form von Zukunftsethik zu tun haben, teils mit Birnbachers utilitaristischem Ansatz im besonderen zusammenhängen. Ich werde diese Probleme diskutieren und versuche darzustellen, ob es sich dabei um Schwierigkeiten handelt, die Zukunftsethik per se unmöglich machen, oder sich diese Probleme unter Umständen vermeiden lassen, bzw. ob Birnbacher sie in seinem Modell vermeidet. Abschließend werde ich meine Ergebnisse zusammenfassen.

2. Dieter Birnbachers „Verantwortung für zukünftige Generationen“

Es verwundert nicht, daß sich vor allem Vertreter konsequenzialistischer Moralsysteme mit dem Problem der Verantwortung gegenüber Zukünftigen auseinandergesetzt haben.[3] Es spielt ja für ethische Systeme, in denen es vor allem um die Verwirklichung bestimmter Weltzustände geht, eine entscheidende Rolle, daß diese Zustände auch tatsächlich erreicht werden und in der Zukunft so lange wie möglich fortbestehen.

Betrachtet man das Thema aus der klassischen utilitaristischen Sicht[4], kommt hinzu, daß gefordert wird, eine Nutzensumme weitestmöglich zu maximieren, die man als subjektives Glücksempfinden definiert. Die Nutzensumme kann am einfachsten maximiert werden, wenn es möglichst viele Individuen gibt, die – zumindest potentiell – Träger von positiv gefärbten mentalen Zuständen sein können. Zwar macht es für den klassischen Utilitaristen keinen Unterschied, ob es zehn oder tausend Individuen sind, auf die sich ein jeweils gleicher Nutzen verteilt. Allerdings, vorausgesetzt dieser Nutzen ist meßbar, kann sich der Utilitarist mit seiner Auffassung immer nur auf faktischen Nutzen in der Gegenwart oder der Vergangenheit beziehen. Über Nutzen, der in der Zukunft empfunden wird, kann er nur in Form von Wahrscheinlichkeiten reden, es sei denn, er ist Hellseher. Je mehr Individuen es in der Zukunft gibt, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß der Gesamtnutzen durch sie sein Optimum erreicht. Deshalb ist es für den Utilitarismus geradezu eine Pflicht, sich darum zu kümmern, daß es auch in der Zukunft möglichst viele potentielle Nutzenträger gibt. Aus diesem Grund muß es in utilitaristischer Zukunftsethik[5] zuallererst darum gehen, Handlungsnormen für uns Gegenwärtige zu entwickeln, um den Fortbestand der menschlichen Spezies zu sichern. Das kann allerdings nicht mehr als eine Voraussetzung utilitaristischer Zukunftsethik sein, denn es geht ja hauptsächlich darum, Strategien zu formulieren, die den Nutzen der Zukünftigen maximieren.

Dieter Birnbachers Beitrag zur moralphilosophischen Diskussion über intergenerationelle Gerechtigkeit ist ein Beispiel für eine utilitaristische Behandlung dieser Thematik. Birnbacher entwickelt hier ein Zukunftsethik-Modell, das vor allem den Anspruch hat, praktikabel zu sein, und die kognitiven und motivationalen Defizite realer Akteure, an die es sich ja richtet, zu berücksichtigen. Dabei bezieht Birnbacher die theoretische Fundierung seines Modells mit ein. Stufenweise schreitet Birnbacher von den Voraussetzungen einer Idealethik zu Sekundärprinzipien[6]: Zu allererst wird der Universalismus als eine zumindest ideale Voraussetzung einer jeden Ethik begründet, allerdings nicht intuitiv, sondern weil es nach Birnbacher keinen rationalen Grund gibt, warum man den Egoismus oder den Kollektivismus Moralprinzipien, die für alle Akteure Geltung haben, vorziehen sollte[7]. Außerdem wird der Durchschnittsnutzenutilitarismus gegenüber dem Nutzensummenutilita-rismus abgewertet, was aus Perspektive des klassischen Utilitarismus auch Unterstützung findet. Schließlich ist derjenige von zwei Weltzuständen „besser“, in dem es ein Mehr an Nutzen gibt.[8]

Anschließend folgen einige Bemerkungen zu Idealnormen, die Defizite menschlicher Akteure nicht in Rechnung stellen. Idealnormen richten sich so auch nur an ideale (und universalistische) Akteure, die von diesen rigiden Normen nicht überfordert werden können. In einer Welt, in der ausschließlich solche Akteure leben, ist das Niveau des Gesamtnutzen auf seinem Optimum. Ein idealer Akteur versucht jede Entscheidungsoption mit einem utilitaristischen Nutzenkalkül zu bewerten, und dann diejenige Entscheidung zu treffen, die (für alle) das größtmögliche Maß an Nutzen verspricht. Affektive Bindungen oder Interessen außer der Nutzenmaximierung kennt er nicht, der ideale Akteur dient ausschließlich der theoretischen Fundierung von Birnbachers Modell. Dabei läßt sich Birnbacher von der Frage leiten: Welche Normen müßten in einer Gemeinschaft gelten, um den Nutzen aller zu maximieren, vorausgesetzt, daß das niemanden überfordert?

Birnbacher unterstellt, daß ein idealer Akteur nach den Regeln des „intergenerationellen Nutzensummenutilitarismus“ (NSU) handeln würde, da ein solches System am ehesten für Nutzenmaximierung bürge, und zwar unter Einbeziehung künftiger Generationen. Birnbacher begründet den intergenerationellen NSU auf idealethischer Ebene, indem er axiomatisch behauptet, daß wir, „wenn wir überhaupt zu etwas verpflichtet sind, dann [...] dazu“[9], eine bessere Zukunft zu verwirklichen. Allerdings setzt er dabei das Postulat der Nutzenmaximierung, das ja der einzige außermoralische Bezugspunkt der klassischen utilitaristischen Ethik ist, schon voraus: Das Argument, mit dem Birnbacher sein Utilitarismuskonzept begründen will, ist also zirkulär[10].

[...]


[1] Ich benutze dieses Wort der Einfachheit halber, auch wenn es sich dabei um einen Pleonasmus handelt, wie Birnbacher gezeigt hat. Vgl. Birnbacher: Verantwortung für zukünftige Generationen, Stuttgart 1988. S. 98.

[2] S. Anm. 1.

[3] Vgl. Ott: Moralbegründungen zur Einführung, Hamburg 2001. S. 94.

[4] Gemeint ist der Nutzensummen-Utilitarismus, den Bentham und Mill vertraten und den auch Birnbacher aufnimmt.

[5] Das gilt allerdings nur für den klassischen Nutzen-Utlitarismus, nicht für den negativen „Schadensvermeidungsutlitarismus“, nach dem Bedingungen denkbar sind, unter denen eine Welt ohne Lebewesen einer Welt mit Lebewesen vorzuziehen ist. Vgl. Birnbacher: Analytische Einführung in die Ethik, Berlin 2003. S. 237.

[6] Birnbacher nennt seine Sekundärprinzipien „Praxisnormen“.

[7] Birnbachers utilitaristische Begründung des Universalismus besteht darin, daß weder Kollektivismus noch Egoismus zu Moralprinzipien taugen, da Moralprinzipien der Anerkennung aller bedürfen. Implizit spielt dabei wohl auch die Prämisse eine Rolle, daß die Nutzensumme durch ein Moralsystem vergrößert wird, in dem allen die gleichen Rechte zugesprochen werden und sich keiner benachteiligt fühlt. Vgl. Birnbacher 1988, S. 53.

[8] Vgl. Birnbacher 1988, S. 66. Dazu auch Birnbacher 2003, S. 222.

[9] S. Birnbacher 1988, S. 103.

[10] Ott weist darauf hin, daß man Moralprinzipien nur begründen kann, wenn man entweder nicht-beweisbare dogmatische Axiomata einführt („dogmatischer Abbruch“), sich auf einen unendlichen Regreß einläßt oder auf eine petitio principii stützt. Da keine dieser Vorgehensweisen – wissenschaftlich gesehen – einwandfrei ist, uns aber keine andere, wissenschaftlich einwandfreie Form der Moralbegründung zur Verfügung steht, sollte man zirkuläre Argumente als ein zulässiges Mittel zur Moralbegründung akzeptieren. Vgl. Ott 2001, S. 65ff.

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Das Für und Wider der Zukunftsethik - Eine Auseinandersetzung mit Problemen der Zukunftsethik am Beispiel von Dieter Birnbachers 'Verantwortung für zukünftige Generationen'
Université
Free University of Berlin
Note
1,3
Auteur
Année
2005
Pages
18
N° de catalogue
V53299
ISBN (ebook)
9783638487948
ISBN (Livre)
9783656787174
Taille d'un fichier
532 KB
Langue
allemand
Mots clés
Wider, Zukunftsethik, Eine, Auseinandersetzung, Problemen, Zukunftsethik, Beispiel, Dieter, Birnbachers, Verantwortung, Generationen
Citation du texte
Till Stüber (Auteur), 2005, Das Für und Wider der Zukunftsethik - Eine Auseinandersetzung mit Problemen der Zukunftsethik am Beispiel von Dieter Birnbachers 'Verantwortung für zukünftige Generationen', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53299

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