Burnout durch Prokrastination? Hintergründe, Zusammenhang und wichtige Einflussfaktoren


Fachbuch, 2020

134 Seiten

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einführung
1.1 Gegenstand und Problemstellung
1.2 Aufbau der wissenschaftlichen Arbeit

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Das Konstrukt Prokrastination
2.2 Das Burnout-Syndrom
2.3 Leader Member Exchange
2.4 Person-Job-Fit
2.5 Organisationsklima

3 Zielbild der Arbeit

4 Forschungsfragen und Hypothesen

5 Methode
5.1 Untersuchungsdesign
5.2 Beschreibung der Zielgruppe
5.3 Messinstrumente und diagnostisches Verfahren zur Datenerhebung
5.4 Datenerhebung durch Online-Umfrage
5.5 Datenauswertung

6 Ergebnisse
6.1 Beschreibung der Stichprobe
6.2 Beschreibung der Ergebnisse des Forschungsmaterials
6.3 Betrachtung des Forschungsthemas
6.4 Überprüfung der aufgestellten Hypothesen

7 Diskussion

8 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anlagen

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Impressum:

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Abstract

Für zahlreiche Arbeitnehmer in Deutschland steht Prokrastination an der Tagesordnung. Das vom Betroffenen selbst herbeigeführte, unergründbare Aufschieben von Erledigungen oder Entscheidungen, selbst dann, wenn es spürbar negative Folgen mit sich bringt, ist gefährlich. Es sorgt nicht nur für extreme betriebliche und organisatorische Schäden, so kann Prokrastination beim Betroffenen auf lange Sicht das Burnout-Syndrom hervorrufen.

Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es den Zusammenhang zwischen dem Phänomen Prokrastination und dem Burnout-Syndrom im Rahmen einer empirischen Untersuchung im beruflichen Kontext festzuhalten. Dazu wurden die folgenden Forschungsfragen gestellt: Inwiefern steht die Prokrastinationstendenz von Arbeitnehmern und Anzeichen des Burnout-Syndroms in Zusammenhang? Inwieweit spielt dabei die Beziehung zur Führungskraft bzw. das Organisationsklimas des Unternehmens und der persönliche Person-Job-Fit eine Rolle?

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurde eine Online-Befragung durchgeführt, die sich an deutschsprachige Arbeitnehmer richtete. Dabei wurden die einzelnen Variablen Prokrastination, Burnout, LMX-Beziehung, Organisationsklima und der Person-Job-Fit mit wissenschaftlichem Material gemessen.

Die Ergebnisse zeigen, dass es einen signifikanten Zusammenhang (r = 0.459) zwischen dem Phänomen Prokrastination und dem Burnout-Syndrom gibt. Auch haben die genannten Variablen im Rahmen des Forschungsmodells positiven Einfluss auf diesen Zusammenhang. Dies zeigt, dass die Kontextfaktoren eine maßgebliche Wirkung auf Prokrastination in Bezug auf das Burnout-Erleben der Arbeitnehmer hat und welche Verantwortung und Wirkung das Unternehmen und auch die Führungskraft auf den psychischen Zustand der Arbeitnehmer haben.

Mit dieser Studie sollte das Bewusstsein geschärft werden, wie wichtig es ist, dass in der Arbeit der Organisationsentwicklung, im Change-Management und in der direkten Führungsaufgabe ein Fokus auf das Phänomen Prokrastination gelegt wird. Denn Interventionen können langfristig mögliche Folgen wie bespielweise das Burnout-Erleben mindern.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Störungsmodell Prokrastination – Arbeitsmodell

Abbildung 2: Das Rubikonmodell

Abbildung 3: Modell Burnout-Syndrom

Abbildung 4: Das mehrdimensionale Burnout-Modell

Abbildung 5: Symptome des Burnout-Syndroms

Abbildung 6: Überlappung und Abgrenzung von Burnout und Depression

Abbildung 7: Prozess der LMX-Theorie

Abbildung 8: Das grundlegende Forschungsmodell der Studie

Abbildung 9: Frage zum Person-Job-Fit / Screenshot aus Umfrage

Abbildung 10: Statistik der Online-Umfrage

Abbildung 11: Verteilung Altersgruppen/Geschlecht der Stichprobe

Abbildung 12: Beschäftigungsdauer beim akt. Unternehmen / Dauer der Dyade zwischen Mitarbeiter und Führungskraft

Abbildung 13: Branchenverteilung der Teilnehmer

Abbildung 14: Größe der Unternehmen der Teilnehmer an Hand der Beschäftigtenzahl

Abbildung 15: Streuung der Prokrastinationstendenz, Variable: V100PR

Abbildung 16: Streuung des Leitsymptoms "Emotionale Erschöpfung" von Burnout nach dem MBI-GS-D, V200.E

Abbildung 17: Ergebnisse Person-Job-Fit - Verteilung der Aussagen der Teilnehmer

Abbildung 18: Zusammenhang zwischen Prokrastination und Burnout

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Übersicht der Messverfahren

Tabelle 2: Übersicht der Faktoren in Bezug zum mehrdimensionalen Burnout-Modell

Tabelle 3: Übersicht der Phasenmodelle mit Bezug zum Anlagenverzeichnis

Tabelle 4: Darstellung der Allgemeinen Informationen im Rahmen der Umfrage

Tabelle 5: Mittelwerte und Standardabweichung des APROF aus der vorliegenden Umfrage (n=276)

Tabelle 6: Darstellung der Quartile der Umfrage-Ergebnissen

Tabelle 7: Darstellung der Ergebnisse des MBI-GS-D

Tabelle 8: Korrelationsmatrix der Subskalen von MBI-GS-D

Tabelle 9: Übersicht der Ergebnisse der Variable "Person-Job-Fit (V46)

Tabelle 10: Darstellung der Variablen des erfassten Organisationsklimas

Tabelle 11: Zusammenerfassung der Ergebnisse der LMX-7-Skala

Tabelle 12: Korrelationsmatrix der Dimensionen der LMX-7-Skala

Tabelle 13: Multivariate Regressionsanalyse Hypothese 2

Tabelle 14: Multivariate Regressionsanalyse Hypothese 3

Tabelle 15: Multivariate Regressionsanalyse Hypothese 4

Tabelle 16: Multivariate Regressionsanalyse Hypothese 5

Tabelle 17: Multivariate Regressionsanalyse Hypothese 6

Tabelle 18: Multivariate Regressionsanalyse Hypothese 9

1 Einführung

1.1 Gegenstand und Problemstellung

„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“

„Morgen, morgen, nur nicht heute! Sagen alle faulen Leute.“ (Christian Felix Weiße)

Der Volksmund kennt viele dieser zitierten Sprüche und Redewendungen, welche vor dem Aufschieben von Aufgaben warnen. Zudem zeigt es auch, dass das Aufschieben schon immer ein Verhalten ist, das in unserer Gesellschaft gegenwärtig war und ist.

Wer kennt es nicht!? Jeder von uns erlebt die Situation, unangenehmen Aufgaben aus dem Weg zu gehen, in dem sie einfach auf einen späteren Zeitpunkt verdrängt werden. Mit dem Aufschieben von unangenehmen Aufgaben, Entscheidungen und Situationen verhilft man sich zu einer schnellen Belohnung und vermeidet Frustration. Sogenannte Ersatzhandlungen wie Aufräumen, Blumengießen oder Kontaktpflege verhelfen zu dem Gefühl, die Zeit ja dennoch sinnvoll genutzt zu haben.

Diese umgangssprachlich genannte Aufschieberitits oder Aufschieberei wird im Fachjargon auch Prokrastination genannt.

Weit verbreitet ist Prokrastination auch unter Studenten, die sich oft unter Erfolgsdruck fühlen, dass die jungen Menschen gar nicht erst mit dem Lernen beginnen. Eine Studie unter Studenten zeigte beispielsweise, dass 80 % bis 95 % aller Studierenden in ihrem Leben gelegentlich aufschieben (Schouwenburg, Lay, Pychyl & Ferrari, 2004).

Wer aber mit diesem Verhalten immer wieder konfrontiert wird, kann unter Umständen sich auch langfristig psychisch belasten. Eine Untersuchung von Studenten (Gumz, Brähler & Erices, 2012) zeigt, dass das dauernde Aufschieben Gewissensbisse verursacht, das Selbstwertgefühl negativ beeinflusst und auch psychosomatische Beschwerden und ein Burnouterleben mit sich bringt, sobald der unerledigte Aufgabenberg und der damit verbundene Druck immer größer wird.

Doch ist dieses Phänomen nur auf das private oder schulische Umfeld, bei dem es subjektiv betrachtet oft vorkommt, beschränkt? Umso interessanter ist es, die Prokrastination auch im beruflichen Kontext näher zu beleuchten. Schenkt man dem im vorweggenannten Sprichwort von Weiße Bedeutung, so ist Faulheit auch im beruflichen Alltag vermutlich täglich zu beobachten.

Unterschätzte Aspekt des Aufschiebens sind die Folgen und Konsequenzen. Oft glaubt man, dass ein bisschen Druck und die Klarstellung der negativen Konsequenzen des Aufschiebens weiterhelfen um den Betroffenen wieder „auf Spur“ zu bringen. Doch so einfach ist es nicht immer. Für Mitarbeiter in Unternehmen kann die Problemverschiebung selbst, eine bereits vorhandene Arbeitsüberlastung noch zusätzlich verstärken. Stressbedingte Erkrankungen wie Burnout können somit noch verstärkt angefeuert werden. Auch innerhalb eines Teams können sich negative Stimmungen ausbreiten. Eine mögliche unterschwellige Hilflosigkeit in solchen Situationen belasten soziale Beziehungen zu Kollegen und der eigenen Führungskraft. Die Folgen: höhere Krankheitsraten, Burnout-Fälle, verringertes Engagements und innere oder tatsächliche Kündigungen (Ludwig-Maximilians-Universität München, 2014). In unternehmerischem und volkswirtschaftlichem Kontext bedeutet das, dass Ziele verfehlt, Qualität verloren geht, Aufträge scheitern, Kunden unzufrieden sind und zu guter Letzt ein enormer Reputationsschaden intern als auch extern für die Organisation entstehen kann.

Stellt man sich vor, welcher monetäre Schaden durch die zuletzt aufgezählten Aspekte kurzfristig und auch langfristig entstehen kann, desto wichtiger ist es in der Arbeits- und Organisationspsychologie den Arbeitsfaktor „Mensch“ näher zu betrachten. Denn am Schluss ist das „Aufschieben“ schließlich nur ein Verhalten, das am Ende eines komplexen Bedingungs-Modells mit zahlreichen Einflussfaktoren steht (Höcker, Engberding & Rist, 2017).

Auch das bereits durch Gumz et al. (2012) festgestellte Burnouterleben im Zusammenhang mit Prokrastination ist ein interessanter Aspekt im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung der neuen Burnout-Diagnosen in Deutschland. Denn diese haben sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdreifacht (Ducki & Badura, 2018). Gibt es hier einen möglichen Zusammenhang?

1.2 Aufbau der wissenschaftlichen Arbeit

Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Phänomen Prokrastination und dem Burnout-Syndrom im beruflichen Kontext. Hierfür stelle ich zunächst die theoretischen Grundlagen zur Prokrastination und Burnout dar. Während der umfangreichen Recherche bin ich auf weitere Teilaspekte sowie interessante Einflussfaktoren gestoßen. Diese sind: die Beziehung zur Führungskraft, das Organisationsklima und den Person-Job-Fit, welche hier ebenfalls in der Theorie dargestellt und im Forschungsdesign aufgegriffen werden.

Die Formulierung der Zielsetzung im Kapitel 3 rundet die theoretischen Grundlagen ab und führt hin zur empirischen Forschungsleistung.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Das Konstrukt Prokrastination

2.1.1 Begriffserklärung und Definition von Prokrastination

Der Ausdruck „Prokrastination“ beschreibt die Verlagerung einer Entscheidung oder einer Aktivität von einem früheren auf einen späteren Zeitpunkt (Höcker et al., 2017). Das englische „to procrastinate“ geht auf das lateinische Verb procrastinare zurück, welches „aufschieben“ oder „vertagen“, aber ohne wertende Nebenbedeutung, übersetzt. Früher im alten Rom war der Ausdruck procrastinare durchaus auch positiv gewertet, gemeint war das kluge Aufschieben im Rahmen militärischer Taktik (Helmke & Schrader, 2000). Es war also eine durchaus weise und geschickte Entscheidung, nicht zu handeln und abzuwarten (J. R. Ferrari, Johnson & MacCown, 1995). Erst in jüngeren Zeit, mit der industriellen Revolution, bekam der englische Ausdruck procrastination negative Bedeutung im Kontext des Aufschiebens und des Vermeidungsverhaltens (Helmke & Schrader, 2000). In der Gegenwart wird entgegen der ursprünglichen Interpretation das Aufschieben als unüberlegten Handelns verwendet (Höcker et al., 2017).

In dieser Arbeit werden die Begriffe Prokrastination, Aufschieben und Aufschiebeverhalten als Synonyme verwendet. Personen, die dieses Verhalten zeigen, werden im Verlauf als Prokrastinierende benannt.

Im Vergleich zur Forschung der Persönlichkeitspsychologie gibt es im Verhältnis dazu, sehr wenige Erkenntnisse über Prokrastination. Vereinzelte Studien wurden bereits in den 70er Jahren in Amerika durchgeführt. Ein stärkeres Interesse ergab sich für dieses Thema erst in den 1990er Jahren. Die meisten Untersuchungen stammen aus dem englischsprachigen Raum. Rund 90 % befassen sich mit „akademischer Prokrastination“, hiermit ist die Prokrastination von Studierenden gemeint. Unter Studenten ist Prokrastination wie bereits im Kapitel 1.1. ein weit verbreitetes Phänomen.

Im Rahmen der bisherigen Forschungsliteratur lässt sich das Phänomen Prokrastination unterschiedlich definieren. Eine interessante Definition wurde von Katrin Klingsieck (2013) vorgeschlagen und bezieht sich auf eine nicht zielgerichtete oder negative Prokrastination. Diese kennzeichnet sich an Hand von den folgenden sieben Merkmale (Klingsieck, 2013):

1. Eine intendierte Handlung,
2. die notwendig oder von persönlicher Bedeutung ist,
3. wird aufgeschoben,
4. obwohl dem Individuum bewusst ist, dass dies negative Konsequenzen hat.
5. Dieser Aufschub erfolgt ohne externe Zwänge,
6. ist unnötig oder irrational (nicht zielgerichtet)
7. und geht mit subjektivem Unbehagen oder anderen negativen Konsequenzen einher.

Diese Definition ermöglicht es, Prokrastination von anderen Formen des Handlungsaufschubs abzugrenzen. Beispielsweise wird das sogenannte Self-Handicapping von Rhodewalt und Vohs (2007) beschrieben, welches den gezielten Aufschub von Aufgaben beschreibt, damit im Falle eines Misserfolgs eine selbstwertdienliche Erklärung („ich konnte das ja nicht schaffen, weil…“) gefunden wird. Auch ist Prokrastination davon abzugrenzen, gezielt Aufgaben aufzuschieben aufgrund der Annahme, dass man unter Zeitdruck deutlich schneller und effizienter arbeiten kann. In der Literatur wird dieses Phänomen auch als „active procrastination“ (Chu & Choi, 2005) bezeichnet. Beide zuletzt genannten Formen des Aufschiebens erfüllen nicht die Kriterien von Klingsieck (2013). Denn in beiden Fällen erhofft man sich durch das aktive Handeln einen Nutzen, gegebenenfalls treten keine negativen Konsequenzen ein.

Im Grunde kann Aufschieben wie es auch Rist, Engberding, Patzelt und Beißner (2006) beschreiben, als Prokrastination bezeichnet werden, wenn persönlich wichtige Aufgaben zugunsten weniger wichtigeren Aufgaben aufgeschoben werden. In der Konsequenz verursacht die vorgezogene Aufgabe aber kein Vorteil für die Erreichung des Ziels – gegensätzlich wird die Zielerreichung sogar gehemmt. Auch wird betont, dass die aufgeschobenen Aufgaben im Grunde Abneigungsgefühle auslösen und dass die vorgezogenen Aufgaben eher kurzfristig auftreten, schnell und einfach zu bewältigen sind.

Im Rahmen meiner Literaturrecherche für die Erstellung des Exposés konnte ich auch noch folgende Definitionen für das dysfunktionale Aufschiebeverhalten finden (Amann, 2019):

„Procrastination

- manifests itself in frequent delays in starting and/or compelting tasks to deadline.“ (Ferrari et al., 1995)
- [means] voluntarily delaying an intended course of action despite expecting to be worse off for he delay.“ (Steel, 2007)

Zunehmend entdeckt man in der Literatur handlungsregulatorische Erklärungsansätze. Helmke & Schrader (2000) sehen Prokrastination gemäß „als eine spezifische Manifestation gestörter Prozesse der Selbstregulation im Verhalten – sowohl im motivationalen als auch im volitionalen Bereich“ (Helmke & Schrader, 2000, S. 223).

Im Folgenden wird spezifischer auf die Erklärungsansätze eingegangen.

2.1.2 Erklärungsansätze von Prokrastination

2.1.2.1 Der verhaltensbezogene Ansatz

Befragt man Prokrastinierende, so wissen die Betroffenen paradoxerweise sehr gut Bescheid über ihr Verhalten und können dies auch gut beschreiben. Sie realisieren auch durchaus in einer Situation, welche Aufgaben eigentlich wichtig wären und welche unnützen Aufgaben sie in dem Moment vorschieben. Bei der Ansprache auf ihren Arbeitsstil, verteidigen sie ihn aber dennoch rational – ganz nach dem Motto „Ich kann nur unter Druck arbeiten“. Oder aber auch akzeptieren sie ihre Prokrastination mit der Aussagen „ich bin halt so ein Mensch…“ (Höcker et al., 2017). Auch wenn das eigene Verhalten sehr gut reflektiert wird, behalten die Prokrastinierende ihr Handeln bei, obwohl ihnen die negativen Folgen offensichtlich bewusst sind. J. R. Ferrari und Patel (2004) haben in einer Studie herausgefunden, dass Menschen die aufschieben andere Menschen, die das selbe Verhalten zeigen, eher als unsympathisch einordnen. Dies ist auch ein Grund, weshalb Betroffene eigentlich auch eine gewisse Unzufriedenheit mit sich selbst verspüren. Aber durch die oben genannten Verhalten gegenüber Dritten verargumentieren.

Wer prokrastiniert, der findet ganz viele Alternativaufgaben umso attraktiver, desto länger die Erledigung der wichtigen Aufgaben in der Zukunft liegt. Je näher der Erledigungstermin kommt, umso stärker steigt die in die Zukunft geschobene Arbeitsbelastung. In Summe ist der Arbeitseinsatz um das Ziel zu erreichen bei Prokrastinierenden deutlich höher als bei Nicht-Prokrastinierenden (Dewitte & Schouwenburg, 2001). Auch festgestellt wurde, dass Prokrastinierende soziale Aktivitäten attraktiver empfinden, als Nicht-Prokrastinierende. Zudem wird die Tätigkeit selbst, bei der prokrastiniert wird, als unangenehmer im Vergleich zu den Nicht-Prokrastinierenden eingeschätzt (Steel, 2007). Interessant ist schlussendlich auch, dass in der Planungsphase um die Aufgabe zu erreichen (bspw. ein Bericht bis spätestens Ende des Monats fertigzustellen) sowohl bei Prokrastinierenden, als auch bei nicht Betroffenen gleich intensiv und zielgerichtet ist. Somit muss wohl eine Diskrepanz zwischen Intention und der eigentlich Handlung liegen (Steel, 2007).

Somit scheint Prokrastination als ein Versuch, die eigene Stimmung im aktuellen Moment dadurch zu verbessern, in dem unangenehme und aversive Aufgaben in die Zukunft verlegt werden. Die unangenehmen Konsequenzen des Aufschiebens – der erhöhten punktuellen Arbeitsbelastung oder der Nichterreichung der Aufgabe – wirken zum Zeitpunkt der Prokrastination nicht verhaltenssteuernd, da diese zeitlich weit entfernt sind (Höcker et al., 2017). Dieser Erklärungsansatz ist in der Abbildung 1 nochmals bildlich dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Störungsmodell Prokrastination – Arbeitsmodell (Höcker, Engberding et. al., 2017)

2.1.2.2 Der motivational-volitionale Ansatz

Steel (2007) stellte fest, dass sich wohl eine Diskrepanz zwischen der Intention, also der Wunsch ein Ziel zu verfolgen oder eine Aufgabe zu bewältigen und der eigentlichen Handlung liegt. Eine mögliche Erklärung aus der Motivations- und Volitionspsychologie stellt das sogenannte Rubikonmodell, sie auch Abbildung 2 von Heckhausen, Gollwitzer und Weinert (1987) auf:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das Rubikonmodell (Höcker et al., 2017)

Die Theorie von Heckhausen und Gollwitzer (Heckhausen et al., 1987) ermöglicht es, eine Handlung aufgeteilt in Phasen über ihren gesamten Verlauf hinweg zu betrachten. Im Fokus steht die Umsetzung einer Intention (einem Wunsch) in eine Handlung. Die Planung der Handlung spielt dabei aber eine wesentliche Rolle.

Wie in der Abbildung 2 zu sehen ist, untereilt sich der Verlauf in vier Phasen. Im zeitlichen Verlauf beginnt eine Handlung immer in der Motivationsphase (Phase I), in der sich die Frage gestellt wird welches Ziel ich verfolge und ob es machbar ist. Mit Abschluss dieser Phase bildet sich die Intention heraus. In der zweiten Phase geht es dann nicht mehr darum, den Wunsch zu hinterfragen, sondern wie und wann setzte ich das Ziel in die Tat um. Gerade die Fragen „wann?“ spielt dabei eine größere Rolle. In der Phase II geht es konkret darum, die einzelnen Intentionen eines Individuums zu koordinieren. Wann, wie, wo und wie lange dauert meine Handlungsdurchführung (Gollwitzer, 1999).

Das Beginnen der Handlung eröffnet die Phase III – das Ausführen und Tun. Das Ergebnis dieser Phase wird durch die Leistungsbereitschaft sowie die Fähigkeit die parallele Informationsverarbeitung im eigenen Gehirn zu beschreiben und zu verstehen. Mit der Beendigung einer Handlung beginnt dann die Phase IV – die Bewertungsphase. In dieser werden Kausalattributionen gebildet (bspw. hätte ich früher angefangen, dann wäre ich nicht in Stress geraten), diese haben unmittelbare und entscheidende Auswirkungen auf die Bildung von neuen Intentionen und die Weiterentwicklung der kognitiven und volitionalen Kompetenzen (Heckhausen et al., 1987).

Das Konzept der Prokrastination lässt sich nach den bisherigen Forschungen gut in das Rubikonmodell integrieren. In der Phase I beschäftigten sich Prokrastinierende mehr bzw. länger mit dem Abwägen von konkurrierenden Handlungsmöglichkeiten. Sie tun sich schwer mit der klaren Bildung von Absichten für die relevanten Aufgaben. In Phase II scheint die Planung so komplex und erschwert abzulaufen, sodass die Planung selbst bereits hinausgezögert wird. In der Umsetzung ist die Aufmerksamkeits- und Emotionskontrolle schwach ausgeprägt, somit können konkurrierende Aufgaben oder Ziele leicht die Aufmerksamkeit abgreifen. In der letzten Phase wird die Bewertung voraussichtlich schlechter als bei Nicht-Prokrastinierenden ausfallen. Aber aufgrund des Selbstschutzes, durch bspw. der Postrationalisierung und der zuletzt unter Zeitdruck geleisteten Arbeit, wird das doch gute Ergebnis der Handlung in den Vordergrund gestellt (Rist et al., 2006).

2.1.2.3 Der kognitive Ansatz

Die Erklärungsansätze aus der verhaltensbezogenen und der motivational-volitionalen Perspektive zeigen auf, dass bei der Entstehung des Phänomens Prokrastination zahlreiche Faktoren von seitens des Individuums und der Situation mitwirken. Eins steht fest, Prokrastination kann nicht objektiv anhand der Anforderungen an eine Aufgabe erklärt werden (Höcker, Engberding, Beißner & Rist, 2008). Das Verhalten einer Person entsteht aus persönlichen affektiven, motivationalen und kognitiven Reaktionen, die in einem Dreiklang miteinander spielen. Die zuletzt genannten kognitiven Reaktionen beeinflussen die affektive und motivationale Steuerung. Die Kompetenz der kognitiven Verarbeitung des eigenen Handelns in Relation zum eigenen Selbstbild spielt dabei eine große Rolle (Höcker et al., 2017).

Folgend wurden die wesentlichen kognitiven Ansätze von Prokrastination zusammengefasst:

Self-handicapping: Dissonanzvorbeugung steht bei Self-handicapping im Fokus. Wenn das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten oder Kompetenz nicht gegeben oder schwach ausgeprägt ist, bildet Prokrastination eine ideale Ausrede für einen möglichen Misserfolg. Beispiel: Wenn vor einer Prüfung nicht ausreichend geschlafen wird, könnte das möglicherweise einen Misserfolg rechtfertigen lassen (Steel, 2007). Problem dabei ist, dass diese Denk- und Verhaltensweisen wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirken kann.

Rationalisierung: Aus einer individuellen Situation heraus, kann Prokrastination auch vorteilhaft sein, denn Sie kann kurzfristig vor Selbstwertschädigungen und Stimmungsschwankungen schützen. Wichtig dabei ist aber nicht zu vernachlässigen, dass die Aufgaben, welchen man ausgewichen ist nicht auf Dauer ausweichen kann. Genau an dieser Stelle hilft den Prokrastinierenden die Rationalisierung. Diese kann je nach Person ganz unterschiedlich ausfallen. Allesamt rechtfertigen letztendlich das Aufschieben der wichtigen Aufgabe (Tuckman, 2005). Tuckman stellte mit Ergebnissen einer Studie eine Regressionsanalyse auf, die einen positiven Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Prokrastination und der Häufigkeit von Rationalisierungen im Kontext des Aufschiebens von Aufgaben einherging. Rationalisieren und Prokrastination sind nach diesen Erkenntnissen eng miteinander verbunden.

Zeitbezogene Nutzenabwägung: Dieser Aspekt zielt nicht wie die vorweg genannten Aspekten auf das Verhalten und Erleben in der Situation ab, sondern betrachtet das Abwägen der Aufgabenbewältigung. Grundlage hierfür ist eine Zeitverlaufskurve. Der subjektive Nutzen von kurzfristig vorgeschobenen und erfolgreich bewältigten Aufgaben überwiegt, gegenüber dem Nutzen der Aufgaben, die langfristigen Erfolg versprechen. Je näher wir an das zeitliche Endziel einer wichtigen Aufgabe kommen, desto größer wird auch der wahrgenommene Nutzen der wichtigen Aufgaben im Vergleich zu etwaigen Alternativmöglichkeiten (Höcker et al., 2017). Die folgenden vier Faktoren von Steel (2007) bestimmen die zeitbezogene Nutzenabwägung:

- den Wert des Ergebnisses der Aufgabe
- die jeweilige (subjektive) Wahrscheinlichkeit das Ergebnis zu erreichen
- die Zeitstrecke bis zum eventuellen Eintreten des Ergebnisses
- das Empfinden der Person gegenüber den Konsequenzen der Verzögerung wichtiger Aufgaben

Alle einzelnen Faktoren sind wiederum von den zahlreichen Aspekten aus den vorherigen Kapiteln beeinflussbar. Eine Spezifikation der Prokrastinationstendenz lässt sich somit nicht über eine einfache Formel herleiten, da viele subjektive Faktoren in das Konstrukt der Prokrastination einspielen (Höcker et al., 2017).

Im Grunde ist das Aufschieben auch ein Versuch die Emotionen zu regulieren. Jeder Mensch strebt danach negative Gefühle zu vermeiden und positive Emotionen zu steigern. Bisher haben wir gehört, dass Aufschieben von unangenehmen Tätigkeiten kurzfristig schlechte Gefühle verdrängt, während die negativen Folgen dadurch wachsen. Das ist uns bewusst – durch die wachsenden negativen Emotionen versuchen wir verstärkt erneut positive Situationen herbeizuführen, wodurch ein Teufelskreis mittels der Prokrastination entsteht (Kuhl, 2001). Genau aus diesem Zusammenhang heraus ist die Relevanz der aktiven Steuerung der Kognitionen von Prokrastinierenden nochmals hervorzuheben.

2.1.3 Diagnostik und Messung von Prokrastination

Um grundsätzlich psychische Störungen zu diagnostizieren greift man üblich auf Diagnoseverfahren zurück, die entsprechend anhand den DSM-Kriterien (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) erforscht und entwickelt wurden. Bislang ist das für das Phänomen Prokrastination noch nicht geschehen. Dennoch gibt es einige Fragebogenverfahren, insbesondere aus dem englischsprachigen Raum, die die alltägliche und die im akademischen Kontext bezogene Prokrastination messen.

Die Tabelle 1 stellt mögliche Messverfahren für Prokrastination dar. Die Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit sowie keine Bewertung der Qualität. Alle gelisteten Messverfahren wurden als Fragebögen konstruiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Übersicht der Messverfahren (eigene Darstellung)

Im empirischen Teil dieser Arbeit wurde der Allgemeine Prokrastinationsfragebogen (APROF) von Höcker et al. (2017) verwendet. Dieser Fragebogen dient dazu, zu bestimmen, ob das Aufschieben die Kriterien für Prokrastination erfüllt und in welchem Ausmaß die Prokrastinationstendenz vorhanden ist. Der Fragebogen besteht aus drei Subskalen, die die Prokrastinationstendenz, die Aufgabenaversivität und die Alternativenpräferenz operationalisiert.

2.1.4 Aktueller Forschungsstand der Prokrastination

Wie bereits erwähnt, beziehen sich die meisten Studien zur Prokrastination auf studentische Stichproben. Dementsprechend sind auch die Erkenntnisse auf eine eingegrenzte Altersgruppe fokussiert.

In diesem Kapitel wird näher auf die einzelnen Zusammenhänge von Prokrastination und weiteren Faktoren eingegangen. Da die bereits erwähnte Metaanalyse von Steel (2007) den größten Teil aller Studien zum Thema vor 2007 zusammenfasst, bietet diese eine Grundlage um einen statistischen Gesamtüberblick zu geben.

Nguyen, Steel und Ferrari (2013) stellte in Ihrer Metaanalyse fest, dass mit zunehmenden Alter die Tendenz zur Prokrastination abnimmt. Männer prokrastinieren etwas mehr als Frauen. Hinsichtlich des Bildungsstandes ergaben sich in den Ergebnisse von Hammer und Ferrari (2002) positive Korrelationen in Bezug auf gebildeteren Berufsgruppen. Hingegen fand Steel und Ferrari (2013) eine leichte negative Korrelation zu höherer Bildung (r= -.08/-.10).

Betrachtet man die Persönlichkeitsmerkmale Big Five, so stellt Steel (2007) einen schwachen Zusammenhang zu Neurotizismus auf (r=.24). Der Zusammenhang mit Impulsivität hingegen lag bei: r=.40.

Eine ebenso hohe Korrelation (r=.45) besteht zur Ablenkbarkeit, insbesondere von sozialen Handlungsalternativen (Lasane & Jones, 2000; Steel, 2007).

Steel (2007) stellt ebenfalls fest, dass Prokrastinierende eher dazu neigen Struktur und Routine abzulehnen. Auch Reize aus Umwelt und Impulse werden nicht gefiltert.

Die Selbstwirksamkeit (r=-.38) und das Selbstwertgefühl (r=-.27) korrelierten jeweils negativ mit Prokrastination (Steel, 2007).

Mit einer Korrelation von r=-.62 korreliert das Konstrukt Gewissenhaftigkeit am stärksten negativ mit Prokrastination (Steel, 2007). Das spricht auch für das Verständnis von Gewissenhaftigkeit, denn Sorgfalt und Zuverlässigkeit wird hier großgeschrieben und das schließt Prokrastination zu allererst aus.

Objektive Gründe zur Prokrastination lassen sich nun viel ableiten. Einer davon ist nach Steel (2007) die Abneigung gegenüber bestimmten Aufgaben (r=.40). Auch die Angst zu versagen, ist einer der Hauptgründe, warum Personen zum Aufschieben neigen. Mit einer Korrelation von r=.58 konnte das an der Uni Münster durch Höcker et al. (2017) festgestellt werden.

In der Arbeitswelt sorgt gutes Feedback für eine starke Korrelation (r=-.38) zu Prokrastination (Lonergan & Maher, 2000). Beispielsweise werden so immer die Aufgaben ausgewählt, bei denen ein positives Feedback erwartet wird.

Gupta, Hershey und Gaur (2012) beschreibt die Gruppe von Personen, welche mit Prokrastination negativ korreliert, als „Future Orientation“. Dieser Personenkreis kennzeichnet sich als aktiv planend, danach strebend Ziele zu erreichen, gewissenhaft und beständig zu sein sowie nach Belohnungen zu streben. Daneben wird Neues und Impulsivität eher vermieden. Das Gegenteilige bestätigt folglich eine positive Korrelation.

Im Verlauf dieser Arbeit werden auf die genannten und bestehenden Forschungsergebnisse zurückgegriffen. Ebenfalls ist es Ziel dieser empirischen Forschungsarbeit Teilerkenntnisse der Metaanalyse von Steel (2007) auch in einer Untersuchung in Deutschland zu replizieren.

2.2 Das Burnout-Syndrom

2.2.1 Begriffserklärung und Definition

Wie bereits in der Einführung erwähnt, sind die Burnout-Erkrankungen in den letzten Jahren enorm angestiegen. Zudem wurde das Thema noch nie öfters in einer unvorstellbaren Bandbreite öffentlich diskutiert, wie heute. In vielen Situation tritt scheinbar eine plötzliche Kriese von erfolgreichen Mitarbeitern auf, welche sich in Überforderung, Angst und depressionsähnlichen Zuständen äußert (Haag & Möller, 2016). Burnout stellt damit ein zentrales Thema der Arbeitswelt dar, welches auch eine unabdingbare Betrachtung erfordert. Unter Führungskräften, Mitarbeitern, Gewerkschaften, Krankenkassen oder Verantwortliche für betriebliches Gesundheitsmanagement und vielen weiteren Funktionären steht Burnout ganz hoch im Kurs. Doch das war nicht immer so. Woher der Begriff stammt und welche Entwicklung „Burnout“ in unserer Gesellschaft erlebt hat, wird in diesem Kapitel aufgegriffen und mit den Folgenden vertieft. Im Kontext dieser Arbeit werden die notwendigen Grundlagenkenntnisse für die Betrachtung des Zusammenhangs von Prokrastination und Burnout geschaffen.

„Burnout“ – ein Begriff der wohl wie kaum ein anderer mit den dem deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger in Verbindung gebracht wird (Freudenberger, 1974). Freudenberger befasste sich zu diesem Zeitpunkt mit der besonderen mentalen Belastung und Erschöpfung in sozialen Berufen. Vor allem die, der Pflegeberufe, Mediziner und Lehrer. Im Rahmen seiner Beobachtung der genannten Berufsgruppen, hatte er Kontakt mit Menschen, die Symptome wie zum Beispiel Zynismus oder Erschöpfung aufzeigten. In diesem Zusammenhang erkannte er die Spannung zwischen der „Helfenden“-Hand der Personen sowie der Begabung und Fähigkeit die wahrgenommene Bedürftigkeit von Patienten zu erkennen, sodass sich die Betroffenen der Gefahr aussetzen, dass sie zu lange und zu viel arbeiten und damit in die Falle des sogenannten „Burnouts“ geraten (Scherrmann, 2015).

Die Betrachtung bzw. die wissenschaftliche Qualität nach Freudenberger (1974) war zu Beginn eher äußerlich, sogar als eher unwissenschaftlich zu bewerten (Hedderich, 2009). Die Sozialpsychologin Christina Maslach führte in den 1980er Jahren dann die ersten empirische Untersuchungen durch, wobei dadurch auch das heute weitverbreitete „Maslach Burnout Inventory“ als Untersuchungsinstrument heraus entwickelt wurde (Hedderich, 2009). Christina Maslach (1982a) beeinflusste somit weltweit das theoretische Forschungsgebiet zum Thema Burnout.

Eine durch den Begriff „Burnout“ anerkannte Erkrankung gibt es nicht. Der durch die Weltgesundheitsorganisation herausgegebene internationale Diagnoseschlüssel zur Klassifikation von Krankheiten (ICD-10), enthält in der aktuellen Fassung einen Eintrag zum Phänomen Burnout nur als „Zustand der totalen Erschöpfung“, der aber nicht spezifischer erläutert wird (Hedderich, 2009).

Burnout wurde zu Beginn unter anderem als Zustand definiert:

- ein Syndrom unangemessener Einstellungen gegenüber Klienten und sich selbst, oft in Verbindung mit unangenehmen physischen und emotionalen Symptomen… (Kahn, 1978)
- ein Syndrom emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und persönlichen Leistungseinbußen, das bei Individuen auftreten kann, die in irgendeiner Art mit Menschen arbeiten. Es ist eine Reaktion auf die chronische emotionale Belastung, sich andauernd mit Menschen zu beschäftigen, besonders, wenn diese in Not sind oder Probleme haben… (Christina Maslach, 1982b)

Beide Definitionen beschränkten sich auf Burnout bei Menschen, die mit anderen Personen arbeiten, dennoch sind die Symptome auch bei Personen außerhalb der genannten Gruppen zu entdecken.

Nach Anpassung der Skalen auf berufsneutrale Betrachtungen, lassen sich folgende Definitionen festhalten:

- ein Zustand physischer, emotionaler und mentaler Erschöpfung aufgrund langanhaltender Einbindung in emotional belastende Situationen… (Pines & Aronson, 1989)
- ein Zustand der Ermüdung oder Frustration, herbeigeführt durch eine Sache, einen Lebensstil oder eine Beziehung, die nicht die erwartete Belohnung mit sich brachte… (Freudenberger & Richelson, 1980)

Doch in allen genannten Zuständen stellt sich die Frage der Abgrenzung auf. Wo fängt Burnout an? An welcher Stelle ist es ernstzunehmend? An dieser Stelle wird sehr einfach Burnout irgendwelchen Ursachen zugeschrieben, die zu wenig konsensfähig gewesen sind. Deshalb wurde Burnout auch weiter als Prozess definiert:

- ein Prozess, in dem sich ein ursprünglich engagierter Mitarbeiter von seiner Arbeit zurückzieht, als Reaktion auf Beanspruchung und Belastung im Beruf… (Cherniss, 1980)
- ein fortschreitender Abbau von Idealismus, Energie, Zielstrebigkeit und Anteilnahme als Resultat der Arbeitsbedingungen… (Edelwich & Brodsky, 1980)

Dennoch sind in den zuletzt genannten Definitionen auch Ursachenbehauptungen zu finden. Als Ergebnis der zahlreich genannten Definitionen haben Schaufeli und Enzmann (1998) folgende Arbeitsdefinition vorgeschlagen (Burisch, 2010):

„Burnout ist ein dauerhafter, negativer, arbeitsbezogener Seelenzustand „normler“ Individuen. Er ist in erster Linie von Erschöpfung gekennzeichnet, begleitet von Unruhe und Anspannung, einem Gefühl verringerter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung disfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. Diese psychische Verfassung entwickelt sich nach und nach, kann dem betroffenen Menschen aber lange unbemerkt bleiben. Sie resultiert aus einer Fehlpassung von Intentionen und Berufsrealität. Burnout erhält sich wegen ungünstiger Bewältigungsstrategien, die mit dem Syndrom zusammenhängen, oft selbst aufrecht“ (Schaufeli & Enzmann, 1998, S. 36)

Die Betonung dieser Definition liegt auf Annäherung einer elaborierten Erklärung. Dennoch sind Punkte wie, bspw. die Definition von Seelenzustand, Begleitsymptome, Dauer und Stärke des Zustands noch nicht konkretisiert, weshalb auch jeder Fall objektiv anders zu bewerten ist (Burisch, 2010).

Burisch (2010) erklärte, dass aufgrund der fehlenden allgemein akzeptierten Definition, „Burnout beinahe alles und damit nichts ist“ (Burisch, 2010, S. 20). Auch die Übersetzung in das Deutsche hat dazu beigetragen, dass die Gesellschaft zahlreiche weitere Aspekte, insbesondere die Begriffe Belastung und Depression eingebracht hat und eine klare Abgrenzung erschwert wurde.

Wie vorgestellt gibt es zahlreiche Definitionsversuche, welche bis heute aufgestellt wurden und im Umlauf sind. Einige sehr spezifische und andere wiederum so weit gefasste, dass eine klare Abgrenzung von anderen Krankheiten kaum möglich ist (Burisch, 2010). Deshalb wurden auch national und international unterschiedliche Standards gesetzt. In Deutschland selbst hat die Deutsche Gesellschaft für Psychatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) auf einen Definition von Burnout nach dem Ansatz von Christina Maslach und Jackson (1981) gesetzt (Berger et al., 2012).

Diese Definition ist die am häufigsten genutzte und vielfach bestätigte Variante, welche Burnout beschreibt (Sisolefsky, Rana & Herzberg, 2017). Dabei wird Burnout konkret in die folgenden drei Symptomdimensionen geclustert:

- emotionale Erschöpfung
- Depersonalisation
- reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit

Das Leitsymptom so nennen es Christina Maslach und Jackson (1981) ist die emotionale Erschöpfung. Diese tritt zu Beginn auf und ist geprägt von emotionaler Überforderung und des umgangssprachlichen Ausgelaugtseins. Innere Leere und Kraftlosigkeit kann ebenfalls die Gefühlswelt in dieser Phase beeinflussen (Berger et al., 2012). In der zweiten Phase (Depersonalisation) wird der soziale Rückzug und die kognitive und physischer Distanzierung präsent. Soziale Kontakte werden reduziert und soziales Engagement lässt nach. Oft gelten die betroffenen Personen als gefühlslos (Taris, Le Blanc, Schaufeli & Schreurs, 2005).

In der dritten Phase, die sich langsam auch parallel zur emotionalen Erschöpfung sowie der Depersonalisation entwickelt, sinkt auch die persönliche Leistungsfähigkeit. Die tägliche Arbeit kann nicht mehr erfolgreich bewältigt werden, so entsteht auch das Gefühl der Wirkungslosigkeit. Aufgrund der bereits reduzierten persönlichen Resilienz kann diesem kognitiven Mechanismus nicht mehr aktiv entgegengesteuert werden (Christina Maslach & Jackson, 1981; Taris et al., 2005).

Wurden zu Beginn eher quantitative Theorien aufgestellt, rücken zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer mehr wissenschaftliche und qualitative Methoden zur Erforschung von Burnout in den Vordergrund (Hedderich, 2009).

2.2.2 Burnout-Modelle und Ursachenforschung

2.2.2.1 Erklärungsansätze zur Entstehung von Burnout

Aus dem vorherigen Kapitel lässt sich sicherlich ohne Zweifel feststellen, dass Burnout unmittelbar mit Stress zusammenhängt. Aber was ist Stress? Stress ist eine nicht spezifizierte Reaktion eines Organismus auf Anforderungen, die an ihn gestellt werden. Stress kann sowohl als positive Herausforderung, als auch in Form von bedrohender Anpassung im Alltag erlebt werden (Selye, 1975). Nach den Erläuterungen aus dem Kapitel 2.2.1 kann Burnout als langfristige Stressfolge betrachtet werden.

Starker und langanhaltender Stress führt aber deshalb nicht automatisch zu Burnout. In jedem einzelnen Fall wird die Bewältigungsmöglichkeit von Stresssituationen je Individuum subjektiv bewertet und führt somit zu einem individuellen Ergebnis (Hedderich, 2009). Somit kann Burnout als Endstufe eines erfolglosen Bewältigungsversuch von negativen Stressbedingungen betrachtet werden.

Um den Mechanismus zu verstehen, können folgende Theorien zu Erklärung herangezogen werden.

Freudenberger (1974) und (Schmidbauer, 1977) verfolgen den differentialpsychologischen-individuumszentrierten Ansatz von Burnout. Hierbei werden primär die persönlichkeitsspezifischen Aspekte betrachtet. Die Umweltfaktoren werden weitgehend ausgeblendet. Insbesondere Freudenberger (1974) sieht das stark ausgeprägte Helfer-Syndrom als Grund für die Burnout-Entwicklung bei Personen. Schmidbauer (1977) erklärte sich die Ausprägung des Helfer-Syndroms dadurch, dass in der frühen Kindheit Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt wurden. Im Grund liegt das Motiv darin, Hilfe empfangen zu wollen, veranlasst den Helfenden, Hilfe zu geben. Diese Persönlichkeitsstruktur ist extrem Burnout-anfällig, da das Bedürfnis nach Zuwendung sehr hoch ist und kaum erfüllt werden kann (Hedderich, 2009). Empirische Beweise für das Helfer-Syndrom fehlen aber gänzlich, was grundsätzlich auch von Burisch (2010) bemängelt wird.

Der Zusammenhang zwischen Burnout und Stress wurde bereits erwähnt. Auch genau hierauf basiert der arbeits- und organisationsbezogene Ansatz von Burnout. Bedeutende Vertreter dieses Ansatzes sind Burisch (2010) sowie Kleiber und Enzmann (1990). Dabei geht es darum Burnout-relevante Merkmale zu erheben. Die folgende Auflistung zeigt die zentralen Einflussfaktoren nach den genannten Vertretern (Körner, 2003, S. 56):

- Eingeschränkter Tätigkeits- und Handlungsspielrraum
- Mangel an sozialer Unterstützung
- Übermaß an Verantwortlichkeit
- Mangelnde Einflussmöglichkeiten auf das Arbeitsergebnis
- Überlastung durch Faktoren wie Arbeitszeit, Unterforderung oder geringe Aufstiegsmöglichkeiten

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Abbildung 3 von Scherrmann (2015), welche die fehlende Passung zwischen Person und Organisation gut visualisiert. Auch hierbei wird ersichtlich, dass Menschen ganz unterschiedlich mit Belastungen und Stress umgehen. Daher ist auch eine einstige Betrachtung der personalen oder organisationalen Faktoren als Auslöser für Burnout nicht korrekt. Das Modell nach Scherrmann (2015) zeigt eine mögliche Ursachenanalyse auf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Modell Burnout-Syndrom (Scherrmann, 2015, S.10)

In diesem Modell ist dargestellt, dass bspw. Person A eine Belastung im Unternehmen und die hier fehlende Ressourcen durch eine gute innerliche Haltung oder durch personale Ressourcen bewältigen (ausgleichen) kann. Eine Person B hingegen kann die erhöhten Anforderungen, die andere Mitarbeiter leichter verarbeiten durch übersteigende Erwartungen und weniger stark ausgeprägten personalen Ressourcen nicht verkraften und rutscht langsam in die Burnout-Spirale.

Wird der Blick auf die gesellschaftliche Komponente bei der Burnout-Entstehung erweitert, beschreibt man den soziologisch-sozialwissenschaftlichen Ansatz. Kleiber und Enzmann (1990) benennen weitere Faktoren aus dem gesellschaftlichen Bereich (Körner, 2003, S. 56):

- gestiegene Erwartungen an die Flexibilität und Mobilität der Mitarbeiter
- zunehmende gesellschaftliche Vereinsamung
- Isolation und Anonymität
- verändertes Kommunikationsverhalten
- Problematik der „permanenten Erreichbarkeit“

In der Erläuterung der drei genannten Ansätze ist deutlich zu sehen, dass die Burnout-Entstehung nicht eindimensional zu erklären ist. Die Komplexität des Burnout-Phänomens ist nicht für jeden Fall gänzlich zu erfassen (Hedderich, 2009).

Um die drei Erklärungsansätze zusammenzufassen, bietet sich das mehrdimensionale Burnout-Modell von Scherrmann (2015) an. Die Abbildung 4 zeigt auf, welche Faktoren für die Entstehung von Burnout-Symptomen eine mögliche Rolle spielen können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Das mehrdimensionale Burnout-Modell (Scherrmann, 2014, S. 23)

Die Tabelle 2 zeigt konkretere Beispiel-Faktoren je Kategorie auf, um so ein Bild der zahlreichen Einflüsse für die Entstehung von Burnout zu bekommen. Die Übersicht hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Übersicht der Faktoren in Bezug zum mehrdimensionalen Burnout-Modell (eigene Darstellung)

Die von Christina Maslach (1982a) und Schaufeli et al. (1996) aufgestellte Theorie zielt darauf ab, dass Burnout ein klares Anzeichen einer Störung innerhalb der Organisation und nicht des Individuums ist. Die unter der Kategorie „Organisation“ (Tabelle 2) genannten sechs Einfluss-Faktoren sind laut den o. g. Autoren maßgeblich für ein Burnout verantwortlich. Auf dieser wissenschaftlichen Theorie baut auch die empirische Forschungsleistung dieser Arbeit auf.

2.2.2.2 Symptome von Burnout

Neben den drei Kernsymptomen der Depersonalisierung, der emotionalen Erschöpfung und der reduzierten persönlichen Leistungsbereitschaft, kann die Symptomatik noch differenzierter betrachtet werden. Die Abbildung 5 zeigt die drei Dimensionen mit zugehörigen Symptomen und den Beispiel-Items aus dem Maslach Burnout-Inventar (C. Maslach, Schaufeli & Leiter, 2001).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Symptome des Burnout-Syndroms (eigene Darstellung, in Anlehnung an Maslach, et al., 2001)

Insgesamt sind über 130 einzelne Symptome über die drei Dimensionen hinweg bekannt. Als eines der Leitsymptome für Burnout wird in der Literatur einheitlich der Zustand der Erschöpfung über einen längeren Zeitraum (meist über mehrere Monate) genannt. Känel (2008) spezifiziert, dass auch Erholungsphasen oder Wochenenden keine signifikante Auswirkungen auf die Erschöpfung haben. Auch können je nach Berufsgruppe, die Symptome bzw. Leiden ganz unterschiedlich sein. Die unterschiedlichsten Symptome sowie die Ausprägungsmöglichkeiten bei Berufsgruppen signalisieren ein weiteres Mal die zu Beginn beschriebene Definitionsproblematik, auch auf der ausführenden praktischen Ebene.

2.2.2.3 Abgrenzung von Burnout, Depression und Stress

Burnout das Trend-Wort für Depression? Unsere heutige Leistungsgesellschaft akzeptiert subjektiv wahrgenommen die Diagnose Burnout eher als die Diagnose Depression, denn einem Burnout-Erkrankten wird schnell unterstellt, dass er mit guter Absicht einfach zu viel gearbeitet hat. Doch ist eine Depression mit Burnout gleichzusetzen?

In den letzten Kapiteln wurde aufgezeigt, dass zu langanhaltender negativer beruflicher Stress den Weg zum Burnout ebnen kann. Doch nur sofern es sich um ein Burnout handelt kommt die Ursache aus dem beruflichen Umfeld, die emotionale Erschöpfung ist hier eher kontextbezogen. Bei der Depression hingegen ist diese eher kontextfrei und umfassend im alltäglichen Leben wiederzufinden. Eine Depression ist zusätzlich auch als Dauerzustand zu betrachten, während ein Burnout-Betroffener auch Phasen haben kann, in dem er beschwerdefrei leben könnte.

Mit dem Schweregrad des Burnouts lässt sich hingegen eine überlappende Abgrenzung von Burnout und Depression herstellen, dies ist auch in der Abbildung 6 zu sehen. Es gibt nach Brühlmann (2010) präklinische Burnoutzustände, die nicht die Ausprägung einer Depression haben. Mit Fortschreitung des Burnoutprozesses entwickelt sich daraus ein klinisch relevantes Burnout, das bedeutet konkret eine Erschöpfungsdepression. Nach und nach wird die Eigendynamik der Depression bestimmend, und Burnout-Charakteristika (Erschöpfung, Depersonalisation, reduzierte Leistungsbereitschaft) prägen nicht mehr vorrangig das klinische Zustandsbild.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Überlappung und Abgrenzung von Burnout und Depression (Brühlmann, 2010)

Die Abgrenzung von Burnout und Depression erfordert ein sehr differenziertes Vorgehen. Hierfür sind im Grunde die Kontext-Faktoren in der jeweiligen Situation sehr genau zu betrachten.

2.2.3 Verlauf und Phasen von Burnout

Neben der Betrachtung der im letzten Kapitel dargestellten Symptome ist es zudem wichtig, den dynamischen Prozess von Burnout mit zu berücksichtigen. Im 12-Phasenmodell von ist ein möglicher Verlauf des Burnout-Syndroms dargestellt. Die Reihenfolge muss nicht nach der Nummerierung eigehalten werden.

1. Drang, sich selbst und anderen Personen etwas beweisen zu wollen.
2. Extremes Leistungsstreben, um besonders hohe Erwartungen erfüllen zu können.
3. Überarbeitung mit Vernachlässigung persönlicher Bedürfnisse und sozialer Kontakte.
4. Überspielen oder Übergehen innerer Probleme und Konflikte.
5. Zweifel am eigenen Wertesystem sowie an ehemals wichtigen Dingen wie Hobbys und Freunden.
6. Verleugnung entstehender Probleme, Absinken der Toleranzgrenze.
7. Rückzug und dabei Meidung sozialer Kontakte bis auf ein Minimum.
8. Offensichtliche Verhaltensänderungen, fortschreitendes Gefühl der Wertlosigkeit, zunehmende Ängstlichkeit.
9. Depersonalisierung durch Kontaktverlust zu sich selbst und zu anderen Personen; das Leben verläuft zunehmen funktional und mechanistisch.
10. Innere Leere und verzweifelte Versuche, diese Gefühle durch Überreaktionen zu überspielen wie beispielsweise durch Sexualität, Essgewohnheiten und Drogen.
11. Depression mit Symptomen wie Gleichgültigkeit, Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung und Perspektivlosigkeit.
12. Erste Gedanken an einen Suizid als Ausweg aus dieser Situation: akute Gefahr eines mentalen und physischen Zusammenbruchs.

Weitere Modelle sind als Anlage dargestellt. Wichtig dabei ist aber zu wissen, dass das 12-Phasenmodell nach Freudenberger und North (1993) und alle folgenden aufgelisteten Phasenmodelle in Tabelle 3 nicht auf systematischen und empirisch erarbeiteten Studien aufbauen (Burisch, 2010).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Übersicht der Phasenmodelle mit Bezug zum Anlagenverzeichnis (eigene Darstellung)

Alle Modelle haben keine diagnostische Relevanz, können aber dennoch Hinweise auf die Ausprägung des Zustands geben. Bergner (2015) ein praktizierender Arzt hat ebenfalls ein ähnliches Phasenmodell aufgestellt und ist zudem der Überzeugung, dass nur in der Stufe 1 eine konkrete Diagnose einigermaßen zuverlässig ist (Scherrmann, 2015). In den weiteren Phasen ist aufgrund der zahlreichen Symptome keine spezifische Rückkopplung auf Burnout möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass in der ersten Stufe oftmals bei den Betroffenen noch kein Bewusstsein für Burnout-Symptome vorhanden ist, was wiederum den Einsatz eines Phasenmodells noch weiter erschwert.

In der Rückbetrachtung des Burnout-Prozesses scheint das Phasenmodell allerdings plausibel, dennoch sollten diese Modelle für die Diagnostik nicht maßgeblich eingesetzt werden, insbesondere aufgrund der mangelnden empirischen Bestätigung (Burisch, 2010).

2.2.4 Diagnostik von Burnout

Die bereits aufgeführten Erklärungen und Definitionen scheinen so, als die ärztliche Diagnose eines Burnouts recht einfach wäre. Dem ist aber nicht so, so gibt es weder eindeutige Symptome noch spezifische Erklärungsansätze. „Je genauer man hinschaut, umso unklarer wird, was Burnout ist.“ (Hillert, Koch & Lehr, 2018, S. 12). Objektive Parameter zur Diagnostik von Burnout existieren nicht (Scherrmann, 2015).

Dieser Zustand führt leider auch dazu, dass viele Statistiken zum Thema „Burnout“ nicht immer aussagekräftig sind. Denn sehr häufig endet ein Burnout in einer Depression, welche vom Arzt bzw. der Krankenkasse nicht als Burnout gekennzeichnet ist.

Das bis heute am stärksten verbreitete Messverfahren für Burnout ist, das bereits erwähnte Maslach Burnout-Inventar (MBI). Es erfasst eine subjektive Ein­schätzung (Selbstbeurteilung) der Burnout-Tendenz in Form eines Fragebogens. Das MBI besteht aus 18 Items, das in 3 Skalen aufgeilt ist (Burisch, 2010):

- Emotionale Erschöpfung (Emotional Exhaustion, EE), 5 Items
- Depersonalisation (DP), 5 Items
- Leistungs(un)zufriedenheit (Personal Accomplishment, PA), 8 Items

Der in dieser Arbeit verwendete Fragebogen ist eine neue Version von Schaufeli et al. (1996), dem MBI General Survey (MBI-GS), speziell für Berufstätige aller Art. Auf die Einzelheiten dieses Fragebogens wird in der Vorstellung des Forschungsdesign näher eingegangen.

2.2.5 Aktueller Forschungsstand von Burnout

Umfangreiche und kritische Analysen zum aktuellen Forschungsstand von Burnout liefert uns die Forschungsliteratur von Schaufeli und Enzmann (1998), Rösing (2003) und Christina Maslach und Zimbardo (2003). Prägend ist dabei das ebenfalls erwähnte Maslach Burnout Inventory, mit den Dimensionen emotionaler Erschöpfung, Dehumanisierung und der Reduktion eigener Leistungsfähigkeit von Maslach (Hedderich, 2009). Die nachfolgenden Forschungsergebnisse beziehen sich ausschließlich auf die vorweg genannten Autoren.

Die Literatur lässt das Alter als bedeutsamste demografische Variable benennen. Diese korreliert einheitlich negativ mit Burnout. Je älter die Arbeitnehmer, desto weniger sind diese von Burnout betroffen.

Zudem korreliert auch die Arbeitserfahrung innerhalb eines Berufes negativ mit Burnout. Persönlichkeitsvariablen wurden ebenfalls in Bezug auf Burnout-Anfälligkeit untersucht. Dabei stellte Rösing (2003, 96ff.) fest, dass sich der Burnout-anfälligere-Typ als eher „emotional vermeidend sowie ausweichend im Umgang mit Belastung charakterisiert“.

Bei arbeitsbezogenen Variablen manifestieren sich deutliche positive Korrelationen. Diese sind: Zeitdruck, hohe Arbeitsbelastung und Rollenkonflikte.

Im Grund belegen auch die bisherigen Forschungsergebnisse, dass Burnout ein komplexes Konstrukt aus zahlreichen Bedingungen ist. Dabei spielen demografische Variablen, Arbeitsplatzvariablen und die Persönlichkeit eines Menschen eine große Rolle (Hedderich, 2009). Ebenso stellt Hedderich (2009) kritisch fest, dass die objektive und subjektive Betrachtung in Form der „Aussen- und Innenwelt“ fehlt. Bisher sind zwar zahlreiche quantitativen Studien erstellt worden, aber der Bezug zu zahlreichen individuellen Wechselwirkungen und die medizinischen Folgen sind qualitativ aufzuholen (Hedderich, 2009).

Auch an dieser Stelle ist zu erwähnen, dass diese Arbeit untersucht, in wieweit das Phänomen Prokrastination Auswirkungen auf mögliche Burnout-Symptome hat. Dieser Zusammenhang hat insofern Bedeutung, dass eine unmittelbare emotionale Belastung, welche Burnout charakterisiert, auch möglicherweise auf das Phänomen Prokrastination zurückzuführen ist.

2.3 Leader Member Exchange

2.3.1 Theorie und Begriffsdefinition

Die Leader-Member Exchange Theorie (LMX-Theorie), betrachtet die Beziehung zwischen der Führungskraft und dem einzelnen Mitarbeiter. Das Konstrukt, welches die Interaktionsprozesse zwischen Führungskräfte und Mitarbeiter in den Vordergrund stellt, geht auf Dansereau, Graen und Haga (1975) zurück. Dabei spielt die zeitliche Dyade eine wesentliche Rolle zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Im Verlauf unterscheidet die Theorie die in-group und die out-group, die unterschiedliche Charaktere aufzeigen: „[…] the members reported receiving leadership attention form the superior in terms of his allowing the member complete and accurate information and the like.“ Dansereau et al. (1975, S. 60)

Konkret bedeutet diese Definition, dass einem Mitarbeiter innerhalb der in-group großes Vertrauen geschenkt wird, zudem besteht eine Beziehung mit hohem gegenseitigem Einfluss. Einem Mitarbeiter der out-group hingegen wird weniger Vertrauen entgegengebracht, demzufolge ist hier auch die Unzufriedenheit größer und es entstehen langfristig negative Folgen.

Die LMX-Theorie lässt sich auch nach Graen und Uhl-Bien (1995) in drei Phasen der Entwicklung (Abbildung 7) von einer out-group Beziehung zu einer in-group-Beziehung darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Prozess der LMX-Theorie (eigene Darstellung nach Graen und Uhl-Bien, 1995)

Die erste Phase „Fremder“ charakterisiert die out-group. Die dortige Beziehung ist im Wesentlichen rein formell. Führungskraft und Mitarbeiter handeln beide innerhalb der vorgegebenen Rolle. Sollte sich keine Weiterentwicklung der Beziehung einstellen, bleibt die Verbindung im niedrigen LMX-Level stehen – der Mitarbeiter verbleibt in der out-group.

Als „Bekannter“ nähern sich beide Parteien an, in dem sich die Beziehung über formelle Aspekte hinaus entwickelt. In diesem Stadium entstehen Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung. Mögliche Rollen der gegenseitigen Beziehung werden ausgetestet. Hier wird das erste Mal nicht nur eigene, sondern auch gemeinsame Interesse verfolgt.

Die dritte und letzte Phase „Partner“ ist geprägt von gegenseitigem Vertrauen und regem Informationsaustausch. Die gegenseitige Beeinflussung ist hoch und Entscheidungen werden grundsätzlich gemeinsam abgestimmt. Diese Phase spiegelt auch die in-group wider. Die entstandene Beziehung mit einem hohen LMX-Level ist sehr wertvoll für das Unternehmen – zahlreiche Synergien bereichern das Team, die Abteilung sowie das Unternehmen. In der Praxis sollte man bemüht sein, die zwei Gruppen im Unternehmen zu identifizieren und den Anteil der in-group durch gezielte Maßnahmen zu erhöhen.

2.3.2 Messung der LMX-Beziehung

Die Messung des LMX-Levels wird durch die sog. LMX-7-Skala durchgeführt, welche auf drei Dimensionen aufbaut (Graen & Uhl-Bien, 1995): Vertrauen, Verpflichtung und Respekt. Alle drei Dimensionen korrelieren sehr stark miteinander und sind daher kaum zu trennen, ein Grund weshalb die Skala eindimensional mit sieben Items entwickelt wurde. Die nähere Betrachtung des Messinstruments wird im empirischen Teil dieser Arbeit vorgenommen.

Mitarbeiter mit einem niedrigen LMX-Level zu ihrer Führungskraft sind nach Sonntag und Stegmaier (2006) unzufriedener und verlieren ihre Arbeitsleistung. Auch Entwicklungschancen und höhere Fluktuation sind deutliche Beobachtungen bei schlechten Beziehungen zwischen Mitarbeiter und Führungskraft, so Graen und Uhl-Bien (1995).

Solche Folgen sind wie bereits erläutert auch bei Burnout und Prokrastination zu erkennen. Gibt es hier vielleicht einen Zusammenhang bzw. eine moderierende Funktion?

Bereits erste Ergebnisse aus der Forschung von Ackerman und Gross (2005) sowie Steel (2007) deuten darauf hin, dass Prokrastination reduziert werden kann, wenn das Tätigkeitsfeld einer Person ihr Interesse weckt. Konkret wäre das umsetzbar, in dem Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern eng in Verbindung stehen und aktuelle Anliegen ansprechen und gemeinsame Lösung finden. Dies kann auch auf die gegenseitige Beziehung nach der LMX-Theorie abzielen.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass Rowold und Nölting (2010) aufzeigen können, dass die Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft die Fähigkeit zur Selbstregulierung des Mitarbeiters beeinflusst. Wie bereits erwähnt, ist die psychische Selbstregulation auch ein wichtiger Bestandteil der Resilienz gegenüber Burnout (Nelting, 2010) und der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Intervention zur Reduktion von Prokrastination (Höcker et al., 2008).

Mit Blick auf diese Erkenntnisse ist festzuhalten, dass die LMX-Theorie ein durchaus interessanter Aspekt ist, um die Einflüsse des Verhaltens einer Führungskraft bzw. der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter auch in Bezug auf Prokrastination und Burnout zu betrachten.

2.4 Person-Job-Fit

„On the Origin of Species“ – so hieß das Werk von Darwin (1859), mit der er bereits damals im Jahr 1859 die größtenteils noch heute gültige Evolutionstheorie begründete (Weiß, Krumscheid & Frieg, 2014). Als eine wichtige Erkenntnis gilt, dass diejenigen Individuen aus evolutionärer Perspektive im Vorteil sind, die gut zu ihrer Umgebung passen. Doch ist das auch im Arbeitsleben so?

Die Forschungen zum Thema „Person-Environment-Fit“ liefern hierzu möglicherweise Antworten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine hohe Passung von Mitarbeitern zu ihrem Unternehmen (Person-Organisation-Fit) und zu ihrem Job (Person-Job-Fit) zahlreiche Vorteile für die Mitarbeiter als auch für das Unternehmen mit sich bringen (Weinert, 2015).

[...]

Ende der Leseprobe aus 134 Seiten

Details

Titel
Burnout durch Prokrastination? Hintergründe, Zusammenhang und wichtige Einflussfaktoren
Jahr
2020
Seiten
134
Katalognummer
V536577
ISBN (eBook)
9783960959106
ISBN (Buch)
9783960959113
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Prokrastination, Burnout, Burnout-Syndrom, Organisationsklima, Person-Job-Fit, LMX-Beziehung, Leader Member Exchange, Arbeitsmodell, Mitarbeiterführung, Mitarbeitermotivation, Human Resources, Personalmanagement
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Burnout durch Prokrastination? Hintergründe, Zusammenhang und wichtige Einflussfaktoren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/536577

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