E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann". Nathanael als "Automat" seines Kindheitstraumas

Die Bedeutung kindlicher Erlebnisse (nach Sigmund Freud) als Grundlage für Claras psychologische Interpretation


Unterrichtsentwurf, 2020

17 Seiten, Note: 2

Anna Baer (Autor:in)


Leseprobe

INHALTSVERZEICHNIS

1. Darstellung der längerfristigen Unterrichtszusammenhänge
1.1 Tabellarische Auflistung der Stundenthemen
1.2 Curriculare Legitimation
1.3 Erläuterung der Intentionen und der Struktur des Vorhabens
1.4 Überprüfung des Lern- und Kompetenzzuwachses

2. Schriftliche Planung der Unterrichtsstunde
2.1 Stundenziel und Teillernziele
2.2 Beitrag der Stunde zum intendierten Kompetenzzuwachs
2.3 Darstellung der didaktisch-methodischen Schwerpunkte der Stunde
2.4 Verlaufsplan

3. Quellenverzeichnis

5. Anhang

1. Darstellung der längerfristigen Unterrichtszusammenhänge

1.1 Tabellarische Auflistung der Stundenthemen

Thema des Unterrichtsvorhabens: Im Labyrinth der unterschiedlichen Lesarten – Die Multiperspektivität und Bedeutungsvielfalt in E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“

Tab. 1: Aufbau des Unterrichtsvorhabens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.2 Curriculare Legitimation

Das Unterrichtsvorhaben „Im Labyrinth der unterschiedlichen Lesarten – Die Multiperspektivität und Bedeutungsvielfalt in E. T. A. Hoffmanns ‚Der Sandmann‘“ greift einen obligatorischen Gegenstand des Faches Deutsch für den Leistungskurs im Zentralabitur 2021 auf und lässt sich dem Inhaltsfeld Texte, genauer dem Feld „Strukturell unterschiedliche Erzähltexte aus unterschiedlichen historischen Kontexten“, zuordnen (vgl. MSB NRW, o. J., S. 4). Dieses Inhaltsfeld wird im Kernlehrplan für die Sek II als „zentrale[r] Lerngegenstand des Deutschunterrichts“ (MSW NRW, 2014, S. 17)1 2 besonders hervorgehoben und zur Realisierung der übergreifenden fachlichen Kompetenz als essentiell angesehen: Durch die Auseinandersetzung mit dem Inhaltsfeld „Texte“ erwerben die Schülerinnen und Schüler3 produktive und rezeptive Kompetenzen, die einen Beitrag zur ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung und zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife leisten (vgl. ebd., S. 11).

1.3 Erläuterung der Intentionen und der Struktur des Vorhabens

Obwohl „Der Sandmann“ durch das Zentralabitur vorgeschrieben und nicht von der Lehrkraft ausgewählt worden ist, lohnt sich eine Reflexion des Lerngegenstandes in Bezug auf sein didaktisches Potential. Nach Leubner (2016) sind für die epische Textauswahl drei Kriterien entscheidend: Das Thema des Textes muss für die SuS als persönlich lohnend empfunden werden. Er hebt hier vor allem „phantastische Erzählungen“ (S. 90) hervor, die das Interesse der SuS wecken. Hoffmanns Werke, die sich durch Unheimliches und Fantastisches4 auszeichnen, kommen dieser Forderung nach (vgl. Safranski, 2000, S. 40). Im Hinblick auf die Adaption unheimlicher und fantastischer Stoffe in „Der Sandmann“, lassen sich vielfältige Rückbezüge zu den Freizeitaktivitäten von SuS ziehen und ihre Erfahrungen mit diesem Themenbereich aufgreifen und weiterführen (Lesen von Thrillern, Schauen von Fantasy Filmen). Weiterhin nennt Leubner (2016) den angemessenen „Grad an Fremdheit“ (S. 91) der Lektüren, die SuS ein Angebot an neuen Sichtweisen machen sollen. Vor allem in der Oberstufe sollen sich Texte durch „einen höheren Grad an Komplexität, Vieldeutigkeit und Fremdheit“ auszeichnen (ebd., S. 82). Diese Vieldeutigkeit liefert „Der Sandmann“ vor allem durch die „Mehrperspektivität der Erzählung“ (Waldmann, 2007, S. 104), die Wirklichkeit aus der Perspektive unterschiedlicher Subjekte erscheinen lässt (vgl. Lubkoll, 2015, S. 365) – durch die Erzähltechnik Hoffmanns wird alles, „was vermeintlich gesichert gelten kann, radikal perspektiviert“ (Brittnacher, 2015, S. 388). Als letztes Kriterium für die Textauswahl wird der „Schwierigkeitsgrad der Texterschließung“ genannt, der SuS herausfordern soll, dessen Bewältigung aber im Anschluss als lohnend empfunden werden soll, da der Ertrag der Texterschließung lohnend auf der Ebene des Wirklichkeitsbezuges5 sei (Leubner, 2016, S. 92).

Auch von Brand (2010) führt Auswahlkriterien für literarische Texte an, unter anderem die „Repräsentanz“ und die „literaturgeschichtliche Bedeutung“ (S. 158), die „Der Sandmann“ erfüllt: Nachdem Hoffmanns aufgegriffene Thematiken, seine Einbildungskraft und seine neuartige Erzähltechnik von Zeitgenossen (unter anderem auch von Goethe) stark kritisiert wurden, ist „Der Sandmann“ heute die „meist gelesene und gedeutete Erzählung der deutschen Romantik“6 (Herrmann, 2015, S. 51) und wird in der Schule als ein „paradetypischer Beispieltext für die Nachtseite der Romantik“ gelesen (Kellner, 2015, S. 435). SuS haben die Epoche der Romantik schon zuvor in der Einführungsphase kennengelernt, jedoch nur im Zusammenhang mit der Lyrik. Im Sinne Eineckes (2008) wird durch die Behandlung des „Sandmanns“ demnach kumulatives Lernen ermöglicht (vgl. S. 16), da dieses Vorwissen durch einen Erzähltext ergänzt wird, der auch die dunklen Seiten der Romantik nicht ausklammert. Dieses Vorgehen ist auch im Sinne eines Leistungskurses, in dem „stärker vernetzt“ (vgl. MSW NRW, 2014, S. 13) gearbeitet werden soll. Gerade die neuartige Erzähltechnik Hoffmanns, die nach Lubkoll (2015) „den tiefgreifenden Umbruch der Literatur- und Erzählkultur um 1800“ exemplarisch repräsentiert (S. 363), generiert eine Mehrdeutigkeit, die auch am Ende des Erzähltextes Fragen offenlässt (vgl. Lubkoll, 2015, S. 367).

Durch die Mehrdeutigkeit kann ein Aspekt des literarischen Lernens nach Spinner gefördert werden, denn die SuS werden dazu angehalten, sich „auf die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses ein[zu]lassen“ (Gattermaier, 2018, S. 120). Durch die unterschiedlichen Wahrheiten und Realitätsdeutungen im „Sandmann“ befinden sich SuS im „Labyrinth der unterschiedlichen Lesarten“ und werden so zu einer Diskussion und Reflexion bezüglich dieser angeregt – Nathanael kann beispielsweise je nach Lesart als Wahnsinniger oder Andersdenkender dargestellt werden. Waldmann (2007) sieht die unterschiedlichen Perspektiven der Wirklichkeit in „Der Sandmann“ mit dessen nebeneinander existierenden Wahrheiten in Bezug auf die Wahrnehmung der Welt als lohnend für SuS an, da SuS diese Perspektiven nutzen und „ihr eigenes Welt- und Selbstverständnis reflektieren und diskutieren können“ (S. 97) und die Sichtweisen anderer SuS mit Blick auf die Leerstellen respektieren (Fremdverstehen) (vgl. Spinner, 1999, S. 34 f.). Vor allem im Hinblick auf die Herausbildung einer eigenen Identität (vgl. Leubner, 2016, S. 30) bietet der fokussierte Erzähltext viele Anlässe, da der Protagonist Nathanael Schwierigkeiten hat, seine Identität zu finden, aber auch das Motiv des Doppelgängers die Vielschichtigkeit von Identität zeichnet (vgl. Opp, 2015, S. 250).

Weil „Der Sandmann“ offen gelassene Fragen und Leerstellen besitzt, bietet es sich an, diese zu füllen. Der Konstruktivismus, der Lernen als aktiven Vorgang ansieht (vgl. Mattes, 2011, S. 39) und rezeptionsästhetische Überlegungen passen zu diesem Vorgehen, da sich Lesende den Text durch individuelle Erfahrungen aneignen, eigene Gedanken und Gefühle in ihn einbringen und dadurch der Sinn des Textes von ihnen mitgeschaffen wird (vgl. Spinner, 1999, S. 34), wodurch verschiedene Deutungen ermöglicht werden (Schülerorientierung). Um den SuS das Textverständnis zu erleichtern, das nach Leubner (2016) als zentrales Ziel des Literaturunterrichts verstanden wird (vgl. S. 36), werden analytische und produktive Methoden 7 im Wechselspiel verwendet. Das Angebot unterschiedlicher Wege empfiehlt auch Gattermaier (2018), vor allem im Hinblick auf Differenzierung, da manche SuS analytischer denken würden, während es anderen leichter falle „ein Problem zu erfassen, wenn sie einen affektiven, handlungsorientierten oder kreativen Zugang wählen können“ (S. 13). Analytische Methoden zielen auf eine „objektivierende Distanz“, produktive auf „die Bedeutungskonstitution des lesenden Subjekts“ (Beste, 2015a, S. 13). Die Zugänge schließen einander jedoch nicht aus, sondern werden genau dort eingesetzt, wo sie ihre jeweilige Stärke ausspielen können (so wird bei der Untersuchung des Figurenverhältnisses Nathanael – Clara auf szenische und produktive Verfahren zurückgegriffen, um SuS eine bessere Einfühlung zu ermöglichen). Da die Klausur analytisch angelegt ist, wird hier jedoch ein Schwerpunkt gesetzt.

Die Strukturierung des Unterrichtsvorhabens gestaltet sich als herausfordernd, da Hoffmanns Werk eine große Varianz an Verständnis- und Deutungsmöglichkeiten zulässt und durch Hoffmanns Begeisterung für unterschiedliche gesellschaftliche Diskurse und künstlerische Bereiche vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten bestehen. Dadurch sind im Hinblick auf die Strukturierung der Reihe diverse Möglichkeiten gegeben und Schwerpunktsetzungen nötig. Der Aufbau der Reihe ist an unterschiedliche Modelle zum literarischen Textverstehen angelehnt, die für die grobe Reihenplanung fruchtbar gemacht werden und an exemplarischen Stellen im Folgenden erläutert werden sollen. Außerdem liegen den Schwerpunktsetzungen Interessen der SuS zugrunde, die sich auf Fragen beziehen, welche sie durch das Lesejournal8 und die Vorablektüre generiert haben. Der Erzähltext wird von den SuS vorab zu Hause gelesen, damit die Erarbeitung in der Schule „unter Einbeziehung des gesamten Textes erfolgen“ kann (Leubner, 2016, S. 250). Damit können textübergreifende Strukturen – wie der Aufbau der Handlung oder die Entwicklung der Figuren – von Anfang an thematisiert werden (etwa bei der Beschreibung von Nathanaels Lebenslauf) und der problemorientierte Aufbau, der nicht der Chronologie des Erzähltextes folgt, realisiert werden. Der Reihenplanung liegen Gedanken Krefts zum literarischen Textverstehen zugrunde, der nach der ersten (naiven) Begegnung mit dem Text (hier: das Lesejournal), durch die Phase der Objektivierung den Text in den Vordergrund rückt. Durch Beurteilungen und Stellungnahmen sollen punktuell Wirklichkeitsbezüge geleistet und zum Schluss in der vierten Sequenz, vor allem die gesellschaftliche Ebene, fokussiert werden (vgl. Abraham/Kepser, 2009, S. 219). Neben der Stellungnahme zu dem Einwirken von äußeren oder inneren Mächten auf Nathanael, sind Stellungnahmen an unterschiedlichen Stellen des Unterrichtsvorhabens möglich, da SuS die unterschiedlichen Lesarten und Deutungen des Werkes beurteilen können – so auch beispielsweise bei der Frage nach der Identität der Dreifachgestalt (Sandmann, Coppelius, Coppola) oder einer sich in der Beziehung zu Olimpia widerspiegelnden möglichen Selbstliebe. Auch Leubner (2016) empfiehlt, das Kontextwissen, das SuS für eine Gesamtdeutung des Werkes benötigen, erst zum Schluss einzubringen, nachdem die SuS eine persönlich bedeutsame Interpretation unter Bezugnahme auf ihre eigenen Lebenswirklichkeit geleistet haben (vgl. S. 154). Auf Grundlage dieser Kontexte können die Deutungen dann mit den zuvor vorgenommenen abgeglichen werden (vgl. Waldmann, 2007, S. 37). Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch innerhalb der Reihe Kontexte einbezogen werden, da diese essentiell für die Texterschließung sind (vgl. Leubner, 2016, S. 39). Die unterschiedlichen Bewertungen von Nathanael und Clara in Bezug auf das Auftauchen Coppolas werden so beispielsweise durch Informationen zu den Epochen zur Romantik und Aufklärung ergänzt, um den rein intuitiven Zugang durch Zusatzinformationen anzureichern, der SuS befähigt, die Sichtweisen der beiden „in grundlegende literarhistorische und historisch-gesellschaftliche Entwicklungen“ (MSW NRW, 2014, S. 34) einzuordnen. Auch werden unterschiedliche Kontextbezüge beim Fokus auf den Automaten Olimpia mit Blick auf das Streben nach Perfektion durch künstliche Lebewesen und Intelligenz aufgegriffen, welches einen Anknüpfungspunkt an die Welt der Lernenden bietet und für sie hochrelevant ist (siehe Fußnote Nr. 5).

Neben dieser grundsätzlichen Struktur der Reihe sei hier auf die Fußnote bei der Reihenplanung verwiesen, die auf eine, in der Reihe angelegte, Progression verweist, die SuS mit Blick auf die Klausur dazu befähigt, den Erzähltext (unter unterschiedlichen Fragestellungen) zu analysieren. Von den SuS generierte Fragen im Lesejournal bezogen sich vor allem auf Nathanael und die Frage nach Wirklichkeit und Einbildung. Im Sinne der Schülerorientierung wird die Identitätskrise der Hauptfigur daher in der ersten Sequenz untersucht. Den Einstieg über Figuren betrachtet auch Hurrelmann (2003) als lohnenswert, da sie diese als „Türöffner zu fiktionalen Welten“ versteht (S. 6). Neben der Erarbeitung von sprachlich-stilistischen Mitteln beim Auftritt des Sandmanns werden hier schon unterschiedliche Methoden im Wechselspiel verwendet, um SuS unterschiedliche Zugänge zu einem Textverständnis zu ermöglichen, welches nach von Brand (2010) essentiell für einen guten Deutschunterricht ist (vgl. S. 18). Die SuS schreiben beispielsweise eine Grabrede, in der sie ihre eigenen Vorstellungen bezüglich des Scheiterns von Nathanael verarbeiten und belegen dieses mit Blick auf sein Identitätskonzept am Text. In der zweiten Sequenz kommt hinzu, dass SuS ihre Arbeit reflektieren und Position beziehen (siehe auch fettgedrucktes Stichwort „Wirklichkeitsbezug“). Inhaltlich liegt der Fokus hier weiterhin auf einer Figur des Erzähltextes, die einerseits in den Lesejournalen häufig genannt wurde, sich andererseits gut mit dem davor fokussierten Identitätskonzept Nathanaels verknüpfen lässt, da Clara versucht, Nathanaels Abgrenzung zu seinen Mitmenschen und die dadurch aus dem Gleichgewicht kommende Identität zu verhindern. SuS bringen zu Beginn dieser Sequenz Gegenstände mit, die sie gedanklich mit Clara verbinden und bauen damit eine auf Intuition beruhende Skulptur (Generierung von Hypothesen), die sie am Text überprüfen. Durch unterschiedliche Schreibaufträge zu der Frage, woran die Beziehung von Clara und Nathanael scheitert, können SuS später nach ihrem Interesse aus alternativ angebotenen produktiven Verfahren auswählen. Durch diese methodische Differenzierung (Brief von Clara an eine Freundin, Bau von Statuen zum Figurenverhältnis zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder Selbstreflexion Nathanaels auf Grundlage eines Gedichts von Novalis) wird man unterschiedlichen Lerntypen gerecht (vgl. Gattermaier, 2018, S. 113). Dabei wird das gleiche Ziel verfolgt – die hypothetische Darstellung, woran die Beziehung der beiden scheitert. Nachdem inhaltlich die unterschiedlichen Perspektiven von Clara und Nathanael fokussiert worden sind, wird in der dritten Sequenz eine weitere Perspektive der mehrperspektivischen Erzählung in den Blick genommen – die des Erzählers. Hier wird vor allem die Erzähltechnik fokussiert, da diese das auszeichnende Element der epischen Analyse darstellt und sie für das Verstehen epischer Texte essentiell ist (vgl. Kämper-van den Boogaart, 2003, S. 123). Es kann hierbei auf Vorwissen aus der Einführungsphase zurückgegriffen werden, da dort Kurzgeschichten im Zusammenhang mit Kommunikation betrachtet wurden. Das mehrperspektivische Erzählen im „Sandmann“ bietet Potenzial, die entwickelten Texterschließungs- und Analysekompetenzen mit Blick auf Erzähltexte im Sinne einer progressiven Weiterentwicklung zu fördern. SuS schreiben in dieser Sequenz eine Analyse der Schlussszene mit Blick auf die in der Sequenz zuvor erarbeiteten Weltsichten Claras und Nathanaels. Die sich anschließende Schreibkonferenz verfolgt Binnendifferenzierung, da stärkere SuS schwächeren erklären, was diese verbessern können und so zu einem tieferen Verständnis gelangen, während schwächere SuS von den Tipps der anderen profitieren (vgl. Steets, 2015, S. 63). Hierbei werden vor allem die Kompetenzen in Bezug auf die Überarbeitung und Beurteilung der geschriebenen Texte gefördert. Über die letzte Sequenz wird eine Gesamtdeutung des Erzähltextes intendiert, welche aus oben genannten Gründen am Schluss der Reihe situiert ist. Hier werden vor allem Sekundärtexte aus literaturwissenschaftlicher Fachlektüre herangezogen (Lubkoll/Neumeyer, 2015), um ein weiteres Ziel des Deutschunterrichts - der Vorbereitung der SuS auf ein Studium - zu verfolgen (vgl. MSW NRW, 2014, S, 12).

1.4 Überprüfung des Lern- und Kompetenzzuwachses

Die beiden Bereiche „Schriftliche Arbeiten“ und „Sonstige Leistungen im Unterricht“ bilden laut Schulgesetz (2019) § 48 die Grundlage der Leistungsbewertung, die auch zur Überprüfung des Lern- und Kompetenzzuwachs grundgelegt werden können. In dem vorliegenden Unterrichtsvorhaben geschieht das über die Klausur zum Ende der Reihe (Aufgabentyp Ia – Analyse eines literarischen Textes), sowie über die sonstige Mitarbeit im Unterricht. Die mündliche Mitarbeit, als Teil der sonstigen Mitarbeit, wird standardmäßig in qualitativer und quantitativer Hinsicht bewertet (vgl. Beste, 2015b, S. 259). Diese Vorgehensweise evaluiert auch die Kompetenzen des Sprechens und des Zuhörens. Gerade das Unterrichtsgespräch gibt nach Wengert (2017) Aufschluss über Zuwachs an Wissen und Können und den Prozess der Kompetenzentwicklung (vgl., S. 342 f.). Haas (1997) gibt zu bedenken, dass in Gesprächen oft die weniger stillen SuS dominieren, die es verstehen, rasch zu reagieren (vgl. S. 48). Jedoch sollen auch „langsame Lerner und sprachgehemmte oder leise, stille Naturen“ die Möglichkeit bekommen, „sich in den Unterricht einzubringen“ (ebd., S. 49). Durch Gruppenarbeiten bekommen sie die Möglichkeit, ihr Wissen und Können in einem geschützten Raum zu erweitern und unter Beweis zu stellen. Die Lehrkraft kann in diesen Phasen durch aufmerksames Beobachten Einblicke in den Lern- und Kompetenzzuwachs erhalten (vgl. Wengert, 2017, S. 341). Die Weiterentwicklung der textanalytischen Kompetenzen kann neben den Unterrichtsgesprächen und Gruppenarbeiten auch über die schulinterne Lernplattform NERDL erhoben werden. SuS bietet diese Plattform Möglichkeiten der Einbringung von Leistungen im Bereich der „Sonstigen Mitarbeit“, da sie hier ihre Produkte hochladen können und ihnen freigestellt wird, ob sie ihre Übungs- und Hausaufgaben einreichen und Feedback erhalten wollen. Die Lehrkraft kann die SuS jederzeit zum Hochladen ihrer Ergebnisse auffordern, um einen Einblick über den derzeitigen Lern- und Kompetenzzuwachs zu erlangen und die Ergebnisse zur Diagnose und damit individuellen Förderung nutzen. Diese Formen kommen auch den introvertierten SuS zu Gute und bieten im Hinblick auf Individualisierung und Differenzierung unterschiedliche Möglichkeiten, sich im Bereich der „Sonstigen Mitarbeit“ einzubringen.

2. Schriftliche Planung der Unterrichtsstunde

2.1 Stundenziel und Teillernziele

Stundenziel: Die Schülerinnen und Schüler erläutern die psychologische Interpretation Claras, die Nathanaels Probleme durch das Einwirken innerer Mächte, die durch das Kindheitstrauma entstanden sind, begründet sieht, indem sie die psychologische Theorie Freuds zur Bedeutung kindlicher Erlebnisse am Erzähltext überprüfen.

[...]


1 Die Seitenangaben der Kompetenzen beziehen sich auf die Kompetenzen des Leistungskurses aus dem Inhaltsfeld 2 „Texte“ mit dem inhaltlichen Schwerpunkt „strukturell unterschiedliche Erzähltexte aus unterschiedlichen historischen Kontexten“ aus dem Kernlehrplan des Gymnasiums im Fach Deutsch der Sekundarstufe II (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2014).

2 Um eine redundante Doppelnennung der Kompetenzen in den einzelnen Sequenzen zu vermeiden, sind nur diejenigen Kompetenzen aufgeführt, die bei der jeweiligen Sequenz zu den Kompetenzen dazukommen, die in der Sequenz zuvor genannt wurden und über die Reihe hinweg sukzessiv weiterentwickelt werden.

3 Im Folgenden wird für 'Schülerinnen und Schüler' die Abkürzung ‚SuS' verwendet.

4 SuS heben in ihren Lesejournalen diese Aspekte positiv hervor: sie schätzen das Unreale der Erzählung, charakterisieren sie als interessant und spannend und haben durch unvorhersehbare Wendungen und Verwirrungen den „Drang weiterzulesen“.

5 SuS greifen in ihrem Lesejournal vielfältige Wirklichkeitsbezüge auf: einerseits die Bedeutung des Kindheitstraumas, indem sie ausführen, dass Ereignisse aus unserer Kindheit prägend für unser Leben sind, anderseits Olimpia, die als Automat Angst in den SuS auslöst, da sie (scheinbar) schwer von einem echten Menschen zu unterscheiden ist. SuS gehen auch auf „künstliche Intelligenz“ ein, die zurzeit in Gütersloh im Kontext des digitalen Aufbruchs diskutiert wird (vgl. Stadt Gütersloh, 2019).

6 Safranski (2000) fasst die Tendenz der Romantik als „Lust am eigenen Ich“ (S. 60) zusammen, die, wenn man sie radikal wie Nathanael lebt, in Vereinzelung endet. Diese Lust am eigenen „Ich“ kennen Lernende im Kontext der Selbstdarstellung aus sozialen Netzwerken, wo das „Ich“ im Vordergrund steht und kann im Kontext der Unterrichtsreihe durch Nathanaels Subjektivitätskrise mit Blick auf die eigenen Verhaltensweisen hinterfragt werden.

7 Unter den Begriff „produktiv“ fallen in dieser Arbeit alle Konzeptionen, die SuS in Abgrenzung zum kognitiven und analytisch ausgerichteten Unterricht „aus der Passivität des ‚normalen‘ Schullebens“ (Haas, 1997, S. 43) holen. Produktionsorientierung ermöglicht einen motivierenden, kreativen Umgang mit Texten, der dennoch bei entsprechender Objektivierung im Anschluss Textnähe und objektivierende Distanz gewährleistet (vgl. Kreft, 1977, S. 379) und das Textverstehen dadurch nicht beliebig werden lässt, da der Text neben seinen Leerstellen auch unumstößliche Tatsachen enthält. In der Literatur herrscht Uneinigkeit über die Definition von Handlungs- und Produktorientierung, die oft nicht genau voneinander zu trennen sind (vgl. Haas, 1997, S. 44). Da durch die vorliegende schriftliche Arbeit jedoch keine Begriffsbestimmung der unterschiedlichen Ansätze intendiert ist, wird für eine Begriffsbestimmung auf Leubner (2016, S. 177) verwiesen.

8 Durch das Lesejournal erhalten SuS einen lektürebegleitenden Arbeitsauftrag, damit sie sich ohne Einfluss der anderen einen eigenen Leseeindruck verschaffen können (Primärrezeption). Vor allem Frommer (1981) hebt die Wichtigkeit hervor, die Rezeptionssituation der SuS von Beginn an zu organisieren (vgl. S. 6). Deshalb bekommen sie vor der Erstrezeption ein Lesejournal, das ihnen durch offene Fragen ermöglicht, Vorerfahrungen in die Lektüre einzubringen (vgl. ebd., S. 7). In der ersten Stunde verarbeiten die SuS durch die Methode des Placemat die Notizen des Lesejournals und stellen zusammen mit ihrer Gruppe Hypothesen und Fragen auf, die in der Reihe eingehend betrachtet werden sollen. Diese Orientierung an den Interessen der SuS dient der Motivation im Hinblick auf die Erarbeitung des Erzähltextes und der „Fundierung der Lesebereitschaft und die Ausbildung von Leselust“ (Haas et al., 1994, S. 18).

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann". Nathanael als "Automat" seines Kindheitstraumas
Untertitel
Die Bedeutung kindlicher Erlebnisse (nach Sigmund Freud) als Grundlage für Claras psychologische Interpretation
Note
2
Autor
Jahr
2020
Seiten
17
Katalognummer
V536778
ISBN (eBook)
9783346195142
ISBN (Buch)
9783346195159
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ETA Hoffmann, Der Sandmann, Examensarbeit
Arbeit zitieren
Anna Baer (Autor:in), 2020, E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann". Nathanael als "Automat" seines Kindheitstraumas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/536778

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