Nuclear Stabilisation. Die Legitimations- und Kooptationsfunktion des nordkoreanischen Nuklearprogramms unter Kim Jong-il und Kim Jong-un


Tesis (Bachelor), 2019

54 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Forschungsdesign
2.1 Methodik der Kongruenzanalyse
2.2 Das Drei-Säulen-Modell nach Gerschewski (2013)
2.2.1 Legitimation
2.2.2 Kooptation
2.3 Legitimations- und Kooptationsfunktion
2.3.1 Konzeptualisierung Legitimationsfunktion
2.3.2 Konzeptualisierung Kooptationsfunktion
2.4 Datenerhebung und -analyse
2.4.1 Datenerhebung
2.4.2 Datenanalyse
2.5 Fallauswahl

3 Legitimation und Kooptation in Nordkorea
3.1 Legitimation
3.2 Kooptation

4 Empirische Analyse
4.1 Das Nuklearprogramm
4.2 Legitimations- und Kooptationsfunktion des Programms
4.2.1 Legitimationsfunktion
4.2.2 Kooptationsfunktion

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

“Viewed from the outside, the government of North Korea appears as a monolith in which all power is invested in Kim Jong Un[1], an omnipotent boy-tyrant who threatens the world with nuclear weapons, and executes his uncle-while still enjoying the adulation of his brainwashed subjects ”(Tudor & Pearson 2015: 80).

Die Demokratische Volksrepublik Korea (im Folgenden „Nordkorea“) ist ein Land, das von Widersprüchen geprägt ist. Geographisch ablegen im Nordosten Asiens ist das 25-Millionen-Einwohner[2] -Land (CIA 2018) seit dem Korea-Krieg 1950-1953 im Zentrum weltpolitischer Auseinandersetzungen. Erstens gehört Nordkorea zu den repressivsten Staaten der Welt.[3] Zweitens ist es dem Land gelungen, sämtlichen Krisen und Sanktionen zum Trotz, ein eigenes Nuklearprogramm[4] zu entwickeln.

„North Korea could have been on Mars for all the United States knew about it. It was a faraway land of unknowns and unknowables explored mostly by spaces probes, in this case spy satellites” (Sigal 1998: 10).

Einer tiefgreifenden Auseinandersetzung steht eine dürftige Datenlage gegenüber. Grund dafür ist die rigide Abschottungspolitik, die das Regime[5] in vielerlei Hinsicht verfolgt. So überraschte das Land US-amerikanische und südkoreanische Regierungsoffizielle am 11. Dezember 2012 mit einem Langstreckenraketentest, welcher nur Stunden vorher noch für unmöglich erklärt wurde (Joo 2014: 24).[6]

Eine wichtige Frage in der Nordkorea-Forschung ist daher die der Verbindung zwischen der Performanz des Landes und dem Nuklearprogramm. In den Internationalen Beziehungen wird das Nuklearprogramm vor dem Hintergrund des Korea-Konfliktes sowie der Proliferationsforschung behandelt. Im Kern geht es dabei um die Frage, was die Motivation hinter der nuklearen Aufrüstung Nordkoreas sein könnte (vgl. Liegl 2016: 2-7). Ausgangspunkt der Forschung ist dabei eine im Detail unterschiedlich begründete Sicherheitsfunktion des Nuklearprogramms.[7] Solingen argumentiert daher „(...) [t]he ultimate goal of North Korea’s nuclear weapons program is to keep a Kim in power, not to assure the security of the North Korean state” (Solingen 2007: 122). Ein Teil der Forschung nimmt dabei auch innerstaatliche Ursachen für die nukleare Bewaffnung in den Blick, insbesondere innerstaatliche Interessenvertreter. Dies geschieht allerdings überwiegend zur Erklärung nordkoreanischer Außenpolitik (Liegl 2016: 14-28). Wenn es dem Kim-Regime letztendlich um das Überleben geht, dann bleibt unklar, welchen Beitrag ein Nuklearprogramm dazu leistet. Von außen betrachtet hängen die Sanktionen und die militärischen Drohungen der USA gegen Nordkorea gerade mit diesem Verhalten zusammen. Es erscheint daher vielversprechend, die Ursachen im politischen System Nordkoreas zu suchen.[8] In Abgrenzung zur innerstaatlichen Forschung in den Internationalen Beziehungen soll nicht primär das außenpolitische Verhalten erklärt werden. Es soll stattdessen untersucht werden, wie das Nuklearprogramm beim Streben nach „regime survival“ hilft. Weiter soll mit der institutionellen Ausgestaltung des Programms ein soweit ersichtlich vernachlässigter Aspekt der politikwissenschaftlichen Forschung untersucht werden.

Mit Hilfe des Drei-Säulen-Modells autokratischer Regimestabilität (Gerschewski 2013) wird daher untersucht, welchen Beitrag („Funktion“) das nordkoreanische Nuklearprogramm zur Regimestabilität leistet. Unter Funktion wird eine Leistungserbringung A für B verstanden (Schmidt 2010: 276), d.h. welchen Beitrag das Nuklearprogramm zur Regimestabilität Nordkoreas leistet. Konkret wird argumentiert, dass das Regime auf Grund seines Typs mit dem Programm versucht, sich zu legitimieren und Eliten zu kooptieren. Dies geschieht über die Bereitstellung von Gütern an die Bevölkerung und strategisch wichtige Akteure, sowie die Einbindung in formelle und informelle Netzwerke.

Methodisch erfolgt die Untersuchung dabei mit Hilfe der Kongruenzanalyse (Blatter & Haverland 2012, Blatter et al. 2018). In der politikwissenschaftlichen Forschung haben die vergleichsweise schlechte Datenlage und die Besonderheiten Nordkoreas dazu geführt, dass einige Forschende das Land als Sonderfall betrachten, der mit allgemeinen Instrumentarien und Theorien der Politikwissenschaft nicht zu fassen sei.[9] Allerdings muss „[p]rinzipielle Gleichartigkeit (…) nicht in gleichem Verhalten resultieren (…).“ (Frank 2013: 432). Die Arbeit folgt daher dem Ansatz, Nordkorea als vergleichbares Regime zu betrachten, das folglich dieselben Strukturen ausbildet und vor denselben Problemen steht wie andere autokratische Regime. Der Untersuchungszeitraum beschränkt sich dabei auf die Regierungszeiten Kim Jong-ils (1994-2011) und Kim Jong-uns (2011-heute), welcher durch die Todesdaten Kim Il-sungs (1994) und Kim Jong-ils (2011) definiert wird.[10]

Die Arbeit soll dabei einen vielfältigen Beitrag zur politikwissenschaftlichen Debatte leisten. Erstens soll die genannte Debatte um die Motivation hinter dem Programm mit Hilfe einer Weiterentwicklung der heuristischen Erklärungstheorie autokratischer Regimestabilität von Gerschewski (2013) ergänzt werden. Die Arbeit soll somit zu einem besseren Verständnis der Interessen hinter dem nordkoreanischen Nuklearprogramm beitragen. Zweitens sollen mit der Funktion für das politische System und der damit verbundenen institutionellen Ausgestaltung Aspekte in den Blick genommen werden, die oft nur nebensächlich behandelt werden. Drittens soll eine Erweiterung der drei Säulen-Theorie vorgeschlagen werden, mit der die Rolle von Institutionen in der Stabilisation von Regimen berücksichtigt werden wird. Viertens soll die Arbeit zu einem besseren Verständnis von Legitimations- und Kooptationsstrategien in Nordkorea beitragen. Fünftens sollen aus den Ergebnissen Implikationen für eine mögliche Sanktionsstrategie und die Aussichten auf eine Denuklearisierung abgeleitet werden.

Die Untersuchung ist wie folgt strukturiert: Im nächsten Kapitel wird das Forschungsdesign vorgestellt. Nach Erörterung der angewandten Kongruenzanalyse werden die Grundannahmen des Drei-Säulen-Modells dargestellt. Anschließend werden Voraussagen darüber entwickelt, was man empirisch für die Annahme einer Legitimations- und Kooptationsfunktion beobachten müsste. Im dritten Kapitel werden zunächst die Grundlagen der nordkoreanischen Legitimation und Kooptation von Eliten dargelegt. Im vierten Kapitel wird ausführlich die Geschichte und Struktur des Programms untersucht und gezeigt wie das Regime u.a. mit Hilfe des Nuklearprogramms Regimestabilität herbeiführt und warum vermeintliche Denuklearisierung in der Vergangenheit auch der Regimestabilität diente. Im letzten Kapitel werden die Forschungsergebnisse zusammengefasst und Implikationen für den Umgang mit dem Programm und weitere Forschung erörtert.

2 Forschungsdesign

Die Untersuchung wird als qualitative Einzelfallstudie mit Hilfe einer Kongruenzanalyse durchgeführt.[11] Die Struktur dieser Arbeit orientiert sich am Forschungsdesign von Muno, welches fünf Teilschritte vorsieht (vgl. Muno 2009: 127). Diese sind Einführung, theoretischer Rahmen, Fallauswahl, eigentliche Fallstudie und Schlussfolgerung. Nach der Einführung (vgl. Kapitel 1) werden im Folgenden die methodischen Überlegungen, der theoretische Rahmen und die Gründe für die Fallauswahl dargelegt. Wie dargelegt, sollen Eigenschaften des nordkoreanischen Nuklearprogramms untersucht werden. Qualitative Methoden stellen grundsätzlich die Eigenschaften von Fällen in den Fokus, nicht ihr zahlenmäßiges Vorkommen. Dadurch ermöglichen Fallstudien ein besseres Verständnis von Funktionsweisen, etwa politischer Systeme (Blatter et al. 2018: 10).

Wie bereits erwähnt, wirken eine Vielzahl von Einflussfaktoren auf den Fall. Fallstudien haben hier den Vorteil, diese Einflussfaktoren miteinzubeziehen und den Fall in seiner natürlichen Umgebung analysieren zu können. Sie eignen sich daher für neue, komplexe und abstrakte Themen (Behnke et al. 2010: 83 f., Blatter & Haverland 2012: 8).

Auf Grund der Datenlage zu Nordkorea bietet sich ein theoriebasierter Zugriff auf den Fall an (s. Joo 2014: 24). Die Theorie stellt dann den Zugang zu einem erweiterten Verständnis des Nuklearprogramms bereit, weshalb die Kongruenzanalyse für das dargelegte Forschungsinteresse und die vorhandene Datenlage eine geeignete Methode darstellt.[12]

2.1 Methodik der Kongruenzanalyse

Ziel der Kongruenzanalyse ist der Vergleich zwischen abstrakten theoretischen Konzepten und konkreten empirischen Beobachtungen. Diese vertikalen Beziehungen grenzen die Kongruenzanalyse von einer variablenorientierten, horizontalen Prozessanalyse ab (Blatter et al. 2018: 187). Die Verbindung von Theorie und Empirie geschieht durch die Spezifizierung abstrakter Konzepte mit Hilfe der Festlegung von Eigenschaften.[13] Durch die Ableitung theoretischer Vorhersagen trägt die Kongruenzanalyse methodisch zu einem besseren Fallverständnis bei und kann gleichzeitig einen Beitrag zum theoretischen Diskurs liefern. Ein solches Theorieverständnis bedeutet jedoch auch, dass sich die Theorien nicht im positivistischen Sinne falsifizieren oder verifizieren lassen, was auch nicht angestrebt wird. Der Wert einer Theorie bemisst sich anhand der Schaffung neuer konzeptueller und praktischer Einblicke in den Fall (Blatter & Haverland 2012: 145).

Die Datenerhebung erfolgt mit dem Ziel, die theoretischen Erwartungen zu bestätigen oder zu widerlegen. Die Daten werden folglich nach den theoretisch abgeleiteten Vorhersagen ausgewählt, was die Zusammenfassung in einer Variablen nicht zwingend erforderlich macht (Blatter & Haverland 2012: 20, Blatter et al. 2018: 275 f.). Die Datenanalyse erfolgt mit expliziter Erörterung, inwieweit die Daten die getroffenen Vorhersagen bestätigen oder widerlegen.

2.2 Das Drei-Säulen-Modell nach Gerschewski (2013)

Nachfolgend wird die der Untersuchung zugrundeliegende Forschungsheuristik „Three pillars of stability“ vorgestellt und ihre Verwendung im Hinblick auf das nordkoreanische Nuklearprogramm gerechtfertigt.

Dass autoritäre Herrscher sich mehr um das Regimeüberleben kümmern müssen als ihre demokratischen Gegenspieler, ist in der Forschung weitgehend unumstritten. Das liegt daran, dass autokratische Regime eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, gewalttätig zu enden (Koo et al. 2016: 214). „Three pillars of Stability“ ist ein Modell, welches erklärt, wann autokratische Regime stabil bleiben (Gerschewski 2013, Gerschewski et al. 2012, Gerschewski 2014). Anhand dieses Modells soll überlegt werden, welchen Beitrag das nordkoreanische Nuklearprogramm dazu leistet. Das Modell ist folglich der Ausgangspunkt, aus dem theoretisch entwickelt werden soll, wie das Nuklearprogramm wirken müsste, um einen Beitrag zur Regimestabilität zu leisten. Stabilität definiert Gerschewski als „Kapazität, Herausforderungen zu begegnen und sich ändernden Umweltanforderungen anzupassen“ (Gerschewski et al. 2012: 108). Legitimation, Repression und Kooptation bilden in diesem Modell drei komplementäre Säulen, auf denen Regimestabilität basiert.[14] Die Säulen unterscheiden sich zum einen im Adressaten, zum anderen in der Zielsetzung der damit verfolgten Politiken (vgl. Gerschewski 2014: 91-138, Gerschewski et al. 2012: 112-114). Regime müssen eine kritische Masse an Akteuren zur Akzeptanz ihrer Regeln oder zumindest deren Tolerierung motivieren. Entscheidend dabei ist zunächst, dass Regime sowohl auf strategischer als auch auf normativer Überzeugung beruhende Zustimmung generieren müssen. Akteure unterstützen das Regime, weil sie es für rechtens halten, davon profitieren oder bei Zuwiderhandlungen Sanktionen befürchten müssen. Dabei kommt es darauf an, dass diese drei Motive in der Interaktion der Herrschaftsunterworfenen mit der Herrschaftselite möglichst gut institutionalisiert werden. Institutionalisierung ist dabei ein „Prozess, in dessen Verlauf immer mehr Akteure immer häufiger handlungsleitenden Regeln und Normen des Regimes (kurz: Institutionen)“ folgen (Gerschewski et al. 2012: 113). Repression zielt in erster Linie auf eine Kostenerhöhung für eine mögliche Regimeopposition innerhalb der nationalen Grenzen ab (Gerschewski 2014: 119 f.). Da dies auf Grund der Außenwirkung nicht der vorrangige Zweck des Nuklearprogramms sein kann, konzentriert sich die Arbeit auf die Legitimations- und Kooptationsfunktionen. Beide Funktionen zielen primär darauf ab, „Loyalität (...) durch materielle Anreize zu schaffen“ (Gerschewski et al. 2012: 116). Entscheidend für die Stabilität ist dabei, „ob sich die Interaktionsbeziehungen zwischen den Herrschenden und den Herrschaftsunterworfenen in diesen (...) Funktionsbereichen verstetigen“ (Gerschewski et al. 2012: 107). In den folgenden beiden Unterabschnitten werden die Funktionsweisen von Legitimation und Kooptation dargelegt.

2.2.1 Legitimation

„(…)[L]egitimacy is an ascribed attribute and a property of an object (e.g. a regime), while legitimation refers to the process of gaining legitimacy” (Gerschewski 2018: 655).[15] Gerschewski versteht Legitimation im Sinne Max Webers als empirisches Konzept und „Legitimitätsglauben an die Geltung der politischen Ordnung durch die Herrschaftsunterworfenen“ (Gerschewski et al. 2012: 114), um normativer Kritik vorzubeugen, die „legitime“ Autokratien für ein Oxymoron hält (Gerschewski 2013: 18). Legitimation unterteilt Gerschewski im nächsten Schritt nach David Easton in diffuse und spezifische Systemunterstützung. Der englische Begriff „legitimacy is an ascribed attribute and a property of an object (e.g. a regime), while legitimation refers to the process of gaining legitimacy” (Gerschewski 2018: 655). Die Unterscheidung wird hier für die deutschen Bezeichnungen Legitimität und Legitimation entsprechend übernommen. Während spezifische Unterstützung insbesondere auf Performanz und Output des politischen Systems fußt, bezieht sich die diffuse darauf, „what the regime „actually represents“ “ (Gerschewski 2013: 20). Bei der spezifischen Unterstützung sollen in erster Linie Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt werden wie Sicherheit und Wohlfahrt. „The better it performs economically, socially, and in terms of public order, the more legitimate it is in the eyes of the ruled” (Gerschewski 2013: 20). Folglich wird auch spezifische Unterstützung über entsprechende Performanzindikatoren, wie etwa die World Bank Development Indikatoren, gemessen (Gerschewski 2013: 20).

Diffuse Unterstützung bezieht sich hingegen darauf, was das Regime repräsentiert. Damit ist diese Variante langzeitorientierter und genereller ausgelegt. Die wichtigsten Eigenschaften der diffusen Systemunterstützung sind Grundsätzlichkeit und Unbestrittenheit des Legitimitätsanspruchs (Gerschewski 2014: 95 f.). Dieser kann sich aus politischen Ideologien, aber auch aus Herrschaftsansprüchen, Charisma der Regimeführer oder einem durch externe Bedrohungen hervorgerufenen „rally-around-the-flag“-Effekten ergeben (Gerschewski 2013: 20). „(…)[T]he dominant and ruling elite needs to create a ‚legend‘ on which its entitlement claims are based upon“ (Gerschewski 2014: 101). Folglich wird diffuse Unterstützung über Indikatoren gemessen, die Hinweise auf „public discontent“ liefern können, etwa die Anzahl an Aufständen oder einen „gap“ zwischen „promises and the social reality“ (Gerschewski 2013: 20 f.).[16]

Diese beiden Formen der Unterstützung können drei Objekten gegenüber erbracht werden (Gerschewski 2014: 94): der political community, dem regime oder den authorities. Während sich political community auf eine empirisch beobachtbare Gruppe sowie ihren zugrundeliegenden „sense of community“ bezieht, meint political regime „a set of constraining rules that is accepted and followed and ensures minimal procedural organization of a group so that the group does not need to negotiate matters on a day-by-day basis“ (Gerschewski 2014: 95). Authorities sind die konkreteste Form, der Unterstützung entgegengebracht werden kann und bezieht sich neben der Regierung insbesondere auf die Verwaltung und die Amtsinhaber. Diffuse Unterstützung kann dabei allen drei Objekten entgegengebracht werden. Spezifische Unterstützung ist hingegen an das „fulfillment of demands“ gebunden und daher nur gegenüber den „authorities“ möglich (Gerschewski 2014: 96).

2.2.2 Kooptation

Kooptation meint nach Gerschewski „the capacity to tie strategically relevant actors (or a group of actors) to the regime elite” (Gerschewski 2013: 22). Im Falle von Autokratien zielt dieser Mechanismus auf einen Teil des Selektorats, die „winning coalition“ (vgl. Bueno de Mesquita et al. 2003: 51-68). Eine strategisch ausgewählte Personengruppe wird durch formelle und informelle Arrangements im Idealfall in ein Abhängigkeitsverhältnis von der Regimeelite gebracht (Gerschewski et al. 2012: 116). Durch materielle Anreize soll die Gruppe dazu animiert werden, ihre wichtigen Ressourcen zum Wohle des Regimes einzusetzen. In autokratischen Systemen können beispielsweise das Militär auf Grund des Kriegswaffenmonopols und die Wirtschaft ob ihrer Finanzkraft als zu kooptierende Akteure angesehen werden (vgl. Bueno de Mesquita et al. 2003: 43-50). In Abgrenzung zur spezifischen Unterstützung geht es bei der Kooptation um die „leaders“ auf dem „intra-elite-level“. „Co-optation is therefore not regarded here as a mass phenomenon, but a very selective endeavor” (Gerschewski 2014: 130). Kooptation soll die Elite einbinden, um den internen Zusammenhalt und damit die Handlungsfähigkeit des Regimes sicherzustellen.[17]

Kooptation über formelle Kanäle geht dabei von einer Einbindung dieser Akteure, Einrichtungen oder Organisationen aus. Dementsprechend wird formelle Kooptation über „policy responsiveness“ und „personal representation“ gemessen. Erstere misst, wie responsiv das Regime gegenüber Einzelinteressen strategisch relevanter Akteure gewesen ist.[18] Letztere wird über die Inklusion von Militär- und Wirtschaftseliten in Parteien, Parlamenten oder Kabinetten gemessen und durch Sekundärliteratur ergänzt.

Für die Messung informeller Wege der Kooptation muss hingegen auf qualitative Argumente zurückgegriffen werden. Entscheidend hierbei ist vor allem, Hinweise auf materielle Ausstattungen sowie die Position des Patrons innerhalb dieser Netzwerke zu untersuchen (Gerschewski 2014: 136 f.).[19] „Co-optation (...) is easier to implement, the higher the resource base and the more excludable the incentives are. If the goodwill of the patrons is decisive for individual careers, their leverage to exert co-optation is higher” (Gerschewski 2014: 138). Im nächsten Abschnitt wird auf Basis der „three pillars“ ein theoretischer Vorschlag unterbreitet, die Legitimations- und Kooptationsfunktion des Nuklearprogramms zu messen.

2.3 Legitimations- und Kooptationsfunktion

Nachdem dargelegt wurde, was unter Legitimation und Kooptation verstanden wird, stellt sich nun die Frage, wie das Nuklearprogramm in der Theorie einen Beitrag leisten kann. Es erscheint sinnvoll und notwendig, die Merkmale des nordkoreanischen Regimes zum Ausgangspunkt zu nehmen, um hierauf eine Legitimations- und Kooptationsfunktion zu begründen.

Grundsätzlich ist das dargestellte Modell auf alle Autokratien, unabhängig von ihrem Subtyp, anwendbar (Gerschewski 2013: 14). Je nach Subtyp zeigen autokratische Regime jedoch unterschiedliches Proliferationsverhalten sowie andere Merkmalsausprägungen und Verhaltensweisen (vgl. Harnisch & Friedrichs 2018: 126, Koo et al. 2016: 215). Zudem lässt sich aus dem Regimetyp ableiten, welchen Bedrohungen sich die Regime grundsätzlich gegenübersehen und welche Verhaltensweisen zu erwarten sind (Koo et al. 2016: 221 f.). Für die Untersuchung wird auf die Typologie von Barbara Geddes zurückgegriffen, die Autokratien in Militärregime, personalistische Regime und Ein-Parteien-Regime unterteilt (Geddes et al. 2014). Während in Militärregimen eine Militärjunta über die Postenbesetzung bestimmte, entscheiden in personalistischen Regimen der autoritäre Herrscher und sein Familienclan oder Fraktionen. In Ein-Parteien-Regimen entscheidet hingegen eine Partei-Organisation.

In Bezug auf die Funktion ist fraglich, welchen Beitrag das Nuklearprogramm zur Legitimationsbzw. der Kooptationssäule leistet. Die Stabilitätsdefinition setzt voraus, dass ein solches Programm grundsätzlich bei der Bewältigung von Herausforderungen und sich verändernden Umwelteinflüssen hilft.

„Zur Legitimation eines Regimes zählen dabei alle Maßnahmen eines politischen Regimes, die darauf zielen, freiwillige Gefolgschaft oder zumindest Fügsamkeit mithilfe politischer Verheißungen, Versprechungen und konkreter Maßnahmen zu erzeugen, unabhängig davon, ob diese erfolgreich sind, also ob es mittels dieser Verheißungen, Versprechungen und Maßnahmen gelingt, die Herrschaft tatsächlich durch die Erzeugung von Gefolgschaft zu stabilisieren“ (Kailitz & Wurster 2017: 142).

Dabei muss es zum einen dabei helfen, die Unterstützung der breiten Bevölkerung zu sichern, zum anderen muss es ein formelles und/oder informelles Netzwerk darstellen, das die „winning coalition“ an das Regime bindet. Die konkreten Mechanismen werden Gerschewskis Modell entsprechend separat entwickelt.

2.3.1 Konzeptualisierung Legitimationsfunktion

Wie dargelegt, muss das Nuklearprogramm zur Annahme einer Legitimationsfunktion einen Beitrag zur Generierung spezifischer und/oder diffuser Unterstützung der Bevölkerung leisten. Es muss einen Beweis dafür liefern, warum die Herrschenden zur Herrschaft berechtigt sind (vgl.Gerschewski 2018: 654). Daher müssen sich in Folge des Programms Performanzeffekte einstellen, die auf das Regime zurückgeführt werden können. Weiter muss das Programm als Berechtigungsnachweis des Herrschaftsanspruchs („legitimation claim“) dienen. „(…) legitimation claims (…) are assumed to have the aim of bolstering authoritarian rule even if their effects are still open to empirical validation“ (Dukalskis 2017: 58). Im Folgenden werden die einzelnen Mechanismen der Legitimationsfunktion dargestellt.

Das Nuklearprogramm ist dann eine Produktion und Arbeitsleistung des politischen Systems Nordkoreas, wenn es Output oder eine besondere Performanz des Regimes darstellt, um spezifische Unterstützung zu generieren. Die Legitimität des Regimes beruht in diesem Fall folglich auf „der faktischen Anerkennung der Produkte des politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses“ (vgl. Schmidt 2010: 568). Solange das Regime derartige Performanz liefert und öffentliche sowie private Güter bereitstellt, besteht für die Bevölkerung kein Grund zu protestieren (Dukalskis & Gerschewski 2017: 256). Das Regime muss deshalb den Bedarf der Bevölkerung bedienen, wozu das Nuklearprogramm einen Beitrag leisten kann. Ein solcher Bedarf kann sich aus der sozio-ökonomischen Entwicklung, dem Bedürfnis nach physischer Sicherheit der Bevölkerung oder Aufrechterhaltung der inneren und sozialen Ordnung ergeben (Gerschewski 2013: 20). „[The regime] needs to prove to the people that it is successful in managing the social and political problems of the people“ (Gerschewski 2014: 99).

Das bedeutet für die Untersuchung, dass Probleme identifiziert werden müssen, die von den nordkoreanischen „authorities“ mit Hilfe des Nuklearprogramms gelöst werden oder bei denen dies zumindest vorgegeben wird. Darüber hinaus muss eine diskursive Verknüpfung zwischen Problem und Problemlösung durch die „authorities“ vorliegen, d.h. es muss für die Bevölkerung ersichtlich sein, dass die „authorities“ die Probleme mit Hilfe des Nuklearprogramms lösen oder gelöst haben.

Zur Generierung diffuser Unterstützung muss das Nuklearprogramm als ein Beweis für die Richtigkeit des Legitimitätsanspruchs der Herrschenden genutzt werden. Dazu muss identifiziert werden, aus welchen Quellen sich Legitimität in Nordkorea speist, d.h. warum die Regierenden an der Macht sind. Anschließend ist fraglich, ob das Nuklearprogramm im Zusammenhang mit diesen Quellen eine Rolle spielt. Da die Einstellungen der Bevölkerungen in Autokratien allgemein schwer zu messen sind, wird hilfsweise für die Arbeit das nordkoreanische Bildungs- und Mediensystem untersucht, um hierdurch auf die Einstellung der Bevölkerung rückschließen zu können.

2.3.2 Konzeptualisierung Kooptationsfunktion

Für die Annahme einer Kooptationsfunktion muss eine formelle und/oder informelle Bindung von Mitgliedern der nordkoreanischen „winning coaltion“ an die Herrschenden zu beobachten sein. Nach einer konkreten Identifikation dieser Gruppe muss im nächsten Schritt untersucht werden, wer Teil des Nuklearprogramms ist und wie dieses institutionell ausgestaltet ist. Für die Annahme von formeller Kooptation muss zu beobachten sein, dass strategisch wichtige Eliten, insbesondere Militär und Wirtschaft, Posten erhalten und dadurch sozial aufsteigen. Weiter muss eine Einbindung in das politische System erkennbar sein, die auf eine Kosten-Nutzen-Kalkulation dieser Eliten zugunsten der Herrschenden schließen lässt. Für eine informelle Kooptationsfunktion müssen idealerweise Patronage, Klientelismus oder Korruption zu beobachten sein.[20]

[...]


[1] Nord- und südkoreanische Begriffe werden unterschiedlich romanisiert. Für die Arbeit wird die im deutschsprachigen Sprachraum gängige Romanisierung von koreanischen Begriffen verwendet (also: Kim Jong-un statt Gim Jeong-eun). Bei genuin nordkoreanischen Begriffen wird die revidierte Romanisierung verwendet („Juche sasang“ statt „Chuch’e sasang“). Hilfsweise wird die Romanisierung der Originalquelle verwendet. Bei koreanischen Namen wird die koreanische Reihenfolge verwendet, d.h. erst Nachdann Vorname.

[2] Aus Gründen des Umfangs und der Lesbarkeit wird in der Arbeit das generische Maskulinum verwendet.

[3] Nordkorea erreicht im Freedom in the World 2018 Report einen Wert von 3. Damit teilt es sich den drittletzten Platz der unfreiesten Staaten mit Eritrea vor dem Südsudan und Syrien.

[4] Unter „Nuklearprogramm“ wird nach Hecker et al. 2018 die zivile und militärische Erforschung, Entwicklung und Nutzung radioaktiver Stoffe, deren „weaponization“ sowie die Entwicklung jeweiliger Trägersysteme verstanden. Die Gründe werden ausführlich in Abschnitt 4.1 erläutert.

[5] „Ein Regime definiert die Zugänge zur politischen Herrschaft ebenso wie die Machtbeziehungen zwischen den Herrschaftseliten und das Verhältnis der Herrschaftsträger zu den Herrschaftsunterworfenen“ (Merkel 1991:71).

[6] Auch wurde etwa die Nachricht Kim Jong-uns Onkel Jang Song Taek sei von 120 Hunden getötet worden später widerlegt (Fisher 2014).

[7] Klöcker 2003 argumentiert, dass demokratische Regierungen auf Wählerzustimmung angewiesen sind und daher risikoavers selbst gegen militärisch deutlich unterlegene Nuklearstaaten sind. Das United States Office of the Secretary of Defense 2017: 5 sieht den strategischen Nutzen der nordkoreanischen Nuklearwaffen in einem Abschneiden US-amerikanischer Versorgungsrouten im Falle einer nordkoreanischen Invasion Südkoreas.

[8] Unter dem politischen System wird „(…) die Gesamtheit der politischen Institutionen, politischen Prozesse und Inhalte politischer Entscheidungen sowie des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeldes der Politik und der Wechselwirkungen zwischen ihnen“ (Schmidt 2010: 627).

[9] Koo et al. (2016) argumentieren, der sog. pecularity-approach sei der mehrheitliche Forschungsansatz für Nordkorea (Koo et al. 2016: 412 m.w.N. Fn. 412).

[10] In der Nordkorea-Forschung ist umstritten, wann Kim Jong-il und Kim Jong-un faktisch die Macht in Nordkorea übernommen haben. Dies geht im Kern auf Unklarheiten über den Gesundheitszustand des jeweiligen Vorgängers und die faktischen Machtverhältnisse in Nordkorea zurück (vgl. Tudor & Pearson 2015: 83-110).

[11] Zu den ontologischen und epistemologischen Grundannahmen sowie der Geschichte der Fallstudie (Blatter & Haverland 2012: 9-19).

[12] Theorien werden demnach als gedankliche Rahmungen verstanden, die abstraktes Gedachtes zur Verfügung stellen und durch ihre meist empirische Forschungsbasis Vorhersagen über den konkreten Einzelfall zulassen (Blatter et al. 2018: 1).

[13] Theorie meint hier: „Spezifizierung grundlegender paradigmatischer Perspektiven“ (Blatter et al. 2018: 265).

[14] Das Modell „versteht sich dezidiert in der Tradition des Neoinstitutionalismus, der die Einbettung von Akteursentscheidungen in institutionelle Kontexte betont“ (Gerschewski et al. 2012: 113). Es soll eine von ihm identifizierte Lücke in der bisherigen Autoritarismusforschung schließen und auch das Konzept der Legitimation zurück in die Debatte einführen, vgl. ausführlich Gerschewski 2013: 14-18.

[15] Legitimation war lange in der Forschung nicht präsent, obwohl es zu den Kernkonzepten der klassischen Autokratienforschung gehört (vgl. Gerschewski 2013, Kailitz & Wurster 2017: 18 f.).

[16] Gerschewski formuliert dazu vier Leitfragen, die auf „validity“, „justifiability“ und den „transfer mechanism“ des „legitimacy claims“ sowie die „uncontestedness of concepts“ abstellen (Gerschewski 2014: 109 f.).

[17] Gerschewski verbindet damit zwei Forschungsstränge der „second wave“ der Autokratienforschung zu einem Konzept „co-optation“ (Gerschewski 2014: 127).

[18] Als Indikatoren werden der Anteil der Rüstungsausgaben an den Gesamtausgaben sowie Experteninterviews und Länderberichte vorgeschlagen.

[19] Gerschewski nutzt zudem vier der sieben Kriterien von Scott 1972: 106 für die Messung der Qualität von Patron-Client Beziehungen.

[20] Klientelismus wird definiert als „Formen einer zum beiderseitigen Nutzen dienenden Schutzgenossenschaft zwischen einer in der gesellschaftlichen Rangordnung höher gestellten Person (…) [oder mehreren] (Patron) und einer auf Schutz und Vorteilserwerb bedachten Gefolgschaft (Klientel)“ (Schmidt 2010: 401). Patronage meint hier „ein Prinzip der selektiven Verteilung und Zuordnung begehrter Güter oder Positionen, z.B. politischer Ämter, das auf schirmherrschaftlicher und günstlingswirtschaftlicher Vorteilsgewährung im Austausch für Loyalität und sonstige Unterstützung seitens der Protegierten beruht“ (Schmidt 2010: 590 f.).

Final del extracto de 54 páginas

Detalles

Título
Nuclear Stabilisation. Die Legitimations- und Kooptationsfunktion des nordkoreanischen Nuklearprogramms unter Kim Jong-il und Kim Jong-un
Universidad
University of Heidelberg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Calificación
1,7
Autor
Año
2019
Páginas
54
No. de catálogo
V539321
ISBN (Ebook)
9783346151704
ISBN (Libro)
9783346151711
Idioma
Alemán
Palabras clave
Nordkorea, proliferation, nuklearwaffen, atombombe, kim jong un, autokratie
Citar trabajo
Julian Klose (Autor), 2019, Nuclear Stabilisation. Die Legitimations- und Kooptationsfunktion des nordkoreanischen Nuklearprogramms unter Kim Jong-il und Kim Jong-un, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/539321

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