John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit von 1971 - Eine kritische Rekonstruktion der Herleitung der Rawlschen Gerechtigkeitsprinzipien


Seminar Paper, 2005

17 Pages, Grade: 1,3


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Theorie der Gerechtigkeit von
2.1 Die grundlegende Methodik
2.1.1 Das Erkenntnisinteresse
2.1.2 Die Konzeption der Gerechtigkeit als Fairness
2.2 Die zentralen Gedanken der Theorie der Gerechtigkeit
2.2.1 Das rationale und vernünftige Wesen
2.2.2 Kohärenztheorie als zugrundeliegende Methode
2.3 Die Herleitung der Gerechtigkeitsprinzipien aus dem Urzustand

3. Fazit - Kritische Würdigung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die von John Rawls in seinem 1971 erschienenen Werk „A Theory of Justice“ präsentierte Vertragstheorie der Gerechtigkeit ist für die politische Theorie der Gegenwart zu einer Art Standartwerk avanciert. Noch heute, über dreißig Jahre nach dem Erscheinen seines Werkes, wird seine Theorie unter anderem in der politikwissenschaftlichen Literatur heftig diskutiert und zeugt damit immer noch von Aktualität. Dies lässt sich letztlich sicherlich auch auf das Subjekt seiner Arbeit zurückführen, scheint doch gerade der Begriff der Gerechtigkeit in Zeiten zunehmender sozialer aber auch ökonomischer Ungleichheiten auf intra- wie internationaler Ebene eher an Bedeutung zu gewinnen als zu verlieren.

Doch was genau ist denn Gerechtigkeit? Wann gilt ein Wirtschaftssystem oder eine Gesellschaftsform als gerecht?

In „A Theory of Justice“ versucht Rawls eine Antwort auf diese Fragen zu finden, indem er eine Theorie der Verteilungsgerechtigkeit entwickelt. Er beschäftigt sich mit der Grundstruktur einer Gesellschaft und postuliert zwei grundlegende Prinzipien, die die „gerechte“ Verteilung der gesellschaftlichen Grundgüter zwischen individuellen und rationalen Akteuren regeln sollen (vgl. Rawls 1975, S. 20 f.).

In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit der Methode beschäftigen, mittels der Rawls zu seinen postulierten Gerechtigkeitsprinzipien gelangt. Ziel soll dabei sein, die Vorgehensweise Rawls nachzuzeichnen und kritisch zu hinterfragen. In diesem Kontext werde ich abschliessend auch einige grundlegende, logische Defizite seiner Argumentation ansprechen.

In Kapitel 2.1 soll zunächst das Erkenntnisinteresse John Rawls’ näher beleuchtet und der rawlsche Gerechtigkeitsbegriff dargelegt werden. Dieses Vorgehen erscheint deshalb sinnvoll, weil eine Klärung des Anwendungsbereiches der Theorie der Gerechtigkeit (Kap. 2.1.1) sowie eine genaue definitorische Abgrenzung des Gerechtigkeitsbegriffes (Kap. 2.1.2) für eine korrekte Darlegung Rawls’ Gerechtigkeitstheorie unentbehrlich erscheint. Ziel dieses Kapitels soll es sein, einen Überblick über Rawls’ grundlegendes methodisches Vorgehen zu geben und hat insofern einführenden Charakter.

Das darauf folgende Kapitel beschäftigt sich dann konkret mit den wichtigsten Aspekten Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit. Dabei werde ich mich zunächst mit dem zugrundegelegten Akteursmodell beschäftigen (Kap. 2.2.1), welches die Wahl der Gerechtigkeitsprinzipien ebenso beeinflusst wie die Randbedingungen der Wahlentscheidung, die hier ebenfalls näher betrachtet werden sollen (Kap. 2.2.2).

Kapitel 2.3 beschäftigt sich schließlich mit den von Rawls postulierten Gerechtigkeitsprinzipien und hinterfragt ihre Herleitbarkeit aus dem Urzustand kritisch. Es bildet damit die Basis für die abschließende Betrachtung im letzten Kapitel. Dabei wird sich die Kritik an Rawls Theorie der Gerechtigkeit allerdings auf die m. E. wichtigsten Punkte beschränken, da die elementaren Defizite seine Theorie dadurch ausreichend beleuchtet werden.

2. Die Theorie der Gerechtigkeit von 1971

Im Folgenden soll nun Rawls Theorie der Gerechtigkeit näher untersucht werden. Dabei werde ich auf die deutsche Übersetzung „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ aus dem Jahre 1975 zurückgreifen. In diesem Kontext sei aber auf Clemens Kauffmann hingewiesen, der darauf aufmerksam macht, dass sich die europäischen Übersetzungen von „A Theory of Justice“ teilweise erheblich vom englischen Originaltext unterscheiden (vgl. Kauffmann 2000, S. 229 ff.). Rawls jedoch stellte dazu fest: „Since this text includes what I believe are significant improvements, the translated editions are superior to the English” (Rawls 1998, S. 295). Insofern erscheint es mir für die vorliegende Arbeit opportun, die deutsche – offenkundig aktuellere - Ausgabe als Referenz zu verwenden.

2.1 Die grundlegende Methodik

In den nächsten beiden Kapiteln sollen zunächst die grundlegenden Überlegungen von Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit dargelegt werden. Dabei werde ich erst sein Erkenntnisinteresse beleuchten, um die Anwendungsbereiche seiner Vertragstheorie zu verdeutlichen (Kap. 2.1.1) und anschließend seinen Gerechtigkeitsbegriff sowie die hieraus resultierende Konzeption seiner Theorie der Gerechtigkeit näher betrachten (Kap. 2.1.2).

2.1.1 Das Erkenntnisinteresse

Wie bereits eingangs erwähnt, handelt es sich bei „A Theory of Justice“ um eine Vertragstheorie. Es scheint daher angebracht zunächst einmal die wichtigsten Merkmale einer Vertragstheorie zu skizzieren und sich darüber an Rawls’ Erkenntnisinteresse heranzuarbeiten.

Im Allgemeinen liegt der Schwerpunkt von Vertragstheorien nicht, wie ihr Name suggeriert, auf dem Vertrag an sich. Vielmehr versuchen sie auf Basis eines hypothetischen Naturzustandes das Zustandekommen einer vertraglichen Übereinkunft zu begründen und damit den Ursprung und die Legitimation des Staates, einer Gesellschaftsform oder einer Moral zu erklären (vgl. Boucher & Kelly 1994, S. 1 ff.). Der Naturzustand nahezu aller Vertragstheorien ist als ein Kriegszustand zu charakterisieren, in dem jeder Einzelne auf Grund der dort herrschenden Anarchie Angst um sein Leben haben muss. Misstrauen und Gewalt herrschen vor, sodass keinerlei Kooperation zwischen den einzelnen Akteuren, und damit auch keine gesellschaftliche Wohlfahrt, zu erwarten ist. Insofern ist der Naturzustand als ein recht irrationaler Zustand konzipiert, und es erscheint jedem Einzelnen rational, diesen Zustand durch die Schließung eines (hypothetischen) Vertrages, der die individuellen Rechte einschränkt und dafür eine regelnde und schützende Institution[1] einsetzt, zu verlassen. Nur so wird eine friedliche Koexistenz möglich und jeder Einzelne kann seinen individuellen Lebens- und Glücksinteressen nachgehen. Dies verdeutlicht, dass der Naturzustand einerseits das durch die Vertragstheorie zu lösende Problem definiert und andererseits zugleich die Bedingungen angibt, unter denen eine Lösung möglich ist (vgl. Kersting 2001, S. 38 f.). Es erscheint daher an dieser Stelle durchaus angebracht, einen kurzen Blick auf Rawls’ Urzustand zu werfen, um sein Erkenntnisinteresse zu beleuchten: Der rawlsche Urzustand ist kein anarchischer Naturzustand im klassischen Sinne. Es handelt sich vielmehr um einen gesellschaftlichen Zustand. Das Problem, welches in Rawls’ Theorie durch die Schließung eines hypothetischen Vertrages gelöst werden soll, ist die gerechte Verteilung aller gesellschaftlich produzierten Güter. Zum einen verdeutlicht dies, dass Rawls tatsächlich versucht hat, die klassische Vertragstheorie „zu verallgemeinern und auf eine höhere Abstraktionsstufe zu heben“ (Rawls 1975, S.12) – setzt doch ein Verteilungsproblem gesellschaftlicher Güter ein hohes Mass an bereits existierender gesellschaftlicher Komplexität und Kooperationsbereitschaft voraus: Anderenfalls gäbe es ja keinerlei gesellschaftliche Güter, deren Verteilung geregelt werden müsste. Insofern definiert Rawls Gesellschaft auch als nützliches, kooperatives System. Zum anderen fasst Rawls den Begriff der gesellschaftlichen Güter damit sehr weit – er umfasst alles, was durch gesellschaftliche Kooperation produziert werden kann. Dies verdeutlicht den universellen Anspruch, den Rawls für seine Theorie der Gerechtigkeit erhebt. Sein Ziel ist es, Verteilungsprinzipien[2] aufzustellen, die die Grundstruktur der Gesellschaft, also die grundlegenden ökonomischen, politischen und sozialen Institutionen, regeln und damit die gerechte Verteilung aller gesellschaftlichen Grundgüter[3] ermöglichen (vgl. Ebenda, S. 23).

2.1.2 Die Konzeption der Gerechtigkeit als Fairness

Entscheidend für eine Theorie, deren erklärtes Ziel es ist, allgemeine und gerechte Verteilungsprinzipien für die Grundgüter einer Gesellschaft aufzustellen, ist selbstverständlich ihr zugrundegelegter Gerechtigkeitsbegriff. Dabei darf dieser Gerechtigkeitsbegriff nicht selbst aus bestimmten Gerechtigkeitsprinzipien hergeleitet werden, da sonst letztlich in einer Tautologie von Verteilungsprinzipien auf Verteilungsprinzipien geschlossen werden würde. Rawls geht deshalb einen anderen Weg. Er definiert gerechte, faire und objektiv verbindliche Verteilungsprinzipien als das Ergebnis einer egoistisch motivierten, rationalen Wahl von Individuen unter bestimmten Idealbedingungen.

„Es sind diejenigen Grundsätze, die freie und vernünftige Menschen in ihrem eigenen Interesse in einer anfänglichen Situation der Gleichheit zur Bestimmung der Grundverhältnisse ihrer Verbindung annehmen würden. Ihnen haben sich alle weiteren Vereinbarungen anzupassen [...].“

(Rawls 1975, S 28).

Damit ist die Wahl der Gerechtigkeitsprinzipien zum einen von der rationalen und vernünftigen Wahl[4] der Individuen und zum anderen von den Randbedingungen, unter denen die Wahl stattfindet, abhängig. Zu den Randbedingungen zählen etwa die individuellen Merkmale der Personen (z.B. Wünsche, Präferenzen, Wissen, Körperkraft etc.) sowie die Merkmale der Handlungssituation (z.B. Restriktionen, Knappheit der Güter). Die „anfängliche Situation [= Urzustand, SK] der Gleichheit“ meint jedoch nicht eine Gleichheit bezüglich der Ansprüche oder Rechte der Entscheidenden, sondern eine Gleichheit bezüglich ihres Wissens bzw. Nichtwissens (vgl Keck 1998, S. 59 f.). Die Menschen im rawlschen Urzustand sind insofern keine Individuen mehr, als dass sie ihre Entscheidung unter den gleichen Randbedingungen fällen. Alle Akteure des Urzustandes haben das gleiche Wissen bzw. Nichtwissen bezüglich der Merkmale der Personen und der Handlungssituation. Diese Entindividualisierung im Urzustand führt zu einer für alle fairen Entscheidungssituation, da „sich alle in der gleichen Lage befinden und niemand Grundsätze ausdenken kann, die ihn aufgrund seiner besonderen Verhältnisse bevorzugen“ (Rawls 1975, S. 29). Gerechte Verteilungsprinzipien ergeben sich also aus der Fairness der Entscheidungssituation. Gerecht ist damit, was im Rahmen einer fairen Entscheidungssituation festgelegt wird. Dieses Vorgehen erweist sich nicht zuletzt durch das zugrundegelegte Akteursmodell eines rationalen und vernünftigen Akteurs als äußerst fruchtbar. So ermöglicht das theoretische Konstrukt des rein hypothetischen, entindividualisierenden Urzustandes, zumindest potentiell, die logisch-deduktive Herleitung von Gerechtigkeitsprinzipien unter Berücksichtigung klar definierter Randbedingungen und trägt daher Züge von Rational Choice (vgl. Höffe 1979, S. 168 f.)

[...]


[1] Der Institutionenbegriff wird hier in der Definition nach Voigt, Stefan (2002). Institutionenökonomik. München: Fink. verwendet.

[2] Die Begriffe „Gerechtigkeits-“ und „Verteilungsprinzipien“ werden im Folgenden synonym verwand.

[3] Die definitorische Abgrenzung des Grundgüterbegriffes erfolgt in Kap. 2.2.2.

[4] Für eine genauere Definition von „Rationalität“ und „Vernunft“ siehe Kapitel 2.2.1.

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Details

Title
John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit von 1971 - Eine kritische Rekonstruktion der Herleitung der Rawlschen Gerechtigkeitsprinzipien
College
Johannes Gutenberg University Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Course
Politische Theorie
Grade
1,3
Author
Year
2005
Pages
17
Catalog Number
V54146
ISBN (eBook)
9783638494120
ISBN (Book)
9783638873130
File size
489 KB
Language
German
Keywords
John, Rawls’, Theorie, Gerechtigkeit, Eine, Rekonstruktion, Herleitung, Rawlschen, Gerechtigkeitsprinzipien, Politische, Theorie
Quote paper
Steffen Kroggel (Author), 2005, John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit von 1971 - Eine kritische Rekonstruktion der Herleitung der Rawlschen Gerechtigkeitsprinzipien , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54146

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