Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die menschliche Gesundheit. Möglichkeiten der Expositionsminderung


Tesis de Máster, 2019

101 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen

3 Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit
3.1 Autismus-Spektrum-Störungen
3.2 Diabetes mellitus
3.3 Krebs
3.3.1 Lungenkrebs
3.3.2 Brustkrebs
3.3.3 Prostatakrebs
3.3.4 Leukämien bei Kindern
3.4 Morbus Alzheimer
3.5 Morbus Parkinson

4 Möglichkeiten der Expositionsminderung
4.1 IntegrierterPflanzenschutz
4.2 Ökologischer Landbau
4.3 Biologischer Pflanzenschutz
4.3.1 Entomophage Insekten (Nützlinge)
4.3.2 Entomopathogene Nematoden
4.3.3 Bacillus thuringiensis
4.3.4 Pflanzenextrakte (Botanicals)
4.3.5 Sterile-Insekten-Technik
4.3.6 Einsatz von Pheromonen
4.4 Persönliche Schutzausrüstung
4.5 Entfernen von Pestiziden durch Verarbeitungsprozesse
4.6 Weitere empfohlene Maßnahmen zur Expositionsminderung

5 Fazit

Danksagung

Literaturverzeichnis

Zusammenfassung

Um der Lebensmittelnachfrage und den Qualitätsanforderungen der wachsenden Weltbevölkerung gerecht zu werden, hat der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln (Pestiziden) seit den 1950er Jahren deutlich zugenommen. Da diese chemischen Substanzen auch außerhalb der Landwirtschaft zahlreich Anwendung finden, sind sie mittlerweile ubiquitär auf der ganzen Welt vorzufinden. Auch bereits verbotene Pestizide können teilweise heute noch im menschlichen Körper nachgewiesen werden. Einige Pestizide sind aufgrund ihrer persistenten Eigenschaften und ihrer Fähigkeit zur Bioakkumulation bereits in die Nahrungskette vorgedrungen und haben sich dort angereichert. Aufgrund der weltweiten Nutzung von Pestiziden ist der Mensch den daraus resultierenden Risiken über verschiedene Expositionsquellen ausgesetzt. Ziel dieser Masterarbeit ist es, anhand einer Literaturrecherche aufzuzeigen, welche gesundheitlichen Auswirkungen chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel auf die menschliche Gesundheit haben können und welche Möglichkeiten es gibt, um die Exposition mit Pestiziden zu reduzieren.

Im ersten Teil der vorliegenden Masterarbeit werden verschiedene Expositionsquellen und besonders exponierte Personengruppen beschrieben. Des Weiteren wird auf akute Gesundheitsauswirkungen durch die Exposition mit Pestiziden sowie auf potenzielle Zusammenhänge zwischen Pestizid-Expositionen und der Entwicklung von Autismus, Diabetes, Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson und den häufigsten Krebsarten bei Erwachsenen, wie Lungen-, Brust- und Prostatakrebs sowie Leukämie bei Kindern eingegangen. Auf andere chronische Erkrankungen und Störungen, wie beispielsweise Asthma, Reproduktionsstörungen, Geburtsfehler, Nierenerkrankungen und epigenetische Veränderungen, die ebenfalls mit Pestiziden assoziiert werden, kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden, da dies den vorgegebenen Rahmen überschreiten würde.

Der zweite Teil der Masterarbeit befasst sich mit verschiedenen Maßnahmen zur Verringerung des Pestizideinsatzes und der damit verbundenen Expositionsminderung. Hierbei wird unter anderem auf den Integrierten Pflanzenschutz eingegangen, dessen Grundprinzipien vorrangig auf nicht-chemischen Pflanzenschutzmaßnahmen basieren, solange bei einem Schädlingsbefall die wirtschaftliche Schadensschwelle nicht überschritten wird und somit kein großer wirtschaftlicher Schaden zu erwarten ist. Außerdem wird beschrieben, wie der ökologische Landbau bei einer vollständigen Umstellung dabei helfen kann, den Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln einzusparen und theoretisch zur Ernährungssicherung der zunehmenden Weltbevölkerung beizutragen. Weiterhin werden verschiedene Maßnahmen des biologischen Pflanzenschutzes, darunter der Einsatz von Nützlingen, Bacillus thuringiensis, entomopathogenen Nematoden, Pflanzenextrakten, Pheromonen und der Sterilen-Insekten-Technik erläutert. Diese haben im Integrierten Pflanzenschutz und dem Ökologischen Landbau einen wichtigen Stellenwert. Zusätzlich werden weitere Maßnahmen besprochen, die Landwirte ausführen können, um sich und andere Personen während der Ausbringung vor Pestiziden zu schützen, aber auch ihre Familien nach verrichteter Arbeit vor einer Belastung mit Pestiziden zu bewahren. Außerdem werden Maßnahmen aufgezählt, durch die Zulassungsbehörden zu einer Pestizidminderung beitragen können. Zudem werden Präventionsmaßnahmen genannt, durch die auch die allgemeine Bevölkerung eine Expositionsminderung erzielen kann.

Pestizide sind in den letzten Jahrzehnten nicht nur aufgrund ihrer Errungenschaften in der Ertragssteigerung, Ernährungssicherung und der Vektorkontrolle in der öffentlichen Gesundheit, sondern auch wegen ihren schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass Expositionen mit Pestiziden zu akuten Vergiftungen führen und mit den hier beschriebenen chronischen Erkrankungen, die Millionen von Menschen auf der ganzen Welt betreffen, assoziiert werden. Allerdings ist es schwierig einen kausalen Zusammenhang zwischen Pestiziden und der Entwicklung von chronischen Erkrankungen festzustellen, da oft mehrere Jahre vergehen bis sich erste Symptome zeigen und die jeweiligen Erkrankungen durch mehrere Faktoren ausgelöst werden können. Aus diesem Grund ist noch weiterer Forschungsbedarf nötig, um mögliche Toxizitätsmechanismen von einzelnen Substanzen, aber auch Substanzgemischen, zu entschlüsseln.

Auch wenn es aktuell nicht hundertprozentig möglich ist, Pestizide allein für bestimmte Erkrankungen verantwortlich zu machen, sollte im Hinblick auf den Umweltschutz und die möglichen Gesundheitsauswirkungen beim Menschen im Sinne der Vorsorge, der Einsatz von Pestiziden auf ein notwendiges Maß beschränkt werden und immer wenn möglich auf weniger gefährliche Alternativen zurückgegriffen werden.

Abstract

In order to meet food demand and the quality requirements of the growing world population, the use of synthetic pesticides has increased significantly since the 1950s. Since these chemicals are also used extensively outside of agriculture, they are now found ubiquitous around the world. Even already banned pesticides can be partially detected today in the human body. Some pesticides have already entered the food chain because of their persistent properties and their ability to bioaccumulate. Because of this they accumulated there. As pesticides are used around the world and humans are exposed to them through various sources of exposure, the aim of this Master's Thesis is to use epidemiological studies in a literature review to identify what health effects synthetic pesticides can have on human health and what options are available to reduce exposure to pesticides.

The first part of this Master's thesis describes different sources of exposure and particularly exposed groups of people. It also highlights the acute health effects of exposure to pesticides and potential links between pesticide exposure and the development of autism, diabetes, Alzheimer's disease, Parkinson's disease and the most common cancers in adults, such as lung, breast and prostate cancer and leukemia children received. Other chronic diseases and disorders, such as asthma, reproductive disorders, birth defects, kidney disease and epigenetic changes, which are also associated with pesticides, can not be addressed in this paper, as this would go beyond the prescribed range.

The second part of the Master's thesis deals with various measures to reduce the use of pesticides and the associated reduction in exposure. Among other things, this article deals with Integrated Pest Management, the basic principles of which are based primarily on non-chemical plant protection measures, as long as the economic damage threshold is not exceeded in the case of a pest infestation and thus no major economic damage is to be expected. It also describes how organic farming can help to reduce the use of synthetic pesticides and how it can theoretically contribute to food security for the world's growing population. Furthermore, various measures of biological plant protection, such as the use of beneficial organisms, Bacillus thuringiensis, entomopathogenic nematodes, plant extracts, pheromones and the sterile insects technique are explained. In addition, further measures are discussed that farmers can perform to protect themselves and others from pesticides during application, as well as to protect their families from exposure to pesticides after work has been done. Likewise measures are listed that can be used by regulatory authorities to reduce pesticides and prevention measures are mentioned that can also reduce the exposure of the general population.

Pesticides have come under scrutiny in recent decades, not only because of their achievements in increasing yields, food security and vector control in public health, but also because of their harmful effects on human health. Several studies have shown that exposures to pesticides lead to acute intoxication and are associated with the chronic diseases described here that affect millions of people around the world. However, it is difficult to establish a causal relationship between pesticides and the development of chronic diseases, as it often takes several years before the first symptoms appear and the respective diseases can be triggered by several factors. For this reason, there is still a need for further research in order to decipher possible toxicity mechanisms of individual substances as well as substance mixtures.

Although it is currently not 100% possible to blame pesticides alone for certain diseases, the use of pesticides should be limited to a necessary level in view of the possible links between pesticide exposures and short-term and long-term human health effects and whenever possible resort to less dangerous alternatives.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Seit 1950 hat sich die Zahl der menschlichen Bevölkerung verdoppelt. Dies hat zu einem enormen Druck in der Bereitstellung von Nahrungsmitteln auf begrenzten Anbauflächen zu erschwinglichen Preisen geführt. Um der Bereitstellung von Lebensmitteln gerecht zu werden, werden seit den 1950ern in der Landwirtschaft weitflächig chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel (Pestizide) eingesetzt (Bind und Kumar, 2019). Diese dienen der Erfüllung der Qualitätsanforderungen an landwirtschaftliche Produkte sowie der Steigerung der Erträge. Schätzungen zufolge sollen die globalen Ertragsverluste durch Schädlinge, Unkräuter und Krankheiten bei den wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen, wie Zuckerrübe, Kartoffel, Gerste, Mais oder Weizen, ohne die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in unseren gemäßigten Breiten zwischen 50 % und 80 % betragen. Allerdings liegt der Ertragsverlust auch bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln bei diesen Kulturen meistens noch bei über 30 % (San- vido et al., 2012).

Derzeit werden weltweit jährlich ungefähr 2 Millionen Tonnen an Pestiziden genutzt. Davon sind 47,5 % Herbizide, 29,5 % Insektizide, 17,5 % Fungizide und 5,5 % gehören anderen Pestiziden an. Länder wie China, die USA, Argentinien, Thailand, Brasilien, Italien, Frankreich, Kanada, Japan und Indien weisen hierbei die höchste Einsatzmenge von Pestiziden auf. Es wird angenommen, dass bis zum Jahr 2020 die weltweite Einsatzmenge auf bis zu 3,5 Tonnen ansteigen wird (Sharma et al., 2019). Mit ungefähr 85 % der globalen Produktionsmenge weist die Landwirtschaft den höchsten Verbrauch an Pestiziden zur chemischen Bekämpfung von verschiedenen Schädlingen auf. Anwendung finden Pesti­zide unter anderem noch in der öffentlichen Gesundheit zur Bekämpfung von vektorübertragenen Krankheiten, wie Malaria und Dengue-Fieber sowie der Eliminierung unerwünschter Pflanzen (Gräser und Unkräuter) in der dekorativen Landschaftsgestaltung, Parkanlagen und Gärten (Kim et al., 2017). Idealerweise sollen die angewendeten Pestizide nur toxisch für die Zielorganismen, biologisch abbaubar und in gewissem Maße umweltfreundlich sein. Dies istjedoch selten der Fall, weil die meisten Pestizide eine nicht-spezifische Wirkung aufweisen und harmlose sowie für das Ökosystem nützliche Organismen töten können (Gill und Garg, 2014).

Der wiederholte Einsatz von persistenten und biologisch nicht-abbaubaren Pestiziden hat verschiedene Komponenten von Wasser-, Luft- und Bodenökosystemen kontaminiert. Zudem sind diese chemischen Substanzen in die Nahrungskette vorgedrungen und haben sich dort in den höheren Trophiestufen der Menschen und anderer großen Säugetiere angereichert (Gill und Garg, 2014). Damit sind Pestizide zu einem ubiquitären Bestandteil unserer Umwelt geworden. Aufgrund ihres weitflächigen Einsatzes kön­nen sie im Zuhause und Körper von Menschen nachgewiesen werden (Alavanja et al., 2004). Pestizide können durch den direkten Kontakt, durch Rückstände auf Lebensmitteln (besonders Obst und Ge­müse), kontaminiertem Wasser und/oder verschmutzter Luft in den menschlichen Körper eindringen (Gill und Garg, 2014). Insbesondere Landwirte besitzen ein hohes Expositionsrisiko aufgrund derhäu- figen Nichtbeachtung der Gebrauchsanweisung, fehlenden Kenntnissen zur Toxikologie von Pestiziden, fehlerhafter und schlecht gewarteter Spritzausrüstung sowie dem Mangel an persönlicher Schutzausrüs­tung (El-Wakeil, 2013).

Verschiedene mit Pestiziden assoziierte Gesundheitsrisiken beim Menschen können in Form von kurz­fristigen Auswirkungen (beispielsweise Kopfschmerzen und Übelkeit) bis zu chronischen Auswirkun­gen, wie Alzheimer, Autismus, Diabetes, diversen Krebsarten und Parkinson auftreten (Singh et al., 2018; Moustafalou und Abdollahi, 2017). Um den Einsatz von Pestiziden und die damit verbundene Exposition von Menschen zu reduzieren, können verschiedene Maßnahmen, wie die Anwendung des integrierten Pflanzenschutzes, die Umstellung auf den ökologischen Landbau, der Einbezug des biolo­gischen Pflanzenschutzes sowie weitere in der vorliegenden Masterarbeit erläuterte Maßnahmen ergrif­fen werden (Börner et al., 2009; Tamm et al., 2018).

Ziel dieser Masterarbeit ist es, in Form einer Literaturrecherche eventuelle, kausale Zusammenhänge zwischen Pestizid-Expositionen und schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit anhand von epidemiologischen Untersuchungen aufzuzeigen. Des Weiteren werden verschiedene Möglichkeiten dargestellt, die den Einsatz von Pestiziden reduzieren und somit zu einer Expositions­minderung beitragen können. Aus diesem Grund gliedert sich diese Masterthesis in zwei größere Ab­schnitte, deren genaue Gliederung dem Inhaltsverzeichnis entnommen werden kann.

2 Grundlagen

Als Pflanzenschutzmittel, für die auch das Synonym Pestizid verwendet wird, werden Substanzen oder Gemische bezeichnet, die zur Vorbeugung, Zerstörung, Abwehr oder Minimierung von Schädlingen (Insekten, Tiere, Unkräuter und Mikroorganismen) eingesetzt werden (Alavanja et al., 2004; Allsop et al., 2015). Pestizide werden zudem als Wachstumsregulatoren für Pflanzen und die Konservierung von Pflanzenerzeugnissen eingesetzt (Schäffer et al., 2018). Sie finden aber auch Anwendung in der Bekämpfung von vektorübertragenen Krankheiten beim Menschen, wie beispielsweise Malaria, Dengue-Fieber und Schistosomiasis. Pestizide finden allerdings auch außerhalb der Landwirtschaft und der öffentlichen Gesundheit zahlreich Anwendung. Sie werden beispielsweise noch für die Verbesserung und Instandhaltung von öffentlichen Grünflächen und Sportanlagen, als Tiershampoos, in Baumaterialen und den Böden von Booten eingesetzt, um unerwünschte Schädlinge zu bekämpfen oder diesen vorzubeugen (Nicolopoulou-Stamati et al., 2016).

In Deutschland sind derzeit ungefähr 280 Wirkstoffe für den chemischen Pflanzenschutz zugelassen. Allerdings ist die Zahl der Formulierungen, Mittel und Produkte noch größer. Zusätzlich zu den Wirkstoffen enthalten diese noch weitere Zusatzstoffe, wie Trägerstoffe oder Konservierungsmittel. Diese können für unterschiedliche technische Funktionen dienlich sein, indem sie beispielsweise die Eigenschaften verbessern und für eine bessere Wirksamkeit der Aktivsubstanzen sorgen (Schäffer et al., 2018).

Die Einteilung von Pestiziden erfolgt häufig nach dem Zielschädling, der bekämpft werden soll (Allsop et al., 2015). In Tabelle 1 sind die unterschiedlichen Wirkgruppen sowie die dazugehörigen Zielschädlinge nach Kim et al. (2017) dargestellt. Bei den Insektiziden erfolgt zudem oft eine Unterteilung nach ihrer Wirkstoi'iklasse, wie Organophosphate, Organochlor-Pestizide, Carbamate, synthetische Pyrethroide undNeonicotinoide (Allsop et al., 2015). Oft sind Individuen gleichzeitig oder fortlaufend vielen verschiedenen Pestiziden oder Pestizid-Mischungen ausgesetzt. Dies erschwert die Identifizierung von Auswirkungen bestimmter Pflanzenschutzmittel (Kamel und Hoppin, 2004).

Tab. 1: Klassifizierung von Pestiziden anhand des Zielschädlings (Quelle: Kim et al., 2017)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Pestizide können dermal, oral, inhalativ, über die Augen und über die Plazenta in den menschlichen Körper eindringen (Gilden et al., 2010; Kim et al., 2017). Eine Exposition mit Pestiziden kann durch den direkten Einsatz im Beruf, der Landwirtschaft und im Haushalt erfolgen (Kim et al., 2017). Aber auch die allgemeine Bevölkerung kann Pestiziden durch Abdrift, der Kontamination von Wasser und Nahrungsmitteln sowie der Anreicherung in derNahrungskette ausgesetzt sein (Blair et al., 2015). Bei­spielsweise können sich Organochlor-Pestizide in der Nahrungskette und im menschlichen Körper an­reichern. Sie werden hauptsächlich in fettreichen Lebensmitteln tierischen Ursprungs, so wie Fleisch, Fisch und Milchprodukten, nachgewiesen (Muresan et al., 2015). In den meisten Fällen werden die vom Gesetzgeber festgelegten Rückstandshöchstgehalte jedoch in Obst und Gemüse überschritten (Bakirci et al., 2014). Laut der „Environmental Working Group“ hat eine Untersuchung von 47 Obst- und Ge­müsesorten ergeben, dass 12 Sorten hohe Rückstandsgehalte von Pestiziden aufwiesen. Hierzu gehörten Pfirsiche, Äpfel, Paprikas, Sellerie, Nektarinen, Erdbeeren, Kirschen, Grünkohl, Kopfsalat, Weintrau­ben, Karotten und Birnen (Asghar et al., 2016). Auch wenn bei Rückstandsanalysen die maximalen Rückstandshöchstgehalte, die vom Gesetzgeber festgelegt und als sicher betrachtet werden, größtenteils nicht überschritten werden, können diese keine genaue Abschätzung der Gesundheitsrisiken durch die gleichzeitige Exposition von zwei oder mehreren chemischen Substanzen liefern. Diese findet unter realen Umweltbedingungen statt und kann dabei möglicherweise zu synergistischen Effekten führen (Nicolopoulou-Stamati et al., 2016). Weiterhin kann eine Exposition mit Pestiziden über die Luft, Ruß und den Boden stattfinden (Gilden et al., 2010). Eine weitere bedeutsame Expositionsquelle, insbeson­dere in Innenräumen, stellt für einen beträchtlichen Teil der Weltbevölkerung der Pestizideinsatz zur Vektorkontrolle und lästigem Ungeziefer dar (Blair et al., 2015). Kinder sind Pestiziden besonders in ihrem Garten sowie auf Spiel- und Sportplätzen exponiert (Gilden et al., 2010). In der nachfolgenden Abbildung von Allsop et al. (2015) sind die wichtigsten Expositionsquellen bildlich zusammengefasst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Unterschiedliche Expositionspfade, durch die Pestizide aufgenommen werden können

(Quelle: Allsop et al., 2015)

Diese unterschiedlichen Expositionspfade haben zu solch einer ubiquitären Exposition geführt, dass persistente Pestizide oder ihre Metabolite in niedrigen Konzentrationen im biologischen Gewebe vieler Menschen auf der ganzen Welt nachgewiesen werden können. Dies betrifft auch solche Personengruppen, die besonders empfänglich für schädliche Auswirkungen einer Pestizidexposition sein können (Blair et al., 2015). Hierzu zählen Bauern und ihre Familien, Säuglinge, Kleinkinder sowie Kinder im Mutterleib (Allsop et al., 2015). Blair et al. (2015) listen zusätzlich noch ältere Menschen und immunsupprimierte Personen auf.

Bei Landwirten und ihren Familien kann im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung eine stärkere Exposition mit chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln stattfinden. Dabei erfahren Landwirte, die Pestizide ausbringen, mischen und transportieren, die höchste Exposition (Allsop et al., 2015; Singh et al., 2018). Ebenfalls können Angestellte in Gewächshäusern hohen Pestizidbelastungen ausgesetzt sein. Familien von Landwirten, die in der Nähe von landwirtschaftlichen Gebieten wohnen, können ebenso im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung von einer stärkeren Exposition mit Pflanzenschutzmitteln betroffen sein. Gründe hierfür sind, dass durch Abdrift Pestizide, die auf den Feldern ausgebracht wurden, zu den Häusern dieser Familien gelangen können und landwirtschaftliche Mitarbeiter durch Pestizid-behaftete Kleidung und Schuhe die Wohnstätten kontaminieren können. Insbesondere für Säuglinge und Kinder kann dies ein potenzielles Risiko darstellen, da diese empfänglicher für schädliche Auswirkungen von Pestiziden sind als Erwachsene. Auch während der Schwangerschaft oder der Stillzeit können Kinder durch eine Pestizid-Exposition der Mutter mit diesen Substanzen in Kontakt kommen, denn manche Pestizide können über die Plazenta auf das Ungeborene im Mutterleib sowie über die Muttermilch auf den gestillten Säugling übertragen werden. Die Organe des Kindes sind in der frühen Entwicklung noch nicht vollständig entwickelt, weshalb sie besonders empfänglich für die negativen Auswirkungen von toxischen Chemikalien sein können. Ebenfalls kann das Gehirn von Kindern, das sich noch in der Entwicklung befindet, sensibel auf die Exposition mit neurotoxischen Substanzen reagieren. Außerdem nehmen Kinder hinsichtlich ihres Körpergewichts und ihrer geringen Körpergröße wahrscheinlich eine höhere Pestizid-Dosis auf. Zudem weisen sie eine unvollständige enzymatische Entgiftungsiunktion auf, da sie eine geringere Anzahl von entgiftenden Enzymen besitzen und diese zusätzlich noch eine geringere Aktivität als beim erwachsenen Menschen zeigen. Da Kleinkinder viel Zeit zu Hause oder draußen auf dem Boden verbringen und gerne ihre Hände oder Gegenstände in den Mund nehmen, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sie durch Verschlucken Pestizide aufnehmen (Allsop et al., 2015).

3 Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit

Jedes Jahr wird von ungefähr 3 Millionen Fällen einer akuten Pestizidvergiftung berichtet. Von diesen 3 Millionen Fällen stellen 2 Millionen Pestizidvergiftungen in suizidaler Absicht dar (Gill und Garg, 2014). Insbesondere in Entwicklungsländern werden Pestizide häufig für Suizidversuche genutzt (Raufhake et al., 2002). Der Rest der Vergiftungsfälle ist auf eine berufliche Exposition oder versehentliche Aufnahme zurückzufuhren (Gill und Garg, 2014; Raufhake et al., 2002). Wahrscheinlich ist die tatsächliche Zahl der Intoxikationen noch höher, weil viele Fälle nicht behandelt oder fehldiagnostiziert werden. Zudem existieren häufig keine medizinischen Aufzeichnungen (Sánchez- Santed et al., 2016). Akute Auswirkungen einer Intoxikation treten unmittelbar oder innerhalb von 24 Stunden nach der Exposition mit einem Pestizid auf (Singh et al., 2018). Bei einer akuten Vergiftung mit Pestiziden können verschiedene Symptome, wie Hautausschläge, Sehstörungen, Kopfschmerzen, Körperschmerzen, Konzentrationsschwäche, Schwindel, Übelkeit, Müdigkeit, Erbrechen, Unterleibsschmerzen, Krämpfe und Panikattacken, auftreten (Gill und Garg, 2014; Singh et al., 2018). In schweren Fällen kann eine Vergiftung sogar zum Koma und Tod führen (Gill und Garg, 2014). Da viele der Symptome ähnlich oder identisch mit solchen sind, die durch andere Erkrankungen ausgelöst werden, kommt es häufig zu Fehldiagnosen und daraus resultierend sogar gelegentlich zu Todesfällen (Singh et al., 2018). Der Schweregrad der Vergiftung hängt für gewöhnlich mit der Toxizität und Menge der eingesetzten Wirkstoffe, ihrer Wirkungsweise, der Art der Anwendung, der Expositionsdauer und -frequenz sowie der exponierten Person zusammen (Gill und Garg, 2014). Im Vergleich zu zeitlich verzögerten Auswirkungen können solche, die akut auftreten, einfacher diagnostiziert werden. Bei einer schnellen und geeigneten medizinischen Versorgung können akute Vergiftungen häufig geheilt werden (Singh etal., 2018).

Eine fortlaufende Exposition gegenüber subletalen Pestizid-Konzentrationen über einen längeren Zeitraum (Jahre bis Jahrzehnte) kann zu chronischen Erkrankungen beim Menschen führen. Hierbei sind Symptome nicht sofort erkennbar. Sie äußern sich meistens in einem späteren Stadium der Exposition. Besonders Landwirte sind hier einem erhöhten Risiko ausgesetzt, aber auch die allgemeine Bevölkerung. So stehen sie dem Risiko gegenüber, chronische Erkrankungen insbesondere aufgrund von kontaminierten Lebensmitteln und Wasser oder durch Abdrift von Pestiziden zu entwickeln (Gill und Garg, 2014). In den folgenden Kapiteln wird der Zusammenhang zwischen Belastungen mit Pestiziden und der Entwicklung der chronischen Erkrankungen Autismus, Diabetes, der vier häufigsten Krebserkrankungen bei Erwachsenen und Kindern (Lungen-, Brust- und Prostatakrebs sowie Kinderleukämie), Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson näher erläutert. Laut Mostafalou und Abdollahi (2017) gibt es noch weitere Assoziationen zu anderen Erkrankungen beim Menschen, wie der Amyotrophen Lateralsklerose, Asthma, Bronchitis, Reproduktionsstörungen, Geburtsfehler, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung und Adipositas. Zudem wird davon ausgegangen, dass Pestizide zu epigenetischen Veränderungen führen können (Mostafalou und Abdollahi, 2017). In der vorliegenden Masterarbeit wird nur auf einen Teil der mit Pestiziden assoziierten, chronischen Erkrankungen eingegangen, da dies sonst den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würden.

3.1 Autismus-Spektrum-Störungen

Die Autismus-Spektrum-Störungen, auch als Autismus bezeichnet, gehören zu den „tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“, die ein Leben lang bestehen und sehr komplex sind (Kalkbrenner et al., 2014; Schneider et al., 2017; Ye et al., 2017). Autismus-Spektrum-Störungen werden als heterogene neurodegenerative Störungen bezeichnet, die durch Defizite in sozialen Interaktionen, verbaler und nonverbaler Kommunikation, repetitiven und stereotypen Verhaltensmustern sowie beschränkten Interessen charakterisiert sind (Freitag und Jarczok, 2016; Sealey et al., 2016; Ye et al., 2017). Bei ungefähr 50 % der Betroffenen geht zudem eine geistige Behinderung einher und bei etwa 32 % kommt es zu einem Rückgang der erlernten Fähigkeiten (Schneider et al., 2017; Freitag und Jarczok, 2016). Autismus-Spektrum-Störungen umfassen nach ICD-10 den frühkindlichen Autismus, den atypischen Autismus und das Asperger-Syndrom (Freitag und Jarczok, 2016). Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Autismus-Formen können der nachstehenden Abbildung 2 entnommen werden (Remschmidt und Kamp-Becker, 2007).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Autismus-Spektrum-Störungen (Quelle: Remschmidt und Kamp-Becker, 2007)

Charakteristisch für Autismus-Spektrum-Störungen ist auch, dass Betroffene den Augenkontakt meiden und nur wenig oder gar keinen Körperkontakt suchen. Die Reaktion darauf kann zum Teil äußerst sensibel und abwehrend ausfallen. Bekannt ist solch eine Hypersensibilität auch bei Sinnesorganen, wie beispielsweise dem Geruchssinn. Ungefähr 68 % der Betroffen zeigen zudem aggressives und selbstverletzendes Verhalten. Vermutlich ist dies besonders bei Patienten mit einem geringen Intelligenzquotienten der Fall (Schneider et al., 2017).

Bei Autismus-Spektrum-Störungen kann die Symptom-Ausprägung bei Kindern und Jugendlichen sehr stark variieren (Freitag und Jarczok, 2016). Mehr als 70 % der Betroffenen weisen Komorbiditäten in Form von weiteren Entwicklungsstörungen oder psychischen Erkrankungen auf. Gemeinsam mit Autismus können auch neurologische oder internistische Erkrankungen vorkommen. Die wichtigste, neurologische Komorbidität stellt die Epilepsie dar, unter der bis zu 30 % aller Betroffenen leiden. In bis zu 5 % der Fälle können genetische Syndrome, wie das Down-Syndrom, das Rett-Syndrom oder die Phenylketonurie komorbid zu Autismus-Spektrum-Störungen auftreten. Zu häufigen zusätzlichen Entwicklungsstörungen gehören Auffälligkeiten in der Sprache oder Motorik. Hinsichtlich der psychischen Erkrankungen können die Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) (bis 44 %), Depressionen (bis 70 %), Ängste (bis 56 %) oder Tic-Störungen (bis 38 %) gemeinsam mit Autismus-Spektrum­Störungen in Erscheinung treten. Hingegen kommt es selten zu psychotischen Störungen, Essstörungen oder Suchterkrankungen (Schneider et al., 2017). Autistische Symptome treten zusätzlich bei verschiedenen somatischen und genetischen Erkrankungen, wie beispielsweise dem Rett-Syndrom, der tuberösen Sklerose, dem fragilen X-Syndrom, der infantilen Zerebralsklerose, angeborenen Rötelninfektionen und der zerebralen Lipoidose auf (Weber-Papen et al., 2016).

Klinisch wird die Diagnose anhand der vorliegenden Symptome gestellt (Sappok et al., 2010). Die Diagnostik beinhaltet eine ausführliche Anamnese, neuropsychologische Testverfahren, Verhaltensbeobachtungen sowie die Abklärung der Organe. Die Diagnosestellung erfolgt meistens im Laufe der Kindheit. Insbesondere beim Asperger-Syndrom werden Autismus-Spektrum-Störungen in manchen Fällen erst im Erwachsenenalter diagnostiziert (Schneider et al., 2017). Die Kernsymptome zeigen sich für gewöhnlich auch noch bei Erwachsenen, jedoch kommt es im fortgeschrittenen Lebensalter zu einer leichten Besserung der sozialen Kompetenz (Sappok et al., 2010; Weber-Papen et al., 2016). Ob Betroffene selbständig und ohne Hilfe leben können, ist besonders vom Intelligenzquotienten, dem Grad der sozialen Beeinträchtigung, der Sprachkompetenz und dem Vorliegen von weiteren Erkrankungen, wie beispielsweise Epilepsie, abhängig (Sappok et al., 2010; Schneider et al., 2017). Viele Betroffene können mit einem normalen Intelligenzquotienten einen guten Schulabschluss machen. Allerdings zeigen sich Probleme häufig am Arbeitsplatz, weshalb viele Autisten arbeitslos bleiben (Schneider et al., 2017). Beim Asperger-Syndrom ist die Prognose günstiger als beim frühkindlichen Autismus. Für Autismus-Spektrum-Störungen gibt es keine Heilung (Sappok et al., 2010). Ziel einer Behandlung ist die Reduktion von Symptomen bzw. der auftretenden Verhaltensstörungen (Weber-Papen et al., 2016). Hierbei hat sich die Psycho- und Soziotherapie als besonders wichtig erwiesen. Ebenfalls kann eine Therapie mit Psychopharmaka dabei helfen, Symptome der Störung zu lindern (Schneider et al., 2017). Eine entsprechende Therapie kann bei einer ausreichenden kognitiven Funktion im Laufe der Zeit das Kontakt- und Interaktionsverhalten verbessern und bestimmte Beeinträchtigungen mildern (Weber-Papen et al., 2016). Autismus-Spektrum-Störungen wirken sich nicht nur auf die Betroffenen und ihre Familien aus, sondern auch direkt und indirekt auf den Gesundheits-, Pflege- und Bildungssektor sowie den Arbeitsmarkt und den Wohnungsbau, indem sie zu einer hohen ökonomischen Belastung führen. Schätzungen zufolge sollen aufgrund von Autismus­Spektrum-Störungen die medizinischen, nicht-medizinischen sowie die Produktivitätskosten bis 2025 allein in den Vereinigten Staaten jährliche Kosten von etwa 500 Milliarden US-Dollar verursachen (Masi et al., 2017).

Autismus-Spektrum-Störungen werden bei ungefähr 1 % der Weltbevölkerung diagnostiziert (Weber- Papen et al., 2016). Die Häufigkeit zeigt in den letzten Jahren einen zunehmenden Trend. War im Jahr 2002 noch 1 von 150 Kindern von Autismus betroffen, stieg die Zahl im Jahr 2014 bereits auf 1 von 59 Kindern an (Cheng et al., 2019; Pelch et al., 2019). Die Prävalenz von Autismus scheint geschlechtsspezifisch zu sein, denn Jungen sind viermal häufiger als Mädchen betroffen. Die Gründe hierfür sind bislang nicht bekannt (Chaste und Leboyer, 2012; Ye et al., 2017). Kulturelle, sozioökonomische oder geographische Faktoren sollen für die Prävalenz von Autismus-Spektrum­Störungen nicht von Bedeutung sein (Schneider et al., 2017). Die erhöhten Raten der Autismus­Diagnosen können viele Ursachen haben. Hierzu gehören eine verbesserte Diagnostik, die verstärkte 8 Wahrnehmung und das vermehrte Wissen um diese Störungen (Cheslack-Postava et al., 2013; Schneider et al., 2017). Einen weiteren Grund kann aber auch der Anstieg von Umweltbelastungen darstellen (Cheslack-Postava et al., 2013).

Wie es scheint, gibt es eine starke genetische Komponente im Entstehungsprozess von Autismus­Spektrum-Störungen, bei der vermutlich eine Reihe von Genen und epigenetische Prozesse bei der Pathogenese eine Rolle spielen. Auch konnten immer wieder Chromosomenanomalien in Studien nachgewiesen werden. Zwillings- und Familienstudien zeigen eine hohe Heritabilität von ungefähr 40 bis 80 % (Schneider et al., 2017). Autismus-Spektrum-Störungen zählen unter allen kinderpsychiatrischen Erkrankungen zu den Störungen, die den stärksten genetischen Einfluss aufweisen (Holtmann et al., 2006). Aber auch Veränderungen in der Hirnmorphologie können mit der Ätiologie von Autismus in Verbindung stehen. Bei Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen konnten in neurobiologischen Untersuchungen mehrfach Unterschiede in der Hirnmorphologie demonstriert werden. Hierbei wies das Hirnvolumen zu Entwicklungsbeginn eine Vergrößerung auf. Allerdings verringerte sich dieses im Verlauf des Wachstums erheblich im Vergleich zu gesunden Kindern (Schneider et al., 2017). Vor allem in frontalen und temporalen Hirnarealen, im limbischen System sowie im Zerebellum sollen Veränderungen sichtbar sein (Weber-Papen et al., 2016). Auffällig ist hierbei die Verteilung der grauen (Amygdala, Hippocampus und Precuneus) und weißen Substanz (Fasciculus uncinatus und Fasciculus arcuatus). Weiterhin ist allem Anschein nach, der Bereich der Neurotransmitter verändert. Hierbei zeigen sich, insbesondere bei Serotonin und Gamma­Aminobuttersäure (GABA), Veränderungen durch eine Hyperserotoninämie und reduzierte GABA- Rezeptoren (Schneider et al., 2017). Weiterhin wird angenommen, dass Autoimmunprozesse und Störungen der Mitochondrienfunktion an der Pathogenese beteiligt sein können (Weber-Papen et al., 2016).

Auch wenn die Forschung sich im letzten Jahrzehnt intensiv mit Autismus-Spektrum-Störungen befasst hat, bleibt die zugrundeliegende Ätiologie weitgehend unbekannt (Sealey et al., 2016; Ye et al., 2017). Autismus variiert unter den Betroffenen signifikant in seiner Erscheinung. Daher verwundert es nicht, dass die Ätiologie von Autismus-Spektrum-Störungen ähnlich heterogen und vielschichtig zu sein scheint (Sealey et al., 2016). Auch wenn Autismus-Spektrum-Störungen überwiegend genetisch bedingt sind, gibt es einige bekannte Risikofaktoren, die die Entwicklung begünstigen können. Hierzu gehören vor allem ein erhöhtes Alter der Eltern bei der Geburt des Kindes, Geburtskomplikationen, virale Infektionen während der Schwangerschaft (Rötelninfektionen) und die Exposition gegenüber bestimmten Medikamenten in der Schwangerschaft, wie beispielsweise Valproinsäure und Thalidomid (Freitag und Jarczok, 2016; Schneider et al., 2017). Umweltagenzien, die eine Einflussgröße für die Autismus-Pathogenese darstellen können, sind Pestizide, Phthalate, Polychlorierte Biphenyle, Lösungsmittel, Luftverschmutzungen, Duftstoffe sowie Schwermetalle (Aluminium, Blei und Quecksilber) (Sealey et al., 2016; Ye et al., 2017). Allerdings sind die genauen Zusammenhänge bislang nicht bekannt und eine Kausalität besteht nicht durchgehend (Schneider et al., 2017). Zunehmende Hinweise deuten darauf hin, dass Umweltfaktoren und Umwelt-Gen-Interaktionen zur Ätiologie der Autismus-Spektrum-Störungen beitragen können (Pelch et al., 2019). Dabei können Umweltagenzien epigenetische Prozesse durch Modifikationen der Genexpression und eher weniger durch Veränderungen in der DNA-Sequenz beeinflussen. Bei manchen Individuen können solche Veränderungen in der Genexpression zu einer höheren Empfindlichkeit bezüglich der Wirkung bestimmter Giftstoffe führen (Cheng et al., 2019).

Eine zunehmende Zahl von Studien hat gezeigt, dass das sich entwickelnde Gehirn von Föten besonders empfindlich auf Umweltgifte reagiert (Ye et al., 2017). Pränatale Expositionen gegenüber verschiedenen Arten von Pestiziden werden mit einer beeinträchtigten Entwicklung des Nervensystems in Verbindung gebracht. Weiterhin wird angenommen, dass Organophosphate und Organochlor- Pestizide das Risiko von Autismus-Spektrum-Störungen erhöhen können. In experimentellen in vivo- und in viiro -Studien zu Autismus konnten Veränderungen in den Neuroprotein-Konzentrationen, eine veränderte Gen-Expression und verhaltensneurologische Anomalien nach Belastung mit bestimmten Pestiziden beobachtet werden. Beispielsweise konnte an Mäusen gezeigt werden, dass bei einer pränatalen Verabreichung des Organophosphats Chlorpyrifos bei subtoxischen Konzentrationen die männlichen Nachkommen eine verzögerte Motorik und vermehrt Verhaltensmerkmale, die mit Autismus in Verbindung stehen, aufwiesen. Insgesamt ist das Wissen über Pestizidexpositionen in der Realität und dem Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen bislangjedoch spärlich (Von Ehrenstein et al.,2019).

Roberts et al. (2007) berichteten von einem erhöhten Risiko im ersten Trimester für Autismus­Spektrum-Störungen bei Kindern, deren Mütter in einem 500 m-Radius von Standorten wohnten, an denen Organochlor-Pestizide auf kalifornischen Feldern während der Schwangerschaft ausgebracht wurden. Dicofol und Endosulfan stellten die beiden Pestizide dar, die in dieser Kategorie hauptsächlich ausgebracht wurden. Das Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen erhöhte sich mit der steigenden Ausbringungsmenge von Organochlor-Pestiziden und nahm mit zunehmender Distanz zum Ausbringungsort ab. Speziell Dicofol ähnelt chemisch dem Organochlor-Pestizid Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT). Der Unterschied besteht allerdings darin, dass Dicofol einen Hydroxyteil an einem seiner zwei aliphatischen Kohlenstoffatome besitzt. Dicofol wird nicht zu Dichlordiphenyldichlorethen (DDE) verstoffwechselt. Allerdings wird es schneller als DDT aus dem Körper entfernt, da es eine geringere Bioakkumulation aufweist. Aus diesem Grund wird angenommen, dass DDT einen ähnlichen, aber möglicherweise stärkeren Zusammenhang mit Autismus haben kann (Roberts et al., 2007).

Shelton et al. (2014) untersuchten, ob die Nähe des Wohnsitzes zu landwirtschaftlichen Pestiziden während der Schwangerschaft mit Autismus-Spektrum-Störungen oder Entwicklungsverzögerungen verknüpft ist. Daher verglichen sie für ihre Studie 970 kalifornische Mütter, die im Radius von 1,25 bis 1,75 km zu von mit Pflanzenschutzmitteln behandelten Feldern lebten. Daten zur Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln wurden den California Pesticide Use Reports entnommen. Diese beinhalteten Daten zum Anwendungsort, der Einsatzmenge, der Art des Pflanzenschutzmittels sowie dem Zeitraum der Ausbringung. Aus den California Pesticide Use Reports ging hervor, dass Pflanzenschutzmittel aus der Gruppe der Organophosphate, Pyrethroide und Carbamate am häufigsten angewendet wurden. Mithilfe von Fragebögen konnten Shelton et al. (2014) zudem feststellen, an welchen Orten sich die Mütter im Verlauf ihrer Schwangerschaft aufhielten. Diese Informationen wurden anschließend zur Anfertigung von GIS-Karten genutzt. Diese zeigten die Anwendungsorte von bestimmten Pestiziden sowie die Häufigkeit und räumliche Verteilung von Autismus und Entwicklungsverzögerungen.

Die Forscher kamen nach Auswertung der Karten zum Ergebnis, dass ungefähr ein Drittel der Studienteilnehmerinnen während der Schwangerschaft in einem Radius lebte, der 1,5 km von der Ausbringung von landwirtschaftlichen Pestiziden entfernt war. Weiterhin fanden sie heraus, dass Mütter, die während ihrer Schwangerschaft im Umkreis von 1,25 bis 1,75 km von gespritzten Feldern wohnten und zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft der Exposition gegenüber Organophosphaten ausgesetzt waren, ein um 60 % höheres Risiko aufwiesen, ein Kind mit Autismus-Spektrum-Störungen zu bekommen. Für Expositionen gegenüber Organophosphaten insgesamt wurde im dritten Schwangerschaitsdrittel für Autismus-Spektrum-Störungen eine hohe Odds Ratio1 von 2,0 und ein 95 %-Konfidenzintervall von 1,1 bis 3,6 bestimmt. Dagegen konnte für die Exposition gegenüber Chlorpyrifos im zweiten Trimester eine Odds Ratio von 3,3 und ein 95 %-Konfidenzintervall zwischen 1,5 und 7,4 ermittelt werden. Kinder von Müttern, die nahe der Ausbringung von Pyrethroid­Insektiziden wohnten, hatten nur bei einer Exposition während der Empfängnis oder des dritten Schwangerschaftsdrittels ein höheres Risiko sowohl für Autismus-Spektrum-Störungen als auch für Entwicklungsverzögerungen. Hierfür konnten Odds Ratios zwischen 1,7 und 2,3 ermittelt werden. Das Risiko für Entwicklungsverzögerungen war bei solchen Kindern erhöht, deren Mütter nahe einer Carbamat-Ausbringung wohnten. Es konnte allerdings kein bestimmter Zeitraum für eine Empfindlichkeit identifiziert werden. Somit zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass Kinder von Müttern, die nahe eines landwirtschaftlichen Gebietes leben oder anderweitig Organophosphaten, Pyrethroiden und Carbamaten während der Schwangerschaft ausgesetzt sind, ein erhöhtes Risiko für Störungen in der Entwicklung des Nervensystems haben können Die Forscher gehen davon aus, dass das Gehirn des Fötus während seiner Entwicklung besonders empfindlich auf Pflanzenschutzmittel reagiert. Aus diesem Grund warnen sie Frauen davor, sich während der Schwangerschaft an Orten aufzuhalten, die nahe einer Ausbringung von Pestiziden sind und empfehlen ihnen den direkten Kontakt mit Pestiziden zu vermeiden (Shelton et al., 2014).

Brown et al. (2018) untersuchten in einer Fall-Kontroll-Studie, ob erhöhte Konzentrationen an persistenten organischen Schadstoffen im Blut der Mutter mit Autismus unter den Nachkommen in Verbindung stehen. Sie untersuchten Blutproben, die im Zeitraum von 1987 bis 2005 für die Finnish Prenatal Studies Schwangeren entnommen wurden, auf ihren DDT-Gehalt. Die Forscher verglichen das Blut von Schwangeren, deren Kinder später von Autismus betroffen waren, mit einer angepassten Kontrollgruppe von Schwangeren, deren Kinder nicht unter Autismus litten. Es zeigte sich, dass die Mütter der an Autismus erkrankten Kinder während der Schwangerschaft, verglichen mit der Kontrollgruppe, erheblich höhere Konzentrationen von DDT und dem Metaboliten p,p'- Dichlordiphenyldichlorethen (p,p'-DDE) im Blut aufwiesen. Das Risiko für Autismus unter den Nachkommen war mit den mütterlichen p,p'-DDE-Konzentrationen, die sich über dem 75. Perzentil befanden, signifikant erhöht. Nach dem Ausschluss der Einflussgrößen Alter der Mutter, Anzahl der Kinder und psychiatrische Störungen der Mutter, wurde eine Odds Ratio (OR) von 1,32 (95 % CI: 1,02­1,71) bestimmt. Für Autismus mit einer geistigen Behinderung war das Risiko sogar um mehr als das Zweifache erhöht, wenn die mütterlichen p,p'-DDE-Konzentrationen das 75. Perzentil überschritten. Hierfür wurde eine OR von 2,21 (95 % CI: 1,32-3,69) ermittelt (Brown et al., 2018).

Von Ehrenstein et al. (2019) untersuchten in einer populationsbasierten Fall-Kontroll-Studie den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Autismus-Spektrum-Störungen und dem Einsatz von Pestiziden in einem Umkreis von 2.000 m des mütterlichen Wohnsitzes während der Schwangerschaft und dem ersten Lebensjahr des Kindes. Hierfür wurden Daten der „California Pesticide Use Reports“ in GIS-Karten integriert und mit 2.961 Fällen von Autismus-Spektrum-Störungen, inklusive 445 Fällen mit einer komorbiden geistigen Behinderung, abgeglichen, um die Exposition von Ungeborenen und Säuglingen gegenüber Pestiziden abzuschätzen. Zusätzlich verglichen die Forscher die Exposition der erkrankten Kinder mit der Exposition einer Kontrollgruppe im Verhältnis 10:1, die das gleiche Geburtsjahr und Geschlecht aufwiesen. Von Ehrenstein et al. (2019) wählten für ihre Untersuchung 11 Pestizide aus, die häufig im Einsatz waren und bei denen durch in vivo- und in viiro -Studien Hinweise für eine Toxizität auf die Entwicklung des Nervensystems vorlagen. Für 6 von 11 der untersuchten Pestizide konnte ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Autismus-Spektrum-Störungen bestimmt werden. Dabei wies Glyphosat bei einer pränatalen Exposition die höchste Odds Ratio auf (OR: 1,16; 95 % CI: 1,06-1,27), gefolgt von Chlorpyrifos (OR: 1,13; 95 % CI: 1,05-1,23), Diazinon (OR: 1,11; 95% CI: 1,01-1,21), Malathion (OR: 1,11; 95% CI: 1,01-1,22), Avermectin (OR: 1,12; CI: 1,04-1,22) und Permethrin (OR: 1,10; 95 % CI 1,01-1,20) (Von Ehrenstein et al., 2019).

Für eine Autismus-Spektrum-Störung mit geistiger Behinderung waren die geschätzten Odds Ratios um ungefähr 30 % höher für die pränatale Exposition gegenüber Glyphosat (OR: 1,33; 95 % CI: 1,05­1,69), Chlorpyrifos (OR: 1,27; 95 % CI: 1,04-1,56), Diazinon (OR: 1,41; 95 % CI: 1,15-1,73), Permethrin (OR: 1,46; 95 % CI: 1,20-1,78), Methylbromid (OR: 1,33; 95 % CI: 1,07-1,64) und Myclobutanil (OR: 1,32; 95 % CI: 1,09-1,60). Bei manchen Substanzen erhöhte eine Exposition im ersten Lebensjahr die Wahrscheinlichkeit für Autismus-Spektrum-Störungen mit komorbider geistiger Behinderung um bis zu 50 % (Von Ehrenstein et al., 2019).

Die Ergebnisse legen nahe, dass das Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen bei Nachkommen ansteigt, die einer pränatalen Exposition gegenüber umgebenden Pestiziden im Umkreis von 2000 m des mütterlichen Wohnsitzes während der Schwangerschaft ausgesetzt sind, verglichen mit Nachkommen von Frauen, die in derselben Agrarregion ohne solch eine Exposition wohnen. Eine Exposition in der frühen Kindheit kann zudem zu einem Risiko für stärker beeinträchtigte Phänotypen mit komorbider geistiger Behinderung beitragen (Von Ehrenstein et al., 2019). Wie Shelton et al., (2014) empfehlen auch die Autoren dieser Studie eine Belastung mit Pestiziden während der Schwangerschaft und bei Säuglingen zu vermeiden, um die frühe Gehirnentwicklung zu schützen (Von Ehrenstein et al., 2019).

3.2 Diabetes mellitus

Diabetes mellitus stellt den Oberbegriff für heterogene Störungen des Stoffwechsels dar, die durch eine chronische Hyperglykämie gekennzeichnet sind. Ursachen hierfür sind entweder eine reduzierte Insulinproduktion, eine gestörte Insulinwirkung oder beides zusammen (Evangelou et al., 2016; Müller­Wieland et al., 2016). Insulin ist wichtig für die Glukoseaufnahme durch Zellen, um als Energiequelle genutzt werden zu können (Rafaat et al., 2012).

Diabetes stellt ein großes Problem der öffentlichen Gesundheit dar (Juntarawijit und Juntarawijit, 2018). Im Jahr 2017 waren weltweit 8,8 % der Weltbevölkerung, also 425 Millionen Menschen, im Alter von 20 bis 79 Jahren von Diabetes betroffen. Bis 2045 soll diese Zahl auf 629 Millionen Menschen (9,9 %) ansteigen. Es wird angenommen, dass im Jahr 2017 ungefähr 4 Millionen Erwachsene weltweit aufgrund von Diabetes gestorben sind. Dies bedeutet, dass alle acht Sekunden ein Mensch an Diabetes gestorben ist. Ebenfalls erfährt die ökonomische Belastung durch Diabetes einen Zuwachs. Weltweit kostete die jährliche Gesundheitsversorgung von Diabetes im Jahr 2007 bereits 232 Milliarden US- Dollar. Diese Kosten stiegen im Jahr 2017 signifikant auf 727 Milliarden US-Dollar an. Die Komplikationen von Diabetes beinhalten Fuß-Ulzera, Sehbehinderungen, Nierenversagen und eine kognitive Dysfunktion. Eine Langzeit-Exposition gegenüber einer andauernden Hyperglykämie löst signifikante Veränderungen im peripheren und zentralen Nervensystem aus. Diabetes ist verknüpft mit einer kognitiven Dysfunktion und Gedächtnisstörungen. Aus diesem Grunde weisen Menschen mit Diabetes ein hohes Risiko auf, an Depressionen, Demenz und Alzheimer zu erkranken. All diese Veränderungen erscheinen sekundär bei einer chronischen Hyperglykämie, die für einen langen Zeitraum unentdeckt blieb und beeinträchtigen die Lebensqualität von Diabetes-Patienten (Park et al., 2019).

Diabetes wird in mehrere Typen eingeteilt: Der Typ-1-Diabetes ist charakterisiert durch eine ß-Zellzerstörung, welche einen vollständigen Insulinmangel auslöst. Dieser Diabetes-Typ ist meistens immunologisch vermittelt (Müller-Wieland et al., 2016). Ein Nachweis von Autoantikörpern kann allerdings nicht bei allen Typ-1-Diabetikern erfolgen. Zudem kommt es nicht bei allen Menschen mit nachgewiesenen Autoantikörpern zur Entwicklung von Diabetes. Bei 85 % der neu diagnostizierten Typ-1-Diabetiker gibt es kein Familienmitglied 1. Grades mit Typ-1-Diabetes. Aus diesem Grund sind möglicherweise externe Faktoren, wie beispielsweise Chemikalien, die endokrin wirksam sind oder immunmodulierend wirken, eine Ursache für die Entwicklung des Typ-1-Diabetes (Friedrichsen, 2014).

Der Typ-2-Diabetes macht ungefähr 90 % aller Diabetes-Fälle aus (Evangelou et al., 2016). Bis vor wenigen Jahrzehnten war der Typ-2-Diabetes größtenteils bei Erwachsenen verbreitet. Dieser Diabetes­Typ entsteht durch eine ungenügende Insulinfreisetzung und/oder eine Insulinresistenz (Friedrichsen, 2014). Eine Insulin-Resistenz entsteht, wenn von der Bauchspeicheldrüse produziertes Insulin, nicht in die Zellen gelangen kann. Dies führt nachfolgend zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Vorerst wird dies durch einen Anstieg in der Insulinproduktion kompensiert. Mit der Zeit schafft es die Bauchspeicheldrüse allerdings nicht mehr, ausreichend Insulin zu produzieren. Dies führt zur Hyperglykämie und zum Typ-2-Diabetes (Rafaat et al., 2012). Dieser Diabetes-Typ steht häufig in Zusammenhang mit einem metabolischen Syndrom (Müller-Wieland et al., 2016). Früher war der Typ- 2-Diabetes auch als „Altersdiabetes“ bekannt. Allerdings tritt dieser seit einigen Jahren vermehrt auch bei Kindern auf. Als Hauptursache werden eine genetische Prädisposition, die Ernährung, Adipositas und Bewegungsmangel angesehen (Friedrichsen, 2014). Weitere kausale Faktoren sind Schlafgewohnheiten, Zigaretten- und Alkoholkonsum (Juntarawijit und Juntarawijit, 2018). Jedoch weisen ungefähr 20 % der Typ-2-Diabetiker Normalgewicht auf oder sind von schlanker Statur. Bei diesen Betroffenen kann somit Adipositas nicht die Ursache für die Diabetes-Erkrankung sein. In diesem Fall könnten sogenannte endokrine Disruptoren eine Rolle in der Entwicklung des Diabetes spielen, denn der drastische Anstieg der Diabetes-Inzidenz kann durch eine genetische Prädisposition allein nicht erklärt werden (Friedrichsen, 2014).

Die dritte Form von Diabetes stellt der sogenannte Gestationsdiabetes dar. Dieser zeigt sich als Glukosetoleranzstörung, die zum ersten Mal während der Schwangerschaft auftritt oder erstmalig zu dieser Zeit diagnostiziert wird. Neben diesen drei Haupttypen gibt es noch weitere spezifische Diabetes­Typen. Hierzu gehören Erkrankungen des exokrinen Anteils der Bauchspeicheldrüse, Endokrinopathien, der medikamentös-chemisch induzierte Diabetes, genetische Defekte der ß-Zell- Funktion und Insulinwirkung sowie seltene Formen eines autoimmun vermittelten Diabetes. Die Diagnose Diabetes mellitus wird gestellt, wenn der HbA1c > 6,5 % (> 48 mmol/mol) beträgt, der Gelegenheits-Plasmaglukosewert bei > 200 mg/dL (>11,1 mmol/L) liegt, ein Nüchtern-Plasmaglukose­Wert von > 126mg/dL (> 7,0 mmol/L) erreicht ist oder der orale Glukosetoleranztest (oGTT) einen 2 Stunden-Wert im venösen Plasma von > 200 mg/dL (> 11,1 mmol/L) aufweist (Müller-Wieland et al.,2016).

Diabetes mellitus ist eine multifaktorielle Erkrankung mit einer starken genetischen Komponente sowie vielen Umwelt- und Lebensstileinflüssen. Zunehmende Hinweise deuten allerdings darauf hin, dass Umweltschadstoffe, einschließlich Pestiziden, eine bedeutsame Rolle in der Pathogenese von Diabetes spielen können (Evangelou et al., 2016). Unter diesen Faktoren befinden sich persistente organische Schadstoffe, wie Dioxine, polychlorierte Biphenyle und Organochlor-Pestizide. Diese sind lipophil und werden im Fettgewebe gespeichert. Des Weiteren weisen diese im Allgemeinen eine sehr lange Halbwertszeit von Monaten bis zu mehreren Jahren auf (Park et al., 2019; Starling et al., 2014). Ebenfalls stehen Agenzien mit kürzerer Halbwertszeit, wie Organophosphat-Insektizide und Chlorphenoxy-Herbizide unter Verdacht, Diabetes auslösen zu können (Starling et al., 2014).

Die biologischen Mechanismen, die der Verknüpfung zwischen Pestizid-Expositionen und der Pathogenese von Typ-2-Diabetes zugrunde liegen, bleiben weitgehend unbekannt. Es wird angenommen, dass eine Hintergrundexposition mit Organochlor-Pestiziden stark mit der Entwicklung von Typ-2-Diabetes verbunden ist. Organochlor-Pestizide können entweder durch eine direkte Exposition oder durch Nahrungsmittel aufgenommen werden. Diese Chemikalien sind lipophil, hydrophob und sehr widerstandsfähig gegenüber einem metabolischen Abbau. Daher werden sie im Fettgewebe für viele Jahre angereichert. Ihre Serumkonzentration dient als gute Reflektion für die Lebenszeit-Exposition (Evangelou et al., 2016). Zudem sind die meisten Individuen verschiedenen Pestiziden gleichzeitig ausgesetzt. Diese vielfache Exposition kann das Risiko einer Entwicklung von Diabetes erhöhen, weil die Effekte dieser Pestizide additiv oder synergistisch sein können. Manchmal können sie aber auch gegensätzlich sein (Sylvie Azandjeme et al., 2013).

Da die Produktion und der Einsatz der meisten Organochlor-Pestizide in den westlichen Ländern vor vierzig Jahren verboten wurden, sinken die durchschnittlichen absoluten Werte in den meisten Populationen verglichen mit solchen in früheren Jahren. Nichtsdestotrotz werden Organochlor-Pestizide kontinuierlich aus Fetteinlagerungen ins Blut freigesetzt und können dadurch wichtige Organe erreichen, wo sie zur Störung einiger biologischer Funktionen führen können. Diese Pestizidklasse weist veränderliche molekulare und zelluläre Zielorte auf. Aus diesem Grund ist nicht davon auszugehen, dass sie einen einzigen Wirkungsmechanismus besitzen. Primäre Mechanismen, die der Pathogenese des Typ-2-Diabetes zugrunde liegen, sind Entzündungen im Fettgewebe, ektope Ablagerungen von Lipiden (Lipotoxizität) in Leber, Muskeln und Bauchspeicheldrüse sowie eine mitochondriale Dysfunktion. Alle von ihnen wurden bereits mit Organochlor-Pestiziden in Verbindung gebracht (Evangelou et al., 2016). Zudem können Organochlor-Pestizide bei geringen Dosen mit der Zeit als endokrine Disruptoren wirken. Persistente Organochlor-Pestizide akkumulieren im Fettgewebe und werden sukzessive in den Blutkreislauf freigesetzt, wo sie zelluläre Rezeptoren und Hormone nachahmen oder blockieren können. Sie verringern die Insulinempfindlichkeit, indem sie Östrogenrezeptoren, die im Insulin-sensitiven Gewebe und den ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse vorhanden sind, nachahmen (Sylvie Azandjeme et al., 2013). Einen zusätzlichen Mechanismus stellt die oxidative Schädigung dar. Diese führt zur Beeinträchtigung der mitochondrialen Funktion und Entwicklung einer Insulin-Resistenz und somit zum Typ-2-Diabetes. Experimentelle Studien zeigten, dass Ratten, die mit Lachsöl gefüttert wurden, welches Gehalte von persistenten organischen Schadstoffen, einschließlich Organochlor-Pestiziden, wie sie in der Umwelt vorzufinden sind, enthielt, eine Insulinresistenz, eine viszerale Adipositas, Dyslipidämie, eine nicht-alkoholische Fettleber und chronisch leichte Entzündungen entwickelten. Weiterhin konnte bei in vitro -Studien eine reduzierte Insulinwirkung nach der Behandlung mit Organochlor-Pestiziden gezeigt werden. Dieser Effekt wurde bei niedrigen Dosen, aber nicht bei hohen Dosen beobachtet. Dies 14 führt zur Annahme einer nicht-monotonischen Dosis-Wirkungskurve, anstelle einer klaren Dosis­Wirkungsbeziehung (Evangelou et al., 2016).

Die präzisen Mechanismen, durch die Pestizide einen Diabetes auslösen können, bleiben jedoch weitgehend unklar. Bei den Organophosphaten werden allerdings verschiedene Mechanismen als wahrscheinlich angenommen (Everett und Matheson, 2010). In der landwirtschaftlichen und landschaftsgärtnerischen Schädlingsbekämpfung gehören Organophosphat-Insektizide zu den meist genutzten Pestizidklassen. Aufgrund ihrer im Vergleich zu den Organochlor-Pestiziden geringen Toxizität gegenüber Säugetieren und ihrer niedrigen Persistenz, ist der Einsatz von Organophosphaten erheblich gestiegen. Bei Raumtemperatur sind Organophosphate flüssig. In diesem Zustand können sie einen Dampf abgeben, der in der Lage ist in die Haut, das Atemwegsepithel und die Hornhaut einzudringen (Rezg et al., 2010). Organophosphate können durch die intakte Haut und ebenso aus dem Gastrointestinaltrakt nach der Aufnahme von kontaminierten Lebensmitteln absorbiert werden (Swaminathan, 2013). Anschließend durchlaufen die aufgenommenen Organophosphate viele Biotransformationsreaktionen, die zu sehr toxischen Metaboliten führen. Zwar werden diese in geringen Mengen gebildet, dennoch können sie vom toxikologischen Aspekt her von Bedeutung sein (Rezg et al.,2010).

Organophosphate können den Glukosestoffwechsel durch Hemmung der Cholinesterase-Aktivität, durch oxidativen, nitrosativen und physiologischen Stress, durch eine Nebennieren-Stimulation und durch eine Inhibition der Paraoxonase beeinflussen (Everett und Matheson, 2010). In der Pathogenese des Typ-2-Diabetes ist die Bauchspeicheldrüse nicht in der Lage eine ausreichende Insulin-Produktion zu erreichen. Dies führt zu einer Hyperglykämie und folglich zum Typ-2-Diabetes. Pankreatische ß- Zellen haben Acetylcholin-Rezeptoren, die abhängig vom Blutzuckerspiegel an der Insulin-Produktion beteiligt sind. In Tiermodellen wirkten die Organophosphate als ein Inhibitor der Acetylcholinesterase, was folglich zu einer Akkumulation von Acetylcholin und einem Absinken der Insulin-Produktion führte (Park et al., 2019).

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Organophosphat-Insektizide die Glukosehomöostase in Tiermodellen stören. Beim Menschen können sie nach Vergiftungen zu einer Hyperglykämie führen (Rafaat et al., 2012). Bekannt ist, dass die Enzyme, die mit der Antioxidationsabwehr verknüpft sind, unter dem Einfluss von Organophosphaten verändert werden. Es wird angenommen, dass die Bauchspeicheldrüse empfindlicher auf oxidativen Stress reagiert als andere Gewebe und Organe. Grund hierfür ist, dass pankreatische Inselzellen eine extrem schwache Ausprägung von antioxidativen Enzymen zeigen. Zudem wurde davon berichtet, dass Organophosphat-Verbindungen die Lipidperoxidation, den Glutathion-Abbau und eine signifikante Veränderung in den enzymatischen antioxidativen Schutzsystemen verstärken. Dies deutet auf eine signifikante Auslösung von oxidativem Schaden im Bauchspeicheldrüsengewebe hin. Es ist erwiesen, dass oxidativer Stress wichtig bei der Entstehung einer Insulin-Resistenz und der ß-Zellen-Dysfunktion, aufgrund seiner Fähigkeit stressempfindliche Signalwege zu aktivieren, ist (Rezg et al., 2010). Weiterhin haben aktuelle Experimentalstudien gezeigt, dass das Organophosphat Chlorpyrifos zu einer übermäßigen Gewichtszunahme, Hyperlipidämie und Hyperinsulinämie bei adulten Ratten führt, die neonatal diesem Pestizid ausgesetzt waren (Starling et al., 2014).

Pankreatische ß-Zellen enthalten muskarinische Acetylcholinrezeptoren, welche an der glukoseabhängigen Produktion von Insulin beteiligt sind. Organophosphate sind bekannte Inhibitoren der Acetylcholinesterase. Deshalb führt die Exposition gegenüber ausreichend hohen Gehalten von Organophosphat-Verbindungen zu einer Ansammlung von Acetylcholin. Diese kann potenziell zu einer 15

Überstimulierung und einer eventuellen Herunterregulierung seiner Rezeptoren führen und die Insulin­Produktion reduzieren. Zusätzlich kann eine verlängerte Stimulation durch Acetylcholin die Sensibilität der ß-Zellen gegenüber Glucose verringern. Weiterhin sind Organophosphat-Verbindungen starke Prooxidanten. NADH (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid-Hydrogen) und NADPH (Nicotinsäureamid- Adenin-Dinukleotid-Phosphat) sind an dem Recyclingprozess von oxidierten zellularen Antioxidantien beteiligt. Glucose-6-Phosphatdehydrogenase katalysiert den ersten Schritt des Pentosephosphatweges, dessen wichtigste Funktion die Reduktion von NAD (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid) und NADP (Nicotinamidadenindinukleotidphosphat) ist. Diese Enzyme benötigen Glucose als ein Substrat für ihre Aktivierung. Aus diesem Grund kann es zu einer anhaltenden Abnahme von Glucose bei einer chronischen Exposition gegenüber Organophosphat-Verbindungen mit einer anschließenden Insulin­Erschöpfung kommen (Rafaat et al., 2012).

Die akute Pankreatitis ist eine bekannte Komplikation bei einer Organophosphat-Vergiftung. Ursache kann hierbei eine übermäßige cholinerge Stimulation innerhalb der Bauchspeicheldrüse und eine duktale Hypertension sein. Weiterhin sind Organophosphat-Verbindungen bekannt dafür, Auslöser einer Lachgas-Bildung zu sein, von der angenommen wird, dass sie an der ß-Zellen-Zerstörung beteiligt ist. Die bei Organophosphat-Vergiftungen auftretende Hyperglykämie kann möglicherweise durch diese Verletzung der pankreatischen ß-Zellen verursacht werden. Weiterhin wird angenommen, dass der hyperglykämische Zustand, der durch Organophosphat-Verbindungen ausgelöst wird, die Effektorstellen im Nebennierenmark beeinflussen kann. Folglich führt dies zu einer Hypersekretion von Adrenalin. Dieses fördert die Glykogenolyse in den Hepatozyten und Skelettmuskelzellen. Es hat zudem eine Schlüsselrolle in der Pathogenese der Insulin-Resistenz, aufgrund der Hemmung des Glukose­Transports in den Skelettmuskeln, durch die Unterbrechung des Insulinsignalweges. Zusätzlich fördert es die Lipolyse, welche zur Akkumulation von freien Fettsäuren beiträgt. Zudem hat ein erhöhter Gehalt an freien Fettsäuren eine hemmende Wirkung auf die Insulinsignalisierung und die Glykogensynthese (Rafaat et al., 2012).

Park et al. (2019) untersuchten den Zusammenhang zwischen Pestizid-Expositionen und der Prävalenz von Diabetes in einer ländlichen Bevölkerung in Korea. Daten für diese Querschnittsstudie wurden aus der „Korea Farmers Cohort study“ entnommen, bei der 2.559 Teilnehmer in der Grundlagenerhebung zwischen November 2005 und Januar 2008 aufgenommen wurden. Nach der Aufnahme folgte eine klinische Untersuchung, die auch eine Blutentnahme beinhaltete. Die erhaltenen Daten wurden anhand der Diabetes-Diagnose, Demographie und den Pestizid-Expositionen bewertet. Die Autoren fanden heraus, dass eine Exposition gegenüber Pestiziden mit Diabetes assoziiert ist. Der Zusammenhang war stärker bei übergewichtigen oder fettleibigen Individuen als bei solchen, die Normalgewicht aufwiesen. Damit kann ein hoher BMI (> 25) bei einer Pestizid-Exposition das Risiko Diabetes zu entwickeln, erhöhen. Außerdem stellten die Autoren fest, dass die Prävalenz von Diabetes bei Studienteilnehmern höher war, die jemals Landwirte waren oder jemals irgendein Pestizid angewendet haben, verglichen mit solchen Teilnehmern, die keine Pestizide genutzt haben (Park et al., 2019).

Über 80 Millionen Erwachsene (Prävalenz von 9 % bis 10 %) leben in Indien mit Diabetes mellitus. Ungefähr 90 % von ihnen haben Typ-2-Diabetes. Die Raten sind ebenso hoch in der südasiatischen Diaspora-Bevölkerung. Einschließlich solchen, die im Vereinigten Königreich leben. Südasiaten, die im Vereinigten Königreich leben, haben eine zwei- bis dreifach höhere Rate an Typ-2-Diabetes zu erkranken als europäische hellhäutige Populationen. Diabetes mellitus entwickelt sich bei südasiatischen Indianern bei einem geringeren Körpergewicht, Blutfettwerten und Alter als in anderen ethnischen Gruppen. Bisher bekannte Risikofaktoren, einschließlich der Genetik, können diese erhöhte Vulnerabilität nicht erklären. Eine mögliche Erklärung ist, dass Südasiaten einer höheren Exposition mit Organochlorpestiziden ausgesetzt sind, welche mit Diabetes mellitus in der europäischen, amerikanischen und koreanischen Bevölkerung in Verbindung gebracht wird (Daniels et al., 2018).

Daniels et al. (2018) verglichen für ihre Studie die Konzentrationen von Organochlor-Pestiziden in südasiatischen Immigranten und europäischen Hellhäutigen, die wohnhaft in London waren. Es sollte untersucht werden, ob Diabetes mellitus positiv mit den Organochlor-Pestiziden bei südasiatischen Immigranten verknüpft ist. In die Studie wurden 120 Südasiaten mit Abstammung aus Tamil oder Telugu und 72 europäische Hellhäutige miteinbezogen. Von den Studienteilnehmern mit südasiatischer Abstammung hatten 24 Diabetes, die restlichen 96 wurden als Kontrollen gewählt. Anschließend wurden von allen Teilnehmern Blutproben, biometrische und klinische Daten sowie Befragungsdaten gesammelt. Die Plasmaspiegel von p,p'-Dichlordiphenyldichlorethen (p,p'-DDE), p,p'- Dichlordiphenyltrichlorethan (p,p'-DDT), ß-Hexachlorhexan (ß-HCH) und polychloriniertem Biphenyl-118 wurden mittels Gaschromatographie-Massenspektrometrie analysiert. Anschließend wurden deutlich höhere Konzentrationen bei südasiatischen Immigranten im Vergleich zu den europäischen Hellhäutigen, die in West London lebten, festgestellt. Die Autoren konnten zeigen, dass die Teilnehmer mit Abstammung aus Tamil ungefähr drei- bis neunfach höhere Gehalte an Organochlor- Pestiziden und die Studienteilnehmer aus Telugu 9- bis 30-fach höhere Gehalte an Organochlor- Pestiziden, im Vergleich zu den europäischen Hellhäutigen, aufwiesen. Die Wahrscheinlichkeit einer Exposition mit p,p'-DDE über dem 50. Perzentil war signifikant höher bei den südasiatischen Diabetes­Fällen als bei den Kontrollen (OR: 7,00; 95 % CI: 2,22-22,06). Ebenfalls wurde festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Exposition mit ß-HCH über dem 50. Perzentil bei den Diabetes-Fällen mit Abstammung aus Tamil signifikant höher als bei den Kontrollen war (OR: 9,35; 95% CI:2,43-35,97) war. Die Ergebnisse zeigen, dass südasiatische Immigranten eine höhere Körperbelastung mit Organochlor-Pestiziden aufweisen als europäische Hellhäutige. Aus diesem Grund wird Diabetes mellitus mit höheren p,p'-DDE- und ß-HCH-Konzentrationen in diesen Bevölkerungsgruppen in Verbindung gebracht. Die Autoren empfehlen zusätzliche Langzeit-Studien mit südasiatischen Populationen durchzuführen (Daniels et al., 2018).

Die südasiatische Bevölkerung war Organochlor-Pestiziden für einen längeren Zeitraum und bei höheren Konzentrationen ausgesetzt als die Bevölkerung in Westeuropa, wo diese Verbindungen größtenteils in den 1970er und 1980er Jahren verboten wurden. Nach der Unterzeichnung der Stockholm Konvention im Jahr 2006 wurde das unkontrollierte Sprühen von Organochlor-Pestiziden zur Bekämpfung von vektorübertragenen Krankheiten sowie für landwirtschaftliche Zwecke in Indien weitergeführt. Aktuell ist Indien noch immer der Spitzenproduzent und -konsument von Organochlor- Pestiziden. Weiterhin verzeichnet dieses Land eine der weltweit höchsten Muttermilch-Konzentrationen von diesen Pestiziden, einschließlich DDT und den HCHs. Im Gegensatz zu anderen asiatischen Nationen, wie China, sind die Gehalte von DDT und den HCHs in Indien seit der Einführung von stärkeren Regulierungen nicht gesunken. Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) und Dichlordiphenyldichlorethen (DDE) werden für einen langen Zeitraum im Körperfett gespeichert und sind resistent gegenüber einer Verstoffwechslung. Sie können im Plasma des Menschen eine Halbwertszeit von 2 bzw. 6 bis 7 Jahren aufweisen. Auch das Organochlor-Pestizid ß-HCH weist eine lange Halbwertszeit von 7 Jahren beim Menschen auf. Aus diesem Grund bleiben diese Organochlor- Pestizide in den Körpern von südasiatischen Immigranten viele Jahre, nachdem sie ausgewandert sind, bestehen (Daniels et al., 2018).

In Thailand hat sich die Diabetesrate bei den über 18-Jährigen drastisch von 6,9 % in 2009 auf 8,9 % (4,8 Mio. Erkrankte) in 2014 erhöht. Aus diesem Grund führten Juntarawijit und Juntarawijit (2018) eine populationsbasierte Fall-Kontroll-Studie unter Anwohnern im „Bang Rakam District“ der thailändischen Phitsanulok Provinz durch. Von 866 Teilnehmern mit Diabetes mellitus und 1.021 gesunden Kontrollen wurden Daten zur Pestizid-Exposition während des Lebens sowie andere relevante Daten gesammelt. Die Autoren stellten fest, dass die Prävalenz von Diabetes positiv mit der Exposition gegenüber allen Pestizidarten, einschließlich Insektiziden, Herbiziden, Fungiziden, Rodentiziden und Molluskiziden, assoziiert war. Die Exposition gegenüber Rodentiziden war dabei statistisch signifikant (OR: 1,35; 95 % CI: 1,04 -1,76). Unter den 35 untersuchten Pflanzenschutzmitteln wurden bei drei Insektiziden statistisch signifikante Odds Ratios ermittelt. Hierzu gehörten das Organochlor-Pestizid Endosulfan (OR: 1,40; 95 % CI: 1,01-1,95), das Organophosphat Mevinphos (OR: 2,22; 95 % CI: 1,17-4,19) und das Carbamat Carbaryl/Sevin (OR: 1,50; 95 % CI:1,02-2,19) sowie das Fungizid Benlat (OR: 2,08; 95 % CI: 1,03-4,20). Somit führen die Ergebnisse zur Annahme, dass die Anwesenheit von Diabetes unter den Thai-Landwirten mit einer Pestizid-Exposition verbunden ist. Des Weiteren zeigen die hier gesammelten Daten, dass die Rate der genutzten persönlichen Schutzausrüstung bei weniger als 30 % lag und 41 % der Anwender ihre Kleidung nicht sofort nach dem Sprühen von Pestiziden wechselten. Zudem tendieren, insbesondere ländlich wohnende Thailänder dazu, wenig Proteine in ihrer Ernährung zu sich zu nehmen und stattdessen eine große Menge an Gemüse zu verzehren. Zudem weisen sie häufig einen schwachen Bildungsstand und sozioökonomischen Status auf. Dies alles sind bestätigte Risikofaktoren für Diabetes (Juntarawijit und Juntarawijit, 2018).

Starling et al. (2014) nutzten für ihre Studie Daten aus der „Agricultural Health Study“. Diese ist eine große, prospektive Kohortenstudie über Pestizidausbringer und ihre Ehepartner in Iowa und North Carolina. Unter den 13.637 Frauen der Landwirte, die persönlich Pestizide gemischt oder ausgebracht haben, wurden fünf spezifische Pestizide identifiziert, die mit einem inzidenten Diabetes während einer 10-jährigen Nachbeobachtungszeit verknüpft waren. Hierzu gehörten die drei Organophosphate Fonofos (Hazard Ratio2 (HR): 1.56, 95 % CI 1,11-2,19), Phorat (HR: 1,57, 95 % CI: 1,14-2,16) und Parathion (HR: 1,61, 95% CI: 1,05-2,46). Weiterhin waren die Organochlor-Pestizide Dieldrin (HR: 1,99, 95 % CI: 1,12-3,54) und das Herbizid 2,4,5-T/2,4,5-TP (HR: 1,59, 95 % CI: 1,00-2,51) positiv mit neu aufgetretenem Diabetes verknüpft. Somit zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass bestimmte Organophosphate und Organochlor-Pestizide das Risiko für Diabetes möglicherweise erhöhen können (Starling et al., 2014).

Das Organophosphat Malathion gehört zu den meist genutzten Insektiziden weltweit. Die „Environmental Protection Agency“ (EPA) schätzt, dass der jährliche Einsatz von Malathion über 30 Mio. Pfund beträgt. Es wird für eine Vielzahl von Nutzpflanzen angewendet, insbesondere für Baumwolle und Reis. In Ägypten wird Malathion ausgiebig in der Landwirtschaft, in der Veterinärmedizin, in Arztpraxen und der öffentlichen Gesundheit eingesetzt. Grund hierfür sind der niedrige Preis und die geringen akut toxischen Auswirkungen bei Säugetieren (Rafaat et al., 2012). Aus diesem Grund überprüften Rafaat et al. (2012) in einer komparativen Querschnittsstudie den Zusammenhang zwischen der chronischen Exposition gegenüber Malathion und einer Insulin-Resistenz bei ägyptischen Landwirten. Die Studie schloss 98 nicht-diabetische Landwirte ein, die während ihrer Feldarbeit mit landwirtschaftlichen Insektiziden zu tun hatten. Die Länge des Expositionszeitraumes lag bei 15 bis 20 Jahren. Alle Landwirte waren männlich, mit einem Durchschnittsalter von 39 ± 12 Jahren. Als Kontrollen wurden 90 männliche, administrative Angestellte der Zagazig Universitätsklinik, die keine Diabetes-Erkrankung aufwiesen und deren Alter passend war, gewählt. Die Familienvorgeschichte in Bezug auf Diabetes wurde aufgenommen. Weiterhin wurden der Blutdruck, die Größe, das Gewicht, der Taillenumfang und der Body-Mass-Index (BMI) bei allen Teilnehmern bestimmt. Zusätzlich wurden Blutproben entnommen, um die Malathion-Konzentration, den Nüchternblutzucker- und Nüchterninsulinspiegel für die Kalkulation der homöostatischen Modellbewertung zur Insulinresistenz (HOMA-IR) ermitteln zu können. Die Ergebnisse von Rafaat et al. (2012) zeigen, dass 24,5 % der Landwirte eine positive Vorgeschichte für Diabetes aufwiesen. Zudem konnten statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich der Mittelwerte des Nüchternblutzuckerspiegels, Nüchtern-Insulinspiegels und HOMA-IRs zwischen der exponierten Landwirtgruppe und der Kontrollgruppe beobachtet werden. Exponierte Landwirte wiesen für den HOMA-IR Mittelwerte über den akzeptierten Normalwerten auf. Weiterhin stellten die Autoren statistisch signifikant höhere Mittelwerte der Malathion-Blutkonzentration bei den exponierten Landwirten, verglichen mit den Individuen der Kontrollgruppe, fest. Ursache hierfür kann sein, dass Malathion das hepatische Glykogenphosphorylase-Enzym aktivieren kann, dass eine Glykogenolyse auslöst. Weiterhin stimuliert es die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase, die für die Glukoneogenese (die Generation von Glucose aus anderen organischen Molekülen) verantwortlich ist (Rafaat et al., 2012).

Es ist bekannt, dass Übergewicht eine positive Korrelation mit der Insulinresistenz aufweist, denn eine erhöhte Sekretion von freien Fettsäuren, entzündlichen Zytokinen sowie eine abnehmende Sekretion von Adiponectin sind an einer vermittelten Insulinresistenz beteiligt. Wichtiger als der BMI scheint die Größe des Taillenumfangs bei der Entstehung einer Insulin-Resistenz zu sein. Ein Taillenumfang von über 96 cm soll mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Insulin-Resistenz begünstigen können. In dieser Studie war eine starke positive Korrelation zwischen dem Anstieg der Malathionkonzentration im Blut sowie dem Anstieg des Taillenumfangs und Body-Mass-Index (Pearson-Korrelationskoeffizient von 0,510 bzw. 0,831) festzustellen. Eine Erklärung hierfür ist, dass die meisten Insektizide lipophil sind und Menschen mit einem hohen BMI wahrscheinlich einen höheren Gehalt an Insektiziden im Körper anlagern können, als Menschen mit einem niedrigen BMI und der gleichen Exposition. Die Ergebnisse dieser Studie führen zur Annahme, dass eine chronische Exposition mit dem Organophosphat Malathion bei exponierten, nicht-diabetischen Landwirten zur Auslösung einer Insulin-Resistenz führen kann. Mit ansteigendem Taillenumfang scheint sich dieser Effekt sogar zu verstärken (Rafaat et al., 2012).

Montgomery et al. (2008) wollten herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen der Lebenszeit­Exposition gegenüber bestimmten Pestiziden, die in der Landwirtschaft verwendet werden und der Inzidenz von Diabetes bei Anwendern von Pestiziden gibt. An der Studie nahmen 33.457 lizenzierte Pestizidausbringer teil, die auch in der „Agricultural Health Study“ registriert waren. Von einem inzidenten Diabetes berichteten die Teilnehmer selbst in einem Folgegespräch nach fünf Jahren (1999­2003). Zu dieser Zeit gab es 1.176 Diabetiker und 30.611 Nicht-Diabetiker, die in die Analyse mit aufgenommen wurden. Von der Lebenszeit-Exposition und Kovariableninformation berichteten die Studienteilnehmer bei der Registrierung von 1993 bis 1997. Mittels logistischer Regression ermittelten die Autoren sieben spezifische Pestizide (Aldrin, Chlordan, Heptachlor, Dichlorvos, Trichlorfon, Alachlor und Cyanazin), für die die Wahrscheinlichkeiten einer Diabetesinzidenz sowohl mit jedem Einsatz, als auch mit den kumulativen Tagen des Einsatzes anstiegen. Ausbringer, welche die Organochlor-Pestizide Aldrin, Chlordan und Heptachlor mehr als 100 Tage in ihrem Leben einsetzten, hatten eine um 51 %, 63 % bzw. 94 % erhöhte Wahrscheinlichkeit, Diabetes zu entwickeln. Dies führt zur Annahme, dass eine Langzeit-Exposition mit bestimmten Pestiziden, insbesondere Organochlor-und Organophosphat-Insektiziden im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Diabetes stehen kann (Montgomery et al., 2008).

3.3 Krebs

Weltweit ist Krebs eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität. Gab es im Jahr 2012 noch 14 Mio. neue Krebsfälle und 8 Mio. Krebstote, so waren laut GLOBOCAN (Global Cancer Statistics) im Jahr 2018 bereits weltweit schätzungsweise 18,1 Mio. neue Fälle von Krebs und 9,6 Mio. krebsbedingte Todesfälle zu verzeichnen (Bray et al., 2018; Fidler et al., 2018). Die Zahl der neu aufgetretenen Krebsfälle und der durch Krebs bedingten Todesfälle soll im Jahr 2030 auf 22 Mio. bzw. 13 Mio.jährlich ansteigen (Fidler et al., 2018). Für beide Geschlechter kombiniert, stellte Lungenkrebs im Jahr 2018 mit 11,6 % aller neu aufgetretenen Krebsfälle, die am häufigsten diagnostizierte Krebsart dar. Des Weiteren erweist sich diese Krebsart mit 18,4 % aller Krebstodesfälle als die am häufigsten durch Krebs bedingte Todesursache. Im Hinblick auf die Inzidenz folgen der weibliche Brustkrebs (11,6 %), Prostatakrebs (7,1 %) und Darmkrebs (6,1 %). Hinsichtlich der Mortalität ist Lungenkrebs dicht gefolgt von Darmkrebs (9,2 %), Magenkrebs (8,2 %) und Leberkrebs (8,2 %). Es wird angenommen, dass im Jahr 2018 bei beiden Geschlechtern zusammen die Hälfte aller Krebsfälle und mehr als die Hälfte aller Krebstoten auf der Welt in Asien auftraten. Dies liegt unter anderem daran, dass ungefähr 60 % der Weltbevölkerung dort leben. Europa macht einen Anteil von 23,4 % aller Krebsfälle und 20,3 % aller krebsbedingten Todesfälle aus, auch wenn in diesem Teil der Welt nur 9 % der Weltbevölkerung leben. Amerika reiht sich mit 21 % der weltweiten Inzidenz und 14,4 % der globalen Mortalität an Europa an (Bray et al., 2018).

Der ansteigende Trend in der Krebshäufigkeit in den letzten 50 bis 60 Jahren ist unter anderem die Folge des Zuwachses und der Alterung der Bevölkerung, aber auch die Konsequenz von gesellschaftlichen, ökonomischen sowie lebensstilbedingten Veränderungen. Allerdings kann die Zunahme der Krebsinzidenz nicht nur diesen Faktoren zugeschrieben werden, sondern auch der Verbreitung von karzinogenen Stoffen im beruflichen und allgemeinen Umfeld (Fidler et al., 2018; Parrón et al., 2014). Eine zunehmende Anzahl von epidemiologischen, molekularbiologischen und toxikologischen Hinweisen hat gezeigt, dass eine Exposition gegenüber verschiedenen Umweltschadstoffen, einschließlich Pestiziden, die landwirtschaftlich, kommerziell und im Haus- bzw. Gartenbereich genutzt werden, mit einer steigenden Häufigkeit von Krebserkrankungen in Verbindung steht. Die Exposition gegenüber bestimmten Pestiziden kann gemeinsam mit anderen chemischen Expositionen, Lebensstilfaktoren und genetischen Faktoren das Krebsrisiko erhöhen (Alavanja et al., 2013; Parrón et al., 2014). Das Risiko an Krebs zu erkranken, besteht nicht nur bei Menschen, die Pestizide ausbringen, sondern unter bestimmten Bedingungen auch bei solchen, die sich in der Nähe der Pestizid-Ausbringung aufhalten (Alavanja et al., 2013).

Die International Agency for Research on Cancer (IARC) hat die Karzinogenität von verschiedenen Pestiziden überprüft. Von diesen wurden Lindan und Pentachlorphenol der Gruppe 1 zugeordnet und somit als karzinogen eingestuft. Die Insektizide Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT), Aldrin, Dieldrin, Diazinon, Malathion sowie das Herbizid Glyphosat sind in der Gruppe 2A platziert und damit wahrscheinlich karzinogen für den Menschen. Parathion, Chlordan, 2,4,6-Trichlorphenol (TCP), Chlordecon, Heptachlor, Hexachlorcylcohexan (HCH), Hexachlorbenzol (HCB), Mirex und Toxaphen gehören der Gruppe 2B an und sind möglicherweise karzinogen für den Menschen. Endrin und Methoxychlor, die in die Gruppe 3 eingestuft wurden, sind bezüglich einer karzinogenen Wirkung beim Menschen nicht klassifizierbar (Guyton et al., 2015; Adnan et al., 2018).

Wahrscheinlich können Pestizide Krebs durch zahlreiche Mechanismen auslösen, die allerdings noch nicht vollständig entschlüsselt sind. Das Risiko für Krebs scheint sich nicht auf eine Funktionsgruppe von Pestiziden (beispielsweise Insektizide) oder die chemische Klasse (z.B. Organochlor-Pestizide) zu beschränken. Die direkte Genotoxizität gilt als bedeutsamer Mechanismus für die Begünstigung von Krebs. Allerdings scheinen auch nicht-genotoxische Mechanismen an diesem Prozess beteiligt zu sein. Auch die genetische Anfälligkeit für die karzinogenen Effekte mancher Pestizide kann einen wichtigen Bestandteil im Krankheitsmechanismus darstellen (Alavanja et al., 2013).

Im Folgenden werden die drei häufigsten Krebsarten beim Erwachsenen (Lungen-, Brust- und Prostatakrebs) sowie die Kinderleukämie, die die häufigste Krebsart bei Kindern darstellt, näher beschrieben und der Zusammenhang zur Exposition gegenüber Pestiziden erläutert.

3.3.1 Lungenkrebs

Weltweit stellt Lungenkrebs die häufigste Krebsart mit 2,1 Mio. neuen Fällen und die häufigste durch Krebs bedingte Todesursache mit ungefähr 1,8 Mio. Todesfällen im Jahr 2018 dar. Dies bedeutet, dass etwa 1 von 5 Krebstoten (18,4 %) auf Lungenkrebs zurückzuführen ist (Bray et al., 2018). Bis 2035 soll die Zahl der durch Lungenkrebs bedingten Todesfälle weltweit auf 3 Mio. ansteigen. Gründe für diesen Anstieg sind unter anderem das Altern der Bevölkerung in den Industrieländern, eine steigende Prävalenz im Zigarettenkonsum sowie eine höhere Lebenserwartung in weniger entwickelten Ländern (Didkowska et al., 2016).

Lungenkrebs wird erst klinisch sichtbar, wenn er ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat. Mehr als 75 % der Fälle von Lungenkrebs werden diagnostiziert, wenn die Krankheit vorangeschritten ist oder sich bereits Metastasen gebildet haben. Da nur 1 von 10 Lungenkrebspatienten die nächsten 5 Jahre überlebt, ist die Prognose der Erkrankung als sehr schlecht einzustufen (Shankar et al., 2019). Besonders häufig erkranken Menschen in Nordamerika (besonders dunkelhäutige Menschen) und in Neuseeland (vor allem Maori) an Lungenkrebs. Die Erkrankung betrifft oft auch Menschen in Großbritannien, Europa sowie Australien. Hingegen wird die Erkrankung am seltensten in West- und Ostafrika diagnostiziert. Das Alter bei der Diagnosestellung beträgt nur selten weniger als 40 Jahre. Mit zunehmendem Alter kann dagegen ein Anstieg der Inzidenz beobachtet werden. Lungenkrebs wird im Durchschnitt in einem Alter zwischen 65 und 70 Jahren diagnostiziert. Weiterhin kann beobachtet werden, dass Lungenkrebs häufiger in den unteren als den oberen Gesellschaftsschichten zu verzeichnen ist. Ursache hierfür ist möglicherweise der häufigere Zigarettenkonsum in den unteren Gesellschaftsschichten (Aigner et al., 2016a).

Die Entwicklung von Lungenkrebs stellt einen multifaktoriellen Prozess dar (Luqman et al., 2014). In den westlichen Ländern entstehen mehr als 85 % aller Lungenkrebsfälle durch den Konsum von Zigaretten (Alavanja und Bonner, 2012). Allerdings nimmt auch die Zahl der Lungenkrebsfälle bei Nichtrauchern zu, was darauf hindeuten lässt, dass Lungenkrebs bei Nicht-Rauchern, durch genetische, familiäre und soziale Faktoren sowie verschiedene Umweltrisikofaktoren, wie Lebensstil, Ernährung und berufliche Expositionen, ausgelöst wird. Epidemiologische Hinweise zeigen einen Zusammenhang zwischen Lungenkrebs und der Exposition gegenüber nicht-beruflichen sowie beruflichen Schadstoffen. Die hauptsächlichen beruflichen Expositionen treten bei Arbeitern auf, die in der Verhüttung und der Veredelung von Metallen, der Produktion von Pestiziden, Pigmenten, Farbstoffen, Glas, Halbleitern, Holz-/Baumwollprodukten sowie verschiedenen pharmazeutischen Substanzen tätig sind (Luqman et al., 2014). Die nicht-beruflichen Expositionen treten meistens durch Passivrauchen, Verschmutzung der Außenluft und dem Wohnen nahe von industriellen Emissionsquellen, Asbest, Verschmutzung der Innenluft, Arsen und chlorierten Nebenprodukten in Trinkwasser, Dioxinen und elektromagnetischen Feldern auf (Luqman et al., 2014; Shankar et al., 2019). Zudem gibt es deutliche Hinweise darauf, dass eine Exposition gegenüber schädlichen Pestiziden oder Aflatoxinen, die im Wohn- oder Arbeitsumfeld vorliegen, die Krebsentstehung begünstigen kann. Landwirtschaftliche Arbeitskräfte und Angestellte im öffentlichen Gesundheitswesen können schädlichen Pestiziden während der Handhabung, Verdünnung und Ausbringung ausgesetzt sein. Dabei findet die Exposition während der Anwendung hauptsächlich über die Haut und die Atemwege statt (Shankar et al., 2019).

Im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung rauchen Landwirte weniger und erkranken für gewöhnlich signifikant seltener an Lungenkrebs (Alavanja und Bonner, 2012). Nichtsdestotrotz wurde von einer ansteigenden Mortalität von Lungenkrebs unter amtlich zugelassenen Pestizidausbringern berichtet. In Anbetracht dessen besteht die Möglichkeit, dass eine Belastung mit bestimmten Pestiziden das Risiko von Lungenkrebs bei Landwirten erhöhen kann (Bonner et al., 2016).

[...]


1 Die Odds Ratio dient bei Fall-Kontroll-Studien und Querschnittsstudien als vergleichende Maßzahl. Hierbei wird ein Vergleich von Fällen, die an der zu untersuchenden Erkrankung leiden und Kontrollen, die nicht an der Krankheit erkrankt sind, durchgeführt. Es erfolgt eine retrospektive Erfassung. Um auf eine statistische Signifikanz des beobachteten Effektes schließen zu können, muss das Konfidenzintervall mitberücksichtigt werden. Die Odds Ratio wird mit folgender Formel berechnet (Ressing et al., 2010):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2 Die Hazard Ratio stellt einen Quotienten aus den Hazards von zwei Gruppen dar. Sie zeigt, um wie viel höher die Sterberate in der einen Gruppe ist, verglichen mit der Sterberate der anderen Gruppe. Sie dient als ein deskriptives Maß, um die Überlebenszeiten zwischen zwei unterschiedlichen Gruppen vergleichen zu können (Zwiener et al., 2011).

Final del extracto de 101 páginas

Detalles

Título
Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die menschliche Gesundheit. Möglichkeiten der Expositionsminderung
Universidad
Justus-Liebig-University Giessen
Calificación
1,0
Autor
Año
2019
Páginas
101
No. de catálogo
V544516
ISBN (Ebook)
9783346155146
ISBN (Libro)
9783346155153
Idioma
Alemán
Palabras clave
Pflanzenschutzmittel, gesundheitliche Auswirkungen, Möglichkeiten der Expositionsminderung
Citar trabajo
Tatjana Regeljac (Autor), 2019, Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die menschliche Gesundheit. Möglichkeiten der Expositionsminderung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/544516

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