"We seken faste after felicitee. But we goon wrong ful often, trewely": Chaucers Canon´s "Yeoman´s Tale" als Metapher einer Sinnsuche


Term Paper (Advanced seminar), 2002

19 Pages, Grade: 1,3


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Inhalt

1. Einleitung

2. Chaucers Canon's Yeoman's Tale: Historische Hintergründe, Struktur und 'Moral'
2.1 Hintergründe und Anschauungen mittelalterlicher Alchemie am Beispiel der Canon's Yeoman's Tale
2.1.1 Die Haltung der Obrigkeit
2.2 Hintergründe und Struktur der Canon's Yeoman's Tale
2.2.1 Quellen
2.2.2 Gattung
2.2.3 Sprachliche und stilistische Besonderheiten
2.3 'The dread of something after death': Die Canon's Yeoman's Tale als Resümee eines literarischen Lebens
2.3.1 Alchemie und Schriftstellerei
2.3.2 Beziehungen zwischen den literarischen Hauptfiguren und ihrem Schöpfer
2.3.3 Einsicht und späte Reue: Der Schluss der Canon's Yeoman's Tale

3. SchluSS

4. Bibliographie

1. Einleitung

Chaucers Canon's Yeoman's Tale gehört zu unrecht zu den vereinzelten Canterbury Tales, denen von der Kritik – wenn man in der Chaucer-Rezeption überhaupt davon sprechen kann – wenig Beachtung geschenkt wurde. War dies doch der Fall, so gingen die interpretatorischen Ansätze oftmals nicht sehr weit und erschöpften sich in einer, zweifellos wichtigen, historischen Einordnung. Folgerichtig wurde die Tale zumeist betrachtet als eine historische Quelle zum Themenkomplex Alchemie im Mittelalter – und als eine Abrechnung mit 'falschen', weil nur von ihrer Goldgier geleiteten Alchemisten, der man eine persönliche Racheabsicht Chaucers zugrunde legte.

Erst in den letzten Jahren erweiterte sich das Blickfeld der Rezipienten, und es kamen andere oder doch zumindest weitere Deutungsmöglichkeiten ins Spiel.[1] Die vordergründige Handlung wurde zunehmend 'demaskiert' und gedeutet als eine versteckte, selbstreflexive Auseinandersetzung und Abrechnung Chaucers mit seinem bisherigen Leben und Tun.

In der vorliegenden Arbeit werde ich ähnlich vorgehen. Um Hintergründe und Kontext zu verdeutlichen, beschäftige ich mich zunächst mit dem historischen Rahmen, vor dessen Hintergrund die Handlung sich abspielt. Über die Auseinandersetzung mit Chaucers Quellen und eventuellen Vorbildern für seine Figuren, die Frage nach der Gattungszugehörigkeit der Tale und 'technischen', d.h. sprachlichen Details, komme ich schließlich zur Kernfrage: Wofür steht die Alchemie? Und was ist die Geschichte 'hinter der Geschichte'?

2. Chaucers Canon's Yeoman's Tale: Historische Hintergründe, Struktur und 'Moral'

2.1 Hintergründe und Anschauungen mittelalterlicher Alchemie am Beispiel der Canon's Yeoman's Tale

"By the late fourteenth century, alchemy had become the study of studies, as encompassing as – and often becoming – the search for the key to all mythologies. It was at once a hermeneuticist's dream and a pragmatician's nightmare, superbly ambiguous and supremely alluring" (Lambdin, S. 350). Zu Chaucers Zeiten kann also die Alchemie als die Mutter aller Wissenschaften gelten, deren Einfluss und Verlockungen gewaltig sind. Zum einen motiviert sie sich durch einen zutiefst menschlichen Wissensdurst; man will den Dingen auf den Grund gehen und ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Auf der anderen Seite aber haftet ihr ein etwas zweifelhafter Ruf an; beim bloßen Wissen um den Aufbau der Materie wollen es die wenigsten belassen. Der Stein der Weisen soll für sie auch ein Stein des Reichtums werden.

Die Ursprünge abendländischer Alchemie werden im alten Ägypten vermutet, und ihr von Beginn an schillernder Charakter mag damit zusammenhängen, dass ihr Ursprung in der Verquickung platonischer und aristotelischer Philosophie mit der herausragenden Metallarbeit der Handwerker Alexandrias vermutet wird (vgl. ebd., S. 346). Ziel der Alchemisten ist die Erzeugung edler Metalle aus unedleren durch eine Modifikation ihres Gehalts der vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer. Die 'Hierarchie' der Metalle führt von Kupfer über Eisen, Zinn und Blei bis hin zu Silber und Gold (vgl. ebd, S. 347). Eine Sonderposition nimmt dabei Quecksilber ein, das 'lebendige Silber', das durch 'mortification' zu festem Silber gemacht werden sollte.[2] Während in der mittelalterlichen Alchemie im Gold das höchste der Metalle gesehen wurde, berichten ägyptische Schriften von einem geheimnisvollen weiteren, noch edleren Metall "beyond gold, called coral of gold: its color was a beautiful, iridescent purple" (ebd.).[3]

Die Hoffnung der Alchemisten, Metalle transformieren zu können, basiert auf Platos These, jegliche Art von Materie sei solange gleichförmig und ununterscheidbar, bis ihr gewisse Eigenschaften 'eingeprägt' werden. "It is easy to see how this theory of matter would prove appealing to future alchemists. If one could maneuver to alter the impressed properties of a given element, one would be changing the element itself" (ebd., S. 346). Zu diesem Zweck wurden Metalle, genannt 'bodies', mit gewissen Substanzen, den sogenannten 'spirits' in Verbindung gebracht, die sie durchdringen und ihre Eigenschaften verändern sollten. Diese Vorgehensweise war eine Standardprozedur der Alchemisten, in die auch der nach eigenem Bekunden nur teilweise eingeweihte Yeoman Einblick hat: "The firste spirit quyksilver called is, / The seconde orpyment, the thridde, ywis, / Sal armonyak, and the ferthe brymstoon" (822-824).[4] Besonders Schwefel kommt eine wichtige Funktion zu, da es durch bestimmte Schwefelverbindungen möglich ist, Metalle zu verfärben (vgl. ebd., S. 347); so waren Alchemisten schon von weitem am Geruch zu erkennen. "And everemoore, where that evere they goon / Men may hem knowe by smel of brymstoon. / For al the world they stynken as a goot; / Hir savour is so rammyssh and so hoot / That though a man from hem a mile be, / The savour wole infecte hym, trusteth me" (884-889). Weiterhin spielte im Verwandlungsprozess neben dem zu verwandelnden auch eine kleine Menge eines edleren Metalls eine Rolle, das den Umwandlungsvorgang katalysieren sollte.

For instance, mercury would be transmuted to silver by a ferment containing silver; silver would be transmuted to gold by a ferment containing gold. The most potent ferment of all was drawn from coral of gold; a tiny portion was reputed to have the power to transmute vast proportions of all the baser metals to gold. It is from the concept of this super-ferment that the Islamic alchemists derived the idea of the philosopher's stone. (Lambdin, S. 348)

Dieser Stein der Weisen, den Arnold of Villanova, auf den Chaucer in der Canon's Yeoman's Tale Bezug nimmt, mit dem Elixier des Lebens in Verbindung bringt – und der seither gelegentlich auch Elixier genannt wird (vgl. ebd., S. 345 f.) –, diese geheimnisumwitterte, rätselhafte Substanz ist es, worauf die Alchemisten ihre begehrlichen Blicke richten, ein Stoff, in dem sich Hoffnungen auf ewigen Reichtum sowohl als auf dauerhafte Gesundheit manifestieren. Dass das Vorhandensein einer solchen Wundersubstanz schnell zur fixen Idee wird, die Rückschläge bereitwillig ertragen lässt und Motivation genug erzeugt, immer neue Investitionen zu tätigen und sich sogar – wie der Yeoman – hoch zu verschulden, nimmt also nicht wunder. "That slidynge science hath me maad so bare / That I have no good, wher that evere I fare; / And yet I am endetted so therby, / Of gold that I have borwed, trewely, / That whil I lyve I shal it quite nevere" (732-736) Es ist das Prinzip Hoffnung, das die Alchemisten trotz allem nicht aufgeben lässt, und ihre Besessenheit erzeugt ein Suchtverhalten, so dass sie nicht bemerken, wie sie ihr Leben verbringen "in the never-ending repetition of failed experiments" (ebd., S. 353).

A!nay! lat be; the philosophres stoon,

Elixer clept, we sechen faste echoon;

For hadde we hym, thanne were we siker ynow.

But unto God of hevene I make avow,

For al oure craft, whan we han al ydo,

And al oure sleighte, he wol nat come us to.

He hath ymaad us spenden muchel good,

For sorwe of which almoost we wexen wood,

But that good hope crepeth in oure herte,

Supposynge evere, though we sore smerte,

To be releeved by hym afterward. (862-872)

Es ist nicht verwunderlich, dass Alchemisten in ihrer Monomanie dem gemeinen Volk suspekt waren; dennoch mussten die Mittel zur Ausübung der Versuche nun einmal beschafft werden. "To muchel folk we doon illusioun, / And borwe gold, be it a pound or two, / Or ten, or twelve, or manye sommes mo, / And make hem wenen, at the leeste weye, / That of a pound we koude make tweye. / Yet is it fals, but ay we han good hope / It for to doon, and after it we grope" (673-679). Aus dem unweigerlichen Scheitern der Versuche ergibt sich der Zwang zur Tarnung, um dem Zorn der Bürger zu entgehen. So erklärt der Yeoman den ärmlichen Aufzug seines Herrn: "And if a man wole aske hem pryvely / Why they been clothed so unthriftily, / They right anon wol rownen is his ere, / And seyn that if that they espied were, / Men wolde hem slee by cause of hir science" (892-896).

"Alchemy is false and alchemists are, at best, self-deluded",[5] das ist die Botschaft des ernüchterten Yeoman. Dennoch gibt es eine "enchanted audience" (Lambdin, S. 350); der Verheißung unermesslichen Reichtums kann sich niemand entziehen. Den Nimbus des Wissenschaftlichen, der zusätzlich Ehrfurcht erzeugen soll, wissen die Alchemisten durch leere Phrasen und einschüchternde Terminologie hervorzurufen "Whan we been there as we shul exercise / Oure elvysshe craft, we semen wonder wise, / Oure termes been so clerigal and so queynte" (750-752).[6] Das Befremdliche und Unverständliche der Reihung von Termini (vgl. 790 ff.) entsteht dabei nicht etwa durch die zeitliche Distanz zwischen Leser und Text, sondern ist durchaus gewollt und sollte auch ein zeitgenössisches Publikum seltsam anmuten. "It is a jargon that sets out to blind with pseudo-science those who are not initiates [...] All the passages in the Tale that operate on these lines are meant to be semi-comprehensible at best".[7] "Apparently, alchemists seem wise, since they are making the best of ' clerigal and queynte' terms, but what they really do is a kind of fraud and deceit".[8] Weiterhin erheischen alchemistische Autoren Respekt durch das Heranziehen von Autoritäten, oft antiken Philosophen oder gar Göttern, wie der Erzähler der Canon's Yeoman's Tale es etwa mit Plato oder Hermes tut (vgl. 1434 und 1448 ff.). "Alchemy had over a thousand years of history by the time it reached Chaucer" (Lambdin, S. 346) – ein Fundament, auf das sich bequem aufbauen ließ und das eigene oder von außen an die Alchemisten herangetragene Zweifel mit der ganzen Gewalt seiner Autorität erdrückte.

[...]


[1] Vgl. hierzu z.B. die Arbeiten von Dolores Warwick Frese: An Ars Legendi for Chaucer's Canterbury Tales. Gainesville: University of Florida Press, 1991, Christine N. Chism: "I Demed Hym Som Chanoun For To Be", in: Lambdin, Laura C. und Lambdin, Robert T. (Hgg.), Chaucer's Pilgrims: An Historical Guide to the Pilgrims in The Canterbury Tales. Westport, London: Greenwood Press, 1996 und Mark J. Bruhn: "Art, Anxiety, and Alchemy in the Canon's Yeoman's Tale", in: ChauR 33:3 (1999), S. 288-315.

[2] Der Glaube, dass Quecksilber ("quick silver") flüssiges oder 'lebendiges' Silber sei, spielt eine zentrale Rolle bei der Täuschung des arglosen Priesters durch den betrügerischen Canon.

[3] So kommt es, dass rot quasi als höchste der Farben angesehen und mit Reichtum, aber auch Gesundheit assoziiert wurde. Diese Farbsymbolik wird im Verlauf der Canon's Yeoman's Tale bedeutsam sein; der Yeoman verliert ironischerweise seine Gesundheit gerade durch die Praktizierung alchemistischer Versuche, so dass seine Gesichtsfarbe sich vom gesunden Rot in ein bleiernes Grau verwandelt (vgl. Vv. 666 f.).

[4] Alle Chaucer-Zitate stammen aus Larry D. Benson (Hg.): The Riverside Chaucer. Oxford: Oxford University Press, 31987.

[5] Edgar H. Duncan: "The Literature of Alchemy and Chaucer's Canon's Yeoman's Tale: Framework, Theme, and Characters", in: Speculum 43:4 (1968), S. 633-656, S. 646.

[6] Was nichts weiter heißt, als dass sich die Alchemie unter diesem Gesichtspunkt mustergültig in die Wissenschaftsgeschichte einreihen lässt.

[7] Helen Cooper: Oxford Guides to Chaucer: The Canterbury Tales. Oxford: Oxford University Press, 21996, S. 379.

[8] Masahiko Kanno: "Lexis and Structure in The Canon's Yeoman's Tale", in: In geardagum 10 (1989), S. 45-58, S. 52.

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Title
"We seken faste after felicitee. But we goon wrong ful often, trewely": Chaucers Canon´s "Yeoman´s Tale" als Metapher einer Sinnsuche
College
University of Trier  (Fachbereich Anglistik)
Grade
1,3
Author
Year
2002
Pages
19
Catalog Number
V5446
ISBN (eBook)
9783638133142
ISBN (Book)
9783638786898
File size
490 KB
Language
German
Keywords
Chaucers, Canon´s, Yeoman´s, Tale, Metapher, Sinnsuche
Quote paper
Dietrich Arlart (Author), 2002, "We seken faste after felicitee. But we goon wrong ful often, trewely": Chaucers Canon´s "Yeoman´s Tale" als Metapher einer Sinnsuche, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5446

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