Leseprobe
Inhalt:
1. Problemstellung und Zielsetzung 3
2. Die Lernende Organisation 5
Annäherung an einen Begriff Historie und Endstehungsgeschichte
Tragende Elemente des Konzepts Dezentralisierung von Entscheidungen Flache Hierarchien
- Gruppenarbeit und Jobrotation
- Neue Rolle der Vorgesetzten
- Gemeinsame Vision
3. Lernen, ein zentraler Begriff der L.O. 8
Lernen am Arbeitsplatz 9
- Integration von Arbeiten und Lernen
Merkmale organisationalen Lernens 10
- vom individuellen Lernen zum Organisationslernen
4 Inkonsistenzen im Konzept des „Lernenden Unternehmens“ 12
- Karrierechancen und Machtverlust
- Dequalifizierungsrisiko
- Auflösung der Beruflichkeit
- Offene Kommunikation versus drohender Arbeitsverdichtung oder
Arbeitsplatzverlust
5 Zusammenfassung und Kritik 16
Literaturliste 20
1.Problemstellung und Zielsetzung
Seit den 70er Jahren werden die Begriffe „Lernendes Unternehmen“, „Lernende Organisation“ und „Organisationslernen“ breit diskutiert. Die wissenschaftlichen Beiträge dazu entstammen überwiegend der Betriebswirtschaftslehre, der Industriesoziologie und der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Insbesondere in der Managementlehre, der Organisationsentwicklung in Wirtschaft und Verwaltung erfreuen sich die Begriffe einer unübersehbaren Beliebtheit, deren heute geradezu inflationärer Gebrauch eine Suchabfrage über die Internet-Suchmaschine Google im deutschsprachigen Raum zeigt. Als String eingegeben liefert Google 33400 Treffer, die von Buchveröffentlichungen, Aufsätzen und Hausarbeiten über Consultingbüros bis zu Managementportalen verweisen.
Die „Lernende Organisation“ als Konzept zur systemischen Rationalisierung wird meist in Bezug auf die industrielle Produktion thematisiert, wenngleich auch Ansätze zu dessen Adaption in den Dienstleistungsbereich und in staatliche Verwaltungen zu beobachten sind.
Die Begründungen, die für eine Entwicklung eines (Produktions-)Betriebs zu einer „Lernenden Organisation“ angeführt werden, sind im wesentlichen ähnlich:
Die erstarkende Konkurrenz in Billiglohnländer, die Globalisierung der Märkte, eine ständig wachsende Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung, dynamische Veränderungen von Verfügbarkeit und Preisen von Rohstoffen, Veränderungen im Kundenverhalten und in den Kundenbeziehungen etc. setzen die Unternehmen unter einen ständigen Innovations- und Anpassungsdruck.
Lernen erhält aus dieser Sicht einen zentralen Stellenwert und wird zunehmend als wichtigste Größe im Rationalisierungs- und Wettbewerbsmarathon gesehen.
Aus pädagogischer Sicht mutet die Kombination von „Lernen“ und „Organisation“ - vorsichtig formuliert - seltsam an. „Lernen ist in der Tradition der europäischen Geistesgeschichte, insbesondere der humanistischen Pädagogik, dem Subjekt vorbehalten, gehört zu den Identitäts- bzw. Qualitätsmerkmalen des Individuums“ (GREINERT 1999, S. 144).
Zudem birgt das Konzept der „Lernenden Organisation“ einige Inkonsistenzen und Unwägbarkeiten, die, beginnend mit seiner Entstehungsgeschichte und seiner Entlehnung aus dem japanischen Kultur- und Lebenszusammenhang über seinen recht diffusen Lernbegriff bis zu Widersprüchen und Risiken in seiner konkreten Ausgestaltung, Gegenstand dieser Arbeit sein sollen.
Nach verschiedenen Wellen der Rationalisierung in der Vergangenheit und deren beschäftigungspolitisch unbefriedigenden Auswirkungen stellen sich mit dem Konzept der Lernenden Organisation einige Fragen:
- Ist dieses Konzept neben dem der „Lean Production“, der „fraktalen Fabrik“ und dem „Total Quality Management“ nur eine weitere Heilsversprechung an die Wirtschaft, mit der auch die letzte, bisher weitgehend unbehelligt gebliebene menschliche Ressource „ganzheitlich“ ausgeschöpft und Gewinne maximiert werden sollen oder kann es neben der (möglichen) Einlösung von wirtschaftlichen Erwartungen vielleicht sogar als Grundlage zur Reformulierung eines allgemeinen Bildungskonzeptes beitragen?
- Ist damit eine lang geforderte Humanisierung der industriellen Arbeit realisierbar und damit eine Aussöhnung zwischen Kapital und Arbeit möglich?
- Welcher Stellenwert bleibt neben einem solchen Konzept der traditionellen Berufsaus- und Weiterbildung in unserer Gesellschaft?
Sicherlich kann es im Rahmen einer solchen Hausarbeit nicht darum gehen, letzte Antworten auf die gestellten Fragen zu erhalten. Mein Ziel ist es, die je unterschiedlichen Stellungnahmen einzelner Autoren zusammen zu tragen, um diese dann für eine eigene Analyse nutzbar machen zu können.
Im folgenden werde ich also zunächst das Konzept der Lernenden Organisation in seinem Entstehungszusammenhang vorstellen und dessen tragenden Elemente beschreiben. Im nächsten Schritt wird der verwendete Lern-Begriff sowohl in seiner individuellen als auch in seiner organisationalen Dimension beleuchtet, um anschließend die konzeptionellen Widersprüche und Inkonsistenzen herauszuarbeiten.
Zusammenfassend werden abschließend die Implikationen des Konzeptes kritisch diskutiert und in einen Zusammenhang mit den von mir gesehenen gesellschaftlichen Notwendigkeiten gebracht.
2. Die Lernende Organisation
Mit der breiten Diskussion des „lernenden Unternehmens“ tritt ein (wiederholter) Paradigmenwechsel in Bezug auf Rationalisierungsbestrebungen in der Wirtschaft in Erscheinung. Nach Phasen der Automation in den fünfziger und sechziger Jahren, die z. B. in der Automobilindustrie sogar den Traum von der menschenleeren Fabrik in greifbare Nähe zu rücken schien, konnten solche, weitgehend automatisierten Betriebe dann auf sich verändernde Marktbedingungen nicht mehr ausreichend flexibel reagieren:
„Eine einmal installierte Technik hat weitgehend rigide Produktionsprozesse zur Folge. Wegen der technisch und ökonomisch begrenzten Möglichkeiten zur Umrüstung stößt eine solche Art der Produktion bei veränderten Nachfrage- und Absatzbedingungen an ihre Grenzen“ (GEORG/SATTEL 1997, S. 16).
Nunmehr richtet sich der Blick auf eine ganzheitliche, alle Bereiche des wirtschaftlichen Handelns umfassende Rationalisierung. Mit der Fassung eines Unternehmens als einem sozialen Gebilde rücken die Mitarbeiter auf allen Ebenen ins Zentrum des Interesses. DEHNBOSTEL nennt zusammenfassend „(...) Wissensgenerierung und Wissensmanagement, gemeinsame Unternehmensziele und Visionen, ganzheitlich-systemisches Denken und Handeln; kontinuierliche Veränderungs- und Selbsttransformationsprozesse; Integration von Arbeiten und Lernen; Selbstorganisation und Eigenverantwortung der Mitarbeiter“ (1998, S. 7) als wichtigste Merkmale des Entwicklungsziels. Im Ergebnis sollen alle Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenen mit dazu beitragen, dass das „eigene“ Unternehmen die besten Überlebenschancen am Markt erhält. Die Mitarbeiter sind also aufgefordert fortlaufend Ideen zu entwickeln, um Produktion und Organisation zu optimieren.
2.1 Annäherung an einen Begriff
Historie und Entstehungsgeschichte
Theorien und Konzepte zur „Lernenden Organisation“ gehen bis auf die siebziger Jahre zurück. Durch die damalige Weltwirtschaftskrise wurde in den westlichen Industrienationen, vor allem in den USA nach Möglichkeiten gesucht, die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Unternehmen zu verbessern. Das als zu erreichende Ideal oder Vorbild war Japan mit seinen aus ökonomischer Sicht offensichtlich sehr erfolgreichen Strategien (vgl. z.B. BRINKMANN 2002, GEORG 1991, GEORG 1994, GREINERT 1999, HEIDENREICH 1994, TEICHLER 1990). Dies scheint als Entstehungshorizont allgemein akzeptiert und gesichert. Der Vollständigkeit halber sei noch auf die Human-Relation-Bewegung seit den 30ern und den verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorien seit den 40er Jahren hingewiesen (vgl. GEIßLER 2003, S. 78). Dann zu Beginn der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden erste Studien zur Unternehmenskultur vorgelegt (vgl. BRINKMANN 2002, S. 204). Mit dem Konzept der Unternehmenskultur tauchte innerhalb der Rationalisierungsdiskussion ein Begriff auf, der zur traditionellen tayloristisch- fordistischen Produktionsweise in so fern in einem Widerspruch stand, als auch der angelernte Produktionsarbeiter Mittels eines Verhaltenskodex in die Unternehmenskultur eingebunden werden soll (vgl. GREINERT 1999, S. 143). Unternehmenskultur wird hier als operatives Mittel gesehen, um Arbeiter und Angestellte über die Notwendigkeit des Broterwerbs hinaus für die Ziele des Unternehmens einzunehmen. Parallel und in Ergänzung zum Konzept der „Unternehmenskultur“ hat sich - so GREINERT weiter - das Konzept der „lernenden Organisation“ entwickelt.
Mit der Verkoppelung von Unternehmenskultur und Lernen hat SENGE fünf Dimensionen einer „lernenden Organisation“ identifiziert und damit m. E. einen Beitrag zur Intensivierung der Diskussion um „brachliegende Produktivitätsreserven“ (vgl. BRINKMANN 2002, S.210) geleistet. Eine hohe Unternehmensloyalität und die Kommunikation einer gemeinsamen Unternehmensphilosophie werden hier als Schlüssel zum Erfolg gesehen.
Die Nähe zum Model Japan ist deutlich. Die auf dem Konfuzianismus fußende Bereitschaft zur Unterordnung und die Betonung der Gruppe ist als Voraussetzung zu sehen für einen Sozialisationszusammenhang, der von der Familie über die allgemeine Schulbildung bis zur Betriebsausbildung und Arbeitsorganisation wirksam ist. „Schulische Sozialisation ist an Gruppenmitgliedschaft orientiert, die eine reibungslose Integration in die Firmengemeinschaft versprechen“ (TEICHLER 1990, S. 143).
Die Idee von einem lernenden Unternehmen hat auch in der europäischen Personaldebatte der letzten Jahre seinen festen Platz: „Der Mitarbeiterorientierung folgte der Ansatz der Schlüsselqualifizierung, und dieser scheint in der neueren Debatte in eine allgemeine Konzeption von Kompetenzentwicklung, verbunden mit neuen Lernkulturen, zu münden, während gleichzeitig der Verschleiß an Managementkonzepten enorm ist“ (ARNOLD/BLOH 2003, S. 5).
2.2 Tragende Elemente des Konzeptes
Die je aufgeführten Bestandteile einer Lernenden Organisation unterscheiden sich von einander nur marginal und lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Dezentralisierung von Entscheidungen
„Lean Production“ bzw. „Lean Management“ sind Begriffe, die mit dem des „lernenden Unternehmens“ in einem direkten Zusammenhang stehen. Um MitarbeiterInnen größere Entscheidungsfreiräume für schnellere Reaktionszeiten anbieten zu können, ist meist eine Neustrukturierung der betrieblichen Organisation notwendig. Die ehedem übliche ans Militär gemahnende Ordnung von „Anweisung und Ausführung“ im tayloristisch geprägten Unternehmen gab den Betroffenen keine Spielräume, um im Hinblick auf dynamische Marktveränderungen entsprechende Lösungen zu entwickeln. Im lernenden Unternehmen ist deshalb die Delegation von Entscheidungen bis in die Produktion hinein ein erster Schritt auf dem Weg.
Flache Hierarchien
Eine Dezentralisierung von Entscheidungen bedeutet im weitesten Sinn die Auflösung der mittleren Hierarchieebenen, „(...) wobei die Entscheidungen auf die niedrigstmögliche verlagert werden“ (PÄTZOLD 1997, S.29). Kurze Wege und kürzere Reaktionszeiten sind die Folge.
Gruppenarbeit und Jobrotation
Zur Vermeidung von Monotonie und zur Erzielung von Motivation und Stärkung der Eigenverantwortung wird ein Arbeitsplatztausch notwendig. Will man den Arbeiter nicht nur auf eine mechanische Funktion reduzieren, sondern ihm durch eine solche Rotation auch Einblick in andere spezialisierte Tätigkeiten geben (job-enlargement), um Entscheidungen hinsichtlich der Planung, Durchführung und Kontrolle der Produktion treffen zu können (job-enrichment), „(...) führt dieses Konzept meist zu teilautonomen Arbeitsgruppen“ (PÄTZOLD 1997, S. 28).
Neue Rolle der Vorgesetzten
Arbeitsgruppen, die teilautonom in flachen Hierarchien Entscheidungen treffen, zwingen zu einer Neudefinition der Rolle des Vorgesetzten. Insbesondere die Rolle der Meister-Position, die in tayloristisch geprägten Unternehmen auch die Kontrollfunktion wahrgenommen hat, wird umgedeutet in die Rolle eines Coaches und Beraters. Die Kontrollfunktion wird dann weitgehend von der Gruppe selbst wahrgenommen. „Nicht mehr das Geben von Anweisungen und die Überwachung ihrer Befolgung kennzeichnen den modernen Führungsstil, sondern es werden Ziele aufgezeigt und gemeinsam mit den Mitarbeitern zu erreichen versucht; Selbständigkeit und Mitverantwortung der Mitarbeiter gelten als optimale Voraussetzung für Leistung und Erfolg“ (MEYER-DOHM 1991, S. 22).
Gemeinsame Vision und offene Kommunikation
Unternehmensziele sollen transparent und in einer offenen Kommunikation von allen Beteiligten zu ihren eigenen gemacht werden. Erst diese offene Kommunikation der Unternehmensziele macht eine wechselseitige Abstimmung darüber möglich und festigt dadurch die (Arbeits-)Gemeinschaft. Organisationale Ordnungsregeln und „gruppendynamische Regeln des kommunikativen Nahbereichs“ geben der Organisation als ganzer – auch in ihren Außenbeziehungen – Halt und Struktur.
„Unternehmen sind nicht nur Organisationen zur Bewältigung technischer und ökonomischer Aufgaben, sondern auch Teil eines kulturellen und sozialen Kontextes, der das unternehmerische Handeln wesentlich mitbestimmt“ (TEICHLER, 1990, S.140) (vgl. auch GEIßLER 1998).
3. Lernen, ein zentraler Begriff der L.O.
„Lernen“ hat in dem Konzept des lernenden Unternehmens einen zentralen Stellenwert und kann an folgenden Punkten festgemacht werden:
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