Der Begriff des Eigentums bei John Locke und Jean-Jaques Rosseau


Seminar Paper, 2003

25 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt:

1. Einleitung

2. Die Eigentumstheorie John Lockes
2.1. Enger und weiter Eigentumsbegriff
2.2. Arbeit als Eigentum und Begründung von Eigentum
2.3. Grundsatz der Selbsterhaltung
2.4. Zueignungsgrenzen
2.5. Neue Perspektiven durch die Geldeinführung
2.6. Eigentum und Gesellschaftsgründung
2.7. Ungleichheit in der Gesellschaft
2.8. Staat und Eigentümer
2.9. Eigentumsherleitung

3. Eigentum bei Jean-Jacques Rousseau
3.1. Unnatürliche Ungleichheit
3.2. Gleichheit der Chancen
3.3. Autarkie statt Globalisierung und Fortschritt
3.4. Förderung des Bauernstandes
3.5. Bescheidenheit und Mittelmaß
3.6. Eigentum als Ende des Naturzustandes
3.7. Abkehr vom Gelde
3.8. Staat und Eigentümer
3.9. Vom Gesellschaftsvertrag zu den Verfassungsentwürfen

4. Vergleichendes Fazit

5. Quellen

1. Einleitung

Seit es vernunftbegabte Menschen gibt, wird das Haben als ein wichtiger Aspekt des Seins erkannt. Eigentum sicherte das Überleben von Familien und Völkern, nicht selten waren die Angst darum und das Streben danach daher Auslöser für blutige Auseinandersetzungen und Kriege. Da nun das Eigentum eine derartige Schlüsselrolle im menschlichen Dasein einnimmt, hat sich auch die politische Philosophie immer wieder mit diesem Thema befasst, so auch die bekanntesten Staatstheoretiker des 17. und 18. Jahrhunderts. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen die Eigentumstheorien John Lockes und Jean-Jacques Rousseaus dargestellt werden. In einem vergleichenden Fazit will ich einige Unterschiede aber auch Berührpunkte der beiden Theorien herausarbeiten. Bei der Untersuchung der Lockeschen Eigentumstheorie werde ich mich überwiegend auf die „Zweite Abhandlung über die Regierung“ beziehen, wo der Thematik ausreichend Rechnung getragen wurde. Bei Rousseau konnte ich meine Erkenntnisse vor allem aus dem „Gesellschaftsvertrag“, den Verfassungsentwürfen für Polen und Korsika sowie den Abhandlungen über „Ungleichheit“ und „Politische Ökonomie“ gewinnen. Natürlich lässt sich ein Vergleich beider Theorien nur relativ ziehen, weit mehr als nur die Zeitspanne einiger Jahrzehnte trennen die wichtigen Schriften des Engländers von denen des Genfers. Auch nimmt das Eigentum in Lockes Schriften eine ungleich zentralere Position ein als bei Rousseau. Groß sind die Unterschiede nicht nur im Umfang der Würdigung des Eigentums, sondern auch bezüglich der Position demselben gegenüber. Während Locke sich nicht zuletzt um eine Rechtfertigung bereits bestehender oder sich entwickelnder Verhältnisse bemüht, zeichnet Rousseau Utopien, die, wie er selbst einräumt, nur noch für wenige Völker realisierbar erscheinen.

Locke stammt nicht aus den Reihen des aufsteigenden gewerblichen Mittelstands, sondern stand vielmehr im Dienste jenes Teils der entfeudalisierten, Land besitzenden Aristokratie, der sich selbst an kapitalistischen Unternehmungen beteiligte. John Locke denkt bei seiner Theorie einer liberalen Schutzgemeinschaft und einer Politik zugunsten der individuellen Freiheit nicht zuletzt an die Sicherung des Eigentums der englischen Landlords und des aufstrebenden Bürgertums seiner Zeit – starker sozialer Kräfte, die sich vor allem mit den Whigs verbunden hatten. Die Gedanken Lockes über die ideale Lebensführung orientieren sich am „gentleman“, des Mitgliedes der begüterten, überwiegend aus Landbesitzern bestehenden Schicht, der, keinesfalls ein Müßiggänger, dennoch die „pleasure“ und „delight“ verschaffenden Zerstreuungen zu schätzen weiß. Rein bürgerlich ist sein Denken hinsichtlich der gesellschaftlichen Prozesse, die absolute Monarchie lehnt Locke strikt ab.

Jean-Jacques Rousseaus Sicht der Dinge ist das Produkt eines beständigen Wandels. Theologische, gesellschaftliche, philosophische und nicht zuletzt persönliche Umwälzungen prägten sein Weltbild. In seinen Schriften erkennt man wichtige Einflüsse des Anthropozentrismus, der Recht nicht mehr als Form des Willen Gottes sehen ließ, sondern als in der diesseitigen Natur des Menschen begründet. Der Genfer wendet sich gegen den Merkantilismus, der den Wohlstand des Bürgertums auf dem Rücken des dritten Standes vorantrieb. Wenngleich man Rousseau unbestritten zu den Aufklärern zählen kann, nahm er auch in deren Reihen eine Sonderstellung ein. Radikal lehnt er die ständische Ordnung ab, dem Gefühlsmenschen ist ferner der Versuch der Aufklärer zuwider, die Komplexität der Welt in ein starres mathematisch-physikalisches Schema zu pressen.

Trotz aller Unterschiede und manch eindeutig Widerlegtem wohnt beiden Theorien soviel Zeitlosigkeit inne, dass sie zur Formung des modernen Eigentumsbegriffs beitrugen und auch in aktuellen politischen Diskussionen immer wieder in Erinnerung gerufen werden.

2. Die Eigentumstheorie John Lockes

2.1. Enger und weiter Eigentumsbegriff

Eines der Hauptprobleme bei der Interpretation der Lockeschen Eigentumstheorie sind die unterschiedlichen Definitionen, die er verwendet. Einerseits ist ein weiter „property“-Begriff mit den Elementen Leben, Freiheit und materieller Besitz – der dem üblichen Gebrauch des 17. Jahrhunderts entspricht – von einem engeren, ausschließlich aufs Materielle bezogenen zu unterscheiden. Daneben ergab sich bei der Analyse des materiellen Bereichs, dass – solange Locke terminologisch klar bleibt – nur die Dinge unter den (engeren) Begriff des „property“ fallen, die als „necessities“ der Selbsterhaltung dienen, während darüber hinausreichende Güter als „possession“ bezeichnet werden. „Property“ zeigt sich so als mit dem Begriff der Selbsterhaltung aufs engste verknüpft. Es umfasst den Bereich von Existenz und Persönlichkeit, der als unverzichtbar und unantastbar verstanden wird.

Schwäche und Unschärfe des weiten „property“-Begriffs liegen in der unterschiedlichen Qualität seiner Elemente begründet. Während Leben ein oberstes Ziel und reinen Zweck bedeutet, materielle Güter im Sinne des „property“ dagegen als Mittel zur Selbsterhaltung dienen, kann Freiheit sowohl als Zweck als auch als Mittel verstanden werden. Diese Divergenz der Komponenten des „property“-Begriffs wird jedoch in erster Linie im Materiellen problematisch. An manchen Stellen ist Lockes Gebrauch des Eigentumsbegriffes nicht eindeutig.[1]

2.2. Arbeit als Eigentum und Begründung von Eigentum

Obwohl Gott den Menschen alle Schätze der Welt zur Verfügung stellte, lebten sie in einem Zustand der Bedürftigkeit und litten unter einem ständigen Mangel an Nahrungsmitteln, Kleidern und Behausungen. Sie mussten, um angenehm leben zu können, immer mehr davon haben. Die Natur stellte nur die „Rohmaterialien“ bereit und es bedurfte der Arbeit und Kunstfertigkeit des Menschen, diese zu verarbeiten. Wollte sich also der Mensch in dieser Welt einrichten, so erforderte dies Arbeit. Zu ihr wird er schon von der Mangelsituation, in der er sich vorfindet, gezwungen, und diesem Zwang entspricht das göttliche Arbeitsgebot: „Gott befahl und seine Bedürfnisse zwangen den Menschen zu arbeiten.“[2] Nie kann der Mensch eine Welt des Überflusses und damit des Glücks schaffen. Der ständig drohende Mangel zwingt ständig zur Arbeit – eine Art göttlicher List, durch die der Mensch veranlasst wird, seinen Blick aufs Jenseits zu richten. Denn selbst wenn der Mensch alle Güter der Welt besäße, sei er immer noch unruhig, unbefriedigt und fern davon, glücklich zu sein, da er den gegenwärtigen Zustand stets bedroht sehen musste.[3]

Locke räumt ein, dass die Schöpfung anfangs allen Menschen gehörte, doch habe es ein ursprüngliches Privateigentum gegeben, das an der eigenen Person. Daher stehe auch die Arbeit des Körpers eines Menschen in dessen Eigentum. Entfernt dieser Mensch einen Naturstoff aus dem natürlichen Zustand und bearbeitet ihn, so hat er ihn mit seiner Arbeit vermischt, ihm etwas zugesellt, was sein eigen ist, und macht ihn dadurch zu seinem Eigentum. Locke versteht also unter Arbeit eine reale, aus dem Menschen fließende, von ihm abtrennbare Substanz, sie wird mit der Handlung gleichgesetzt. Das Produkt, entstanden aus der Vermischung vom sich im Gemeineigentum befindlichen Naturstoff und der Substanz „Arbeit“, die im Privateigentum des Arbeitenden steht, fällt ebenfalls in dessen Privateigentum, die Arbeit setzt einen Unterschied zwischen das Produkt und den gemeinschaftlichen Besitz. Durch die Übertragung von Eigentumsrechten werden weitere Eigentumsrechte begründet, Eigentum entsteht durch Bearbeitung. Robert Nozick hat die Problematik dieser Argumentation ironisch auf den Punkt gebracht: „Wenn ich eine Dose Tomatensaft besitze und diesen ins Meer schütte… wurde ich dadurch zum Eigentümer des Meeres oder habe ich blödsinniger Weise meinen Tomatensaft vergeudet?“[4]

Für Locke ist die Arbeit eines Menschen so unzweifelhaft sein Eigentum, dass er sie bedenkenlos gegen Lohn verkaufen darf. Denn Eigentum im bürgerlichen Sinn ist nicht nur das Recht etwas zu genießen oder zu nutzen, es ist ein Recht, darüber zu verfügen, es zu tauschen, zu veräußern. Eine kommerzielle Wirtschaft, in der aller Grund und Boden in den Händen privater Eigentümer ist, schloss die Lohnarbeit zwangsläufig mit ein. Locke setzte allerdings auch als selbstverständlich voraus, dass die Löhne kaum über dem Existenzminimum liegen dürfen und dass der Lohnarbeiter kein anderes Eigentum hat als seine Arbeitskraft. Locke erkannte nicht, dass die beständige Veräußerung der Arbeit gegen einen gerade nur die Existenz sichernden Lohn, die er als den notwendigen Zustand der Lohnarbeiter während ihres ganzen Lebens ausgab, auf eine Veräußerung von Leben und Freiheit hinausläuft. Es ist eine für Lockes Zeit typische Ansicht, dass die Menschen der Arbeiterklasse eine Ware sind, aus der sich Reichtum und Herrschaft gewinnen lassen, ein Rohmaterial, dass die politische Gewalt zu bearbeiten hat und über das sie verfügen kann.[5]

Auch wer bereits über Vermögen verfügt, ist „auf Grund des göttlichen Gesetzes verpflichtet, etwas zu tun.“ Gott gab nämlich die Welt „zum Nutzen der Fleißigen und Genügsamen“, deren Gegensatz der „faule Arme“ bildet. Weil es die Wert schaffende Arbeit ist, die einem Gut 99 Prozent seines Wertes verleihen, können durch Anordnung und Arbeit die Güter der Welt in unvorstellbarer Weise vermehrt werden. Wer sich also „Land mittels Arbeit aneignet, verringert nicht, sondern vermehrt den allgemeinen Reichtum der Menschheit“.[6]

Die faktische Enteignung des kleinen Mannes hat Locke als Auswirkung der Land- und Kapitalakkumulation erkannt. Dieser war in seinen Augen eben der „weniger Fleißige“. Locke fasst die Arbeit als ehernes Gebot auf, dessen Erfüllung die Selbsterhaltung der menschlichen Spezies unter optimalen Verhältnissen ermöglichen soll. Trotz Lockes Überzeugung von der Notwendigkeit der Arbeit ist er aber kein Verfechter der calvinistischen Erwerbsethik, sondern betont, dass Arbeit um der Arbeit willen wider die Natur ist.[7] Das erworbene Eigentum grenzt die Individuen voneinander ab, jedoch sind alle auf die gleiche Natur als den Stoff ihrer Arbeit angewiesen. Es kommt angesichts dieser Grundsituation für Locke darauf an, dass jedem Individuum das, was es durch seine Arbeit erworben hat, auch in einer rechtlich und klar umgrenzten Weise zugeeignet wird. Der Mensch verdankt bei Locke den Erwerb von Eigentum ausschließlich seinem eigenen Fleiß und seiner eigenen Arbeitskraft, der Zustimmung anderer bedarf es bei der Schaffung von Privateigentum nicht. So wird das Privateigentum bereits im Naturzustand eine recht stabile Rechtsfigur. Lockes Herleitung des Eigentumsrechts aus der Arbeit stellt in der Geschichte der politischen Ideen eine Neuerung dar. Er begründet damit im theoretischen Ansatz die Denk– und Verfahrensweise des Wirtschaftsliberalismus und macht deutlich: Arbeit gewährt und ist letztlich Existenz.[8]

2.3. Grundsatz der Selbsterhaltung

Die Verpflichtung zur Arbeit ergibt sich für Locke aus dem göttlichem Gebot der Selbsterhaltung und dem gleich gearteten natürlichen Trieb, den Locke als ein angeborenes Prinzip des Handelns bezeichnet: „Denn da der Trieb, der starke Trieb, Leben und Dasein zu erhalten, als ein Prinzip des Handelns von Gott selbst eingepflanzt worden war, konnte die Vernunft, die Stimme Gottes in ihm, nichts anderes als ihn (den Menschen) lehren und überzeugen, dass er in Befolgung jener natürlichen Neigung, sein Dasein zu erhalten, den Willen des Schöpfers erfüllte und deshalb ein Recht hatte, sich jener Geschöpfe zu bedienen, die er durch seine Vernunft und Sinne als nützlich für diesen Zweck zu erkennen vermochte. Und deshalb war das Eigentum des Menschen an den Geschöpfen auf seinem Recht begründet, von denjenigen Dingen Gebrauch zu machen, welche für sein Dasein notwendig und nützlich waren.“

Damit besitzt das Recht auf Eigentum den gleichen Rang wie dieses oberste subjektive Recht der Selbsterhaltung und deshalb ist, wie Locke häufig betont, ein Übergriff auf das Eigentum eines anderen mit einem Angriff auf dessen Leben gleichzusetzen. Die Freiheit, unabhängig über sich selbst und sein Eigentum verfügen zu können, ist „so notwendig und eng mit der Erhaltung des Menschen verknüpft, dass er sie nicht aufgeben kann, ohne gleichzeitig seine Erhaltung und sein Leben zu verwirken“. Materielle Voraussetzung der Selbsterhaltung ist das Privateigentum, das Locke folgerichtig im fünften Kapitel des „Second Treatise“ unmittelbar nach seinen Erwägungen über den Zusammenhang von Freiheit und Selbsterhaltung theoretisch herleitet. Im Privateigentum vergegenständlicht sich gewissermaßen die menschliche Freiheit zur Selbsterhaltung und zum Glück. Wer das Privateigentum eines Menschen antastet, greift die Grundvoraussetzung der vernünftigen und damit menschenwürdigen Existenz eines Menschen überhaupt an und kann deshalb von diesem vernichtet werden.

Das Verlangen, mehr zu besitzen, als man braucht, hänge ebenfalls eng mit dem menschlichen Selbsterhaltungstrieb zusammen. Locke erkannte, dass Reichtum Macht bedeutet und die Armen zur Unterwerfung unter die reichen Landeigentümer zwingt. Machtvermehrung dient also der Sicherung der eigenen Existenz. Das politische System Lockes organisiert sich vom Selbsterhaltungsrecht her: Der Staat wird gegründet, um optimale Voraussetzungen für die Selbsterhaltung des einzelnen zu schaffen. Die Gesetze dienen der Selbsterhaltung. Der Erwerb von Privateigentum wird mit dem Selbsterhaltungsprinzip gerechtfertigt. Die Freiheit gilt als unerlässliche Voraussetzung der Selbsterhaltung. Die revolutionäre Umwälzung des Staates ist dann legitimiert, wenn die Staatsgewalt die Selbsterhaltung der Bürger gefährdet.[9]

2.4. Zueignungsgrenzen

Wie sich durch die Selbsterhaltung der Eigentumserwerb legitimiert, sind mit dem Umfang der individuellen Bedürfnisse auch die natürlichen Eigentumsgrenzen verbunden. Die erste Grenze für die Verfügungsmacht des Menschen sieht Locke in der Verderblichkeit der Dinge: Jedes Individuum darf nur soviel Eigentum anhäufen, wie es verbrauchen kann. Was verdirbt, darf nicht zum Eigentum genommen werden. Diese Aneignungsschranke gilt analog auch für den Erwerb von Grundeigentum. Das entspricht den traditionellen Auffassungen über das Eigentum ebenso wie die Einschränkung, bei der Aneignung darauf zu achten, dass den Mitmenschen von dem betreffenden Gut noch genügend von gleicher Qualität bleibt. Indirekt wird eine dritte Zueignungsgrenze gezogen, die der persönlichen Arbeit. Diese hebt sich jedoch durch die Legitimation der Lohnarbeit auf (vgl. 2.2.). Andernfalls hätte Locke den „Torf, den mein Knecht gestochen hat“, nicht als eines der ersten Beispiele für persönliche Arbeit genannt. Da der Herr die Arbeit seines Knechts erworben hat, gehen die von diesem erzeugten Produkte in sein Eigentum über.[10]

2.5. Neue Perspektiven durch die Geldeinführung

Die Aneignungsschranken werden Locke zufolge vom Menschen durch die Einführung des Geldes aufgehoben. Die Übereinkunft der Menschen zur Einführung des Geldes soll bereits im Naturzustand erfolgt sein. Das Geld dient nun als legitimes Mittel zur Anzeige von Privatbesitz und Eigentum. Das als Geld aufbewahrte Eigentum verdirbt nicht, da es nicht von natürlicher, sondern künstlicher Beschaffenheit ist und einer menschlichen Festlegung entstammt. Da es nicht verdirbt, ist es unbeschränkt erwerbbar – die Natur zieht keine Grenze mehr. So ergab sich die Voraussetzung für eine erweiterte Tauschwirtschaft und Vergrößerung des Landeigentums. Der Mensch überschritt ja die Grenzen rechtmäßigen Eigentums nicht durch Besitzvergrößerung, sondern dann, wenn etwas ungenutzt umkam. Es war ein Weg gefunden, wie der Mensch auf rechtmäßige Weise mehr Land besitzen konnte, als er selbst zu nutzen vermochte, wenn er nämlich als Gegenwert für den Überschuss Gold und Silber erhielt. Metalle, die man horten konnte, ohne jemanden zu schädigen, weil sie in der Hand des Besitzers weder verdarben noch zerfielen.[11]

Die Einführung des Geldes führte auch zu ungleichem Landbesitz, womit sich die Gesellschaft indirekt ebenfalls einverstanden erklärt hatte. Erst durch das Geld wurde die Akkumulation von Gütern möglich, wobei die individuellen Unterschiede an Fleiß und Können ihre gesellschaftliche Wirkung entfalteten. Menschlicher Fleiß konnte sich nun unbegrenzt in unverderblichen Gütern verkörpern, wo immer der Geldverkehr eingeführt wurde, gab es kein herrenloses Land mehr. Der charakteristische Zweck des Geldes ist es, als Kapital zu fungieren. Der Boden selbst ist für Locke nur eine Form des Kapitals. Zweck von Landwirtschaft, Industrie und Handel lag für ihn in der Kapitalakkumulation. Zweck des Kapitals war es, durch nutzbringende Investition neues Kapital zu erzeugen. Als Merkantilist hatte Locke, wenn er den Zweck wirtschaftlicher Tätigkeit erörterte, gewöhnlich weniger den Reichtum des Individuums als den der Nation vor Augen. Der „Wunsch, mehr zu haben als der Mensch braucht“ wird von Locke nicht als Bedürfnis nach geizigem Horten oder Luxus verstanden, sondern als das Verlangen, Boden und Geld als Kapital zu akkumulieren. Akkumulation von Gold ist ein natürliches Ziel merkantilistischer Politik, weil sie Handel und Gewerbe schneller wachsen lässt. Und sobald diese uneingeschränkte Akkumulation vernünftig wird, ist ein wirklich vernünftiges Verhalten nur jenen möglich, die derart zu akkumulieren vermögen. Locke ging offenbar vom Standpunkt aus, dass Akkumulation in moralischer wie pragmatischer Hinsicht per se vernünftig sei. Einzig das Fehlen von Geld und Märkten hinderte den Menschen im ursprünglichen Zustand des Menschen daran, „vernünftig zu sein“.[12]

2.6. Eigentum und Gesellschaftsgründung

Alle im Naturzustand erworbenen individuellen Rechte sind in Lockes Sicht grundlegend für die Bestimmung und den Wert des menschlichen Lebens. Sie sind jedoch wegen des Fehlens einer Ordnungsmacht ungesichert und bedürfen daher der Sicherung, Stärkung und besseren Verwirklichung. Diese Erkenntnis bringt die Individuen dazu, ein politisches Gemeinwesen, also eine bürgerliche Gesellschaft, zu begründen und all ihre individuelle Macht der Mehrheit zu überantworten. Dieses Gemeinwesen hat die individuellen Rechte und insgesamt das Leben, die Freiheit und das Eigentum der Individuen zu schützen und zu gewährleisten. Vertragsschluss und die daraus resultierende Staatsgründung garantieren nach Locke die verbesserte Fortsetzung positiv interpretierter Entwicklungen, die im Naturzustand schon angelegt sind. Der Naturzustand prägt verbindlich vor, was im staatlichen Zustand zu geschehen hat: die geordnete dauerhafte Sicherung der naturgegebenen Rechte der Individuen. Sinn und Zweck der Ordnungsmacht wird somit gleichsam „von unten her“ bestimmt: Eigentum und im engeren Sinn die Selbsterhaltung der Menschen sowie das Bedürfnis, beides zu regulieren und bewahren, ist für Locke Anlass zur Bildung einer Gesellschaft und das Verlassen des Naturzustands.[13]

[...]


[1] Vgl. Hahn, Johannes: Der Begriff des property bei John Locke. Frankfurt am Main 1984, S. 108.

[2] Locke, John: Über die Regierung (Im Folgenden: Über die Regierung). Stuttgart 1974, Fünftes Buch, § 35.

[3] Vgl. Euchner, Walter: Naturrecht und Politik bei John Locke. Frankfurt am Main 1979, S. 57-63.

[4] Vgl. Hahn 1984, a. a. O., S. 63.

[5] Vgl. Macpherson, C. B.: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Frankfurt am Main 1967, S. 242-44.

[6] Vgl. Über die Regierung, a. a. O., § 37.

[7] Vgl. Euchner 1979, a. a. O., S. 61.

[8] Vgl. Schwan, Alexander: Politische Theorien des Rationalismus und der Aufklärung. In: Lieber, Hans-Joachim (Hg.):

Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn 1991, S. 195 ff.

[9] Vgl. Euchner 1979, a. a. O., S. 80-82.

[10] Vgl. ebd.

[11] Vgl. Schwan 1991, a. a. O., S. 195 ff.

[12] Vgl. ebd.

[13] Vgl. Hahn 1984, a. a. O., S. 109

Excerpt out of 25 pages

Details

Title
Der Begriff des Eigentums bei John Locke und Jean-Jaques Rosseau
College
Catholic University Eichstätt-Ingolstadt
Course
Proseminar
Grade
1,0
Author
Year
2003
Pages
25
Catalog Number
V55282
ISBN (eBook)
9783638502801
ISBN (Book)
9783656800682
File size
499 KB
Language
German
Keywords
Begriff, Eigentums, John, Locke, Jean-Jaques, Rosseau, Proseminar
Quote paper
Stefan Fößel (Author), 2003, Der Begriff des Eigentums bei John Locke und Jean-Jaques Rosseau, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/55282

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