Verwaltungs- und Organisationskultur - ein alternativer Steuerungsansatz?


Seminar Paper, 2005

27 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II.1 Organisationskultur – Definitionen und Konzepte 1
II.1 Definition 1
II.2 Das Organisationskulturkonzept in der Organisationstheorie
II.3 Das 3-Ebenen Modell nach Schein

III. Organisationskultur vs. Verwaltungskultur

IV. Verwaltungskultur in Deutschland
IV.1 Artefakte der deutschen Verwaltung – Strukturen und Prozesse
IV.2 Werte und Normen der deutschen Verwaltungskultur

V. Das Neue Steuerungsmodell (NSM) und Verwaltungskultur

VI. Das Neue Steuerungsmodell und Verwaltungskultur in der Empirie
VI.1 Die experimentelle Projektorganisation der Reformverwaltung und
ihr Einfluss auf die Verwaltungskultur
VI.2 Reorganisation des Projekts und Ergebnisse

VII. Schlussbetrachtung: Organisationskultur ein alternativer Steuerungsansatz?

VIII. Anhang

Abb. 1: Ebenen der Kultur

Abb. 2: Vergleich von Bürokratiemodell und Neuem Steuerungsmodell

Abb. 3: Unterschiede der Organisationskultur

Abb. 4: Pilotprojekt in einer schweizerischen kantonalen Verwaltung

Abb. 5: Die hierarchisch verordnete neue Projektstruktur

IX. Literaturverzeichnis

I.)Einleitung

Seit Anfang der 80er Jahre wird auf internationaler Ebene das Thema der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung unter dem Paradigma des New Public Management (NPM), beziehungsweise des Neuen Steuerungsmodells (NSM) wissenschaftliche diskutiert. Jedoch bei der praktischen Umsetzung wurde häufig festgestellt, dass diese Neuorientierung nicht reibungslos verläuft. In einigen Ländern, wie beispielsweise in Deutschland, wird die Verwaltung sogar als besonders veränderungsresistent empfunden. Als eine mögliche Grundlage wurde daher das Konzept der Organisations- und Verwaltungskultur herangezogen, um sowohl die Widerstände gegen die Modernisierung zu erklären als auch um neue Möglichkeiten für einen Wandel in der Verwaltung zu gestalten. Ziel dieser Arbeit ist es daher das Konzept der Organisation- und Verwaltungskultur zu erläutern und ihre Bedeutung für die Veränderungsfähigkeit der Verwaltung in Deutschland aufzuzeigen. Dazu wird zunächst der Begriff Organisationskultur definiert und verdeutlicht um ihn anschließend auf die öffentliche Verwaltung anwenden zu können. Anschließend soll durch einen Vergleich zwischen der Verwaltungskultur nach dem alten Steuerungsmodell und den geforderten Prinzipien des neuen Modells verdeutlicht werden, inwiefern die Verwaltungskultur einen Modernisierungsprozess beeinflussen kann. Mit einer empirischen Einzelfallstudie soll abschließend gezeigt werden, wie eine mögliche kulturfreundliche Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells aussehen kann.

II.) Organisationskultur – Definitionen und Konzepte

II.1.) Definition

Das Konzept der Organisationskultur vermittelt eine neue Sichtweise von Organisation und lässt sich auf den Beginn der 80er Jahre zurückdatieren. Dabei werden Organisationen als komplexe soziale Phänomene verstanden, in denen die Organisationsmitglieder Ideen, Vorstellungen und Werte gemeinsam verfolgen, ohne sich dieses für gewöhnlich bewusst zu machen. Organisationskulturen umfassen dabei sowohl Orientierungsmuster und Programme, als auch sichtbare Vermittlungsmechanismen und Ausdrucksformen[1]. Somit werden sie zu einer wichtigen Einflussgröße für die Organisation und bestimmen ihre Fähigkeit zur Änderbarkeit und Änderungen mit.

Eine konkretere Definition des Begriffs Organisationskultur liefert Nagel (2001) in Anlehnung an Ulrich, welcher die Organisationskultur sozialer Systeme als die Gesamtheit der in der Organisation „bewusst oder unbewusst kultivierten, symbolischen oder sprachlichen tradierten Wissensvorräte und Hintergrundüberzeugungen, Denkmuster und Weltinterpretationen, Wertvorstellungen und Verhaltensnormen“ versteht. Zum Ausdruck kommt diese kognitive Ordnung im Sprechen, Denken und Handeln der Organisationsmitglieder und liefert so eine Selbstverständlichkeit einer „bewährten Praxis“. Im Folgenden soll daher diese Definition hinter dem Begriff Organisationskultur stehen.

II.2.) Das Organisationskulturkonzept in der Organisationstheorie

Die Literatur zur Organisationstheorie kann über das Verständnis von Organisationskultur im wesentlichen in zwei Strömungen unterteilt werden. Auf der einen Seite gehen Vertreter der objektivistischen funktionalistischen Sichtweise davon aus, dass „die Organisation eine Kultur HAT“, während die individualistische sozialkonstruktivistische Organisationskulturforschung die Position vertritt, dass „die Organisation eine Kultur IST“.[2]

Vertreter der objektivistischen Position verstehen die Kultur einer Organisation als Variable. Bei der Herstellung ihrer Produkte produziere die Organisation als Nebeneffekt auch das Produkt Kultur. Führungskräften komme somit neben der strategischen Steuerung auch die Aufgabe zu, organisationsspezifische kulturelle Symbolik manifestiert in Artefakten wie Riten, Legenden, Ritualen und Zeremonien bewusst zu beherrschen und zu steuern[3]. Organisationskultur ist in dieser Vorstellung funktional und erfüllt einen bestimmten Systemzweck. Ist sie nicht mehr funktional, muss sie wieder auf den Systemzweck ausgerichtet werden.[4]

Aus der individualistischen, beziehungsweise sozialkonstruktivistischen Sichtweise gesehen, wird Organisationskultur als Metapher verstanden. Vertreter dieser Position verstehen die gesamte Organisation als Ergebnis einer gemeinsam konstruierten Wirklichkeit. Gegenstand des Forschungsinteresses sind nicht nur die oberflächlichen Erscheinungsweisen organisationaler Kulturen, sondern auch deren nicht direkt erfassbare Bedeutungs- und Sinngehalte sowie die unterschiedlichen Interpretationsvorgänge durch die einzelnen Organisationsmitglieder. Es stehen nicht mehr Strukturen und Ablaufinteresse im Vordergrund, sondern diejenigen Faktoren, die sie bedingen[5]. So werden Organisationen als Beziehungsgeflecht symbolischer Kommunikations- und Interaktionsprozesse interpretiert. Somit kann Organisationskultur nicht funktional ausgerichtet werden, sondern sie entzieht sich „jedem gezielten Herstellungsprozess“ (Steinmann/Schreyögg 1993). Veränderungen von Organisationen werden nicht als instrumentelle oder strukturelle Überführungen von einem stabilen Zustand in einen anderen verstanden, sondern als ein kontinuierlicher kollektiver kultureller Lernprozess, der in das Wertesystem der Organisationsmitglieder eindringt[6].

II.3) Das 3-Ebenen Modell nach Schein

Das 3-Ebenen Modell nach Schein ermöglicht eine Differenzierung der Organisationskultur nach ihrem Grad der Sichtbarkeit, Bewusstheit und Zugänglichkeit. Auf diese Weise lässt sich nach Schein die Kultur jeder Organisation auf der Basis der drei Ebenen – die Ebene ihrer Artefakte, ihrer Werte und ihrer Grundprämissen – studieren (siehe Abb.1). Gleichzeitig scheint dieses Konzept die beiden sehr unterschiedlichen Grundpositionen über das Phänomen Organisationskultur, wie oben dargestellt, vertikal zu vereinen.

Die erste Ebene bilden in diesem Modell die Artefakte. Sie befinden sich an der Oberfläche jeder Organisation und sind mit menschlichen Sinnen zwar leicht zu erfassen, jedoch nicht leicht zu entschlüsseln. Dazu gehören Symbolsysteme wie die Sprache oder sichtbare Strukturen und Prozesse in einer Organisation. Als Beispiel führt Schein die Pyramiden an. Diese wurden sowohl von den Mayas als auch von den Ägyptern gebaut, haben jedoch in beiden Kulturen unterschiedliche Bedeutungen. Die Kunstwerke lassen sich zwar beschreiben, jedoch der noch nicht ihr tieferer Sinn.

Die Zweite Ebene besteht aus den bekundeten Werten. Sie sind dem einzelnen Mitglied mehr oder weniger bewusst. Sie sind eine Ansammlung von Lösungsannahmen zu einem Problem, die sich in der Organisation bewährt haben und von den Mitgliedern im Kollektiv akzeptiert werden. Diese kommen entweder explizit in Organisationsleitsätzen oder implizit im Verhalten Einzelner oder Gruppenverhalten zum Ausdruck.

Bei Grundprämissen hingegen handelt es sich um vorausgesetzte und nicht direkt zugängliche Vorannahmen über die Wirklichkeit[7]. Zu diesem sogenannten Kulturkern zählen Prämissen über das Weltbild, den Menschen und zwischenmenschliche Beziehungen[8]. Sie gelten dabei als grundlegend für das Begreifen und Verstehen der oberen beiden Ebenen, da der Kulturkern Wertvorstellungen und Artefakte begründet und damit das Gesamtverhalten der Organisationsmitglieder.

Zusammenfassend zeigt das Konzept nach Schein, dass beobachtete Verhaltensweisen, Normen oder Unternehmensphilosophien zwar Ausdruck von Organisationskultur sein können, jedoch ihr wesentlicher Gehalt im Kulturkern, also in den Grundprämissen liegt[9]. Artefakte und Symbole sind somit kulturelle Elemente, die eine Organisation hat; bedingt werden diese dagegen durch Grundannahmen und Werte, die Teil der Organisation sind und gleichzeitig kaum messbar gemacht werden können[10]. Die Kultur einer Organisation ist weder vollständig im Bewusstsein der Organisationsmitglieder verankert, noch durch sinnliche Wahrnehmung umfassend erfahrbar. Nur wenn der Kulturkern möglichst vollständig verstanden wird, können auch Änderungsstrategien erfolgsversprechend ausgerichtet werden[11].

Wenn eine bestimmte Organisationskultur untersucht wird, dann findet dies hauptsächlich durch das statt, was beobachtbar ist. Somit wird hauptsächlich die funktionalistische Sichtweise von Organisationskultur erfasst. Der Kulturkern mit seinen Normen und Werten jedoch kann nur mittelbar erforscht werden. Werden nun neue Instrumente und Methoden in einer Organisation zum Einsatz gebracht, so interessieren aus organisationskultureller Sichtweise nicht ihre Funktion, sondern ihre Bedeutungen für den Kulturkern. Ihre neue implizite Logik muss mit den vorhandenen Werten und Denkmustern verknüpft werden, damit, analog zum Modell von Schein, die Organisation diese Instrumente erfolgreich umsetzen kann[12].

III.) Organisationskultur vs. Verwaltungskultur

Der Begriff der Verwaltungskultur wird häufig in Anlehnung an dem aus der betriebswirtschaftlichen Organisationsforschung resultierenden Kulturverständnis definiert, je stärker Wettbewerbs- und Effizienzkriterien, wie sie das Neue Steuerungsmodell fordert, im Mittelpunkt stehen. In früheren Arbeiten jedoch, wie beispielsweise von Jann, wurde Verwaltungskultur hauptsächlich in engem Zusammenhang zur politischen Kultur gesehen[13]. Dies resultiert vornehmlich aus zwei Spezifika der öffentlichen Verwaltung, welche die Kultur in dieser Form von Organisation wesentlich prägen: zum einen die Verwobenheit mit dem politischen System und zum anderen, die gegenüber privaten Unternehmen viel deutlich ausgeprägtere administrative Struktur. So können die in einer Verfassung verankerten Grundprinzipien und –werte, die in konkrete Rechtsnormen fließen, das gesamte Verwaltungshandeln beeinflussen[14].

Ein weiteres Charakteristikum von Verwaltungskultur gegenüber Unternehmen liegt darin, dass eine Verwaltung überwiegend keine marktfähigen Güter, sondern kollektive Güter produziert. Daher ergibt sich für die Kultur eine wesentlich andere Leistungsstruktur, da nur teilweise eine Abnahmepflicht durch die Leistungsempfänger erfolgt, wie beispielsweise bei der Schulpflicht. Da der Verwaltungsbetrieb Eigentum des Staates ist, ist er keinem Bestandsrisiko im Sinne privatwirtschaftlicher Betriebe ausgesetzt[15].

Mit seiner Studie „Staatliche Programme und „Verwaltungskultur““[16] hat Jann das Konzept der Verwaltungskultur im wesentlichen geprägt. Darin betrachtet er die Konsequenzen von Verwaltungskultur und wie diese sich auf staatliche Programme auswirkt. Dabei unterscheidet er zwischen drei Verwaltungskulturtypen. Der Verwaltungskulturtyp I umfasst die in einer Gesellschaft existierenden Auffassungen, Meinungen und Einstellungen gegenüber dem exekutiven Bereich. Träger ist dabei die gesamte Bevölkerung. Der Verwaltungskulturtyp II beschreibt die innerhalb einer exekutiven Organisation vorherrschende Meinungen, Einstellungen, Werte und Normen. Als Mischtypus zwischen dem Typ I und II erfasst der Verwaltungskulturtyp III sowohl Muster innerhalb als auch gegenüber der Verwaltung, die sich institutionalisiert haben[17].

Jann weist gleichzeitig darauf hin, dass bei einer reinen deskriptiven Beschreibung von Kultur jedes Konzept sinnvoll ist. Methodologisch entstehen allerdings Probleme, sobald Kultur als unabhängige Variable eingesetzt wird, da dann die Folgen bestimmter Orientierungen das interessierende Moment sind, die wiederum als Kultur bezeichnet werden (Typ III) können. Sobald die abhängige Variable gleichzeitig als ein Element der Kultur definiert werden kann, muss beim Definieren des Konzepts Sorgfalt geboten werden.

Für die deskriptive Fragestellung, warum das NSM auf eine scheinbar veränderungsresistente Verwaltung in Deutschland stößt, wird im folgenden der Verwaltungskulturbegriff II relevant sein. Verwaltungskultur wird dabei als spezifische Form von Organisationskultur verstanden, wobei die Träger von Verwaltungskultur die Verwaltungsangehörigen sind.

[...]


[1] Vgl. H. Steinmann / G. Schreyögg 2000

[2] Vgl. H. Thole 1993, S. 13

[3] Vgl. H. Thole 1993, S. 14

[4] Vgl. E. Nagel 2001, S. 24

[5] Vgl. H. Thole 1993, S. 16

[6] Vgl. Nagel (2001), S. 25

[7] Vgl. Nagel (2001), S. 25

[8] Vgl. Faust (2003), S. 69

[9] Vgl. Dülfer (1991), S. 15

[10] Vgl. Schedler, Proeller (2003), S. 257

[11] Vgl. T. Faust (2003), S. 70

[12] Vgl. Nagel (2001), S. 25

[13] Vgl. Faust (2003), S. 90

[14] Vgl. Faust (2003), S. 91

[15] Vgl. Thole (1993), S. 175

[16] Jann (1983)

[17] Vgl. Thole (1993), S. 159

Excerpt out of 27 pages

Details

Title
Verwaltungs- und Organisationskultur - ein alternativer Steuerungsansatz?
College
University of Constance
Course
Verwaltung(smodernisierung) anders denken
Grade
1,0
Author
Year
2005
Pages
27
Catalog Number
V56678
ISBN (eBook)
9783638513050
ISBN (Book)
9783656780731
File size
591 KB
Language
German
Keywords
Verwaltungs-, Organisationskultur, Steuerungsansatz, Verwaltung(smodernisierung)
Quote paper
Carolin Kinder (Author), 2005, Verwaltungs- und Organisationskultur - ein alternativer Steuerungsansatz?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56678

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