Männer in Kitas. Eine kritische Auseinandersetzung mit den politischen Strategien


Thèse de Bachelor, 2011

52 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichte der Kita
2.1Strukturwandel der Familie
2.2 Entdeckung der Kindheit
2.3 Erste Konzepte der Kleinkinderziehung
2.4 Entstehung des Berufes „ErzieherIn“

3 Gründe für den geringen Männeranteil

4 Warum mehr Männer in Kitas?
4.1 Gründe des BMFSFJ
4.2 Andere Gründe für die Erhöhung des Männeranteils

5 Strategien zur Steigerung des Anteils männlicher Fachkräfte
5.1 Warum werden gerade jetzt Strategien erarbeitet?
5.2 Strategien des BMFSFJ
5.2.1 ESF-Modellprogramm
5.2.2 Koordinationsstelle „Männer in Kitas“
5.2.3 Stendaler Modellprojekt
5.3 Alternative Strategien aus kindheitswissenschaftlicher Sicht
5.3.1 Befragung von Kindern zum Thema „Männer in Kitas“
5.3.2 Gender im Bildungsprogramm Sachsen-Anhalt
5.3.3 Geschlechterbewusste Pädagogik in Kitas
5.3.4 Eigeninitiative der Kitas

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

BMFSFJ Akronym von: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Kita Abkürzung von: Kindertagesstätte

Unter dem Begriff „Kita“ bzw. die Langform „Kindertagesstätte“ fallen Einrichtungen frühkindlicher Erziehung, die in anderen Zusammenhängen auch als Kindertageseinrichtungen, Kindergärten, Krippen oder ähnlich bezeichnet werden.

1 Einleitung

Kinder sollten die Möglichkeit haben, in einer Umgebung aufzuwachsen, in der sie sich durch größtmögliche Vielfalt optimal entwickeln können. Diese Vielfalt kann beispielsweise durch den Kontakt zu verschiedenen Personen, durch das Bereitstellen von verschiedenen Spielzeugen und durch unterschiedliche Umgebungen geschaffen werden.

Zum 1. März 2009 wurden bundesweit rund 2,106 Millionen Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren in einer Kindertageseinrichtung betreut. Dies entspricht einer Betreuungsquote von 92 %.1 Das heißt, 92 % aller Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren besuchen eine Kindertageseinrichtung. Allerdings werden sie dort zu 97 % von Frauen betreut.2 Dabei stellt sich die Frage, ob den Kindern durch die fast ausschließliche Abwesenheit von Männern in diesem Bereich womöglich die Chance auf eine vielfältige Entwicklung vorenthalten wird.

Von jeher waren vor allem Frauen für die Erziehung der Kleinsten zuständig. Männer nahmen an der frühkindlichen Erziehung kaum teil, doch seit einigen Jahren beginnt sich dieses Bild zu ändern. „Nicht zuletzt durch die Neuregelung von Elternzeit- und Elterngeld-Regelungen wächst der Anteil von Vätern, die die Erziehung und Betreuung ihrer kleinen Kinder zumindest zeitweise übernehmen.“3 Durch das zunehmende Engagement der Väter für die Erziehung ihrer Kleinsten sind sie auch häufiger in den Kindertageseinrichtungen anzutreffen.

Auch der Paradigmenwechsel in der deutschen Gleichstellungspolitik spielt eine Rolle für das Umdenken. Die Gleichstellungspolitik bemüht sich seit Jahren nicht mehr nur um die Belange der Frauen, sondern auch um die der Männer.4 Es geht also auch darum, Männern mehr Handlungsmöglichkeiten einzuräumen und ihnen beispielsweise das Berufsfeld des Erziehers zu öffnen.

Sowohl die Mehrheit der ErzieherInnen, Kita-LeiterInnen und Trägerverantwortlichen, als auch die der Eltern ist für eine Erhöhung des Männeranteils in Kitas.5

Aufgrund dieser Tatsachen setzt sich die Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) seit Anfang 2010 dafür ein, mehr Männer für Kindertageseinrichtungen zu werben.

Doch warum fällt diese Aufgabe so schwer?

Gründe für den geringen Männeranteil in Kitas sind die geschichtlichen Entwicklungen des Berufs „ErzieherIn“ und die traditionelle Geschlechterordnung, die zu stereotypen Geschlechterbildern und einer entsprechenden Arbeitsteilung führte. Diese Geschlechterordnung hatte eine geringe soziale Anerkennung sogenannter „Frauenberufe“ und in der Regel eine schlechtere Entlohnung als sogenannter „Männerberufe“ zur Folge.

Frühkindliche Erziehung wies man Frauen zu, da allgemein davon ausgegangen wurde, dass Frauen, aufgrund ihrer „natürlichen Eigenschaften“, besonders gut für die Pflege und Erziehung von Kindern geeignet seien.6

Doch warum sind Männer in Kitas so wichtig?

Zum einen sollten die Kindergärten die Gesellschaft wiederspiegeln.7 Damit sollte sich auch die Vielfalt der Kinder in der Vielfalt des pädagogischen Personals wiederspiegeln. Dabei ist das Geschlecht allerdings nur eines von vielen Aspekten. Zum anderen ist im Sinne der Gleichberechtigung eine Gleichverteilung der Geschlechter in allen Bereichen wünschenswert. Dazu zählt auch eine Erweiterung des Berufsspektrums und der Handlungsspielräume von Männern.

Außerdem können männliche Erzieher eine Bereicherung für Kinder sein, weil sie andere Ideen, Angebote, Tätigkeiten usw. einbringen und einen familiären Mangel an männlichen Bezugspersonen abfedern können.8

Allerdings sind diese Argumente immer auch kritisch zu hinterfragen und mit Vorsicht zu betrachten, weil eine Zunahme des Männeranteils in Kitas beispielsweise zu einer Verstärkung der Geschlechterrollenklischees führen könnte.

Im Folgenden werden, ausgehend von der geschichtlichen Entwicklung der Kindertageseinrichtungen in Deutschland, Gründe für den geringen Männeranteil in Kitas dargelegt. Des Weiteren wird aufgeführt, warum und wie Männer eine Bereicherung für den Kita-Alltag und für die Kinder sein könnten. In diesem Zusammenhang werden die Aufgaben der Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ und des ESF-Modellprogramms „MEHR Männer in Kitas“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) skizziert und kritisch hinterfragt.

Abschließend werden alternative Handlungsstrategien für den Einsatz männlicher Fachkräfte in Kindertagesstätten aus kindheitswissenschaftlicher Sicht erläutert.

2 Geschichte der Kita

Um einen Einblick in die Entstehung des Kindergartens in Deutschland vor fast 200 Jahren zu bekommen, lohnt sich eine Rückschau in die Geschichte.

Im Folgenden wird die geschichtliche Entwicklung der Kindertagesstätte und des Berufs ErzieherIn, ausgehend von der im 18. Jahrhundert einsetzenden Frühindustrialisierung und den damit einhergehenden Krisen, beschrieben. Über erste Auseinandersetzungen des Bürgertums mit den Schriften zum Thema Kindererziehung und der Entwicklung erster Konzepte zur außerfamiliären Kleinkinderziehung entstand schließlich die Kindertagesstätte, wie wir sie heute kennen.

2.1 Strukturwandel der Familie

Der ökonomische Umstrukturierungsprozess von der selbstversorgenden Autarkiewirtschaft9 zur Marktwirtschaft verlief in Deutschland auf eine äußerst krisenhafte Weise. Weil sich die Agrarkrise alten Typs (z.B. schlechte Kartoffelernte) und die neue konjunkturelle Krise (Absatzkrise der Frühindustrialisierung) wechselseitig in ihrer Wirkung verstärkten, kam es in den Jahren zwischen 1770 und 1850 zu großer Not und Armut für die Masse der Bevölkerung.10

Der Druck der Frühindustrialisierung und die oben beschriebene ökonomische Krise führten zur Auflösung des engen sozialen Zusammenhangs in „großen Haushaltsfamilien“, in denen Großeltern, Eltern und Kinder, sowie unverheiratet gebliebene Verwandte mit dem Gesinde unter einem Dach zusammenlebten. Die alten feudalen Abhängigkeitsverhältnisse wurden im Zuge der Bauernbefreiung, der Auflösung der Zünfte und der Einführung der Gewerbefreiheit entschlossen beseitigt – damit auch der großfamiliale Sozialverband der Vormoderne. Es entstand die „Kern“- oder „Kleinfamilie“ und damit einhergehend stieg die Anzahl selbstständiger familialer Einheiten. Nun durfte auch das Gesinde heiraten, es musste nicht mehr, wie zuvor, mindestens ein Familienmitglied über eine bäuerliche Vollerwerbsstelle verfügen. Das führte dazu, dass sich die preußische Bevölkerung zwischen den Jahren 1748 und 1816 verdreifachte. Die Folgen waren einerseits mehr Arbeitskräfte in den Familien, aber andererseits ein erhöhtes Verarmungsrisiko, denn die kleinen Kinder belasteten die Familien, ohne selbst etwas zu ihrem Unterhalt beitragen zu können.11

„Die schlimme Armut der Jahrzehnte vor und nach 1800 zwingt alle Angehörigen einer inzwischen auf den Kern der mit ihren Kindern zusammenlebenden Eltern geschrumpften Proletarierfamilie zur unausgesetzten Arbeit.“12

Während in der frühindustriellen Phase noch kein Beaufsichtigungsproblem für Kinder herrschte, die noch nicht im Produktionsprozess eingespannt waren, änderte sich das beim Fabrikproletariat.

Der Lebensraum der Familie war nicht mehr gleichzeitig Arbeitsstätte und beide Elternteile mussten erwerbstätig sein. Deshalb mussten die Kinder während der Arbeit der Eltern in den Wohnungen unbeaufsichtigt zurückgelassen werden. Folge waren im ersten Drittel des Jahrhunderts mehrere zu Hause verunglückte Kinder.13

2.2 Entdeckung der Kindheit

Während die ländlichen Unterschichten und das Industrieproletariat das Kind als unvollständigen Erwachsenen sahen, das möglichst schnell groß werden sollte, um mitarbeiten zu können, beschäftigte sich das Bürgertum bereits mit Schriften über die Erziehung des Kindes.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden die bürgerlichen Frauen von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe als Mütter und Erzieherinnen ihrer Kinder belehrt und das Gefühl der „Mutterliebe“ in ihnen geweckt.14

Charakteristisch für die bürgerliche Familienideologie ist, dass Mann und Frau von Natur aus über unterschiedliche Gaben und Anlagen verfügen: Der männlichen kühlen Vernunft korrespondierten die weiblichen Eigenschaften der Emotionalität, Empathie und Fürsorglichkeit, und daraus ergaben sich die unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche von Mann und Frau.15

Der Frau kam die Rolle der Ehefrau und Mutter zu, die sich um Haushalt und Kindererziehung kümmerte, während der Mann die Rolle des Ernährers übernahm.16

„Auch das Recht unterstützte diese Entwicklung, indem zum Beispiel das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 bestimmte, Pflege und Erziehung der Kinder bis zum vierten Geburtstag solle vorrangig Pflicht und Aufgabe der Mutter sein.“17

2.3 Erste Konzepte der Kleinkinderziehung

Praktische Erziehungsratschläge bekam das Bürgertum von einigen Vordenkern, wie Johann Amos Comenius (1592-1670), John Locke (1632-1704), Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), Joachim Heinrich Campe (1746-1818), Wolke (1741-1826), Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827), Friedrich Fröbel (1782-1852) und Johann Friedrich Herbart (1776-1841).18

In den Entwürfen zur frühkindlichen Erziehung von Locke bis Herbart wurde vor allem die Familienerziehung hoch geschätzt. Aber auch die außerfamiliale Kleinkinderziehung, wenn auch nur als Notlösung, kam in den Entwürfen einer frühkindlichen Erziehung vor. Dazu schrieb Comenius in seiner Schrift „Pampaedia“ (1657): „Wir müssen doch sicher eingestehen, dass es am natürlichsten ist, wenn die Eltern die ersten Lehrer ihrer Kinder sind. […] Weil sich aber nicht alle Eltern ihrer Beschäftigung wegen der Lenkung ihrer Kinder in ausreichendem Maße widmen können, selbst wenn sie es wollen, ziehen sie mit Recht Erzieher und Wärter als Helfer in der Kinderführung gegen Entgelt hinzu.“19

Ausführlicher beschrieb es Pestalozzi in seinem großen Erziehungsroman „Lienhard und Gertrud“, in dem sein „Held“, der Sozialreformer Glüphi, davon träumt, „wie leicht es in kurzer Zeit möglich werden müsse […] ein Kinderhaus zu eröffnen, wohin arme Mütter, die die Notdurft des Lebens von der Seite ihrer Kinder wegreißt, dass sie den Tag über ihren Geschäften nachgehen, ins Feld hinaus und an den Tagelohn müssen, ihre noch nicht schulpflichtigen Kinder bringen und wo sie den Tag über besorgen lassen können“20.

Philanthrop Wolke ging mit seinem 1805 geäußerten Vorschlag, nicht nur die unbeaufsichtigten Kinder der Armen, sondern alle kleinen Kinder eines Ortes in einer „Bewahr- und Vorbereitungsanstalt“ zusammenzuführen, noch einen Schritt weiter.

Jean Paul trat ebenfalls dafür ein, dass alle Kinder in die „Spielschule“ gehen sollten, bevor sie in die „Lehrschule“ kämen.21

„Jean Paul, der auch als erster (und lange vor Fröbel) den Begriff ‚Kindergarten‘ verwendet haben soll, hat mit seinen Ansichten einen großen Einfluss auf den in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im evangelischen Deutschland hoch bedeutenden Schöpfer der christlichen Kleinkindschule Theodor Fliedner ausgeübt.“22

Dieser (Fliedner) richtete in der Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts eine Ausbildung zur „Kleinkinderlehrerin“ ein. Eine weitere Ausbildungskonzeption entwickelte der Pädagoge Friedrich Fröbel einige Jahre später mit dem Beruf der „Kindergärtnerin“. Fröbel war zudem bereits 1889 der Meinung, dass Männer von der Kindererziehung nicht auszuschließen sind, denn „Die Erziehung zur Bildung des Menschen soll nicht nur dem weiblichen Geschlecht übertragen werden, sondern das mehr von außen lehrende männliche Geschlecht gehört nach dem Gesetz des Gegensatzes nicht minder dazu (…)“.23

2.4 Entstehung des Berufes „ErzieherIn“

Erst mit diesem oben genannten besonderen pädagogischen Bewusstsein von der frühen Kindheit und den entsprechenden erziehungstheoretischen Vorarbeiten ist die pädagogische Ausgestaltung der außerfamilialen Kleinkinderziehung möglich geworden.24

Somit entstand nach der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Ausbildungsstätten für den Vorschulbereich in Deutschland. Es entwickelte sich das Leitbild für eine Kindergärtnerin als verständnisvolle, treusorgende, musisch begabte und gefühlsmäßig handelnde „Ersatzmutter“.

Erst mit der Verbreitung der Heimerziehungsschulen (ab 1925) konnten auch Männer einen Erzieherberuf erlernen.

Ende der 1960er Jahre entstand der neue soziale Beruf „ErzieherIn“, der die Beruf „HeimerzieherIn“ und „KindergärtnerIn und HortnerIn“ vereinigt.25

Da der Zugang zur Erziehung als Beruf und zu anderen sozialen Berufen lange Zeit fast ausschließlich Frauen gestattet war, bekamen bürgerliche Frauen die Möglichkeit, unabhängig vom Mann, einer Tätigkeit nachzugehen, die nicht dem Ideal der traditionellen Zweigeschlechtlichkeit mit der häuslichen und fürsorgenden Frau widersprach.26

„Diese Tatsache, verbunden mit dem Bild, dass die dafür notwendigen beruflichen Fertigkeiten weniger erlerntes Wissen, denn eher ‚natürlicher‘ Eigenschaften bedürfen, ist sicherlich eine der historischen Grundlagen für die Situation von Männern im Erzieherberuf, wie wir sie heute vorfinden.“27

3 Gründe für den geringen Männeranteil

Die Gründe für den geringen Anteil männlicher Fachkräfte in Kitas sind offensichtlich klar. Aufgrund der geschichtlichen Entwicklung des Berufes ErzieherIn wird heutzutage immer noch von einem typischen Frauenberuf gesprochen. Die traditionelle Geschlechterordnung führte zu stereotypen Geschlechterbildern und zu einer entsprechenden Arbeitsteilung. Diese Geschlechterordnung hatte eine geringe soziale Anerkennung sogenannter Frauenberufe zur Folge. Auch die Entlohnung dieser Frauenberufe war geringer als die der sogenannten Männerberufe.28

Um weitere Gründe für den geringen Männeranteil in Kitas aufzuführen, soll die Studie „Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten“ als Grundlage dienen. Mit Hilfe dieser Studie wurde u.a. nach Gründen für den geringen Männeranteil in Kitas geforscht.

Im Juni 2010 erschien die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Studie „Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten“, in der Eltern, ErzieherInnen, Kita-LeiterInnen und Trägerverantwortliche zum Thema befragt wurden. Die Forschung bestand aus einer qualitativen und aus einer quantitativen Phase. In der qualitativen Forschungsphase wurden vier Gruppen befragt:

- LeiterInnen von Kitas und weitere ExpertInnen aus dem Bereich der frühkindlichen Erziehung und Bildung,
- männliche und weibliche Auszubildende,
- ErzieherInnen im Tätigkeitsfeld der Kita und
- Männer, die die Erzieherausbildung abgebrochen oder das Tätigkeitsfeld Kita verlassen haben.

In den standardisierten Telefonbefragungen wurden drei Gruppen befragt:

- 600 LeiterInnen von Kitas,
- 100 Trägerverantwortliche für Kitas und
- 1.000 Eltern mit Kindern im Alter von null bis sechs Jahren.29

Anhand der Ergebnisse dieser Forschung wurde festgestellt, ob und in welchem Maße männliche Erzieher wünschenswert sind und warum es so wenig gibt. Anlehnend an die Ergebnisse wurden Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils männlicher Erzieher entwickelt.

Zentrale Befunde der Erhebung waren u.a. Barrieren und Hürden, die einer Steigerung des Männeranteils im Wege stehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten30

Wie in der Grafik aufgezeigt scheinen vor allem die schlechten Berufsperspektiven und Aufstiegschancen, aber auch die geringe Entlohnung und gesellschaftliche Anerkennung des Erzieherberufs Gründe für den geringen Männeranteil in Kitas zu sein.31 Hierbei stellt sich die Frage, ob diese Probleme nicht schon bestanden, bevor das Thema „Männer in Kitas“ aktuell wurde. Wird die Arbeit der Erzieherinnen und der wenigen Erzieher nicht schon lange kaum wertgeschätzt und zu gering entlohnt?

Die anspruchsvolle Arbeit mit Kindern in Kindertageseinrichtungen wird seit vielen Jahren fast ausschließlich von Frauen übernommen. Diese machen ihren Job, trotz der geringen gesellschaftlichen Anerkennung und der relativ niedrigen Bezahlung, schon lange Zeit gut. Und nur die Tatsache, dass mehr Männer den Beruf des Erziehers anstreben sollten, führt zur Erkenntnis, dass ErzieherInnen zu wenig Gehalt bekommen?

Männer müssen häufiger für den Familienunterhalt sorgen und damit auch mehr verdienen als Frauen. Aber das kann kein Grund für eine Gehaltserhöhung sein, denn es gibt auch Frauen, die viel verdienen wollen und eine vierzig-Stunden-Anstellung anstreben.

Besonders die Aussage „Frauen fällt es leichter als Männern, mit der geringeren Bezahlung des Erzieherberufs umzugehen, da sie meistens Zuverdienerinnen sind.“ ist inakzeptabel, weil sie Rollenklischees reproduziert und die Arbeit von Frauen abwertet.

Interessant hierbei ist, „dass im Vergleich zu anderen Erhebungsgruppen die männlichen Erzieher und Auszubildenden die Entlohnung als durchaus ausreichend wahrnehmen“32. Ist diese Tatsache ein Hinweis darauf, dass Frauen der Meinung sind, dass Männer mehr verdienen müssten als Frauen? Oder bedeutet es womöglich sogar, dass Frauen meinen, dass männliches Kita-Personal besser bezahlt werden muss als weibliches?

Gründe für eine bessere Bezahlung des Kita-Personals könnten der zu erfüllende Bildungsauftrag und die damit einhergehenden erhöhten Anforderungen an die ErzieherInnen sein, aber nicht das Geschlecht des Personals.

Staatssekretär Josef Hecken hingegen relativierte das Problem des niedrigen ErzieherInnengehalts, indem er darauf hinwies, dass ein KFZ-Mechaniker 39 € im Monat weniger verdiene als ein Erzieher. Gegenüber anderen typischen Männerberufen, wie Fleischer, Bäcker oder Koch, läge das Gehalt sogar deutlich unter dem des Erziehers.33

Allerdings wird hier zum einen kein realistischer Vergleich angestellt, weil Berufe mit ungleichen Ausbildungen34 miteinander verglichen werden, und zum anderen sollen ErzieherInnen für qualifizierte Bildungseinrichtungen ausgebildet und dementsprechend bezahlt werden. Somit ist ein Vergleich mit Fleischern, Mechanikern, Bäckern oder Köchen in jederlei Hinsicht unzulänglich und falsch.

Wenn allerdings die Vergütung des Fachschulberufs ErzieherIn mit anderen Fachschulberufen verglichen wird, würde man feststellen, dass ErzieherInnen beispielsweise gegenüber TechnikerInnen in der Metall- und Elektroindustrie bis zu 900 Euro weniger verdienen.35

Damit steht fest, dass typische Frauenberufe offenbar noch immer systematisch schlechter bezahlt werden als typische Männerberufe.

In diesem Zusammenhang wird in der Studie auf die unentgeltliche Ausbildung, die sich ohne staatliche Finanzierung bzw. ohne finanzielle Unterstützung der Eltern nicht oder nur unter starken Zusatzbelastungen durchführen lässt, hingewiesen.36 Allerdings kann das ebenfalls kein Grund dafür sein, dass weitaus weniger Männer als Frauen diesen Beruf anstreben, denn die Frauen werden auch unentgeltlich zur Erzieherin ausgebildet.

Als weitere Hürde für eine Erhöhung des Männeranteils in Kitas wird in der Studie ebenfalls auf das veraltete, stereotype Berufsbild und die immer noch allgegenwärtige Vorstellung, dass pädagogische Fachkräfte in Kitas mit den Kindern spielen, basteln und die Betreuungsaufgaben der Mütter fortführen, hingewiesen.37 Mit der Unterstützung der Berufsbeschreibung der Bundesagentur für Arbeit erscheint der Erzieherberuf unattraktiv. Da heißt es: „Erzieher/innen betreuen Kinder und Jugendliche und fördern sie in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung. Sie regen die Kinder oder Jugendlichen zum Spiel oder zur kreativen Betätigung an. Beispielsweise basteln, singen und turnen sie mit den Kindern, üben kleine Theaterstücke ein oder organisieren Ausflüge.“38 Spielen, Basteln und Singen hat jedoch wenig mit der Realität der erziehenden Berufe und dem gesetzlichen Bildungsauftrag von Kitas zu tun.

Diese Darlegung verdeutlicht die gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Erwartungen an diesen Beruf. Noch immer wird die Erzieherin als „Kindergartentante“ gesehen, die für die „Bespaßung“ der Kinder zuständig ist.39 Obwohl es, wie im Gesetz zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege des Landes Sachsen-Anhalt (Kinderförderungsgesetz – KiFöG) § 5 beschrieben, um einen zu erfüllenden Bildungsauftrag geht. Es heißt:

㤠5 Aufgaben der Tageseinrichtungen

(1) Tageseinrichtungen erfüllen einen eigenständigen alters- und entwicklungsspezifischen Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsauftrag im Rahmen einer auf die Förderung der Persönlichkeit des Kindes orientierten Gesamtkonzeption. Sie sollen die Gesamtentwicklung des Kindes altersgerecht fördern und durch allgemeine und erzieherische Hilfen und Bildungsangebote die körperliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes anregen, seine Gemeinschaftsfähigkeit fördern und Benachteiligungen ausgleichen. Tageseinrichtungen und Tagespflegestellen sollen die Integration von behinderten Kindern fördern und auf diese Weise zur Verbesserung der Chancengleichheit beitragen. Die Betreuungs- und Förderungsangebote sollen sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren. Tageseinrichtungen ergänzen und unterstützen die Erziehung in der Familie und ermöglichen den Kindern Erfahrungen über den Familienrahmen hinaus.
(2) Sie sollen insbesondere den Erwerb sozialer Kompetenzen, wie Selbständigkeit, Verantwortungsbereitschaft und Gemeinschaftsfähigkeit, Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Menschen, Kulturen und Lebensweisen, sowie die Ausbildung von geistigen und körperlichen Fähigkeiten, insbesondere zum Erwerb von Wissen und Können, einschließlich der Gestaltung von Lernprozessen, fördern. Die Bildungsarbeit der Tageseinrichtungen unterstützt die natürliche Neugier der Kinder, fordert Bildungsprozesse heraus, greift Themen der Kinder auf und erweitert sie. Sie schließt die geeignete Vorbereitung des Übergangs in die Grundschule ein. Zu diesem Zweck sollen insbesondere sprachliche Kompetenzen, elementare Fähigkeiten im Umgang mit Mengen, räumliche Orientierungen, eine altersgerechte Grob- und Feinmotorik sowie die Wahrnehmung mit allen Sinnen und das Denken gefördert werden. Tageseinrichtungen fördern die emotionale und musische Entwicklung der Kinder. Der Übergang zur Schule soll durch eine an dem Entwicklungsstand der Kinder orientierte Zusammenarbeit mit der Schule erleichtert werden. […]“40

Anhand dieser Ausführungen wird klar, dass ein(e) ErzieherIn wesentlich mehr zu leisten hat, als Kinder zu „bespaßen“.

Auch die immer noch vorhandenen latenten Bedenken gegenüber männlichen Erziehern in der frühkindlichen Pädagogik41 und eine als dominant wahrgenommene „weibliche Kultur“, die von männlichen Erziehern und Auszubildenden „Deplatzierungseffekte“ auslösen kann42, werden in der Studie als Barrieren für die Steigerung des Männeranteils in Kitas genannt. Außerdem werden auch aufgeschlossene, flexible Männer, die sich für diesen Berufsweg entscheiden, häufig Probleme haben, ihrer Umwelt zu vermitteln, dass sie nun mit kleinen Kindern arbeiten wollen. Das heißt, dass die Reaktion der Umwelt nicht zu vernachlässigen ist.

[...]


1 Statistisches Bundesamt (2009), S. 4

2 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 15

3 Rohrmann (2010), S. 1

4 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 11

5 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 33 ff.

6 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 9 f.

7 vgl. Friis (2006), S.13

8 vgl. Cremers, Krabel (2010)

9 Autarkie: wirtschaftliche Unabhängigkeit

10 vgl. Konrad (2004), S. 11

11 vgl. Konrad (2004), S. 13 f.

12 Konrad (2004), S. 24

13 vgl. Konrad (2004), S. 24 f.

14 vgl. Konrad (2004), S. 17

15 vgl. Hausen (1978)

16 vgl. Konrad (2004), S. 15

17 Konrad (2004), S. 17

18 vgl. Konrad (2004), S. 18 - 23

19 Comenius (1960), S. 245

20 zit. nach Konrad (2004), S. 23

21 vgl. Konrad (2004), S. 23

22 Konrad (2004), S. 23

23 zit. nach Rabe-Kleberg (2003), S. 44

24 vgl. Konrad (2004), S. 24

25 vgl. Balluseck (2009) und Amthor (2003)

26 vgl. Krebs, Neubauer (2010), S. 23

27 Krebs, Neubauer (2010), S. 23 f.

28 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 9 f.

29 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 34 f.

30 Cremers, Krabel (2010), S. 69

31 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 67 ff.

32 Cremers, Krabel (2010), S. 72

33 vgl. Rödde (2010)

34 Erzieher: schulische Ausbildung in Berufsfachschulen/ Weiterbildung an Fachschulen; KFZ-MechanikerIn, Koch/Köchin, FleischerIn: duale Berufsausbildungusbildung in Betrieb und Berufsschule (Berufnet)

35 vgl. Rödde (2010)

36 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 68

37 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 42 und S. 70 ff.

38 Berufnet (2010)

39 vgl. Rohrmann (2006), S. 6

40 KiFöG (2003): § 5 Auftrag der Tageseinrichtungen, Land Sachsen-Anhalt

41 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 60 ff.

42 vgl. Cremers, Krabel (2010), S. 71

Fin de l'extrait de 52 pages

Résumé des informations

Titre
Männer in Kitas. Eine kritische Auseinandersetzung mit den politischen Strategien
Université
University of Applied Sciences Stendal
Note
1,7
Auteur
Année
2011
Pages
52
N° de catalogue
V590645
ISBN (ebook)
9783346189912
ISBN (Livre)
9783346189929
Langue
allemand
Mots clés
auseinandersetzung, eine, kitas, männer, strategien
Citation du texte
Mareike Striecks (Auteur), 2011, Männer in Kitas. Eine kritische Auseinandersetzung mit den politischen Strategien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/590645

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