Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 war der Beginn eines Krieges von noch nie gekanntem Ausmaß. Eine Reihe von Erlassen und Anordnungen, die vor Kriegsausbruch ergingen, belegen die deutsche Haltung im „Fall Barbarossa“: Der Gegner sollte nicht nur aus dem Felde geschlagen, sondern physisch vernichtet werden. Hieraus ergab sich eine gänzlich neue Qualität der Kriegführung, die vom Obersten Befehlshaber bis hinunter zum einfachen Soldaten größtmögliche Akzeptanz der Vernichtungspläne voraussetzte. Die systematische Vernichtung von mindestens zwei Millionen sowjetischer Kriegsgefangener durch Wehrmachtsteile stand jedoch lange Zeit im Schatten der Vernichtung der europäischen Juden, sie stellt einen „vergessenen Holocaust“ dar.
Der Autor hat im vorliegenden Werk erstmals eine eingehende Untersuchung des Lageralltags und die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen in der Ukraine vorgelegt. Als Quelle nutzte er die Akten „Strafsache Stalag 305 Adabasch“ der Staatsanwaltschaft Hannover aus dem Jahr 1968. Bisher waren es hauptsächlich Juristen, die Material aus der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Ludwigsburg bearbeitet und veröffentlicht haben. Leider haben viele Historiker die sog. „NS-Prozesse“ bislang außer Acht gelassen und damit die Ergiebigkeit dieser Prozesse als historische Quelle nicht beachtet.
Dabei boten die Strafprozessakten dem Autor interessantes Material: Der Angeklagte war als Kompaniechef im Landesschützenbataillon 783 mit der Bewachung des Stalag 305 beauftragt. Hier waren es Wehrmachtssoldaten, die in den Jahren 1941 bis 1944 an Einzel- und Massenerschießungen von sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten beteiligt waren.
Anhand detaillierter Zeugen- und Täteraussagen hat der Autor die Situation im Stalag 305 rekonstruiert und folgende Fragen untersucht: Wie war die Organisation des Kriegsgefangenenwesens in der Ukraine aufgebaut? Welche Anweisungen über die Behandlung von Kriegsgefangenen hatten die Soldaten des Stalag 305 und des Landesschützenbataillons 783? Wie und von wem wurden Juden und Kommissare erkannt und ausgesondert? Erfolgte eine Zusammenarbeit mit dem SD? Wer erschoss die sowjetischen Gefangenen und Juden? Wurde immer auf Befehl gehandelt oder auch willkürlich gemordet? Gab es Verweigerungen? Lassen die Aussagen ein Psychogramm der Täter zu, waren sie Psychopathen oder ganz normale Männer?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung und Quellenlage
- Strafprozeßakten als historische Quelle
- Die Organisation des deutschen Kriegsgefangenenwesens
- Das Kriegsgefangenenwesen im „Fall Barbarossa“
- Verbrecherische Befehle und Richtlinien
- Richtlinien für eine Zusammenarbeit mit dem Reichsführer SS
- ,,Kommissarbefehl“, „Kriegsgerichtsbarkeitserlaß“ und „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland“
- Der Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und die Durchführung der verbrecherischen Befehle
- Die Verschärfung der Befehle
- Die allgemeine Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen
- Die Zusammenarbeit mit dem SD in den besetzten Gebieten
- Die (Unter)Ernährung der Kriegsgefangenen
- Das Massensterben der Gefangenen im Winter 1941/42
- Geplanter Arbeitseinsatz im Reichsgebiet und Verschärfung der Lebenssituation der Kriegsgefangenen 1941 bis 1943
- Das Stalag 305 - Ein exemplarisches Gefangenenlager in der Ukraine/Sowjetunion?
- Die Organisation von Stalag 305
- Das Hauptlager
- Die Außenlager
- Gefängnis Kirowograd
- Adabasch
- Bewachung durch das Landesschützenbataillon 783
- Die Lebensverhältnisse in den Lagern rund um Kirowograd
- Die Situation im Lager Kirowograd
- Die Situation im Außenlager Adabasch
- Die Ernährungslage im Stalag 305
- Die Aussonderung von Kommissaren und jüdischen Kriegsgefangenen
- Im Lager Kirowograd
- Im Lager Adabasch
- Massenexekution im Lager Adabasch – Ein konkretes Beispiel
- Weitere Erschießungen im Stalag 305
- Kirowograd
- Gefängnis Kirowograd
- Kriegsgefangenenlazarett von Kirowograd
- Adabasch
- Zusammenarbeit mit dem SD - Exekutionen jüdischer Zivilisten in Kirowograd und Winniza
- Die Personen
- Die Opfer
- Die Täter
- Der Befehlsgeber
- Der Ausführende
- Die ,,Erfüllungsgehilfen“
- Die Gaffer und Zuschauer
- Die Verweigerer
- Das Ergebnis
- Die Organisation des deutschen Kriegsgefangenenwesens in der Ukraine
- Die verbrecherischen Befehle und Richtlinien der Wehrmacht
- Die Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen im Stalag 305
- Die Aussonderung und Ermordung von Kommissaren und jüdischen Kriegsgefangenen
- Die Rolle des SD und die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag 305 in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs. Sie analysiert die systematische Vernichtung von Kriegsgefangenen durch die Wehrmacht, die weit über die normale Kriegsführung hinausging. Neben der Beschreibung der organisatorischen Strukturen des Kriegsgefangenenwesens werden die verbrecherischen Befehle und Richtlinien sowie die konkrete Umsetzung im Stalag 305 beleuchtet.
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung und Quellenlage: Die Einleitung stellt den Kontext des Krieges gegen die Sowjetunion und die deutsche Vernichtungspolitik gegenüber Kriegsgefangenen dar. Sie erläutert die Bedeutung der Strafprozeßakten als historische Quelle für die Rekonstruktion der Ereignisse im Stalag 305.
Die Organisation des deutschen Kriegsgefangenenwesens: Dieses Kapitel analysiert die Organisationsstrukturen des deutschen Kriegsgefangenenwesens im „Fall Barbarossa“, wobei es insbesondere auf die Rolle der Wehrmacht und die Zuständigkeiten der verschiedenen Stellen eingeht.
Verbrecherische Befehle und Richtlinien: Hier werden die wichtigsten Befehle und Richtlinien der Wehrmacht, die die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen betrafen, beleuchtet. Dazu zählen der „Kommissarbefehl“, der „Kriegsgerichtsbarkeitserlaß“ und die „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland“.
Der Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und die Durchführung der verbrecherischen Befehle: Dieses Kapitel behandelt die Verschärfung der Befehle im Laufe des Krieges, die allgemeine Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen sowie die Zusammenarbeit mit dem SD in den besetzten Gebieten. Es werden zudem die Ernährungslage, das Massensterben der Gefangenen und die geplanten Arbeitseinsätze im Reichsgebiet beleuchtet.
Das Stalag 305 - Ein exemplarisches Gefangenenlager in der Ukraine/Sowjetunion?: Dieses Kapitel widmet sich der Organisation des Stalag 305, den Lebensverhältnissen in den Lagern rund um Kirowograd und der Aussonderung von Kommissaren und jüdischen Kriegsgefangenen. Es beinhaltet außerdem eine detaillierte Beschreibung einer Massenexekution im Lager Adabasch und weiterer Erschießungen im Stalag 305.
Schlüsselwörter
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Themengebieten des Zweiten Weltkriegs, dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht gegen die Sowjetunion, dem Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener, den verbrecherischen Befehlen der Wehrmacht, der Organisation des Kriegsgefangenenwesens, der Lebensbedingungen in den Lagern, der Aussonderung und Ermordung von Kommissaren und jüdischen Kriegsgefangenen sowie der Zusammenarbeit mit dem SD.
- Citation du texte
- Christian Möller (Auteur), 2000, Massensterben und Massenvernichtung sowjetischer Kriegsgefangener. Das Stalag 305 in der Ukraine 1941-1944, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59141