Verbessert sich das auditive Sprachverständnis bei Aphasikern nach einer Intervention mit der Melodic Intonation Therapy?

Sprachtherapie bei Aphasie


Hausarbeit, 2019

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Methode

3. Ergebnisse
3.1 Veranderungen im auditiven Sprachverstandnis
3.2 Einflussfaktoren fur die Veranderungen im Sprachverstandnis
3.2.1 Verbesserung der Sprachproduktion
3.2.2 Leistungen im Sprachverstandnis zu Therapiebeginn
3.2.3 Therapieintensitat und -dauer
3.2.4 Aphasiephase
3.3 Therapiespezifitat
3.4 Nachhaltigkeit

4. Diskussion

5. Literaturverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die Melodic Intonation Therapy (MIT) ist eine musikbasierte Methode zur Be- handlung von starken Wortabrufstorungen und Unflussigkeiten bei Aphasiepati- enten (Albert, Sparks, & Helm, 1973). Das Programm ist hierarchisch aufgebaut und besteht aus drei Schwierigkeitsstufen. Es werden zwei verschiedene Ton- lagen genutzt, um die zielsprachliche Betonung in eine Melodie zu verwandeln. Dabei werden betonte Silben hoher und unbetonte Silben tiefer gesungen.

Das Vorgehen bei MIT wird von Albert et al. (1973) so beschrieben, dass der Therapeut eine Zielphrase zunachst summt, dann musikalisch intoniert und zu- letzt wieder moglichst naturlich vorgibt, wahrend der Patient jeden dieser Schrit- te imitieren soll. Therapeut und Patient wechseln sich immer wieder ab. Wah- renddessen wird pro Silbe - wenn moglich - mit der linken Hand auf den Tisch geklopft und dadurch der Takt vorgegeben. In einem weiteren Schritt intonieren Therapeut und Patient gleichzeitig. Am Ende jeder Schwierigkeitsstufe wird die geubte Phrase durch eine Frage des Therapeuten eliziert. Der Patient soll dann in einer naturlichen Intonation auf die Frage antworten (Albert et al., 1973). Laut Zumbansen & Tremblay (2019) unterscheiden sich die Schwierigkeitsstufen sowohl in Hinblick auf die Phrasenlange - es wird von mehrsilbigen Wortern, uber kurze Satze auf langere phonologisch komplexe Satze gesteigert - als auch durch das MaR an Unterstutzung durch den Therapeuten (Zumbansen & Tremblay, 2019).

Albert et al. (1973) erklaren den Wirkmechanismus der MIT so, dass die Verar- beitung von gesprochener Sprache und Singen nicht in der gleichen Gehirnhalf- te stattfindet. Bei Rechtshandern liegen die fur die Sprachverarbeitung verant­wortlichen Regionen in der linken Hemisphare, wahrend musikalische und rhythmische Prozesse in der rechten Hemisphare verarbeitet werden (Albert et al., 1973). Aphasischen Patienten fehlt der Zugriff auf eben diese Sprachzen- tren und somit auch auf die sprachlichen Funktionen. Es kommt zum Beispiel zu Wortabrufstorungen und Agrammatismus. Moglicherweise konnen Aphasiker dann also mithilfe des Singens und des melodischen Intonierens von Phrasen, das fur die Sprachproduktion verantwortliche linkshemispharische Broca-Areal uber die rechte Gehirnhalfte ansteuern.

In einem Uberblicksartikel von Zumbansen & Tremblay (2019) werden mehrere Studien genannt, die positive Effekte von MIT und anderen musikbasierten The- rapiemethoden auf die Sprachproduktion nachweisen konnten (Sparks, Helm, & Albert, 1974; Popovici, Mihailescu, & Voinescu, 1992; Cortese et al., 2015). Auch Van Der Meulen, Van De Sandt-Koenderman, Heijenbrok-Kal, Visch- Brink, & Ribbers (2014) zeigten in einer randomisierten kontrollierten Studie mit stark unflussigen Aphasikern in der postakuten Phase einen signifikanten Ubungseffekt und einen Generalisierungseffekt auf die verbale Kommunikation nach der Therapie mit MIT (getestet mit ANELT).

Einige Autoren beschreiben daruber hinaus, dass Probanden nach einer Inter- ventionsphase mit der MIT, neben den beschriebenen positiven Auswirkungen auf die Sprachproduktion, auch verbesserte Leistungen im auditiven Sprach- verstandnis zeigten. Evidenz lieferte dafur beispielsweise Helm-Estabrooks (1983) in einer Studie mit unflussigen Aphasikern, die nach der Therapiephase mit MIT auch bessere Leistungen in Sprachverstandnistests zeigten. Auch Po- povici (1995) erprobte die MIT in Kombination mit einer semantischen Therapie als direkte Methode zur Behandlung von Sprachverstandnisstorungen bei Wer- nicke-Aphasikern und konnte positive Auswirkungen auf das Sprachverstandnis nachweisen. Bonakdarpour, Eftekharzadeh, & Ashayeri (2003) begrunden die Verbesserungen im auditiven Sprachverstandnis nach MIT durch die veranderte Silbendauer, die verlangerten Pausen zwischen den Worten und die damit ein- hergehende langere Verarbeitungszeit des Inputs. Au^erdem sollen die veran- derte Tonhohe und das ubersteigerte Betonungsmuster das Verstandnis er- leichtern. Helm-Estabrooks (1983) konnte bereits nachweisen, dass eine ver- langerte Pause zwischen den Silben und eine langere Prasentationszeit der Stimuli das auditive Sprachverstandnis bei Aphasikern erleichtern.

Die vorliegende Arbeit soll anhand von drei Studien naher untersuchen, welche Teilleistungen im auditiven Sprachverstandnis sich konkret verandert haben und von welchen Faktoren diese Veranderungen moglicherweise abhangig wa- ren. Au^erdem ist es notwendig zu uberprufen, ob die gefundenen Effekte the- rapiespezifisch waren und demnach nicht mit einem Leistungsanstieg auf ande- ren sprachlichen Ebenen einhergingen und ob sie auch einige Wochen nach Beendigung der Therapie noch konstant blieben bzw. nachhaltig waren.

2. Methode

Es wurde eine systematische Literaturrecherche durchgefuhrt, um Studien zu finden, in denen Veranderungen des auditiven Sprachverstandnis bei Aphasi- kern nach Anwendung der MIT untersucht wurden. Dabei wurden nur Artikel auf Englisch und Deutsch berucksichtigt, um das Verstandnis der Studieninhalte zu gewahrleisten. In den Datenbanken PubMed und ResearchGate sowie im On­linekatalog der Universitatsbibliothek Potsdam (Suchzeitraum: 21.-23.10.2019) wurde nach folgenden Begriffen in Booleschen Kombinationen gesucht:

(melodic intonation therapy OR MIT OR Melodische Intonationstherapie) AND

(aphasia OR aphasic OR Aphasie)

Die Suchanfragen bei PubMed und in der Universitatsbibliothek ergaben insge- samt 205 Ergebnisse. ResearchGate macht keine Angabe uber die Summe der Suchergebnisse. In die Studienauswahl wurden Langsschnittstudien wie Einzel- fallstudien, (kontrollierte) Vorher-Nachher Studien oder randomisierte kontrol- lierte Studien miteinbezogen. In den Studien sollten Teilnehmer untersucht worden sein, die an einer Aphasie aufgrund einer Hirnschadigung litten und nicht degenerativer Ursache waren. Es wurden au^erdem nur Studien ausge- wahlt, in denen als Interventionsmethode die MIT oder eine Adaption von MIT auf eine andere Sprache, z.B. Japanisch, Franzosisch oder Italienisch, ange- wandt wurden. Daruber hinaus wurden nur solche Studien in die Auswahl ein- geschlossen, in denen quantitative Messungen der Veranderungen in der Sprachproduktion und im auditiven Sprachverstandnis vor und nach der Inter- ventionsphase durchgefuhrt wurden. Nachdem die genannten Ein- und Aus- schlusskriterien angewandt wurden, ergaben sich die folgenden drei Studien:

Bonakdarpour, B., Eftekharzadeh, A., & Ashayeri, H. (2003). Melodic intonation therapy in Persian aphasic patients. Aphasiology, 17 (1), 75-95.

Belin, P., Van Eeckhout, P., Zilbovicius, M., Remy, P., Franpois, C., Guillaume, S., Samson, Y. (1996). Recovery from nonfluent aphasia after melodic intonation therapy: A PET study. Neurology, 47(6), 1504-1511.

Van Der Meulen, I., Van De Sandt-Koenderman, M. W. M. E., Heijenbrok, M. H., Visch-Brink, E., & Ribber, G. M. (2016). Melodic intonation therapy in chronic aphasia: Evidence from a pilot randomized controlled trial. Frontiers in Human Neuroscience, 10 (NOV2016), 1-9.

3. Ergebnisse

3.1 Veranderungen im auditiven Sprachverstandnis

Einfuhrend wird hier ein Uberblick uber den Untersuchungsgegenstand der drei ausgewahlten Studien gegeben und au^erdem daruber informiert, inwiefern sich das auditive Sprachverstandnis der Probanden nach Anwendung von MIT verandert hat. Au^erdem soil beschrieben werden, welche Messverfahren die Autoren der drei Studien angewandt haben, um die Veranderungen zu messen. Bonakdarpour, Eftekharzadeh, & Ashayeri (2003) fuhrten eine Studie mit sieben Farsi sprechenden Probanden durch, von denen funf eine Broca Aphasie und zwei eine subkortikale Aphasie hatten. Alle Teilnehmer hatten ein moderates bis gut erhaltenes Sprachverstandnis und lagen zwischen 55,3% und 98% im Untertest des Farsi Aphasia Test (FAT)1. Die Autoren untersuchten die Sprach- verstandnisleistungen auf Wort- und Satzebene vor und nach einer Interventi- onsphase mit MIT von insgesamt vier Wochen mit 15 Sitzungen sowie vier Wo- chen nach Beendigung der Therapie. Anhand des FAT wurden auch das auditi­ve Wort-Bild-Zuordnen und das Verstandnis von Aufforderungen getestet. In beiden Aufgaben zeigten die Probanden signifikante Verbesserungen nach der Therapiephase (p = .0238, Wilcoxon-Vorzeichen-Test), die nach einem Monat noch konstant waren (s. Tab. 1).

In der zweiten Studie, die innerhalb der Literaturrecherche ausgewahlt wurde, untersuchten Belin et al. (1996) sieben Probanden, die zum Untersuchungs- zeitpunkt bereits eine franzosische Adaption der MIT erhalten hatten. Die Dauer der Therapiephase variierte zwischen einem Monat und neun Jahren. Sechs Teilnehmer zeigten vor Beginn der Therapie unterdurchschnittliche Leistungen im auditiven Sprachverstandnis. Das Sprachverstandnis des siebten Probanden war gut erhalten. Getestet wurde mit der Boston Diagnostic Aphasia Examinati­on (BDAE)2 das Wort-Bild-Zuordnen (verbal discrimination), das Verstandnis von Aufforderungen (orders execution) und das Entscheiden uber simple logi-

sche Fakten (logic and reasoning). Nach Beendigung der Therapie zeigten die Probanden in den drei Aufgaben signifikant bessere Leistungen als vor Beginn der Therapie (p < .0001, gepaarter t-Test).

Tabelle 1: Testergebnisse auf Wort- und Satzebene

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anm.: FAT = Farsi Aphasia Test; BDAE = Boston Diagnostic Aphasia Examination; AAT = Aachener Aphasie Test

Die dritte Studie, in der die Veranderungen im auditiven Sprachverstandnis von Aphasikern nach einer Intervention mit der Melodic Intonation Therapy gemes- sen wurden, fuhrten von Van Der Meulen, Van De Sandt-Koenderman, Heijenbrok, Visch-Brink, & Ribber (2016) durch. Die Autoren untersuchten ins- gesamt 16 Probanden, die unter einer chronischen, unflussigen Aphasie litten. Das Sprachverstandnis wurde vor der Therapiephase mithilfe der Untertests Auditives Verstandnis fur Worter und Auditives Verstandnis fur Satze aus dem Aachener Aphasie Test (AAT) uberpruft und lag bei allen Teilnehmern im mittel bis leicht beeintrachtigten Bereich (AAT, auditives Verstandnis: PW > 33 / 60; M = 41,1; SD = 7,7). Nach der sechswochigen Therapiephase wurden keine signi- fikanten Verbesserungen im Sprachverstandnis gefunden (p = .17, Wilcoxon- Vorzeichen-Test).

Wahrend van der Meulen et al. keine signifikanten Verbesserungen nach An- wendung von MIT bei den Probanden ihrer Studie nachweisen konnten, zeigen sowohl die Studie von Bonakdarpour et al., als auch die Studie von Belin et al. signifikante Verbesserungen im auditiven Sprachverstandnis der Probanden nach der Therapiephase.

[...]


1 Nilipour, R. (1993). Farsi Aphasia Test. Teheran: Iran University of Medical Sciences Press.

2 Goodglass, H., Kaplan, E., Mazaux, J.-M., & Orgogozo, J.-M. (1982). Echelle d'evaluation de l'aphasie = adaptation frangaise du Boston Diagnostic Aphasia Examination. Paris: EAP.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Verbessert sich das auditive Sprachverständnis bei Aphasikern nach einer Intervention mit der Melodic Intonation Therapy?
Untertitel
Sprachtherapie bei Aphasie
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
19
Katalognummer
V593966
ISBN (eBook)
9783346168498
ISBN (Buch)
9783346168504
Sprache
Deutsch
Schlagworte
aphasie, aphasikern, intervention, intonation, melodic, sprachtherapie, sprachverständnis, therapy, verbessert
Arbeit zitieren
Laura Plößel (Autor:in), 2019, Verbessert sich das auditive Sprachverständnis bei Aphasikern nach einer Intervention mit der Melodic Intonation Therapy?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/593966

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