Der sozio-technische Wandel durch Blockchain im öffentlichen Sektor

Eine Mehrebenen-Analyse nach Geels


Livre Spécialisé, 2021

81 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung und Hintergrund
1.1 Forschungsansatz und Aufbau der Arbeit
1.2 Wissensgesellschaft, Internet und autonome Technik
1.3 Zum soziologischen Technik- und Innovationsbegriff
1.4 Forschungsstand soziologischer Techniktheorien

2 Theoretischer Rahmen: Mehrebenen-Analyse von Geels
2.1 Nische
2.2 Regime
2.3 Landschaft
2.4 Sozio-technischer Wandel
2.5 Innovationsphasen
2.6 Transitionspfade

3 Blockchain als Innovation
3.1 Funktionsweise und Grundprinzip von Blockchain
3.2 Technikgenese und ideologischer Ursprung von Blockchain
3.3 Anwendungsmöglichkeiten und Potentiale im öffentlichen Sektor
3.4 Die Darstellung von Blockchain in öffentlichen Medien in Deutschland

4 Thesen und Methodik
4.1 Thesen
4.2 Forschungsfeld und empirische Datengrundlage
4.3 Operationalisierung

5 Mehrebenen-Analyse nach Geels
5.1 Blockchain als Nischen-Innovation
5.2 Öffentlicher Sektor in Deutschland als Regime
5.3 Digitale Infrastruktur und Gesellschaftliche Entwicklungen als Landschaft
5.4 Die Innovationsphase von Blockchain
5.5 Ein möglicher Transitionspfad im öffentlichen Sektor
5.6 Zusammenfassung und Auswertung

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Darstellung des Modells der Multi-Level Perspective

Abbildung 2: Einbettung und Hierarchie der drei Betrachtungsebenen im MLP-Modell

Abbildung 3: Integration techniksoziologischer Ansätze in der MLP-Theorie von Geels

Abbildung 4: Infografik zur Funktionsweise der Blockchain-Technologie

Abbildung 5: Karte - Blockchain-Unternehmen und Start-Ups in Deutschland

Abbildung 6: Anzahl von Blockchain-Unternehmen in verschiedenen Branchen

Abbildung 7: Darstellung des "Transformation Pathways" nach Geels

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Durchbruchszeiten verschiedener Medientechnologien

1 Einleitung und Hintergrund

Daten, Informationen und Wissen sind zu zentralen Produktivkräften geworden (Willke 1998 zit. n. Weyer 2008: 238). Die sich immer weiter entwickelnden Informations- und Kommunikationstechnologien führen zu fortlaufender Vernetzung und zur effizienten Koordination von Wissen (ebd.). Dabei wird die Mensch-Maschine-Kommunikation immer weniger relevant; in der sogenannten Industrie 4.0 kommunizieren Maschinen autonom untereinander (ebd.: 239). Die Automatisierungs- und Rationalisierungsprozesse, die bereits stattgefunden haben, werden zukünftig wohl noch weiter übertroffen. Dabei ist Digitalisierung kein rein technischer Prozess, sie verändert sowohl Gesellschaft und soziales Leben, als auch unser Verständnis davon (Marres 2017 zit. n. Jarke 2018: 5).

Eine Basis-Technologie dieser Entwicklungen ist das Internet, welches sich laufend weiter entwickelt und mittlerweile an Grenzen stößt; es wird nun vom dezentralen Web 3.0 gesprochen, welches das „Internet der Werte realisieren und die zentralisierte Plattform-Struktur auflösen soll.1 Blockchain ist dabei eine innovative Schlüsseltechnologie der Digitalisierung, die auf der Infrastruktur des Internets aufbaut. Bekanntheit erlangte Blockchain vor allem durch das dezentrale digitale Geldsystem Bitcoin, dessen rasante Kursentwicklungen und Wertsteigerungen als Erstes in den Medien Beachtung fanden. Mit Blockchain ist das Narrativ verknüpft das Problem von Vertrauen zu lösen zwischen Personen, die sich untereinander nicht kennen und nicht vertrauen. Damit einher gehen große Versprechungen und Erwartungen an diese Technologie.

Da sich mit Blockchain Informationen dezentral und prinzipiell sicher vor Manipulation in einem Netzwerk speichern lassen, werden theoretisch Intermediäre oder Autoritäten obsolet, die bei zentraler Speicherung die Integrität der Daten sicherstellen. Neben Banken und anderen Institutionen kann auch der Staat, der Dienstleistungen für Bürger*innen zur Verfügung stellt, als Intermediär verstanden werden. So gibt es wissenschaftliche Artikel, die sich bereits mit der Frage beschäftigen, ob der Staat aufgrund von Blockchain in Zukunft überflüssig werden könnte (Atzori 2015). Andere beschreiben Blockchain als social technology2, welche Bürokratie, als eines der wichtigsten Konzepte moderner Gesellschaften, grundlegend verändern wird (Jun 2018: 4). Demnach könnte der Staat und dessen Verwaltung als Vertrauenssystem in Zukunft an Bedeutung verlieren, weil sich Vertrauen dann möglicherweise algorithmisch abbilden lässt (ebd.: 7).

Von diesen Entwicklungen ist die aktuelle Digitalisierung in Deutschland allerdings noch weit entfernt. Auch wenn das Wort Blockchain im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD, der im März 2018 unterzeichnet wurde, siebenmal erwähnt wird und eine umfassende Blockchain-Strategie angekündigt wird, findet Blockchain noch keine produktive Anwendung im öffentlichen Sektor.3 Generell hinkt Deutschland im EU-Vergleich im Bereich E-Government und Verwaltung 4.0 hinterher.4 Blockchain existiert nun aber seit über 10 Jahren und der Hype um die Technologie scheint mittlerweile abgeklungen zu sein. Blockchain entwickelt sich immer weiter von einer Nischen-Technologie hin zu konkreten Anwendungen, unter anderem für den öffentlichen Sektor.

In dieser Arbeit wird die Frage bearbeitet, inwiefern eine soziologische Einordnung dieser neuen Informationstechnik möglich ist und inwiefern der Wandel im öffentlichen Sektor in Deutschland beschrieben werden kann. Dahinter steckt auch die Frage wie technischer Wandel mit gesellschaftlichen Wandel zusammenhängt. Gesellschaftliche Funktionen wie Transport, Kommunikation, Wohnen und auch öffentliche Dienstleistungen des Staates werden durch sozio-technische Systeme erfüllt, die sich laufend im Wandel befinden (Geels 2005: viii). Es steht vor allem die Frage im Mittelpunkt, ob eine passende techniksoziologische Theorie gefunden und angewendet werden kann, um den sozio-technischen Wandel durch Innovationen, die sich in der Frühphase befinden, zu beschreiben. Die Technologie Blockchain wird dabei als Einstiegspunkt genutzt, um den möglichen Wandel im öffentlichen Sektor in Deutschland zu untersuchen. An diesem eingegrenzten Forschungsfeld soll beispielhaft ein möglichst passender techniksoziologischer Zugang überprüft werden, der dann eventuell für weiterführende Forschung über Blockchain oder ähnliche Innovationen genutzt werden kann.

1.1 Forschungsansatz und Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit ist als qualitative Studie konzipiert, der ein theoretischer Teil vorangestellt ist. In diesem ersten Kapitel werden die Grundlagen der Techniksoziologie skizziert, sowie passende etablierte techniksoziologische Theorien diskutiert. Es soll zudem ein möglichst genaues Verständnis des Technik- bzw. Innovationsbegriffs entwickelt werden, welcher in einen breiteren Kontext gesellschaftlichen Wandels eingeordnet wird. Der Ansatz der Multi-level Perspective on Technology Transitions (MLP) von Frank W. Geels wird dann als passende soziologische Innovationstheorie – um den zu interessierenden sozio-technischen Wandlungsprozess zu untersuchen – im zweiten Kapitel vorgestellt. Anschließend wird im dritten Kapitel über die Beschreibung der verschiedenen Aspekte von Blockchain ein möglichst holistischer Blick auf die Technologie entwickelt; nur so scheint eine sinnvolle Einordnung in eine soziologische Techniktheorie möglich. Das untersuchte Forschungsfeld – die Anwendung von Blockchain im öffentlichen Sektor – erfordert ein tiefes kontextuelles Verständnis der Technologie, weshalb nur ein qualitativer Ansatz zielführend ist. Dies gilt speziell für die disruptive Technik Blockchain, die aufgrund ihres offenen und generischen Charakters ein breites Anwendungsspektrum aufweist und damit viele gesellschaftliche Implikationen denkbar sind. Daher wird noch vor der Anwendung der Theorie im dritten Kapitel neben dem Grundprinzip von Blockchain auch auf die Ideologie, die Akteure, die potentiellen Anwendungen und den öffentlichen Diskurs über Blockchain eingegangen. Zudem muss die Innovation in den weiteren Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen und verwandter Techniken eingeordnet werden, weshalb in diesem ersten Kapitel als Kontextualisierung zunächst die Themen Wissensgesellschaft, Digitalisierung und Internet behandelt werden. Im vierten Kapitel wird dann die Methodik und die Operationalisierung vorgestellt. Die empirische Grundlage dieser Arbeit basiert auf semi-strukturierten qualitativen Experten-Interviews mit und Veröffentlichungen von zentralen Akteuren aus den Bereichen Blockchain und öffentlicher Sektor in Deutschland. Im fünften Kapitel folgt der Analyseteil, indem der Mehrebenen-Ansatz von Geels auf den öffentlichen Sektor in Deutschland angewendet wird. Hier wird geprüft, wie sich das Modell von Geels auf das Forschungsfeld anwenden lässt und welche Vor- und Nachteile oder Probleme sich dabei ergeben.

Aus der bereits genannten Forschungsfrage inwiefern eine techniksoziologische Theorie gefunden und angewendet werden kann, um den sozio-technischen Wandel durch Technologien, die sich in der Frühphase befinden, zu beschreiben, ergaben sich im Laufe des qualitativen und induktiven Forschungsprozesses weitere Unterfragestellungen:

- Welche Vor- und Nachteile hat der Mehrebenen-Ansatz von Geels bei der Analyse von Blockchain im öffentlichen Sektor?
- In welcher Innovationsphase befindet sich Blockchain?
- Welche Form von Transformation ist im öffentlichen Sektor denkbar?
- Welche Aspekte hindern und fördern die Anwendung von Blockchain im öffentlichen Sektor?

1.2 Wissensgesellschaft, Internet und autonome Technik

In diesem Kapitel wird die Technologie Blockchain knapp in den Kontext von Wissensgesellschaft und allgemeinen technologischen Entwicklungen der Digitalisierung eingeordnet, auch um dessen Relevanz zu verdeutlichen.

Ähnlich wie zur Zeit der industriellen Revolution hat das Aufkommen von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in den letzten Jahrzehnten einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel ausgelöst. Elektronik, Rechner und das Internet sind die materielle Grundlage für ein immenses Maß an Vernetzung von Daten und Wissensbeständen und die Beschleunigung von Prozessen (Weyer 2008: 239). Das Internet hat dabei eine entscheidende Bedeutung für gesellschaftliche Modernisierung allgemein (Slevin 2000 zit. n. Degele 2002: 18). Über die weltweite Vernetzung von Rechnern wurde die effiziente Koordination von Wissen ermöglicht und darüber wiederum die Schaffung von neuem Wissen (Weyer 2008: 238). Wissen existiert dabei nicht mehr nur in einzelnen Köpfen, sondern ist verteiltes Wissen in organisierten Sozialsystemen (ebd.).

In vielen Volkswirtschaften verdrängt der tertiäre Sektor tendenziell alle anderen Wirtschaftssektoren und Wissen steht als zentrale Produktivkraft im Mittelpunkt (ebd.: 237). In Deutschland arbeiten heute circa drei Viertel aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor und dabei machen die Wirtschaftsbereiche öffentliche Dienstleistungen, Immobiliendienstleistungen und Unternehmensdienstleistungen den größten Anteil aus.5

Die Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt im Informationszeitalter ist geprägt durch eine Vielzahl an neuen technischen Innovationen, die in immer kürzeren Zyklen grundlegende gesellschaftliche Veränderung hervorrufen. Im Laufe der Entwicklung des Internets haben sich autonome Techniken herausbildet, die tendenziell zur Verschiebung der Mensch-Maschine-Kommunikation hin zur Maschine-Maschine-Kommunikation führen (Weyer 2008: 239). Autonome Technologien sind die Grundlage der Industrie 4.0 und beschreiben die Vernetzung von Systemkomponenten, die untereinander autonom Informationen austauschen und über Sensoren selbständig Inputs aus der Umwelt gewinnen (ebd.: 251). Immer mehr Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse basieren heute auf Netzwerkprozessen.6 In der Industrie 4.0 soll sich eine Vielzahl von Agenten dezentral koordinieren in sogenannten Multi-Agenten-Systemen (Weyer 2008: 252).

Viele aktuelle Visionen und Entwicklungen der Digitalisierung tendieren zu Systemen, die auf "intelligenter“ Technik und verteilter Intelligenz basieren. In solchen Multi-Agenten-Systemen soll die antizipative Planung verringert werden, indem man sich auf die Selbststeuerungsfähigkeit der Systeme verlässt (ebd.). Diese Entwicklungen werden zukünftig voraussichtlich nicht nur Auswirkungen auf die Produktionsprozesse der Privatwirtschaft haben, sondern auch auf den öffentlichen Sektor übertragen werden. Dort könnte sich beispielsweise die Art und Weise wie Bürger und Bürgerinnen mit dem Staat interagieren oder wie gesellschaftliche Entscheidungsprozesse ablaufen, verändern.

Neben Automatisierung und autonomer Technik gibt es zudem Herausforderungen in der Informationsgesellschaft, welche allgemein das Vertrauen in und die Authentizität von Informationen betreffen. Gefälschte oder manipulierte Daten, Dokumente, Videos und Aussagen im Internet und die damit verbundenen gesellschaftlichen Probleme bestärken das Bedürfnis neue Techniken zu suchen, die Authentizität und Vertrauen in Informationen sicher stellen können.

Das Internet als Grundlage für all diese Entwicklungen stößt dabei mittlerweile an Grenzen und entwickelt sich daher laufend weiter, beziehungsweise neue Technologien bauen auf der Infrastruktur des Internets auf. Die Tendenz im Web 3.0 geht grundsätzlich in Richtung Dezentralisierung, weg von der zentralisierten Plattform-Ökonomie.7 Blockchain wird dabei eventuell eine Schlüsseltechnologie im Hintergrund darstellen, welche die Basis-Infrastruktur schafft, indem es die Datenstrukturen im Hintergrund dezentralisiert und neue Steuerungsmechanismen in Peer-to-Peer-Netzwerken ermöglicht (ZEIT ONLINE 2019: 4:16 Min.).

Da das Internet bis heute zu umfangreichen gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen geführt hat, werden mit dessen Weiterentwicklung weitere Transformationen der Wissensgesellschaft stattfinden, die soziologisch eingeordnet werden sollten. In dieser Arbeit soll dies mit Hilfe einer geeigneten Theorie in einem begrenzten Rahmen beispielhaft an der digitalen Schlüsseltechnologie Blockchain und am öffentlichen Sektor in Deutschland untersucht werden.

1.3 Zum soziologischen Technik- und Innovationsbegriff

In diesem Kapitel wird das der Arbeit zu Grunde liegende soziologische Verständnis von Technik und Innovation umrissen. Damit soll die Perspektive auf Blockchain in dieser Arbeit expliziert werden.

Kaum ein Lebensbereich im Alltag ist heute ohne Technik denkbar, Technik prägt und bestimmt das moderne Leben auf vielfältige Weise (Häußling 2014: 13). Fast alle materiellen Artefakte, die den modernen Menschen im Alltag wie selbstverständlich umgeben und genutzt werden, sind durch technische Prozesse entstanden oder selbst Technik (ebd.). Viele Handlungen wie Wäsche waschen, Türen aufschließen, eine Online-Überweisung tätigen oder ein Carsharing-Auto mieten etc. sind technisch unterstützt oder überhaupt nur durch Technik möglich. Viele soziale und gesellschaftliche Prozesse des modernen Lebens sind verwoben mit und abhängig von Technik (ebd.). Auch wenn es global betrachtet starke Unterschiede je nach Region – unter anderem zwischen Globalen Norden und Süden – gibt, was den Grad der Nutzung moderner Technologien angeht, sind die Auswirkungen umfassend und global sichtbar.

Neben dem Alltag hat die Technisierung vor allem der Arbeitswelt aber noch weitere soziale und gesellschaftliche Konsequenzen. Schon Karl Marx beschäftigte sich mit den durch neue Techniken wie Maschinen veränderten Arbeitsläufen und der veränderten Arbeitsorganisation, die zu neuen Klassenstrukturen, der Umwandlung der Mobilität, Verstädterung und zu sozio-kulturellem Wandel führten (ebd.). Marx entwickelte daraus eine umfassende deterministische Gesellschaftstheorie, die auf den Transformationen der materiellen Grundlagen, den Produktivkräften, von Gesellschaften basierte. Die Entstehung der Soziologie insgesamt als eigenständige Wissenschaftsdisziplin ist eng verbunden mit der industriellen Revolution und den damit einhergehenden ökonomischen, technischen und wissenschaftlichen Veränderungen (ebd.). Diese umfassenden Umwälzungen weckten das Bedürfnis zu verstehen wie soziales Zusammenleben, gesellschaftliche Normen und Strukturen sowie sozialer Wandel durch die Einbindung von Technik funktionieren (ebd.). Für Degele ist Technik das Modernisierungsmerkmal schlechthin (Degele 2002: 16). Auch für Rammert sind Technik und Innovation Kerninstitutionen der modernen Wirtschaft und Gesellschaft und genuin soziologische Phänomene (Rammert 2015: 4).

Technik ist ein Mittel, um etwas zu erreichen, das sich bis hin zur Unverzichtbarkeit in soziale und gesellschaftliche Prozesse implementieren kann (Häußling 2014: 12). Nach Häußling kann unter Technik im engeren Sinn ein planvolles Verfahren und/oder materielles Gebilde verstanden werden, um klar umgrenzbare Sachverhalte einer sachadäquat-systematischen Problemlösung zuzuführen (ebd.). Neue Technik wird entwickelt um Prozesse wirksamer, verlässlicher, effektiver, präziser oder überhaupt realisierbar zu machen (ebd.). Nach Rammert sind unter Technik "alle künstlich hervorgebrachten Verfahren und Gebilde zu verstehen, die in soziale Handlungszusammenhänge zur Steigung ausgewählter Wirkungen eingebaut werden" (Rammert 1988: 725 zit. n. Degele 2002: 18). Degele macht drei Aspekte des soziologischen Technikbegriffs aus: Materialität, Handlung und Wissen (Degele 2002: 19 f.). Technik ist also immer als Artefakt vorhanden, manifestiert sich in Formen des Handelns und es ist auch immer eine bestimmte Form von Wissen gemeint (ebd.).

Rammert weist zudem daraufhin das Technik den Menschen nicht einfach als exogene Artefakte umgibt, sondern als gesellschaftlich produziert und künstlich gemacht betrachtet werden sollte (Rammert 2015: 5f.). An der Genese und Gestaltung sind immer zahlreiche Akteure wie Erfinder*innen, Unternehmer*innen, Konsument*innen, Politiker*inen etc. beteiligt (ebd.: 6). Technische Werke sind soziale Tatsachen und soziale Institutionen, die in physische Trägermedien eingeschrieben sind und an denen sich soziales Handeln orientiert (ebd.). Die sachliche Erscheinungsform von Technik kann dabei leicht die soziale Form als Schema der Technisierung verbergen (ebd.). Rammert weist weiterhin drauf hin, dass je höher der Autonomiegrad von Technik ist, "desto zwingender wird es für die Soziologie, Techniken bnicht nur ausschließlich als soziale Institutionen, sondern auch als soziale Akteure in hybriden kollektiven Handlungskonstellationen zu untersuchen" (Rammert 2012 zit. n. Rammert 2015: 7).

Innovation ist für Rammert als sozialer Prozess auf der dynamischen Seite verortet, im Gegensatz zur statischen von Technik (Rammert 2015: 4). Innovation beginnt als "von Gewohnheiten, Normen und Werten abweichendes und kreativ improvisierendes Handeln" (ebd.). Es geht um "experimentelles Erproben und Re-Kombinieren von Elementen auf in irgendeiner Hinsicht für besser bewertete Veränderungen von Praktiken und Produkten in einem Feld" (ebd.). Braun‐Thürmann beschreibt Innovation als „materielle oder symbolische Artefakte, welche [..] Beobachterinnen und Beobachter als neuartig wahrnehmen und als Verbesserung gegenüber dem Bestehenden erleben“ (2005: 6). Innovation ist ein „mehr oder weniger radikaler Prozess sozialen Wandels“, der „gegenüber der Selbstverständlichkeit und der festen Erwartbarkeit der etablierten Techniken und Praktiken“, durch „hohe Ungewissheit und Offenheit gekennzeichnet ist" (Rammert 2015: 4 und 9). Techniken bilden in Wirtschaft und Gesellschaft also Bezugspunkte wie auch Infrastrukturen wirtschaftlichen Handelns, wohingegen innovatives Handeln institutionelle Ordnungen in Frage stellt (ebd.: 10). Nach Rammert steht Innovation für kreative Abweichung und unsicheres Potential und bildet den Kern der rasanten Dynamik technischer Entwicklungen im modernen Kapitalismus (ebd.: 13). Schumpeter bezeichnete das grundlegende Paradox von Innovation mit dem Begriff der „kreativen“ bzw. "schöpferischen Zerstörung", „die unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur zerstört und unaufhörlich neue schafft“ (Rammert 2015: 9; Braun-Thürmann 2005: 8).

Blockchain wird in dieser Arbeit nicht nur als technisches Artefakt begriffen, sondern als Innovation und sozio-technisches System an dem eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen Erwartungen beteiligt sind. Dabei ist der Entiwcklungsprozess um Blockchain noch durch hohe Offenheit und Ungewissheit gekennzeichnet, lässt aber auch disruptive Potentiale erkennen.

1.4 Forschungsstand soziologischer Techniktheorien

In diesem Kapitel werden die Grundzüge der Techniksoziologie und der soziologischen Innovationsforschung beschrieben und zentrale techniksoziologische Theorien vorgestellt. Die kurze Diskussion der Theorien begründet abschließend die Auswahl der MLP-Theorie von Geels für die Bearbeitung der Forschungsfragen.

Wie die Soziologie allgemein aus den (technischen) Umwälzungen der industriellen Revolution entstanden ist und das Technik als soziale Tatsache fungieren kann, an dem sich menschliches Handeln orientiert, wurde im vorherigen Kapitel erläutert. Technik ist grundsätzlich „ein gesellschaftliches Produkt, das Sozialität entscheidend mitprägt“ und den „Schlüssel liefert zum Verständnis von Prozessen der Modernisierung, des sozialen Wandels und der Gesellschaft“ (Degele 2002: 8 f.). Heutige techniksoziologische Ansätze basieren größtenteils auf den sozialtheoretischen Überlegungen klassischer Soziologen wie Karl Marx, Émile Durkheim und Max Weber über das Verhältnis von Technik und Gesellschaft (ebd.: 8). Techniksoziologie beschäftigt sich allgemein mit den "Wechselbeziehungen zwischen Realtechniken, Prozesstechniken und Technologien einerseits und Gesellschaft und Sozialem anderseits" (Häußling 2014: 16).

In der Techniksoziologie existieren dabei heute zwei grundlegende Gegenstandsbereiche oder Perspektiven: einmal der Verwendungskontext und zum anderen der Herstellungskontext von Technik (ebd.: 14). Dahinter verbirgt sich die alte sozialwissenschaftliche Debatte über die Frage inwieweit Technik Gesellschaft determiniert und in welchem Ausmaß Technik gestaltbar ist (Degele 2002: 9). Zum ersten Bereich kann die Frage gezählt werden wie Technik den Alltag prägt, sowie Untersuchungen über die – möglicherweise unintendierten – Folgen von Technik; die sogenannte Technikfolgenabschätzung (Häußling 2014: 14). Diese entstand in den 70er Jahren aus den Diskussionen in Wissenschaft und Öffentlichkeit über die Auswirkungen technischer Entwicklungen auf die Sozialstruktur und das Sozialverhalten und umfasst auch die Sozialverträglichkeits- und Akzeptanzforschung (Degele 2002: 9 f.). Ab den 80er Jahren fand dann ein Perspektivwechsel statt weg von einer rein folgenzentrierten Technikforschung hin zur Technikgeneseforschung und zur sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung, die den Entstehungsprozess von Technik mehr in den Fokus nimmt (Weyer 2008: 184). Hier stehen meist die sozialen Aushandlungsprozesse der Technologieentwicklung zwischen verschiedenen Akteuren im Vordergrund, sowie die soziale Konstruiertheit von Technik (Häußling 2014: 16).

Heute haben sich viele techniksoziologische Ansätze herausgebildet, die mehr oder weniger technikdeterministisch sind, sich an evolutionstheoretischen Erklärungen orientieren, sich mit Pfadabhängigkeit/-kreation beschäftigen oder nicht-menschliche Aktanten und deren Beiträge zu Interaktionsprozessen in den Vordergrund stellen, wie bei der Akteur-Netzwerk Theorie (ANT) (Degele 2002: 10). Folgende konkrete theoretische Ansätze aus der Techniksoziologie wurden für die Untersuchung von Blockchain näher betrachtet:

- Johannes Weyer – netzwerktheoretischer Ansatz (Weyer 2008)
- E. Bijker und Trevor Pinch – Social Construction of Technology (SCOT)
- Frank W. Geels - Multi-level Perspective on Technology Transitions (MLP)
- Ulrich Dolata – Theorie sozio-technischer Transformation (Dolata 2011)
- Werner Rammert – Technik als Relation in Sozialzusammenhängen (Häußling 2014: 324 ff.)
- Bruno Latour, Michel Callon, John Law – Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT)

Aufgrund der Häufigkeit der Nennung in Grundlagenbüchern, Einordnungen in Sekundärliteratur, sowie der Anzahl von Veröffentlichungen der jeweiligen Wissenschaftler*innen wurden diese als relevante Theorien ausgemacht. Alle Ansätze haben einen anderen Fokus und verschiedene Herangehensweisen. Weyer merkt zum SCOT-Ansatz von Pinch und Bijker an, dass die Einzelheiten des Konstruktionsmechanismus sehr diffus bleiben und dass eine tiefer gehende empirische Analyse der Aushandlungs- und Schließungsprozesse hätte folgen müssen (Pinch/Bijker 1984 zit. n. Weyer 2008: 183). Weyer greift die Ideen der sozialen Konstruktion von Technik und der Pfadabhängigkeit auf, will diese aber nicht einseitig auf die Frühphase der Technikgenese zuspitzen (Weyer 2008: 186). Er entwickelt ein Phasenmodell der Technikgenese und beschreibt damit einen netzwerktheoretischen Ansatz (Häußling 2014: 328). Da in dieser Arbeit mehr die Transformation eines sozio-technischen Systems beispielhaft am öffentlichen Sektor interessiert anstatt die Technikgenese von Blockchain wurde dieser Ansatz nicht gewählt.

Rammert ist einer der bekanntesten Wissenschaftler der Techniksoziologie in Deutschland und hat diese entscheidend mitgeprägt (ebd.: 324). Interessant ist dass Häußling in den Ausführungen von Rammert über Technik als Relation in Sozialzusammenhängen Ähnlichkeiten ausmacht zum MLP-Ansatz von Geels mit seiner Unterscheidung zwischen Nische, Regime und Landschaft (ebd.: 328). Für die Theorie von Rammert wurden kaum empirische Fallstudien gefunden, daher wurde diese Theorie nicht weiter verfolgt. Dasselbe gilt für die Theorie der graduellen sozio-technischen Transformation von Ulrich Dolata, welche inhaltlich am ehesten für die Bearbeitung der Forschungsfrage in dieser Arbeit in Frage kommt. Dolata untersucht mit seinem Konzept aus der sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung sozio-technische Wandlungsdynamiken in Bezug auf die Eingriffstiefe technologischer Neuerungen (Häußling 2014: 335; Dolata 2011: 13).

Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) hat zeitweise sehr viel Resonanz erhalten und entwickelt einen völlig anderen Ansatz als andere Theorien. Üblicherweise stehen die sozialen Prozesse im Mittelpunkt soziologischer Untersuchungen technischen Wandels, also die Akteure, Interessen, Strategien und Entscheidungsprozesse (Häußling 2014: 276). Angesichts der Verbreitung von smarter Technik werden bei diesem Ansatz auch nicht-menschliche Akteure in Interaktions- und Koordinationsprozessen berücksichtigt (ebd.). Der Ansatz stellt einen radikalen Paradigmenwechsel in der Soziologie dar und stellt die grundsätzliche soziologische Herangehensweise in Frage (Weyer 2008: 209). Weyer bezeichnet sie als Provokation und schwer nachvollziehbar, auch weil Latour, Callon und andere eine "verschrobene Privatsprache" verwenden und sieht wenig Erkenntnisgewinn darin (ebd.: 203). Weyer plädiert dafür bewährte Theorien technischen Wandels nicht leichtfertig aufzugeben und ein Mehrebenen-Modell zu entwickeln, indem die neuen Denkanstößen des ANT-Ansatzes integriert werden (ebd.).

Insgesamt lässt sich festhalten das aktuelle Theorien der soziologischen Innovationsforschung eine integrale Perspektive liefern sollten und sowohl den Herstellungs-, als auch den Anwendungsvorgang von Technik umfassen sollten (Häußling 2014: 16). Theorien der Innovationsforschung sollten die Entdeckung, Erfindung/Invention, die Ausarbeitung der Technik, die Markteinführung bzw. Implementation in einem sozio-technischen Kontext und die Diffusion der technischen Neuerung umfassen (ebd.: 17). Der Schwerpunkt der Innovationssoziologie liegt also auf den gesellschaftlichen Prozessen, die sowohl für die Genese als auch für die Diffusion von Neuerungen konstitutiv sind, wobei es mitunter auch um „die Entzauberung von Beobachtungsmythen geht" (Schrape 2014: 4). "Beobachtet werden die Entstehung neuer Technologien, ihre Anwendungsmuster, die Adaptionsstrategien der einzelnen Akteure, die Transformationsverläufe in gesellschaftlichen Teilbereichen, der Wandel der Kooperations- bzw. Konkurrenzmuster, die Entwicklung der Nutzungspräferenzen und die Wechselprozesse mit institutionellen, regulativen wie soziokulturellen Rahmenbedingungen" (ebd.).

In dieser Arbeit interessiert der sozio-technische Wandel durch die Innovation Blockchain, weshalb schließlich eine Theorie aus dem Feld der soziologischen Innovationsforschung gewählt wurde: der Mehrebenen-Ansatz von Frank W. Geels, der im nächsten Kapitel vorgestellt wird.

2 Theoretischer Rahmen: Mehrebenen-Analyse von Geels

In diesem Kapitel wird der theoretische Rahmen der Arbeit skizziert, der auf der MLP-Theorie von Frank W. Geels basiert. Nach einer überblicksartigen Vorstellung der Theorie und dessen grundlegender Herangehensweise werden in den weiteren Kapiteln zunächst die einzelnen Betrachtungsebenen (Nische, Regime, Landschaft) näher erläutert und daraufhin das Innovationsphasen-Modell und schließlich die möglichen Transitionspfade von System-Innovationen vorgestellt.

Das Konzept der sogenannten Multi-level Perspective on Technology Transitions (MLP) von Frank W. Geels ist die elaborierteste Version aus der Reihe von Mehrebenen-Theorien (Häußling 2014: 307) . Es wurde in den letzten Jahren häufig erfolgreich in empirischen Studien verwendet, beispielsweise beim Themenkomplex Energiewende, also dem sozio-technischen Wandel durch erneuerbare Energien (Geels 2011: 29). Es handelt sich um ein heuristisches Konzept zur Analyse komplexer technischer Wandlungsprozesse in modernen Gesellschaften (Geels 2005: vi). Gesellschaftliche Funktionen werden durch sozio-technische Systeme erfüllt, die sich zusammensetzen aus Nutzer*innen-Praktiken, Politik, Regulierungen, Infrastruktur, symbolischer Bedeutung und wissenschaftlicher Interpretation (Geels 2005: viii). Gesellschaftliche Funktionen sind beispielsweise Transport, Kommunikation, Energieversorgung, Wohnen und auch öffentliche Leistungen des Staates (Geels 2005: viii). Es geht dabei immer um die Transformation von einem sozio-technischen System hin zu einem anderen (Geels 2005: viii). Ein Beispiel ist die Erfindung des Automobils und die Ablösung von Pferdewägen beim Landtransport (Geels 2005: 2).

Technologie als zentrales Element sozio-technischer Systeme wird dabei als Einstiegspunkt genutzt, um System-Innovationen zu untersuchen (Geels 2005: viii). Technik wird von Geels nie nur als Artefakt oder Wissen verstanden, sondern konstituiert sich immer aus technischen und sozialen Aspekten (ebd.). Technische Neuerungen sind demnach immer eingebettet in eine Vielzahl sozialräumlicher Parameter, wie beispielsweise organisatorische, gesellschaftliche, kulturelle, infrastrukturelle, kognitive, marktbezogene und wissenschaftsimmanente Parameter (Häußling 2014: 307). Geels entwickelt eine konzeptuelle Perspektive um zu verstehen wie System-Innovationen ablaufen und wie technische und soziale Entwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen zusammenwirken (Geels 2005: viii). Wandel ist nach Geels immer nur möglich wenn sich Prozesse auf allen Ebenen verknüpfen und gegenseitig beeinflussen (ebd.: 75).

Geels hat seine Theorie für umfassende technologische Umbrüche entwickelt; eine der ersten Fallstudien beschäftigte sich beispielsweise mit der Transition vom Segelschiff zum Dampfschiff von 1780 bis 1900 (Geels 2002). Der Ansatz wurde mittlerweile allerdings schon für viele weitere Fallstudien verwendet, auch im Zusammenhang mit neueren Nischen-Innovationen (Turnheim/Geels 2012; Geels et al. 2012; Geels/Verhees 2011 zit. nach Schrape 2014: 6). Die Theorie wurde in den letzten Jahren immer weiter entwickelt, wobei Geels laufend auf Kritik aus der Forschungswelt eingeht und mittlerweile verschiedene typische Pfade und Pattern ausgemacht hat für technologische Transitionen (Geels 2002, 2007, 2011).

Bezugspunkte oder Vorläufer des MLP-Ansatzes kommen von René Kemp und der niederländischen Forschergruppe um Arie Rip (Häußling 2014: 307). Der Ansatz von Geels ist ein analytisches Framework welches eine Kombination unterschiedlicher Denkschulen darstellt und sich anlehnt an die ökonomische Evolutionsforschung, den Science and Technology Studies (STS), der Strukturationstheorie und dem Neo-Institutionalismus (Geels 2011: 26). MLP fokussiert eher auf die sozialräumlichen Parameter sozio-technischen Wandels, anstatt auf die zeitlichen Aspekte technischer Neuerungen (Häußling 2014: 306). MLP versteht technologische Transitionen als nicht-lineare Prozesse, die aus einem Zusammenspiel zwischen Entwicklungen auf drei verschiedenen analytischen Ebenen entstehen (Geels 2011: 26):

- Nische (niche)
- locus for radical innovations
- sozio-technisches Regime (socio-technical regime)
- locus established practices and associated rules that stabilize existing
- systems
- Landschaft (landscape)
- exogenous developments influencing niche and regime

Die Ebenen können als Aggregationsebenen verstanden werden unter denen jeweils eine Reihe von sozialen Parametern gruppiert werden (Häußling 2014: 307). Zudem können die Ebenen als Mikro-, Meso- und Makro-Ebene verstanden werden. Die Ebenen unterscheiden sich nach Grad der Komplexität und Strukturiertheit, Reichweite von Regeln und Größe der auf ihnen agierenden Akteursnetzwerke (ebd.). Sie stehen nicht nebeneinander, sondern sind ineinander verschachtelt, wobei eine höherskalige die niederskalige Ebene beinhaltet (ebd.). Sie sind das Ergebnis unterschiedlicher Betrachtungsfoki (ebd.). Siehe dazu auch „Abbildung 2: Einbettung und Hierarchie der drei Betrachtungsebenen im MLP-Modell“ im Anhang 1.

In folgender Abbildung wird das Grundmodell der Multi-Level Perspective dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Darstellung des Modells der Multi-Level Perspective

Quelle: Geels 2002: 1263; Geels/Schot 2007 (stilisiert) übernommen von Schrape 2014

Wie im vorangegangenen Kapitel schon angedeutet, lassen sich im Vergleich des MLP-Ansatzes mit anderen etablierten techniksoziologischen Theorien, wie die von Weyer, Rammert oder Dolata, Ähnlichkeiten ausmachen. Beispielsweise betrachtet Dolata in seiner Theorie der soziotechnischen Transformation technische Neuerungen im Kontext von sogenannten sozio-technischen Feldern (Dolata 2011: 17). Diese haben starke Ähnlichkeiten mit dem Konzept sozio-technischer Regime von Geels. Ein Vergleich der gängigen Theorien kann im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter ausgeführt werden, es zeigt sich allerdings dass Geels viele etablierte Konzepte verwendet und versucht diese in einer Theorie zu bündeln. Geels integriert in seiner MLP-Theorie verschiedene techniksoziologische Ansätze wie SCOT, ANT oder Long-wave theory (Geels 2005: 94). Siehe dazu auch „Abbildung 3: Integration techniksoziologischer Ansätze in der MLP-Theorie von Geels“ in Anhang 2.

Nach der Beurteilung verschiedener techniksoziologischer Theorien scheint die MLP-Theorie als etablierter und sinnvoller theoretischer Ansatz für die Problemstellung dieser Arbeit.

2.1 Nische

Nischen sind die geschützten Inkubationsräume für radikale Innovationen, in denen abseits des Mainstream-Marktes Netzwerke von Akteuren entstehen, die sich gegenseitig unterstützen (Geels 2005: 79). Auf der Nischen-Ebene entstehen nach Geels radikale bzw. paradigmatische Neuerungen (Geels 2002: 1260 zit. n. Häußling 2014: 310). Hier kann in einem geschützten Bereich Neues entstehen, indem es nicht sofort auf seine mögliche Anwendung und ökonomische Verwertbarkeit hin geprüft wird (Häußling 2014: 310). Die Nischen befinden sich noch außerhalb des allgemeinen Wahrnehmungsbereiches und werden von einer kleinen Zahl an individuellen, kollektiven oder korporativen Akteuren getragen (Schrape 2014: 1). Innovateur*innen und Erfinder*innen schließen sich in Netzwerken zusammen und wecken das Interesse von Politiker*innen, Nutzer*innen und Unternehmer*innen durch Versprechungen und mögliche Funktionalitäten, um Ressourcen für die Weiterentwicklung zu mobilisieren (Geels 2005: 79). "Im Falle von kommunikationstechnischen Neuerungen können sich diese Konstellationen beispielsweise aus entsprechend interessierten Unternehmen und technikaffinen Frühnutzern speisen, welche sich mitunter an sehr ähnlichen Erwartungen ausrichten, die außerhalb der Nische nicht zwangsläufig geteilt werden" (Konrad 2006 zit. n. Schrape 2014: 2).

Die soziologischen Regeln, die den Kontext für die Handlungen und Interpretationen der Akteure bilden, sind in technologischen Nischen noch vage und es existieren unpräzise und diffuse Versprechungen über potentielle Anwendungen (Geels 2005: 81). Es gibt keine spezifischen Regeln, welche die Aktivitäten lenken; Experimente und Unsicherheiten dominieren das Geschehen (ebd.). Im Vordergrund stehen technische Ideen und Visionen ihrer Umsetzung, Lernprozesse und das Tun, also die Realisierung der Ideen durch Forscher*innen und Entwickler*innen (Häußling 2014: 311). In erfolgreichen Nischen werden Lernprozesse – beispielsweise auf Ebene von Nutzer*innenpräferenzen, Infrastrukturen, Politik oder symbolischen Bedeutungen – immer weiter aufeinander abgestimmt und führen somit zu mehr Stabilität und Konvergenz (Geels 2005: 88). "Dass aus einer Nischen-Innovation ein eigenes sozio-technisches Regime wird und sich damit auch auf der Landschaftsebene durchsetzt, ist [...] ein Ergebnis des Zusammenspiels heterogener Prozesse auf den verschiedenen Ebenen" (Häußling 2014: 311). Schrape weist darauf hin, dass Geels ähnlich wie Schumpeter davon ausgeht, "dass sich Variationen in Nischen meist aus der Rekombination bereits bekannter Techniken bilden [...] und oft eine Inkubationszeit von mehreren Jahrzehnten durchlaufen, bis sie auf gesellschaftlichen Einsatzbedarf treffen oder diesen ausfüllen können“ (Schrape 2014: 4). Dabei kann es nach Geels zu unterschiedlichen Konstellationen und Verkaufsmustern der Durchsetzung einer Nischen-Innovation kommen, die in den folgenden Kapiteln erläutert werden (Häußling 2014: 311).

2.2 Regime

Nischen sind eingebettet in sozio-technische Regime (Geels 2005: 82). Die Regime-Ebene ist als Mesoebene zwischen Landschaft als Makroebene und Nische als Mikroebene angesiedelt (Häußling 2014: 309). Geels versteht Regime als regulative, normative, kognitive und organisatorische Gebilde, die kollektiv als richtig erachtete Vorstellungen und Forschungsperspektiven in Bezug auf einen Gegenstandsbereich definieren (ebd.). Dazu gehören nach Schrape beispielsweise die "gegebenen sozioökonomischen, technologischen und institutionellen Strukturen, Marktkonstellationen und Nutzungsmuster in einem Mediensektor" (Schrape 2014: 2). "Diese eingespielten Regime-Strukturen können einerseits über lange Zeiträume für Stabilität und Erwartungssicherheit sorgen, andererseits aber auch zu rigiden Pfadabhängigkeiten und Scheuklappeneffekten führen" (Schneider/Werle 1998 zit. n. Schrape 2014: 2). So beschreibt Dolata beispielhaft an der globalen Musikindustrie, wie diese um das Jahr 2000 strukturelle Trägheit kennzeichnete, sie ihren eigenen Einfluss überschätzte und die Potentiale des Webs unterschätze (Dolata 2011 zit. n. Schrape 2014: 2). Illegales Filesharing etablierte sich in der Mitte der Gesellschaft, welches vorher nur in subversiven Nischen praktiziert wurde und forderte das über Jahrzehnte stabile sozio-technische Regime im Bereich der Recorded Music heraus (Schrape 2014: 2). "Radikale Neuerung haben es – Geels zufolge – schwer, die kognitiven und organisatorischen Regeln der Regimeebene dahingehend aufzuweichen, dass sich Forschergemeinden, Förderinstitutionen, politische Akteure und Unternehmen für sie einsetzen, um vom eingeschlagenen Weg abzuweichen." (Häußling 2014: 310).

[...]


1 „ Web 3 – der Anfang vom Ende der Plattformökonomie ist dezentral“ https://t3n.de/news/web-3-der-anfang-vom-ende-der-plattformoekonomie-ist-dezentral-982153/

2 „Social technology refers to the technology that directly affects the structure of society, systems, social relations, and individual interactions.“ (Jun 2018: 2)

3 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD - 19. Legislaturperiode. Quelle: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=0

4 „Die größte digitale Herausforderung besteht für Deutschland in der Verbesserung der Online-Interaktion zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern.“ (European Commission 2019: 3)

5 „Der Dienstleistungssektor ist der wirtschaftlich bedeutendste: Er erwirtschaftet 69 Prozent des BIP und schafft fast drei Viertel aller Arbeitsplätze.“ Quelle: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Mittelstand/dienstleistungswirtschaft-01-zahlen-trends.html

6 https://www.innovationsforum.fraunhofer.de/2018/04/blockchain-und-die-auswirkungen-auf-die-industrie-4-0/

7 „Web 3 – der Anfang vom Ende der Plattformökonomie ist dezentral“ Quelle: https://t3n.de/news/web-3-der-anfang-vom-ende-der-plattformoekonomie-ist-dezentral-982153/

Fin de l'extrait de 81 pages

Résumé des informations

Titre
Der sozio-technische Wandel durch Blockchain im öffentlichen Sektor
Sous-titre
Eine Mehrebenen-Analyse nach Geels
Auteur
Année
2021
Pages
81
N° de catalogue
V594531
ISBN (ebook)
9783960959472
ISBN (Livre)
9783960959489
Langue
allemand
Mots clés
Blockchain, Digitalisierung, Techniksoziologie, Soziologie, Geels, Verwaltung, Öffentlicher Sektor, Mehrebenen-Analyse, Multi-Level Perspective, Internet, Innovation, Innovationsphasen, Wissensgesellschaft, Sozio-technischer Wandel, Frank W. Geels, Soziologische Techniktheorie
Citation du texte
Manuel Banz (Auteur), 2021, Der sozio-technische Wandel durch Blockchain im öffentlichen Sektor, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/594531

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